Daniela Kohnen im Gespräch mit Elahiu von ... - Schott Music
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Interview<br />
<strong>Elahiu</strong> <strong>von</strong> Erlenbach, 1965 in Erlenbach am Main geboren, begann seine musikalische Laufbahn <strong>mit</strong><br />
einem Klavierstudium an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt bei<br />
Joach<strong>im</strong> Volkmann. Nach ersten Dirigiererfahrungen bei Meisterkursen <strong>von</strong> Karl Österreicher in Wien<br />
studierte er 1991-1997 Dirigieren an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin bei Rolf Reuter und Hans-<br />
Dieter Baum. Er war Stipendiat der Begabtenförderung der Friedrich-Naumann-Stiftung Bonn und erhielt<br />
1993 eine Einladung zum 4. Berliner Dirigentenkurs <strong>mit</strong> dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter<br />
der Leitung <strong>von</strong> Gerd Albrecht. Ermöglicht <strong>von</strong> der Kölner Will-Stiftung reiste <strong>Elahiu</strong> <strong>von</strong> Erlenbach <strong>im</strong><br />
September 1997 nach China und ist seitdem dort als Dirigent tätig. Er arbeitete u. a. <strong>mit</strong> dem Kunming<br />
Symphony Orchestra, dem Orchestra of the National Ballett of China, dem Beijing Symphony Orchestra, dem<br />
Hebei Symphony Orchestra, dem China Youth Symphony Orchestra, dem Wuhan Symphony Orchestra und<br />
dem Orchester des Liaoning Opera House. Über seine Erfahrungen in der chinesischen Orchesterlandschaft<br />
und den derzeit dort stattfindenden Umbrüchen sprach er <strong>mit</strong> <strong>Daniela</strong> <strong>Kohnen</strong>.<br />
Herr <strong>von</strong> Erlenbach, boomt<br />
die westliche Orchestermusik<br />
zurzeit in China?<br />
Man kann sagen, dass die<br />
westliche Orchestermusik in<br />
China zurzeit boomt, aber<br />
auch, dass sie sich gerade sehr<br />
stark <strong>im</strong> Umbruch befindet.<br />
Zum Beispiel habe ich <strong>im</strong> Juni<br />
2000 eine Auflistung der acht<br />
besten Orchester Pekings erstellt<br />
<strong>mit</strong> folgender absteigenden<br />
Reihenfolge: China National<br />
Symphony Orchestra, Beijing Symphony Orchestra,<br />
Central Broadcasting Symphony of China, Orchestra of the<br />
Central Opera of China, China Youth Symphony Orchestra, Orchestra<br />
of the National Ballett of China, Orchestra of China<br />
Opera & Dance, China Film Opera. Die Liste war damals aktuell<br />
und auch schwer zu machen, da es offiziell keine Kategorisierung<br />
gibt. Heute würde diese Liste schon nicht mehr zutreffen,<br />
da das Central Broadcasting Symphony Orchestra reformiert<br />
wurde und nun Central Philharmonic Orchestra of China heißt.<br />
Von den Geld<strong>mit</strong>teln ist es zurzeit das am besten ausgestattete<br />
Orchester in China. Das meine ich <strong>mit</strong> Umbruch; so schnell<br />
kann sich die Situation dort ändern.<br />
Wer weiß angesichts dieser raschen Änderungen, wie viele Orchester<br />
es zurzeit in China überhaupt gibt?<br />
Im Grunde müsste es jemand <strong>von</strong> der chinesischen Regierung,<br />
der chinesischen Botschaft oder vom Kulturministerium wissen.<br />
Aber wahrscheinlich wissen auch die es nicht, da sie die Orchester<br />
ja nicht tragen.<br />
Wer hat denn die Trägerschaft der Orchester?<br />
Es gibt manche Orchester, die werden <strong>von</strong> den Städten getragen,<br />
und manche, die werden <strong>von</strong> den Provinzen getragen. So ist es<br />
normalerweise. Darüber hinaus gibt es einige wenige Orchester,<br />
Das Orchester 11/02<br />
Foto: <strong>Daniela</strong> <strong>Kohnen</strong><br />
bei denen der Staat die Trägerschaft hat. Ganz allgemein kann<br />
man sagen, dass sich jetzt sehr gute Orchester entwickeln und<br />
diese auch sehr gute Entwicklungsmöglichkeiten haben. Besonders<br />
gute Chancen haben die reformierten Orchester, für die<br />
z. B. in Shanghai, Peking, Guangzhou oder Shenzhen relativ<br />
gute Geld<strong>mit</strong>tel zur Verfügung stehen.<br />
Was bedeutet „reformierte“ Orchester?<br />
Das heißt, dass sie nicht mehr sozialistisch funktionieren, sondern<br />
dass die Musikerinnen und Musiker Verträge bekommen.<br />
Das ist gar nicht üblich, dass Verträge <strong>mit</strong> den Orchester<strong>mit</strong>gliedern<br />
gemacht werden?<br />
Nein, früher war es üblich, dass diejenigen, die eingestellt wurden,<br />
ein Hukou bekommen. So nennt man einen Pass, der erlaubt,<br />
dass man in dieser Stadt leben und arbeiten darf; quasi<br />
eine Aufenthaltsgenehmigung. Da<strong>mit</strong> waren die Musiker praktisch<br />
nicht mehr kündbar. Früher waren die Orchester abgesichert,<br />
und da<strong>mit</strong> hatten die Musiker ihre Stellung sicher bis zur<br />
Pension. Selbst ein Dirigent blieb in der Regel bis zu seiner Pensionierung<br />
stets bei ein und demselben Orchester. Man muss<br />
aber dazu sagen, dass die Musiker durch ihr Orchester kein Geld<br />
verdienten. Je provinzieller, desto mehr verdienten und verdienen<br />
sie in diesen Orchestern z. B. durch Nebenjobs.<br />
Aber jetzt herrscht extremer Kapitalismus, das kann man<br />
nicht anders sagen. Die Leute bekommen nur noch für ein Jahr<br />
Verträge und da<strong>mit</strong> ein vorübergehendes Hukou. Es gibt Orchester,<br />
die machen jedes Jahr Probespiele, in denen entschieden<br />
wird, wer wo sitzt. Dann kann es sein, dass jemand <strong>im</strong>mer<br />
1. Fagottist war und nun be<strong>im</strong> Hinzukommen eines Neuen<br />
plötzlich die Stelle des 2. erhält und der andere der Solo-Fagottist<br />
wird. Durch dieses neue System haben Spitzenorchester oft<br />
Probleme <strong>mit</strong> Auslandsreisen, da das Visum <strong>von</strong> der Stadt beantragt<br />
werden muss, <strong>von</strong> der die Musiker ein Hukou haben.<br />
Durch die Arbeitsbeschränkung der Orchestermusiker auf ein<br />
Jahr sind dem jedoch zeitlich enge Grenzen gesetzt, sodass oft<br />
Tourneen ins Ausland abgesagt werden müssen, da die Zeit für<br />
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