DT Magazin | Ausgabe 2 - Spielzeit 2011/12 - Deutsches Theater
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© Arno Declair<br />
Rocko Schamoni, Jacques Palminger, Heinz Strunk<br />
8 9<br />
Studio Braun<br />
„Das Prinzip ist immer:<br />
Die beste Idee gewinnt.“<br />
Studio Braun sind Jacques Palminger, Rocko Schamoni und Heinz Strunk.<br />
Das Hamburger Trio wurde mit bizarren Telefonstreichen bekannt, die es auf CD veröffentlichte und bei Tourneen<br />
live aufführte. Nach mehreren Inszenierungen am Schauspielhaus Hamburg entwickeln<br />
die „zärtlichen Chaoten in Sauflaune“ (Selbstbeschreibung) ihr neues Stück ‚Fahr zur Hölle, Ingo Sachs‘ am <strong>DT</strong>.<br />
Ein Gespräch über Teamarbeit, unfähige Anwälte und Hundescheiße unter Autotürgriffen.<br />
Einfache Frage zum Einstieg: Worum geht es in Ihrem Stück<br />
‚Fahr zur Hölle, Ingo Sachs‘ ?<br />
Schamoni: Es geht um Hierarchien. Im Kulturbetrieb, aber<br />
auch im familiären Bereich, in Freundschaften, in der Politik.<br />
Es geht um Rache als übergeordnetes Thema.<br />
Sie beziehen sich dabei unter anderem auf den Rachethriller<br />
‚Death Wish – Ein Mann sieht rot‘ mit Charles Bronson ...<br />
Schamoni: Aber nicht nur! Wir machen das Thema Rache<br />
an zwei bekannten Geschichten fest. Zum einen an ‚Ein<br />
Mann sieht rot‘, dem Film von 1974 – zum anderen an<br />
‚Michael Kohlhaas‘ von Heinrich von Kleist. Es geht in dem<br />
Stück um einen Filmregisseur, der denkt, dass es sich dabei<br />
um zwei deckungsgleiche Geschichten handelt und daraus<br />
einen großen Kinoblockbuster machen will.<br />
Strunk: Dieser Regisseur ist Ingo Sachs, und er ist eigentlich<br />
Arthouse-Regisseur, soll aber frischen Wind in die von<br />
Fortsetzung zu Fortsetzung immer schwächer werdende<br />
‚Death-Wish‘-Reihe bringen.<br />
Und das versucht er mit Michael Kohlhaas?<br />
Strunk: Genau. Unser Stück hat drei Ebenen: Einmal diesen<br />
Film selbst, dann die Umstände bei den Dreharbeiten, bei<br />
denen Ingo Sachs den Hauptdarsteller Charles Bronson<br />
einerseits hofiert, andererseits alle anderen am Set extrem<br />
schlecht behandelt. Und als dritte Ebene tauchen am Ende<br />
wir als Studio Braun auf und zeigen dem Filmregisseur, dass<br />
er selbst nur Teil einer <strong>Theater</strong>inszenierung ist.<br />
‚Death Wish‘ war einer der ersten Filme, von dem endlose Fortsetzungen<br />
gedreht wurden – wie viele gab es insgesamt?<br />
Schamoni: Stimmt, damit ging das Elend der Sequels los.<br />
Der letzte von insgesamt fünf Teilen kam 1994 heraus.<br />
Finden Sie das Original in irgendeiner Form sehenswert?<br />
Palminger: Selbst an dem ersten Film ist absolut nichts gut<br />
– er ist noch nicht mal gut gemacht. Inhaltlich glorifiziert er<br />
Selbstjustiz, was selbst im von Verbrechen geschüttelten<br />
New York der 1970er ein Skandal war.<br />
Trotzdem – oder gerade deshalb – war ‚Death Wish‘ ein Kassenerfolg.<br />
Schamoni: Unbegreiflich! Der Film war damals der erfolg-<br />
reichste seiner Zeit.<br />
Palminger: Charles Bronson bekam durch den Erfolg eine<br />
Million Dollar pro Film – damals eine exorbitante Summe.<br />
Dabei spielt er vollkommen holzschnittartig, grauenvoll!<br />
Für die Rolle waren zeitweise sowohl Frank Sinatra als auch<br />
Steve McQueen vorgesehen ...<br />
Schamoni: Wir haben sie letztlich abgelehnt – weil wir wussten,<br />
dass wir mit Felix Goeser besser bedient sind (lacht).<br />
Palminger: Das Tragische an Charles Bronson ist, dass er<br />
für die beiden ersten großen Filme von Sergio Leone als<br />
Hauptrolle vorgesehen war, diese aber ablehnte, weil er<br />
deren Qualität nicht erkannte.<br />
Zurück zu Ihrem Stück: Welche Parallelen gibt es denn tatsächlich<br />
zwischen ‚Ein Mann sieht rot‘ und ‚Michael Kohlhaas‘?<br />
Schamoni: Ich habe Michael Kohlhaas immer als Helden<br />
gesehen, als Bauernkämpfer, so wie ihn auch Volker Schlöndorff<br />
in seiner Verfilmung 1969 inszeniert hat. Aber als ich<br />
mich intensiver mit der Figur beschäftigt habe, kam mir der<br />
Verdacht, dass Kohlhaas vielleicht auch ein totaler Spießer<br />
ist. Einer, der für seine zwei beschissenen Gäule das ganze<br />
Land terrorisiert und ins Unglück stürzt. Ein „rechtschaffener<br />
Mann“ also eher im Sinne von jemandem, der sich das<br />
Recht selbst schafft.<br />
War Michael Kohlhaas also der erste „Wutbürger“?<br />
Palminger: Das ist so ein tristes Wort! Was ich spannend<br />
finde, ist, dass es kaum eine Zeit oder eine politische Strömung<br />
gab, die Michael Kohlhaas nicht vor ihren politischen<br />
Karren gespannt hätte.<br />
Schamoni: Auch im Dritten Reich wurde die Figur zu Propagandazwecken<br />
eingesetzt – am Ende ist der Typ, glaube ich,<br />
einfach ein ganz harter Spießer.<br />
Warum sind selbst sehr liberale und aufgeklärte Menschen empfänglich<br />
für Selbstjustiz und diese archaische Welt von „Auge<br />
um Auge“, in der Rechtsstaatlichkeit nichts mehr gilt?<br />
Schamoni: Das hat, glaube ich, mit einer persönlichen Nachvollziehbarkeit<br />
zu tun. Das konnte man auch in dem Fall<br />
Bachmeier beobachten, die 1981 den Mörder ihrer Tochter<br />
im Gerichtssaal erschoss. Damals sagten auch viele<br />
Menschen: richtig so!