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Semerkand Deutsch - Oktober 2015

Was ist ein guter Muslim, Das Schlachtfeld des Herzens, Eine Frage der Wahrnehmung, Der Dornbusch, Der Erhabene Allah ist, Die Grabbestrafung

Was ist ein guter Muslim, Das Schlachtfeld des Herzens, Eine Frage der Wahrnehmung, Der Dornbusch, Der Erhabene Allah ist, Die Grabbestrafung

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AUF DEUTSCH<br />

MONATLICHE TASAWWUF ZEITSCHRIFT • JAHR 3 • AUSGABE 10 OKTOBER <strong>2015</strong> • DEUTSCHLAND • PREIS 2,50€<br />

Was ist ein guter Muslim?<br />

Das Schlachtfeld des Herzens<br />

Eine Frage der Wahrnehmung<br />

Der Dornbusch<br />

Der Erhabene Allah ist ...<br />

Thema des Monats<br />

Die Grabbestrafung<br />

ISSN 2197-5272 10


Auch als Jahresabo erhältlich!<br />

SEMERKAND ZEITSCHRIFT<br />

monatliche Tasawwuf Zeitschrift<br />

In der Türkei, sowie in der türkischsprachigen Gemeinschaft in <strong>Deutsch</strong>land, ist die<br />

<strong>Semerkand</strong>-Zeitschrift bereits seit 16 Jahren ein beliebtes und etabliertes Medium, das<br />

sich mit Themen wie Islam, Tasawwuf und Lebensgestaltung befasst.<br />

Die deutschsprachige Ausgabe der Zeitschrift hat momentan einen Umfang von 30<br />

Seiten, gefüllt mit lehrreichen Geschichten und das Herz berührenden Erläuterungen<br />

von zeitgenössischen Sufigelehrten sowie ausgewählten Auszügen aus historischen<br />

Tasawwuf Werken.<br />

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1


MONATLICHE TASAWWUF ZEITSCHRIFT<br />

EDITORIAL<br />

Liebe Leser,<br />

das Leben eines Muslims in einer nichtmuslimischen Gesellschaft<br />

ist nicht immer ganz einfach. Ständig werden irgendwelche<br />

Fragen aufgeworfen, die sich in muslimischen Gesellschaften gar<br />

nicht erst stellen und häufig lassen wir uns von unseren Mitmenschen<br />

verunsichern. Oftmals müssen wir erleben, wie jene Werte<br />

und Regeln, die unser Leben bestimmen, von unseren nichtmuslimischen<br />

Mitmenschen mit Skepsis aufgenommen, ungläubig<br />

hinterfragt oder gar komplett abgelehnt werden. Dies führt so<br />

weit, dass die freie Ausübung unserer Religion in so manch einer<br />

Alltagssituation nicht gewährleistet ist.<br />

ISSN 2197-5272<br />

EROL MEDIEN GMBH<br />

Kölner Str. 256 - 51149 Köln<br />

Tel. 02203/369490<br />

Fax. 02203/3694910<br />

www.semerkandzeitschrift.de<br />

e-mail:<br />

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für Abonnenten:<br />

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BIC: COLSDE33<br />

Verantwortlicher Redakteur:<br />

İsmail Gökhan Korkmaz<br />

Druck:<br />

Şan Ofset Matbaacılık<br />

Hamidiye Mah. Anadolu Cad. No: 50<br />

Kağıthane | İstanbul Tel: 0212 289 24 24<br />

Quellenangabe:<br />

• Titelseite: © Anibal Trejo - stock.adobe.com<br />

• Seite 7: © inga - Fotolia.com<br />

• Seite 9: © beawolf - stock.adobe.com<br />

• Seite 12: © womue - Fotolia.com<br />

• Seite 13: © javarman - Fotolia.com<br />

• Seite 16 © rdnzl - stock.adobe.com<br />

• Seite 19: © vali_111 - stock.adobe.com<br />

• Seite 25: © Lsantilli - stock.adobe.com<br />

• Seite 27: © donatas1205 - Fotolia.com<br />

• Seite 29: © Sebastian Duda - Fotolia.com<br />

Da ist es nicht überraschend, wenn sich diese ständigen<br />

äußeren Konflikte gelegentlich einen Weg in unser Inneres bahnen<br />

und dort unsere Gedanken negativ beeinflussen oder Zweifel in<br />

unser Herz sähen: Was ist beispielsweise „nur“ kulturell bedingtes<br />

Brauchtum, das man zur Not auch einmal vernachlässigen kann<br />

und was ist essentieller Bestandteil des Islam, an den ich mich<br />

unbedingt zu halten habe?<br />

Möglicherweise wird man irgendwann von Zweifeln befallen,<br />

welche Einstellungen und welche Verhaltensweisen einen<br />

wirklichen Muslim ausmachen und ob man denn auch wirklich<br />

dem rechten Weg folgt. Möglicherweise wird man auch von den<br />

Behauptungen einiger seiner Bekannten verunsichert, dass es<br />

vollkommen ausreiche, wenn man „einfach irgendwie an einen<br />

Schöpfer glaubt“ und man sich ansonsten gemütlich zurücklehnen<br />

und sich ein angenehmes Leben machen könne.<br />

Dass dies alles nicht immer so einfach ist, legt uns der Leitartikel<br />

unserer aktuellen Ausgabe mit dem Titel „Was ist ein guter<br />

Muslim?“ von Muhammed Mübarek Elhüseyni dar.<br />

Die beiden Artikel „Das Schlachtfeld des Herzens“ nach Imam<br />

el-Ghazali rah. sowie „Eine Frage der Wahrnehmung“ von Mehmet<br />

Ildırar wiederum zielen insbesondere darauf ab, unsere inneren Abwehrkräfte<br />

und unsere Unterscheidungsfähigkeit zu stärken, damit<br />

uns derlei Konflikte in Zukunft nicht mehr so leicht ins Wanken oder<br />

gar zu Fall bringen können.<br />

Warum diese Standhaftigkeit und Zielstrebigkeit im Beschreiten<br />

des geraden Weges so wichtig sind und von jedem von uns angestrebt<br />

werden sollten, führt uns schließlich der Artikel zum Thema<br />

des Monats „Die Grabbestrafung“ von Ali Ihsan Weiger vor Augen.<br />

Euer SEMERKAND-Team<br />

2


INHALT OKTOBER <strong>2015</strong><br />

19<br />

DIE GRABBESTRAFUNG<br />

ALİ İHSAN WEIGER<br />

25<br />

DER ERHABENE ALLAH IST ...<br />

SERIE<br />

9<br />

DAS SCHLACHTFELD DES HERZENS<br />

IMAM EL-GHAZALI Q.S.<br />

16<br />

DER DORNBUSCH<br />

DSCHALAL AD-DIN RUMI Q.S.<br />

4<br />

WAS IST EIN GUTER MUSLIM?<br />

MÜBAREK ELHÜSEYNİ<br />

7<br />

DIE GOLDENE KETTE DER NAQSCHIBENDIYYE: ABDULKHALIQ EL-GHUDSCHDUWANI Q.S.: DER ERSTE PIR<br />

SERIE<br />

12<br />

DIE NAMEN DES GESANDTEN ALLAHS S.A.W.S. : TAHA<br />

SERIE<br />

27<br />

DIE FACHBEGRIFFE DES MONATS<br />

ISLAMLEXIKON<br />

13<br />

EINE FRAGE DER WAHRNEHMUNG<br />

MEHMET ILDIRAR<br />

3


Leitartikel<br />

Muhammed<br />

Mübarek Elhüseyni<br />

Was ist ein guter Muslim?<br />

Ohne zu zögern würden sich die meisten<br />

von uns als gute Muslime bezeichnen. Denn<br />

wir meinen es ja mit all unseren Mitmenschen<br />

immer nur gut und wollen niemandem<br />

etwas Schlechtes. Unser Herz ist rein<br />

und unversehrt und darauf kommt es doch<br />

schließlich an! Wie könnten wir da keine<br />

guten Muslime sein?<br />

Doch vielleicht trügt uns ja unsere Selbstwahrnehmung.<br />

Vielleicht sind wir doch nicht<br />

so gute Muslime, wie wir dies selbst von<br />

uns annehmen. Vielleicht sollten wir die gute<br />

Meinung, die wir von uns selbst haben, auf<br />

den Prüfstand stellen und diese ein bisschen<br />

genauer hinterfragen.<br />

Lasst uns im Folgenden doch einfach einmal<br />

überprüfen, wie der Gesandte Allahs s.a.w.s.<br />

und die islamischen Gelehrten einen guten<br />

Muslim definieren. Lasst uns mit ihrer Hilfe das<br />

Bild eines guten Muslims skizzieren. Anschließend<br />

können wir unser Selbstbild mit diesem<br />

Bild abgleichen und ergründen, ob unsere<br />

Selbstwahrnehmung der Realität entspricht<br />

oder doch eher ein Trugschluss ist.<br />

Der gute Muslim lässt sich in seinem<br />

gesamten Denken und Handeln vom Islam<br />

leiten. Bevor er handelt, überprüft er, ob eine<br />

Handlung mit den göttlichen Gesetzen in<br />

Einklang zu bringen ist: Steht die Handlung<br />

im Einklang mit den göttlichen Geboten,<br />

4


dann vollzieht er sie, steht sie im Widerspruch<br />

zu den göttlichen Geboten, dann<br />

unterlässt er sie.<br />

So lässt sich ein guter Muslim also nicht<br />

von den Begierden und Vorlieben seines Nefs<br />

(seiner Triebseele) leiten, sondern von den<br />

Geboten des Erhabenen Allah. Dies bedeutet<br />

zuallererst, dass er jenen grundlegenden<br />

Verpflichtungen nachkommt, die ihm der Erhabene<br />

Allah im Edlen Quran vorgeschrieben<br />

hat. Der Erneuerer des zweiten Jahrtausends,<br />

Imam er-Rabbani q.s. , schrieb dazu in seinem<br />

„Mektubat“ Folgendes:<br />

„Zu meinen, dass man ein reines Herz hat,<br />

obwohl man nicht seinen vorgeschriebenen<br />

Pflichten nachkommt, ist eine Dummheit. Genauso<br />

wie der Körper nicht ohne Seele denkbar<br />

ist, ist die Reinheit des Herzens nicht ohne<br />

die Erfüllung der religiösen Pflichten denkbar!“<br />

Die regelmäßige Verrichtung der Ibadeh<br />

(des Dienstes am Erhabenen Allah) ist also<br />

die Grundvoraussetzung für die Erlangung eines<br />

reinen Herzens. Dabei reicht es allerdings<br />

nicht aus, wenn der Muslim seine Ibadeh ausschließlich<br />

mit seinem Körper verrichtet. Denn<br />

die Bewegung des Körpers ist nur die äußere<br />

Form der Ibadeh. Erst wenn der Körper<br />

bei der Verrichtung der Ibadeh vom Herzen<br />

angeleitet und geführt wird, kann die Ibadeh<br />

ihre volle Wirkung auf den Muslim entfalten<br />

und ihn auf dem göttlichen Pfad voranbringen.<br />

Imam er-Rabbani q.s. schrieb wiederum dazu:<br />

„Nicht der Körper des Menschen ist<br />

das ausführende Organ seiner Ibadeh<br />

sondern sein Herz. Deshalb muss sich<br />

das Herz seinem Schöpfer voll und ganz<br />

zuwenden und die Ibadeh gemeinsam mit<br />

dem Körper ausführen.“<br />

So sollte der Muslim also versuchen, während<br />

der Verrichtung seiner Ibadeh stets aufmerksam<br />

zu sein und sich dabei nicht von<br />

seiner Umwelt oder den irdischen Gedanken<br />

seines Nefs ablenken zu lassen. Dies fällt ihm<br />

umso leichter, je öfter er sich in seinem Alltag an<br />

seinen Schöpfer erinnert und sich Diesem im<br />

Dhikrullah (Gedenken an den Erhabenen Allah)<br />

zuwendet. Dazu wieder Imam er-Rabbani q.s. :<br />

„Ein Herz, das sich von seinem Schöpfer<br />

abwendet und sich zum Sklaven der Begierden<br />

des Nefs macht, ist ein krankes Herz.“<br />

Ein Herz ist also krank, wenn es sich von<br />

seinem Schöpfer abwendet und den Begierden<br />

des Nefs folgt und es ist gesund, wenn es<br />

seinem Schöpfer folgt und sich von den Begierden<br />

des Nefs abwendet. Für den Muslim<br />

ist es von elementarer Bedeutung, über ein<br />

reines und gesundes Herz zu verfügen, denn<br />

sonst ist er nicht dazu in der Lage Erkenntnis<br />

von der wahren Beschaffenheit der Dinge zu<br />

erlangen und die richtigen Entscheidungen in<br />

seinem Leben zu treffen. Imam er-Rabbani q.s.<br />

formuliert diesen Umstand folgendermaßen:<br />

„Das Herz ist der Ort der Erkenntnis<br />

aller Dinge und es ist der Ort der Beschlussfassung.“<br />

Der Grad der Reinheit meines Herzens<br />

entscheidet also darüber, wie viel Erkenntnis<br />

ich erlange und ob ich dazu in der Lage bin,<br />

die richtigen Entschlüsse zu fassen. Und erst<br />

wenn ich erkennen kann, was richtig und was<br />

falsch ist und mich darüber hinaus auch dazu<br />

entschließe, das Richtige zu tun und das Falsche<br />

zu unterlassen, kann ich meinen Mitmenschen<br />

wirklichen Nutzen bringen. Und umso<br />

größeren Nutzen ich meinen Mitmenschen<br />

bringe, ein umso besserer Muslim bin ich. Der<br />

Prophet Muhammed s.a.w.s. sagte dazu:<br />

„Der beste der Menschen ist der, der den<br />

Menschen den größten Nutzen bringt!“<br />

(Musnedu Schihab: El-Qada’i: „Khayru Nas“; Nr. 1234)<br />

5


Den größten Nutzen kann ich meinen<br />

Mitmenschen bringen, indem ich ihre<br />

Rechte achte und Schaden von ihnen<br />

fernhalte. Deshalb beantwortete der<br />

Gesandte Allahs s.a.w.s. die Frage nach dem<br />

besten Islam folgendermaßen:<br />

„Der (beste Islam ist der), bei dem der<br />

Muslim vor (der Schlechtigkeit) deiner Zunge<br />

und deiner Hand sicher ist!“<br />

(Ahmed: Musned: Musnedul Mukthirin:<br />

„Musnedu Abdillah Bin Amr Bin As r.a. “; Nr. 6487)<br />

Dieser Grundsatz erstreckt sich auf alle<br />

Lebensbereiche und gilt nicht nur für Muslime,<br />

sondern für die Menschheit und alle<br />

Geschöpfe insgesamt. Der Muslim muss<br />

die Rechte aller Lebewesen jederzeit<br />

achten und darf diese niemals verletzen.<br />

So geht aus den prophetischen Überlieferungen<br />

und den Aussagen der Gelehrten<br />

ganz klar hervor, dass:<br />

• das Staatsoberhaupt die Rechte seines<br />

Volkes zu achten hat,<br />

• das Familienoberhaupt die Rechte seiner<br />

Familienmitglieder zu achten hat,<br />

• der Arbeitgeber die Rechte seiner<br />

Angestellten zu achten hat,<br />

• der Lehrer die Rechte seiner Schüler<br />

zu achten hat,<br />

• der Erwachsene die Rechte der Kinder<br />

zu achten hat….<br />

Diese Liste lässt sich endlos fortführen.<br />

Die Eltern haben Rechte an uns, die Nachbarn<br />

haben Rechte an uns, die Armen<br />

haben Rechte an uns, die Tiere haben<br />

Rechte an uns, die Pflanzen haben Rechte<br />

an uns, alle Geschöpfe haben Rechte an<br />

uns.... Niemand gibt uns das Recht, anderen<br />

gegenüber hochmütig aufzutreten<br />

und uns als etwas Besseres zu fühlen. Wir<br />

haben mit allen Geschöpfen bescheiden,<br />

gerecht, nachsichtig, barmherzig, großzügig,<br />

hilfsbereit und freundlich umzugehen.<br />

Je schwächer und schutzloser ein Geschöpf<br />

ist, desto behutsamer und vorsichtiger<br />

haben wir es zu behandeln.<br />

Der Gesandte Allahs s.a.w.s. ist das Idealbild<br />

eines guten Muslims. Je mehr ein<br />

Muslim seinem Vorbild folgt, desto besser<br />

ist er. Er war immer höflich und bescheiden.<br />

Nie kränkte oder beleidigte er jemanden.<br />

Wenn er von einer Person beleidigt<br />

oder angegriffen wurde, dann bat er den<br />

Erhabenen Allah um Vergebung für diese<br />

Person. Den Menschen gab er folgenden<br />

Rat mit auf den Weg:<br />

„Wer vergibt, dem wird vergeben und<br />

wer (von seinem Recht) ablässt, von dem<br />

wird abgelassen und wer seinen Zorn<br />

unterdrückt, der wird von Allah belohnt und<br />

wer ein Unglück geduldig erträgt, den entschädigt<br />

Allah (dafür) und wer andere belauscht,<br />

den hört Allah und wer standhaft<br />

bleibt, dem vervielfacht Allah (den Lohn für<br />

seine Geduld) und wer sich (gegen den<br />

Willen Allahs) auflehnt, den bestraft Allah!“<br />

(Beyhaqi: Dela’ilul Nubuweti: Dschumma‘u Ebwabi Ghazweti Tebuk:<br />

„Ma ruwiye fi Khutbetihi s.a.w.s. bi Tebuk“; Band 5, S. 241f)<br />

Der Gesandte Allahs s.a.w.s. legte viel<br />

Wert auf Taqwa (Gottesfurcht) und gutes<br />

Benehmen. Denn die Taqwa bewahrt<br />

die Menschen davor, den Gesetzen des<br />

Erhabenen Allah zuwider zu handeln und<br />

der gute Charakter bewahrt sie davor, die<br />

Rechte anderer Menschen zu verletzen.<br />

Beides zusammen macht sie zu guten<br />

Muslimen. Als er einmal gefragt wurde,<br />

welche Eigenschaften am ehesten dazu<br />

führen, dass man ins Paradies eintreten<br />

darf, antwortete er:<br />

„Die Taqwa und der gute Charakter!“<br />

(Ibn Madscheh: Sunen: Ez-Zuhd: „Dhikru Dhunub“; Nr. 4246)<br />

Möge uns der Erhabene Allah zu guten<br />

Muslimen machen!<br />

6


DIE GOLDENE KETTE DER NAQSCHIBENDIYYE<br />

Serie<br />

Abdulkhaliq el-Ghudschduwani q.s. :<br />

Der erste Pir<br />

Sein Name: Abdulkhaliq Bin Imam Abdildschemil<br />

el-Ghudschduwani q.s. .<br />

Seine Eltern: Sein Vater war Imam Abduldschemil<br />

q.s. . Seine Mutter war die Tochter<br />

eines Seldschukenkönigs, ihr Name ist uns<br />

nicht bekannt.<br />

Seine Herkunft: Die Blutlinie seines Vaters<br />

lässt sich bis zu Imam Malik rah. zurückverfolgen.<br />

Sein Vater stammte aus der Stadt Malatya,<br />

in der heutigen Osttürkei. Dort zählte<br />

er zu den angesehensten Gelehrten sowohl<br />

auf dem Gebiet des Tasawwuf als auch auf<br />

dem Gebiet der Rechtswissenschaften.<br />

Von Malatya aus zog er mit seiner Familie<br />

in das Dorf Ghudschduwan, das etwa 50<br />

km nordwestlich von Bukhara, im heutigen<br />

Usbekistan liegt.<br />

Seine Lebensdaten: Er wurde am 22.<br />

Schaban 435 n. H. (1044 n. Chr.) in Ghudschduwan<br />

geboren und verstarb dort im<br />

Alter von 135 Jahren am 12. Rabi’ul Ewwel<br />

575 n. H. (1179 n. Chr.).<br />

Seine Lebensgeschichte: Nachdem sich<br />

sein Vater in Ghudschduwan niedergelassen<br />

hatte, traf er auf Khidr a.s. . Dieser verkündete<br />

ihm, dass er einen Sohn bekom-<br />

7


men würde und dass dieser Abdulkhaliq<br />

heißen wird. So bekam er seinen Namen<br />

also von Khidr a.s. .<br />

Als er alt genug war, schickte ihn sein<br />

Vater nach Bukhara, wo er bei Scheykh<br />

Sadruddin q.s. die islamischen Wissenschaften<br />

studierte. Nachdem er dieses Studium<br />

beendet hatte, widmete er sich ganz dem<br />

Tasawwuf. Dabei übernahm Scheykh Yusuf<br />

el-Hemedani q.s. im Auftrag Khidrs a.s. seine<br />

spirituelle Erziehung. Dazu wird von ihm<br />

folgende Geschichte überliefert: „Als ich 22<br />

Jahre alt geworden war, beauftrage Khidr a.s.<br />

Ghawth Yusuf el-Hemedani q.s. mit meiner<br />

spirituellen Erziehung. Als dieser nach Bukhara<br />

kam, ging ich zu ihm und blieb solange<br />

sein Diener, bis dieser noch Khorasan<br />

weiterzog. (In all dieser Zeit) befahl er mir<br />

niemals etwas anderes, als das, was mich<br />

Khidr a.s. gelehrt hatte!“<br />

Nachdem er seine spirituelle Erziehung<br />

vollendet hatte, reiste er nach Syrien, blieb<br />

dort für einige Jahre und eröffnete dort eine<br />

Schule, zu der die Menschen von weither<br />

herbeiströmten, um bei ihm Unterricht zu<br />

nehmen und sich von ihm spirituell erziehen<br />

zu lassen.<br />

Später ging er nach Ghudschduwan zurück<br />

und blieb dort bis zu seinem Lebensende.<br />

Sein Vermächtnis an die Naqschibendiyye:<br />

Khidr a.s. brachte Abdulkhaliq el-Ghudschduwani<br />

q.s. die Methode des „Dhikr el-<br />

Khafi“ (des Gedenkens an den Erhabenen<br />

Allah im Verborgenen) bei. Außerdem<br />

entwickelte er die folgenden acht Prinzipien:<br />

Wuquf Zamani (Gewahrsein des<br />

Augenblicks), Wuquf Adedi (Einhaltung<br />

der Anzahl des Dhikrs), Wuquf Qalbi (Gewahrsein<br />

des Herzens), Nadhr ber Qadem<br />

(Blick auf die Füße), Husch der Dem (Bewusstes<br />

Atmen), Sefer der Watan (Spirituelle<br />

Heimreise), Khalwet der Endschuman<br />

(Zurückgezogenheit in der Gemeinschaft),<br />

Yad Kerd (Sich-Erinnern). Diese acht Prinzipien<br />

bilden die Basis der späteren „Elf<br />

Prinzipien der Naqschibendiyye“.<br />

Scheykh Abdulkhaliq q.s. ist der erste der<br />

„Sieben Pir“. Dies sind jene sieben Ewliya<br />

(Freunde des Erhabenen Allah), die in der<br />

Goldenen Kette der Naqschibendiyye direkt<br />

aufeinanderfolgen und die Methodik der<br />

Tariqatu Naqschibendiyye ausarbeiteten, bis<br />

diese schließlich von ihrem Namensgeber<br />

Scheykh Baha’uddin-e Naqschibend q.s. zu<br />

einem einheitlichen System zusammengefasst<br />

wurde.<br />

Der Einfluss Abdulkhaliqs q.s. auf die Tariqatu<br />

Naqschibendiyye ist auch deshalb so<br />

groß, weil er – nachdem er schon viele Jahre<br />

verstorben war – Scheykh Baha’uddine<br />

Naqschibend q.s. auf der feinstofflichen<br />

Ebene mittels der Uweysi-Methode erzog.<br />

Deshalb gilt er nicht nur als der Begründer<br />

der Erziehungsmethode der Naqschibendiyye<br />

sondern auch als einer der Erzieher von<br />

Schah-e Naqschibend q.s. .<br />

8


KLASSIKER<br />

Imam el-Ghazali q.s.<br />

Das Schlachtfeld<br />

des Herzens<br />

Unbemerkt von der Außenwelt findet in<br />

unserem Inneren ein Kampf auf Leben<br />

und Tod statt. Unaufhörlich tobt dieser<br />

Kampf zwischen den Streitkräften des Guten<br />

und den Streitkräften des Bösen. Unser<br />

Wohl und Wehe im Jenseits hängt davon<br />

ab, wer von diesen beiden Armeen am Ende<br />

unseres Lebens die Oberhand über unser<br />

Herz gewonnen haben wird…<br />

Ebu Suleyman ed-Darani rah. vergleicht<br />

unser Herz mit einem Kuppelbau, der ringsherum<br />

viele verschiedene verschlossene<br />

Eingangspforten hat. Dieser Kuppelbau wird<br />

beständig von irgendwelchen Besuchern<br />

aufgesucht, die an seine Pforten klopfen<br />

und um Einlass bitten. Manche von diesen<br />

Besuchern bringen uns schöne Geschenke<br />

mit und andere haben faule Eier im Gepäck.<br />

Der Gesandte Allahs s.a.w.s. sagte dazu:<br />

„Wahrlich gibt es Gedanken des Teufels,<br />

die den Sohn Adems heimsuchen und<br />

Gedanken des Engels, die ihn besuchen.<br />

Was nun die Gedanken des Teufels betrifft,<br />

so verheißen sie ihm Schlechtes und<br />

verleugnen die Wahrheit. Und was die Gedanken<br />

des Engels betrifft, so verheißen sie<br />

ihm Gutes und bestätigen die Wahrheit. Wer<br />

solche (Gedanken) bei sich vorfindet, der<br />

wisse, dass diese von Allah herstammen<br />

und der lobpreise Allah. Und wer (etwas von<br />

den) anderen (Gedanken) bei sich vorfindet,<br />

der suche seine Zuflucht (bei Allah) vor dem<br />

Scheytan!“<br />

(Tirmidhi: Sunen: Tefsirul Quran: 3: „We min Suratil Baqarah“; Nr. 3256)<br />

Anschließend rezitierte der Gesandte<br />

Allahs s.a.w.s. folgenden Quranvers:<br />

„Der Scheytan bedroht euch<br />

mit Armut und befiehlt euch das<br />

Schändliche, während euch Allah<br />

Seine Vergebung verspricht und<br />

(euch mit Seiner) Huld (überhäuft)!“<br />

(2. Sure: El-Baqarah, Vers 268)<br />

Dieser Quranvers beschreibt den ständigen<br />

Widerstreit der guten und der schlechten<br />

Gedanken, die in unserem Herzen<br />

entstehen. Diese guten Gedanken heißen<br />

Ilham (göttliche Eingebung). Sie werden<br />

uns von den göttlichen Boten – also den<br />

Engeln – überbracht, halten uns zum Guten<br />

an und versprechen uns jenseitigen Lohn<br />

für unser gutes Handeln. Die schlechten<br />

Gedanken sind das Gegenteil des Ilham<br />

und heißen Wesweseh (teuflische Einflüsterung).<br />

Sie werden uns von den Teufeln<br />

überbracht und raten uns zum Schlechten.<br />

9


Mithilfe der Wesweseh flößt uns der Teufel<br />

außerdem Verlust- und Existenzängste ein<br />

und hält uns so davon ab, gute Taten zu<br />

begehen.<br />

Imam el-Ghazali rah. drückt dies folgendermaßen<br />

aus:<br />

„Engel ist der Ausdruck für ein Geschöpf,<br />

das der Erhabene Allah als Boten des<br />

Guten erschaffen hat, um dem Mensch<br />

nützliches Wissen zu überbringen, ihm die<br />

Wahrheit zu offenbaren, ihm das Gute zu<br />

verheißen und ihm das Rechte zu befehlen.<br />

Er erschuf ihn und benutzt ihn als Werkzeug,<br />

um diese Aufgabe zu erledigen. Und<br />

Teufel ist der Ausdruck für ein Geschöpf,<br />

das das Gegenteil davon ist. Es droht dem<br />

Menschen das Schlechte an, befiehlt ihm<br />

das Schändliche und flößt ihm Angst vor<br />

Verarmung ein, wenn er vorhat, etwas Gutes<br />

zu tun. So ist die Wesweseh das Gegenteil<br />

des Ilham, der Teufel das Gegenteil des Engels<br />

und der Erfolg der mit den guten Taten<br />

einhergeht, das Gegenteil des Misserfolgs,<br />

der mit den schlechten Taten einhergeht.<br />

Hierauf findet sich ein Hinweis in dem folgenden<br />

Quranvers:<br />

„Und alle Dinge erschufen Wir paarweise!“<br />

(51. Sure: Edh-Dhariayat, Vers 49)“<br />

Das Herz des Menschen ist zu Beginn<br />

seines Lebens ein unbeschriebenes Blatt.<br />

Es ist unbefangen und unvorbelastet. Es akzeptiert<br />

beide Arten der Eingebung gleichermaßen<br />

und macht keinen Unterschied zwischen<br />

der Wesweseh des Teufels und dem<br />

Ilham des Engels. Erst wenn der Mensch<br />

älter wird, beginnt er, zu einer der beiden<br />

Seiten hinzuneigen: Wenn der Mensch dann<br />

damit beginnt, seinen Launen nachzugeben,<br />

seinen Gelüsten zu folgen und seinen<br />

Zornesmut auszuleben, dann wird der Teufel<br />

allmählich die Herrschaft über sein Herz<br />

übernehmen. Dabei nimmt sich der Teufel<br />

die Launen und Vorlieben des Menschen<br />

als Fahrzeug, um in dessen Herz einzudringen<br />

und dort die Macht an sich zu reißen.<br />

Widersetzt sich der Mensch hingegen der<br />

Triebhaftigkeit und dem Zornesmut seines<br />

Nefs (seiner Triebseele), dann wird sein Herz<br />

zum Ort der göttlichen Eingebung und zum<br />

Tummelplatz der Engel. Imam el-Ghazali rah.<br />

sagt dazu:<br />

„Wenn der Mensch seine Triebhaftigkeit<br />

bekämpft und dieser nicht die Herrschaft<br />

über sein Herz gewährt, dann gleicht sein<br />

Charakter dem Wesen der Engel und sein<br />

Herz wird zur Heimstatt der Engel und zu<br />

deren Tummelplatz! Wenn er hingegen<br />

sein Herz nicht von der Begierde, dem<br />

Zorn, der Gier, den falschen Wünschen<br />

und Hoffnungen und ähnlichen schlechten<br />

menschlichen Eigenschaften befreit, dann<br />

wird der Satan dort frei herumwandern<br />

können und ihm ungehindert seine Wesweseh<br />

einflüstern!“<br />

Im Übrigen ist keines Menschen Herz<br />

vor gelegentlichen Besuchen des Scheytan<br />

und dessen Wesweseh geschützt, auch<br />

dann nicht, wenn er noch so weit auf dem<br />

göttlichen Pfad vorangeschritten sein sollte.<br />

Denn jeder Mensch hat seinen persönlichen<br />

Scheytan, der sich in seinem Organismus<br />

frei bewegen kann. Der Gesandte<br />

Allahs s.a.w.s. sagte dazu:<br />

„Wahrlich bewegt sich der Scheytan im Sohn<br />

Adems auf denselben Bahnen wie sein Blut!“<br />

(Bukhari: El-Ehkam; Nr. 7171)<br />

Sobald wir unachtsam sind und einen<br />

Fehler begehen, ergreift der Scheytan seine<br />

Chance, schleicht sich in unser Herz ein<br />

und versucht uns eine schlechte Sache<br />

einzuflüstern. Aber je weiter wir auf dem<br />

göttlichen Pfad vorangeschritten sind, desto<br />

10


seltener sind wir unachtsam und desto<br />

weniger Fehler machen wir. Und wenn wir<br />

dann einmal einen Fehler begehen und<br />

dem Scheytan die Pforten unseres Herzens<br />

öffnen, dann erkennen wir – mit der<br />

Hilfe des Erhabenen Allah – schnell die<br />

Wesweseh des Teufels und suchen unsere<br />

Zuflucht davor beim Erhabenen Allah.<br />

Die beste Methode sich den Scheytan<br />

vom Leib zu halten, ist das Dhikrullah (das<br />

Gedenken des Erhabenen Allah). Das Dhikrullah<br />

ist für den Scheytan ein tödliches<br />

Gift. Sobald wir in unserem Herzen des<br />

Erhabenen Allah gedenken, zieht sich der<br />

Teufel sofort zurück, denn sonst würde er an<br />

dem göttlichen Licht, das während des Dhikrs<br />

in unserem Herzen entsteht, zugrundegehen.<br />

Der Gesandte Allahs s.a.w.s. sagte dazu:<br />

„Wahrlich steckt der Scheytan seinen<br />

Rüssel in das Herz des Sohnes Adems.<br />

Wenn dieser nun des Erhabenen Allah<br />

gedenkt, dann zieht er sich (sofort) zurück<br />

und wenn dieser den Erhabenen Allah vergisst,<br />

dann steckt er diesen wieder in sein<br />

Herz (und flüstert ihm ein)!“<br />

(Suyuti: Dschami’ul Ehadith:<br />

„Inne muscheddedeti ma’al Hemzeh“; Nr. 6445)<br />

Der Hunger ist ebenfalls ein gutes<br />

Mittel, um den Radius des Scheytan<br />

einzuschränken. Denn der Bauch ist der<br />

Entstehungsort aller Begierden. Wird nun<br />

der Hunger gestillt, dann zieht dies die<br />

Entstehung anderer Begierden nach sich<br />

und der Scheytan bekommt dadurch die<br />

Möglichkeit, diese als Fahrzeug in das<br />

Herz des Menschen zu nutzen. Stillt der<br />

Mensch hingegen seinen Hunger nicht,<br />

dann bleibt dieser auf seinen Hunger<br />

fixiert und es entstehen keine weiteren Begierden.<br />

So ist der Hunger das beste Mittel,<br />

um die Triebhaftigkeit des Menschen<br />

zu bekämpfen und so dem Scheytan das<br />

Wasser abzugraben.<br />

Im Übrigen lässt der Scheytan niemals<br />

von einem Menschen ab, solange dieser<br />

lebt. Er versucht ihm bis zum letzten<br />

Augenblick seines Lebens seinen Iman<br />

(Glauben) abspenstig zu machen. Denn<br />

nachdem der Erhabene Allah den verfluchten<br />

Scheytan verstoßen hatte, schwor<br />

dieser, alles dafür zu tun, um den Menschen<br />

vom rechten Weg abzubringen.<br />

Im Edlen Quran sagt der Scheytan zum<br />

Erhabenen Allah Folgendes:<br />

„Ich werde ihnen gewiss auf Deinem<br />

geraden Weg auflauern! Anschließend<br />

werde ich von vorne, von hinten, von<br />

ihrer Rechten und von ihrer Linken über<br />

sie kommen!“<br />

(7. Sure: El-A’raf, Vers 16f)<br />

Fazit:<br />

Der Scheytan wird solange nicht von<br />

den Gläubigen ablassen, bis er ihnen<br />

ihren Glauben abspenstig gemacht hat.<br />

Erst dann ist er zufrieden. Deshalb müssen<br />

wir unser ganzes Leben lang daran<br />

arbeiten, den Namen des Erhabenen<br />

Allah durch die Übung des Dhikrullah<br />

in unserem Herzen zu verwurzeln und<br />

unser Herz aus der Umklammerung der<br />

Triebhaftigkeit und des Zornesmutes<br />

unseres Nefs zu befreien. Erst dann<br />

wird unser Herz zum Tummelplatz der<br />

Engel und unser Glaube fest. Wenn wir<br />

hingegen weiterhin unseren Begierden<br />

freien Lauf lassen, dann öffnen wir dadurch<br />

dem Scheytan Tür und Tor und<br />

dieser wird die Herrschaft über unser<br />

Herz übernehmen, ohne dass wir dies<br />

überhaupt bemerken. Da bleibt dann<br />

unser Iman schwach und es kann uns<br />

passieren, dass unser Herz am Ende<br />

unseres Lebens das Opfer einer feindlichen<br />

Übernahme durch den Scheytan<br />

wird und wir vor unserem Schöpfer ohne<br />

Iman dastehen.<br />

11


DIE NAMEN DES GESANDTEN ALLAHS s.a.w.s.<br />

Serie<br />

Name des Gesandten Allahs s.a.w.s. :<br />

Taha<br />

Der Name Taha des Gesandten Allahs s.a.w.s. ist eine Abkürzung für<br />

die beiden Begriffe „Tahir“ und „Hadin“. Dabei bedeutet Tahir „Reiner“<br />

und Hadin bedeutet „Wegweiser“. Zusammengenommen steht Taha<br />

dann für den Ausspruch: „Ya Tahir, ya Hadi“, was so viel bedeutet,<br />

wie: „O Reiner! O der du den rechten Weg weist!“<br />

An der großen Anzahl der Namen, die der Gesandte Allahs s.a.w.s. besitzt, sieht man, welch hohen Stand er beim<br />

Erhabenen Allah einnimmt und wie hochgeschätzt er unter den Muslimen doch ist. Besonders bekannt ist eine<br />

Aufzählung von 201 seiner Namen. Diese 201 Namen, die unter anderem in dem Werk „Dela’ilul Khayrat“ von<br />

Imam Dschezuli q.s. aufgeführt sind, wollen wir hier nach und nach vorstellen.<br />

12


Suhbe<br />

Mehmet Ildırar<br />

EINE FRAGE DER WAHRNEHMUNG<br />

Die göttlichen Gebote<br />

sind seit der Herabsendung<br />

des Edlen<br />

Quran auf den Gesandten<br />

Muhammed s.a.w.s. bis zum<br />

heutigen Tage immer die<br />

gleichen geblieben. Sie können<br />

genauso wenig verändert<br />

werden, wie das heilige<br />

Buch, in dem sie stehen.<br />

Darin sind sich alle Muslime<br />

einig. In diesem Punkt gibt es<br />

keine Meinungsverschiedenheiten.<br />

Wenn dem also so ist,<br />

dann fragt man sich, warum<br />

denn diese göttlichen Gebote,<br />

die ja eigentlich alle ganz<br />

klar und leicht verständlich<br />

sind, nicht von allen Menschen<br />

auf die gleiche Art und<br />

Weise verstanden werden.<br />

Offensichtlich liegt hier bei<br />

vielen Menschen ein abweichende<br />

Wahrnehmung vor.<br />

Diese unterschiedliche<br />

Wahrnehmung der immer<br />

gleichen göttlichen Gesetze<br />

liegt daran, dass es<br />

unter den Muslimen ganz<br />

unterschiedliche Grade an<br />

Vollkommenheit gibt. Die<br />

Sahabeh (die Gefährten<br />

des Gesandten Allahs s.a.w.s. )<br />

beispielsweise bekamen die<br />

göttliche Wahrheit des Edlen<br />

Quran vom Gesandten<br />

Allahs s.a.w.s. persönlich in<br />

ihr Herz gelegt. Sie profitierten<br />

persönlich von dem<br />

Nadhar (heilsamen Blick)<br />

des Gesandten Allahs s.a.w.s. ,<br />

durch den sie einen Grad der<br />

Vollkommenheit erreichten,<br />

der so hoch war, dass wir<br />

uns dies heute nicht einmal<br />

mehr vorstellen können. Ihre<br />

Herzen waren von dem Licht<br />

des Glaubens durchtränkt<br />

und deshalb gab es in ihrer<br />

Wahrnehmung der Religion<br />

keine Schatten.<br />

Dieses Licht gaben die<br />

Sahabeh an die nachfolgende<br />

Generation weiter und<br />

diese gaben es ebenfalls<br />

wieder an die nachfolgende<br />

Generation weiter und auf<br />

diesem Wege strahlt dieses<br />

Licht auch heute noch aus<br />

den Ewliya (Freunden des<br />

Erhabenen Allah) heraus<br />

in die irdische Welt hinein.<br />

Dabei ist dieses Licht immer<br />

das Gleiche geblieben und<br />

von scharfen Augen kann es<br />

auch heute noch genauso<br />

klar und unverfälscht wahrgenommen<br />

werden, wie<br />

dies zur Zeit des Gesandten<br />

Allahs s.a.w.s. möglich gewesen<br />

ist. Das Problem hierbei ist<br />

nur, dass es dieser scharfer<br />

Augen eben immer weniger<br />

gibt, denn scharfe Augen<br />

haben nur jene Menschen,<br />

die einen hohen Grad an<br />

Vollkommenheit und die damit<br />

einhergehende Reinheit<br />

des Herzens erlangt haben.<br />

Warum nur noch so wenige<br />

Gläubige einen hohen<br />

Grad an Vollkommenheit<br />

erreichen, liegt an ihrer mangelnden<br />

Aufrichtigkeit. Nur<br />

allzu oft opfern die Gläubigen<br />

die religiösen Vorschriften auf<br />

dem Altar religionswidriger<br />

Sitten und Gebräuche. Im<br />

Konfliktfall sind immer weniger<br />

Gläubige dazu bereit,<br />

die Vorschriften ihrer Religion<br />

gegen die Angriffe von außen<br />

zu verteidigen. Bevor sie<br />

mit ihrer Familie oder ihren<br />

Freunden in Streit geraten,<br />

geben sie lieber klein bei und<br />

unterwerfen sich deren Vorstellungen<br />

von einem modernen<br />

Leben.<br />

So wird heutzutage beispielsweise<br />

das Gebot der<br />

Geschlechtertrennung nur<br />

noch von den wenigsten<br />

Gläubigen ernstgenommen<br />

13


und konsequent eingehalten.<br />

Schon bei der eigenen<br />

Hochzeit vermischen sich<br />

die Gäste beider Geschlechter<br />

und so geht dies dann<br />

später bei Familienfesten<br />

oder privaten Einladungen<br />

weiter. Man achtet nicht<br />

darauf, dass Frauen und<br />

Männer, die zueinander nicht<br />

in einem Mahram-Verhältnis<br />

stehen, räumlich getrennt<br />

sitzen. Da sitzen sich dann<br />

der Schwager mit seiner<br />

Schwägerin, der Nachbar<br />

mit seiner Nachbarin und<br />

der Arbeitskollege mit seiner<br />

Arbeitskollegin bei Tisch<br />

gegenüber und führen angeregte<br />

Gespräche miteinander<br />

und missachten dabei<br />

alle religiösen Vorschriften,<br />

die es diesbezüglich gibt.<br />

Wenn man die Leute dann<br />

auf ihr falsches Verhalten<br />

anspricht, dann zucken<br />

diese nur mit den Schultern<br />

und sagen: „Das haben wir<br />

schon immer so gemacht!<br />

Was ist denn schon dabei?“<br />

Dieses falsche Verhalten<br />

wird von den Eltern an die<br />

Kinder, von Generation zu<br />

Generation, weitergegeben,<br />

bis es schließlich zum festen<br />

Bestandteil des Brauchtums<br />

einzelner Familien, ganzer<br />

Bevölkerungsgruppen oder<br />

kompletter Völkerschaften<br />

geworden ist. Es geht den<br />

Menschen so in Fleisch und<br />

Blut über, dass sie auch<br />

dann die Falschheit ihres<br />

Verhaltens nicht erkennen<br />

können oder wollen, wenn<br />

sie im Edlen Quran oder in<br />

den Überlieferungen des<br />

Gesandten Allahs s.a.w.s. lesen,<br />

dass ihr Verhalten „verboten“,<br />

„verwerflich“ oder<br />

„verflucht“ sei.<br />

So entsteht bei diesen<br />

Menschen mit der Zeit eine<br />

immer verzerrtere Wahrnehmung<br />

der Gebote ihrer<br />

Religion. Und weil ja fast<br />

alle Menschen in ihrer Umgebung<br />

dasselbe falsche<br />

Verhalten und dieselbe verzerrte<br />

Wahrnehmung an den<br />

Tag legen, können sie sich<br />

überhaupt nicht vorstellen,<br />

dass ihrem Verhalten etwas<br />

Verwerfliches oder Verbotenes<br />

anhaften könnte. Im<br />

Gegenteil reagieren sie<br />

empört, wenn man sie darauf<br />

hinweist und verteidigen<br />

ihr falsches Tun mit Zähnen<br />

und Klauen.<br />

Unsere Wahrnehmung<br />

hängt also weniger von der<br />

Schärfe unseres Verstandes,<br />

als vielmehr von der Reinheit<br />

unseres Herzens ab. Denn<br />

wir begreifen das wahre<br />

Wesen der Dinge mit unserem<br />

Herzen und nicht mit<br />

unserem Verstand. Das Herz<br />

ist der Sitz unseres Gewissens,<br />

nicht unser Verstand.<br />

Der Verstand lässt sich von<br />

unserem Nefs belügen, das<br />

reine Herz aber nicht!<br />

Wenn unser Herz wirklich<br />

rein wäre, dann würden<br />

darin sofort die Alarmglocken<br />

unseres Gewissens zu schrillen<br />

beginnen, sobald wir uns<br />

einer verbotenen oder verwerflichen<br />

Sache nur nähern.<br />

Da würden wir dann ein<br />

unangenehmes Gefühl in der<br />

Magengrube bekommen und<br />

unser Herz würde zu brennen<br />

beginnen und wir würden<br />

sofort merken, dass an der<br />

Art unseres Handelns irgendetwas<br />

nicht stimmen kann.<br />

Einem reinen Herzen kann<br />

man nichts vormachen!<br />

Dies rührt daher, dass der<br />

Erhabene Allah den reinen<br />

Herzen eingibt, was rich-<br />

14


tig und was falsch ist. Und<br />

andersherum ist es dann<br />

leider auch so, dass den<br />

verschmutzen Herzen der<br />

verfluchte Scheytan vorgaukelt,<br />

dass das Falsche richtig<br />

und das Richtige falsch<br />

ist. Dabei erhält dieser noch<br />

tatkräftige Unterstützung von<br />

dem ungeläuterten Nefs und<br />

so steht das Herz unter Dauerbeschuss<br />

dieser beiden<br />

Erzfeinde der Religion.<br />

So wird es verständlich,<br />

warum die verschmutzten<br />

Herzen auch dann nicht<br />

erkennen können, was richtig<br />

und was falsch ist, wenn sie<br />

dies in den religiösen Quellen<br />

lesen oder im Vortrag von<br />

einem religiösen Gelehrten<br />

erklärt bekommen. Und so<br />

wird verständlich, warum es<br />

so wichtig ist, das Herz zu<br />

reinigen und das Nefs zu<br />

läutern. Denn nur auf diesem<br />

Wege können wir irgendwann<br />

einmal eine so hohe spirituelle<br />

Rangstufe erlangen,<br />

dass wir das Richtige als<br />

richtig und das Falsche als<br />

falsch identifizieren und die<br />

göttlichen Gebote in ihrem<br />

eigentlichen Sinne wahrnehmen<br />

können.<br />

Diese Reinigung des<br />

Herzens ist aber für einen<br />

Menschen, der ganz auf<br />

sich alleine gestellt ist, sehr<br />

schwierig, denn er ist in<br />

seinem Alltag von Kräften<br />

umgeben, die ihm aus unterschiedlichen<br />

Beweggründen<br />

heraus Schaden zufügen<br />

möchten. Der Gesandte<br />

Allahs s.a.w.s. sagte dazu: „Der<br />

Gläubige ist fünf Drangsalen<br />

ausgesetzt: Ein Gläubiger,<br />

der ihn beneidet, ein Heuchler,<br />

der ihn hasst, ein Ungläubiger,<br />

der ihn bekämpft,<br />

eine Triebseele, die mit ihm<br />

streitet und einem Teufel, der<br />

ihn irreleitet!“<br />

(Suyuti: Dschami’ul Ehadith: „Harful Mim“; Nr.<br />

24411)<br />

So meint es also niemand<br />

in unserer Umgebung wirklich<br />

aufrichtig gut mit uns.<br />

Nicht einmal wir selbst – also<br />

unsere Nefs (Triebseelen)<br />

– meinen es gut mit uns.<br />

Wenn es uns zu gut geht<br />

oder wenn wir Fortschritte in<br />

der Religion machen, dann<br />

neidet dies uns der Muslim.<br />

Wenn wir unseren Glauben<br />

aufrichtig leben, dann hasst<br />

uns der Heuchler und der<br />

Ungläubige bekämpft uns.<br />

Wenn wir damit beginnen,<br />

die göttlichen Gebote richtig<br />

zu verstehen, dann stellt sich<br />

unser Nefs gegen uns und<br />

wenn wir den rechten Weg<br />

einschlagen, dann setzt der<br />

Scheytan alles daran, uns in<br />

die Irre zu leiten.<br />

Die einzigen aufrichtigen<br />

Freunde, die wir in dieser<br />

Welt haben, sind die Ewliya.<br />

Nur sie verfolgen keine eigenen<br />

Interessen und meinen<br />

es uneingeschränkt gut mit<br />

uns. Deshalb sollten wir den<br />

Erhabenen Allah inständig<br />

darum bitten, uns mit einem<br />

von ihnen zu verbinden und<br />

unsere Erziehung in seine<br />

Hände zu legen und wir<br />

sollten dem Erhabenen Allah<br />

dafür auf Knien danken,<br />

wenn wir einen von ihnen<br />

gefunden haben.<br />

Die Ewliya sind jene<br />

Erben des Gesandten<br />

Allahs s.a.w.s. , an die das Licht<br />

der Religion weitgereicht<br />

wurde. Sie wissen, wie sie<br />

uns zu vollkommenen Menschen<br />

mit einem reinen<br />

Herzen erziehen können,<br />

die die göttlichen Gebote<br />

in ihrem wirklichen Sinne<br />

wahrnehmen und befolgen.<br />

15


MATHNAWI Dschalal ad-Din Muhammed Rumi q.s. 16<br />

Der Dornbusch<br />

Es gab einmal einen groben Mann.<br />

Dieser vermochte seine Grobheit gut vor<br />

den Leuten zu verbergen und so ahnten die<br />

meisten von ihnen nichts von seiner Rohheit.<br />

Eines Tages aber pflanzte dieser Grobian<br />

aus heiterem Himmel einen Dornbusch<br />

genau in die Mitte jener Fernstraße, die an<br />

seinem Haus vorbeiführte. Und da wurde<br />

ihnen auf einen Schlag seine Grobschlächtigkeit<br />

schmerzhaft vor Augen geführt.<br />

Reisende wie Nachbarn machten ihm<br />

wegen dieses Ärgernisses oft Vorwürfe und<br />

forderten ihn dazu auf, das Ungetüm auszugraben.<br />

Er aber gab nichts auf ihre Worte<br />

und ließ den Dornbusch an seinem Platz.<br />

Und so wuchs dieser unaufhörlich weiter<br />

und begann irgendwann den gesamten<br />

Weg zu blockieren. Seine Dornen zerrissen<br />

den Leuten die Kleider und die Füße der<br />

Armen wurden arg mitgenommen.<br />

Irgendwann brachten die Leute des<br />

Dorfes die Sache vor den Bürgermeister.<br />

Dieser ging zu dem Grobian und sprach:<br />

„Grab ihn aus!“ Dieser antwortete ihm<br />

aber nur: „Ich werde ihn gewiss bald ausgraben!“<br />

Immer wieder versprach er dem<br />

Bürgermeister, den Busch am nächsten<br />

Tag auszugraben, aber es geschah nichts.<br />

Und so wurde der Dornbusch von Tag zu<br />

Tag kräftiger.<br />

Eines Tages sagte der Bürgermeister<br />

zu ihm: „O du Vater des falschen Versprechens!<br />

Komm endlich in dieser Sache<br />

voran, beweg dich nicht rückwärts!“ Der<br />

Grobian aber antwortete ihm: „O Onkel!<br />

Was bedrängst du mich denn so sehr? Wir<br />

haben doch alle Zeit der Welt!“<br />

Da sprach der Bürgermeister: „Beeil<br />

dich! Schieb die Begleichung deiner<br />

Schuld nicht noch weiter in die Zukunft!<br />

Hör endlich auf damit, etwas von „morgen“<br />

zu faseln! Sei dir dessen bewusst, dass<br />

deine Zeit mit jedem Tag weniger wird.<br />

Der schlechte Baum wird jünger, während<br />

der Gräber älter wird. Der Dornbusch wird<br />

stark und reckt sich in die Höhe, während<br />

der Gräber schwach wird und irgendwann<br />

darniederliegt. Der Dornbusch wird mit jedem<br />

Tag frischer, während sein Gräber mit<br />

jedem Tag verdorrter wird. Er wird jünger<br />

und du wirst älter! Sei also nicht säumig<br />

und verplempere nicht deine Zeit!“


Interpretation der Geschichte:<br />

Man fragt sich, warum denn ein Mann ohne<br />

Grund einen Dornbusch mitten auf einen Weg<br />

pflanzen sollte. Warum sollte er denn so boshaft<br />

sein und seinen Mitmenschen auf diese Weise<br />

das Leben schwer machen?<br />

Wer aber das Verhalten dieses Grobians ein<br />

bisschen genauer analysiert, der wird feststellen,<br />

dass in jedem von uns solch ein Grobian steckt.<br />

Jeder von uns ist manchmal ein Dornbuschpflanzer<br />

und pflanzt dann irgendwelche Dornbüsche<br />

auf irgendwelche Wege, ohne dabei das<br />

geringste Schuldbewusstsein zu empfinden.<br />

Denn der Dornbusch in unserer Geschichte<br />

steht für unsere schlechten Verhaltensweisen.<br />

Und derer hat bekanntlich jeder von uns viele.<br />

Wir haben uns diese im Laufe unseres Lebens<br />

nach und nach angewöhnt und so sind diese<br />

nun Teil unseres Wesens geworden und wuchern<br />

gemütlich im Garten unserer Untugenden dahin.<br />

Und wie dies bei schlechten Angewohnheiten<br />

so üblich ist, merken wir meist nicht einmal,<br />

dass wir uns diese überhaupt angewöhnt haben.<br />

Sie sind für uns das Normalste auf der Welt. Sie<br />

gehören einfach zu uns und wir finden nichts<br />

dabei, dass dies so ist. So gibt es beispielsweise<br />

Menschen, die sich irgendwann einmal angewöhnt<br />

haben, bei jeder Gelegenheit laut loszulachen. Andere<br />

starren schamlos jedem Weiberrock hinterher<br />

und wieder andere räuspern sich nach jedem Satz.<br />

An diesem Beispiel sieht man, dass es<br />

schlechte Angewohnheiten gibt, die religiös<br />

verboten (das Hinterherstarren), religiös verpönt<br />

(das laute Lachen) und religiös erlaubt (das<br />

Räuspern) sind.<br />

Aber ganz egal, wie all diese Angewohnheiten<br />

auch religiös eingestuft werden mögen,<br />

eines haben sie alle gemeinsam: Umso länger<br />

wir sie schon haben, umso schwerer kriegen wir<br />

sie wieder los. Dieser Umstand wird in unserer<br />

Geschichte durch das stetige Wachstum des<br />

Dornenbusches symbolisiert: Zu Anfang hätte<br />

man den Busch noch ganz leicht ausreißen können.<br />

Er hat noch keine Wurzeln geschlagen und<br />

lässt sich schön an seinem dünnen Stämmchen<br />

packen und mit einem beherzten Ruck herausreißen.<br />

Aber je größer er wird, desto dicker wird<br />

sein Stamm, desto verzweigter sind seine Äste<br />

und desto fester ist er in der Erde verwurzelt. Wer<br />

schon einmal versucht hat, solch einen festverwurzelten<br />

Baum aus dem Erdreich zu entfernen,<br />

der weiß, wie viel Mühe dies kostet….<br />

Noch dazu werden wir im Laufe unseres Lebens<br />

immer älter und schwächer. Keiner von uns<br />

wird jünger. Nicht umsonst heißt es ja: „Einen alten<br />

Baum verpflanzt man nicht!“ Dies soll heißen,<br />

dass man einen alten Menschen nicht mehr so<br />

leicht aus seinem gewohnten Umfeld herausreißen<br />

und seine alten Gewohnheiten nicht mehr so<br />

leicht verändern kann.<br />

Aber egal ob alt oder jung: Kein Mensch verändert<br />

sich gerne, denn Veränderungen gehen<br />

immer mit Bemühungen und Anstrengungen<br />

einher. Das gefällt unserem faulen Nefs (unserer<br />

Triebseele) überhaupt nicht. Dieses gewöhnt<br />

sich zwar mühelos schlechte Gewohnheiten an,<br />

hat aber große Mühe damit, diese wieder abzulegen.<br />

Diese Eigenschaft des Nefs spiegelt sich<br />

in der Aussage des Grobians wieder: „Morgen<br />

ist auch noch ein Tag!“<br />

Dem gegenüber steht unser Verstand. Dieser<br />

wird durch den Bürgermeister symbolisiert.<br />

Ein gesunder Menschverstand weiß, dass im<br />

Leben immer etwas dazwischen kommen kann<br />

und deshalb möchte er all seine Pflichten sofort<br />

erledigen und diese schnell hinter sich bringen.<br />

Er möchte reinen Tisch machen, erst dann kann<br />

er ruhig schlafen. Er sagt: „Was du heute kannst<br />

besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!“<br />

17


Viele von uns sitzen die meiste Zeit ihres<br />

Lebens zwischen zwei Stühlen. Sie sind zwischen<br />

der Herrschaft ihres Verstandes und der<br />

Herrschaft ihres Nefs hin- und hergerissen:<br />

Manchmal gewinnt ihr Verstand die Oberhand<br />

und dann bekommen sie ein schlechtes Gewissen<br />

und versuchen gewissenhaft ihren Pflichten<br />

nachzukommen. Meistens aber werden sie von<br />

ihrem Nefs dominiert und dann lassen sie die<br />

Zügel wieder locker und schaukeln genauso orientierungslos<br />

über die Wellen des Ozeans ihres<br />

Lebens, wie ein Stück Treibholz…<br />

Unser Nefs ist genusssüchtig. Es möchte<br />

sein kurzes Leben so weit als möglich genießen.<br />

Dabei hat es keine Lust, sich mit irgendwelchen<br />

lästigen Verpflichtungen aufzuhalten. Es versucht<br />

alle Verpflichtungen so weit als möglich in die<br />

Zukunft zu verschieben. Um seine Ziele zu erreichen,<br />

schreckt es auch nicht davor zurück, uns<br />

hemmungslos anzulügen. Dafür hat es extra die<br />

„Lebenslüge“ erfunden: Es gaukelt uns vor, dass<br />

wir noch genug Zeit in unserem Leben haben werden,<br />

um all unsere Pflichten zu erfüllen und ausreichend<br />

für das Jenseits vorzusorgen. Es schafft es<br />

tatsächlich, unseren inneren Bürgermeister immer<br />

wieder ins Abseits zu stellen und uns auch noch<br />

im hohen Alter glauben zu machen, dass unser<br />

Tod noch in sehr weiter Ferne liegt…<br />

Wir dürfen uns also von unserem trickreichen<br />

Nefs nicht an der Nase herumführen lassen,<br />

sonst wird es einst kein gutes Ende mit uns<br />

nehmen. Um gegen unser Nefs vorzugehen und<br />

den Bürgermeister in uns zu stärken, sollten wir<br />

so früh als möglich damit anfangen, unser Nefs<br />

zu erziehen. Dabei sollten wir uns angewöhnen,<br />

uns selbst zu beobachten. Sobald wir dann eine<br />

schlechte Angewohnheit an uns entdeckt haben,<br />

sollten wir solange konsequent dagegen vorgehen,<br />

bis wir diese mit Stumpf und Stiel ausgerissen<br />

haben.<br />

Eine gute Methode ist es dabei auch, die anderen<br />

Menschen zu beobachten. Wenn man an<br />

ihnen schlechte Eigenschaften entdeckt, dann<br />

sollte man sich nicht darüber empören, sondern<br />

man sollte sich stattdessen überlegen, ob diese<br />

schlechten Eigenschaften nicht auch bei einem<br />

selbst vorzufinden sind. Denn schließlich ist der<br />

Muslim der Spiegel des Muslims…<br />

Da wir dazu verpflichtet sind, bei der Ausmerzung<br />

unserer schlechten Angewohnheiten<br />

und Eigenschaften jegliche Hilfe in Anspruch<br />

zu nehmen, die wir kriegen können, sollten wir<br />

uns außerdem an eine Person wenden, die uns<br />

dabei behilflich sein kann, unseren Charakter<br />

zu verbessern. Solche Personen nennt man<br />

Murschid (spiritueller Wegweiser). Diese Personen<br />

kennen die Krankheiten des Nefs und wissen,<br />

mit welchen Heilmitteln man gegen diese<br />

vorgehen muss.<br />

Am besten wäre es natürlich, wenn wir in<br />

unserem Leben erst gar keine Dornenbüsche<br />

pflanzen würden. Deshalb sollten wir den Bürgermeister<br />

in uns bereits in jungen Jahren<br />

stärken und uns darum bemühen, dass unser<br />

Verstand die uneingeschränkte Herrschaft über<br />

unser Handeln erlangt. Leider ist dieser Zug<br />

für viele von uns schon längst abgefahren. Wir<br />

können uns nur noch auf Schadensbegrenzung<br />

konzentrieren und sind ohne die Hilfe des Murschids<br />

verloren.<br />

Wir sollten uns aber darum bemühen, dass<br />

wir bei der Erziehung unserer Kinder nicht dieselben<br />

Fehler wie unsere Eltern machen. Wenn wir<br />

unsere Kinder gut erziehen und verhindern, dass<br />

sie sich schlechte Dinge angewöhnen, dann ermöglichen<br />

wir ihnen einen guten Start ins Leben.<br />

Wenn wir dann außerdem dafür sorgen, dass<br />

sie sich frühzeitig einem Murschid anschließen,<br />

dann werden unsere Kinder keine Dornenbüsche<br />

pflanzen sondern fruchttragende Obstbäume<br />

und duftende Rosenstöcke. Davon werden<br />

auch wir einst in unseren Gräbern profitieren<br />

dürfen, wenn uns alle anderen Möglichkeiten<br />

des guten Handelns genommen worden sind.<br />

18


RELIGION & LEBEN<br />

Ali İhsan Weiger<br />

Die<br />

Grabbestrafung<br />

19


Nachdem der Mensch in sein Grab gelegt und dort befragt<br />

wurde, beginnt sein Leben nach dem Tod. Die erste<br />

Etappe dieses Lebens nach dem Tod ist das Leben im<br />

Grab. Dieses Grableben dauert solange, bis der Tag der Auferstehung<br />

hereinbricht. Danach beginnt das ewige Leben im<br />

Jenseits. Da der Grabaufenthalt des Menschen also lediglich<br />

eine Zwischenetappe zwischen seinem diesseitigen und seinem<br />

jenseitigen Leben ist, bezeichnet man diesen Zeitabschnitt auch<br />

als „Berzakh“(Zwischenwelt).<br />

Je nachdem, in welchem Zustand ein Mensch verstorben ist,<br />

ist dieses Bersakh für ihn ein Vorgeschmack auf das Paradies<br />

oder ein Vorgeschmack auf die Hölle. Der Gesandte Allahs s.a.w.s.<br />

sagte dazu:<br />

„Wahrlich ist das Grab entweder ein Garten der Paradiesgärten<br />

oder eine Grube der Höllengruben!“<br />

(Tirmidhi: Sunen: Sifatul Qiyameh: 26: „Lew ekthertum Dhikra…“; Nr. 2648)<br />

So gibt es also zwei Arten von Grabbewohnern: Jene, die in<br />

ihren Gräbern bestraft werden und jene, die in ihren Gräbern<br />

belohnt werden. Die erste Gruppe setzt sich aus den Ungläubigen,<br />

den Heuchlern und den sündhaften Muslimen zusammen<br />

und die zweite Gruppe aus jenen Gläubigen, die ihre Sünden<br />

bereut haben und somit sündlos verstorben sind. Ebu Hurayrah<br />

r.a. überliefert dazu, dass der Gesandte Allahs s.a.w.s. zu seinen<br />

Gefährten r.a. Folgendes sagte:<br />

„Wahrlich befindet sich der Gläubige in seinem Grab in einem<br />

paradiesischen Garten und sein Grab wird ihm auf (eine Größe)<br />

von 70 Ellen ausgedehnt und es leuchtet so (hell), wie der Mond<br />

in einer Vollmondnacht! Wisst ihr denn, wofür (folgender) Quranvers<br />

entsandt wurde:<br />

„Und dann wird er ein Leben in Bedrängnis führen und am<br />

Tage der Auferstehung, (an dem) Wir (die Menschen bei<br />

Uns) versammeln, wird er blind sein!“<br />

(20. Sure: Taha, Vers 124)<br />

20


Wisst ihr denn, was dieses Leben in Bedrängnis<br />

ist?“<br />

Da erwiderten sie ihm: „Allah und Sein Gesandter<br />

wissen es besser!“<br />

Da sprach er: „(Dies ist) die Bestrafung des<br />

Ungläubigen in seinem Grab! Bei Dem, in Dessen<br />

Gewalt sich mein Leben befindet! Gewiss<br />

werden auf ihn 99 Seeungeheuer losgelassen!<br />

Wisst ihr denn, wie diese Seeungeheuer beschaffen<br />

sind? Sie bestehen aus 70 Schlangen<br />

und jede dieser Schlangen hat sieben Köpfe.<br />

Sie werden ihn bis zum Tage der Auferstehung<br />

zerbeißen und zerfleischen!“<br />

(Ibn Hiban: Sahih: El-Dschena’iz: „El-Meridu we ma yete’aleqa bihi“; Nr. 3122)<br />

Aus dieser Hadith geht hervor, dass es im<br />

Berzakh zwei Extreme gibt: Den sündlosen<br />

Muslimen werden ihre Gräber geweitet und<br />

die Ungläubigen und Heuchler werden in ihren<br />

Gräbern hart bestraft. Zwischen diesen beiden<br />

Extremen befinden sich die sündhaften Muslime.<br />

Auch sie werden in ihren Gräbern bestraft,<br />

aber zwischen ihrer Bestrafung und der Bestrafung<br />

der Ungläubigen und Heuchler gibt<br />

es einen wesentlichen Unterschied. Denn die<br />

Grabbestrafung der Ungläubigen und Heuchler<br />

ist erstens härter, als die der sündhaften<br />

Muslime und dauert zweitens bis zum Tage<br />

der Auferstehung unvermindert fort. Die Grabbestrafung<br />

der sündhaften Muslime dauert<br />

hingegen nur solange, bis diese ihre Sünden<br />

abgebüßt haben. So ist diese für sie ein Ersatz<br />

für ihre versäumte Tewbeh (Reue) im Diesseits<br />

und eine Keffareh (Abbuße) für ihre Fehler und<br />

Sünden. Sie endet, sobald sie ihre Sünden<br />

abgebüßt haben oder ihnen der Erhabene<br />

Allah aus Seiner unendlichen Barmherzigkeit<br />

heraus schon früher verzeiht. So ist es also<br />

keine Seltenheit, dass die Grabbestrafung der<br />

sündhaften Muslime schon vor dem Tage der<br />

Auferstehung endet. Sobald diese ihre Sünden<br />

abgebüßt haben oder ihnen der Erhabene<br />

Allah schon vorher verziehen hat, zählen<br />

sie zu der Gruppe der sündlosen Muslime und<br />

werden genauso behandelt, wie diese.<br />

Auch wir lebenden Muslime können<br />

etwas dafür tun, dass unseren Glaubensbrüdern<br />

und -schwestern die Bestrafung in<br />

ihren Gräbern erleichtert bzw. verkürzt wird.<br />

Denn wenn wir beispielsweise Du‘as (Bittgebete)<br />

für die Verstorbenen sprechen, den<br />

Erhabenen Allah darum bitten, dass Dieser<br />

ihnen verzeihen möge oder ihnen den Lohn<br />

für jene Almosen schenken, die wir an die<br />

Menschen verteilen, dann profitieren diese<br />

davon ungemein.<br />

So lässt der Erhabene Allah die Muslime im<br />

Edlen Quran folgendes Du‘a um Vergebung<br />

für sich und die verstorbenen Muslime sprechen:<br />

„Unser Herr! Vergib uns und<br />

unseren Brüdern, die uns im Glauben<br />

vorangegangen sind!“<br />

(59. Sure: El-Haschr, Vers 10)<br />

Und der Gesandte Allahs s.a.w.s. sagte:<br />

„Am Tage der Auferstehung kommt ein<br />

Mann mit einem ganzen Berg guter Taten. Da<br />

fragt er: „Woher kommt dies?“ Da antwortet<br />

man ihm: „Von den Bitten deines Kindes, das<br />

um Verzeihung für dich bat!“<br />

(Heythemi: Medschm’u Zewa’id: Et-Tewbeh: „Istighfarul Weledi li Walidihi“; Nr.<br />

17596)<br />

Bezüglich der Du‘a der Lebendigen für die<br />

Verstorbenen sagte der Gesandte Allahs s.a.w.s. :<br />

„Wahrlich erhöhte der Erhabene Allah<br />

die Rangstufe eines (verstorbenen frommen)<br />

Mannes (im Paradies). Da fragte<br />

dieser: „O mein Herr! Woher kommt dies?“<br />

Da antwortet Dieser: „Von den Bittgebeten<br />

deines Kindes!“<br />

(Heythemi: Medschm’u Zewa’id: Ed-Du’a: „Du’a’ul Weledi li Walidihi“; Nr.<br />

17240)<br />

Und Sufyan eth-Thewri rah. , der einer der<br />

herausragenden Gelehrten unter den Tabi’in<br />

war, sagte:<br />

21


„Die Verstorbenen haben dasselbe<br />

Bedürfnis nach den Bittgebebeten der<br />

Lebenden, wie (die Lebenden) nach Essen<br />

und Trinken!“<br />

Und über das Almosen für die verstorbenen<br />

Muslime sagte der Gesandte Allahs s.a.w.s.<br />

unter anderem Folgendes:<br />

„Wahrlich lässt das Almosen die Hitze des<br />

Grabes erkalten!“<br />

(Taberani: Mudschem’ul Kebir: El-Ayn: „Uqbetu Bin Amir“; Nr. 787)<br />

Aber die Lebenden können noch viel mehr<br />

tun, um den Verstorbenen ihren Grabaufenthalt<br />

zu erleichtern und zu verschönern. Denn<br />

solange die Grabbewohner mit Schulden belastet<br />

sind, werden ihnen die Pforten des Paradieses<br />

nicht geöffnet und sie können nicht die<br />

Freuden des Grablebens genießen. Daher<br />

sollten wir unbedingt darauf achten, dass<br />

unsere Verstorbenen schuldenfrei aus diesem<br />

Leben scheiden. Der Gesandte Allahs s.a.w.s.<br />

sagte dazu:<br />

„Die Seele des Gläubigen ist solange mit<br />

seinen Schulden verbunden, bis diese für ihn<br />

bezahlt werden!“<br />

(Hakim: Mustedrak: „El-Buyu‘“; Nr. 2219)<br />

Und nachdem der Gesandte Allahs s.a.w.s. eines<br />

Morgens das Salah/Namaz beendet hatte, rief er<br />

in die Menge der versammelten Gläubigen:<br />

„Ist hier jemand von (dem Stamm) der<br />

Söhne Soundso?“<br />

Nachdem er dies dreimal gerufen und ihm<br />

keiner geantwortet hatte, sprach er:<br />

„Wahrlich bleibt ein Mann, der (kürzlich)<br />

unter euch verstorben ist, wegen der Schulden,<br />

die auf ihm lasten, vom Paradies ausgesperrt!<br />

Wenn es euch gefällt, dann kauft ihn frei<br />

und wenn es euch gefällt, dann liefert ihn der<br />

Bestrafung Allahs aus!“<br />

(Hakim: Mustedrak: „El-Buyu‘“; Nr. 2214)<br />

Aus vielen prophetischen Überlieferungen<br />

geht hervor, dass hierbei nicht nur Schulden<br />

finanzieller- sondern genauso auch Schulden<br />

religiöser Art gemeint sind. Denn der<br />

Gesandte Allahs s.a.w.s. empfahl den Muslimen,<br />

nicht nur die materiellen Schulden ihrer Verstorbenen<br />

zu bezahlen, sondern auch deren<br />

fehlenden Fastentage und versäumten Pilgerfahrten<br />

für sie nachzuholen. So kam eines<br />

Tages eine Frau, deren Mutter vor Kurzem verstorben<br />

war, zum Gesandten Allahs s.a.w.s. und<br />

sprach: „O Gesandter Allahs s.a.w.s. ! Wahrlich<br />

lastet auf ihr noch das Fasten eines ganzen<br />

Monats. Soll ich für sie fasten?“<br />

Er antwortete: „Faste für sie!“<br />

Die Frau (fuhr fort und) sagte: „Sie hat auch<br />

nie die Pilgerfahrt vollzogen! Soll ich für sie auf<br />

Pilgerfahrt gehen?“<br />

Er antwortete: „Geh für sie auf Pilgerfahrt!“<br />

(Muslim: Es-Siyam: „Qada’u Siyam anil Meyt“; Nr. 2753)<br />

Im Übrigen können wir während unseres<br />

Lebens auch selbst dafür sorgen, dass<br />

wir nach unserem Tode vor der Bestrafung<br />

im Grabe geschützt sind und fortlaufend<br />

Geschenke in unserem Grab erhalten. Das<br />

Wichtigste dabei ist natürlich die Verrichtung<br />

unserer religiösen Pflichten und die Einhaltung<br />

der Ge- und Verbote des Erhabenen Allah.<br />

Außerdem sollten wir den Erhabenen Allah<br />

so oft als möglich um die Vergebung unserer<br />

Sünden bitten. So empfahl der Gesandte<br />

Allahs s.a.w.s. einem Mann, der ihn um einen<br />

guten Rat gebeten hatte, Folgendes:<br />

„Wenn du den Erhabenen Allah jeden Tag<br />

70 Mal um Verzeihung bittest, bevor die Sonne<br />

untergeht, dann werden dir deine Sünden von<br />

70 Jahren vergeben werden!“<br />

(Heythemi: Medschme’u Zewa’id: Band 11, S. 89; Nr. 17588)<br />

Der Gesandte Allahs s.a.w.s. warnte uns<br />

außerdem vor drei Dingen, die am Häufigsten<br />

dazu führen, dass die Muslime im Grab<br />

bestraft werden:<br />

22


„Wahrlich kommt die Grabbestrafung von<br />

Dreien: Von der Ghibeh (Nachrede), der Nemimeh<br />

(Verleumdung) und dem Urin!“<br />

(Suyuti: Dschami’ul Ehadith: „Musned Ebi Hurayrah“; Nr. 42282)<br />

So sollten wir also unbedingt darauf achten,<br />

nicht hinter anderen Menschen hinterherzureden<br />

und diese nicht zu verleumden. Der<br />

beste Schutz vor diesen beiden Sünden ist es,<br />

sich nicht mit den Angelegenheiten anderer zu<br />

beschäftigen und diesen nicht hinterherzuspionieren,<br />

sondern sich stattdessen ausschließlich<br />

um seinen eigenen Kram zu kümmern.<br />

Vor dem Urin müssen sich nur die Männer<br />

schützen. Sie müssen darauf achten, dass sie<br />

nach dem Urinieren den sogenannten „Istibra“<br />

(Befreiung) durchführen und kein Urin mehr<br />

aus ihrem Harnleiter nach außen dringt, nachdem<br />

sie ihr Wudu/Abdest (rituelle Gebetswaschung)<br />

durchgeführt haben.<br />

Außerdem sollten wir darauf achten, dass<br />

wir während unseres Lebens unser Vermögen<br />

gewinnbringend anlegen und unser religiöses<br />

Wissen vermehren und an die nachfolgenden<br />

Generationen weitergeben. Der Gesandte<br />

Allahs s.a.w.s. sagte dazu:<br />

„Wenn ein Mensch stirbt, dann enden alle<br />

seine Taten, außer Dreien: „Das Almosen,<br />

das (nach seinem Tode) weiterfließt, das<br />

Wissen, aus dem (andere) einen Nutzen<br />

ziehen und das fromme Kind, das für ihn<br />

Bittgebete spricht!“<br />

(Tirmidhi: Sunen: El-Ehkam: 36: „Fil Waqf“; Nr. 1432)<br />

Ein Almosen fließt weiter, wenn es in eine<br />

Sache investiert wird, die auch nach dem<br />

Tode des Muslims den Menschen noch<br />

Nutzen bringt. Wenn wir beispielsweise Geld<br />

für den Bau von Moscheen oder islamischen<br />

Lehranstalten, Krankenhäusern oder Sterbehospizen,<br />

Herbergen oder Brunnen zur<br />

Verfügen stellen, dann haben die Menschen<br />

über unseren Tod hinaus einen Nutzen von<br />

unserem Almosen und der Lohn dafür fließt<br />

uns in Form der Nahrung der Verstorbenen –<br />

also Licht, Grabesweite und Duft – in unserem<br />

Grab zu. Wenn wir ein Exemplar des Edlen<br />

Quran weitervererben, dann ist dies genauso<br />

ein fließendes Almosen, wie wenn wir jemandem<br />

das Quranlesen beibringen oder ihm<br />

Religionsunterricht erteilen. Ja selbst wenn<br />

wir einen Baum pflanzen und von dessen<br />

Früchten dann die Vögel und Insekten essen,<br />

ist dies ein fließendes Almosen, das uns in<br />

unserem Grab Nutzen bringen wird.<br />

Das beste fließende Almosen ist es allerdings,<br />

wenn wir unsere Kinder im Islam<br />

erziehen und ihnen den Islam so beibringen,<br />

wie er ist. Dazu gehört der Quranunterricht<br />

genauso, wie die Vermittlung der Sunneh des<br />

Gesandten Allahs s.a.w.s. und der islamischen<br />

Anstandsregeln, der Liebe zu ihm und seinen<br />

Gefährten r.a. und die Barmherzigkeit im Umgang<br />

mit anderen. Jedes Mal, wenn unsere<br />

Kinder jenes Wissen, das wir ihnen vermittelt<br />

haben anwenden oder an die nachfolgende<br />

Generation weitergeben, werden wir in unserem<br />

Grab einen Nutzen davon haben.<br />

Außerdem sollten wir jeden Tag in der Zeit<br />

nach dem Nacht-Salah/Namaz die Sure El-<br />

Mulk rezitieren, denn diese wurde schon in der<br />

Zeit des Gesandten Allahs s.a.w.s. „El-Mani’ah“,<br />

also die Vorbeugend, die Schützende, genannt,<br />

weil sie ihre Rezitatoren davor schützt,<br />

im Grab bestraft zu werden. Der Gesandte<br />

Allahs s.a.w.s. sagte dazu:<br />

„Die Sure El-Mulk verhindert die Bestrafung<br />

im Grabe!“<br />

(Beyhaqi: Sunenul Sughra: Fada’ilul Quran: „Takhsisu Suratil Mulk“; Nr. 985)<br />

Und es wird überliefert, dass Ibn Abbas r.a.<br />

zu einem Mann Folgendes sagte:<br />

„Soll ich dir nicht eine neue Sache beibringen,<br />

die dir viel Freude bereiten wird?“<br />

23


Da antworte der Mann: „Doch!“ Da sagte er:<br />

„Rezitiere die Sure El-Mulk und bring sie deiner<br />

Familie und all deinen Kindern und Enkelkindern<br />

und Nachbarn bei! Denn wahrlich ist sie<br />

(deine) Rettung und ein Streiter (für dich). Sie<br />

streitet am Tage des Gerichts bei ihrem Herrn<br />

für ihren Rezitator und sie sorgt dafür, dass er<br />

nicht im Feuer bestraft wird und sie rettet ihn<br />

vor der Bestrafung im Grabe!“<br />

Fazit:<br />

Der Glaube an die Grabbestrafung ist für<br />

alle Muslime wadschib (verpflichtend). Denn<br />

in einer Sahih-Hadith sagte der Gesandte<br />

Allahs s.a.w.s. Folgendes:<br />

„Die Grabbestrafung ist eine Realität!“<br />

(Bukhari: El-Dschena’iz: 86: „Ma dscha’e fi Adhabil Qabr“; Nr. 1372)<br />

Deshalb sollten wir uns in unserem Leben<br />

gut auf das Jenseits vorbereiten und dafür<br />

sorgen, dass wir uns an die Ge- und Verbote<br />

des Erhabenen Allah halten und häufig unsere<br />

Sünden bereuen. Die Aqideh-Gelehrten<br />

führen außerdem an, dass es wadschib<br />

(verpflichtend) für die Muslime ist, häufig<br />

ihre Zuflucht beim Erhabenen Allah vor der<br />

Bestrafung im Grabe zu suchen. Ebu Hurayrah<br />

r.a. überliefert dazu folgendes Du‘a (Bittgebet)<br />

des Propheten s.a.w.s. :<br />

„O Allah! Ich suche meine Zuflucht bei Dir<br />

vor der Bestrafung im Grabe und vor der Bestrafung<br />

im Feuer und vor der Fitneh (Heimsuchung)<br />

des Lebens und des Todes und vor der<br />

Fitneh (Zwietracht) des Mesih ed-Dedschal!“<br />

(Bukhari: El-Dschena’iz: 87: „Et-Te’awwudh min Adhabil Qabr“; Nr. 1377)<br />

Niemand kann der Bestrafung im Grabe<br />

entkommen, wenn der Erhabene Allah diese<br />

für ihn vorgesehen hat. Auch dann nicht, wenn<br />

er verbrannt und seine Asche in alle Winde<br />

verstreut oder er von wilden Tieren gefressen<br />

und von diesen verdaut wurde. Bei dieser<br />

Bestrafung werden Körper und Seele des<br />

Verstorbenen gleichermaßen bestraft.<br />

Die Geschenke der Lebenden können<br />

aber die Bestrafung der Verstorbenen vermindern<br />

oder verkürzen oder gar komplett<br />

zum Stillstand bringen. Muslime, die nicht<br />

im Grab befragt werden (wie beispielsweise<br />

Kinder, Märtyrer, geistig eingeschränkte Personen<br />

oder Muslime, die an einem Freitag<br />

verstorben sind), werden ebenfalls nicht im<br />

Grab bestraft.<br />

Das Schlusswort wollen wir dem großen Gelehrten<br />

Ebu Leyth es-Semerqandi rah. überlassen:<br />

„Es ist wadschib (verpflichtend) für jeden<br />

Gläubigen, seine Zuflucht beim Erhabenen<br />

Allah vor der Bestrafung im Grabe zu suchen<br />

und sich auf den Aufenthalt im Grab durch<br />

die Verrichtung frommer Taten vorzubereiten,<br />

bevor er in sein Grab gelegt wird. Solange er<br />

sich in dieser Welt befindet, erleichtert ihm dies<br />

seine irdischen Angelegenheiten.<br />

Wenn er erst einmal in sein Grab gelegt<br />

wurde, dann ist alles zu spät. Da wünscht er<br />

sich dann, dass man ihm erlauben würde, nur<br />

eine einzige gute Tat begehen zu dürfen, (die<br />

ihm seinen Grabaufenthalt erleichtert,) aber<br />

man erlaubt ihm dies nicht und dann bleibt<br />

er traurig und reumütig zurück. So geziemt<br />

es sich für den Verständigen, über die Angelegenheiten<br />

des Todes nachzudenken.<br />

Denn die Toten wären froh darum, wenn man<br />

ihnen erlaubte, zwei Rek’ah zu beten, nur ein<br />

einziges Mal „La Ilahe illAllah, Muhammed<br />

er-Rasulullah“ zu sagen oder nur ein einziges<br />

Tesbihat zu sprechen. Doch dies erlaubt man<br />

ihnen nicht und da wundern sie sich dann<br />

sehr über die Lebenden, dass diese ihre Tage<br />

in Unachtsamkeit und Untätigkeit ungenutzt<br />

verstreichen lassen und nicht für die Zeit nach<br />

ihrem Tode Vorsorge treffen, solange sie dies<br />

noch können!“<br />

24


GLAUBE<br />

nach Imam Tahawiyy rah<br />

Die Erklärung der islamischen Glaubensgrundsätze<br />

Der Erhabene Allah ist der bedürfnislose<br />

Schöpfer, Der (Seinen Geschöpfen) ohne Mühe<br />

den Lebensunterhalt gewährt<br />

Der Erhabene Allah ist „El-Ghaniyy“, der<br />

Reiche, der Unabhängige, der Bedürfnislose.<br />

Er ist vollkommen unabhängig von Seiner<br />

Schöpfung und Seinen Geschöpfen und<br />

hat keinen Bedarf nach diesen. Die gesamte<br />

Schöpfung ist vom Erhabenen Allah abhängig,<br />

Er aber ist auf nichts und niemanden in<br />

den Himmeln und auf Erden angewiesen.<br />

Im Edlen Quran heißt es dazu:<br />

„Seht! Allah hat keinen Bedarf nach den<br />

Welten!“<br />

(3. Sure: Alu Imran, Vers 97)<br />

Der Erhabene Allah ist weder auf den<br />

Dank Seiner Geschöpfe für jene Wohltaten<br />

angewiesen, die Er ihnen gewährt, noch ist<br />

Er darauf angewiesen, ob Seine Geschöpfe<br />

an Ihn glauben oder nicht. Im Edlen Quran<br />

heißt es wiederum dazu:<br />

„Allah ist auf ihren Glauben nicht<br />

angewiesen, Er ist Bedürfnislos und<br />

Preiswürdig!“<br />

(64. Sure: El-Teghabun, Vers 6)<br />

Diese Bedürfnislosigkeit des Erhabene<br />

Allah erstreckt sich sowohl auf Sein Wesen<br />

als auch auf Seine Eigenschaften. Seine gesamte<br />

Existenz und die Gesamtheit Seiner<br />

Eigenschaften sind vollkommen unabhängig<br />

von Seinen Geschöpfen und von erschaffenen<br />

Dingen. So ist Er in Seinem Tun und<br />

Seinem Unterlassen vollkommen unabhängig<br />

und Er benötigt keinerlei Hilfsmittel, um<br />

Seinen Willen zu vollstrecken.<br />

Alle Geschöpfe und die gesamte Schöpfung<br />

sind hingegen vollkommen von „El-<br />

Mughni“ abhängig. Denn El-Mughni ist „der<br />

Zufriedenstellende, der Reichmachende,<br />

der Bereichernde“. Er ist der Ursprung<br />

25


Lebensdaten von Imam Tahawiyy<br />

Der Ägypter Imam Tahawiyy (239 – 321 n. d.<br />

H.) war ein allseits anerkannter Experte der hanefitischen<br />

Rechtsschule und in der Überlieferung<br />

von Hadithen. Er erlernte sein Wissen bei<br />

etwa 300 islamischen Gelehrten und veröffentlichte<br />

zahlreiche religiöse Fachbücher.<br />

allen Besitzes und allen Reichtums. Mag<br />

ein Mensch auch noch so reich sein, so<br />

hängt sein Besitz doch von El-Mughni ab<br />

und wenn Dieser es will, dann nimmt Er ihm<br />

seinen Besitz wieder wann Er will und wie Er<br />

will.<br />

In seiner Eigenschaft als „El-Khaliq“ (der<br />

Erschaffer, der Schöpfer) hat der Erhabene<br />

Allah die Himmel und die Erde erschaffen<br />

und alles was sich in diesen befindet. Er<br />

stattet alle Dinge mit den ihnen eigenen<br />

Fähigkeiten aus und Er bestimmt darüber,<br />

welche Materialien in welcher Menge und<br />

in welchem Mischungsverhältnis bei ihrer<br />

Erschaffung zum Einsatz kommen. All diese<br />

Dinge erschafft Er ohne jegliche Mühe und<br />

Anstrengung. Er muss dafür keine aufwendigen<br />

Planungsaufgaben vollbringen und<br />

keine Arbeit verrichten. Er spricht<br />

„Sei! und es ist.“<br />

(16. Sure: En-Nahl, Vers 40)<br />

Genauso mühelos stattet Er seine Geschöpfe<br />

denn auch mit ihrem Lebensunterhalt<br />

aus. Dies tut Er in Seiner Eigenschaft<br />

„Er-Razzaq“, der Ernährer, der Versorger,<br />

der Verpfleger. Dabei versorgt Er-Razzaq<br />

die Menschen nicht nur mit Lebensmitteln,<br />

Wasser, Atemluft, Kleidung und Wärme und<br />

allen anderen Dingen, die sie zum Leben<br />

brauchen, sondern auch mit Wissen, Glauben,<br />

Mitgefühl, Erkenntnis und Liebe. So ist<br />

Er also der Versorger der Körper und der<br />

Herzen gleichermaßen.<br />

So ist der Erhabene Allah der bedürfnislose<br />

Schöpfer, der von seinen Geschöpfen<br />

vollkommen unabhängig ist und Der die<br />

Bedürfnisse Seiner Geschöpfe deckt, die allesamt<br />

vollkommen von Ihm abhängig sind.<br />

26


WISSEN<br />

Lexikon<br />

Islamlexikon:<br />

Die Fachbegriffe des Monats<br />

- Die Aqiqah<br />

Die eigentliche Bedeutung des Begriffes „Aqiqah“ ist:<br />

„Haar des Neugeborenen, bevor dieses zum ersten Mal abgeschnitten<br />

wird“. Hiervon leitet sich dann die heute gängige<br />

Bedeutung von Aqiqah ab, nämlich: „Schlachtopfer, das zum<br />

Segen eines Neugeborenen dargebracht wird“.<br />

Der Zusammenhang zwischen diesen beiden<br />

Bedeutungen des Begriffs Aqiqah besteht darin, dass<br />

es die Sunneh des Propheten Muhammed s.a.w.s. ist, am<br />

siebten Tage nach der Geburt eines Kindes dessen Haar<br />

zu schneiden und ein Schlachtopfer darzubringen. Die<br />

Gelehrten raten aber dazu, das Schlachtopfer für ein<br />

Neugeborenes besser nicht Aqiqah zu nennen, sondern<br />

„Nesikeh“ oder „Dhebihah“, denn der Gesandte<br />

Allahs s.a.w.s. sagte zu einem Mann, der zur Aqiqah befragte:<br />

„Allah liebt nicht die Uquq!“<br />

(Beyhaqi: Sunenul Kubra: Band 9, S. 300)<br />

Dies ist aber nur eine Frage der Benennung, denn die<br />

Wortwurzel des Begriffes Aqiqah ist „aqqa“ und dies bedeutet<br />

unter anderem auch „ungehorsam, aufmüpfig sein“ und<br />

deshalb sagte der Gesandte Allahs s.a.w.s. in derselben Hadith:<br />

„Wem ein Kind geboren wird, dem steht es gut zu Gesicht zu<br />

opfern („neseke“), also opfert!“<br />

Am besten ist es, wenn man für ein neugeborenes<br />

Mädchen ein Schaf und für einen neugeborenen Jungen zwei<br />

Schafe opfert. Denn der Gesandte s.a.w.s. sagte: „(Die Aqiqah) für<br />

einen Jungen ist zwei Schafe und für ein Mädchen ein Schaf!“<br />

(Hakim: Mustedrak: „Edh-Dheba’ih“; Nr. 7591)<br />

Beim Zerlegen des Tieres sollte man darauf achten, dass<br />

man keine Knochen zerbricht, wenn dies aber trotzdem passiert,<br />

ist es auch nicht schlimm.<br />

Wenn man für einen Jungen aber genauso nur ein Schaf<br />

schlachtet, wie für ein Mädchen, dann ist dies auch erlaubt. So<br />

schlachtete der Gesandte Allahs s.a.w.s. für seine beiden Enkelkinder<br />

Hasan r.a. und Huseyn r.a. ebenfalls jeweils nur ein Schaf.<br />

Auch in der vorislamischen Zeit wurden schon<br />

Schlachtopfer für Neugeborene dargebracht, dort<br />

schlachtete man allerdings nur für neugeborene Jungen<br />

ein Schaf, nicht aber für die Mädchen.<br />

Es ist Sunneh, für sich selbst ein Aqiqah-Opfer darzubringen,<br />

nachdem man seine Geschlechtsreife erlangt hat, wenn<br />

dies die Eltern nicht schon für einen nach der Geburt getan<br />

haben. Denn die Aqiqah hat unter anderem auch die Funktion<br />

eines Lösegeldes: Man kauft sich mit ihr von der Bestrafung<br />

27


im Höllenfeuer frei und hofft, dass einem der Erhabene Allah<br />

deshalb auf den rechten Weg leitet und als einen der Paradiesbewohner<br />

handeln und versterben lässt.<br />

Es ist ebenfalls Sunneh, am siebten Tag nach der Geburt<br />

des Kindes dessen Haar zu scheren, dieses zu wiegen und<br />

das Gewicht des Haares in Silber als Almosen zu geben. Es<br />

ist zwar am besten, dies am siebten Tage seiner Geburt zu tun,<br />

man kann dies aber auch früher oder später machen.<br />

- Die Awrah<br />

(nach der hanefitischen Rechtsschule)<br />

Der Begriff „Awrah“ beschreibt ursprünglich alle Dinge, für<br />

die man sich schämt. Daraus entstand dann die Bedeutung:<br />

„Fehlerhaftigkeit, Mangel, Blöße; Schambereich, Schamteil“.<br />

Im Islamischen Recht meint man mit Awrah zumeist den<br />

Schambereich des Menschen, also all jene Körperteile, die<br />

von ihrem Besitzer nicht offen gezeigt und von anderen nicht<br />

betrachtet werden dürfen. Dabei unterscheiden die Gelehrten<br />

nochmals zwischen drei Arten der Awrah:<br />

Die Awrah des Mannes erstreckt sich von unterhalb<br />

seines Bauchnabels bis zum unteren Ende seiner Knie.<br />

Nur seine Ehefrau darf diesen Bereich seines Körpers<br />

betrachten, allen anderen Personen ist dies verboten.<br />

Die Awrah der Frau gegenüber fremden Männern – und<br />

nach der vorgezogenen Meinung der Gelehrten auch gegenüber<br />

nichtmuslimischen Frauen – ist ihr gesamter Körper,<br />

außer ihrem Gesicht, ihren Händen und – nach der vorgezogenen<br />

Meinung der Gelehrten – ihren Füßen.<br />

Die Awrah der Frau gegenüber ihren nahen männlichen<br />

Verwandten und gegenüber den muslimischen Frauen ist<br />

der Bereich zwischen ihrem Bauchnabel und ihren Knien,<br />

einschließlich ihres Rückens, ihres Bauches und ihrer Flanken.<br />

Zwischen Eheleuten gibt es keine Awrah, sie dürfen sich<br />

also gegenseitig vollkommen nackt betrachten. Während<br />

des Salah/Namaz muss die Frau sich genauso verhüllen, wie<br />

gegenüber fremden Männern. Die islamischen Gelehrten<br />

sind sich darin einig, dass dies auch dann gilt, wenn sie in<br />

die Öffentlichkeit geht. Dazu überliefert Aischa r.a. , die Mutter<br />

der Gläubigen: „dass Esma Bint Ebi Bekr beim Gesandten<br />

Allahs s.a.w.s. eintrat und (nur) mit einem dünnen Stoff bekleidet<br />

war. Da wandte sich der Gesandte Allahs s.a.w.s. von ihr ab und<br />

sprach: „O Esma! Wenn (eine Frau) das Alter der Geschlechtsreife<br />

erreicht hat, dann darf sie nur dies und das zeigen.“ Dabei<br />

deutete er auf sein Gesicht und seine Hände.“<br />

(Ebu Dawud: Sunen: El-Libas: 33: „Fima tubdil Meratu min Zinetiha“; Nr. 4106)<br />

- Das Du’a<br />

Der Begriff „Du’a“ bedeutet zu <strong>Deutsch</strong> „Ruf, Anfrufung,<br />

Gebet, Bitte, Bittgebet, Segenswunsch“. Dabei gibt es das<br />

Du’a in zwei Formen: Es gibt das Du’a für jemanden oder für<br />

etwas, dies ist das Bittgebet und es gibt das Du’a gegen jemanden<br />

und dies ist der Fluch. So kann ich also ein positives<br />

Bittgebet machen, in dem ich den Erhabenen Allah um die<br />

Erfüllung eines Wunsches bitte und ich kann ein negatives Bittgebet<br />

machen, in dem ich den Erhabenen Allah darum bitte,<br />

dass Er einer Person etwas Schlechtes antun möge.<br />

Von letzterem raten die islamischen Gelehrten allerdings<br />

ab, denn erstens soll der Muslim seinen Mitmenschen vergeben<br />

und diese nicht verfluchen und zweitens kann sich so ein<br />

negatives Bittgebet auch gegen einen selbst kehren, wenn<br />

man eine Person zu Unrecht verflucht.<br />

Der Erhabene Allah erhört das Du’a Seines Dieners in<br />

jedem Fall. Im Edlen Quran heißt es dazu:<br />

„Und wenn dich Meine Diener nach Mir fragen, siehe, Ich<br />

bin nahe. Ich will dem Ruf des Rufenden (der Mich im<br />

Bittgebet anruft) antworten, sobald er Mich ruft.“<br />

(2. Sure: El-Baqarah, Vers 186)<br />

Der Erhabene Allah kennt die Sorgen und Nöte Seiner<br />

Diener. Er mag es, wenn sich die Menschen Ihm im Du’a<br />

zuwenden. Denn bei Ihm hat das Du’a einen besonders hohen<br />

Stellenwert. Der Gesandte Allahs s.a.w.s. sagte dazu: „Keine<br />

Sache ist bei Allah kostbarer, als das Du’a!“<br />

(Hakim: Mustedrak: Kitabu Du’a, Nr. 1801)<br />

So nimmt Er Sich Seiner Diener, die sich Ihm demütig<br />

im Bittgebet zuwenden, mit Freude an. Jene aber, die zu<br />

stolz dafür sind, aus freien Stücken vor ihrem Herrn ihre<br />

Schwäche zu bekennen, erzürnen Ihn und werden von<br />

Ihm im Jenseits gedemütigt werden. Der Erhabene Allah<br />

sagt dazu im Edlen Quran:<br />

28


„Und euer Herr spricht: „Ruft Mich an, Ich werde euch<br />

antworten! Diejenigen aber, die zu stolz dafür sind, Mich<br />

anzurufen, werden gedemütigt in die Hölle eintreten.“<br />

(40. Sure: Ghafur, Vers 60)<br />

- Das Feth<br />

Der Begriff „Feth“ bedeutet „Öffnung, Eröffnung, Einleitung,<br />

Beginn; Eroberung, Sieg, Triumph“. Von diesem Begriff<br />

leitet sich auch das Wort „Fatihah“ ab, was so viel, wie „die<br />

Eröffnende“ bedeutet, weil die Sure El-Fatihah den Anfang<br />

des Edlen Quran markiert. In der islamischen Geschichte ist<br />

besonders das „Fethul Mekka“ von Bedeutung, die friedliche<br />

Eroberung der heiligen Stadt Mekka. An diesem Tag zog<br />

der Prophet Muhammed s.a.w.s. in einem Triumphzug in jene<br />

Stadt ein, aus der er acht Jahre zuvor vertrieben worden war.<br />

Dieser Tag ist der Tag des Triumphes des Glaubens über den<br />

Unglauben und des göttlichen Lichts über die dämonische<br />

Dunkelheit. Dieser Sieg wurde den Muslimen vom Erhabenen<br />

Allah bereits in der Sure „El-Feth“ angekündigt und diese<br />

Prophezeiung erfüllte sich nun an diesem Tag.<br />

Im Edlen Quran ist aber auch noch in einem anderen<br />

Kontext von Feth die Rede. Denn dort heißt es auch:<br />

„Und sie sprechen: „Wann wird denn nun dieses<br />

Feth kommen, wenn ihr die Wahrheit sprecht?“<br />

Sprich: „Am Yewmul Feth wird jenen, die ungläubig<br />

sind, weder ihr Glaube etwas nützen noch wird ihnen<br />

Aufschub gewährt werden!““<br />

(32. Sure: Es-Sedschdeh, Vers 28f)<br />

Hier wird auf jene Leute Bezug genommen,<br />

die sich über die Ankündigung des Propheten<br />

Muhammed s.a.w.s. lustig machten, dass der Sieg des<br />

Islam nahe ist. Der Erhabene Allah gibt diesen Spöttern<br />

die Antwort für Seinen Propheten s.a.w.s. und erklärt<br />

ihnen, dass sich erst nach dem Ende des irdischen<br />

Lebens herausstellen wird, ob man auf der Siegerseite<br />

oder auf der Verliererseite des Lebens gestanden hat.<br />

- Das Yeqin<br />

Das „Yeqin“ ist „die Gewissheit, die Sicherheit, die Überzeugung,<br />

die Absolutheit“.<br />

In der Lehre des Tasawwuf ist das Yeqin eine der<br />

Rangstufen der Erkenntnis vom Erhabenen Allah. Dabei<br />

gibt es drei Stufen des Yeqin: Das Ilmul Yeqin, das Aynul<br />

Yeqin und das Haqqul Yeqin.<br />

Ilmul Yegin bedeutet Gewissheit des Wissens. Diese Art<br />

der Gewissheit kann man sich anlernen. Die Gelehrten vergleichen<br />

jene Person, die die Stufe des Ilmul Yeqin erreicht hat<br />

mit einem Mann, der aus der Distanz Rauch sieht. Aus dem<br />

Vorhandensein des Rauchs schließt er dann auf das Vorhandensein<br />

eines Feuers.<br />

Aynul Yeqin bedeutet Gewissheit des Sehens. Diese<br />

Art der Gewissheit kann man sich nicht anlernen, sondern<br />

sie entsteht im Herzen des Menschen durch Keschf, also<br />

durch das Hochziehen des Schleiers vor dem Auge des<br />

Herzens. Wer diese Art der Gewissheit erreicht, der ist wie<br />

ein Mann, der vor einem Feuer steht und dieses mit seinen<br />

eigenen Augen sieht.<br />

Haqqul Yeqin bedeutet echte Gewissheit. Diese Art<br />

der Gewissheit ist die höchste Form des Yeqin. Sie wird<br />

nur von jenen Freunden des Erhabenen Allah erreicht, die<br />

schon sehr weit auf dem göttlichen Pfad vorangeschritten<br />

sind. Sie haben sich von allen irdischen Anhaftungen<br />

befreit und sind bis zu dem Zustand des Fena Fillah<br />

(des Entwerdens im Erhabenen Allah) fortgeschritten. In<br />

diesem Zustand folgt der Diener ganz dem Willen des<br />

Erhabenen Allah und Dieser wirkt aus Seinem Diener<br />

heraus und bestimmt sein Handeln. Daher nimmt er<br />

die göttliche Wahrheit in ihrer vollen Reinheit – ohne die<br />

Verunreinigung durch irdische Einflüsse und Störfaktoren<br />

– wahr. So befindet er sich zwar in seinem irdischen<br />

Körper inmitten der irdischen Welt, sein Blick ist aber voll<br />

und ganz auf das Jenseits und die verborgene Welt gerichtet.<br />

Dabei nimmt er das Paradies und die Hölle in ihrer<br />

Realität wahr und verspürt äußerste Sehnsucht nach dem<br />

Paradies und größte Angst vor dem Feuer.<br />

Wer diese Art der Gewissheit erreicht hat, der ist wie einer,<br />

der inmitten eines Feuer steht und dieses nicht nur sieht, sondern<br />

mit seinen ganzen Sinnen wahrnimmt. Hier ist kein Irrtum<br />

mehr möglich, denn man spürt die Hitze des Feuers, riecht<br />

dessen Rauch und hört dessen knistern.<br />

29


UNSERE NEUERSCHEINUNGEN IN DEUTSCHER SPRACHE<br />

Basiswissen Islam<br />

Glaubensgrundsätze<br />

und Praxis nach der<br />

Ehlu Sunneh<br />

Esma‘ul Husna<br />

Die Schönen Namen des<br />

Erhabenen Allah<br />

Du‘as (Bittgebete)<br />

des Propheten<br />

Muhammed s.a.w.s.<br />

Das Siegel der Propheten<br />

Wegweiser für den<br />

neuen Muslim<br />

Erhätlich unter WWW.SEMERKANDONLINE.DE<br />

30

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