Handelsblatt_26-01-2016
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18 UNTERNEHMEN & MÄRKTE<br />
DIENSTAG, <strong>26</strong>. JANUAR 2<strong>01</strong>6, NR. 17 DIENSTAG, <strong>26</strong>. JANUAR 2<strong>01</strong>6, NR. 17<br />
1<br />
1<br />
UNTERNEHMEN & MÄRKTE 19<br />
DER WERBER-RAT<br />
Glaube<br />
versetzt<br />
Schuhe<br />
Die zwicken wie verrückt!“<br />
Maxi braucht dringend<br />
neue Fußballschuhe. Papis<br />
uncoolen Argumenten wird<br />
wenig Gehör geschenkt, es müssen<br />
unbedingt neue her, natürlich<br />
von einem ganz bestimmten<br />
Label, mit dem man unhaltbare<br />
Elfmeter schießt. Klar.<br />
Weltweit kämpfen Marken<br />
um Fans. Allen voran das größte<br />
Unternehmen der Welt, die<br />
Kirche. Was wurde schon alles<br />
unternommen, um Menschen<br />
wieder von der Sinnhaftigkeit<br />
des Kirchgangs zu überzeugen.<br />
Moderner müsse man werden,<br />
zeitgemäßer, ein Youtube-Kanal<br />
müsse her, mehr Event-Charakter,<br />
mehr relevanter Content<br />
könnte, sollte, müsste, wäre<br />
vielleicht ein Weg, mit neuem<br />
Selbstverständnis die dunklen<br />
Täler immer kleiner werdender<br />
Gemeinden zu durchwandern.<br />
Kürzlich bestaunte ich eine<br />
Armin Jochum<br />
ist Vorstand Kreation<br />
und Co-Gründer<br />
der Agentur Thjnk<br />
Fotografie eines sehr, sehr großen,<br />
gläsernen Frauenschuhs.<br />
Dabei handelt es sich nicht etwa<br />
um eine neue Konsum-Kathedrale,<br />
sondern um ein Gotteshaus.<br />
In zweijähriger Bauzeit<br />
an zentraler Stelle in Taiwan errichtet,<br />
um Menschen wieder<br />
für die Kirche zu begeistern.<br />
Die Tatsache, dass dort auch<br />
Kuchen serviert werden soll,<br />
mag unter Umständen den Gedanken<br />
provozieren, dass dort<br />
eventuell auch Zalando-Boten<br />
Zugang bekommen werden, um<br />
Frauen mit neuen Schuh-Paketen<br />
ein Halleluja zu entlocken.<br />
Dem ist freilich nicht so.<br />
Die Idee der gläsernen Kirche<br />
hat eine sehr bewegende Vorgeschichte,<br />
die nichts mit profanem<br />
Konsum-Wahnsinn zu tun<br />
hat. In der Gegend des Kirchenortes<br />
grassierte nämlich vor 60<br />
Jahren die schlimme Schwarzfußkrankheit,<br />
infolge derer viele<br />
Frauen ihre Füße amputieren<br />
ließen. Die Idee dieses Gotteshauses<br />
ist nicht nur konsequent.<br />
Sie hat einen Kern, der<br />
Menschen weltweit berührt und<br />
sie zu einem besonderen Ort<br />
der Begegnung macht. Und das<br />
war eine der ersten Ideen der<br />
Kirche: jeden willkommen heißen.<br />
Natürlich auch in uncoolen<br />
Fußballschuhen.<br />
Der Autor ist einer von sechs Kolumnisten,<br />
die an dieser Stelle im täglichen<br />
Wechsel über Kommunikation schreiben.<br />
Edeka hält an<br />
Tengelmann fest<br />
Die Auflagen der Ministererlaubnis schrecken den Einzelhändler nicht.<br />
► Frist zur Stellungnahme<br />
endet am Dienstag.<br />
► Scharfe Kritik aus der<br />
Politik an dem Verfahren.<br />
Dana Heide, Florian Kolf,<br />
Christoph Kapalschinski<br />
Berlin, Düsseldorf, Hamburg<br />
Edeka ist fest entschlossen,<br />
trotz der strengen Auflagen<br />
von Bundeswirtschaftsminister<br />
Sigmar<br />
Gabriel (SPD) die Übernahme<br />
der Supermarktkette Kaiser’s<br />
Tengelmann durchzuziehen.<br />
Wie es in Unternehmenskreisen<br />
heißt, hat sich an der Position des<br />
Unternehmens auch nach der Prüfung<br />
von Gabriels Bedingungen<br />
nichts geändert. Edeka will die Übernahme<br />
„so schnell wie möglich und<br />
mit der gebotenen Sorgfalt angehen“.<br />
Am heutigen Dienstag<br />
endet für die Unternehmen<br />
die Frist zur Stellungnahme,<br />
erst danach trifft Gabriel die<br />
endgültige Entscheidung.<br />
Auch seitens Tengelmann<br />
sind keine<br />
Überraschungen<br />
zu erwarten. Unternehmenschef<br />
Karl-Erivan Haub<br />
ist froh, dass sich<br />
nach fast einem<br />
Jahr bangen<br />
Wartens doch<br />
eine Chance für<br />
seine favorisierte<br />
Lösung abzeichnet.<br />
Experten hatten die Entscheidung<br />
von Gabriel hingegen scharf<br />
kritisiert. Sie fürchten erhebliche<br />
Nachteile für den Wettbewerb.<br />
„Wettbewerbspolitisch ist die Entscheidung<br />
sehr schlecht“, sagte<br />
Thomas Duso, Leiter der Abteilung<br />
Unternehmen und Märkte im Deutschen<br />
Institut für Wirtschaftsforschung<br />
(DIW) dem <strong>Handelsblatt</strong>.<br />
Union und Grüne fordern daher<br />
nun eine Reform des Instruments.<br />
„Im Zuge der anstehenden Novelle<br />
des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen<br />
werden wir uns in<br />
der Fraktion den Beurteilungsspielraum<br />
bei der Ministererlaubnis genauer<br />
anschauen“, kündigte Matthias<br />
Heider (CDU), Berichterstatter<br />
für Kartellrecht für die Unionsfraktion,<br />
im Gespräch mit dem <strong>Handelsblatt</strong><br />
an. Heider hatte Gabriels<br />
Entscheidung kritisiert. „Es muss<br />
eine engere Fassung des Beurteilungsspielraums<br />
geben besonders<br />
in Fällen, wo es eine hohe<br />
Marktkonzentration gibt.<br />
Auch bei einer Ministererlaubnis<br />
sollten die Auswirkungen<br />
auf den Wettbewerb<br />
berücksichtigt werden.“<br />
Karl-Erivan Haub:<br />
Der Tengelmann-<br />
Chef hat den<br />
Verkauf an<br />
Edeka immer<br />
favorisiert.<br />
Supermarktketten<br />
in Deutschland, Umsatz in Mrd. Euro*<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
Edeka-Gruppe<br />
Rewe<br />
Schwarz-Gruppe (Lidl, etc.)<br />
Metro-Gruppe<br />
51,9<br />
38,0<br />
34,0<br />
29,7<br />
Aldi Nord/Süd<br />
Lekkerland<br />
Schätzung 27,5<br />
8,8<br />
Kaiser´s Tengelmann<br />
dm<br />
Rossmann<br />
Globus<br />
<strong>Handelsblatt</strong> | *GJ 2<strong>01</strong>4<br />
7,5<br />
6,4<br />
5,4<br />
4,7<br />
Quelle: Manager Magazin<br />
Auch die Grünen wollen sich für<br />
eine Reform des Instruments einsetzen,<br />
manche in der Fraktion wollen<br />
es sogar ganz abschaffen. Katharina<br />
Dröge, Sprecherin für Wettbewerbspolitik<br />
der Grünen im<br />
Bundestag, forderte klare Regeln,<br />
in welchem Zeitraum über die Ministererlaubnis<br />
entschieden werden<br />
muss. Im aktuellen Fall hatte<br />
sich das Verfahren acht Monate hingezogen.<br />
Außerdem will sie mehr<br />
Transparenz bei der Entscheidung.<br />
„Die Ministererlaubnis<br />
in ihrer jetzigen<br />
Form ist eine Hinterzimmerentscheidung“,<br />
sagte Dröge<br />
dem <strong>Handelsblatt</strong>. „Ohne Einbeziehung<br />
der Öffentlichkeit hat ein einzelner<br />
Mensch im Moment die Möglichkeit,<br />
eine so weitreichende Entscheidung<br />
zu treffen. Das macht die<br />
Entscheidung sehr lobbyanfällig.“<br />
Bei einer Ministererlaubnis hat<br />
das Parlament derzeit kein Recht<br />
auf Information. Auch der Versuch,<br />
Tengelmann-Filiale:<br />
Nach langem Warten<br />
eine neue Chance.<br />
sich im Plenum vom Wirtschaftsministerium<br />
zur Entscheidungsfindung<br />
zu erkundigen, war gescheitert.<br />
„Im Fall Tengelmann/Edeka ist<br />
nicht transparent, wie es zu der<br />
Entscheidung von Minister Gabriel<br />
gekommen ist“, kritisiert DIW-Ökonom<br />
Duso. Das Wirtschaftsministerium<br />
hatte angekündigt, sich nach<br />
der endgültigen Entscheidung noch<br />
mal ausführlich zu äußern.<br />
Für die Unternehmen geht nach<br />
Ablauf der Frist nun die Arbeit erst<br />
richtig los. Denn ein Vertrag zwischen<br />
Edeka und Tengelmann kann<br />
erst abgeschlossen werden, wenn<br />
die Gewerkschaften und die Betriebsräte<br />
ihre Unterschriften unter<br />
die geforderten Tarifverträge gesetzt<br />
haben. Und diese Gespräche<br />
dürften nach Informationen aus<br />
Verhandlungskreisen nicht leicht<br />
werden. „Wir waren fünfzehn Monate<br />
in der Umkleidekabine, jetzt<br />
geht es raus aufs Spielfeld“, beschreibt<br />
ein Tengelmann-Betriebsrat<br />
die Stimmung. Ein Ergebnis wird<br />
nicht vor Ende Februar erwartet.<br />
Erschwert werden die Verhandlungen<br />
dadurch, dass die Arbeitnehmerseite<br />
zerstritten ist und bei<br />
den Fusionsverhandlungen verschiedene<br />
Positionen eingenommen<br />
hatte. Zudem betreten alle juristisches<br />
Neuland. „Die Verhandlungen<br />
muss Edeka führen, obwohl<br />
ihr das Unternehmen noch gar<br />
nicht gehört, das ist kein Selbstläufer“,<br />
heißt es in Tengelmann-Kreisen.<br />
Da sei noch nicht abschließend<br />
klar, wie das gerichtsfest gestaltet<br />
werden könne. Denn die Erlaubnis<br />
kann etwa von Konkurrenten noch<br />
vor Gericht angefochten werden.<br />
Reuters<br />
picture alliance/ROPI<br />
Catrin Bialek<br />
Düsseldorf<br />
Als Maurice Lévy, weltweiter<br />
Chef des französischen Werbekonzerns<br />
Publicis, Anfang<br />
Dezember die neue Struktur verkündete,<br />
die er seinem Unternehmen<br />
künftig auferlegt, wussten die wenigsten<br />
Mitarbeiter, was da auf sie zukommen<br />
würde. Lévys Transformationsbotschaft<br />
via Videokanal Youtube<br />
hörte sich inspirierend an, doch<br />
was genau verbirgt sich eigentlich<br />
hinter schneidigen Formeln wie „No<br />
Silo“ und „No Solo“?<br />
Jetzt ist das Rätsel gelöst: Justin Billingsley,<br />
Chief Operating Officer der<br />
Agentur Saatchi & Saatchi und künftig<br />
Verantwortlicher aller deutschen<br />
Publicis-Agenturen, redet Klartext.<br />
In einem über das soziale Netzwerk<br />
Linked-In verbreiteten Blogeintrag<br />
erklärt er in Grundzügen die Adaption<br />
des Lévy’schen Transformationsgedankens.<br />
Und die hat es in sich.<br />
Nach Informationen des <strong>Handelsblatt</strong>s<br />
bedeutet das für den deutschen<br />
Markt: Die sechs Kommunikationsagenturen<br />
des Publicis-Reiches<br />
– dazu zählen Publicis Pixelpark,<br />
Leo Burnett, Saatchi & Saatchi, Meta-Design,<br />
MSL und CNC – werden zu<br />
einem Unternehmen zusammengefasst.<br />
Publicis Communications Germany<br />
heißt das neue Dachkonstrukt,<br />
unter dem sich die sechs<br />
Agenturen mit insgesamt rund 1 600<br />
Mitarbeiter versammeln.<br />
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Aus sechs mach eins<br />
Radikaler Umbau: Die deutschen<br />
Publicis-Werbeagenturen rücken eng zusammen.<br />
Die Führung liegt – gleichberechtigt<br />
– bei den sieben Managern, die<br />
bislang auch die deutschen Tochteragenturen<br />
geleitet haben: Horst<br />
Wagner und Dirk Kedrowitsch (Publicis<br />
Pixelpark), Andrea Albrecht<br />
(Leo Burnett), Christian Rätsch<br />
(Saatchi & Saatchi), Arne Brekenfeld<br />
(Meta-Design), Wigan Salazar (MSL)<br />
und Bernhard Meising (CNC). Sie<br />
nennen sich „Country Leadership<br />
Team“, kurz CLT. Ist trotz aller Diskussionen<br />
kein Konsens in Sicht,<br />
muss der Deutschland-Verantwortliche<br />
Billingsley eingreifen. Allerdings<br />
ist der Manager dafür bekannt, dass<br />
er seinen Mannen einen gewissen<br />
Spielraum lässt – wenn die Geschäfte<br />
gut laufen.<br />
Zusätzlich gibt es mit Norbert<br />
Knapp, der bei Leo Burnett arbeitet,<br />
einen übergeordneten deutschen Finanzchef,<br />
an den die Finanzverantwortlichen<br />
der Agenturtöchter<br />
berichten. Ein deutscher<br />
Personalchef, der ebenfalls in<br />
der Talentsuche für einen<br />
Gleichschritt sorgt, wird noch<br />
gesucht.<br />
Aus sechs mach eins: Der<br />
französische Werbekonzern<br />
reagiert mit diesem radikalen<br />
Umbau – nicht nur in Deutschland<br />
übrigens, sondern in sämtlichen<br />
Märkten der Welt – auf<br />
die steigende Komplexität des<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Werbemarktes und die immer größeren<br />
Anforderungen der Werbekunden.<br />
Die Fragmentierung der<br />
Medienlandschaft sorgt für eine Fülle<br />
an Werbekanälen, längst nicht jede<br />
Agentur kann inzwischen Spezialisten<br />
für jede Werbeform vorhalten.<br />
Ein Austausch unter den Schwesteragenturen<br />
wäre sinnvoll, doch er gelang<br />
nie so recht.<br />
„Bislang hatten wir als Agenturchefs<br />
keine Anreize, Aufgaben innerhalb<br />
des Netzwerkes an andere<br />
abzugeben“, erklärt MSL-Chef<br />
Salazar, der nach außen als Publicis-Führungsteamsprecher<br />
auftritt, die mangelnde Durchlässigkeit.<br />
Das Anreizsystem hat<br />
sich nun verändert, da alle sieben<br />
Chefs künftig für die Gesamtleistung<br />
der Agenturen verantwortlich<br />
sind. Konkret be-<br />
Leo Burnett (links), Pressebild<br />
Dunlop-Kampagne (l.): Leo<br />
Burnett betreut die Reifenfirma;<br />
Justin Billingsley (u.):<br />
Neuer Chef der deutschen<br />
Publicis-Agenturen.<br />
deutet das: Wenn künftig zum Beispiel<br />
ein Auftrag für Content-Marketing bei<br />
Saatchi & Saatchi eintrifft, werden zügig<br />
die Kollegen von MSL oder CNC<br />
kontaktiert, die über mehr Expertise<br />
in dieser Werbeform verfügen.<br />
Die deutschen Agenturchefs, die<br />
nun in einem landesweiten Führungszirkel<br />
arbeiten müssen, tragen<br />
die neue Struktur mit Fassung. Das<br />
Kundenportfolio, über das sie nun alle<br />
verfügen, ist mit internationalen<br />
Marken wie Renault, Samsung und<br />
Toyota gewichtig. Salazar spricht gar<br />
von einer „Anfangseuphorie“, die er<br />
in dem Team ausgemacht habe. Ein<br />
erstes informelles Treffen hat es in<br />
diesem Monat bereits gegeben, nachdem<br />
die deutschen Agenturchefs Anfang<br />
des Jahres in New York von der<br />
Nachricht überrascht worden waren.<br />
Den Agenturmanagern ist durchaus<br />
bewusst, dass sie durch den engeren<br />
Verbund mehr Chancen im<br />
Markt haben könnten. So berichtet<br />
Salazar davon, dass er bereits in diesem<br />
Monat zwei neue Projekte aufgrund<br />
der neuen Managementstruktur<br />
erhalten habe. Er stellt aber auch<br />
klar: „Jeder behält seine Autonomie.“<br />
Der Werbekunde würde immer<br />
noch „durch die Markentür“<br />
kommen. Gerade in Deutschland haben<br />
Kommunikationsagenturen, die<br />
zu internationalen Werbekonzernen<br />
wie Publicis, WPP oder Omnicom<br />
gehören, keinen leichten Stand. Einer<br />
der Gründe liegt darin, dass die<br />
mittelständisch geprägte Wirtschaft<br />
eine große Vorliebe für inhabergeführte<br />
Agenturen hegt. Unangefochtene<br />
Nummer eins ist daher die inhabergeführte<br />
Agentur Serviceplan<br />
mit Sitz in München, die inzwischen<br />
mit 2 800 Mitarbeitern rund 304<br />
Millionen Euro Umsatz erzielt.<br />
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