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MyTHoS WiLDERER

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Das Wild mit dem gewellten Gehörn<br />

hat freilich auch nichts zu befürchten.<br />

Im Nationalpark Stilfser Joch<br />

trägt Horst schon lange keine Waffe<br />

mehr bei sich. Nach dem Erscheinen seines<br />

erschreckend aufrichtigen Bekenntnis-Buches<br />

vor acht Jahren schwor er der<br />

illegalen Jagd ab.<br />

Die Wilderei hatte ihm fast das Leben<br />

gekostet, einmal pfiffen die Kugeln der<br />

Park-Ranger knapp an seinem Kopf vorbei.<br />

Zweimal verfrachteten ihn Carabinieri<br />

in Handschellen ins Bozener Gefängnis.<br />

Die Untersuchungshaft dauerte<br />

zwar nur ein paar Tage, aber an der Brutalität<br />

der Verhöre und der Enge der<br />

Zelle, die er mit Schlägern und Mördern<br />

teilen musste, wäre er fast zerbrochen.<br />

Außerdem drohten ihn die Anwaltskosten<br />

aufzufressen.<br />

1989, da war Horst Eberhöfer gerade<br />

21 Jahre alt, wurde er wegen Wilderei im<br />

Nationalpark Stilfser Joch zu einer hohen<br />

Geldbuße verurteilt. Seine Jagd-<br />

lizenz zogen die italienischen Behörden<br />

für viele Jahre ein, erst 2002 bekam er<br />

sie zurück.<br />

Eigentlich war es unfassbares Glück,<br />

dass der Wilddieb das Papier überhaupt<br />

je wiedersah. Denn kaum hatte der<br />

Delinquent das Gerichtsgebäude verlassen,<br />

knallte seine Büchse wieder durchs<br />

Naturschutzgebiet. Unrechtsbewusstsein<br />

hatte Horst Eberhöfer, der den Park-<br />

Rangern die kapitalen Hirsche manchmal<br />

rudelweise vor der Nase wegschoss,<br />

eigentlich nie.<br />

„Wir machen uns die<br />

Gesetze selbst“, saGt er<br />

trotziG und spricht damit<br />

den meisten südtirolern<br />

aus der seele.<br />

Als 1983 sämtlichen Südtiroler Jägern,<br />

deren Reviere innerhalb des rund 130.000<br />

Hektar großen Nationalparks lagen, das<br />

Jagdrecht entzogen wurde, geriet die<br />

Wilderei zum Volkssport. Pfarrer, Lehrer,<br />

Bauern, Förster, Beamte, Jugendliche –<br />

die halbe Bevölkerung des Vinschgaus<br />

montierte Schalldämpfer auf die Büchsen<br />

und räuberte im wildreichen Nationalpark,<br />

bis die Kühltruhen zu bersten<br />

drohten.<br />

Die Anwohner erzürnte besonders die<br />

offensichtliche Doppelmoral der Naturschützer<br />

und Park-Verantwortlichen: „Was<br />

ist das für ein Nationalpark“, schimpft<br />

Horst Eberhöfer, „in dem Straßen, Aufstiegsanlagen<br />

und ganze Skigebiete gebaut<br />

werden dürfen? Man darf alles tun,<br />

nur nicht auf die Jagd gehen. Ein Irrsinn!“<br />

Tatsächlich grenzt es an bürgerkriegsähnlichen<br />

Wahnsinn, was Horst Eberhöfer<br />

in seinem autobiografischen Bestseller<br />

„Der Wilderer im Nationalpark“<br />

zu berichten weiß.<br />

Gesetzeshüter und Gesetzesbrecher<br />

liefern sich im<br />

fiat Wilde VerfolGunGsjaGden<br />

über die abschüssi-<br />

Gen berGstrassen.<br />

Um die Selecontrollori (so heißen die von<br />

den italienischen Behörden eingesetzten<br />

Ranger) abzuhängen, legen die Wilderer<br />

Nagelbretter auf die Straßen, und um<br />

unerkannt zu bleiben, tragen sie wie<br />

Terroristen schwarze Strumpfmasken.<br />

Die Ranger dringen nachts in die Häuser<br />

Verdächtiger ein, reißen die Burschen aus<br />

dem Bett und buddeln im Garten nach<br />

verscharrten Gewehren. Carabinieri klammern<br />

sich an die Kühlerhauben der Fluchtfahrzeuge,<br />

abzuschütteln nur bei rasanter<br />

Rückwärtsfahrt über Stock und Stein.<br />

Längst, so hat der bange Leser den Eindruck,<br />

geht es den Häschern nicht mehr<br />

um den Schutz von Gams, Steinbock<br />

und Hirsch, sondern um ihre persönliche<br />

Rache an den dreisten Rebellen.<br />

Der Autor dieser Räuberpistole wird in<br />

den Tälern am Fuße der mächtigen Ortlergruppe<br />

wie ein alpiner Robin Hood<br />

verehrt. Vom Gebaren eines schießwütigen<br />

Draufgängers hat er indes wenig.<br />

Horst Eberhöfer trägt ein sanftmütiges<br />

Lächeln in seinem von der Gebirgssonne<br />

bronzierten Gesicht, dazu eine randlose<br />

Brille über den hellen Augen. Seine Stimme<br />

ist leise, in seinen Worten schwingt<br />

Selbstkritik mit: „Ich war überpassioniert,<br />

das stimmt schon“, räumt er ein. Und<br />

manchmal, so beichtet er auch in seinem<br />

Buch, widerte ihn sein unstillbarer Jagdtrieb<br />

selbst an.<br />

Seine Zerknirschung erreicht den Höhepunkt,<br />

als er als 19-Jähriger trotz unsi-<br />

cherer Ansprache auf ein Rudel Gamswild<br />

schießt. „Es waren ein Jährlingsbock<br />

und zwei Geißen. Beide waren trächtig.<br />

Sie hatten ein Kitz im Bauch. Das ist keine<br />

schöne Sache, zwei werdende Mütter,<br />

stark abgemagert von den Winterstrapazen.<br />

Es tat weh, sie tot liegen zu sehen.<br />

(...) Ich hatte zum ersten Mal kopflos getötet<br />

und war selbst im Herzen tief<br />

verwundet.“<br />

Noch heute plagt den inzwischen lizenzierten<br />

Jäger mit legalem Revier außerhalb<br />

des Nationalparks der Schießzwang<br />

und das anschließend schlechte Gewissen.<br />

Deswegen tauscht er nun öfter seine<br />

Blaser im Kaliber 7 mm Magnum gegen<br />

einen Fotoapparat mit Teleobjektiv. „So<br />

kann ich auf die Pirsch gehen und den<br />

Tieren nahe kommen, ohne sie zu töten.“<br />

Die Selbsttherapie, die der Hobbytierfotograf<br />

sich verordnete, hält allerdings meist<br />

nicht lange vor. Verschämt und mit gesenktem<br />

Kopf gesteht der Wildtöter ein:<br />

„Aber ein Hirschkalb muss im November<br />

schon her. Die schmecken so gut.“<br />

Die Einheimischen in den Vinschgauer<br />

Dörfern von Sulden bis Trafoi schauten<br />

lieber weg, wenn Horst Eberhöfer unter<br />

dem Bergwild wütete. Denn die Rohheit,<br />

mit der er bei seiner Wilderei manchmal<br />

zu Werke ging, hätte ihre Illusion eines<br />

edlen Unabhängigkeitskämpfers, der den<br />

Südtirolern den Nationalpark zurückeroberte<br />

und den verhassten Bürokraten<br />

in Rom die Stirn bot, zerstört.<br />

so Genoss eberhöfer, als<br />

Wäre er ein WiederGänGer<br />

des freiheitskämpfers<br />

andreas hofer, eine fast<br />

kritiklose VerehrunG<br />

unter den berGlern.<br />

Sein Schulkamerad Stephan Gander,<br />

der später die schöne Tochter des legendären<br />

Südtiroler Skirennläufers Gustav<br />

Thöni heiratete und heute mit ihr in<br />

Trafoi das sympathische Familienhotel<br />

„Bella Vista“ betreibt, hätte für den Wilddieb<br />

alles getan.<br />

„Als ich erlebte, wie brutal mein<br />

Freund von der Polizei behandelt wurde“,<br />

erzählt der Unternehmer, „begann ich<br />

Jura zu studieren, um ihm beistehen zu<br />

können. Leider musste ich bald ><br />

Sein Gewehr trägt Horst Eberhöfer nicht mehr bei sich, wenn er im nationalpark Stilfser Joch kraxelt.<br />

nur noch der Feldstecher erinnert an sein früheres Dasein als Wilderer.<br />

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