Christen an der Ruhr - Aschendorff
Christen an der Ruhr - Aschendorff
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<strong>Christen</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ruhr</strong><br />
B<strong>an</strong>d 4<br />
Herausgegeben von<br />
Reimund Haas und Jürgen Bärsch<br />
1
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung<br />
des Instituts für kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen,<br />
des L<strong>an</strong>dschaftsverb<strong>an</strong>des Westfalen-Lippe,<br />
des L<strong>an</strong>dschaftsverb<strong>an</strong>des Rheinl<strong>an</strong>d<br />
und <strong>der</strong> ChoC-Stiftung, Köln.<br />
2<br />
Titelseite Hintergrund:<br />
Reichsabtei Werden <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ruhr</strong>, Ausschnitt aus <strong>der</strong> Karte von Honigm<strong>an</strong>n 1803 bis 1806<br />
(Amt für Geoinformation, Vermesseung und Kataster <strong>der</strong> Stadt Essen)<br />
Die Porträts zeigen von links nach rechts: Theresia Albers, Heinrich Wigger,<br />
Ida von Bodelschwingh, Jord<strong>an</strong> Mai, August Everding und Elisabeth Niehues<br />
© 2010 <strong>Aschendorff</strong> Verlag GmbH & Co. KG, Münster<br />
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbeson<strong>der</strong>e die <strong>der</strong><br />
Übersetzung, des Nachdrucks, <strong>der</strong> Entnahme von Abbildungen, <strong>der</strong> Funksendung, <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gabe auf<br />
fotomech<strong>an</strong>ischem o<strong>der</strong> ähnlichem Wege und <strong>der</strong> Speicherung in Datenverarbeitungs<strong>an</strong>lagen bleiben,<br />
auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungs<strong>an</strong>sprüche des § 54, Abs. 2, UrhG<br />
werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen.<br />
Druck: <strong>Aschendorff</strong> Druckzentrum GmbH & Co. KG<br />
ISBN 978-3-402-10490-3
Inhalt<br />
Vorwort .......................................................................................................... 5<br />
Georg Schrott Gerwig von Volmarstein.<br />
Ein Seliger aus dem ersten Drittel des 12. Jahrhun<strong>der</strong>ts ................. 7<br />
Hartmut Hegeler Anton Praetorius (1560–1613).<br />
In Gottes Wort fi ndet m<strong>an</strong> nichts von Folterung ............................. 14<br />
Elke Dißelbeck-Tewes Anton Düsing (c. 1748–1804).<br />
Org<strong>an</strong>ist, Küster und Kirchenmeister<br />
<strong>an</strong> <strong>der</strong> Propsteikirche St. Lamberti in Gladbeck ............................. 25<br />
Ursula Olschewski Heinrich Wigger (1827–1908).<br />
38 Jahre Seelsorger in Hörde .......................................................... 38<br />
Claudia Puschm<strong>an</strong>n/ Ida von Bodelschwingh (1835–1894).<br />
Kerstin Stockhecke „… in dein Amt soll ich mich nicht mischen“ ................................ 55<br />
Jürgen Kleim<strong>an</strong>n Augustin Wibbelt (1862–1947).<br />
Pfarrer, nie<strong>der</strong>deutscher Dialektautor und westfälischer<br />
Volksschriftsteller ............................................................................ 62<br />
Jürgen Kleim<strong>an</strong>n Jord<strong>an</strong> Mai (1866–1922). Fr<strong>an</strong>zisk<strong>an</strong>erbru<strong>der</strong>, Nothelfer,<br />
Fürsprecher und Zeitzeuge des <strong>Ruhr</strong>gebiet-Katholizismus ............. 74<br />
Martin Patzeck Theresia Albers (1872–1949).<br />
Lehrerin und Ordensgrün<strong>der</strong>in ........................................................ 88<br />
Jürgen Bärsch Joseph Stoffels (1879–1923). Dienst <strong>an</strong> <strong>der</strong> Kirche zwischen<br />
Wissenschaft und Seelsorge ............................................................ 106<br />
Joh<strong>an</strong>nes Wielgoß Theodor Hartz (1887–1942).<br />
Ein Salesi<strong>an</strong>er des St. Joh<strong>an</strong>nesstiftes in Essen-Borbeck gegen<br />
den NS-Unrechtsstaat ...................................................................... 129<br />
Herm<strong>an</strong>n-Ulrich Hugo Krueger (1887–1964).<br />
Koehn Der Kohle und <strong>der</strong> Kirche verpfl ichtet ............................................ 142<br />
3
Inhalt<br />
Herm<strong>an</strong>n-Ulrich H<strong>an</strong>s Lutz (1900–1978).<br />
Koehn Unruhiger Bürger <strong>der</strong> Kirche .......................................................... 150<br />
Reimund Haas Leonhard Küppers (1903–1985).<br />
Kunstprofessor in Düsseldorf und Kustos <strong>der</strong> Essener<br />
Domschatzkammer .......................................................................... 161<br />
Elisabeth Tillm<strong>an</strong>n Elisabeth Niehues (1911–2005).<br />
Caritas-Kr<strong>an</strong>kenschwester und Leiterin <strong>der</strong> Kr<strong>an</strong>kenreviere<br />
des Dortmun<strong>der</strong> NS-Zw<strong>an</strong>gsarbeiterlagers Loh .............................. 181<br />
Brigitte Spieker Liesel Bellm<strong>an</strong>n (1920–2000).<br />
Bildhauerin und Christin mit fr<strong>an</strong>zisk<strong>an</strong>ischem Lebensstil ............. 197<br />
Baldur Herm<strong>an</strong>s Bartholomeus Cornelis Hoogeveen (1921–1984).<br />
Ein nie<strong>der</strong>ländischer Priester als „Brückenbauer“ im<br />
Bistum Essen ................................................................................... 221<br />
Herm<strong>an</strong>n-Josef August Everding (1928–1999).<br />
Scheidgen „M<strong>an</strong>agerintend<strong>an</strong>t“ aus Bottrop, Globalplayer <strong>der</strong> Kultur und<br />
barocker Katholik ............................................................................. 237<br />
Bildnachweis .......................................................................................................... 248<br />
Anschriften <strong>der</strong> Autorinnen und Autoren ................................................................................ 248<br />
Personenregister .......................................................................................................... 249<br />
Ortsregister .......................................................................................................... 257<br />
Inhalt <strong>der</strong> Bände 1 bis 3 .......................................................................................................... 262<br />
4
Vorwort<br />
Im Jahr 2010 ist Essen für das <strong>Ruhr</strong>gebiet „Kulturhauptstadt<br />
Europas“. Damit richtet sich <strong>der</strong> Blick<br />
auf diese Region und ihre Menschen. Das <strong>Ruhr</strong>gebiet<br />
versteht sein industrielles Erbe selbstbewusst<br />
als Teil einer beson<strong>der</strong>en Kultur. Die Tiefenprägung<br />
dieser Region ist jedoch bedeutend älter:<br />
1200 Jahre alt sind die Spuren religiösen Lebens<br />
und künstlerischer Gestaltung. Sie weisen darauf<br />
hin, wie eng Lebensalltag, Kultur und Kunst zusammengehören.<br />
Für den vierten B<strong>an</strong>d von <strong>Christen</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ruhr</strong> haben<br />
16 Autorinnen und Autoren 17 Lebensbil<strong>der</strong><br />
zusammengetragen. Sie präsentieren Gemeindepfarrer<br />
bei<strong>der</strong> christlicher Konfessionen, Frauen,<br />
die ein außerordentliches christliches Zeugnis<br />
gelebt haben, sei es als Pfarrersfrau, als Lehrerin<br />
o<strong>der</strong> Kr<strong>an</strong>kenschwester o<strong>der</strong> als Bildhauerin. Die<br />
Einsatzgebiete und Lebenssituationen <strong>der</strong> hier vorgestellten<br />
<strong>Christen</strong> reichen von <strong>der</strong> Bekämpfung<br />
<strong>der</strong> Hexenverfolgung über den l<strong>an</strong>gjährigen Küster-<br />
und Org<strong>an</strong>istendienst bis zur caritativen Arbeit.<br />
In ihren jeweiligen Lebensläufen versuchten<br />
sie die Botschaft des Ev<strong>an</strong>geliums zu verwirklichen,<br />
<strong>an</strong>gef<strong>an</strong>gen von einem Kölner Weihbischof<br />
über einen westfälischen Fr<strong>an</strong>zisk<strong>an</strong>erbru<strong>der</strong>,<br />
einem von den Nationalsozialisten im Konzentrationslager<br />
Dachau ermordeten Ordensm<strong>an</strong>n aus<br />
Essen-Borbeck bis zu einem global wirkenden<br />
Kulturm<strong>an</strong>ager aus Bottrop. Neben Seelsorge und<br />
Caritas waren die hier portraitierten Christinnen<br />
und <strong>Christen</strong> auch in <strong>der</strong> Wissenschaft und beson<strong>der</strong>s<br />
im kulturellen Bereich tätig, von <strong>der</strong> Kirchenmusik<br />
und <strong>der</strong> heimatsprachlichen Dichtung bis<br />
hin zur bildenden Kunst.<br />
Soweit es die oft schwierige Quellen- und Literaturüberlieferung<br />
ermöglichte, wird in den Lebensbil<strong>der</strong>n<br />
das Wagnis eines christlichen Lebens<br />
aufgezeigt in den vielfältigen Sp<strong>an</strong>nungsfel<strong>der</strong>n<br />
von Frömmigkeit und Engagement, Individualität<br />
und kirchlicher Gemeinschaft. Dabei werden die<br />
Biographien dieser <strong>Christen</strong> möglichst realistisch<br />
mit allen Freuden und Hoffnungen, die sie bewegten,<br />
mit allen Leiden und Enttäuschungen, die<br />
sie durchlebten, dargestellt.<br />
In <strong>der</strong> aktuellen Phase tiefgreifen<strong>der</strong> W<strong>an</strong>dlungen<br />
im <strong>Ruhr</strong>gebiet, im <strong>Ruhr</strong>bistum Essen und in den<br />
beiden ev<strong>an</strong>gelischen L<strong>an</strong>deskirchen ist das Profi<br />
l einzelner Christinnen und <strong>Christen</strong> gefragt.<br />
Christliches Zeugnis muss sich unter heutigen gesellschaftlichen<br />
und kirchlichen Bedingungen neu<br />
bewähren. Dabei ist es hilfreich, beispielgebenden<br />
Lebensgeschichten von <strong>Christen</strong> nachzugehen.<br />
Herzlich d<strong>an</strong>ke ich den Autorinnen und Autoren<br />
für ihre Beiträge zu diesem Buch. Die Redaktionsarbeit<br />
lag bei dem Team des „Instituts für<br />
kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen“.<br />
Unter <strong>der</strong> Leitung von Herrn Professor Jürgen<br />
Bärsch stellte Herr Professor Reimund Haas<br />
und Frau Marlies Haastert diesen vierten B<strong>an</strong>d <strong>der</strong><br />
Reihe <strong>Christen</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ruhr</strong> zusammen. Das Register<br />
wurde d<strong>an</strong>kenswerterweise von Frau Sus<strong>an</strong>ne<br />
Schmitz (Köln) erarbeitet. Das aufwändige Lektorat<br />
des B<strong>an</strong>des lag wie<strong>der</strong>um beim <strong>Aschendorff</strong>-<br />
Verlag in Münster in den bewährten Händen von<br />
Dr. Burkhard Beyer.<br />
Als Vorsitzen<strong>der</strong> des Kuratoriums des Instituts<br />
für kirchengeschichtliche Forschung d<strong>an</strong>ke ich<br />
zusammen mit den Herausgebern und Autoren<br />
5
Vorwort<br />
dafür, dass die Anstrengungen des Bistums Essen<br />
für dieses Kulturhauptstadtprojekt fi n<strong>an</strong>ziell vor<br />
allem vom L<strong>an</strong>dschaftsverb<strong>an</strong>d Westfalen-Lippe<br />
(Münster), vom L<strong>an</strong>dschaftsverb<strong>an</strong>d Rheinl<strong>an</strong>d<br />
(Bonn) und <strong>der</strong> ChoC-Stiftung (Köln) unterstützt<br />
wurden.<br />
Im Jahr <strong>der</strong> Kulturhauptstadt 2010 wünsche ich,<br />
dass die in diesem B<strong>an</strong>d vorgelegten Lebensbil<strong>der</strong><br />
von Christinnen und <strong>Christen</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ruhr</strong> interessierte<br />
Leser fi nden werden und dass die Beispiele<br />
6<br />
vorbildlicher <strong>Christen</strong> dazu ermutigen mögen,<br />
sich aus christlichem Geist und in Verbundenheit<br />
mit <strong>der</strong> Region in Kirche und Gesellschaft zu engagieren.<br />
Essen, am 9. J<strong>an</strong>uar 2010<br />
Prälat Dr. H<strong>an</strong>s-Werner Thönnes<br />
Bischöfl icher Generalvikar
Gerwig von Volmarstein<br />
Ein Seliger aus dem<br />
ersten Drittel des<br />
12. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
Georg Schrott<br />
I. Der unbek<strong>an</strong>nte Gerwig<br />
Über <strong>der</strong> <strong>Ruhr</strong> „liegt eine Burg mit Namen<br />
Volmarstein, die zum Hochstift Köln gehört. Auf<br />
dieser Burg lebte ein Edelm<strong>an</strong>n mit seiner Gattin<br />
und seiner Familie. Die Gattin dieses edlen M<strong>an</strong>nes<br />
war wie ein fruchtbarer Weinstock in seinem<br />
Haus und schenkte ihm vier vortreffl iche Söhne,<br />
die waren wie junge Ölbäume um seinen Tisch.<br />
Der Erstgeborene, Gerwig mit Namen, zeigte sich<br />
allerdings zunächst <strong>der</strong> Eitelkeit <strong>der</strong> Welt zuget<strong>an</strong>,<br />
nach einiger Zeit jedoch als sehr gew<strong>an</strong>dt<br />
im ritterlichen Dienst.“ Mit diesen Worten wird<br />
die Hauptfi gur einer Erzählung eingeführt, <strong>der</strong>en<br />
Lebenslauf mehrere bedeutsame Wendungen nehmen<br />
wird. Zuletzt wird Gerwig von Volmarstein<br />
nicht nur als Grün<strong>der</strong> des Klosters Waldsassen dastehen,<br />
son<strong>der</strong>n auch – bis auf den heutigen Tag<br />
– im Bistum Regensburg als Seliger verehrt werden.<br />
Im kulturellen Gedächtnis des früheren Stifts<br />
wie <strong>der</strong> heutigen Stadt Waldsassen spielt Gerwig<br />
von Volmarstein daher eine bedeutende Rolle.<br />
In seiner Heimat aber, <strong>der</strong> <strong>Ruhr</strong>-Region, ist er<br />
weitgehend unbek<strong>an</strong>nt und unbeachtet. Dies ist<br />
nicht allein durch einen allzu dünnen Informationsfl<br />
uss zwischen Nordbayern und Westfalen<br />
zu erklären. Ein triftiger Grund dürfte auch sein,<br />
dass seitens <strong>der</strong> historischen Forschung die Existenz<br />
des historischen Gerwig von Volmarstein<br />
Gerwig von Volmarstein<br />
Wie<strong>der</strong>begegnung zwischen Gerwig von Volmarstein<br />
und Markgraf Diepold von Vohburg (Chorfresko<br />
in <strong>der</strong> Stiftsbasilika Waldsassen)<br />
gründlich infrage gestellt wurde. Bereits <strong>der</strong> erste<br />
bürgerliche Verfasser einer Waldsassener Ortsgeschichte,<br />
Joh<strong>an</strong>n Baptist Brenner, schrieb 1837:<br />
„Die fromme Legende schien schon deßwegen<br />
nicht überg<strong>an</strong>gen werden zu dürfen, weil sie so<br />
l<strong>an</strong>ge geglaubt wurde. Das G<strong>an</strong>ze riecht aber sehr<br />
nach Rom<strong>an</strong>tik. Mag immer ein frommer Abentheurer<br />
die erste Ver<strong>an</strong>laßung zur Stiftung gegeben<br />
haben, so erscheint urkundlich nur Diepold<br />
o<strong>der</strong> Theobald von Vohburg als Stifter.“ Aus demselben<br />
Grund bestreitet Robert Krumbholtz, <strong>der</strong><br />
Herausgeber des Volmarsteiner Urkundenbuches,<br />
Gerwigs Existenz. So wun<strong>der</strong>t es wenig, dass <strong>der</strong><br />
für den Alt-L<strong>an</strong>dkreis Tirschenreuth, also das ehemalige<br />
Waldsassener Stiftl<strong>an</strong>d einschlägige B<strong>an</strong>d<br />
des „Historischen Atlas von Bayern“ die Quelle<br />
völlig ignoriert.<br />
Als ein Unbek<strong>an</strong>nter erscheint uns Gerwig von<br />
Volmarstein aber auch, weil seine Person histo-<br />
7
Anton Praetorius<br />
Anton Praetorius<br />
(1560–1613)<br />
In Gottes Wort findet m<strong>an</strong><br />
nichts von Folterung<br />
Hartmut Hegeler<br />
I. Zu Unrecht vergessen im<br />
Dunkel <strong>der</strong> Verg<strong>an</strong>genheit<br />
Dieser Artikel würdigt einen kritischen Geist aus<br />
<strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Wende vom 16. zum 17. Jahrhun<strong>der</strong>t,<br />
<strong>der</strong> überregionale Bedeutung erl<strong>an</strong>gt hat durch die<br />
Veröffentlichung eines <strong>der</strong> ersten Bücher gegen<br />
Hexenverfolgungen und Folter. „Unter den verdienstvollen<br />
Männern, die im 16. und 17. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
<strong>der</strong> damals in Deutschl<strong>an</strong>d so schrecklich<br />
wütenden Hexenverfolgung mutig entgegentraten,<br />
gebührt eine Ehrenstelle dem wackeren Anton<br />
Praetorius“, schreibt Nikolaus Paulus im Jahr<br />
1910.<br />
Das Wirken dieses reformierten Pfarrers Praetorius,<br />
<strong>der</strong> am 6.12.1613 starb, ist fast völlig in Vergessenheit<br />
geraten. So musste Pastor Joh<strong>an</strong>nes<br />
J<strong>an</strong>ssen 1924 über Praetorius feststellen: „Da dieser<br />
edle Menschenfreund [Praetorius] sehr wenig<br />
bek<strong>an</strong>nt ist, so dürfte es <strong>an</strong>gebracht sein, die Erinnerung<br />
<strong>an</strong> seine ziemlich vergessenen Verdienste<br />
wie<strong>der</strong> aufzurichten.“ Seine „Schrift gehört zu<br />
den wenigen, welche dem 17. Jahrhun<strong>der</strong>t zur<br />
Ehre gereichen.“<br />
Anton Praetorius war nicht <strong>der</strong> erste, <strong>der</strong> seine<br />
Stimme gegen die Hexenverfolgungen erhob, aber<br />
er trat schon 30 Jahre vor dem wohlbek<strong>an</strong>nten katholischen<br />
Jesuiten Friedrich Spee von L<strong>an</strong>genfeld<br />
als erster Pfarrer vehement für die völlige Abschaf-<br />
14<br />
Titelseite von Praetorius „Gründlicher Bericht von<br />
Zauberey“ von 1602<br />
fung <strong>der</strong> Folter ein. M<strong>an</strong> hat Praetorius daher auch<br />
als einen „Vorgänger“ von Amnesty International<br />
bezeichnet. Von seinem Werk „Gründlicher Bericht<br />
Von Zauberey vnd Zauberern: Darinn dieser<br />
grawsamen Menschen feindtseliges vnd schändliches<br />
Vornemen/ vnd wie Christlicher Obrigkeit<br />
ihnen zubegegnen/ihr Werck zu straffen/ auffzuheben/vnd<br />
zuhin<strong>der</strong>n/gebühre vnd wol möglich sey“,<br />
erschienen insgesamt vier Aufl agen. Zunächst<br />
veröffentlichte er es 1598 unter dem Pseudonym<br />
seines Sohnes Joh<strong>an</strong>nes Scultetus Westphalo Camensis.<br />
Erst 1602 fasste er für die zweite Aufl age<br />
den Mut, seinen eigenen Namen als Autor zu verwenden.
Anton Düsing<br />
(c. 1748–1804)<br />
Org<strong>an</strong>ist, Küster und<br />
Kirchmeister <strong>an</strong> <strong>der</strong><br />
Propsteikirche St. Lamberti<br />
in Gladbeck<br />
Elke Dißelbeck-Tewes<br />
Am 4. Dezember 1963 verabschiedete das Zweite<br />
Vatik<strong>an</strong>ische Konzil, einberufen im Oktober 1962<br />
durch Papst Joh<strong>an</strong>nes XXIII. mit dem Auftrag zu<br />
pastoraler und ökumenischer Erneuerung, eine<br />
Konstitution über die heilige Liturgie, Sacros<strong>an</strong>ctum<br />
Concilium. Sie beruhte auf Vorarbeiten <strong>der</strong><br />
Liturgiereformkommission Pius XII. und hatte die<br />
Weiterentwicklung <strong>der</strong> Liturgie sowie die För<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> pastoralliturgischen Bewegung zum Inhalt.<br />
In dem Zusammenh<strong>an</strong>g kam <strong>der</strong> Kirchenmusik<br />
als Teil <strong>der</strong> Liturgie ein beson<strong>der</strong>er Platz zu. Im<br />
Mittelpunkt <strong>der</strong> vorliegenden Untersuchung steht<br />
mit Anton Düsing, ein M<strong>an</strong>n, <strong>der</strong> im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
<strong>an</strong> <strong>der</strong> Pfarrkirche St. Lamberti in Gladbeck<br />
als Org<strong>an</strong>ist, Küster und Kirchmeister arbeitete.<br />
Anton Düsing steht damit stellvertretend für eine<br />
Vielzahl von Menschen, die im Verlauf <strong>der</strong> Zeit<br />
die soziale Wirklichkeit in <strong>der</strong> Pfarrei Gladbeck<br />
entscheidend mitgestalteten und prägten, ohne<br />
selbst sichtbare Spuren in <strong>der</strong> schriftlichen Überlieferung<br />
zu hinterlassen. Als Quellen für diese<br />
Untersuchung dienen die Urkunden und Akten des<br />
Pfarrarchivs St. Lamberti.<br />
Anton Düsing<br />
I. Zur Person des Anton Düsing<br />
Die wenigen Einblicke, die wir heute in das Leben<br />
eines Menschen aus dem 18. Jahrhun<strong>der</strong>t nehmen<br />
können, liefern im Fall des Org<strong>an</strong>isten Anton Düsing<br />
im wesentlichen die Amtsbücher <strong>der</strong> Pfarrei<br />
St. Lamberti. Diese Quellen sind lei<strong>der</strong> nur lückenhaft<br />
überliefert. So setzt das älteste Taufbuch<br />
mit dem Jahr 1683 ein. Für die Jahre von 1778<br />
bis 1799 fehlt eine Registrierung. Das früheste<br />
Verzeichnis <strong>der</strong> Trauungen und <strong>der</strong> Todesfälle<br />
existiert heute nicht mehr. Das erste Heirats- und<br />
Sterbebuch beginnt jeweils im Jahr 1779. Seine<br />
Daten kommen also für die Vorfahren des Anton<br />
Düsing nur bedingt in Frage. Fr<strong>an</strong>ciscus Antonius<br />
Düsing erblickte im September 1736 in Gladbeck<br />
das Licht <strong>der</strong> Welt. Am 10. September empfi ng er<br />
in <strong>der</strong> St. Lamberti-Kirche durch Pfarrer Joh<strong>an</strong>nes<br />
Kocks (1729–1745) das Taufsakrament. Als Taufpaten<br />
fungierten Vikar Joh<strong>an</strong>nes Antonius Decker<br />
und Anna Maria Doveling, gen<strong>an</strong>nt Reppelmunt.<br />
Über den Zeitpunkt <strong>der</strong> Eheschließung seiner Eltern<br />
Berend Düsing und Maria Catharina Grühters<br />
sowie über <strong>der</strong>en Sterbedaten fehlen schriftliche<br />
Aufzeichnungen. Die Geburt von Berend beziehungsweise<br />
Bernard Düsing, Antons Vater, fällt<br />
in das Jahr 1700, seine Taufe ist für den 24. November<br />
verzeichnet. Bernards Eltern und damit<br />
Antons Großeltern Joh<strong>an</strong>nes Düsing und Anna<br />
Schrors hatten drei gemeinsame Kin<strong>der</strong>. Anna war<br />
Joh<strong>an</strong>nes’ zweite Frau. Aus dieser Verbindung entstammten<br />
neben Bernard noch Joh<strong>an</strong>nes Henricus<br />
und Maria Gertrud. Der Familienname von Maria<br />
Catharina Grühters, Antons Mutter, variiert in<br />
den Quellen zum Teil erheblich. Die Schreibweise<br />
reicht von Gruters, Grutersh, Grüter, Grütters,<br />
Gutrincks bis zu Püters. Unter keinem <strong>der</strong> <strong>an</strong>geführten<br />
Namen lässt sich jedoch für die Zeit um<br />
1700 und später eine Maria Catharina im Taufbuch<br />
von St. Lamberti fi nden. Somit fehlen zugleich<br />
weitere Angaben über ihre Eltern und Antons<br />
Großeltern mütterlicherseits. Insgesamt lässt sich<br />
25
Heinrich Wigger<br />
Heinrich Wigger<br />
(1827–1908)<br />
38 Jahre Seelsorger<br />
in Hörde<br />
Ursula Olschewski<br />
Am 28. April 1892 berichtete die Zeitung „Tremonia“<br />
in ihrer 96. Ausgabe: „Am letzten Sonntag<br />
führte <strong>der</strong> Hochwürdige Herr die diesjährigen<br />
Erstkommunik<strong>an</strong>ten zum Tische des Herrn und<br />
hielt sod<strong>an</strong>n vor <strong>der</strong> Gemeinde, welche die Kirche<br />
bis auf den letzten Platz füllte, eine ergreifende<br />
Abschiedspredigt. M<strong>an</strong>che Träne entrollte<br />
den Augen <strong>der</strong> <strong>an</strong>dächtigen Gemeindemitglie<strong>der</strong>,<br />
als <strong>der</strong> scheidende Seelenhirt einen Rückblick auf<br />
die Verg<strong>an</strong>genheit warf und die Gemeinde, beson<strong>der</strong>s<br />
aber die Jugend ermahnte, gute Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
katholischen Kirche sein und bleiben zu wollen.<br />
Die Schlussworte seiner Predigt konnte <strong>der</strong> Hochwürdigste<br />
Herr vor tiefer Ergriffenheit kaum vorbringen.“<br />
Es war die letzte Eucharistiefeier, die Heinrich<br />
Wigger zwei Tage zuvor, am Weißen Sonntag, in<br />
<strong>der</strong> Pfarrei St. Clara in Hörde mit seiner Gemeinde<br />
beging. Nach mehr als 38 Jahren Seelsorgtätigkeit<br />
in Hörde und Umgebung wartete auf Wigger in<br />
Pa<strong>der</strong>born das Amt des Domkapitulars. Am 1. Mai<br />
1892 bestellte ihn <strong>der</strong> neue Pa<strong>der</strong>borner Bischof<br />
Hubertus Theophil Simar zudem zum Generalvikar.<br />
Der Hör<strong>der</strong> Pfarrer erfreute sich offenbar einer<br />
großen Wertschätzung; das Pa<strong>der</strong>borner Domkapitel<br />
setzte ihn 1891 bei <strong>der</strong> Bischofswahl als<br />
seinen K<strong>an</strong>didaten auf die Liste, obwohl Wigger<br />
kein Mitglied des Kapitels war.<br />
38<br />
Heinrich Wigger, um 1870<br />
Wer war dieser M<strong>an</strong>n und wodurch erwarb er sich<br />
diese über Hörde hinausgehende Hochachtung?<br />
Eine Antwort darauf geben neben zwei kleinen<br />
Studien zu Wigger zahlreiche im Erzbischöfl ichen<br />
Bistumsarchiv Pa<strong>der</strong>born (EBAP) und im Pfarrarchiv<br />
St. Clara in Dortmund-Hörde aufbewahrte<br />
Archivalien sowie die Lokalpresse des 19./ 20.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts. Um ein originäres Bild dieses Seelsorgers<br />
und des katholischen Milieus in <strong>der</strong> Industriestadt<br />
Hörde einzuf<strong>an</strong>gen, kommen Archivalien<br />
und Presseberichte des Öfteren im Original zur<br />
Sprache.<br />
I. Der priesterliche Werdeg<strong>an</strong>g<br />
Heinrich Wigger kam am 26. Dezember 1827 in<br />
Sendschotten bei Drolshagen (Kreis Olpe) zur