Kurt Wanski - Internum
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Der Zeichner <strong>Kurt</strong> <strong>Wanski</strong><br />
Jürgen Köhler<br />
Wenn die Türklingel eine Unendlichkeit lang schrillte,<br />
wusste jeder in unserem Haus, dass es <strong>Kurt</strong> war,<br />
der vor der Tür stand. Er drückte seinen Finger so<br />
lange auf den Klingelknopf, bis die Tür sich öffnete.<br />
Natürlich wollte er sicher sein, dass man ihn nicht<br />
überhörte, denn schließlich waren seine Anliegen<br />
immer von größter Dringlichkeit. Sei es, dass es ihn<br />
nach Kaffee und Kuchen verlangte, er Geld brauchte<br />
oder es so spät am Abend war, dass er sich nicht<br />
mehr allein nach Hause traute. Am Eingang des katholischen<br />
Stiftes wachte ein Respekt einflößender<br />
Nachtportier.<br />
Seit wir uns in den frühen achtziger Jahren kennen<br />
lernten, kam er regelmäßig zu Besuch. Wir wohnten<br />
nicht weit voneinander entfernt. Zum Heim, in dem<br />
er lebte, waren es knapp zehn Minuten Fußweg, wir<br />
waren quasi Nachbarn. Zumeist kam er spät am Tag<br />
von einem seiner regelmäßigen Stadtgänge zurück.<br />
Manchmal hatte er Geld verdienen können. Zur<br />
Freude seines Publikums spielte er dafür auf seiner<br />
Mundharmonika, tanzte oder führte Kopfstände<br />
vor. Oder er hatte in der Schrotthandlung Buntmetall<br />
verkauft, das er mit seiner Schubkarre gesammelt<br />
hatte.<br />
Wenn er dann am Abend zu uns kam, war er beladen<br />
mit Beuteln voll von Dingen, die Leute achtlos<br />
weggeworfen und die längst nicht ihren Zweck er-<br />
füllt hatten. <strong>Kurt</strong> sammelte sie aus Müllcontainern<br />
und ärgerte sich beständig über die maßlose Verschwendung.<br />
Die Fundstücke breitete er dann vor uns aus, bedachte<br />
jedes Teil mit eingehenden Kommentaren<br />
und war zufrieden, was er da alles vor dem sicheren<br />
Verfall gerettet hatte.<br />
Man konnte alles finden: Noble Kleidungsstücke,<br />
Spielzeug, Uhren, Schmuck. Nicht zu vergessen die<br />
breite Palette von Zeitschriften und Broschüren, die<br />
über Politik, High Society und das laszive Gewerbe<br />
informierten. Sie interessierten <strong>Kurt</strong> besonders,<br />
weil in ihnen die Zeit angehalten schien, das hektische<br />
Getriebe der Welt in den Abbildungen geradezu<br />
erstarrt war. So konnte er ungestört bewundern<br />
und untersuchen, was im normalen Tagesablauf<br />
so schnell an ihm vorüberflog und das er doch so<br />
besonders liebte. Diese Welt stand plötzlich still, er<br />
konnte sie mit in sein Zimmer nehmen, um nach<br />
strengen Grundsätzen auszuwählen, was sich für<br />
eine zeichnerische Ausführung als würdig erwies.<br />
Wann <strong>Kurt</strong> <strong>Wanski</strong> mit dem Zeichnen begann ist<br />
nicht wirklich bekannt. Doch mit Sicherheit war es<br />
für ihn eine Arbeit, bei der er Ruhe fand und ganz<br />
mit sich allein sein konnte. Es war eine anstrengende<br />
Arbeit, darüber war er sich sehr wohl im Klaren.<br />
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