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Kolping Magazin | September - Oktover 2015

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GENERATIONENGERECHTIGKEIT<br />

Wie ehrlich muss der Staat gegenüber seinen Bürgern<br />

sein? In welchem Ausmaß darf er Lasten ungleich verteilen<br />

und auf zukünftige Generationen abladen?<br />

TEXT: Martin Grünewald<br />

ILLUSTRATION: Thomas Plaßmann<br />

FOTOS: Jule Roehr<br />

Unser Staat verlangt Rechtstreue. Wer einem<br />

anderen einen Schaden zufügt, muss ihn ersetzen.<br />

Wer einen Kredit erschwindelt, obwohl<br />

er weiß oder in Kauf nimmt, dass er ihn nicht<br />

zurückzahlen kann, begeht einen Betrug und wird<br />

dafür bestraft. Aber wenn der Staat heute Verpflichtungen<br />

eingeht, die zukünftige Generationen schwer<br />

belasten und die Zukunft bereits „verfrühstückt“,<br />

dann ist das in Ordnung. Wirklich?<br />

Wir haben uns daran gewöhnt, dass Bund, Länder<br />

und Gemeinden in jedem Jahr neue Schulden aufnehmen.<br />

Die offiziellen Staatsschulden betragen mittlerweile<br />

2,2 Billionen Euro. Eine gewaltige Summe. Auf<br />

jeden Bundesbürger lastet so eine Verschuldung von<br />

nominell 26 537 Euro; umgerechnet auf jeden Erwerbstätigen<br />

sind das 53 074 Euro.<br />

Die letzte Große Koalition hat deshalb im Jahr 2009<br />

im Grundgesetz eine Schuldenbremse verankert. Erstmals<br />

seit 1969 hat jetzt die Bundesregierung tatsächlich<br />

einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt und auf<br />

neue Schulden verzichtet. Länder und Gemeinden<br />

haben – mit wenigen Ausnahmen – derzeit noch ihre<br />

Mühen damit. Sie sind verpflichtet, sich anzustrengen<br />

und die Schuldenbremse einzuhalten.<br />

Dennoch häuft auch der Bund weiterhin neue Leistungsverpflichtungen<br />

für die Zukunft an, ohne ihre<br />

Begleichung durch bereits erarbeitete Rückstellungen<br />

abzusichern.<br />

Im <strong>Kolping</strong>blatt wurde bereits vor zwölf Jahren darauf<br />

hingewiesen, dass es neben den offiziellen Staatsschulden,<br />

von denen jeder gehört hat, auch eine versteckte<br />

Staatsverschuldung gibt. Darauf hatte damals der Freiburger<br />

Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen hingewiesen.<br />

Sein Lehrstuhl veröffentlicht seit 1995 regelmäßig<br />

Generationenbilanzen der Bundesrepublik<br />

Deutschland. Damals schrieben die Freiburger Finanzwissenschaftler<br />

im <strong>Kolping</strong>blatt (März 2003): „Die Ergebnisse<br />

(der Generationenbilanz) stoßen nur auf geringe<br />

Beachtung im politischen Entscheidungsprozess.“<br />

8. Juli <strong>2015</strong> in Berlin. Optimale Bedingungen für<br />

Journalisten: Die Pressekonferenz beginnt um 11 Uhr,<br />

eine ideale Uhrzeit. Und es gibt einen Imbiss. Eingeladen<br />

hat die Stiftung Marktwirtschaft; über die aktuelle<br />

Generationenbilanz referieren die Finanzwissenschaftler<br />

Bernd Raffelhüschen und Stefan Moog von<br />

der Universität Freiburg. Gut eine Handvoll Journalisten<br />

haben sich in der Nähe des Regierungsviertels eingefunden,<br />

ein überschaubares Medieninteresse.<br />

Bernd Raffelhüschen konzentriert sich auf die zentralen<br />

Neuigkeiten. Am Rande erwähnt er die bekannten<br />

Tatsachen, dass die Anzahl der Beitragszahler zurückgeht,<br />

dass die Zeiträume, in denen Beitragszahler<br />

in die Kassen der gesetzlichen Sozialversicherungen<br />

einzahlen, sich verkürzen, und die Lebenserwartung<br />

und damit die Phase, in der Renten ausbezahlt werden,<br />

sich verlängert. Das ist heute nicht sein Thema.<br />

Er freut sich, dass der Bund erstmals einen Überschuss<br />

gemacht und einen ausgeglichenen Haushalt<br />

vorlegt.<br />

Aber dann folgen die Dämpfer: Die Haushaltsüberschüsse<br />

wurden nicht zum Abbau von Schulden verwendet.<br />

Dass die offizielle Staatsverschuldung prozentual<br />

leicht rückgängig ist, hat einen anderen<br />

Grund: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat sich vergrößert,<br />

die konstante Schuldenmenge hat sich deshalb<br />

um zwei Prozent im Verhältnis zum BIP verringert.<br />

Und nach Mütterrente und Rente mit 63 soll es<br />

weitergehen mit Leistungsgesetzen: Im Koalitionsvertrag<br />

ist eine „solidarische Lebensleistungsrente“ vereinbart,<br />

die nach Ansicht von Bernd Raffelhüschen<br />

gegen das Lebensleistungsprinzip der Rente verstößt.<br />

Aus der Journalistenrunde ist dazu kein Widerspruch<br />

zu hören. Der Freiburger Finanzwissenschaftler warnt<br />

allerdings: Die Nachhaltigkeitslücke werde sich weiter<br />

um 70 Milliarden Euro verschlechtern. Bereits heute<br />

betrage sie insgesamt 6,68 Billionen Euro. Im Verhältnis<br />

zum BIP werde sie von 237,6 Prozent auf 240 Prozent<br />

steigen.<br />

KOLPINGMAGAZIN SEPTEMBER–OKTOBER <strong>2015</strong><br />

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