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18 PRÊT-À-PARLER<br />
KINDERKRAM<br />
Weißt du, dass ich mich im Westend immer verlaufe, hatte<br />
unsere Freundin, die Buchhändlerin, ganz außer Atem<br />
gesagt, um zu erklären, warum sie zu spät ins Café gekommen<br />
war. Wir hatten eigentlich über den nächsten Spieleabend<br />
sprechen wollen, aber sie war immer noch bei den<br />
Himmelsrichtungen im Westend. Du gehst eine Straße<br />
entlang und bist ganz sicher, dass du am Ende auf die Uni<br />
stößt, und kommst statt dessen zum Reuterweg, das ist<br />
wirklich seltsam, hatte sie gesagt, und ich hatte gesagt,<br />
dass es mir genauso gehe. Dabei sei Frankfurt noch übersichtlich,<br />
hatte sie gesagt, aber Hamburg zum Beispiel ist<br />
richtig schwierig. Mein nordhessischer Cousin sagt immer,<br />
in Kassel gibt es nur zwei Richtungen, zum Herkules oder<br />
zum Rathaus, hatte ich gesagt, und die Buchhändlerin<br />
hatte gefragt, ob denn mein Cousin beim nächsten Spiel<br />
wieder mit dabei sein würde.<br />
Also schickte ich ihn zum Öffnen, als die Buchhändlerin<br />
und ihr Mann bei uns klingelten, die Buchhändlerin<br />
fiel ihm um den Hals, und Ullrich boxte ihm gegen die<br />
Schulter. Au, sagte mein Cousin, und Ullrich sagte, dass<br />
das doch nur Spaß gewesen sei.<br />
Möchtet ihr was trinken, fragte meine Frau.<br />
Nach dem Essen packte mein Cousin das Spiel aus, das<br />
er mitgebracht hatte. Es hieß „Umtata“, auf dem Spielbrett<br />
war eine Europakarte abgebildet, die in vier Bereiche unterteilt<br />
war. Die Länder waren grün, violett, orange oder gelb.<br />
Mein Cousin hielt einen Kartenstapel hoch. Hier sind<br />
Fragen, sagte er, und die Antwort ist immer genau ein<br />
Land. Jeder von uns bekommt eine Drehscheibe, auf der er<br />
eine Himmelsrichtung und eine Farbe einstellen kann.<br />
Wer die Antwort weiß, stellt auf seiner Scheibe das ein, was<br />
zu dem Land passt. Er kann aber auch, wenn er ganz sicher<br />
ist, die Scheibe in den Karton des Spiels werfen. Wenn er<br />
recht hat, kriegt er drei Punkte, wenn nicht, keinen. Die<br />
anderen kriegen je einen Punkt für die richtige Farbe und<br />
die richtige Himmelsrichtung.<br />
Toll, sagte Ullrich, und was sind das so für Fragen?<br />
Welches Land die meisten Regentage hat oder den höchsten<br />
Verbrauch an Weckewerk?<br />
Nordhessen ist kein eigenes Land, wenn du das schon<br />
wieder meinst, sagte mein Cousin, und die Buchhändlerin<br />
fand, dass Nordhessen sicher genug an kulturellen Besonderheiten<br />
zu bieten hätte, um bei dem Spiel für sich allein<br />
vorzukommen. Das glaube ich allerdings auch, sagte Ullrich,<br />
und lachte hämisch.<br />
Die Buchhändlerin wusste, dass es in Island eine Elfenbeauftragte<br />
gibt und dass in Malta die Kirchtürme zwei<br />
Zifferblätter haben, um den Teufel darüber zu täuschen,<br />
was die Stunde geschlagen hat. Sie wusste, dass der Erfinder<br />
des Zauberwürfels aus Ungarn stammt und dass es<br />
auf den Färöern mehr Schafe als Menschen gibt. Ullrich<br />
wusste nur, dass das stärkste Bier der Welt in Schottland<br />
gebraut wird. Er wurde Letzter. Die Buchhändlerin zog<br />
allen davon und machte die entscheidenden Punkte mit<br />
dem Wissen, dass das 1995 aufgelöste Brieftaubenkorps in<br />
der Schweiz zu Hause gewesen war.<br />
Na toll, sagte Ullrich, hier gewinnt, wer in der Zeitung<br />
als erstes die Rubrik „Vermischtes“ liest und alles auswendig<br />
lernt.<br />
Das mit dem Weckewerk stand aber nicht in der Zeitung,<br />
sagte mein Cousin.<br />
Frag dich mal, warum, sagte Ullrich.<br />
Und ich brachte unseren Sohn ins Bett.<br />
Tilman Spreckelsen<br />
Es leuchtet wieder: Im Düsseldorfer Dreischeibenhaus ist das Restaurant „Phoenix“ frisch eröffnet.<br />
Patrick Schwarz-Schütte hat viel zu tun. Erst seit kurzem<br />
ist der Düsseldorfer Unternehmer auch Gastronom. Im<br />
Dreischeibenhaus, seit 1960 Architektur-Ikone des deutschen<br />
Wirtschaftswunders in Düsseldorf und nach langer<br />
Sanierung nun in neuem alten Glanz, wurde gerade sein<br />
erstes Restaurant eröffnet. Wo einst das Dauerklingeln der<br />
Thyssen-Telefonzentrale den Raum erfüllte, klappern neuerdings<br />
nur leise Porzellanteller. Hier soll das „Phoenix“,<br />
benannt nach dem ursprünglichen Erbauer, der Phoenix-<br />
Rheinrohr AG, ein neuer Treffpunkt werden.<br />
Auch der gestalterische Stil erinnert an die sechziger<br />
Jahre. Zur Zeit finden hier 70 Personen Platz, bald wird<br />
ein eigener Fine-Dining-Bereich im Zwischengeschoss eröffnet,<br />
und im Sommer sollen die Terrassen im 22. Stock<br />
geladenen Event-Gästen neben Delikatessen auch Düsseldorf<br />
von oben näher bringen. So eine Maschine muss erst<br />
mal zum Laufen gebracht werden.<br />
„Eigentlich sollte das hier alles zur Entspannung dienen,<br />
aber für ein Hobby frisst es zu viel Zeit“, sagt Schwarz-<br />
Schütte lachend. „Am Anfang muss man alles selbst machen.<br />
Alle Prozesse, Probleme und Mitarbeiter verstehen. Wenn<br />
ich dann sehe, dass es läuft, kann ich aber auch delegieren.<br />
Ansonsten wäre ich nicht so weit gekommen.“<br />
Als Unternehmer hat Patrick Schwarz-Schütte im Rheinland<br />
beinahe Kultstatus. Als er das vom Vater gegründete<br />
Familienunternehmen Schwarz Pharma 2010 veräußerte,<br />
schenkte er jedem Mitarbeiter, vom Fließbandarbeiter bis<br />
zum Abteilungsleiter, als Dankeschön 10.000 Euro. Weh<br />
getan hat den Schwarz-Schüttes die Sonderzahlung von<br />
43 Millionen Euro wohl kaum, immerhin zählen sie zu<br />
den reichsten Familien Deutschlands.<br />
Der entspannte Rheinländer, mittlerweile Chef der<br />
Investment-Gruppe Black Horse, will auch als Gastronom<br />
an unternehmerische Erfolge anknüpfen. Mit dem Dreischeibenhaus<br />
hat er 2011 nicht nur ein Denkmal gekauft,<br />
sondern sich selbst auch eines gesetzt – das schürt Erwartungen.<br />
„Indirekt steht hier überall mein Name drauf, und<br />
ich möchte selbst dafür sorgen, dass die Qualität stimmt.<br />
Deshalb habe ich mir auch keinen Pächter gesucht.“ Unterstützt<br />
wird er im „Phoenix“, dessen schummrig gepolstertes<br />
Interieur als Bar-Kulisse der Serie „Mad Men“ dienen<br />
könnte und in Zusammenarbeit mit den Berliner Architekten<br />
Etienne Descloux und Irina Kromayer entstand,<br />
von 35 Mitarbeitern, unter ihnen acht Köche unter kulinarischer<br />
Leitung von Philipp Soldan. Auf dessen Menükarte<br />
stehen etwa Fjordforelle mit Avocadosalsa, geschmorte<br />
Kalbsbacke mit Rahmpolenta oder Zanderfilet mit Blutwurst-Kartoffelstampf.<br />
„PHOENIX“ STEIGT AUF<br />
Patrick Schwarz-Schütte wird ihnen über die Schulter<br />
schauen, denn er ist selbst ein guter Koch. Die Leidenschaft<br />
wurde aus der Not geboren, wegen des schlechten<br />
Essens im Internat. „Es gab immer nur Nudeln, Kartoffeln<br />
und Brot, auf Dauer sehr trist.“ Ausgerechnet Johannes<br />
Mario Simmel brachte ihn darauf, selbst zu kochen: „Es<br />
muss nicht immer Kaviar sein“, für ihn die Mutter aller<br />
Kochbücher, erblickte im gleichen Jahr das Licht der Welt<br />
wie das Dreischeibenhaus. „Ein bisschen Crime, ein bisschen<br />
Sex, ein bisschen Kochen – es war der reinste Schund,<br />
aber es wurde darin gekocht, das habe ich geliebt.“<br />
Wenn die Familie am Sonntag zum wöchentlichen<br />
Brunch eintrudelt, zaubert er wahlweise Lammkarree,<br />
Kalbsrücken, Rehkeule oder einen Wildschweinbraten.<br />
Auch Fisch ist mal dabei. Mit seinen Schulkameraden<br />
hat er früher Forellen geklaut oder mit dem Luftgewehr<br />
Kaninchen geschossen. Und als ein Mitschüler zu Weihnachten<br />
von seinem Vater per Postbeutel einen Hasen geschickt<br />
bekam, wusste er, was zu tun war. „Den haben wir<br />
dann auch noch gar gekriegt.“ Auch heute jagt Schwarz-<br />
Schütte selbst gelegentlich, unterstützt von seinen Söhnen.<br />
In Westfalen möchte er mit einer Rinderzucht anfangen<br />
– auch, um eine geschlossene Lieferkette aufzubauen, bei<br />
der man nachvollziehen kann, woher das Stück Fleisch<br />
tatsächlich kommt. „Außerdem ist mir wichtig, alle Teile<br />
eines Tieres zu verwenden. Dann gibt es halt mal Ravioli<br />
mit Rehfüllung oder einen tollen Fond aus der Schulter.“<br />
Schließlich arbeitet man heute ganzheitlich. Celina Plag<br />
Könnte auch selbst am Herd stehen: Patrick Schwarz-Schütte, hier<br />
vor dem Dreischeibenhaus, ist nun auch Gastronom.<br />
PRÊT-À-PARLER<br />
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