Alter Bahnhof mit neuerFunktion: Knotenpunkt fürMobilität und IntegrationInvestor hat geschichtsträchtiges Gebäude zum multifunktionalen Treffpunktausgebaut – Taktgeber für StadtentwicklungVon Rüdiger KahlkeEinen Quadratmeter Geschichte hat Architekt ManfredKissing an der Westfront des Letmather Bahnhofsbelassen. Ein dunkler Fleck an einem Bahnhof,der zu einem Leuchtturm-Projekt geworden ist. Hierbündeln sich gut 150 Jahre Geschichte. 2012 wurdenhier zuletzt Fahrkarten verkauft. Der Abriss drohte.Der Bahnhof an der Ruhr-Sieg-Strecke, einst Impulsgeberfür die Entwicklung Letmathes und Iserlohns,war für die Bahn AG ein Klotz am Bein geworden,bedeutungslos für das Staatsunternehmen. Ein Bauwerk,das zwar unter Denkmalschutz steht, aber nurhohle Hülle war. Seit April erstrahlt das Gebäude, das1859 am südlichen <strong>Lenne</strong>ufer erbaut worden war, inneuem Glanz. Der „Integrations-Bahnhof“ hat eineneue Funktion, ist wieder zu einem Knotenpunkt fürBewegung, für Mobilität geworden. Er könnte zumKatalysator für die Stadtentwicklung in dem altenOrtsteil Genna werden – wie zu seinen Gründerzeiten.der Stadt gekauft. Er wollte sich mit Verfall und drohendemAbriss nicht abfinden. Als Architekt, der sichmit Altbausanierung auskennt, weiß er aber: SolcheBauwerke kann man nur retten, wenn sie mit Lebengefüllt werden. Ein Nutzer fand sich mit den IserlohnerWerkstätten, die behinderte Menschen ins Arbeitslebenintegrieren. Die Stadt mietete dafür langfristigdie Räume im Erdgeschoss. Ein weiterer mitdem Psychosozialen Trägerverein Iserlohn e.V. (PST).Der schuf in der oberen Etage eine Wohngruppe fürbehinderte Menschen. <strong>Das</strong> Konzept des Integrations-Bahnhofs nahm Gestalt an.„Hier kommt man zusammen“, ist das Motto fürden Bahnhof. Im „Bahnsteig 42“, einem Café/Bistroservieren und kochen Menschen mit Handicaps unterBegleitung für die Gäste. Ein Kiosk bietet nebenSnacks, Zeitungen und Zeitschriften auch Fahrgastinformationenfür die Abellio-Züge. Ticket-Verkauf fürVeranstaltungen und touristische Angebote sind vorgesehen.In der ehemaligen Wartehalle sollen Kulturangebotedafür sorgen, dass das Motto mit Lebenerfüllt wird. „Caput“ das hauseigene <strong>Magazin</strong> derBauwerk mit Leben gefülltManfred Kissing, ein geborener Letmather, der ansonstenEinkaufszentren baut, hat den Bahnhof von82/83
Iserlohner Werkstätten, hat seine neue Redaktionjetzt ebenfalls im Bahnhof. Eine Fahrrad-Station mitE-Bike-Ladestation ist geplant. „Unser Wunsch ist es,dass der Letmather Bahnhof zum Treffpunkt für Bürgerinnenund Bürger wird“, hat Martin Ossenberg,Geschäftsführer der Iserlohner Werkstätten, bei derVorstellung des Bahnhofs gesagt. <strong>Das</strong> breite Angebotbietet dafür beste Voraussetzungen.„Kleinod mit Zukunft“Schon zur offiziellen Eröffnung war der Andrang groß.Entsprechend zufriedene Gesichter gab es bei denBeteiligten. Als „Kleinod mit Zukunft“ lobte IserlohnsBürgermeister Dr. Peter Paul Ahrens das Konzeptder Iserlohner Werkstätten. Landrat Thomas Gemkesprach bei der Eröffnung von „einem Vorzeigeprojektfür die gesamte Region“. Er habe schon „viele vergammelteBahnhöfe gesehen“. Mit Blick auf das LetmatherProjekt meinte er: „Hier hat man angepackt.“Am Ziel sieht sich auch Iserlohns Erste BeigeordneteKatrin Brenner, die die Planungen unterstützt hatte:„Wir wollten gemeinsam Außenarbeitsplätze fürMenschen mit Handicaps schaffen.“Neue MobilitätDieser Geist war bei der Einweihungsfeier spürbar.Bei den Offiziellen, bei den Projektbeteiligten, vorallem aber bei den Beschäftigten. Auf den Punktbrachte es Cathrin Illner, Mitglied der „Caput“-Redaktion.Aufgrund einer spastischen Behinderung ist diejunge Frau auf einen Rollstuhl angewiesen. Elf Jahrehabe sie etwas gemacht, was ihr keinen Spaß gemachthat. Jetzt, in der neuen Redaktion, hat sie ihrenPlatz gefunden. „Ich stehe jeden Morgen wiedergerne auf“, sagte sie in einer bewegenden Ansprachezur Eröffnung des Inklusions-Bahnhofs.Auch die Bahn selbst hat sich bewegt. Sie hat imMärz ein neues Verkehrskonzept vorgestellt. Danachsollen ab 2019 wieder Intercity-Züge in Letmathehalten. Der Stadtteil am Fluss wird für Iserlohn dasTor zur Welt. Für den rührigen 2. Vorsitzenden derWerbegemeinschaft Letmathe, Rainer Großberndt,bekommt Iserlohn „in Letmathe einen Bahnhof derZukunft“ – mit einem geschichtsträchtigen Fleck. Aufdem einen Quadratmeter Backsteinfront im Westenkonzentrieren sich die Luft-Emissionen aus mehr als150 Jahren Eisenbahn- und Industriegeschichteim <strong>Lenne</strong>tal.Belastung, Staub und Ruß sindeiner lockeren, heiteren Atmosphäregewichen. Hier fühlt man sich willkommen.Drei Fragen an:Manfred Kissing, Besitzer des Letmather Bahnhofs.Herr Kissing, was hat den Bahnhof für Sie zur Herzensangelegenheitgemacht?Ich bin in Letmathe geboren. Es war schlimm, alsman früher am Bahnhof in Letmathe ankam unddessen schrecklichen Zustand sah. Der erste Eindruckwar schlecht und den zu revidieren ist nicht leicht.Ich bin täglich an diesem Bahnhof vorbeigefahren.Da habe ich gesagt: Ich kümmere mich.Es gibt in dem Gebäude jetzt verschiedene Nutzungen.Wie haben Sie die unter einen Hut gekriegt?<strong>Das</strong> ging nur, weil die Stadt die Räume langfristiggemietet hat. Persönliche Kontakte zu den Nutzernhaben eine große Rolle gespielt. Und ein bisschenexperimentiert haben wir auch, um im Obergeschossdie Wohngruppe einrichten zu können. Die Erschütterungendurch die Bahn waren zu hoch, um dortzu wohnen. Da haben wir einen Estrich gefunden,der die Erschütterungen auffängt. Alle Beteiligten,die Diakonie, der Psychosoziale Trägerverein Iserlohnund Abellio haben engagiert mitgemacht.Der Bahnhof ist unter großer Anteilnahme eröffnetworden. Hat sich das Engagement gelohnt?Die Restauration alter Gebäude ist mein Hobby. Esgibt ähnliche Bahnhöfe, aber die sind nirgends so erhaltengeblieben wie hier. Der Bahnhof ist stadt- unddenkmalgeschichtlich sehr wichtig. Letmathe war biszur Errichtung des Bahnhofes 1859 ein Dorf. Er wardie Anbindung von Iserlohn, damals eine der größtenStädte Westfalens, an die wirtschaftlich wichtigeRuhr-Sieg-Strecke. Deshalb fiel das Bahnhofsgebäudeim Verhältnis zum Dorf Letmathe überdimensioniertaus und gab den Startschuss für die Stadtentwicklungvon Letmathe. Die ganze Atmosphäre hierist ungeheuer positiv geladen. Alle haben Freude,hier zu arbeiten.