Tenere im Rapsfeld - Motorrad-Kurier

Das schön(st)e Leben
Die Lateiner sagen auch La Dolce
Vita dazu. Um einen Anlasser
zu formulieren, bedarf es
manchmal eines Ärgernisses oder
eines wichtigen Umstandes oder lange
schlechtes Wetter, blöde Sprüche
oder sonst einen Anlass, von dem ich
glaube es euch mitteilen zu müssen.
Also – was schreibe ich euch heute?
Gewarnt habe ich euch jedes Jahr
und auf den Frühling habe ich mit
euch lange gewartet. Es gab auch
kein besonderes Ärgernis außer in
der Politik – aber das ist nicht unser
Thema und die heimatkundigen Krad-
ler melden sich auch nicht soooo
dringend. Also machte ich es wie
immer, wenn mir nichts einfiel, ich
setzte mich auf´s Motorrad, meine
alte Maico, und schnetterte in der
Gegend herum. Da hatte ich dann
so ein freudiges „Gedankenbild!“
Ich habe lange überlegt, ob ich euch
das so schreiben soll, weil ich die
Freude und die Gedankenbilder oft
im Nachhinein schon gedacht hatte
– nach einer schönen Tour oder nach
einer spannenden Wüstenreise. Ich
will niemanden neidisch machen
oder gar verärgern – ich schreibe es,
damit ihr die Lebenswertigkeit des
(meines) Motorradfahrens mitfühlen
könnt.
Es war ein schöner, lauer, frischer
und sonniger Frühlingstag mit gelben
Blüten und grünen Wiesen und
ich saß auf meinem Motorrad. Völlig
schmerzfrei und eigentlich sorglos
und mir wurde mein Glück (schwäbisch
auch Dusel genannt) so richtig
bewusst. Herrlich – wirklich – es ist
für mich ein Geschenk, dass ich das
so erleben darf und ich fühlte so eine
Freude und so eine Glücksseligkeit
auf den zwei Rädern mit dem Geschnettere
unter mir – dass ich mich jedem
anderen Motorradfahrer gegenüber
wie der einzige Kradler vorkam,
der hier rumfährt und sich seines
Motorrad-Glückes wirklich bewusst
ist. Alle anderen fahren halt nur rum,
dachte ich – die taten mir fast leid!
Nach dem letzten Unfall vor bald drei
Jahren war meine Familie natürlich
gegen jedes Motorradfahren und
jeder denkende Mensch kann das
verstehen. Ich verstehe es auch, wirklich,
aber ich bin halt nur auf dem
Motorrad so wirklich ein Mensch.
Deswegen mache ich auch ein Motorradheftle
und keine Anglerzeitung!
Ich bin einer von denen geworden,
die sich schon am rumfahren freuen
können.
An dem Tag war es sogar so, dass
ich den manchmal gehegten Gedanken
(dem familiären Frieden zuliebe),
ein Cabrio zu kaufen, nur mit größtem
Kopfschütteln der Abneigung
denken konnte. Ganz ehrlich, ich hätte
mit keinem noch so tollen oder
schnellen Cabrio dieser Welt meine
alte Maico eingetauscht. Ehrlich, nicht
einmal geschenkt hätte ich das gewollt!
Dieser freudige Gedanke blieb mir so
im Hirn hängen, dass ich euch dies
als Anlasser mitteilen möchte. Was
Lebenswertigkeit und Lebensfreude
betrifft, kommt für mich absolut nichts
an das Motorradfahren hin.
Da kann nichts dagegen anstinken!
Ich weiß, dass ich für viele Leute deswegen
einen Vogel habe, aber den
habe ich wirklich gerne. Dass ich das
Motorradfahren noch so erleben darf,
ist für mich das höchste Glücksgefühl
und ich will droben bleiben, damit
ich euch noch lange meine Lebensfreude
am Motorradfahren mitteilen
kann – auch wenn ich viele damit
evtl. langweile.
Die vielen toten Kradler im Himmel
geben mir sicher recht und die vielen
„überlebenden Krüppel“ in den Rehas
und Rollstühlen, die nicht mehr
kradeln können, geben mir vielleicht
auch recht. Nur die, die noch gesund
und munter rumfahren können, die
sollten sich meine Ansicht mal durch
den Kopf gehen lassen, bevor es zu
spät ist. „Danach“ ist man immer
schlauer – ich bin einer von „Danach“
und tue es kund: Ich wünsche euch,
dass ihr droben bleibt – immer!
So jetzt habe ich wieder einen schlau-
en Anlasser formuliert – ich hoffe ihr
habt was zum nachdenken.
Euer Jürgen
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