Laktation_und_Stillen_2016-1 deutsch S 1-9
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<strong>Laktation</strong> <strong>und</strong> <strong>Stillen</strong> 2015-4 Druck.indd 20 25.11.15 08:07<br />
4<br />
LESERBRIEFE<br />
Saughütchen <strong>und</strong> verkürzte Stilldauer – gibt es einen kausalen<br />
Zusammenhang?<br />
Leserbrief zum Artikel „Beeinflusst die Verwendung von Saughütchen die Stilldauer?“<br />
Zunächst einmal möchte ich mich für die<br />
sehr interessante <strong>und</strong> gut nachvollziehbare<br />
Auswertung der Daten „Säuglingsernährung<br />
heute, 2006“ in Bezug auf die<br />
Verwendung von Saughütchen bedanken<br />
(<strong>Laktation</strong> & <strong>Stillen</strong>, 2015/4, S.20–24). Sie<br />
hat wichtige Ergebnisse zur Anwendungshäufigkeit<br />
von Saughütchen <strong>und</strong> zur davon<br />
abhängigen Stilldauer hervorgebracht. Ich<br />
wünschte, wir hätten auch für Deutschland<br />
ähnliche Erhebungen. Gleichzeitig möchte<br />
ich aber bei einem Punkt zur Vorsicht<br />
mahnen: Zwar zeigen die Daten eindeutig<br />
auf, dass die Anwendung von Saughütchen<br />
mit einer verkürzten Stilldauer assoziiert<br />
ist. Aber eine Assoziation sagt für sich genommen<br />
nichts über einen kausalen Zusammenhang<br />
aus. Das heißt, man kann<br />
aus diesen Daten nicht ableiten, dass die<br />
verkürzte Stilldauer auf die Anwendung<br />
von Stillhütchen zurückzuführen ist.<br />
Die beiden Untersuchungsgruppen (mit<br />
<strong>und</strong> ohne Saughütchen) unterscheiden<br />
sich ja auch in anderen Merkmalen, die<br />
die Saughütchenanwendung beeinflussen.<br />
Als Gr<strong>und</strong> für die Saughütchenanwendung<br />
wurden in der Erhebung neben Schmerzen<br />
vor allem besondere Mamillenformen<br />
(kleine Brustwarzen, Hohl-, Schlupf- <strong>und</strong><br />
Flachwarzen) <strong>und</strong> Saugprobleme beim<br />
Kind angeführt (B<strong>und</strong>esministerium für<br />
Ges<strong>und</strong>heit, Säuglingsernährung heute,<br />
2006; Kurzfassung S. 25). Es ist also davon<br />
auszugehen, dass einige der Frauen Saughütchen<br />
anwendeten, WEIL bei ihnen das<br />
<strong>Stillen</strong> ohne Saughütchen nicht möglich<br />
gewesen wäre. Die verkürzte Stilldauer in<br />
dieser Gruppe wurde also möglicherweise<br />
durch die zugr<strong>und</strong>eliegenden Probleme<br />
verursacht <strong>und</strong> nicht durch die Saughütchen.<br />
Möglicherweise wäre die Stilldauer<br />
ohne Saughütchenanwendung in dieser<br />
Subgruppe also noch kürzer gewesen – die<br />
Saughütchen hätten dann die Stilldauer bei<br />
den Betroffenen verlängert <strong>und</strong> nicht verkürzt.<br />
Eine Kausalität lässt sich also aus<br />
den vorliegenden Daten nicht feststellen.<br />
Ich finde, hier muss man unheimlich aufpassen,<br />
keine falschen Rückschlüsse zu<br />
ziehen.<br />
Auch das in Abbildung 3 (S. 23) gezeigte<br />
Fallbeispiel, in dem der Gewichtsverlauf<br />
eines Säuglings vor <strong>und</strong> dann nach dem<br />
Entfernen des Saughütchens dargestellt<br />
20<br />
WISSENSCHAFT<br />
Beeinflusst die Verwendung von<br />
Saughütchen die Stilldauer?<br />
Analyse der Daten „Säuglingsernährung heute, 2006“. Do Nipple Shields influence Breastfeeding?<br />
– Analysis of the Austrian study “infant feeding today, 2006”, Autorin: Dr. Beate Pietschnig für die Österreichische<br />
Stillkommission des Obersten Sanitätsrates, (2004–2010)<br />
ZUSAMMENFASSUNG:<br />
Hintergr<strong>und</strong><br />
Saughütchen werden häufig bei Stillbeginn<br />
als Hilfestellung bei w<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> auffälligen Brustwarzen empfohlen.<br />
Sie sollen dazu beitragen, das<br />
<strong>Stillen</strong> zu ermöglichen, wenngleich die<br />
Daten diesbezüglich sehr widersprüchlich<br />
sind. Ziel der Studie war es , die<br />
Auswirkungen von Saughütchen auf<br />
die Stilldauer zu untersuchen.<br />
Material <strong>und</strong> Methoden<br />
Im Rahmen der Umfrage „Säuglingsernährung<br />
heute, 2006“ wurden Daten<br />
zur Verwendung von Saughütchen in<br />
Relation zur Stilldauer <strong>und</strong> zum Gewichtsverlauf<br />
der Säuglinge erhoben<br />
<strong>und</strong> analysiert.<br />
Ergebnisse<br />
719 Mütter von 728 Kindern aus ganz<br />
Österreich wurden 3, 6 <strong>und</strong> 12 Monate<br />
nach der Geburt befragt. 25 % der 719<br />
Mütter erhielten postpartal ein Saughütchen,<br />
52,7 % davon wegen schmerzender<br />
Brustwarzen. Säuglinge, die<br />
anfangs mit Saughütchen gestillt worden<br />
waren, zeigten signifikant kürzere<br />
Zeiten des Voll- <strong>und</strong> Teilstillens. Die<br />
Gewichtsverläufe der Kinder wiesen<br />
keine signifikanten Unterschiede auf.<br />
Schlussfolgerung<br />
Die Ergebnisse zeigen, dass Stillhütchen<br />
die Stilldauer nachteilig beeinflussen.<br />
Vom unkritischen <strong>und</strong> unbegleiteten<br />
Gebrauch von Saughütchen<br />
ist daher abzuraten.<br />
KEYWORDS:<br />
› <strong>Stillen</strong><br />
› Stillberatung<br />
› Saughütchen<br />
› Stillhütchen<br />
› Stilldauer<br />
usschließliches <strong>Stillen</strong> während<br />
A der ersten etwa sechs Monate wird<br />
national <strong>und</strong> international empfohlen.<br />
1, 6, 9, 10, 24 Dies auch vor dem Hintergr<strong>und</strong>,<br />
dass <strong>Stillen</strong> zu den effektivsten<br />
ges<strong>und</strong>heitsfördernden Maßnahmen<br />
im Ges<strong>und</strong>heitssystem gehört. 4<br />
Der Gebrauch von Saughütchen, auch<br />
Stillhütchen oder Brusthütchen genannt,<br />
wird zur Behandlung oder Vermeidung von<br />
Schmerzen <strong>und</strong> w<strong>und</strong>en Brustwarzen <strong>und</strong><br />
zur Erleichterung des Anlegens empfohlen.<br />
Insbesondere, wenn anatomische Veränderungen<br />
der Brustwarze vorliegen, wie etwa<br />
Hohl- oder Flachwarzen, können sie dazu<br />
beitragen, das <strong>Stillen</strong> überhaupt erst zu ermöglichen.<br />
Andererseits können sie selbst zu Stillproblemen<br />
führen.<br />
Stillberaterinnen beobachten, dass<br />
Mütter im Krankenhaus in den ersten<br />
Tagen vielfach Saughütchen unkritisch<br />
<strong>und</strong> ohne eingehende Information erhalten.<br />
In der Literatur finden sich wenige <strong>und</strong><br />
sehr widersprüchliche Angaben zu Nutzen<br />
<strong>und</strong> Risiken der Saughütchen. Obwohl<br />
es echte Indikationen (Hohlwarzen) <strong>und</strong><br />
relative Indikationen (z.B. Flachwarzen,<br />
manchmal Frühgeborene) zur Verwendung<br />
von Saughütchen gibt, zeigt sich in der<br />
Praxis, dass Saughütchen oft auch ohne<br />
spezifische Indikation empfohlen werden.<br />
Ein früheres Zufüttern <strong>und</strong> Abstillen der<br />
Kinder, die mit Saughütchen das <strong>Stillen</strong> beginnen,<br />
wurde vermutet.<br />
Um diese Frage zu evaluieren wurde in<br />
der Erhebung „Säuglingsernährung heute,<br />
2006“, die im Auftrag des B<strong>und</strong>esministeriums<br />
für Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> der Österreichischen<br />
Stillkommission durchgeführt wurde,<br />
gezielt die Frage nach der Verwendung<br />
von Saughütchen in den ersten Lebenstagen<br />
gestellt.<br />
www.elacta.eu <strong>Laktation</strong> & <strong>Stillen</strong> 4 • 2015<br />
wurde, muss mit großer Vorsicht interpretiert<br />
werden. Zwar wird auf der Abbildung<br />
sehr eindrücklich gezeigt, dass<br />
das Baby mit ausbleibender Gewichtszunahme<br />
nach dem Entfernen des Saughütchens<br />
rasant zunimmt, aber aufgr<strong>und</strong><br />
von fehlenden Kontrollen können auch<br />
aus diesen Daten keine Rückschlüsse gezogen<br />
werden. Theoretisch kann es sein,<br />
dass das Baby auch mit Saughütchen das<br />
Gewicht aufgeholt hätte, oder dass es ohne<br />
den Einsatz des Saughütchens bereits nach<br />
wenigen Tagen abgestillt worden wäre.<br />
Oder die verbesserte Gewichtszunahme<br />
erfolgte möglicherweise gar nicht durch<br />
die Entfernung des Saughütchens, sondern<br />
durch die professionelle Stillberatung. Aus<br />
diesem Fallbeispiel lässt sich zumindest<br />
nicht ableiten, dass das Entfernen des<br />
Saughütchens ursächlich für die verbesserte<br />
Gewichtszunahme verantwortlich<br />
war. UND: Es gibt natürlich viele Fallbeispiele,<br />
wo das Baby mit Saughütchen<br />
vorbildlich zunimmt.<br />
Um kausale Zusammenhänge zu identifizieren,<br />
sind experimentelle Studiendesigns<br />
mit sorgfältigen Kontrollen für<br />
mögliche Einflussfaktoren die beste Wahl.<br />
Man müsste für unsere Fragestellung<br />
– also Einfluss von Stillhütchen auf die<br />
Stilldauer – z.B. zwei Frauengruppen<br />
mit möglichst identischen Merkmalen<br />
nehmen (z.B. jeweils 100 Frauen mit<br />
definierten Mamillenformen anhand sehr<br />
eng definierter Kriterien <strong>und</strong> ansonsten<br />
identischen Merkmalen in Bezug auf<br />
Alter, Bildung, Geburtsmodus, Schwangerschaftswoche<br />
usw.). Die eine Gruppe<br />
(Interventionsgruppe) würde Stillhütchen<br />
erhalten <strong>und</strong> die andere (Kontrollgruppe)<br />
nicht. Ansonsten müsste die Behandlung<br />
der beiden Frauengruppen absolut<br />
identisch sein. Eine Randomisierung hilft,<br />
den Störfaktor „Selektion“ auszuschalten<br />
<strong>und</strong> andere Einflussgrößen konstant zu<br />
halten. Ein solches experimentelles Design<br />
würde es erlauben, die Auswirkung des<br />
Stillhütchens auf die Stilldauer zu untersuchen,<br />
zumindest für die definierte Zielgruppe.<br />
In der Stillforschung werden<br />
experimentelle Studien aus ethischen<br />
Gründen selten durchgeführt. Bei dieser<br />
Fragestellung könnte ich mir ein positives<br />
Ethikvotum aber durchaus vorstellen.<br />
Wenn ein experimentelles Design nicht<br />
möglich ist, dann werden vermutete Einflussfaktoren<br />
sorgfältig mit erhoben<br />
<strong>und</strong> mithilfe von multivariaten Analysemethoden<br />
kontrolliert. In der vorliegenden<br />
österreichischen Untersuchung wurden<br />
zwar Multivarianzanalysen durchgeführt,<br />
aber für unsere Fragestellung wichtige<br />
Einflussfaktoren (Mamillenform, Sauganomalien<br />
usw.) nicht berücksichtigt.<br />
Unabhängig von der Kausalität zeigen<br />
aber die Ergebnisse dieser Datenanalyse,<br />
dass das Risiko für vorzeitiges Abstillen<br />
bei Stillhütchenanwenderinnen erhöht ist.<br />
Daher sehe ich die Schlussfolgerung, dass<br />
bei dieser Gruppe eine professionelle Beratung<br />
<strong>und</strong> Begleitung besonders wichtig<br />
wäre, unbedingt gerechtfertigt.<br />
Dr. phil. Zsuzsa Bauer<br />
www.elacta.eu <strong>Laktation</strong> & <strong>Stillen</strong> 1 • <strong>2016</strong>