THE MA 4 Die Suche nach dem Glück Irgendwo zwischen Askese und E organisiert Kulturveranstaltungen im Lagerhaus, ist als Veranstaltungstechniker in der freien Theaterszene tätig und macht linke Politik im Beirat Mitte. Außerdem mag er Vögelchen und Pilze. Jörg Windszus F o t o s : MARINA LILIENTHAL
5 ›Wenn du Glück hast, bist du glücklich wenn du Geld hast, bist du reich wenn das Schicksal sagt: Ich schick dich dann geh am besten gleich‹ Funny Van Dannen, Der Fatalist kstase Die Glücksforschung steckt noch in den Kinderschuhen. Es gibt Bestrebungen, zu der Berechnung des Brutto-Inlands-Produkts (BIP) einer Gesellschaft, die Zufriedenheit ihrer Miglieder hinzuzuziehen. Analog zum westlichen Geschäftsklimaindex wird in dem südostasiatischen Königreich Bhutan seit 1979 das jährliche Bruttonationalglück erhoben, ein Bestreben, das außer in dem Fehlen sonstiger positiver Indizes sicherlich auch in der buddhistischen Tradition des Landes wurzelt. Nur wenige Weltreligionen haben ein vergleichbar positives Verhältnis zum Glück, wie die fernöstliche Lächelphilosophie. Die Vereinten Nationen haben merklich später, nämlich 2011, in der Resolution 65/309 ›Happiness‹ als ein Faktor der globalen Menschheitsentwicklung installiert, dies jedoch immerhin ohne Gegenstimmen. Im gleichen Jahr nahm die Enquete- Kommission ›Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität‹ der Bundesregierung erstmals ihre Arbeit auf. Unter den von der deutschen Kommission entwickelten Sozialindikatoren sucht man den Terminus Glück allerdings vergeblich. Der Exportweltmeister muss geahnt haben, dass er es schwer haben wird, in dieser Rubrik mit den anderen Nationen zu konkurrieren. Ein Jahr später setzte sich das bettelarme Costa Rica an die Spitze der weltweiten Glücksbewegung, noch vor seinem direkten Verfolger, dem kriegsgebeuteltem Vietnam. Dessen vormaliger Kriegsgegner, die USA, eine Nation, die das Streben nach Glück bereits seit 240 Jahren verfassungsrechtlich garantiert, belegte lediglich einen glücklosen 105. Rang. Gemessen an der vorherschenden Ideologie, nach der man alles irgendwie messen und managen kann, ist das Phänomen ›Glück‹ weiterhin ein Stachel im Fleische. Von allen Wissenschaften, mittels derer wir dem Geheimnis eines glücklichen Leben auf die Spur kommen können, ist die Philosophie sicherlich der vielversprechendste Ansatz. Die Weisen machten sich schon in der Antike ihre Gedanken, wie der Mensch seinem eigenen Glück förderlich sein könnte, und haben sich zwischen Askese und Ekstase doch nie auf einen gemeinsamen Weg einigen können. Ihre gedanklichen Bemühungen wurden nichtsdestotrotz von dem Humanisten Ludwig Marcuse in seiner ›Philosophie des Glücks‹ sehr unterhaltend und verständlich zusammengefasst. Die Soziologie beschränkt sich im Wesentlichen darauf, mithilfe repräsentativer Umfragen zumindest das subjektive Glücksempfinden in der Bevölkerung festzuhalten, um es auf eventuelle Korrelationen mit der Zugehörigkeit der Befragten zu ihren sozialen Milieus zu untersuchen. In Zusammenarbeit mit der Wirtschaftswissenschaft, die zumindest den Grenznutzen glücksverheißender Waren theoretisch fundiert zu bestimmen vermag, lassen sich so bestimmt wertvolle Anregungen für die Entwicklung zielgruppengerechter Werbekampagnen gewinnen. Dass dabei aber die industrielle Produktion von Bedürfnissen, die ja nach buddhistischer Lesart die eigentliche Quelle menschlichen Unglücks darstellen, im Vordergrund steht, versteht sich nach der immanenten Logik unseres Wirtschaftssystem eigentlich von alleine. Auch von der Hirnforschung ist in diesem Zusammenhang eher weniger zu erwarten. Zwar sind die für das Glücksempfinden entscheidenden Aktivitäten im präfontalen Cortex längst kartografiert, auf eine nebenwirkungsfreie Droge, die uns die Anstrengungen eines mehrstündigen Dauerlaufs erspart, müssen wir aber wohl noch eine Weile warten.Vielleicht kann ja die Psychologie Abhilfe verschaffen, jene Wissenschaft, die sich immerhin der Minderung seelischer Leiden verschrieben hat. Tatsächlich gibt es mit der Positiven Psychologie eine Teildisziplin, die zusätzlich zu den von Siegmund Freud erklärten Therapiezielen, die Fähigkeit zu lieben und zu arbeiten, zumindest die Möglichkeit menschlichen Glücks in ihre Überlegungen einbezieht. Sie hat sich halt nur noch nicht durchsetzen können. Glücklicherweise gibt es das Fach Glück versuchsweise im Schulunterricht. Zwar könnte man jetzt den ungerechtfertigten Einwurf erheben: ›So was hatten wir früher auch, es nannte sich Freistunde.‹ Aber so einfach ist es nicht. Der Wunsch vieler Schülerinnen und Schüler, im Rahmen des unvermeidlichen Unterrichts auch etwas Positives für ihr eigenes Leben herauszuziehen, ist nach wie vor lebendig und gerechtfertigt. Das Thema Glück als Lerninhalt ist deswegen nicht so widersprüchlich, wie es auf Anhieb erscheint. Sarah Harjes und Kathrin Klug haben das Modellprojekt des Heidelberger Wirtschaftsgymnasiums vor einigen Jahren für den achten Jahrgang der Oberschule Schaumburger Straße in Bremen adaptiert. Mit beachtlichem Erfolg: zwar ohne Glücksgarantie für die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler, aber dafür mit wertvollen Anregungen, einmal darüber nachzudenken, was uns im Leben wirklich wichtig ist. In unterschiedlichen Modulen, von Bewegungstrainings über literarische Formen bis hin zu Filmprojekten, wurde das Thema von allen Seiten beleuchtet und die daraus gewonnenen Erkenntnisse in persönlichen Glücksheften festgehalten. Ein kleiner Anfang immerhin, denn wenn wir alle wieder lernen, etwas unter Glück zu verstehen, hat das Wörtchen vielleicht eine Chance auf Realisierung.