Daniela Kohnen im Gespräch mit Elahiu von ... - Schott Music
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Interview<br />
Mach schon,<br />
essen kannst du auch<br />
während des Konzerts!<br />
<strong>Daniela</strong> <strong>Kohnen</strong> <strong>im</strong> <strong>Gespräch</strong> <strong>mit</strong> <strong>Elahiu</strong> <strong>von</strong> Erlenbach,<br />
dem ersten ausländischen Chefdirigenten<br />
eines Sinfonieorchesters in China<br />
Das Orchester 11/02
Interview<br />
<strong>Elahiu</strong> <strong>von</strong> Erlenbach, 1965 in Erlenbach am Main geboren, begann seine musikalische Laufbahn <strong>mit</strong><br />
einem Klavierstudium an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt bei<br />
Joach<strong>im</strong> Volkmann. Nach ersten Dirigiererfahrungen bei Meisterkursen <strong>von</strong> Karl Österreicher in Wien<br />
studierte er 1991-1997 Dirigieren an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin bei Rolf Reuter und Hans-<br />
Dieter Baum. Er war Stipendiat der Begabtenförderung der Friedrich-Naumann-Stiftung Bonn und erhielt<br />
1993 eine Einladung zum 4. Berliner Dirigentenkurs <strong>mit</strong> dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter<br />
der Leitung <strong>von</strong> Gerd Albrecht. Ermöglicht <strong>von</strong> der Kölner Will-Stiftung reiste <strong>Elahiu</strong> <strong>von</strong> Erlenbach <strong>im</strong><br />
September 1997 nach China und ist seitdem dort als Dirigent tätig. Er arbeitete u. a. <strong>mit</strong> dem Kunming<br />
Symphony Orchestra, dem Orchestra of the National Ballett of China, dem Beijing Symphony Orchestra, dem<br />
Hebei Symphony Orchestra, dem China Youth Symphony Orchestra, dem Wuhan Symphony Orchestra und<br />
dem Orchester des Liaoning Opera House. Über seine Erfahrungen in der chinesischen Orchesterlandschaft<br />
und den derzeit dort stattfindenden Umbrüchen sprach er <strong>mit</strong> <strong>Daniela</strong> <strong>Kohnen</strong>.<br />
Herr <strong>von</strong> Erlenbach, boomt<br />
die westliche Orchestermusik<br />
zurzeit in China?<br />
Man kann sagen, dass die<br />
westliche Orchestermusik in<br />
China zurzeit boomt, aber<br />
auch, dass sie sich gerade sehr<br />
stark <strong>im</strong> Umbruch befindet.<br />
Zum Beispiel habe ich <strong>im</strong> Juni<br />
2000 eine Auflistung der acht<br />
besten Orchester Pekings erstellt<br />
<strong>mit</strong> folgender absteigenden<br />
Reihenfolge: China National<br />
Symphony Orchestra, Beijing Symphony Orchestra,<br />
Central Broadcasting Symphony of China, Orchestra of the<br />
Central Opera of China, China Youth Symphony Orchestra, Orchestra<br />
of the National Ballett of China, Orchestra of China<br />
Opera & Dance, China Film Opera. Die Liste war damals aktuell<br />
und auch schwer zu machen, da es offiziell keine Kategorisierung<br />
gibt. Heute würde diese Liste schon nicht mehr zutreffen,<br />
da das Central Broadcasting Symphony Orchestra reformiert<br />
wurde und nun Central Philharmonic Orchestra of China heißt.<br />
Von den Geld<strong>mit</strong>teln ist es zurzeit das am besten ausgestattete<br />
Orchester in China. Das meine ich <strong>mit</strong> Umbruch; so schnell<br />
kann sich die Situation dort ändern.<br />
Wer weiß angesichts dieser raschen Änderungen, wie viele Orchester<br />
es zurzeit in China überhaupt gibt?<br />
Im Grunde müsste es jemand <strong>von</strong> der chinesischen Regierung,<br />
der chinesischen Botschaft oder vom Kulturministerium wissen.<br />
Aber wahrscheinlich wissen auch die es nicht, da sie die Orchester<br />
ja nicht tragen.<br />
Wer hat denn die Trägerschaft der Orchester?<br />
Es gibt manche Orchester, die werden <strong>von</strong> den Städten getragen,<br />
und manche, die werden <strong>von</strong> den Provinzen getragen. So ist es<br />
normalerweise. Darüber hinaus gibt es einige wenige Orchester,<br />
Das Orchester 11/02<br />
Foto: <strong>Daniela</strong> <strong>Kohnen</strong><br />
bei denen der Staat die Trägerschaft hat. Ganz allgemein kann<br />
man sagen, dass sich jetzt sehr gute Orchester entwickeln und<br />
diese auch sehr gute Entwicklungsmöglichkeiten haben. Besonders<br />
gute Chancen haben die reformierten Orchester, für die<br />
z. B. in Shanghai, Peking, Guangzhou oder Shenzhen relativ<br />
gute Geld<strong>mit</strong>tel zur Verfügung stehen.<br />
Was bedeutet „reformierte“ Orchester?<br />
Das heißt, dass sie nicht mehr sozialistisch funktionieren, sondern<br />
dass die Musikerinnen und Musiker Verträge bekommen.<br />
Das ist gar nicht üblich, dass Verträge <strong>mit</strong> den Orchester<strong>mit</strong>gliedern<br />
gemacht werden?<br />
Nein, früher war es üblich, dass diejenigen, die eingestellt wurden,<br />
ein Hukou bekommen. So nennt man einen Pass, der erlaubt,<br />
dass man in dieser Stadt leben und arbeiten darf; quasi<br />
eine Aufenthaltsgenehmigung. Da<strong>mit</strong> waren die Musiker praktisch<br />
nicht mehr kündbar. Früher waren die Orchester abgesichert,<br />
und da<strong>mit</strong> hatten die Musiker ihre Stellung sicher bis zur<br />
Pension. Selbst ein Dirigent blieb in der Regel bis zu seiner Pensionierung<br />
stets bei ein und demselben Orchester. Man muss<br />
aber dazu sagen, dass die Musiker durch ihr Orchester kein Geld<br />
verdienten. Je provinzieller, desto mehr verdienten und verdienen<br />
sie in diesen Orchestern z. B. durch Nebenjobs.<br />
Aber jetzt herrscht extremer Kapitalismus, das kann man<br />
nicht anders sagen. Die Leute bekommen nur noch für ein Jahr<br />
Verträge und da<strong>mit</strong> ein vorübergehendes Hukou. Es gibt Orchester,<br />
die machen jedes Jahr Probespiele, in denen entschieden<br />
wird, wer wo sitzt. Dann kann es sein, dass jemand <strong>im</strong>mer<br />
1. Fagottist war und nun be<strong>im</strong> Hinzukommen eines Neuen<br />
plötzlich die Stelle des 2. erhält und der andere der Solo-Fagottist<br />
wird. Durch dieses neue System haben Spitzenorchester oft<br />
Probleme <strong>mit</strong> Auslandsreisen, da das Visum <strong>von</strong> der Stadt beantragt<br />
werden muss, <strong>von</strong> der die Musiker ein Hukou haben.<br />
Durch die Arbeitsbeschränkung der Orchestermusiker auf ein<br />
Jahr sind dem jedoch zeitlich enge Grenzen gesetzt, sodass oft<br />
Tourneen ins Ausland abgesagt werden müssen, da die Zeit für<br />
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Interview<br />
die Visumbeantragung zu kurz war. Das ist schade, aber anscheinend<br />
nicht auf anderem Wege zu lösen.<br />
Die Orchester können sich nicht erlauben, einen Musiker<br />
sofort für <strong>im</strong>mer zu engagieren, da das in der heutigen Zeit zu<br />
viele Risiken in sich birgt. Das Nationale Ballettorchester ist<br />
zum Beispiel noch nicht reformiert, die Stellen sind also sicher,<br />
und dort übt kein Mensch. Die Musiker gelangten als gute Studenten<br />
ans Orchester und spielen seitdem noch <strong>im</strong>mer die gleichen<br />
Stücke. Ich kam mal <strong>mit</strong> großen Programmvorschlägen<br />
dahin und musste feststellen, dass das nicht realisierbar war.<br />
Man wäre nicht <strong>mit</strong> den Proben hinterhergekommen, da das<br />
Orchester gar nicht daran gewöhnt ist, in kurzer Zeit neue Literatur<br />
zu lernen. Also habe ich das spielen lassen, was dort schon<br />
<strong>im</strong>mer gespielt wurde.<br />
Gibt es in Bezug auf die Orchester eine einheitliche Regelung der<br />
Klassifizierung oder Kategorisierung?<br />
Nein, das gibt es nicht. Generell kann man sagen, dass die Orchester<br />
in den Provinzen oder außerhalb der großen musikalischen<br />
Einflüsse eigentlich nicht sehr professionell sind, obwohl<br />
sie professionell geführt werden. Dort ist das Niveau relativ<br />
niedrig, auch weil es an guten Dirigenten mangelt.<br />
Wie verhält es sich <strong>mit</strong> dem Gehalt, wenn eine Einstufung der<br />
Orchester nach Größen oder Kategorien fehlt?<br />
Jedes Orchester zahlt unterschiedliche Gehälter. Das hängt vom<br />
Orchester und <strong>von</strong> den einzelnen Möglichkeiten der Manager<br />
ab. Die Politiker wollen natürlich <strong>im</strong>mer wenig geben, und<br />
manche Orchesterdirektoren stellen sich auf die Seite der Politiker<br />
und kümmern sich um das Geld nur sehr wenig. Da mich<br />
das <strong>im</strong>mer wieder sehr wundert, sage ich zu jedem Orchester,<br />
wo ich auch hinkomme, dass es wichtig ist, das Gehalt der Musiker<br />
aufzubessern, da man dann die Qualität des Orchesters<br />
verbessern kann. Im Gegensatz dazu wird oft unglaublich viel<br />
Geld ausgegeben, um einen neuen Probensaal zu bauen oder<br />
neue Instrumente zu kaufen. In China werden die Instrumente<br />
übrigens alle vom Orchester gestellt und das Orchester ist dafür<br />
verantwortlich.<br />
Wie ist das generell: Können Musiker <strong>von</strong> ihrem Gehalt leben?<br />
Wenn Musiker in den nicht reformierten Orchestern kaum Gehalt<br />
bekommen, dann aber doch in den reformierten?<br />
Das spielt vom Geld her gesehen keinen Unterschied. Bei den<br />
reformierten ist es vielleicht ein bisschen mehr, aber das ist so<br />
lächerlich. Die Löhne belaufen sich auf höchstens 100 bis 150<br />
Euro <strong>im</strong> Monat; 150 Euro ist in den kleineren Orchestern schon<br />
viel. In Peking oder Shanghai ist das etwas anders.<br />
Wie ist das umgerechnet? Wie kann man da<strong>von</strong> leben?<br />
Seinen Lebensunterhalt verdient man dadurch nicht. Westliche<br />
Produkte sind z. B. weitaus teurer als hier. Wenn man beschei-<br />
Das große Opernhaus in Shanghai.<br />
Rechte Seite: das Innere des Opernhauses <strong>von</strong> der Bühne aus<br />
den lebt, reicht das vielleicht für ein paar Tage. Aber eigentlich<br />
kenne ich keinen Musiker, der bescheiden lebt. Die haben alle<br />
irgendwie andere Möglichkeiten, z. B. abends in eine Bar zu gehen<br />
und zu spielen oder Schüler zu unterrichten.<br />
Also, die Orchestermusiker müssen sich ihr Geld erst nebenher<br />
verdienen?<br />
Eigentlich ja.<br />
Was haben sie dann da<strong>von</strong>, in einem Orchester zu spielen?<br />
Sie haben da<strong>von</strong>, dass sie eine Arbeit und eine Art der Versicherung<br />
haben. Vor allem haben sie dadurch eine Wohnung, obwohl<br />
auch das sich jetzt ändert.<br />
Die Wohnung bekommt der Musiker durch sein Orchester?<br />
Ja, die Wohnungen werden vom Orchester gestellt. Die jungen<br />
Leute wohnen in einer Art Studentenwohnhe<strong>im</strong> und müssen<br />
sich manchmal auch ein Z<strong>im</strong>mer teilen. Aber <strong>mit</strong> steigender<br />
Dauer der Anstellung oder <strong>im</strong> Fall einer Heirat können sie später<br />
Wohnungen zu Spottpreisen erwerben, sogar auch mehrere<br />
Wohnungen. So funktionierte eben dieses frühere System. Offiziell<br />
heißt es, das sei inzwischen abgeschafft, aber eigentlich wird<br />
es in der Praxis <strong>im</strong>mer noch so gehandhabt. Je größer die Anzahl<br />
der Jahre, die die Musiker gearbeitet haben, desto höher<br />
steigen sie <strong>im</strong> Rang oder in der Berechtigung, eine Wohnung zu<br />
bekommen.<br />
Wenn der Vertrag eines Musikers nach einem Jahr ausläuft,<br />
muss er dann wieder ein Probespiel machen?<br />
Er muss eine Prüfung machen, in der entschieden wird, ob der<br />
Vertrag verlängert wird. Manchmal wird ein Vertrag auch ohne<br />
Prüfung fortgesetzt. Aber auf jeden Fall läuft er nach einem Jahr<br />
erst einmal aus.<br />
Das Orchester 11/02
Interview<br />
Wie ist der Kündigungsschutz?<br />
Kann es auch sein,<br />
dass der Vertrag innerhalb<br />
eines Jahres gekündigt wird?<br />
Scheinbar ja, ich habe es<br />
so erlebt. Ich habe mich<br />
auch gewundert. Es ist<br />
zum Beispiel noch nicht so<br />
lange her, da warf die Orchesterdirektion<br />
eines sehr<br />
renommierten Orchesters<br />
den langjährigen, aber unbeliebten<br />
Solo-Oboisten<br />
über Nacht hinaus, da er<br />
so dumm war, während<br />
der Probe – obgleich er <strong>im</strong><br />
Recht war – <strong>mit</strong> mir ein Wortgefecht zu beginnen. Schon am<br />
Morgen vor der nächsten Probe wurde er vom Orchesterdirektor,<br />
der da<strong>von</strong> erfahren hatte, hinausgeworfen. Aber ich glaube,<br />
die hatten schon länger vor ihn loszuwerden und dieser Vorfall<br />
kam ihnen nur gelegen.<br />
Wie ist das <strong>mit</strong> älteren Musikern? Muss man auch als älterer<br />
Musiker jedes Jahr <strong>mit</strong> jüngeren in den Probespielen konkurrieren<br />
oder hat man nach einer gewissen Zeit <strong>von</strong> Jahren in einem<br />
Orchester eine Art <strong>von</strong> Bleiberecht?<br />
Diese Regelung der Jahresverträge ist so neu, dass die Leute, die<br />
jetzt in diesem Alter sind, noch abgesichert sind. Auch ist es in<br />
den abgesicherten Orchestern so, dass Musiker, die man nicht<br />
mehr will oder braucht, ihre Wohnung und ihre Kostenabdeckung<br />
weiter bekommen. Kosten tun die ja ohnehin nichts,<br />
auch wenn sie ihren Lohn bekommen würden. Die werden<br />
dann einfach pensioniert. Die Pensionsgrenze in China ist sowieso<br />
früher als in Deutschland, bei 60 Jahren für Männer und<br />
bei 55 für Frauen. Bei Bläsern ist die Grenze auch noch zehn<br />
Jahre früher.<br />
Wenn man dort einen Vertrag bekommt, gibt es da geregelte<br />
Dienstzahlen, Ausgleichszeiträume etc.? Wie sieht der normale<br />
Probenplan aus?<br />
Das ist unterschiedlich, bei einigen Orchestern gehen die Proben<br />
<strong>von</strong> 9 bis 11.30 Uhr und <strong>von</strong> 15 bis 17.30 Uhr, bei anderen<br />
<strong>von</strong> 10 bis 14.30 Uhr durchgehend <strong>mit</strong> kurzen Pausen. Insgesamt<br />
ist es sehr beliebig und überall anders.<br />
Also könnte der Dienstplan auch ganz anders aussehen?<br />
Ja, da gibt es auch keine Gewerkschaften, Orchestervorstände,<br />
Betriebsräte, GVL etc.<br />
Die Musiker sind also quasi völlig abhängig?<br />
Ja, vom Orchesterdirektor. Und deswegen sind auch eigentlich<br />
Das Orchester 11/02<br />
nur die Orchester diszipliniert, bei denen der Orchesterdirektor<br />
auch gleichzeitig der Dirigent des Orchesters ist. Wer das Geld<br />
gibt, hat das Sagen.<br />
Bekommen die Musiker denn <strong>im</strong>mer ein festes Gehalt, auch<br />
wenn es gering ist?<br />
Ja, man bekommt schon Grundgehalt. Aber das ist wirklich sehr<br />
wenig und beträgt nur um die ein- bis zweihundert Euro. Das<br />
ist auch überall ein bisschen verschieden. Was darüber hinaus<br />
bezahlt wird, hängt bei manchen Orchestern <strong>von</strong> der Anzahl der<br />
Dienste ab. Bei Orchestern, die sehr arm sind, gibt es z. B. nur<br />
1,30 Euro pro Probe. Be<strong>im</strong> Hebei Orchester bekommt ein Musiker<br />
für ein Konzert 12,80 Euro, also wenig, sehr wenig. Be<strong>im</strong><br />
Ballettorchester schon 38,40 Euro, also schon sehr viel mehr.<br />
Und wenn es in einem Monat viele Aufführungen gibt, läppert<br />
es sich zusammen.<br />
Also hängt es vom Dienstplan ab, wie viel man verdient?<br />
Ja, das st<strong>im</strong>mt. Es wäre falsch, die finanzielle Situation aus dem<br />
Grundgehalt zu berechnen. Das Gehalt setzt sich aus dem<br />
Schnitt der Aufführungen zusammen.<br />
Welche Orchester sind heute reformiert und wo<strong>von</strong> hängt das ab?<br />
Die guten und großen sind reformiert. Das sind die, die ich am<br />
Anfang genannt habe, abgesehen vom Sinfonieorchester des<br />
chinesischen Nationalballetts. Das ist nicht reformiert. Insgesamt<br />
gesehen wird sich da aber noch viel ändern, weil die Anzahl<br />
der Musiker in China noch beschränkt ist. Jetzt werden<br />
aber neben den Universitäten auch <strong>im</strong>mer mehr Konservatorien<br />
und Musikhochschulen eingerichtet. Potenzial ist ja da.<br />
Bisher habe ich <strong>von</strong> sechs Konservatorien gehört, die es in China<br />
geben soll: in Peking, Shanghai, Shenyang, Guangzhou, Sichuan<br />
und Tianjing. Wie sind diesbezüglich Ihre Informationen?<br />
Ich habe noch <strong>von</strong> Wuhan und Xi’An gehört und da<strong>von</strong>, dass in<br />
Dalian und Kunming noch Musikabteilungen der dortigen Universitäten<br />
bereits bestehen oder gegründet werden. Aber das<br />
braucht man gar nicht in die Liste einzufügen, wer weiß, ob das<br />
schon geklappt hat.<br />
Sie meinen, es werden in Zukunft stetig weitere Musikkonservatorien<br />
gegründet?<br />
Es werden auf jeden Fall mehr werden. Dann gibt es auch noch<br />
die Kunstinstitute, die auch Musikabteilungen haben. Weiterhin<br />
gibt es viele Orchester in den Provinzen, in denen die Konzertmeister<br />
unterrichten und die meisten Geiger des Orchesters<br />
deren Schüler waren.<br />
Wo<strong>von</strong> hängt es ab, dass die Anzahl <strong>von</strong> Musikern noch beschränkt<br />
ist? Ist es bedingt durch die noch relativ kleine Anzahl<br />
der Hochschulen?<br />
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Interview<br />
Es ist so: Geiger gibt es relativ viele, weil es viele gute Lehrer<br />
gibt. Es gibt auch viele fantastische Pianisten auf höchstem Niveau.<br />
Be<strong>im</strong> Cello sieht es schon anders aus. Es hängt wahrscheinlich<br />
wirklich da<strong>von</strong> ab, wie viele Lehrer vorhanden sind<br />
und was Kinder dadurch intensiv lernen können. Dass die Anzahl<br />
<strong>von</strong> Musikern in China noch beschränkt ist, sieht man beispielsweise<br />
daran, dass bei der Neugründung des Central Philharmonic<br />
Orchestra of China plötzlich 30 der besten Musiker<br />
vom China National Symphony Orchestra dorthin abwanderten.<br />
Das Central Philharmonic hatte mehr Geld<strong>mit</strong>tel zur Verfügung<br />
und zahlte bessere Löhne, sodass das National Symphony<br />
Orchestra sehr unter dieser Neugründung gelitten hat.<br />
Meinen Sie, die westliche Musikkultur <strong>mit</strong> westlichen Instrumenten<br />
ist noch in den Anfängen?<br />
Nein, das kann man so nicht sagen. Durch die „Kulturrevolution“<br />
wurde natürlich viel Zeit verloren. Aber die guten Orchester<br />
in China können jetzt auch alles spielen. Für die neu gegründeten<br />
Orchester und die Spitzenorchester wäre es kein Problem<br />
mehr, einen Feuervogel oder eine Alpensinfonie auf einem hohen<br />
Niveau aufzuführen. Nur die Anzahl der Musiker selbst gibt es<br />
nicht her, dass man be<strong>im</strong> Freiwerden einer Flötenstelle auswählen<br />
könnte zwischen 100 fantastischen Flötisten, wie es in<br />
Deutschland so sein soll. Aber das wird sich in China sicherlich<br />
ändern, da einige Orchester in China jetzt Geld haben und sicherlich<br />
auch für gute Musiker bezahlen.<br />
Wie steht es überhaupt <strong>mit</strong> Ausländern in den chinesischen Orchestern?<br />
Gibt es die? Angesichts der <strong>im</strong>mer härter werdenden<br />
Bedingungen in Deutschland, eine Stelle in einem Orchester zu<br />
bekommen, wäre China da eine Alternative?<br />
Für Dirigenten wäre dies schwierig, da die Problematik der Verständigung<br />
aufträte. Es müssten <strong>im</strong>mer Übersetzer in den Proben<br />
zugegen sein, die jedoch nicht vom Fach sind und viele Anweisungen<br />
nicht richtig übersetzen können. Inzwischen kann<br />
ich das nötige Fachchinesisch gut, um das zu beurteilen. Für<br />
Musiker wäre das <strong>im</strong> Prinzip sicherlich eine Alternative, und ich<br />
bin mir sicher, dass dies in der Zukunft auch so sein wird, vor<br />
allen Dingen was die Bläser betrifft, da es da in China noch an<br />
guten Instrumentalisten mangelt. Es gibt keine guten Lehrer<br />
z. B. für Trompeten, sodass es auch keinen guten Nachwuchs<br />
gibt. Da gibt es <strong>im</strong>mer noch Lücken bzw. Nachholbedarf.<br />
Wie hoch ist der Anteil <strong>von</strong> Frauen <strong>im</strong> Orchester?<br />
Sehr hoch, manchmal auch schon so hoch, dass zugegeben wird,<br />
dass es schon so viele sind, dass jetzt eine Frau eindeutig besser<br />
sein müsste als ein Mann, um die Stelle zu bekommen.<br />
Und prozentual gesehen?<br />
Wenigstens halbe-halbe. Es gibt manche chinesischen Dirigenten,<br />
die lassen die Frauen innen und die Männer außen sitzen,<br />
weil sie meinen, dass es nicht so gut aussieht, zu viele Frauen <strong>im</strong><br />
Orchester zu haben. Man denkt oft noch, die Kraft würde fehlen,<br />
wenn zu viele Frauen da sind, oder dass es einfach unpassend<br />
ist. Das ist die allgemeine Ansicht: Der Klang würde sich<br />
dahingehend verändern, dass die Kraft fehle. Die Frage der Ausfallzeit<br />
durch Schwangerschaft ist eigentlich kein Grund in China,<br />
eine Frau nicht einzustellen. In China werden viele Probespiele<br />
übrigens hinter dem Vorhang gespielt.<br />
Apropos Ausfallzeit: Wie ist das, wenn jemand krank wird?<br />
In den nicht reformierten Orchestern ist das egal. In den reformierten<br />
bin ich mir nicht sicher; ich glaube, das Gehalt beschränkt<br />
sich dann auf das Grundgehalt. Die Konzertgagen wird<br />
man natürlich nicht bekommen.<br />
Gibt es für die Orchestermusiker eine Krankenversicherung?<br />
Die gibt es. Be<strong>im</strong> Ballettorchester war es so, dass es eigene Ärzte<br />
für das Ballett gab. Wenn man sich <strong>von</strong> denen behandeln ließ,<br />
war das natürlich kostenlos. Wenn man „hinaus“ ins Krankenhaus<br />
geht, dann wird vielleicht die Hälfte der Kosten bezahlt.<br />
Das ist wohl überall ein bisschen anders, aber generell wird die<br />
Krankenversicherung die Kosten best<strong>im</strong>mt nicht vollständig<br />
und auch nicht weitestgehend übernehmen. In dem Fall können<br />
die Rechnungen für den Patienten persönlich auch so hoch werden,<br />
dass es gut wäre, ein Haus zum Verkaufen zu haben.<br />
Die Krankenversicherung der Orchester zahlt also die normalen<br />
Behandlungen. Bei den teuren kann es sein, dass sie sich prozentual<br />
beteiligt?<br />
Ja, so kann man das sagen.<br />
Wie steht es <strong>mit</strong> Berufsunfähigkeitsversicherungen? Wie ist es,<br />
wenn ein Musiker in einem nicht reformierten Orchester einen<br />
Unfall hat und berufsunfähig wird?<br />
Das macht überhaupt nichts, er bekommt sein Gehalt weiter.<br />
Und wenn er deswegen pensioniert wird, kann es sein, dass er<br />
noch mehr bekommt als vorher, weil allgemein die Auffassung<br />
besteht, dass je älter jemand wird, desto angenehmer er auch leben<br />
können muss. Vielleicht ist das Gehalt an sich nicht hoch,<br />
aber bedenkt man die Wohnungen, die er zu einem Spottpreis<br />
kaufen kann, dann ist es schon viel. Unsereins müsste dafür<br />
vielleicht das 10- oder 20-fache zahlen.<br />
Und in den reformierten Orchestern?<br />
Da hat er schlichtweg Pech gehabt. Der Vertrag wird natürlich<br />
nicht verlängert.<br />
Gibt es denn Berufsunfähigkeitsversicherungen in China?<br />
Das ist <strong>im</strong> Kommen, ich habe da<strong>von</strong> gehört. Auch da ist einiges<br />
in Bewegung.<br />
Das Orchester 11/02
Interview<br />
Was ist <strong>mit</strong> Medienrechten?<br />
Selbst wenn es die geben würde, hätten sie keine Kraft. Man sagt<br />
in China: Regeln sind tot, der Mensch ist lebendig. Das Notenmaterial<br />
z. B. besteht nur aus Kopien – es gibt in China kaum<br />
Notenmaterial zu kaufen! Jetzt ändert sich dies vielleicht durch<br />
die neuen Möglichkeiten des Internets. Aber das Freche daran<br />
ist eigentlich, dass die Bibliotheken dadurch unglaublich verdienen:<br />
Da werden einfach horrende Summen für das Kopieren<br />
<strong>von</strong> Notenmaterial verlangt. Das Gleiche passiert bei den Orchestern:<br />
Wenn ein anderes Orchester nach Noten fragt, dann<br />
ist so ein Satz Noten nicht billig. Am florierendsten sind aber<br />
die gefälschten CDs. Wenn ich in Europa in einen CD-Laden<br />
gehe, dann sehe ich, dass das Hochpreis-CDs sind, für die ich in<br />
China 60 Eurocent bezahle. Die Händler zählen die CDs auch<br />
gar nicht mehr, die wiegen die und best<strong>im</strong>men so den Preis.<br />
Man kauft CDs wie Gemüse. Man fragt sich nicht: Was brauche<br />
ich noch, sondern: Was habe ich noch nicht? Es hilft natürlich<br />
enorm für das eigene Dirigieren und Lernen fremder Literatur,<br />
wenn man <strong>von</strong> manchen Werken zehn bis zwanzig verschiedene<br />
Einspielungen hat.<br />
Wie ist <strong>im</strong> Allgemeinen Ihr Kontakt zu den chinesischen Musikerinnen<br />
und Musikern?<br />
Er ist durch und durch herzlich. Es ging sogar so weit, dass mir<br />
bei meinem Abschied vom Kunming Symphony Orchestra der<br />
Orchesterdirektor sagte, dieses Orchester sei doch meine Familie,<br />
niemand würde in mir einen Ausländer sehen. Und wenn<br />
ich mich irgendwie später in Peking nicht wohlfühlen sollte, solle<br />
ich doch einfach wieder „nach Hause“ zurückkehren.<br />
In Ihrem Lebenslauf habe ich gelesen, dass Sie dort die großen<br />
Werke der Weltliteratur dirigieren – u. a. Schostakowitschs 9.<br />
Sinfonie, „Schwanensee“, „Don Quixote“, Bruckners Sinfonie<br />
Nr. 7, Saint-Saëns’ Orgelsinfonie. Es war aber auch zu lesen, dass<br />
die Proben- und Konzertorganisationen oftmals chaotisch und<br />
mehrfache Programmänderungen bis hin zum Konzerttag nicht<br />
unüblich sind. Kann man sich denn so tiefer gehend interpretatorisch<br />
<strong>mit</strong> Werken auseinander setzen oder handelt es sich meistens<br />
um besseres Blattspiel?<br />
Die großen Werke habe ich meistens nur bei den großen Orchestern<br />
dirigiert, und da hat man Zeit zu proben.<br />
Wie ist es <strong>mit</strong> dem musikalischen Verständnis der Musiker?<br />
Wird z. B. historische Aufführungspraxis beachtet oder klassische<br />
Musik anders gespielt als romantische?<br />
Barockmusik wird eigentlich kaum gespielt, ebenso wenig wie<br />
moderne Musik. Den Hauptteil der Literatur bilden die romantischen<br />
Werke ergänzt durch die Klassik. Doch wird klassische<br />
Musik <strong>von</strong> der Art und Weise her genauso gespielt wie romantische.<br />
Sehr beliebt sind die russischen Komponisten –Tschaikowsky,<br />
Rachmaninow etc.–, da es auch russische Musiker un-<br />
Das Orchester 11/02<br />
ter den Orchestermusikern gibt. Außerdem haben viele der führenden<br />
chinesischen Musiker und Pädagogen in Russland studiert.<br />
Ich habe in Ihren Unterlagen gelesen, dass oft Konzerte vor einem<br />
Publikum <strong>von</strong> 15 000 oder noch mehr Leuten gegeben werden.<br />
Haben Sie den Eindruck, sinfonische westliche Musik wird<br />
als ernste Kunst angesehen, oder ist dies eher eine Massenabspeisung<br />
in Unterhaltungsform?<br />
Es gibt Leute, die in Konzerte gehen, um ihre Neugier zu stillen<br />
und diese Art <strong>von</strong> Musik mal live gehört zu haben. Es gibt auch<br />
Leute, die Konzerte besuchen, weil es zum guten Ton gehört.<br />
Weiterhin gibt es auch gutes Fachpublikum. Das Gros des Publikums<br />
besteht jedoch sicherlich aus Leuten, die ähnlich wie <strong>im</strong><br />
Kino wegen der Unterhaltung ins Konzert gehen. Stille <strong>im</strong> Publikum<br />
während eines Konzerts ist dort auch fremd, dort wird<br />
geflüstert und sich unterhalten, sich zugewunken, gegessen und<br />
getrunken. Neuerdings ändert sich aber auch das. Besonders in<br />
den Konzerthallen der großen Städte gibt es nun Regeln, die<br />
Handys auszuschalten oder Speisen und Getränke nicht in den<br />
Saal zu nehmen. Auch werden dort Kinder unter 1,20 Meter<br />
Körpergröße nicht mehr eingelassen.<br />
Wie werden Musiker gesellschaftlich eingeschätzt?<br />
Oh, das ist eine gute Frage, ich weiß es nicht. Die Musiker der<br />
führenden Orchester sind, glaube ich, sehr hoch angesehen. Was<br />
die kleineren Orchester angeht, weiß ich es nicht. Insgesamt ist<br />
die Musikerwelt recht klein in China und das Land sehr groß.<br />
Habe ich das richtig verstanden, sind Sie der erste ausländische<br />
Chefdirigent eines Orchesters in China?<br />
Ich bin der erste ausländische Chefdirigent eines chinesischen<br />
Orchesters. Im März 1998 wurde ich Chefdirigent des Yunnan<br />
Province Symphony Orchestras, und seit Oktober 1998 bin ich<br />
offiziell vom chinesischen Kulturministerium engagiert als<br />
Chefdirigent des Orchestra of the National Ballett of China und<br />
inzwischen auch durch die zahlreichen Fernsehauftritte bekannt<br />
wie ein bunter Hund. Die Fernsehauftritte reichen <strong>von</strong> Liveübertragungen<br />
der Kunminger Neujahrskonzerte über Filme<br />
verschiedener Fernsehsender über meine Arbeit in China bis hin<br />
zu einer Teilnahme an einer Talkshow der Yunnan Television<br />
<strong>im</strong> Februar 2000.<br />
Welche Pläne haben Sie für Ihre Zukunft?<br />
Langfristig gesehen habe ich vor, wieder nach Deutschland<br />
zurückzukommen, auch da ich als Dirigent in China nicht allzu<br />
viel verdiene. Ein großes Plus meiner Arbeit in China ist jedoch<br />
die Tatsache, dass ich in den vergangenen Jahren sehr viel zum<br />
Dirigieren gekommen bin, Routine erworben und mir dadurch<br />
mehr Erfahrung habe anlernen können, als wenn ich beispielsweise<br />
in Deutschland geblieben wäre. Das ist ein nicht zu unterschätzender<br />
Vorteil. ■<br />
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