Das papierlose Labor
Das papierlose Labor
Das papierlose Labor
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Pharm. Ind. 73, Nr. 12, 2142 – 2145 (2011)<br />
© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)<br />
Arzneimittelwesen • Gesundheitspolitik • Industrie und Gesellschaft<br />
Fachthemen<br />
<strong>Das</strong> <strong>papierlose</strong> <strong>Labor</strong><br />
Andreas Schild und Ulf Fuchslueger<br />
Vialis AG, Liestal (Schweiz)<br />
<strong>Labor</strong>atorien der Entwicklung und Qualitätskontrolle der pharmazeutischen<br />
Industrie befinden sich in einem immer stärker<br />
ausgeprägten Spannungsfeld zwischen regulatorischen und wirtschaftlichen<br />
Anforderungen. Um diesen Anforderungen zu genügen,<br />
sind neue Wege des Prozess-, Daten- und Systemmanagements<br />
nötig. Dieser Artikel zeigt auf, dass das <strong>papierlose</strong> <strong>Labor</strong>, verstanden<br />
als ganzheitliche Prozessinitiative und nicht als Systemimplementierung,<br />
über diese Herausforderungen hinaus auch noch einen nachweisbaren<br />
Effizienzschub leisten kann.<br />
Warum moderne Konzepte für<br />
das <strong>Labor</strong>datenmanagement<br />
<strong>Labor</strong>atorien der Entwicklung und<br />
Qualitätskontrolle der pharmazeutischen<br />
Industrie befinden sich in<br />
einem immer stärker ausgeprägten<br />
Spannungsfeld zwischen regulatorischen<br />
und wirtschaftlichen Anforderungen.<br />
Einerseits fordern Behörden<br />
immer mehr und ausführlichere<br />
Daten bei stets steigenden Anforderungen<br />
an deren Qualität und<br />
Haltung, wie auch der neue EU GMP<br />
Annex 11 und die intensivierte Inspektionstätigkeit<br />
der FDA in Bezug<br />
auf 21 CFR Part 11 zeigen. Andererseits<br />
erfordern die wirtschaftlichen<br />
Ziele der Unternehmen, dass mehr<br />
Daten in kürzerer Zeit geliefert<br />
werden und das typischerweise mit<br />
gleichbleibendem oder geringerem<br />
Personalbestand. Gekoppelt mit<br />
dem technologischen und apparativen<br />
Fortschritt, welcher ebenfalls<br />
dafür sorgt, dass mehr Daten in immer<br />
kürzerer Zeit generiert werden,<br />
stellt dies klassische Dokumentations-<br />
und Datenmanagementprozesse<br />
in regulierten <strong>Labor</strong>atorien vor<br />
nahezu unüberwindliche Hindernisse<br />
und machen diese somit oft<br />
zu den eigentlichen Flaschenhälsen<br />
in Entwicklungs- und Freigabeprozessen.<br />
Hybridsystem als Grundübel<br />
Wenn man sich die aktuelle Datenhaltung<br />
in <strong>Labor</strong>atorien vor Augen<br />
führt, ist diese durch den Einsatz vieler<br />
unabhängiger, nicht integrierter<br />
Datenablagen in elektronischer und<br />
Papierform gezeichnet. Oft gilt Papier<br />
als das führende Dokumentationsmedium,<br />
was in Kombination mit<br />
den zahlreichen computergestützten<br />
Systemen wie Analysengeräten,<br />
Office-Applikationen oder übergeordneten<strong>Labor</strong>informationsmanagement-<br />
oder Enterprise-Resource-<br />
Planning-Systemen (ERP-Systemen)<br />
zu einem Hybridsystem mit zahlreichen<br />
Medienbrüchen führt. Dies<br />
ist das eigentliche Grundübel, resultiert<br />
in Ineffizienzen, Qualitäts- und<br />
Compliance-Risiken, unnötig langen<br />
Durchlaufzeiten und verhindert so<br />
das Erreichen von Unternehmenszielen.<br />
Tab. 1 zeigt typische Kennzahlen<br />
für derart funktionierende<br />
<strong>Labor</strong>atorien. <strong>Das</strong> Qualitätsrisiko<br />
durch die hohe Anzahl an manuellen<br />
Datenübertragungen wird zwar<br />
typischerweise durch extensive Kontrollmechanismen<br />
reduziert. Dies<br />
führt jedoch zu geringerer Effizienz<br />
und längeren Durchlaufzeiten. Der<br />
Einsatz isolierter Systeme verhindert<br />
die zeitgerechte Verteilung von Information,<br />
was zu weiteren, allerdings<br />
schwer quantifizierbaren, Verzögerungen<br />
und Mehraufwänden führt.<br />
Schlussendlich liegt erhebliches<br />
Kapital des Unternehmens in Form<br />
von Unternehmenswissen brach. Der<br />
Aufwand, um die Datengrundlage für<br />
moderne Knowledge-Management-<br />
Systeme für Statistiken, Data Mining,<br />
Reporting, Exception Handling etc.<br />
zu schaffen, ist bei den vielen Insellösungen<br />
schlicht zu groß. Viele Erkenntnisse,<br />
die aus den vorhandenen<br />
Daten gewonnen werden könnten,<br />
bleiben verborgen.<br />
In der Industrie beobachtet man<br />
drei verschiedene Ansätze, das hier<br />
geschilderte Grundübel zu adressieren.<br />
Erstens – und eigentlich keine<br />
echte Lösung – ist dies die Optimierung<br />
des bestehenden Hybridsystems<br />
durch Anpassungen der bestehenden<br />
■■Tabelle 1<br />
Typische Kennzahlen für Qualitätskontroll-<br />
und Entwicklungslaboratorien.<br />
Kennzahl Wert<br />
Dokumentations- 45 %<br />
und Kontrollaufwand<br />
Anzahl qualitätsrelevan- 100<br />
ter Überträge<br />
(pro Batch-Freigabe)<br />
Anzahl Überträge 250<br />
redundanter Daten<br />
Durchlaufzeit bis zu 20 Tage<br />
Systeme im Einsatz 10<br />
(Papier und elektronisch)<br />
Mit Ausnahme des Dokumentations- und Kontrollaufwands<br />
beziehen sich alle Zahlen auf die Freigabe<br />
bzw. Analyse eines Batches. Qualitätsrelevante<br />
Überträge haben einen direkten Einfluss auf das<br />
Resultat, während Überträge redundanter Daten<br />
Referenzen und Querverweise darstellen.<br />
Schild und Fuchslueger • <strong>Das</strong> <strong>papierlose</strong> <strong>Labor</strong> 1<br />
l Zur Verwendung mit freundlicher Genehmigung des Verlages / For use with permission ofthe publisher l
l Zur Verwendung mit freundlicher Genehmigung des Verlages / For use with permission ofthe publisher l<br />
Arzneimittelwesen • Gesundheitspolitik • Industrie und Gesellschaft<br />
Fachthemen<br />
Prozesse und Systeme. Es versteht<br />
sich von selbst, dass dies wenn überhaupt,<br />
nur punktuelle und sehr geringe<br />
Verbesserungen verspricht. Der<br />
zweite beobachtete Ansatz ist die<br />
Einführung von elektronischen Dokumentationssystemen<br />
(oft als elektronische<br />
<strong>Labor</strong>journale bezeichnet),<br />
welche das Papier in elektronischer<br />
Form abbilden. Zwar verspricht die<br />
Einführung derartiger Systeme gewisse<br />
Gewinne aus Qualitäts- und<br />
Compliance-Sicht, da aber das eigentliche<br />
Problem nur von Papier in<br />
eine elektronische Form verschoben<br />
wird („Paper on Glass“), materialisieren<br />
sich erhoffte Effizienzsteigerungen<br />
nur in sehr geringem Maß. Über<br />
die Praktikabilität der elektronischen<br />
Dokumentation im <strong>Labor</strong> (z. B. durch<br />
Nutzung von Tablet-PCs oder anderer<br />
mobiler Geräte) wird ohnehin gestritten.<br />
Der Dritte, und hier in weiterer<br />
Folge ausgeführte Ansatz ist die<br />
Optimierung und gleichzeitige elektronische<br />
Unterstützung der eigentlichen<br />
<strong>Labor</strong>prozesse – die Einführung<br />
des <strong>papierlose</strong>n <strong>Labor</strong>s.<br />
Der Weg zum <strong>papierlose</strong>n<br />
<strong>Labor</strong><br />
Da es sich bei der Einführung des <strong>papierlose</strong>n<br />
<strong>Labor</strong>s nicht einfach um die<br />
Implementierung einer weiteren IT-<br />
Applikation handelt, berücksichtigt<br />
das Vorgehensmodell zur Einführung<br />
weitere Aspekte, um ein tragfähiges<br />
Gesamtkonzept erstellen zu können.<br />
Diese lassen sich in drei Hauptgruppen<br />
einteilen, die Business-Sicht, die<br />
Sicht der Nutzer und die technische<br />
Perspektive.<br />
Die Business-Sicht definiert das<br />
Ziel des Projekts, die Vision und<br />
stellt sicher, dass die Einführung des<br />
<strong>papierlose</strong>n <strong>Labor</strong>s mit den Unternehmenszielen<br />
einhergeht. Typische<br />
Ziele sind hierbei beispielsweise die<br />
Erhöhung des Netto-Cashflow in produzierenden<br />
Unternehmen, die Verkürzung<br />
von Entwicklungszeiten und<br />
daraus resultierende Mehrumsätze<br />
im Entwicklungsumfeld oder die Reduktion<br />
von Lagerbeständen und die<br />
damit verbundene Kapitalfreisetzung.<br />
Selbstverständlich sind Kombinationen<br />
davon und weitere, andere Ziele<br />
2 Schild und Fuchslueger • <strong>Das</strong> <strong>papierlose</strong> <strong>Labor</strong><br />
ebenfalls möglich. Entscheidend ist<br />
jedoch, dass ein quantitativer Zusammenhang<br />
zwischen den <strong>Labor</strong>aktivitäten<br />
und den Unternehmenszielen<br />
hergestellt wird. Dies geschieht durch<br />
Definition eines unternehmensspezifischen<br />
Einflussgefüges und dessen<br />
Umsetzung in ein entsprechendes<br />
Finanzmodell [1]. Nur so kann sichergestellt<br />
werden, dass das Umsetzungsprojekt<br />
die Unternehmensziele<br />
unterstützt und eine Wirtschaftlichkeitsrechnung<br />
alle Aspekte und Einflussfaktoren<br />
berücksichtigt.<br />
Die Sicht der Nutzer stellt das<br />
zentrale Element bei der Konzepterstellung<br />
dar. Basierend auf einer<br />
fundierten Prozess- und Systemanalyse<br />
wird diese in Form von Prozessbeschreibungen<br />
und Datenströmen<br />
wiedergegeben. Neben den eigentlichen<br />
<strong>Labor</strong>prozessen wie Musterfluss<br />
und Bearbeitung werden auch<br />
unterstützende Prozesse von der Gerätewartung<br />
bis zur Verwaltung von<br />
Referenzsubstanzen und Reagenzien<br />
im Ist-Zustand abgebildet. Dies beinhaltet<br />
auch für jeden Prozessschritt<br />
eingesetzte Systeme, Wechsel von<br />
Verantwortlichkeiten und Daten-In-<br />
und -Output pro Prozessschritt. Im<br />
Rahmen der Prozessanalyse werden<br />
auch erste spezifische Kennzahlen<br />
erhoben, welche später in das Finanzmodell<br />
einfließen. Wichtige Schnittstellen<br />
zu übergeordneten Prozessen<br />
werden analysiert und dokumentiert.<br />
Die Prozessanalyse ist aber auch<br />
der Grundstein für die nachfolgend<br />
■■Abbildung 1<br />
durchgeführte Multimomentanalyse,<br />
einer Methodik, welche es erlaubt<br />
aus und für Prozesse quantitative<br />
Aussagen abzuleiten.<br />
Die Multimomentanalyse [2, 3]<br />
liefert statistisch fundierte und akkurate<br />
Aussagen über den Ressourceneinsatz<br />
pro Prozessschritt oder gar<br />
Prozessteilschritt, und dies über alle<br />
Prozesse hinweg. Zur quantitativen<br />
Erfassung erhält jeder <strong>Labor</strong>mitarbeiter<br />
ein auf seine von ihm durchgeführten<br />
Prozesse abgestimmtes<br />
mobiles Gerät (PDA), welches ihn<br />
in periodischen, aber zufälligen Abständen<br />
(z. B. durchschnittlich alle<br />
20 Minuten einmal) auffordert, den<br />
eben durchgeführten Arbeitsschritt<br />
aus einer Auswahlliste auszuwählen.<br />
Da die Multimomentanalyse keine<br />
Eingabe von Zeiten oder anderen<br />
Parametern erfordert, sondern nur<br />
einen simplen Klick, ist der Eingriff<br />
in den Arbeitsfluss minimal. Über<br />
einen typischen Zeitraum von zwei<br />
Wochen erhält man so ausreichend<br />
Daten, um mit hohem Detaillierungsgrad<br />
statistisch signifikante Aussagen<br />
über Aufwände, Zeiten und Häufungen<br />
für Prozesse, Prozessschritte und<br />
Arbeitskategorien treffen zu können.<br />
Die Abbildungen 1 bis 3 zeigen beispielhaft<br />
verschiedene Auswertungen<br />
aus einer Multimomentanalyse.<br />
Neben der Tatsache, dass die Auswertungen<br />
erlauben, Prozesse – auch<br />
unabhängig von der Einführung eines<br />
neuen Systems – wirklich dort zu optimieren,<br />
wo der größte Bedarf bzw.<br />
Verteilung der Arbeitsaufwände für einen spezifischen <strong>Labor</strong>prozess in Prozent der<br />
Arbeitszeit. Die Farben stellen die Kategorisierung in 4 Kategorien dar, wobei die<br />
Kategorien Dokumentation und Kontrolle bei der Einführung eines <strong>papierlose</strong>n<br />
<strong>Labor</strong>s deutlich reduziert werden können.<br />
Pharm. Ind. 73, Nr. 12, 2142 – 2145 (2011)<br />
© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)
■■Abbildung 2<br />
Verteilung von nicht-prozessbezogenen Aktivitäten pro Abteilung in Prozent der<br />
Arbeitszeit.<br />
■■Abbildung 3<br />
Aggregierte Werte über alle Prozesse und nicht prozessbezogenen Aktivitäten nach fünf<br />
verschiedenen Kategorien pro Abteilung und total. Die Kategorien Dokumentation und<br />
Kontrolle zeigen das Potential bei der Einführung eines <strong>papierlose</strong>n <strong>Labor</strong>s auf.<br />
Nutzen besteht, erlauben sie auch,<br />
Arbeitsschritte zu kategorisieren und<br />
somit das Potential für die Einführung<br />
des <strong>papierlose</strong>n <strong>Labor</strong>s quantitativ<br />
auszudrücken (siehe Abb. 3).<br />
Dies wiederum liefert die Basis für einen<br />
faktenbasierenden Business Case<br />
und für den Vergleich von verschiedenen<br />
Umsetzungsszenarien in Bezug<br />
auf deren wirtschaftlichen Nutzen.<br />
Die qualitative Prozessbeschreibung<br />
liefert somit in Kombination mit den<br />
Kennzahlen und quantitativen Aussagen<br />
aus der Multimomentanalyse<br />
die Kerninformationen für die Konzepterstellung.<br />
Berücksichtigt man noch die<br />
technische Sichtweise, die vor allem<br />
bestehende Infrastruktur, Unternehmensstandards<br />
und langfristige Strategie<br />
aus IT und apparativer Sicht beleuchtet,<br />
kann ein vollumfängliches<br />
Konzept zur Automatisierung der<br />
Pharm. Ind. 73, Nr. 12, 2142 – 2145 (2011)<br />
© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)<br />
<strong>Labor</strong>datenflussprozesse in Übereinstimmung<br />
mit den Unternehmenszielen<br />
erstellt werden.<br />
Neben den drei Sichtweisen erfordert<br />
die Konzepterstellung für das <strong>papierlose</strong><br />
<strong>Labor</strong> auch die Anwendung<br />
von Prinzipien, welche erlauben, die<br />
Soll-Prozesse basierend auf der Prozessbeschreibung<br />
der Ist-Prozesse zu<br />
definieren. <strong>Das</strong> Schlüsselprinzip und<br />
die Vision des <strong>papierlose</strong>n <strong>Labor</strong>s ist<br />
der selbst dokumentierende Prozess,<br />
ein Prozess, der allein durch seine<br />
Ausführung eine GxP-gerechte Dokumentation<br />
generiert und überflüssige<br />
Arbeit aus dem Arbeitsfluss eliminiert.<br />
<strong>Das</strong> bedeutet natürlich implizit,<br />
dass manuelle Datenerfassungen<br />
und Überträge wo immer möglich eliminiert<br />
werden, sei es durch Schnittstellen<br />
von und zu Geräten und Systemen<br />
oder, wo dies nicht möglich<br />
ist, durch Nutzung von Barcodes zur<br />
fehlerfreien und schnellen Erfassung.<br />
Es bedeutet aber auch, dass Datenredundanz<br />
und Fragmentierung<br />
eliminiert werden, das „Single-Source-of-Truth“-Prinzip<br />
umgesetzt wird<br />
und dass all diese Daten von überall<br />
und durch jeden Nutzer mit entsprechender<br />
Berechtigung in Echtzeit zugänglich<br />
sind. Dies führt wiederum<br />
zu Prozessverbesserungen, schnellerer<br />
Entscheidungsfindung und verbesserter<br />
Zusammenarbeit.<br />
Die Anwendung dieser Prinzipien<br />
auf die Ist-Prozesse erlaubt die Definition<br />
von Soll-Prozessen und die<br />
Ableitung von funktionalen Anforderungen.<br />
Als Teil des Konzepts wird<br />
im Rahmen der Gap-Analyse das Delta<br />
zwischen verfügbarer Funktionalität<br />
– aus der technischen Sichtweise<br />
– und den benötigten funktionalen<br />
Anforderungen gebildet. Erst dies ermöglicht<br />
es, das Füllen dieser Lücken<br />
konzeptionell zu betrachten, selbstverständlich<br />
immer mit den wirtschaftlichen<br />
Zielen im Hintergrund.<br />
Mögliche Szenarien beinhalten dabei<br />
auch die Adaptierung bestehender<br />
IT-Infrastruktur durch Anpassungen<br />
an bereits eingesetzte Applikationen<br />
und verschiedene Varianten, die funktionalen<br />
Lücken mit weiteren Applikationen<br />
zu schließen. War früher<br />
ein <strong>Labor</strong>-Informations-und-Management-System<br />
(LIMS) die einzige auf<br />
das <strong>Labor</strong>umfeld zugeschnittene Applikation,<br />
so ist heute eine Vielzahl<br />
von Applikationstypen mit teils überlappender<br />
Funktionalität verfügbar.<br />
Dazu gehören unter anderem elektronische<br />
<strong>Labor</strong>journale (ELN), von manchen<br />
Herstellern für den Qualitätskontrollbereich<br />
in Anlehnung an MES<br />
(Manufacturing Execution System)<br />
auch als <strong>Labor</strong>atory Execution System<br />
(LES) bezeichnet, Archivierungs-<br />
bzw. Rohdatenverwaltungssysteme<br />
(Scientific Data Management Systems<br />
(SDMS)), spezielle Applikationen zur<br />
Geräte- und Systemintegration, aber<br />
auch vermehrt ursprünglich laborfremde<br />
Applikationen wie Product-<br />
Life cycle-Management-Systeme<br />
(PLM-Systeme) oder ERP-Systeme.<br />
Einige Hersteller bieten auch Kombinationen<br />
aus den oben genannten<br />
Applikationen an und grundsätzlich<br />
ist ein Trend zur immer stärkeren<br />
Schild und Fuchslueger • <strong>Das</strong> <strong>papierlose</strong> <strong>Labor</strong> 3<br />
l Zur Verwendung mit freundlicher Genehmigung des Verlages / For use with permission ofthe publisher l
l Zur Verwendung mit freundlicher Genehmigung des Verlages / For use with permission ofthe publisher l<br />
Arzneimittelwesen • Gesundheitspolitik • Industrie und Gesellschaft<br />
Fachthemen<br />
Ausweitung und Überlappung der jeweiligen<br />
Funktionalität zu sehen, was<br />
auch als Konvergenz der Applikationen<br />
bezeichnet wird. Kurz, die Frage,<br />
welche Applikationskombination die<br />
Unternehmensziele am besten unterstützt,<br />
ist nicht einfach zu beantworten.<br />
Durch eine vergleichende SWOT-<br />
Analyse (Strengths, Weaknesses,<br />
Opportunities and Threats, Analyse<br />
der Stärken, Schwächen, Chancen<br />
und Risiken) der verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten,<br />
welche natürlich<br />
den im Rahmen des Business<br />
Case ausgewiesenen wirtschaftlichen<br />
Nutzen der jeweiligen Lösung für das<br />
Unternehmen (und nicht nur für den<br />
<strong>Labor</strong>bereich allein) berücksichtigt,<br />
kann die Auswahl im Normalfall auf<br />
ein bis zwei Szenarien reduziert werden.<br />
Selbstverständlich gilt es danach<br />
für das entwickelte Szenario, die<br />
Ziel-Applikationskombination, die<br />
passenden Produkte auszuwählen.<br />
Aufgrund des fundierten Konzepts<br />
und der definierten Soll-Prozesse<br />
und daraus abgeleiteter funktionaler<br />
Anforderungen ist dies ein relativ<br />
einfaches Unterfangen. Neben den<br />
funktionalen Aspekten gilt es hierbei<br />
auch die Komplexität der IT-Landschaft<br />
und auch weiche Faktoren,<br />
wie die Offenheit der jeweiligen Anbieter<br />
mit anderen Firmen zusammenzuarbeiten,<br />
zu berücksichtigen.<br />
Zur finalen Bestätigung der Auswahl,<br />
zur Abklärung technischer<br />
Aspekte aber auch um die späteren<br />
Nutzer der Lösung frühzeitig zu involvieren,<br />
kann es empfehlenswert<br />
sein, die Gesamtlösung zu pilotieren,<br />
also in kleinem und gut definiertem<br />
Rahmen aufzubauen. Ein derartiges<br />
Pilotsystem sollte möglichst viele Aspekte<br />
des <strong>papierlose</strong>n <strong>Labor</strong>s abdecken<br />
und so auch helfen, mit relativ<br />
geringem Risiko und Kosteneinsatz<br />
die Feinplanung der eigentlichen<br />
Implementierung abzustimmen. Die<br />
Implementierung der Gesamtlösung<br />
erfolgt im Anschluss nach gängigen<br />
Standards wie zum Beispiel GAMP ®<br />
[4]. Es versteht sich von selbst, dass<br />
im Pharma-Umfeld eine Validierung<br />
des Gesamtsystems gemäß aktueller<br />
Richtlinien [5, 6] unerlässlich ist.<br />
Hierbei erweisen sich die in diesem<br />
4 Schild und Fuchslueger • <strong>Das</strong> <strong>papierlose</strong> <strong>Labor</strong><br />
Vorgehensmodell durchlaufenen<br />
Schritte (Prozessanalyse, Konzept,<br />
Soll-Prozess, Pilotierung) als wertvolle<br />
Vorarbeit, aus der ein Teil der<br />
benötigten Dokumentation abgeleitet<br />
werden kann. Dabei ist auch zu<br />
berücksichtigen, dass das <strong>papierlose</strong><br />
<strong>Labor</strong> nicht einfach eine Systemeinführung,<br />
sondern auch und vor<br />
allem ein Prozess-Re-Engineering<br />
ist. Damit gilt es hierbei auch die<br />
Umsetzung der neuen, optimierten<br />
Prozesslandschaft in Standard Operating<br />
Procedures (SOPs) und Richtlinien<br />
mit abzubilden und so vom<br />
Nutzen des <strong>papierlose</strong>n <strong>Labor</strong>s vollumfänglich<br />
zu profitieren.<br />
Schneller, genauer,<br />
ökonomischer<br />
Aufgrund des ganzheitlichen und<br />
prozessorientierten Ansatzes ist der<br />
Nutzen des <strong>papierlose</strong>n <strong>Labor</strong>s im<br />
Vergleich zur Einführung einer spezifischen<br />
Applikation, wie z. B. eines<br />
ELN, um Faktoren höher. Die Automatisierung<br />
des Datenflusses und<br />
die weitgehende Eliminierung von<br />
dokumentatorischen und damit verbundenen<br />
Kontrollaktivitäten führen<br />
zu deutlichen Effizienzsteigerungen<br />
für <strong>Labor</strong>mitarbeiter und <strong>Labor</strong>leitung.<br />
Je nach Ausgangslage sind allein<br />
damit Effizienzgewinne von 20 bis<br />
30 % realisierbar. Damit einher gehen<br />
die Reduktion von Durchlaufzeiten<br />
und eine deutliche Reduktion des<br />
Qualitätsrisikos durch Eliminierung<br />
beinahe aller manuellen Überträge.<br />
Die systembedingte automatische<br />
Sicherstellung der Compliance und<br />
Datenkonsistenz ermöglicht, Kontrollaktivitäten<br />
auf atypische Ereignisse<br />
zu reduzieren („review by<br />
exception“) und so Ressourcen zielgerichtet<br />
einzusetzen und Prozesse weiter<br />
zu beschleunigen. Da im Rahmen<br />
der automatisierten Dokumentation<br />
zahlreiche prozessbezogene Parameter,<br />
wie z. B. Durchlaufzeiten für einzelne<br />
Methoden, Geräteauslastungen<br />
oder probenlogistische Parameter<br />
automatisch erfasst werden, steht<br />
auch ein hervorragender Datenpool<br />
für das <strong>Labor</strong>management zur Verfügung.<br />
<strong>Das</strong> <strong>papierlose</strong> <strong>Labor</strong> liefert<br />
sozusagen die Kennzahlen zu seiner<br />
kontinuierlichen Verbesserung gratis<br />
mit und macht somit auch den Vergleich<br />
von Organisationseinheiten auf<br />
einer fundierten Datenbasis möglich.<br />
Nicht zuletzt profitieren auch Bereiche<br />
außerhalb des <strong>Labor</strong>s von den in<br />
Echtzeit verfügbaren Daten, was die<br />
Zusammenarbeit über Grenzen hinweg<br />
vereinfacht, das Wissensmanagement<br />
unterstützt und zu weiteren<br />
positiven Effekten in Folgeprozessen<br />
führt. Aus Nutzersicht führt das <strong>papierlose</strong><br />
<strong>Labor</strong> zu einer deutlichen<br />
Vereinfachung des Arbeitsflusses und<br />
zu einer Reduktion der eingesetzten<br />
Systeme. Der Einsatz von nutzerspezifischen<br />
Portalen kann dies noch<br />
weiter unterstützen und den Fokus<br />
auf das Wesentliche schärfen.<br />
Es versteht sich von selbst, dass<br />
die Summe der positiven Effekte aus<br />
dem Papierlosen <strong>Labor</strong> enorm ist.<br />
Wie bei allen Investitionsprojekten<br />
dieser Größenordnung sollte auch<br />
hier nach Abschluss der Implementierung<br />
der Beweis angetreten werden,<br />
dass der kalkulierte Business<br />
Case auch der Realität entspricht.<br />
Dies kann wiederum und jederzeit<br />
mit Hilfe der Multimomentanalyse<br />
geschehen, die natürlich auch den<br />
Einfluss jeder anderen Prozessänderung<br />
auf den Arbeitsablauf quantitativ<br />
belegen kann.<br />
■■ LiterAtur<br />
[1] Ritter J. Reducing Cost by Automating<br />
<strong>Labor</strong>atory Workflow G.I.T. <strong>Labor</strong>atory<br />
Journal. 2009;13(7 – 8):32 – 34.<br />
[2] Haller-Wedel E. <strong>Das</strong> Multimomentverfahren<br />
in Theorie und Praxis. München;<br />
Carl Hanser Verlag: 1969.<br />
[3] Simons B. <strong>Das</strong> Multimomentzeitverfahren,<br />
Grundlagen und Anwendung. Köln: Verlag<br />
TÜV Rheinland GmbH; 1987.<br />
[4] ISPE: GAMP ® 5, ein risikobasierter Ansatz<br />
für konforme GxP-computergestützte<br />
Systeme, 2008.<br />
[5] Food and Drug Administration: 21 CFR<br />
Part 11.<br />
[6] EU-GMP Annex 11.<br />
Korrespondenz:<br />
Andreas Schild,<br />
Vialis AG,<br />
Kesselweg 40,<br />
4410 Liestal (Schweiz),<br />
e-mail: andreas.schild@vialis.ch<br />
Pharm. Ind. 73, Nr. 12, 2142 – 2145 (2011)<br />
© ECV • Editio Cantor Verlag, Aulendorf (Germany)
Chefredaktion: Claudius Arndt. Sekretariat: Gudrun Geppert. Verlag: ECV ·Editio Cantor Verlag für Medizin und Naturwissenschaften GmbH, Baendelstockweg 20,<br />
88326 Aulendorf (Gemany). Tel.: +49 (0) 75 25 94 00, Fax: +49 (0) 75 25 94 01 80. e-mail: redaktion@ecv.de. http://www.ecv.de. Herstellung: stm media GmbH /druckhaus<br />
köthen GmbH, 06366 Köthen (Germany). Alle Rechte vorbehalten.<br />
Bezugsbedingungen: „pharmind“ erscheint monatlich und kann vom Verlag oder durch eine Buchhandlung bezogen werden. Preise für das Jahresabonnement als<br />
Print-Ausgabe einschließlich Online-Zugang (inkl. MwSt., mindestens 12 Hefte): Inland: 248,00 € plus 29,00 € Versand. Ausland (Europa mit VAT ID Nr.): 222,43 € plus<br />
32,71 € Versand (Luftpost: 102,80 €). Ausland (Europa ohne VAT ID Nr. undweiteres Ausland): 248,00 € plus 35,00 € Versand(Luftpost: 110,00 €). Preis fürdas Einzelheft: je<br />
28,00 € plus Versand. Netzwerk-Erweiterungslizenzen auf Anfrage. <strong>Das</strong> Abonnement ist weiter rechtsverbindlich, wenn es nicht mindestens 3Monate vor Ende des<br />
Berechnungszeitraums gekündigt wird. Kostenlose Probehefte liefert der Verlag auf Anforderung.<br />
� ECV ·Editio Cantor Verlag für Medizin und Naturwissenschaften GmbH, Aulendorf (Germany).<br />
Printed in Germany ·ISSN 0031-711 X<br />
l Zur Verwendung mit freundlicher Genehmigung des Verlages / For use with permission ofthe publisher l