GB_1_2016
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Sonntagsmoment<br />
Sonntagsmomente kommen<br />
oft überraschend. Den<br />
ganzen Tag lang war ich<br />
irgendwie beschäftigt: Lange<br />
geschlafen, später zwei nette<br />
Verabredungen in der Stadt,<br />
eine Kunstausstellung, zum<br />
Schluss mit sattem Magen auf<br />
dem Rückweg. An der U-Bahn- Foto: luisatopia/photocase.de<br />
Haltestelle herrscht Hektik wie<br />
an Wochentagen, Geschäftigkeit<br />
und Anonymität. Und dann kommt der Sonntagsmoment, ganz unverhofft<br />
und unscheinbar: in Form einer Maus. Die Maus lugt erst vorsichtig aus einem<br />
kleinen Loch in der Wand, rennt dann zur Verwunderung der Wartenden<br />
mitten auf den Bahnsteig – und beißt dort herzhaft in eine große Pommes,<br />
die plattgetreten auf dem Boden liegt. Mit ihrer Beute huscht sie wieder zurück<br />
in ihre kleine Höhle. Geschafft! Ich freue mich für die Maus. Die hat jetzt ein<br />
richtiges Sonntagsessen.<br />
Aber dann kommt es noch besser. Neben mir wartet ein großer, gutgekleideter<br />
Mann auf die nächste Bahn. Er sieht ziemlich ernst aus. Doch jetzt schiebt<br />
er mit seinem schicken Turnschuh die restlichen Pommes in Richtung<br />
Mauseloch. Damit die Maus nicht so einen weiten Weg hat. Alle Wartenden<br />
lächeln ihn wohlwollend an. Eine nette Geste gegenüber einer Maus verbindet<br />
uns – Menschen, die sich sonst nicht weiter beachtet hätten. Die U-Bahn<br />
kommt und die Versammlung löst sich auf. Vor lauter Neugierde, ob die Maus<br />
noch mal auftaucht, vergesse ich fast das Einsteigen.<br />
Den Feiertag heiligen sollen ja laut der Zehn Gebote auch Rind und Vieh.<br />
Manchmal, finde ich, gilt das auch für Mäuse.<br />
Dörthe Mohme, Praktikantin bei Andere Zeiten<br />
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