BMW Boxer Band 1 - Alle Modelle mit zwei Federbeinen von 1969 bis 1984

Schon 1975 waren
R 100 RS-Prototypen
in der Windkanal -
erprobung. Details
wurden noch geändert,
aber die Linie
stimmte schon.
den. An diesem Septembermorgen
des Jahres 1976 hatte der Himmel
alle Schleusen geöffnet und es goss
wie aus Kübeln. Zunächst hatte
man noch gezögert, die versammelten
Zweiradjournalisten auf den
markierten Probe-Rundkurs zu
schicken. Als jedoch nach einer
Stunde des Wartens keine Aufhellung
zu sehen war, gingen die blausilbernen
Boxer trotzdem auf die
Reise.
Hans Albrecht Muth konnte aufatmen,
als er zunächst die Fassungs -
losigkeit der Journalisten und später
ihre Begeisterung erlebte. Muth, der
1971 als Chef des PKW-Interieurs
zu BMW gekommen war, war vom
BMW-Vertriebschef Robert „Bob“
Lutz kurzerhand zum BMW-Motor-
rad-Designer gemacht worden. Beide
fuhren begeistert Motorrad. Lutz
besaß eine Honda CB 750, Muth
eine MV Agusta 750 S, und beide
fanden wenig Gefallen an der hausbacken
wirkenden BMW R 75/5,
dem damaligen Topmodell der
bayerischen Traditionsmarke. Lutz
war froh, als Muth mit der BMW
R 90 S 1973 ein Motorrad offerierte,
das die gleiche Leistung wie die
750er Honda aufwies und optisch
vollkommen neue Akzente setzte.
Das Beste an der „S“ waren schließlich
die Verkaufszahlen, die die vom
Vertrieb prophezeiten Ziffern um
runde 300 % übertrafen. Kein Zweifel,
die „S“ hatte ein neues Kapitel
BMW-Geschichte geschrieben. Doch
während in Verkaufsräumen Prospekte
studiert und Lieferzeiten diskutiert
wurden, machte sich Muth
an das nächste Projekt. Die Initialzündung
kam von Hans-Günther
von der Marwitz, der mit der R 90 S
nie glücklich gewesen war. Der Pragmatiker
war nicht der Erste, der gemerkt
hatte, dass die rasante „S“
sich bei hohen Geschwindigkeiten
recht launenhaft gab und speziell
leichte Piloten mit Hochgeschwindigkeitspendeln
erschreckte. Als
Übeltäter hatte er das schmucke lenkerfeste
„Cockpit“ ausgemacht, das
für erhöhten Auftrieb am Vorderrad
sorgte und so die Pendelneigung
und die Seitenwindempfindlichkeit
verstärkte. Gleichzeitig sah sich von
der Marwitz mit den Wünschen der
zahllosen Behörden konfrontiert, die
bei BMW seit langer Zeit Kunden
waren und sich endlich eine Verkleidung
mit gutem Wetterschutz
wünschten. BMW bot zwar Avonund
Gläser-Verkleidungen ab Werk
für Behörden an, doch so richtig
glücklich waren die Münchner mit
diesen Produkten aus der „Waschküchenfabrikation“
der kleinen Hersteller
nicht. Noch dazu war die
Gläser-Verkleidung sehr seitenwindempfindlich
und wurde daraufhin
vom Werk nicht mehr empfohlen.
Warum also nicht zwei Fliegen mit
einer Klappe schlagen, der „S“ mehr
Fahrstabilität und Wetterschutz angedeihen
lassen und gleichzeitig
eine vernünftige Behördenverkleidung
anbieten?
Von der Marwitz trug seine Ideen
Muth vor und fand bei diesem ein
offenes Ohr. Obwohl beide einen unterschiedlichen
Zugang zum Motorrad
hatten, war ihnen klar, dass
BMW mit seinem ohv-Boxer-Konzept
im bloßen Leistungswettlauf sowieso
den Kürzeren ziehen würde und
folglich die Maschinen andere Qualitäten
als Motorleistung brauchten,
um auch in Zukunft noch konkurrenzfähig
zu sein. Dem Wunsch
nach einem neuen Triebwerk konnte
der Vorstand aufgrund der verhältnismäßig
kleinen BMW-Stückzahlen
nicht entsprechen. Muths Aufgabe
war nicht leicht, denn bislang waren
alle Versuche, ein serienmäßig verkleidetes
Motorrad zu schaffen,
mehr oder weniger gescheitert. Vincent
war mit der Black Prince zugrunde
gegangen und auch Ariel mit
der Leader nur ein Erfolg für kurze
Zeit beschieden gewesen. Neben
Wetterschutz und Sicherheit sollte
die Verkleidung dem Motorrad auch
eine optische Aufwertung bescheren
und stilistisch mit dem markanten,
anspruchsvollen BMW-Design harmonieren.
Gleichzeitig waren fertigungstechnische
Voraussetzungen
zu lösen: Gleich bleibend hohe Qualität,
große Flexibilität in der Fertigung
von verkleideten und unverkleideten
Maschinen und simple
Montage standen im Lastenheft.
Außerdem durfte die einfache Wartung
– traditionell ein großer BMW-
Pluspunkt – nicht zu sehr erschwert
werden. Wie Hans Albrecht Muth
diese Aufgabe löste, verdient noch
heute Beachtung.
So wurde
Journalisten
der auftriebsmindernde
Effekt
der RS-Schale
nahe gebracht.
Dieses Foto
von 1975 zeigt Hans
A. Muth auf einer
R 90 S, deren Räder,
Tank, Sitzbank und
Lenker Details der
R 100 RS schon
vorwegnahmen!
BMW /7-Modelle 62
63 BMW /7-Modelle