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Mixology - Magazin für Barkultur 3-15

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54 TASTE FORUM<br />

Weizen und Scotch in der<br />

Verkostung<br />

70 SPIRITUOSE<br />

Sherry feiert Auferstehung<br />

22 STADTGESCHICHTEN<br />

Wiedersehen mit der Nacht von Frankfurt<br />

Bars & Menschen<br />

18 ZEHN<br />

Zehn Aperitif-Drinks<br />

20 MIXOLOGY INTERN<br />

Unsere liebsten Pre-Dinner-Drinks<br />

22 STADTGESCHICHTEN<br />

Die Nacht in Frankfurt am Main –<br />

Wiederholungstäter und neuer Wind<br />

32 NEUE BARS<br />

Die Renaissance der Weinbar<br />

34 STARS IN BARS<br />

Bill Fehn über seine Bar Jaded Monkey,<br />

die CIA und Pferdescheiße<br />

Flüssiges<br />

14 MEINUNG<br />

Bartender über ihre Perlen unter<br />

den Schaumweinen<br />

38 FOOD & DRINK<br />

Die Geschichte der Knabberei<br />

40 MARKENPORTRÄT<br />

Żubrówka Vodka – Bisongras aus Białystok<br />

42 ALCHEMIST<br />

Teure Technik – Der Rotationsverdampfer<br />

48 MARKENPORTRÄT<br />

Pimm’s – Wurzeln, Kräuter und der englische<br />

Sommer<br />

50 COCKTAIL<br />

Audienz beim Prince of Wales<br />

54 TASTE FORUM<br />

Blended Scotch und Weizenbier<br />

64 DAS LABOR<br />

Versuchsaufbau mit Likörweinen<br />

68 FOUR OF A KIND<br />

Prosecco Spumante im Redaktionstest<br />

70 SPIRITUOSE<br />

Sherry – Ein Neuanfang<br />

76 BACK TO BASICS<br />

Säfte – Süße, Säure, frischgepresst<br />

80 TITEL<br />

Der Punch – Geselligkeit im großen Stil<br />

86 TRINKWELT<br />

Down Under – Trinken auf der anderen<br />

Seite der Welt


80 TITEL<br />

Punch Bowls und Geselligkeit<br />

108 BUSINESS<br />

Das Kreuz mit der Regionalität<br />

86 TRINKWELT<br />

Australien zwischen Bar und Beach<br />

91 KLIMEKS KAUFBEFEHL<br />

Trauben aus Australien<br />

92 NACHTRAUSCHEN<br />

Gestern in der Loos Bar<br />

94 MADE IN GSA<br />

Neues aus heimischen Gefilden<br />

96 BIERNOTIZEN<br />

Die wichtigsten Hopfenneuheiten<br />

98 BIER<br />

Bierhauptstadt Pilsen – Zurück auf Los<br />

102 WHISK(E)Y-NEWS<br />

Die wichtigsten Neuheiten der Whiskywelt<br />

104 MARKTBEOBACHTUNG<br />

Statements zum Whisky ohne Alter<br />

107 DIE FLASCHE IN ZAHLEN<br />

Summa summarum – Licor 43<br />

Wirtschaft & Kultur<br />

108 BUSINESS<br />

Oliver Ebert über Regionalität an der Bar<br />

111 ESSENTIAL CULTURE<br />

Zehn neue Schätze <strong>für</strong> Augen und Ohren<br />

112 HOMEBAR<br />

Stirrer – Design <strong>für</strong> die heimische Bar<br />

114 MUSIK<br />

Benjamin Clementine – Vom Clochard zum Künstler<br />

116 TIEFENRAUSCH<br />

Anthony Bourdain – Aufklärer und Arschloch<br />

Neues & Notizen<br />

8 MIXTUR<br />

Neue Produkte aus dem Bar-Universum<br />

120 VERANSTALTUNGEN & WETT-<br />

BEWERBE<br />

Alle wichtigen Termine der vergangenen und<br />

kommenden Wochen<br />

128 IMPRESSUM


STADTGESCHICHTEN<br />

MAINHATTAN<br />

KALTGERÜHRT<br />

Text Markus Orschiedt<br />

Frankfurt haben wir immer wieder besucht.<br />

Man kommt an dieser Stadt der <strong>Barkultur</strong> nicht<br />

vorbei. Neben jung gebliebenen Institutionen gibt<br />

es Neueröffnungen zu besichtigen. <strong>Mixology</strong> hat<br />

»Mainhattan« durch intensive Gespräche mit dort<br />

wirkenden Menschen erkundet und versucht, sich<br />

ein aktuelles Bild zu machen.<br />

23


An Frankfurt wiederum<br />

schätzt er besonders,<br />

dass hier viele kleine<br />

neue Projekte von Bartendern<br />

und nicht von<br />

Investoren eröffnet<br />

werden.<br />

Frankfurt boomt. Nicht nur der Wirtschaft<br />

geht es gut, auch die Dompteure der Nacht<br />

und der Spirituosen legen eine fulminante<br />

Performance hin. Frankfurt, die Stadt mit<br />

den vielen Spitznamen, ist in vielerlei Hinsicht<br />

singulär. Die größte Messe, der größte<br />

deutsche Flughafen, die Börse, die Bundesbank<br />

und Sitz verschiedener europäischer<br />

Institutionen. Außerdem pendeln jeden Tag<br />

hunderttausende Menschen nach Frankfurt,<br />

um dort zu arbeiten. Es gilt als produktivste<br />

Stadt Europas. Aber auch eine hohe Kriminalitätsrate,<br />

die Frankfurt den Titel als<br />

»Hauptstadt des Verbrechens« führen lässt.<br />

Das ficht seine Bewohner aber nicht an. Sie<br />

leben gerne hier. Die Frankfurter haben eine<br />

ausgeprägte Identifikation mit ihrer Stadt.<br />

Sie pflegen ihre Mundart und ihre Kultur,<br />

auch gastronomisch. Es gibt ausgezeichnete<br />

Restaurants mit regionalen Spezialitäten<br />

und internationalen Einflüssen. Vor allem<br />

die <strong>Barkultur</strong> ist von exzellentem Ruf, der<br />

weit über Deutschland hinaus bekannt ist.<br />

Die Szene ist gut vernetzt und arbeitet solidarisch<br />

miteinander.<br />

<strong>Mixology</strong> hat sich mit fünf Protagonisten<br />

unterhalten, um diesem Phänomen auf die<br />

Spur zu kommen. Zu Wort kommen bekannte<br />

Persönlichkeiten der <strong>Barkultur</strong>, und auch<br />

zwei neue Bargründungen sind dabei.<br />

Der Berliner<br />

Er steht auf seiner Dachterrasse und genießt<br />

»den schönsten Blick auf Frankfurt«. »Als<br />

Berliner empfinde ich Frankfurt als eine<br />

lebendige Kleinstadt mit Großstadtflair«,<br />

sagt er augenzwinkernd. Hier gebe es tolle<br />

Konzepte, die auch honoriert würden. Sven<br />

Riebel ist seit 2010 in Frankfurt und hat sich<br />

im schmalsten Haus der Metropole eine kleine<br />

eigene Welt geschaffen. Das Seven Swans<br />

& The Tiny Cup vereint Restaurant und Bar<br />

direkt am Main.<br />

Riebel hat einen langen Weg hinter sich. In<br />

der Gastronomie hat er seit 2001 Erfahrungen<br />

gesammelt, vor und während seines Studiums<br />

der Betriebswirtschaft. Anschließend geht<br />

Riebel <strong>für</strong> ein Jahr nach Australien, um seinen<br />

Horizont zu weiten. Es hat ihn tief und nachhaltig<br />

beeindruckt.<br />

Wieder zurück in Berlin will er sich ebenfalls<br />

ein Jahr Zeit geben, um herauszufinden, ob die<br />

Welt der Bars seine Zukunft sein könnte. In<br />

der renommierten Victoria Bar findet er seine<br />

erste Anstellung. Dann folgt ein Engagement<br />

in der Bar Lebensstern und die Entscheidung<br />

ist gefallen: Er wird der <strong>Barkultur</strong> treu bleiben<br />

und Frankfurt ruft. Wie er sagt, verlässt<br />

der gebürtige Darmstädter, der im Alter von<br />

acht Jahren nach Berlin kam, die Hauptstadt<br />

auch wegen einer gewissen Unzufriedenheit<br />

über sich ausbreitende Eitelkeiten und Neid in<br />

der Szene. »Das findest du in Frankfurt nicht,<br />

hier halten die Leute zusammen und sind entspannter«,<br />

sagt der 37-Jährige.<br />

Ein Märchen und eine Bar<br />

Sven Riebel<br />

Nach weiteren Stationen, unter anderem in<br />

der angesehenen Gekkos Bar, ist es dann so<br />

weit: Das Seven Swans & The Tiny Cup erblickt<br />

das Licht der Welt. Der Name geht auf<br />

ein Märchen von Ludwig Bechstein zurück.<br />

Riebel ist jemand, der die Dinge nach und<br />

nach entwickelt. Zunächst entsteht das Restaurant,<br />

dann die kleine Bar im Erdgeschoss.<br />

»Noch schweben wir unter dem Radar, wir<br />

wollen entdeckt werden«, gibt sich Riebel<br />

relaxed. Man wolle ein Wohnzimmer sein,<br />

mit den Gästen spielen und über Kommunikation<br />

<strong>für</strong> Entschleunigung sorgen. Erst danach<br />

kommen Drinks und Aromen. Hier<strong>für</strong><br />

sorgt vor allem auch sein Partner Patrick<br />

Klinger. »Er ist eine Persönlichkeit mit viel<br />

Erfahrung und Format, genau der richtige<br />

Mann <strong>für</strong> so einen Ansatz«, lobt Riebel. Ein<br />

weiteres Augenmerk legen die Macher auf<br />

London Dry Gin. Man will ganz bewusst zu<br />

den Wurzeln dieser Boom-Spirituose zurück.<br />

Außerdem versucht man, Mezcal den Gästen<br />

vorzustellen. Und Berlin? »Ich vermisse<br />

es jeden Tag, vor allem meine Freunde. Ich<br />

habe zwar auch in Frankfurt inzwischen viele<br />

Kontakte, aber Berlin ist meine alte Heimat.«<br />

An Frankfurt wiederum schätzt er besonders,<br />

dass hier viele kleine neue Projekte von Bartendern<br />

und nicht von Investoren eröffnet<br />

werden. Auch Riebel plant schon wieder etwas<br />

Neues, will aber noch nichts darüber verraten,<br />

außer, dass es auch in Frankfurt sein werde.<br />

So steht er auf seiner Dachterrasse und<br />

wünscht sich, dass sein angeschlagenes Knie<br />

sich bessert. Dann würde er gerne wieder <strong>für</strong><br />

den Triathlon trainieren und auch in den asiatisch-pazifischen<br />

Raum reisen. Das ist dann<br />

Riebels Entschleunigung.<br />

Bild: Selfie<br />

24 Stadtgeschichten — Frankfurt am Main


MIXOLOGY TASTE FORUM<br />

WEIZEN & BLENDED<br />

SCOTCH<br />

Texte Peter Eichhorn & Rory Lawton<br />

Stolze Bayern und charakterstarke<br />

Schotten. Das<br />

MIXOLOGY TASTE FORUM<br />

schwingt sich auf zu sommerlichen<br />

Biergenüssen und malzigen<br />

Geistern. Erstmals gibt<br />

es bei der Spirituose eine<br />

Doppelspitze. Und beim Bier?<br />

Dort zeichnet sich ein neuer<br />

Trend in der Kategorie ab.<br />

O’zapft is und sláinte!<br />

Illustrationen: studio grau<br />

54


KLASSIKER UND<br />

GRENZGÄNGER<br />

Wenn die Rede von deutschem Bier ist, so denken die meisten spontan<br />

an ein Pils. Tatsächlich gilt es aber, das Weißbier als wahren, einzigartigen<br />

Braustil Deutschlands zu würdigen. Über die letzten zwanzig Jahre<br />

entwickelte sich Weizen wieder zum populärsten Stil in Bayern. Doch<br />

unglücklicherweise bleibt die Wahrnehmung der Spezialität nördlich<br />

des Mains und außerhalb Deutschlands, wo Pilsner die Oberherrschaft<br />

hält, weiterhin die eines regionalen Spezialitätengebräus.<br />

Weißbier markiert den Beginn der Sommerzeit, weshalb wir es <strong>für</strong> die<br />

aktuelle Ausgabe des <strong>Mixology</strong> Taste Forums auswählten. Das Bild eines<br />

typischen Biergartens im Sommer, im Schatten der Kastanienbäume,<br />

auf dessen einladenden Tischen die hohen, goldgefüllten Weizengläser<br />

emporragen, ist der optische Inbegriff der reichhaltigen Bierkultur in<br />

Bayern. Wohingegen die vulgären Ausschweifungen und Exzesse, welche<br />

die Münchner Wiesn alljährlich begleiten, weitgehend mit den saisonalen<br />

Oktoberfestbieren nach dem Märzen-Stil assoziiert werden.<br />

Hefeweizen – Analyse eines Braustils<br />

Die Kategorie von Weissbier, die wir <strong>für</strong> das <strong>Mixology</strong> Taste Forum auswählten,<br />

ist das Hefeweizen. Es ist die unfiltrierte, trübe, helle Version<br />

des Bieres, das einen Alkoholgehalt von ungefähr 5,5 % Vol. aufweist.<br />

Hefeweizen wird nach einer relativ einfachen Rezeptur gebraut: In<br />

Deutschland ist vorgeschrieben, dass mindestens zu 50 % Weizenmalz<br />

verwendet werden muss. Üblicherweise verwenden die Braumeister einen<br />

Anteil zwischen 60 und 70 %. Den Rest macht zumeist das übliche<br />

Pilsner Malz, also Gerstenmalz aus.<br />

Der Einsatz von Hopfen dient dazu, dem Bier etwas Bittere zu verleihen<br />

und die ideale Balance zwischen dem getreidigen Weizen und dem<br />

Pilsner Malz zu unterstützen, zumeist werden <strong>15</strong> bis 20 IBU (Bittereinheiten)<br />

erreicht. Traditionelles Weizenbier wird nie ein vordergründiges<br />

Hopfenaroma besitzen, was zu einer intensiven Debatte innerhalb unserer<br />

Gesprächsrunde führte (siehe unten).<br />

Weißbier – Die verblüffende Geschichte<br />

des bayerischen Stils<br />

Wenngleich heutige Konsumenten bei der Bierbetrachtung vorwiegend<br />

einen Brauvorgang mit 100 % Gerstenmalz vor Augen haben, werden<br />

Weizenbiere bereits seit Tausenden von Jahren hergestellt. Weizen zählte<br />

stets zu jenen reichlich verfügbaren Getreiden, welche den Zuckergehalt<br />

aufwiesen, der <strong>für</strong> einen Brauvorgang nötig ist. Noch vor gerade<br />

einmal 200 Jahren war der Norden Deutschlands berühmt <strong>für</strong> seine<br />

Weizenbiere. Biere, die mit dem heutigen Weißbierstil verwandt sind<br />

(im Gegensatz zur Berliner Weisse oder Weizen-Varianten aus Belgien),<br />

werden in Bayern seit rund fünf Jahrhunderten eingebraut.<br />

Die Tatsache, dass Weizen immer auch eines der Basisgetreide <strong>für</strong><br />

die Brotherstellung und somit die Grundversorgung der Bevölkerung<br />

war, bedeutete <strong>für</strong> das Weißbier ein ständiges Auf und Ab, je nach Ernte<br />

und Verfügbarkeit. Im München des Jahres 1447 wurde das Brauen<br />

mit Weizen allgemein verboten, um sicherzustellen, dass ausreichende<br />

Mengen des Getreides zum Backen zur Verfügung standen. Nachdem<br />

diese Gesetzgebung <strong>15</strong>16 auf ganz Bayern ausgedehnt wurde, gab es nur<br />

noch eine Ausnahme: Der Freiherr von Degenberg besaß ab <strong>15</strong>48<br />

ein Exklusivrecht, Weizen zu verbrauen. Als 1602 der letzte männliche<br />

Stammhalter des Adelsgeschlechts verstarb, fiel das Privileg zurück an<br />

die Wittelsbacher und alsbald hatten zahlreiche bayerische Städte ein<br />

eigenes Wittelsbacher Weißbier-Brauhaus.<br />

Im späten 18. Jahrhundert ging das Interesse an Weißbier zurück, und<br />

so wurde 1798 das Monopol aufgehoben. Fortan war es wieder jedem<br />

Brauer gestattet, mit Weizen zu arbeiten. Das führte zu neuen Brauereigründungen,<br />

wie jene der Familie Schneider im Jahre 1856. Aber<br />

weiterhin ging der Weißbier-Absatz zurück, bis er 1960 seinen Tiefpunkt<br />

erreichte, als er nur noch weniger als 3 % der bayerischen Bierproduktion<br />

ausmachte. Seitdem erlebte Weißbier einen dramatischen Sprung<br />

und Anstieg der Popularität. Es dominiert die Bierlandschaft im heutigen<br />

Bayern, und das neu erweckte Interesse an sämtlichen Bierstilen<br />

bedeutet auch <strong>für</strong> die sogenannten Craft-Brauer, sich der Brauart anzunehmen<br />

und sie auf neue Weise zu interpretieren.<br />

59


70


SPIRITUOSE<br />

Raus aus der Versenkung?<br />

SHERRY<br />

Text Reinhard Pohorec<br />

Im Schatten der lauten, hochprozentigen Trends der letzten Jahre hat sich<br />

eine Kategorie leise und elegant in den Vordergrund geschoben. Aufgespritete<br />

Weine genießen eine Aufmerksamkeit wie schon lange nicht mehr. Nach dem<br />

Wermut ist es nun vor allem der Sherry, der sich anschickt, mehr Raum in den<br />

Rückbuffets zu fordern. Eine Annäherung an den filigranen, stolzen Spanier.<br />

Ehrlich: Menschen lieben Trends. Wir suchen stets nach dem neuen<br />

Boom, der nächsten Sensation, dem neuen Glitzersternchen im ohnehin<br />

schon reizüberflutenden Blitzlichtgewitter. Es wird gehypt und<br />

gejubelt, verworfen und verteufelt, was das Zeug hält. War man bisher<br />

noch voll beschäftigt mit Wacholderbeeren, Bitterlimonaden und Bourbon,<br />

scheint nun die Zeit gekommen <strong>für</strong> verstärkte Weine, Aperitifs, <strong>für</strong><br />

Kräuter und Bitters.<br />

Von neu oder innovativ kann bei Sherry, Port, Madeira oder Wermut<br />

jedoch keine Rede sein. Bereits Shakespeare’s Falstaff besingt Fino und<br />

Oloroso, Jerry Thomas und Harry Johnson verweisen unzählige Male<br />

auf die edlen Tropfen. Connaisseurs und Könige, sie alle wussten einen<br />

guten verstärkten oder aromatisierten Wein zu schätzen. Neu ist hingegen<br />

die Wahrnehmung des Segments.<br />

Weitgehend in Vergessenheit geraten, als Billigfusel bestenfalls<br />

zum Kochen verdammt, sind Sherry und seine Verwandten noch<br />

häufig mit klebrig-süßen Vorurteilen und Altersklischees beladen.<br />

Doch es gibt Licht am Ende des Tunnels, und so, wie wir kometenhafte<br />

Aufstiege und tragische Niedergänge verfolgen, können wir uns<br />

<strong>für</strong> Sensations comebacks erwärmen.<br />

Ein solches legt insbesondere Sherry dieser Tage hin. Ob in hochwertigen<br />

Tapas-Bars, die sich in Metropolen wie London, Madrid oder New<br />

York größter Beliebtheit erfreuen, in Spitzenrestaurants weltweit oder<br />

in High-End-Cocktail-Etablissements: Sherry ist omnipräsent. Es geht<br />

weg vom Nischenprogramm, hin zum seriösen Tanzpartner am Getränkeparkett.<br />

Doch woher kommt unser Star eigentlich?<br />

Der Wein, der Schnaps und der Sauerstoff<br />

Nun, in erster Linie ist Sherry ein Wein – was oft vergessen wird,<br />

wenn es darum geht, ihn zu lagern. Insbesondere geöffnete Flaschen<br />

sollten eigentlich innerhalb weniger Tage verbraucht werden, was an<br />

der Bar nur in seltenen Fällen wirklich gelingt.<br />

Foto: akg-images / Horizons<br />

71


TITEL<br />

BIG FIVE –<br />

PUNCHTIME!<br />

Text Peter Eichhorn<br />

Der Punch – wie Phoenix aus der Schale. Vor allem von London aus drängt der<br />

klassische Punch dieser Tage in ungeahnte, längst vergangene Bar-Höhen. Peter<br />

Eichhorn ist <strong>für</strong> uns auf eine Safari zu den Kolonien, vergangenen Sitten, langen<br />

Tresen und exzentrischen Befehlshabern gegangen. Immer mit dabei: fünf Zutaten<br />

und jede Menge Spaß.<br />

Es lebe die gesellige Runde, der entschleunigte Genuss, die<br />

köstliche Vielfalt, die einen Punch ausmachen kann. Englische<br />

Getränkekultur mit der großen Schale, Schöpfkelle, passenden<br />

Bechern und einer munteren Trinkerschar, die sich<br />

gegenseitig die Behältnisse füllt und gemütlich verweilt. Ein<br />

Blick auf eine totgesagte Getränkegattung mit Seeleuten, Rekorden,<br />

Engländern, Missverständnissen und Trends. Fünf<br />

Bestandteile, wie sie ein Punch eben zu haben hat.<br />

Unbestritten liegt der Ursprung des Phänomens ›Cocktail‹<br />

in den USA. Bartender und Cocktailtempel zwischen New<br />

Orleans und New York prägten und perfektionierten die Ära<br />

eines ›New Drinking‹ ab dem 19. Jahrhundert. Aber das Mischen<br />

von alkoholischen Getränken mit weiteren Zutaten<br />

wie beispielsweise Früchten, Zucker, Tee und Gewürzen war<br />

schon lange Zeit vorher üblich und beliebt. Insbesondere<br />

Großbritannien blickt auf eine reichhaltige Tradition zurück,<br />

mitunter aus dem Grund, dass die britischen Flotten allerlei<br />

Zutaten in ihrem kolonialisierten Weltreich kennenlernten<br />

und voller Elan und Durst über die Weltmeere verschifften.<br />

Wie so oft geht der kolonial-getränkerelevante Blick nach<br />

Indien. Mit Old Raj Gin, Old Monk Rum, India Pale Ale<br />

oder Amrut Whisky bilden diverse Produkte die Seeroute<br />

zwischen den britischen Häfen und dem indischen Subkontinent<br />

ab. Der Begriff »Punch« geht auf »panch« und somit<br />

sprachliche Wurzeln im indischen Sanskrit zurück und bedeutet:<br />

fünf. Die Zahl nennt gleichsam die ursprünglich übliche<br />

Menge an Zutaten: also Alkohol, Wasser, Süße, Säure<br />

(z. B. Zitrone) und eine würzende Zutat wie Tee, Kräuter oder<br />

andere Gewürze.<br />

Die früheste Überlieferung des Begriffs findet sich in einem<br />

Brief aus dem Jahr 1632, in dem sich ein Soldat der British<br />

East India Company aus Armagon, dem heutigen Durgarajupatnam<br />

an der Ostküste Indiens, bei einem Händler der<br />

Company <strong>für</strong> einen Gefallen bedankt und ihm alles Gute<br />

wünscht, was auch einen ordentlichen Schluck Punch mit<br />

einschließt.<br />

Palepuntz und Bolleponge<br />

Dies lässt den Schluss zu, dass Begriff und Getränkegattung<br />

bereits gängig und populär waren, zumindest unter den<br />

Händlern, Seeleuten und Soldaten der British East India<br />

Company, die sich ab ihrer Gründung im Dezember 1600 als<br />

Händler wie als Krieger dem Land widmete.<br />

80<br />

Illustrationen: studio grau


Ein deutscher Abenteurer gerät 1638 an die indische Westküste<br />

nach Surat und schreibt erstaunt von den englischen<br />

Händlern, die sich mit einem Getränk amüsieren, in dem<br />

Schnaps, Zitronensaft, Rosenwasser und Zucker enthalten<br />

sind. In seinen Aufzeichnungen steht der Begriff »Palepuntz«,<br />

was vermutlich von dem englischen »bowl o’Punch«<br />

stammt. In französischen Aufzeichnungen findet sich der Begriff<br />

»bolleponge«.<br />

Brandy, Wein und vor allem Arrak (auch Arrack geschrieben)<br />

müssen wesentliche Bestandteile der frühen Punches gewesen<br />

sein. Im Laufe des 17. Jahrhunderts kommt dann Rum<br />

hinzu und in England wächst die Zahl der Punch Houses, die<br />

warme wie auch kalte Rezepturen im Sortiment listen.<br />

Die Bedeutung der Getränkekategorie »Punch« lässt sich<br />

auch im Ur-Werk des Bartending, Jerry Thomas’ Bartender’s<br />

Guide nachvollziehen. Er widmet dem Punch an die 50<br />

Rezepturen und weitere Seiten mit handwerklichen Tipps zu<br />

Herstellung und Abfüllung in Flaschen. In der Ausgabe von<br />

1862 bildet die Cocktailgattung den Auftakt des Buches. Spätere<br />

Ausgaben erhielten dann eine neue Gliederung.<br />

Philadelphia Fish House Punch<br />

(adaptiert aus »Bartender‘s Guide or How to Mix Drinks«<br />

von Jerry Thomas, 1887)<br />

1,5 cl Jamaika Rum<br />

3 cl Cognac<br />

1,5 cl Eau de Vie de Pêche (Pfirsichbrand)<br />

3 cl Zitronensaft<br />

2 cl Demerara-Zuckersirup<br />

Glas: Tumbler<br />

Garnitur: Zitronenzeste<br />

Zubereitung: Alle Zutaten in den Shaker geben, mit<br />

Würfeleis füllen und kräftig schütteln. In ein vorgekühltes<br />

Gästeglas auf Würfeleis abseihen.<br />

»Um den Gästen die Berührungsängste<br />

zu nehmen,<br />

bereiten wir jeden<br />

Tag einen frischen Punch<br />

vor, der dann mit der<br />

Karte als inspirierender<br />

Probierschluck gereicht<br />

wird.«<br />

Aber der Lauf der Zeit ließ den Erfolg des Punches verblassen.<br />

In den USA sorgte die Prohibition <strong>für</strong> Ernüchterung,<br />

andernorts machten es qualitativ hochwertige Destillate unnötig,<br />

minderwertige Brände mit weiteren Aromen zu verschleiern,<br />

wie es der Punch bislang stets gewährleistet hatte,<br />

und selbst in England wurden andere Getränke populärer.<br />

Der amerikanische Cocktailhistoriker David Wondrich,<br />

stets bekannt <strong>für</strong> seine Hingabe und Präzision bei der Erforschung<br />

der flüssigen Geschichte, widmete 2010 dem Punch<br />

ein wundervolles Buch mit Historie, Anekdoten und Rezepten.<br />

Das Buch »Punch – The Delights (and Dangers) of the<br />

Flowing Bowl« sei an dieser Stelle als unbedingte Lesempfehlung<br />

zur Vertiefung des Themas angeraten. Wondrich erwägt<br />

eine weitere Erklärung <strong>für</strong> den Niedergang der Punch-Kultur<br />

im 20. Jahrhundert: »In einem Gasthaus zu sitzen und mit<br />

einer Kelle Getränke aus einer großen Schale zu schöpfen,<br />

sagte aus: Ich habe die nächsten Stunden nichts Besseres zu<br />

tun.« Der moderne Mensch hat diese Zeit nicht und muss<br />

Geschäftigkeit und Eile suggerieren. Erst jetzt ist wieder eine<br />

Zeit <strong>für</strong> Entschleunigung angebrochen.<br />

Für größere Gruppen geeignet,<br />

beispielsweise 6 oder 6.000<br />

oder 25.000<br />

Gerade in der britischen Hauptstadt ist Punch in Bars derzeit<br />

kaum wegzudenken. Einige Bars wie der Punch Room<br />

im 2013 eröffneten London Edition Hotel widmen sich gänzlich<br />

dem Getränk. Holzgetäfelte Wände, edle Materialien aus<br />

Samt und Leder samt offenem Kamin sorgen <strong>für</strong> eine moderne<br />

Interpretation eines traditionellen Herrenclubs. Barchef<br />

Davide Segat liebt die gemeinschaftliche Geselligkeit, die<br />

den Punch begleitet. Sein Barmenü beinhaltet fünf historische<br />

Punch-Rezepturen und ebenso viele moderne, saisonale<br />

Interpretationen <strong>für</strong> jeweils zwei bis acht Personen. Aber<br />

selbst in London muss Punch kommuniziert werden: »Allzu<br />

viele Menschen erinnern sich an unschöne Erfahrungen auf<br />

Partys, wo wenig schmackhafte Mixturen <strong>für</strong> mangelhaftes<br />

Vergnügen sorgten. Um den Gästen die Berührungsängste zu<br />

nehmen, bereiten wir jeden Tag einen frischen Punch vor,<br />

der dann mit der Karte als inspirierender Probierschluck gereicht<br />

wird.«<br />

Bereits in der zweiten Hälfte der 2000er-Jahre erlebte London<br />

ein Punch-Revival. Der bekannte Mixologe und Bar-Berater<br />

Nick Strangeway, 2008 bei den Tales of the Cocktails<br />

82 Titel — Big Five – Punchtime!


TRINKWELT<br />

Australische und Neuseeländische Trinkwelten<br />

DAUMEN HOCH<br />

FÜR DOWN UNDER<br />

Text Michael Brückner<br />

Australische und neuseeländische Weine gehören längst zur internationalen<br />

Top-Liga. Und nicht nur das: Am anderen Ende der Welt ist eine kleine,<br />

aber erstklassige Barszene entstanden, die vor allem mit heimischen Produkten<br />

arbeitet. Parallel dazu entwickelte sich in den Metropolen Sydney und Melbourne<br />

ein wahrer Kaffee-Kult. Denn was viele nicht wissen: Im tropischen Norden<br />

von Queensland wird Kaffee angebaut.<br />

Einer wie Dr. Christopher Rawson Penfold würde heute<br />

wohl nicht mehr als »politisch korrekt« durchgehen. Schon<br />

gar nicht als Arzt. Der Mediziner aus London, den es im 19.<br />

Jahrhundert nach Australien verschlug, glaubte nicht so recht<br />

an Pillen, Tropfen und Salben. Die einzig wirksame Medizin<br />

war aus seiner Sicht der Wein. Und je höher der Alkoholgehalt,<br />

desto wirksamer erschienen ihm die Rebensäfte. So lag<br />

es nahe, dass Herr Doktor in seiner neuen Heimat in Down<br />

Under im Jahr 1844 gemeinsam mit seiner Frau ein Weingut<br />

gründete. Produziert wurden zunächst alkoholreiche Weine,<br />

die dem Portwein glichen. Über die medizinischen Erfolge ist<br />

nichts überliefert, doch der Name Penfold gehört bis heute<br />

zu den Top-Marken im internationalen Weinangebot. Der<br />

Penfolds Grange lässt vinophile Genießer anerkennend mit<br />

der Zunge schnalzen – und Anleger tief in die Tasche greifen.<br />

Immerhin erzielte eine Flasche Penfolds Grange Hermitage<br />

aus dem Jahrgang 1951 auf einer Auktion 2004 den atemberaubenden<br />

Preis von umgerechnet rund 30.000 Euro. Gemeinsam<br />

mit dem »Hill of Grace« vom Weingut Henschke besetzt<br />

Penfold das Premiumsegment im australischen Weinangebot.<br />

Im Jahr 1887 – Dr. Penfold war schon lange tot und sein Weingut<br />

wurde äußerst erfolgreich von seiner Frau geführt – kamen<br />

die irischen Brüder William und Ralph Foster nach Melbourne.<br />

Sie sollten den Grundstein <strong>für</strong> eine weitere bis heute<br />

weltbekannte Marke in der australischen Getränkewirtschaft<br />

legen. In der Rokeby Street im Melbourner Stadtteil Collingwood<br />

gründeten sie die Brauerei Foster’s Brewing Company<br />

und brachten 1888 ein helles Leichtbier auf den Markt. Das<br />

Gebräu der irischen Brüder mundete den Australiern indessen<br />

nur in Maßen. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Viele<br />

Australier bevorzugen das Lager Victoria Bitter und das Carlton<br />

Draught. Beide kommen ebenfalls aus dem Foster’s-Konzern.<br />

Die beiden australischen Marken-Ikonen waren vorübergehend<br />

sogar unter einem Konzern-Dach vereint: In den 1990er-<br />

Jahren wurde Penfolds Teil der Foster’s Group. Später gliederte<br />

der Brauerei-Konzern, der seit 2011 zu SABMiller gehört, seine<br />

Weinsparte in das neu gegründete Unternehmen Treasury<br />

Wine Estates aus.<br />

86<br />

Illustrationen: studio grau


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BUSINESS<br />

Regionalität an der Bar<br />

WISSEN & BLENDUNG<br />

Text Oliver Ebert<br />

Kaum ein angesehenes Restaurant<br />

kommt ohne den Begriff<br />

der Regionalität aus. An der Bar,<br />

jenem internationalen Ort, wird<br />

es schwieriger. Die <strong>Barkultur</strong> in<br />

unseren Breiten hat bis heute<br />

immensen Nachholbedarf, die<br />

vielen großartigen heimischen<br />

Produkte endlich würdiger in<br />

Szene zu setzen. Stattdessen<br />

wird immer wieder dem premiumverheißenden<br />

Etikett großer<br />

Marken vertraut. Gibt es einen<br />

Weg aus diesem Einerlei? Eine<br />

Spurensuche im Obsthain.<br />

Regionalität an der Bar stiftet Unsinn, solange<br />

der Klimawandel keine Zitronenhaine in<br />

unsere Breiten treibt. Ein Gin verschimmelt<br />

nicht. Einmal gut gebrannt, kann jede Spirituose<br />

quer durch die Welt fliegen, ohne Qualität<br />

einzubüßen. Aber was heißt gut gebrannt?<br />

Man soll nicht alles glauben, was man liest.<br />

Besonders nicht auf Flaschenetiketten.<br />

Den todesmutigen Errungenschaften der Aeronautik<br />

zum Trotz: Die Küche ist wieder zum<br />

Regionalen zurückgekehrt. Die Frische des<br />

Rohproduktes steigt eben mit Verkürzung des<br />

Anfahrtsweges. Minze verströmt ihr Menthol<br />

auch weit üppiger, wenn sie vom Balkon geschnitten<br />

kommt und nicht in Lagerhäusern<br />

und Lastwagen zwischen Israel und hier sterbend<br />

ihr Aroma aushaucht. Beim Rindfleisch<br />

träumt indes niemand davon, sein Steak frisch<br />

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aus der Kuh zu beißen. Warum dennoch<br />

viele Köche ihr Fleisch vom Bauern aus der<br />

Umgebung beziehen, liegt in einem tiefen<br />

Misstrauen gegenüber modernen Herstellungsprozessen<br />

begründet. Der Barmann ist<br />

demgegenüber zumeist leichtgläubig bis zur<br />

Naivität.<br />

Weil das Backboard mehr Designelement<br />

als Warenauslage ist, werden Flaschen nach<br />

äußerem Schein verkauft, zusammen mit dem<br />

Heilsversprechen, auf den Geschmack möge<br />

es irgend abfärben. Möchte der geneigte Barmann<br />

Faktisches über die Flüssigkeit erfahren,<br />

wandert sein Blick übers Etikett und wohlige<br />

Ruhe durchströmt ihn bei den Worten hand<br />

selected botanicals. Vor seinem inneren Auge<br />

wölben sich wohlgeformte Hintern aus der<br />

Cornwallschen Erde, wo singende Bäuerinnen<br />

duftigen Wacholder klauben. Gedankenverloren<br />

streichelt er die Rundungen der Flasche<br />

und imaginiert sich den stark bebarteten Brenner,<br />

der kleine Säckchen voll frischer Kräuter<br />

milde lächelnd in seine Brennblase entleert.<br />

Das kryptische Etikett<br />

Das Wissen um Rohstoff und Herstellung<br />

verliert sich an der Bar in einer Fabelwelt<br />

aus Marken. Die Zunahme von selbst Hergestelltem<br />

ist ein archaischer Versuch, die<br />

Kontrolle zurückzugewinnen. Bei Spirituosen<br />

kann nämlich bereits die Frage nach<br />

dem Produzenten delphische Rätsel aufgeben.<br />

»No. 3 London Dry Gin« als Beispiel<br />

evoziert im Namen »Berry Bros & Rudd.<br />

Est. 1698« englische Brenntradition. Unter<br />

angegebener Adresse befindet sich zwar ein<br />

pittoreskes Handelshaus, allerdings entbehrt<br />

es jeglicher Brennanlage. Die steht einen verschlungenen<br />

Weg weit entfernt in Holland<br />

bei DeKuyper. Würde man dort fragen, wo<br />

die verwendeten Kräuter wachsen, bekäme<br />

man zur Antwort vermutlich das Destillat ins<br />

Gesicht geprustet.<br />

Tanqueray produziert 18 Millionen Liter Gin<br />

pro Jahr, da gebietet die Logik, dass es bei derartig<br />

riesigen Rohstoffmengen nur noch um<br />

Verfügbarkeiten geht, nicht um idyllische Anbaugebiete<br />

und Bäuerinnenhintern. Bestenfalls<br />

ist der Master Distiller in die Selektion des<br />

Rohstoffs involviert, geerntet wird jedoch mit<br />

der Sichel der Effizienz und nicht per Hand.<br />

Die wirft nur die getrockneten Kräuter zusammen,<br />

um sich als hand selected botanicals auf<br />

dem Etikett zu verewigen. Echte Handwerksbetriebe<br />

dagegen heißen so, weil die Früchte<br />

und Kräuter einzeln durch die Hände gehen,<br />

um sie auf Frische, Unversehrtheit und Aroma<br />

zu prüfen, bevor selbige Hände sie verarbeiten.<br />

Das steht nicht auf den Etiketten, das versteht<br />

sich von selbst. Genau wie die Tatsache, dass<br />

man mit derartigem Aufwand nur geringe<br />

Mengen von wenigen tausend Litern maximal<br />

produzieren kann. Solche Mikrodestillen brodeln<br />

überall auf der Welt, aber einige der anerkanntesten<br />

befinden sich vor unserer Haustür.<br />

Dort können sie dem kosmopolitisch ins Weite<br />

schweifenden Blick des hiesigen Barmannes<br />

natürlich leicht entgehen.<br />

So kehren wir, wenn auch geografisch grob<br />

gefasst, zum Kerngedanken der Regionalität<br />

zurück: dem Wissen um Rohstoff und Produktion.<br />

Familie Farthofer sitzt im österreichischen<br />

Mostviertel, wo Josef der Fünfte Birnen-Varietäten<br />

pflegt. Ohne Brennmeister wie<br />

ihn gäbe es diese uralten Sorten, diese herrlichen<br />

Streuobstwiesen längst nicht mehr. Er<br />

fährt bis zu zehnmal an einen Baum, um die<br />

Früchte einzeln zu ernten. »Wichtig ist, dass<br />

die Früchte vollreif und nicht verdorben sind,<br />

die Vergärung sofort beginnt und bereits in<br />

der abklingenden Gärphase mit dem Brennen<br />

begonnen wird.« Lagerung Fehlanzeige – bedeutet<br />

nur Aromenverlust.<br />

Foto: Petra Fritzi Hennemann / schokolinse.de


Aperitif<br />

Bildstrecke › Tim Klöcker und Sebastian Böhme<br />

Werte<br />

<strong>Mixology</strong>-Leser!<br />

Panta rhei – alles fließt. Wer, wenn nicht die<br />

flüssige Branche, wüsste dieses philosophische<br />

Diktum über den steten Wandel zu verstehen?<br />

So auch bei <strong>Mixology</strong>. In der letzten Ausgabe<br />

hat sich mein enger Freund, unser langjähriger,<br />

prägender Chefredakteur Markus Orschiedt<br />

aus der Redaktion zurückgezogen, um sich seiner<br />

zweiten großen Leidenschaft, dem Schreiben,<br />

wieder verstärkt widmen zu können.<br />

Ich freue mich, von nun an als Chefredakteur<br />

die inhaltlichen Geschicke von <strong>Mixology</strong><br />

leiten zu dürfen. Die Fußstapfen und der<br />

Qualitätsanspruch an Ihr <strong>Magazin</strong> <strong>für</strong> <strong>Barkultur</strong>,<br />

die Markus hinterlässt, sind immens – und<br />

gleichzeitig ein Ansporn <strong>für</strong> mich, Ihnen auch<br />

weiterhin jene gewohnte Mischung aus Reportagen,<br />

detaillierten Fachbeiträgen und natürlich<br />

reichlich Unterhaltung rund um unsere<br />

geliebte Bar bieten zu können. Einen Beginn<br />

soll dabei diese erste Sommer-Ausgabe des Jahres<br />

machen.<br />

Bittersüßer Abendvorhang<br />

Einen Anfang markiert auch stets der Aperitif.<br />

Das frühe, einleitende Gläschen etabliert sich<br />

auch in unseren mitunter teutonisch unterkühlten,<br />

allzu disziplinierten Breitengraden.<br />

Zu Recht: der geschmackvolle Schluck in Gesellschaft<br />

signalisiert auf so viel feinere Weise<br />

als das öde Feierabendbier, dass der angenehme<br />

Teil des Tages anbricht. Ob in der Öffentlichkeit<br />

oder daheim mit Freunden, die deutschen<br />

Genießer lernen von ihren südlichen<br />

Nachbarn aus der Schweiz, Italien, Frankreich<br />

und Spanien.<br />

Diese Entwicklung haben wir zum Anlass<br />

genommen, dem weiten Feld der Aperitifs<br />

unser großes Augenmerk zu schenken. Ein<br />

Klassiker vor dem Dinner etwa ist nach wie vor<br />

Champagner. Doch muss es tatsächlich immer<br />

der große Franzose sein? In unserer Rubrik<br />

»Meinung« geben drei renommierte Bartender<br />

aus Deutschland, Österreich und der Schweiz<br />

Auskunft über mehr als akzeptable Varianten,<br />

wenn es um Perlen im Glas geht.<br />

Zu den großen Aperitifstars überhaupt gehört<br />

fraglos der Sherry als traditioneller andalusischer<br />

Apero. Nachdem der vielleicht<br />

vielseitigste aller Südweine viele Jahre gefühlt<br />

in Großmutters Zuckerschrank zubringen<br />

musste, kündigt sich, aus den Metropolen der<br />

Welt kommend, eine Renaissance an. Reinhard<br />

Pohorec, Aperitif-Spezialist und weltweit<br />

jüngster zertifizierter Sherry Educator, hat sich<br />

<strong>für</strong> uns des Themas angenommen. Seine große<br />

Aperitif-Story mit dem Schwerpunkt auf den<br />

aromatischen Spanier führt detailreich in die<br />

Sherry-Sphäre ein und vertreibt so manches<br />

angestaubte Klischee, das dem derzeitigen It-<br />

Drink noch anhängt.<br />

Dass die Palette an Südweinen nicht nur pur<br />

überzeugt, durften auch unsere Laboranten<br />

Atalay Aktas und Arnd Heissen im umfangreichen<br />

Test erleben: neugierig und progressiv wie<br />

immer, begibt sich »Das Labor« auf eine große<br />

Kreuzfahrt durch südeuropäische Weingefilde,<br />

um schließlich mit mehr als nur einer positiven<br />

Überraschung wieder an Land zu gehen.<br />

Flüssiges Fernweh<br />

Und noch ein anderer Trend durchflutet derzeit<br />

die Barwelt: Der Punch! Als Aperitif zwar<br />

zu reichhaltig, da<strong>für</strong> mit umso mehr Punkten<br />

auf dem Konto der Geselligkeit, schwappt diese<br />

traditionelle Gattung aktuell aus großen Schüsseln<br />

zurück ins Bewusstsein der Connaisseurs<br />

rund um den Globus. Warum den Shaker nehmen,<br />

wenn es die große, fein geschliffene Punchbowl<br />

sein kann? Peter Eichhorn hat Fernglas,<br />

Flachmann und Schöpfkelle eingepackt, um <strong>für</strong><br />

Sie in den Kolonien nach Wurzeln und modernen<br />

Tendenzen des Punches zu suchen.<br />

Noch weiter ist unser Reisespezialist Michael<br />

Brückner gereist: Australien und Neuseeland<br />

gelten vielerorts als Sehnsuchtsort und begehrtes<br />

Reiseziel. Liegt die so oft zitierte Coolness<br />

und Lockerheit der Australier vielleicht auch<br />

an der reichhaltigen heimischen Trinkkultur?<br />

Zwar hat man sich in der neuen Neuen Welt<br />

wenig Eigenes ausgedacht – was man jedoch<br />

an liquiden Schätzen aus dem alten Europa<br />

mitgenommen hat, praktiziert man auf hohem<br />

Niveau.<br />

Sie sehen, es verspricht eine sonnige Ausgabe<br />

zu werden. Begleiten Sie uns auf einer kleinen<br />

Weltreise durch die geistigen Gefilde. Haben<br />

Sie Freude am Entdecken, Wiederentdecken,<br />

Probieren, Davonlaufen. Verleben Sie erholsame,<br />

freudenreiche oder erfolgreiche Abende<br />

in der Bar – natürlich immer mit einem guten<br />

Drink auf dem Tisch!<br />

Ihr Nils Wrage<br />

Nils Wrage<br />

Das<br />

schwebende<br />

Glas<br />

Uplifting — also anregend, erweckend oder gar<br />

erhebend. So werden viele Aperitifs beschrieben.<br />

Das kleine Gläschen nimmt des Tages Schwere<br />

und entführt mit ureigener Leichtigkeit. Warum<br />

dann nicht die Gläser selbst schweben lassen?<br />

Unsere Haus- und Hof-Fotografen Tim Klöcker<br />

und Sebastian Böhme haben tief in die Trickkiste<br />

gegriffen und diese Idee <strong>für</strong> Sie umgesetzt. Das<br />

Ergebnis sind mehr als stimmungsvolle Aufnahmen<br />

einiger der großen vorabendlichen Klassiker<br />

— nur eben aus neuer, frischer Perspektive. Das<br />

schönste daran: obwohl die Gläser schweben,<br />

scheinen Sie doch in Griffweite. Cheers!<br />

5


EST.<br />

2002<br />

mix·ol·o·gy<br />

1) the study<br />

or skill of<br />

preparing<br />

mixed<br />

drinks<br />

2) magazine<br />

of bar<br />

culture<br />

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Getränkewelt.<br />

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