pfarrei-magazin PFINGSTEN 2015
Pfarrmagazin der Pfarrei Liebfrauen-Überwasser in Münster 2015. Hier sind alle Kontaktdaten für Sie zusammengefasst.
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//PASTORALPLAN – WOHIN DAMIT?<br />
Es ist stickig in diesem kleinen Raum, wo sich eine<br />
Gruppe von Menschen angstvoll hinter verschlossenen<br />
Türen versteckt. Sie sind zusammengerückt,<br />
tröstlich eng, um die Lücke zu füllen, die der plötzliche<br />
Tod all ihrer Hoffnungen mit sich brachte.<br />
Und es ist bedrückend eng, denn hier bewegt sich,<br />
hier tut sich überhaupt nichts mehr.<br />
So ähnlich stelle ich mir die Szene vor, die im 20.<br />
Kapitel des Johannesevangeliums die Pfingsterzählung<br />
einleitet. Und dann ist da plötzlich einer, der<br />
ihnen den Frieden wünscht, sie anhaucht und ihnen<br />
den Geist verheißt.<br />
So weit, so gut. Johannes beschreibt die Szene<br />
weit weniger imposant, als sie uns Lukas in der Apostelgeschichte<br />
berichtet, wo man vor lauter Sturmesbrausen,<br />
Feuerzungen und fremden Sprachen kaum<br />
sein eigenes Wort mehr zu verstehen meint.<br />
Was findet sich in diesem Gründungsmoment der<br />
Kirche, das auch für uns in unserer größer gewordenen<br />
Pfarrei, in unseren Teilgemeinden wichtig<br />
sein könnte?<br />
Mir fallen drei Aspekte ins Auge. Ich möchte sie<br />
einmal in folgende Stichworte fassen:<br />
ORT – WEITE – BEWEGUNG<br />
1. ORT<br />
Die Jünger Jesu suchen in dem Schock und der Haltlosigkeit,<br />
die sie nach dem Tod Jesu ergreift, nach<br />
Sicherheit, nach der Geborgenheit, die die enge Gemeinschaft<br />
mit den anderen hinter verschlossenen<br />
Türen ihnen bietet.<br />
Der Schweizer Arzt Paul Tournier leitet sein Buch<br />
„Geborgenheit – Sehnsucht des Menschen“ mit dem<br />
Bericht eines befreundeten Studenten ein, der in der<br />
Reflexion seines Lebens zu einer bemerkenswerten<br />
Erkenntnis kommt: „Im Grunde,“ so beschreibt es dieser<br />
Student, „suche ich immer einen Ort der Zugehörigkeit.“<br />
SEHNSUCHTSORTE? Wo finden wir in unserem Leben<br />
solche Orte, an denen wir uns zugehörig fühlen?<br />
Orte, an denen wir zusammenrücken und füreinander<br />
da sind, wenn es „eng“ wird, wenn uns die Hoffnung<br />
fehlt?<br />
Unsere Gemeinden, unsere Pfarrei – das könnten<br />
solche Orte der Zugehörigkeit sein. Schutz und Sicherheit<br />
bietend, verlässlich, vertraut. Sehnsuchts-Orte?<br />
Ein Ort im geographischen Sinn vermittelt auch<br />
die Sicherheit eines festen Standpunktes, eines Zentrums,<br />
einer Mitte. Worum zentriert sich das Leben in<br />
unserer Pfarrei? Wo gibt es Koordinaten, Eckdaten, die<br />
unseren Standpunkt definieren? In welcher Weise ist<br />
unsere Pfarrei auch der Ort, an dem wir Stellung beziehen,<br />
Zeugnis ablegen, uns durch unseren Standpunkt<br />
nicht nur schützen, sondern auch auf etwas<br />
verpflichten lassen?<br />
2. WEITE<br />
Die Jünger rücken eng zusammen. So eng, dass sich<br />
nichts mehr bewegt. Erst als einer unerwartet durch<br />
die verschlossenen Türen bricht, ändert sich die Lage.<br />
Allerdings ist davon in Johannes‘ Bericht kaum etwas<br />
zu spüren. Nachdem Jesus in ihrer Mitte erschienen<br />
war, ihnen den Frieden gewünscht und den Geist verheißen<br />
hatte, scheint erst einmal gar nichts zu geschehen.<br />
Die Jünger freuen sich zwar und berichten dem<br />
abwesenden Thomas von der Erscheinung Jesu, aber<br />
von Neubeginn, Aufbruch, ist nicht die Rede. Es scheint<br />
fast, als könnten die Jünger selbst das Erlebte kaum<br />
fassen. Und sie treffen sich, ihren eigenen Augen nicht<br />
trauend, acht Tage später in demselben Raum. Wenn<br />
zwischendurch etwas geschehen sein sollte, so scheint<br />
es der Evangelist wenigstens nicht für so wichtig gehalten<br />
zu haben, dass er es uns berichtet.<br />
Im Mittelpunkt des Berichts steht das entscheidende<br />
Moment der Erscheinung, die für den „ungläubigen“<br />
Thomas ein weiteres Mal geschehen und<br />
berichtet werden muss. Johannes‘ Erzählung bleibt<br />
statisch, ortsgebunden. Vielleicht auch eng?<br />
Damit die Botschaft des Evangeliums zu den Menschen<br />
kommen kann, müssen die Jünger sich auf den<br />
Weg machen. Nach draußen gehen. Es braucht also<br />
noch mehr als den Ort, die Mitte, das Zentrum: Es<br />
braucht den Weg in die Weite. Nur allzu leicht verfällt<br />
man sonst der Versuchung, sich hinter den Mauern,<br />
die einen schützen, auch zu verstecken. Denn Zusammengehörigkeit<br />
bedeutet auch immer Ausgrenzung<br />
und hinter allzu engen Mauern ist wenig Platz zum<br />
Wachsen.<br />
Haben wir schon mehr verstanden als die Jünger<br />
in Johannes‘ Pfingstbericht? Sind wir schon bereit,<br />
nicht nur vorsichtig die Tür unseres Verstecks zu öffnen<br />
und zu warten und zu hoffen, dass sich das Wunder<br />
wiederholt und einer hereinkommt, sondern die<br />
Mauern einzureißen, damit nicht nur andere zu uns<br />
finden, sondern auch wir zu ihnen hinausgehen?<br />
Das birgt auch das Risiko, dass etwas verloren geht:<br />
Sicherheit, Zusammengehörigkeit, manche Koordinaten<br />
des gewohnten Ortes. Auf der Straße passieren<br />
Unfälle, gibt es gefährliche Situationen. Können wir<br />
darauf vertrauen, dass wir uns manchmal wie die Emmaus-Jünger<br />
auf Umwege machen müssen und erst<br />
dort Jesus begegnen werden?<br />
Den Weg in die Weite nehmen, das heißt auch,<br />
den Anspruch auf etwas Bestehendes aufzugeben.<br />
Nicht nur in kritischen Situationen ist die Mauer ein<br />
Schutz; auch dann, wenn es gerade richtig gut läuft,<br />
wenn alles ist, wie es sein soll, sind wir in der Versuchung,<br />
uns im Bestehenden einzurichten, es uns am<br />
gewohnten Ort allzu gemütlich zu machen. Sind wir<br />
bereit, auch das, was uns gefällt, was gerade sehr gut<br />
oder wenigstens noch irgendwie läuft, freizusetzen,<br />
für neue Entwicklung zu öffnen?<br />
Während der Eucharistiefeier ist es ein besonderer<br />
Moment, wenn die gewandelte Hostie, der Leib<br />
Christi, ganz und intakt in die Höhe gehalten und mit<br />
Glockengeläut verehrt wird. Aber damit, mit dem Aufscheinen<br />
des wunderbaren Geheimnisses der Wandlung,<br />
ist der Gottesdienst nicht beendet. Man könnte<br />
soweit gehen zu sagen: Der Sinn der Eucharistie<br />
ist nicht, dass sie verehrt, sondern dass sie verzehrt<br />
wird. Erst wenn das Brot gebrochen und verteilt wird<br />
und bis an die Grenzen der versammelten Gemeinde<br />
wandert, geschieht, dass auch diese Gemeinde Leib<br />
Christi werden kann.<br />
3. BEWEGUNG<br />
Mit dem Aufbruch in die Weite kam auch schon das<br />
Stichwort der Bewegung ins Spiel. Da, wo Johannes<br />
statisch bleibt, ist in Lukas‘ Pfingstgeschichte alles<br />
Aufbruch, Dynamik, Bewegung. So lautstark und<br />
brausend, dass sie vielleicht sogar beängstigend klingen<br />
kann.<br />
Im französischen Bistum Poitiers begann vor einigen<br />
Jahren eine spannende Neuentwicklung ortskirchlicher<br />
Strukturen. Wo sich die fünf Mitglieder<br />
einer sogenannten Basisequipe finden, die Beauftragten<br />
für Pastoral und materielle Belange sowie für<br />
Glaubensverkündigung, Gebet und Dienst der Nähe,<br />
entsteht eine neue „örtliche Gemeinde“. Bischof Albert<br />
Rouet schildert in einem 2009 in deutscher<br />
Übersetzung erschienen Aufsatz 1 eindringlich das<br />
Ringen um Orientierung zwischen alten Strukturen<br />
und neuen Herausforderungen. Dabei fallen bemerkenswerte<br />
Sätze. Rouet betont neben der unverzichtbaren<br />
Rolle des Priesters die Kraft zur Initiative, die<br />
allen Laien aus den Initiationssakramenten von Taufe<br />
und Firmung erwächst. Gegen die reine Zentralisierung<br />
setzt er den Weg an die Ränder: „Die nun zur<br />
Mitte gehören, fühlen sich dort sicherlich wohl. Aber<br />
die anderen? […] Um seinen Glauben zu leben, muss<br />
1 Albert Rouet, Auf dem Weg zu einer erneuerten Kirche,<br />
in: Reinhard Feiter / Hadwig Müller (Hg.): Was wird jetzt aus uns Herr<br />
Bischof? Ermutigende Erfahrungen der Gemeindebildung in Poitiers,<br />
Ostfildern 2009, 17–42.<br />
man hinausgehen, anderswohin.“ Und noch ein weiterer<br />
Zentralgedanke Rouets: „Es geht nicht zuerst um<br />
eine Struktur, es gilt zurückzukehren zu dem, was die<br />
Kirche in ihrem Wesen ausmacht.“<br />
Was macht Kirche aus? Als Grundvollzüge der<br />
Kirche bezeichnet man Liturgie, Zeugnis (Martyria)<br />
und Diakonie, den Dienst am Nächsten. Alle drei Vollzüge<br />
finden sich auch in den oben genannten Beauftragungen<br />
für die Basisequipen wieder. Aber sie<br />
scheinen mir auch eng verwandt mit den Begriffen<br />
Ort, Weite und Bewegung, wie sie oben anhand der<br />
Pfingstgeschichte betrachtet wurden.<br />
Christliches Zeugnis geben<br />
Zum Zeugnis gehört der Ort, der Standpunkt, die<br />
feste Haltung. Aber auch das immer wieder neue<br />
Aufbrechen der Mauern, das Hinterfragen, damit<br />
ich mich nicht hinter Scheingewissheiten verschanze<br />
und aus dem Blick verliere, wen ich mit meinem<br />
Zeugnis eigentlich ansprechen will.<br />
Blick über den Alltag hinaus<br />
Zur Liturgie gehört für mich die Weite. Den Blick<br />
weiten über die rein diesseitigen Verbindlichkeiten<br />
hinaus, aber auch weiten über die Grenzen derer, die<br />
schon in unserer Mitte dazugehören, hin zu dem einen,<br />
zu dem wir alle auf dem Weg sind.<br />
Aufbruch in Solidarität<br />
Und schließlich der Dienst am Nächsten, den ich<br />
überhaupt nur da tun kann, wo etwas in Bewegung<br />
kommt, wo statt Strukturen die Menschen ins Zentrum<br />
der Aufmerksamkeit rücken, wo die Hoffnung<br />
auf Neuanfang das Risiko des Aufbruchs überwindet.<br />
Als neue große Pfarrei sind wir gemeinsam aufgefordert,<br />
in den nächsten Monaten und Jahren unseren<br />
eigenen Pastoralplan zu erstellen. Was soll in unseren<br />
Gemeinden, in unserer Pfarrei einmal geschehen?<br />
Wohin sind wir unterwegs? Und wagen wir, darauf zu<br />
vertrauen, dass wir alle als geistbegabte getaufte und<br />
gefirmte Christen nicht nur Verfolger und Mitläufer,<br />
sondern Gestalter dieser Kirchenzukunft sein können,<br />
sein müssen? Wo verwirklicht sich bei uns Halt und<br />
Offenheit, Bewegung und Sicherheit?<br />
Ich wünsche uns Gemeinden, die als Ort der Zugehörigkeit<br />
Halt geben und Haltung zeigen.<br />
Ich wünsche uns Gemeinden, die wenigstens ab<br />
und zu den Aufbruch in die Weite wagen.<br />
Ich wünsche uns Gemeinden, bei denen etwas<br />
in Bewegung kommt.<br />
Was da alles passieren<br />
könnte!<br />
Ruth Kubina<br />
Mitglied des Pfarreirates<br />
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