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das magazin 01/02 2009 - Kölner Philharmonie

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„Routine würde den<br />

künstlerischen Tod bedeuten.“<br />

TITELTHEMA<br />

»Haben Sie noch<br />

Lampenfieber, Herr Pollini?«<br />

Maurizio Pollini im Gespräch<br />

Maurizio Pollini ist einer der größten Pianisten<br />

unserer Zeit – und ein italienischer<br />

Gentleman im besten Sinne: Obwohl er<br />

eigentlich Kettenraucher ist, bleibt die<br />

Zigarettenpackung während unseres Gesprächs<br />

in Leipzig unberührt. Pollini ist<br />

freundlich, konzentriert und strahlt enorme<br />

Klarheit aus. Von Julia Spinola<br />

Ihre leidenschaftlich strukturklaren Interpretationen<br />

und Ihre Liebe zur neuen Musik haben<br />

Ihnen den Ruf eines Intellektuellen unter<br />

den Pianisten beschert. Gleichzeitig sind Sie<br />

ein legendärer Chopin-Interpret. In Deutschland<br />

ist beides nicht so selbstverständlich zusammenzudenken.<br />

Denn hier begegnet man<br />

oft noch einem tief verwurzelten Vorbehalt<br />

gegen Chopins Musik. Man sagt ihr nach, es<br />

fehle ihr an Tiefe. Was sagen Sie dazu?<br />

Ich behaupte <strong>das</strong> glatte Gegenteil und<br />

sage: Chopin schuf eine Musik von unglaublicher<br />

Tiefe. Gleichzeitig besaß er<br />

eine magische Fähigkeit, für <strong>das</strong> Klavier<br />

zu komponieren. Meine Karriere begann<br />

1960, als ich den Warschauer Chopin-<br />

Wettbewerb gewann. Damals fürchtete<br />

ich, zu sehr als Chopin-Interpret festgelegt<br />

zu werden. Dass ich mich Chopin seither<br />

immer näher gefühlt habe, lag genau an<br />

diesem Doppelcharakter seiner Musik.<br />

Einem gängigen Vorurteil zufolge, besteht<br />

Chopins Musik nur aus einer Aneinanderreihung<br />

hübscher Einfälle . . .<br />

In seinen letzten Stücken gerät die Ausarbeitung<br />

der Themen beinahe zur Hauptsache<br />

und wird wichtiger als der themati-<br />

sche Einfall selbst. Schauen Sie sich nur an,<br />

wie nah ein Stück wie die „Polonaise Fantaisie“<br />

an Schumann ist! Überall kann man<br />

die Größe seines Genius erkennen.<br />

Chopin war ungemein skrupulös und nie<br />

mit einem Resultat zufrieden. Er war unvorstellbar<br />

empfindsam gegenüber den<br />

minimalsten Nuancen und den delikatesten<br />

Details der Komposition. Das bringt<br />

seine Musik in die Nähe absoluter Perfektion.<br />

Es ist schwierig, auch nur eine Note<br />

in Chopins Musik zu finden, die nicht notwendig<br />

und zwingend wäre. Aber man<br />

muss die außergewöhnliche Perfektion<br />

seiner Musik empfinden können.<br />

Das Klischee besagt, <strong>das</strong>s Chopin ein lyrischer<br />

Komponist sei. Ob Sie jedoch an die<br />

Sonaten denken, an die Scherzi oder an<br />

die Etüden op. 25: Überall finden Sie Werke<br />

voller Drama.<br />

Das Bild des romantischen Träumers ist<br />

sehr einseitig. Es wird Chopin nicht gerecht.<br />

Immerhin hat ein Dirigent wie Furtwängler<br />

einmal gesagt, er beneide die<br />

Pianisten darum, <strong>das</strong>s sie Chopin spielen<br />

könnten. Das spricht doch Bände!<br />

Mit Ihren Interpretationen haben Sie zur Korrektur<br />

dieses verzärtelten Chopin-Bilds beigetragen.<br />

Wie gehen Sie an die Erarbeitung<br />

eines Werkes heran?<br />

Ich habe keine Methode. Momente der<br />

Analyse, der technischen Aneignung und<br />

des musikalischen Verständnisses bilden<br />

immer eine Einheit. Ich tue mein Bestes,<br />

um so informiert wie möglich zu sein über<br />

die Quellenlage, voneinander abweichende<br />

Fassungen und Editionen. Als ich die<br />

Sonate Nr. 2 von Chopin studierte, fand ich<br />

zum Beispiel große Unterschiede in den<br />

Ausgaben. Es gibt da eine seltsame Harmonie<br />

im zweiten Satz, die beinahe orientalisch<br />

klingt und die in den Editionen,<br />

zum Teil sogar stillschweigend, begradigt<br />

wurde. Ich habe <strong>das</strong> in meinen Aufnahmen<br />

korrigiert, so wie Vladimir Horowitz es<br />

auch getan hat. Aber leider hat man nicht<br />

die Zeit, um immer so akribisch vorgehen<br />

zu können.<br />

Wenn Sie ein Stück im Programm haben, <strong>das</strong><br />

Sie schon unzählige Male gespielt haben,<br />

fürchten Sie sich dann gelegentlich vor Routine?<br />

Und wie lässt sie sich vermeiden?<br />

Natürlich würde Routine den künstlerischen<br />

Tod bedeuten. Aber ich fühle mich<br />

frei von ihr. Ich gebe nicht mehr als vierzig<br />

Konzerte im Jahr. Nicht zu viele Auftritte<br />

zu absolvieren ist ein Mittel, um sie zu vermeiden.<br />

In Ihren Programmen kombinieren Sie häufig<br />

große Werke der Tradition mit neuer<br />

Musik. Ist <strong>das</strong> auch ein Weg, um schlechte<br />

Gewohnheiten – auch des Hörens – zu<br />

durchbrechen?<br />

Ja, durchaus. Oft können wir uns die Modernität<br />

eines älteren Werkes dadurch<br />

deutlicher machen. Zum Beispiel kann es<br />

in einem Konzert helfen, Musik von Anton<br />

Webern zu verstehen, wenn man vorher<br />

ein pausendurchsetztes Stück des späten<br />

Beethoven gehört hat. Bei Webern wie bei<br />

Beethoven muss man trotz der vielen Pausen<br />

in Linien denken.

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