Eine Nacht vor Weihnachten
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wollte und konnte er nichts mehr mit ihr zu tun haben. „Sie wird die Konsequenzen tragen müssen“,<br />
hatte er sich gedacht, während er in seiner Werkstatt versuchte, seine Aufträge abzuarbeiten. Konsequenzen…<br />
Sie würden hart sein. Er könnte sie öffentlich anklagen. Sie würde gesteinigt werden.<br />
Ein Gedanke, den Yossef trotz seiner schweren Enttäuschung nicht ertragen konnte. Am einfachsten<br />
wäre es, wenn der Vater des Kindes genug Mut aufbringen würde, seine Verantwortung zu übernehmen<br />
und die junge Frau heiraten würde. Aber jeder wusste doch, dass Miriam und Yossef kurz <strong>vor</strong><br />
der Hochzeit standen. So einfach war es also nicht. Yossef würde sich offiziell trennen müssen. Und<br />
dann würde er, Yossef, mitansehen müssen, wie Miriam mit einem anderen Mann all das verwirklichen<br />
würde, was sie sich gemeinsam erträumt hatten. Das könnte er niemals. Er war ein friedliebender<br />
Mensch, aber allein bei der Vorstellung, brannte in ihm der Zorn. Mit mehr Schwung als nötig,<br />
ließ er den Hammer auf das Holz knallen. In diesem Moment war ihm eine Idee gekommen. Es gab<br />
einen Weg. Er würde still und heimlich seine Sachen packen, und gehen. Damit wäre allen geholfen.<br />
Der Vater des Kindes könnte Miriam heiraten. Und wenn der Andere sich nicht zu dem Kind bekennen<br />
würde, würde Miriam von Yossefs Weggang nur profitieren. Denn dann würde jeder glauben, er<br />
selbst sei der Vater des Kindes und habe sich aus dem Staub gemacht. Die Schande wäre dann nicht<br />
zu groß. Man würde Mitleid mit ihr haben. Schließlich wusste jeder ihrer Bekannten, dass die Hochzeit<br />
kurz be<strong>vor</strong>stand. Man hätte vermutlich Verständnis für das uneheliche Baby. Als Zimmermann<br />
würde er überall Arbeit finden. Sein Plan stand. Er arbeitete bis spät am Abend. Als er seinen letzten<br />
Auftrag beendet hatte, packte er seine Werkzeuge sorgfältig fort. Sie waren das Wichtigste, das<br />
er auf den Weg mitnehmen musste. Seine sonstigen Habseligkeiten waren schnell zusammengepackt.<br />
Viel brauchte er nicht. Bei Morgengrauen würde er Nazareth verlassen. Er würde in Richtung<br />
Bethlehem wandern. Wie gerädert ließ er sich auf sein Bett fallen. Es dauerte lange, bis er in einen<br />
unruhigen Schlaf verfiel, der von wirren Träumen begleitet wurde. Er träumte von Steinigung, von<br />
gemeinsam verbrachten Stunden, von einer Wanderung nach Bethlehem und von einem vaterlosen