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Das papierlose Labor

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Pharm. Ind. 73, Nr. 12, 2142 – 2145 (2011)<br />

© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)<br />

Arzneimittelwesen • Gesundheitspolitik • Industrie und Gesellschaft<br />

Fachthemen<br />

<strong>Das</strong> <strong>papierlose</strong> <strong>Labor</strong><br />

Andreas Schild und Ulf Fuchslueger<br />

Vialis AG, Liestal (Schweiz)<br />

<strong>Labor</strong>atorien der Entwicklung und Qualitätskontrolle der pharmazeutischen<br />

Industrie befinden sich in einem immer stärker<br />

ausgeprägten Spannungsfeld zwischen regulatorischen und wirtschaftlichen<br />

Anforderungen. Um diesen Anforderungen zu genügen,<br />

sind neue Wege des Prozess-, Daten- und Systemmanagements<br />

nötig. Dieser Artikel zeigt auf, dass das <strong>papierlose</strong> <strong>Labor</strong>, verstanden<br />

als ganzheitliche Prozessinitiative und nicht als Systemimplementierung,<br />

über diese Herausforderungen hinaus auch noch einen nachweisbaren<br />

Effizienzschub leisten kann.<br />

Warum moderne Konzepte für<br />

das <strong>Labor</strong>datenmanagement<br />

<strong>Labor</strong>atorien der Entwicklung und<br />

Qualitätskontrolle der pharmazeutischen<br />

Industrie befinden sich in<br />

einem immer stärker ausgeprägten<br />

Spannungsfeld zwischen regulatorischen<br />

und wirtschaftlichen Anforderungen.<br />

Einerseits fordern Behörden<br />

immer mehr und ausführlichere<br />

Daten bei stets steigenden Anforderungen<br />

an deren Qualität und<br />

Haltung, wie auch der neue EU GMP<br />

Annex 11 und die intensivierte Inspektionstätigkeit<br />

der FDA in Bezug<br />

auf 21 CFR Part 11 zeigen. Andererseits<br />

erfordern die wirtschaftlichen<br />

Ziele der Unternehmen, dass mehr<br />

Daten in kürzerer Zeit geliefert<br />

werden und das typischerweise mit<br />

gleichbleibendem oder geringerem<br />

Personalbestand. Gekoppelt mit<br />

dem technologischen und apparativen<br />

Fortschritt, welcher ebenfalls<br />

dafür sorgt, dass mehr Daten in immer<br />

kürzerer Zeit generiert werden,<br />

stellt dies klassische Dokumentations-<br />

und Datenmanagementprozesse<br />

in regulierten <strong>Labor</strong>atorien vor<br />

nahezu unüberwindliche Hindernisse<br />

und machen diese somit oft<br />

zu den eigentlichen Flaschenhälsen<br />

in Entwicklungs- und Freigabeprozessen.<br />

Hybridsystem als Grundübel<br />

Wenn man sich die aktuelle Datenhaltung<br />

in <strong>Labor</strong>atorien vor Augen<br />

führt, ist diese durch den Einsatz vieler<br />

unabhängiger, nicht integrierter<br />

Datenablagen in elektronischer und<br />

Papierform gezeichnet. Oft gilt Papier<br />

als das führende Dokumentationsmedium,<br />

was in Kombination mit<br />

den zahlreichen computergestützten<br />

Systemen wie Analysengeräten,<br />

Office-Applikationen oder übergeordneten<strong>Labor</strong>informationsmanagement-<br />

oder Enterprise-Resource-<br />

Planning-Systemen (ERP-Systemen)<br />

zu einem Hybridsystem mit zahlreichen<br />

Medienbrüchen führt. Dies<br />

ist das eigentliche Grundübel, resultiert<br />

in Ineffizienzen, Qualitäts- und<br />

Compliance-Risiken, unnötig langen<br />

Durchlaufzeiten und verhindert so<br />

das Erreichen von Unternehmenszielen.<br />

Tab. 1 zeigt typische Kennzahlen<br />

für derart funktionierende<br />

<strong>Labor</strong>atorien. <strong>Das</strong> Qualitätsrisiko<br />

durch die hohe Anzahl an manuellen<br />

Datenübertragungen wird zwar<br />

typischerweise durch extensive Kontrollmechanismen<br />

reduziert. Dies<br />

führt jedoch zu geringerer Effizienz<br />

und längeren Durchlaufzeiten. Der<br />

Einsatz isolierter Systeme verhindert<br />

die zeitgerechte Verteilung von Information,<br />

was zu weiteren, allerdings<br />

schwer quantifizierbaren, Verzögerungen<br />

und Mehraufwänden führt.<br />

Schlussendlich liegt erhebliches<br />

Kapital des Unternehmens in Form<br />

von Unternehmenswissen brach. Der<br />

Aufwand, um die Datengrundlage für<br />

moderne Knowledge-Management-<br />

Systeme für Statistiken, Data Mining,<br />

Reporting, Exception Handling etc.<br />

zu schaffen, ist bei den vielen Insellösungen<br />

schlicht zu groß. Viele Erkenntnisse,<br />

die aus den vorhandenen<br />

Daten gewonnen werden könnten,<br />

bleiben verborgen.<br />

In der Industrie beobachtet man<br />

drei verschiedene Ansätze, das hier<br />

geschilderte Grundübel zu adressieren.<br />

Erstens – und eigentlich keine<br />

echte Lösung – ist dies die Optimierung<br />

des bestehenden Hybridsystems<br />

durch Anpassungen der bestehenden<br />

■■Tabelle 1<br />

Typische Kennzahlen für Qualitätskontroll-<br />

und Entwicklungslaboratorien.<br />

Kennzahl Wert<br />

Dokumentations- 45 %<br />

und Kontrollaufwand<br />

Anzahl qualitätsrelevan- 100<br />

ter Überträge<br />

(pro Batch-Freigabe)<br />

Anzahl Überträge 250<br />

redundanter Daten<br />

Durchlaufzeit bis zu 20 Tage<br />

Systeme im Einsatz 10<br />

(Papier und elektronisch)<br />

Mit Ausnahme des Dokumentations- und Kontrollaufwands<br />

beziehen sich alle Zahlen auf die Freigabe<br />

bzw. Analyse eines Batches. Qualitätsrelevante<br />

Überträge haben einen direkten Einfluss auf das<br />

Resultat, während Überträge redundanter Daten<br />

Referenzen und Querverweise darstellen.<br />

Schild und Fuchslueger • <strong>Das</strong> <strong>papierlose</strong> <strong>Labor</strong> 1<br />

l Zur Verwendung mit freundlicher Genehmigung des Verlages / For use with permission ofthe publisher l


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Arzneimittelwesen • Gesundheitspolitik • Industrie und Gesellschaft<br />

Fachthemen<br />

Prozesse und Systeme. Es versteht<br />

sich von selbst, dass dies wenn überhaupt,<br />

nur punktuelle und sehr geringe<br />

Verbesserungen verspricht. Der<br />

zweite beobachtete Ansatz ist die<br />

Einführung von elektronischen Dokumentationssystemen<br />

(oft als elektronische<br />

<strong>Labor</strong>journale bezeichnet),<br />

welche das Papier in elektronischer<br />

Form abbilden. Zwar verspricht die<br />

Einführung derartiger Systeme gewisse<br />

Gewinne aus Qualitäts- und<br />

Compliance-Sicht, da aber das eigentliche<br />

Problem nur von Papier in<br />

eine elektronische Form verschoben<br />

wird („Paper on Glass“), materialisieren<br />

sich erhoffte Effizienzsteigerungen<br />

nur in sehr geringem Maß. Über<br />

die Praktikabilität der elektronischen<br />

Dokumentation im <strong>Labor</strong> (z. B. durch<br />

Nutzung von Tablet-PCs oder anderer<br />

mobiler Geräte) wird ohnehin gestritten.<br />

Der Dritte, und hier in weiterer<br />

Folge ausgeführte Ansatz ist die<br />

Optimierung und gleichzeitige elektronische<br />

Unterstützung der eigentlichen<br />

<strong>Labor</strong>prozesse – die Einführung<br />

des <strong>papierlose</strong>n <strong>Labor</strong>s.<br />

Der Weg zum <strong>papierlose</strong>n<br />

<strong>Labor</strong><br />

Da es sich bei der Einführung des <strong>papierlose</strong>n<br />

<strong>Labor</strong>s nicht einfach um die<br />

Implementierung einer weiteren IT-<br />

Applikation handelt, berücksichtigt<br />

das Vorgehensmodell zur Einführung<br />

weitere Aspekte, um ein tragfähiges<br />

Gesamtkonzept erstellen zu können.<br />

Diese lassen sich in drei Hauptgruppen<br />

einteilen, die Business-Sicht, die<br />

Sicht der Nutzer und die technische<br />

Perspektive.<br />

Die Business-Sicht definiert das<br />

Ziel des Projekts, die Vision und<br />

stellt sicher, dass die Einführung des<br />

<strong>papierlose</strong>n <strong>Labor</strong>s mit den Unternehmenszielen<br />

einhergeht. Typische<br />

Ziele sind hierbei beispielsweise die<br />

Erhöhung des Netto-Cashflow in produzierenden<br />

Unternehmen, die Verkürzung<br />

von Entwicklungszeiten und<br />

daraus resultierende Mehrumsätze<br />

im Entwicklungsumfeld oder die Reduktion<br />

von Lagerbeständen und die<br />

damit verbundene Kapitalfreisetzung.<br />

Selbstverständlich sind Kombinationen<br />

davon und weitere, andere Ziele<br />

2 Schild und Fuchslueger • <strong>Das</strong> <strong>papierlose</strong> <strong>Labor</strong><br />

ebenfalls möglich. Entscheidend ist<br />

jedoch, dass ein quantitativer Zusammenhang<br />

zwischen den <strong>Labor</strong>aktivitäten<br />

und den Unternehmenszielen<br />

hergestellt wird. Dies geschieht durch<br />

Definition eines unternehmensspezifischen<br />

Einflussgefüges und dessen<br />

Umsetzung in ein entsprechendes<br />

Finanzmodell [1]. Nur so kann sichergestellt<br />

werden, dass das Umsetzungsprojekt<br />

die Unternehmensziele<br />

unterstützt und eine Wirtschaftlichkeitsrechnung<br />

alle Aspekte und Einflussfaktoren<br />

berücksichtigt.<br />

Die Sicht der Nutzer stellt das<br />

zentrale Element bei der Konzepterstellung<br />

dar. Basierend auf einer<br />

fundierten Prozess- und Systemanalyse<br />

wird diese in Form von Prozessbeschreibungen<br />

und Datenströmen<br />

wiedergegeben. Neben den eigentlichen<br />

<strong>Labor</strong>prozessen wie Musterfluss<br />

und Bearbeitung werden auch<br />

unterstützende Prozesse von der Gerätewartung<br />

bis zur Verwaltung von<br />

Referenzsubstanzen und Reagenzien<br />

im Ist-Zustand abgebildet. Dies beinhaltet<br />

auch für jeden Prozessschritt<br />

eingesetzte Systeme, Wechsel von<br />

Verantwortlichkeiten und Daten-In-<br />

und -Output pro Prozessschritt. Im<br />

Rahmen der Prozessanalyse werden<br />

auch erste spezifische Kennzahlen<br />

erhoben, welche später in das Finanzmodell<br />

einfließen. Wichtige Schnittstellen<br />

zu übergeordneten Prozessen<br />

werden analysiert und dokumentiert.<br />

Die Prozessanalyse ist aber auch<br />

der Grundstein für die nachfolgend<br />

■■Abbildung 1<br />

durchgeführte Multimomentanalyse,<br />

einer Methodik, welche es erlaubt<br />

aus und für Prozesse quantitative<br />

Aussagen abzuleiten.<br />

Die Multimomentanalyse [2, 3]<br />

liefert statistisch fundierte und akkurate<br />

Aussagen über den Ressourceneinsatz<br />

pro Prozessschritt oder gar<br />

Prozessteilschritt, und dies über alle<br />

Prozesse hinweg. Zur quantitativen<br />

Erfassung erhält jeder <strong>Labor</strong>mitarbeiter<br />

ein auf seine von ihm durchgeführten<br />

Prozesse abgestimmtes<br />

mobiles Gerät (PDA), welches ihn<br />

in periodischen, aber zufälligen Abständen<br />

(z. B. durchschnittlich alle<br />

20 Minuten einmal) auffordert, den<br />

eben durchgeführten Arbeitsschritt<br />

aus einer Auswahlliste auszuwählen.<br />

Da die Multimomentanalyse keine<br />

Eingabe von Zeiten oder anderen<br />

Parametern erfordert, sondern nur<br />

einen simplen Klick, ist der Eingriff<br />

in den Arbeitsfluss minimal. Über<br />

einen typischen Zeitraum von zwei<br />

Wochen erhält man so ausreichend<br />

Daten, um mit hohem Detaillierungsgrad<br />

statistisch signifikante Aussagen<br />

über Aufwände, Zeiten und Häufungen<br />

für Prozesse, Prozessschritte und<br />

Arbeitskategorien treffen zu können.<br />

Die Abbildungen 1 bis 3 zeigen beispielhaft<br />

verschiedene Auswertungen<br />

aus einer Multimomentanalyse.<br />

Neben der Tatsache, dass die Auswertungen<br />

erlauben, Prozesse – auch<br />

unabhängig von der Einführung eines<br />

neuen Systems – wirklich dort zu optimieren,<br />

wo der größte Bedarf bzw.<br />

Verteilung der Arbeitsaufwände für einen spezifischen <strong>Labor</strong>prozess in Prozent der<br />

Arbeitszeit. Die Farben stellen die Kategorisierung in 4 Kategorien dar, wobei die<br />

Kategorien Dokumentation und Kontrolle bei der Einführung eines <strong>papierlose</strong>n<br />

<strong>Labor</strong>s deutlich reduziert werden können.<br />

Pharm. Ind. 73, Nr. 12, 2142 – 2145 (2011)<br />

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■■Abbildung 2<br />

Verteilung von nicht-prozessbezogenen Aktivitäten pro Abteilung in Prozent der<br />

Arbeitszeit.<br />

■■Abbildung 3<br />

Aggregierte Werte über alle Prozesse und nicht prozessbezogenen Aktivitäten nach fünf<br />

verschiedenen Kategorien pro Abteilung und total. Die Kategorien Dokumentation und<br />

Kontrolle zeigen das Potential bei der Einführung eines <strong>papierlose</strong>n <strong>Labor</strong>s auf.<br />

Nutzen besteht, erlauben sie auch,<br />

Arbeitsschritte zu kategorisieren und<br />

somit das Potential für die Einführung<br />

des <strong>papierlose</strong>n <strong>Labor</strong>s quantitativ<br />

auszudrücken (siehe Abb. 3).<br />

Dies wiederum liefert die Basis für einen<br />

faktenbasierenden Business Case<br />

und für den Vergleich von verschiedenen<br />

Umsetzungsszenarien in Bezug<br />

auf deren wirtschaftlichen Nutzen.<br />

Die qualitative Prozessbeschreibung<br />

liefert somit in Kombination mit den<br />

Kennzahlen und quantitativen Aussagen<br />

aus der Multimomentanalyse<br />

die Kerninformationen für die Konzepterstellung.<br />

Berücksichtigt man noch die<br />

technische Sichtweise, die vor allem<br />

bestehende Infrastruktur, Unternehmensstandards<br />

und langfristige Strategie<br />

aus IT und apparativer Sicht beleuchtet,<br />

kann ein vollumfängliches<br />

Konzept zur Automatisierung der<br />

Pharm. Ind. 73, Nr. 12, 2142 – 2145 (2011)<br />

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<strong>Labor</strong>datenflussprozesse in Übereinstimmung<br />

mit den Unternehmenszielen<br />

erstellt werden.<br />

Neben den drei Sichtweisen erfordert<br />

die Konzepterstellung für das <strong>papierlose</strong><br />

<strong>Labor</strong> auch die Anwendung<br />

von Prinzipien, welche erlauben, die<br />

Soll-Prozesse basierend auf der Prozessbeschreibung<br />

der Ist-Prozesse zu<br />

definieren. <strong>Das</strong> Schlüsselprinzip und<br />

die Vision des <strong>papierlose</strong>n <strong>Labor</strong>s ist<br />

der selbst dokumentierende Prozess,<br />

ein Prozess, der allein durch seine<br />

Ausführung eine GxP-gerechte Dokumentation<br />

generiert und überflüssige<br />

Arbeit aus dem Arbeitsfluss eliminiert.<br />

<strong>Das</strong> bedeutet natürlich implizit,<br />

dass manuelle Datenerfassungen<br />

und Überträge wo immer möglich eliminiert<br />

werden, sei es durch Schnittstellen<br />

von und zu Geräten und Systemen<br />

oder, wo dies nicht möglich<br />

ist, durch Nutzung von Barcodes zur<br />

fehlerfreien und schnellen Erfassung.<br />

Es bedeutet aber auch, dass Datenredundanz<br />

und Fragmentierung<br />

eliminiert werden, das „Single-Source-of-Truth“-Prinzip<br />

umgesetzt wird<br />

und dass all diese Daten von überall<br />

und durch jeden Nutzer mit entsprechender<br />

Berechtigung in Echtzeit zugänglich<br />

sind. Dies führt wiederum<br />

zu Prozessverbesserungen, schnellerer<br />

Entscheidungsfindung und verbesserter<br />

Zusammenarbeit.<br />

Die Anwendung dieser Prinzipien<br />

auf die Ist-Prozesse erlaubt die Definition<br />

von Soll-Prozessen und die<br />

Ableitung von funktionalen Anforderungen.<br />

Als Teil des Konzepts wird<br />

im Rahmen der Gap-Analyse das Delta<br />

zwischen verfügbarer Funktionalität<br />

– aus der technischen Sichtweise<br />

– und den benötigten funktionalen<br />

Anforderungen gebildet. Erst dies ermöglicht<br />

es, das Füllen dieser Lücken<br />

konzeptionell zu betrachten, selbstverständlich<br />

immer mit den wirtschaftlichen<br />

Zielen im Hintergrund.<br />

Mögliche Szenarien beinhalten dabei<br />

auch die Adaptierung bestehender<br />

IT-Infrastruktur durch Anpassungen<br />

an bereits eingesetzte Applikationen<br />

und verschiedene Varianten, die funktionalen<br />

Lücken mit weiteren Applikationen<br />

zu schließen. War früher<br />

ein <strong>Labor</strong>-Informations-und-Management-System<br />

(LIMS) die einzige auf<br />

das <strong>Labor</strong>umfeld zugeschnittene Applikation,<br />

so ist heute eine Vielzahl<br />

von Applikationstypen mit teils überlappender<br />

Funktionalität verfügbar.<br />

Dazu gehören unter anderem elektronische<br />

<strong>Labor</strong>journale (ELN), von manchen<br />

Herstellern für den Qualitätskontrollbereich<br />

in Anlehnung an MES<br />

(Manufacturing Execution System)<br />

auch als <strong>Labor</strong>atory Execution System<br />

(LES) bezeichnet, Archivierungs-<br />

bzw. Rohdatenverwaltungssysteme<br />

(Scientific Data Management Systems<br />

(SDMS)), spezielle Applikationen zur<br />

Geräte- und Systemintegration, aber<br />

auch vermehrt ursprünglich laborfremde<br />

Applikationen wie Product-<br />

Life cycle-Management-Systeme<br />

(PLM-Systeme) oder ERP-Systeme.<br />

Einige Hersteller bieten auch Kombinationen<br />

aus den oben genannten<br />

Applikationen an und grundsätzlich<br />

ist ein Trend zur immer stärkeren<br />

Schild und Fuchslueger • <strong>Das</strong> <strong>papierlose</strong> <strong>Labor</strong> 3<br />

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Arzneimittelwesen • Gesundheitspolitik • Industrie und Gesellschaft<br />

Fachthemen<br />

Ausweitung und Überlappung der jeweiligen<br />

Funktionalität zu sehen, was<br />

auch als Konvergenz der Applikationen<br />

bezeichnet wird. Kurz, die Frage,<br />

welche Applikationskombination die<br />

Unternehmensziele am besten unterstützt,<br />

ist nicht einfach zu beantworten.<br />

Durch eine vergleichende SWOT-<br />

Analyse (Strengths, Weaknesses,<br />

Opportunities and Threats, Analyse<br />

der Stärken, Schwächen, Chancen<br />

und Risiken) der verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten,<br />

welche natürlich<br />

den im Rahmen des Business<br />

Case ausgewiesenen wirtschaftlichen<br />

Nutzen der jeweiligen Lösung für das<br />

Unternehmen (und nicht nur für den<br />

<strong>Labor</strong>bereich allein) berücksichtigt,<br />

kann die Auswahl im Normalfall auf<br />

ein bis zwei Szenarien reduziert werden.<br />

Selbstverständlich gilt es danach<br />

für das entwickelte Szenario, die<br />

Ziel-Applikationskombination, die<br />

passenden Produkte auszuwählen.<br />

Aufgrund des fundierten Konzepts<br />

und der definierten Soll-Prozesse<br />

und daraus abgeleiteter funktionaler<br />

Anforderungen ist dies ein relativ<br />

einfaches Unterfangen. Neben den<br />

funktionalen Aspekten gilt es hierbei<br />

auch die Komplexität der IT-Landschaft<br />

und auch weiche Faktoren,<br />

wie die Offenheit der jeweiligen Anbieter<br />

mit anderen Firmen zusammenzuarbeiten,<br />

zu berücksichtigen.<br />

Zur finalen Bestätigung der Auswahl,<br />

zur Abklärung technischer<br />

Aspekte aber auch um die späteren<br />

Nutzer der Lösung frühzeitig zu involvieren,<br />

kann es empfehlenswert<br />

sein, die Gesamtlösung zu pilotieren,<br />

also in kleinem und gut definiertem<br />

Rahmen aufzubauen. Ein derartiges<br />

Pilotsystem sollte möglichst viele Aspekte<br />

des <strong>papierlose</strong>n <strong>Labor</strong>s abdecken<br />

und so auch helfen, mit relativ<br />

geringem Risiko und Kosteneinsatz<br />

die Feinplanung der eigentlichen<br />

Implementierung abzustimmen. Die<br />

Implementierung der Gesamtlösung<br />

erfolgt im Anschluss nach gängigen<br />

Standards wie zum Beispiel GAMP ®<br />

[4]. Es versteht sich von selbst, dass<br />

im Pharma-Umfeld eine Validierung<br />

des Gesamtsystems gemäß aktueller<br />

Richtlinien [5, 6] unerlässlich ist.<br />

Hierbei erweisen sich die in diesem<br />

4 Schild und Fuchslueger • <strong>Das</strong> <strong>papierlose</strong> <strong>Labor</strong><br />

Vorgehensmodell durchlaufenen<br />

Schritte (Prozessanalyse, Konzept,<br />

Soll-Prozess, Pilotierung) als wertvolle<br />

Vorarbeit, aus der ein Teil der<br />

benötigten Dokumentation abgeleitet<br />

werden kann. Dabei ist auch zu<br />

berücksichtigen, dass das <strong>papierlose</strong><br />

<strong>Labor</strong> nicht einfach eine Systemeinführung,<br />

sondern auch und vor<br />

allem ein Prozess-Re-Engineering<br />

ist. Damit gilt es hierbei auch die<br />

Umsetzung der neuen, optimierten<br />

Prozesslandschaft in Standard Operating<br />

Procedures (SOPs) und Richtlinien<br />

mit abzubilden und so vom<br />

Nutzen des <strong>papierlose</strong>n <strong>Labor</strong>s vollumfänglich<br />

zu profitieren.<br />

Schneller, genauer,<br />

ökonomischer<br />

Aufgrund des ganzheitlichen und<br />

prozessorientierten Ansatzes ist der<br />

Nutzen des <strong>papierlose</strong>n <strong>Labor</strong>s im<br />

Vergleich zur Einführung einer spezifischen<br />

Applikation, wie z. B. eines<br />

ELN, um Faktoren höher. Die Automatisierung<br />

des Datenflusses und<br />

die weitgehende Eliminierung von<br />

dokumentatorischen und damit verbundenen<br />

Kontrollaktivitäten führen<br />

zu deutlichen Effizienzsteigerungen<br />

für <strong>Labor</strong>mitarbeiter und <strong>Labor</strong>leitung.<br />

Je nach Ausgangslage sind allein<br />

damit Effizienzgewinne von 20 bis<br />

30 % realisierbar. Damit einher gehen<br />

die Reduktion von Durchlaufzeiten<br />

und eine deutliche Reduktion des<br />

Qualitätsrisikos durch Eliminierung<br />

beinahe aller manuellen Überträge.<br />

Die systembedingte automatische<br />

Sicherstellung der Compliance und<br />

Datenkonsistenz ermöglicht, Kontrollaktivitäten<br />

auf atypische Ereignisse<br />

zu reduzieren („review by<br />

exception“) und so Ressourcen zielgerichtet<br />

einzusetzen und Prozesse weiter<br />

zu beschleunigen. Da im Rahmen<br />

der automatisierten Dokumentation<br />

zahlreiche prozessbezogene Parameter,<br />

wie z. B. Durchlaufzeiten für einzelne<br />

Methoden, Geräteauslastungen<br />

oder probenlogistische Parameter<br />

automatisch erfasst werden, steht<br />

auch ein hervorragender Datenpool<br />

für das <strong>Labor</strong>management zur Verfügung.<br />

<strong>Das</strong> <strong>papierlose</strong> <strong>Labor</strong> liefert<br />

sozusagen die Kennzahlen zu seiner<br />

kontinuierlichen Verbesserung gratis<br />

mit und macht somit auch den Vergleich<br />

von Organisationseinheiten auf<br />

einer fundierten Datenbasis möglich.<br />

Nicht zuletzt profitieren auch Bereiche<br />

außerhalb des <strong>Labor</strong>s von den in<br />

Echtzeit verfügbaren Daten, was die<br />

Zusammenarbeit über Grenzen hinweg<br />

vereinfacht, das Wissensmanagement<br />

unterstützt und zu weiteren<br />

positiven Effekten in Folgeprozessen<br />

führt. Aus Nutzersicht führt das <strong>papierlose</strong><br />

<strong>Labor</strong> zu einer deutlichen<br />

Vereinfachung des Arbeitsflusses und<br />

zu einer Reduktion der eingesetzten<br />

Systeme. Der Einsatz von nutzerspezifischen<br />

Portalen kann dies noch<br />

weiter unterstützen und den Fokus<br />

auf das Wesentliche schärfen.<br />

Es versteht sich von selbst, dass<br />

die Summe der positiven Effekte aus<br />

dem Papierlosen <strong>Labor</strong> enorm ist.<br />

Wie bei allen Investitionsprojekten<br />

dieser Größenordnung sollte auch<br />

hier nach Abschluss der Implementierung<br />

der Beweis angetreten werden,<br />

dass der kalkulierte Business<br />

Case auch der Realität entspricht.<br />

Dies kann wiederum und jederzeit<br />

mit Hilfe der Multimomentanalyse<br />

geschehen, die natürlich auch den<br />

Einfluss jeder anderen Prozessänderung<br />

auf den Arbeitsablauf quantitativ<br />

belegen kann.<br />

■■ LiterAtur<br />

[1] Ritter J. Reducing Cost by Automating<br />

<strong>Labor</strong>atory Workflow G.I.T. <strong>Labor</strong>atory<br />

Journal. 2009;13(7 – 8):32 – 34.<br />

[2] Haller-Wedel E. <strong>Das</strong> Multimomentverfahren<br />

in Theorie und Praxis. München;<br />

Carl Hanser Verlag: 1969.<br />

[3] Simons B. <strong>Das</strong> Multimomentzeitverfahren,<br />

Grundlagen und Anwendung. Köln: Verlag<br />

TÜV Rheinland GmbH; 1987.<br />

[4] ISPE: GAMP ® 5, ein risikobasierter Ansatz<br />

für konforme GxP-computergestützte<br />

Systeme, 2008.<br />

[5] Food and Drug Administration: 21 CFR<br />

Part 11.<br />

[6] EU-GMP Annex 11.<br />

Korrespondenz:<br />

Andreas Schild,<br />

Vialis AG,<br />

Kesselweg 40,<br />

4410 Liestal (Schweiz),<br />

e-mail: andreas.schild@vialis.ch<br />

Pharm. Ind. 73, Nr. 12, 2142 – 2145 (2011)<br />

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� ECV ·Editio Cantor Verlag für Medizin und Naturwissenschaften GmbH, Aulendorf (Germany).<br />

Printed in Germany ·ISSN 0031-711 X<br />

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