Eine Nacht vor Weihnachten
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einer neuen Decke umsehen müssen. Doch für heute war sie noch einmal gut genug. Sie bot Schutz<br />
gegen die Kälte. Und das genügte. Miriam legte ihren Kopf an Yossefs Schulter. Hinter ihrer Stirn<br />
klopfte Schmerz. Der Stall war alt und roch nach Schafen. Vermutlich waren sie früher am Tag an<br />
ihnen <strong>vor</strong>beigekommen. <strong>Eine</strong> Gruppe Hirten hatte auf einer Weide beisammengesessen und das<br />
Mittagessen mit ihnen geteilt. „Morgen sind wir in Bethlehem“, sagte Yossef, „und dann sehen wir zu,<br />
dass wir schnell wieder nach Hause kommen.“ Miriam hatte gelacht. „Ja, das ist eine gute Idee. Viel<br />
Zeit haben wir nicht mehr.“<br />
Yossef blickte an die Stalldecke. Durch einen Ritz konnte er einen hellen Stern entdecken. Sonst war<br />
alles dunkel um sie her. Wie würde es sein, wenn das Baby da war? Viele Hunderte Male hatte er es<br />
sich ausgemalt. Ein wenig Angst hatte er. Niemals würde er das seiner Frau gestehen. Doch vermutlich<br />
hatte sie es sowieso bereits gemerkt. Auch wenn sie nicht wusste, dass er sich ums Haar aus<br />
dem Staub gemacht hätte. Bei dem Gedanken zog es ihm das Herz zusammen. Für einen Moment<br />
hatte er tatsächlich an ihrer Beziehung gezweifelt. Wie sollte er auch nicht. Seit Menschengedenken<br />
war ein Baby im Bauch einer jungen Frau ein untrüglicher Beweis ihrer Untreue, wenn der Verlobte<br />
sicher nicht der Vater war. Es hatte ihm das Herz gebrochen. Denn bis dahin hatte er niemals Grund<br />
gehabt, an ihrer Zuneigung zu zweifeln. Als er von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte, war er aus<br />
allen Wolken gefallen. Von einer Sekunde auf die Nächste war seine Welt zusammengebrochen. Alle<br />
Pläne und Träume nichtig. Und trotzdem liebte er sie noch. Auch wenn er nicht mehr wusste, wer sie<br />
eigentlich war. Sie schien so aufrichtig zugewandt, so klar, und so rein. Und dann war sie plötzlich<br />
schwanger... Mehrere Tage hatte er sich immer wieder gefragt, wer der Vater des Kindes sein könnte.<br />
Und weil ihm niemand eingefallen war, hatte er in jedem einen Feind gesehen. Nur mit Mühe konnte<br />
er sich auf seine Arbeit konzentrieren. Zunächst hatte er sich entschieden, jeden Kontakt zu Miriam<br />
abzubrechen. Unter diesen Umständen wollte er nicht wieder mit ihr sprechen. Schwanger – kurz<br />
<strong>vor</strong> der geplanten Hochzeit. Er war ihr noch nicht einmal eine schlüssige Erklärung wert. Nein, so