Tenere im Rapsfeld - Motorrad-Kurier
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Bike-TesT<br />
Bericht und Bilder<br />
Kutschke/Greif<br />
Phönix<br />
Sechs Mal gewann Yamaha die<br />
Dakar mit der Super Ténéré. Es<br />
gibt keine bessere Werbung<br />
sollte man meinen – und doch ließen<br />
die Japaner 1996 den viel versprechenden<br />
BMW-GS-Konkurrenten, sang- und<br />
klanglos sterben. Nach diesem Totalausstieg<br />
aus der Groß-Enduro-Szene<br />
und der damit einhergehenden Amnesie<br />
der erfolgreichen Dakar-Zeiten hat<br />
Yamaha lange 14 Jahre später endlich<br />
den Mut gefasst alles zu hinterfragen<br />
was bislang selbstverständlich und einleuchtend<br />
mit dem N<strong>im</strong>bus Super Ténéré<br />
in Verbindung stand und neu zu<br />
beantworten. Und doch lässt Yamaha<br />
den Rallye-Geist <strong>im</strong> völlig neuen Super-<br />
Ténéré-Konzept ein bisschen weiterleben,<br />
denn ihre Weltpremiere ist eine<br />
versteckte Hommage an die Geschichte.<br />
Der besondere Test:<br />
Ride for Life<br />
Paris-Dakar-Veteranen, Journalisten<br />
aus aller Welt und fünf weitere, von<br />
Yamaha selektierte Teilnehmer starten<br />
nach alter Paris-Dakar-Tradition unter<br />
dem Eiffelturm. Sie haben die Aufgabe,<br />
neben den eigentlichen Fahrzeugtests,<br />
fünf ausgewählte Super Ténérés sicher<br />
von Paris nach Lissabon und weiter<br />
nach Marrakesch zu bringen.<br />
Der 946-km-<strong>Motorrad</strong>-Test ist also Teil<br />
eines gemeinnützigen Stafettenlaufs<br />
Paris-Lissabon und bedient in 48 Stunden<br />
die dritte und vierte Etappe, Toulouse-Zaragoza-Madrid.<br />
Nur 40 Kilometer<br />
davon sind offroad. Das passt.<br />
Denn weniger Wüste, dafür jede Menge<br />
Reisekomfort und kurviges Passvergnügen<br />
sollen laut Hersteller in erster<br />
Linie zum neuen Super Ténéré Repertoire<br />
gehören:<br />
19 Zoll Vorderrad, kürzere Federwege,<br />
Kardan – alles erscheint <strong>im</strong> Vergleich<br />
zur Vorgängerin anders – und doch<br />
gibt sie sich so, wie sie schon <strong>im</strong>mer<br />
war: Schon nach wenigen Metern Fahrt<br />
grassiert dank der erstklassigen Ergo-<br />
4 6/10<br />
aus Der Wüste<br />
Yamaha XT 1200 Z abs<br />
Super Ténéré: Längst verloren geglaubt, greift<br />
das einstige Wüstenschiff nun nach neuem<br />
Lebensraum.<br />
Lastesel<br />
nomie sofort das Reisefieber. Der Kniewinkel<br />
ist entspannt, der breite Lenker<br />
liegt gut in der Hand und der komfortabel<br />
gepolsterte, hervorragend geformte<br />
Sattel ist prädestiniert, die Neue<br />
auf Anhieb zur Marathon-Läuferin <strong>im</strong><br />
Grossenduro-Segment zu machen. Die<br />
Sitzhöhe kann übrigens mit wenigen<br />
Handgriffen zwischen 870 und 845 Mill<strong>im</strong>etern<br />
variiert werden. Und dank des<br />
23-Liter-Tanks darf selbst be<strong>im</strong> dünnen<br />
Tankstellen-Netz Zentralspaniens am<br />
Gasgriff gedreht werden – die Reichweite<br />
beträgt zwischen 300 und 400<br />
Kilometer.<br />
High Tech, aber unauffällig<br />
1199-Kubik-Reihen-Twin, Einspritzung<br />
mittels elektronisch gesteuerter Drosselklappenbetätigung<br />
(Ride-by-Wire),<br />
Traktionskontrolle, ABS, Verbundbremse<br />
und Kardanantrieb – so lautet <strong>im</strong><br />
Jahr 2010 Yamahas Rezept für ausgedehnte<br />
Missionen hinter den Horizont.<br />
Man sieht ihr die technischen Raffinessen<br />
nicht an und in der hektischen<br />
Rush-Hour rund um Toulouse erheischen<br />
die elektronischen Heinzelmännchen<br />
nicht die geringste Aufmerksamkeit<br />
vom Reiter – erst recht nicht, als<br />
sich hinter Lourdes die Straße in heftigen<br />
Schleifen in die Höhen der Pyrenäen<br />
windet.<br />
Col du Soulor, die erste Bergprüfung …<br />
und damit die ideale Gelegenheit, die<br />
110 Pferde einmal richtig durchgehen<br />
zu lassen. Bereits ab 1500 Touren zieht<br />
das Reihenzweizylinder-Triebwerk beeindruckend<br />
geschmeidig an, hängt<br />
ruckfrei am Gas und eilt unaufhaltsam<br />
aber ohne übertriebene Hektik durch<br />
das Drehzahlband. Wie Yamahas Superbike<br />
YZF-R1 profitiert auch die<br />
Super Ténéré vom Hubzapfenversatz<br />
von 270 Grad: Die unregelmäßige<br />
Langstreckenkardan<br />
Zündfolge soll ihr nicht nur einen sono-<br />
ren Klang, sondern auch die Leistungscharakteristik<br />
eines 90-Grad-V-Twins<br />
verschaffen. Der lange Hub von 79,5<br />
Mill<strong>im</strong>etern und die üppigen Schwungmassen<br />
von Kurbelwelle und den beiden<br />
Ausgleichswellen stehen für nachdrücklich<br />
harmonischen Schub aus tiefen<br />
Drehzahlen. Ohne Überraschungen<br />
läuft die Drehzahlmessernadel bei 7800<br />
Touren sanft in den Begrenzer.<br />
Apropos: Das Cockpit überzeugt durch<br />
Übersichtlichkeit und zahlreiche abrufbare<br />
Infos. Unverständlich, dass das<br />
Teil nicht vom Lenkerende aus zu bedienen<br />
ist. Doch zurück zum Motor: Einen<br />
brachialen Drehmoment-Tsunami<br />
hat die Super Ténéré also nicht zu<br />
bieten – egal ob <strong>im</strong> während der Fahrt<br />
frei wählbaren «Touring»-Modus oder<br />
«Sport»-Setup: Ihre Spitzenleistung erreicht<br />
die Super Ténéré in beiden Modi.<br />
Im Sport-Programm gibt sich die<br />
Yamaha lediglich einen Hauch aggressiver.<br />
Aber selbst auf regennasser<br />
Schaltzentrale<br />
Fahrbahn ist das direktere Ansprechverhalten<br />
<strong>im</strong> Sportmodus für den<br />
Ténéré-Piloten keinesfalls ein Stolperstein.<br />
Sanft wie ein Vergaser reagiert<br />
die Einspritzung der Yami auf Kommandos<br />
der rechten Hand. Der gutmütige<br />
Motorcharakter erscheint Adrenalin-Junkies<br />
fast ein wenig fad. Aber<br />
ist es nicht genau diese berechenbare,<br />
entspannende und kumpelhafte Art,<br />
die echte «Weitreisende» zu schätzen<br />
wissen?<br />
Auch das Fahrwerk ist erste Sahne:<br />
Die Super Ténéré donnert wie auf<br />
Schienen durch die Bögen, folgt hochpräzise<br />
jeder angepeilten Linie mit<br />
überaus neutralem, überraschend agilem<br />
und ausbalanciertem Handling:<br />
keine Spur von Kopflastigkeit oder kippeligem<br />
Einlenkverhalten. Die serienmäßig<br />
montierten Bridgestone Battle<br />
Wing Pneus sorgen für Haftung satt.<br />
Sos del Rey Católico …<br />
496 Kilometer später ist die erste Krad-<br />
Etappe des «Ride for Life» zu Ende –<br />
kein Grund SOS zu funken, aber Zeit<br />
auf dem Hotelparkplatz das Notizbuch<br />
hervor zu kramen: Trotz ihrer üppigen<br />
Masse ist die Groß-Enduro die reinste<br />
Freude <strong>im</strong> kurvigen Geläuf. Zwar wird<br />
die «First Edition» der Super Ténéré inklusive<br />
Alu-Motorschutz, Handprotektoren,<br />
Hauptständer, Scheinwerferprotektor<br />
und Koffern ausgeliefert – schade<br />
nur, dass die optional erhältlichen<br />
Heizgriffe <strong>im</strong> Paket fehlen. Auch das<br />
höhenverstellbare Windschild macht<br />
seinen Job leider nicht verwirbelungsfrei,<br />
aber es schützt den Oberkörper<br />
zuverlässig vor dem anstürmenden Orkan.<br />
Eine höhere Scheibe samt Deflektoren<br />
aus dem Yamaha-Zubehör soll<br />
Abhilfe schaffen.<br />
Rasch noch das mitgelieferte Bordwerkzeug<br />
des Fernwehtourers in Augenschein<br />
nehmen – wie befürchtet<br />
das übliche japanische Blechspielzeug<br />
– also ab unter die Dusche.