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34 INTERVIEW<br />
die Tätowierer abgeklappert. Ich wusste: Um weiterzukommen,<br />
brauche ich professionelle Hilfe. Wenig später<br />
habe ich in München meine Ausbildung begonnen,<br />
zweieinhalb Jahre.<br />
„ Tattoos<br />
muss<br />
man sich<br />
verdienen“<br />
Was macht einen guten Tätowierer aus?<br />
Er berücksichtigt zum Beispiel, dass die Haut ein lebendiges<br />
Gewebe ist und dass die Tätowierfarbe altert. Eine frisch<br />
tätowierte Linie ist satt und scharf. Nach ein paar Jahren<br />
wird sie heller, läuft leicht aus. Deswegen ist nicht unbedingt<br />
derjenige der Beste, der besonders filigran arbeitet.<br />
Frisch gestochen mag das beeindruckend sein, aber wenn<br />
ich nicht im Hinterkopf habe, dass in zehn Jahren dort,<br />
wo vorher zwei feine Linien nah beieinander waren, nur<br />
noch eine dicke zu erkennen ist, dann ist es schlecht.<br />
Tätowierungen sind ein Massenphänomen<br />
geworden. Wie es dazu kam, was das aus<br />
erotischer Sicht bedeutet und warum auch<br />
das „Arschgeweih“ seine Berechtigung hat,<br />
erklärt der Münchner Tattoo-Künstler Besen.<br />
Fotos Andreas Müller<br />
Können Tätowierungen mit dem Alter gewinnen?<br />
Ich finde sie am schönsten, wenn sie ungefähr ein Jahr<br />
alt sind und eine gewisse Weichheit entwickelt haben.<br />
Dann sehen sie nicht mehr aus wie ein Bild auf der Haut,<br />
sondern wie ein Teil von ihr.<br />
Gibt es Hauttypen, bei denen Tätowierungen besser wirken<br />
als bei anderen?<br />
Es klingt widersinnig, aber je heller die Haut ist, desto<br />
besser funktionieren helle Farben. Die erste Hautschicht<br />
ist wie das Glas bei der Hinterglasmalerei. Wenn es<br />
dunkel ist, sehe ich nicht mehr viel von dem dahinterliegenden<br />
Bild.<br />
Wie sieht’s mit Leberflecken aus? Kann man die in Tattoos<br />
einbauen, etwa, wenn sich jemand ein Porträt vom Motörhead-Sänger<br />
Lemmy inklusive Warze wünscht?<br />
Man kann alles. Priorität bei der Plazierung sollte aber<br />
haben, dass das Tattoo mit den Körperformen harmoniert.<br />
Wenn ich eine Schlange an einer Stelle tätowiere,<br />
an der Muskeln zu sehen sind, sollte die Schlange dem<br />
Muskelverlauf folgen – und nicht quer dazu liegen.<br />
Stich-Tag: Der Schmerz gehört beim Tätowieren dazu.<br />
Besen, was kam bei Ihnen zuerst: Tätowieren oder<br />
Tätowiertwerden?<br />
Beides gleichzeitig: Mein erstes Tattoo habe ich mir selbst<br />
gestochen, mit 14. Ich hab’ eine Nadel genommen und<br />
einen Faden drum herum gewickelt. Der war in Farbe<br />
getränkt. Damit hab’ ich mir ein Stacheldrahtglied auf<br />
den Unterarm tätowiert.<br />
Wieso Tätowieren, wieso Stacheldraht?<br />
Das war so ein Revoluzzerding. Ich war Punk, hatte einen<br />
Irokesenschnitt, der anscheinend aussah wie ein Besen.<br />
Daher auch mein Künstlername.<br />
Wie war das erste Mal?<br />
Ich war überrascht, dass die Nadel so schwer in die Haut<br />
geht. Die Farbe muss ja in die zweite Hautschicht.<br />
Woher wussten Sie das?<br />
Wusste ich wahrscheinlich gar nicht. Ich hab’ unterschiedlich<br />
tief gestochen, deswegen ist die Tätowierung<br />
auch nicht gleichmäßig abgeheilt.<br />
Wie kam das Tattoo bei den Eltern an?<br />
Es war so klein, dass sie es nicht wirklich realisiert haben.<br />
Das kam dann beim zweiten mit 15, 16. Damals war<br />
es ein Bekannter mit einer selbstgebauten Tätowiermaschine,<br />
die ursprünglich mal ein Rasierapparat war.<br />
Das Tattoo, diesmal auf dem rechten Oberarm, sollte<br />
ein Porträt von Sid Vicious sein, war aber nicht wirklich<br />
zu erkennen. Da haben meine eher unspießigen Eltern<br />
dann doch gesagt, dass ich es später bereuen würde.<br />
Und: Haben Sie?<br />
Nein. Aber ich würde trotzdem keinem empfehlen,<br />
einfach drauflos zu tätowieren, schon wegen der Hygiene.<br />
Das kann auf die Gesundheit gehen.<br />
Es gibt Mediziner, die generell vor Tattoos warnen.<br />
Die langfristigen Folgen kennt tatsächlich niemand. Es<br />
gibt meines Wissens keine wissenschaftlichen Studien,<br />
die Unbedenklichkeit oder Bedenklichkeit attestieren.<br />
Das Einzige, was man sicher weiß: Menschen lassen sich<br />
seit Ewigkeiten tätowieren, offenbar ohne größere<br />
Schäden. Trotzdem sollte jedem klar sein, dass mit der<br />
Farbe ein Fremdkörper in den eigenen Körper kommt.<br />
Wie wurden Sie zum Tätowierprofi?<br />
Schon in der Schule war mir klar: Ein Nine-to-Five-Job<br />
ist nicht mein Ding. Mir fehlte aber die Idee, womit ich<br />
sonst Geld verdienen könnte. Der Aha-Effekt kam auf<br />
einer Indien-Reise. Ich hab’ dort einen wahnsinnig guten<br />
Tätowierer aus Europa kennengelernt, der mit Fotomappe<br />
und Tätowiermaschine unterwegs war. Zu der Zeit bin<br />
ich viel gereist und habe dann eben gemerkt: Reisen und<br />
Tätowieren geht zusammen. Also hab’ ich mir eine<br />
Maschine gekauft. Da war ich 23.<br />
Und dann?<br />
Hab’ ich an mir selber und im Freundeskreis rumprobiert.<br />
Das würde ich auch nicht mehr machen, aber so hatte ich<br />
immerhin erste Arbeitsproben. Mit denen und meinen<br />
Zeichnungen hab’ ich dann auf einer Tattoo-Convention<br />
Kunst und Kundendienst: Besen macht nicht jeden Wunsch seiner Auftraggeber mit. Grundsätzlich aber gilt: „Die Tätowierung gehört den<br />
Tätowierten, sie sollen damit glücklich sein.“<br />
Sie sind Künstler und Dienstleister. Wenn ein Kunde sagt:<br />
Die Schlange soll sich quer zum Muskel schlängeln –<br />
inwieweit sind Sie da bereit, Ihre Kunst dem Kundenwunsch<br />
unterzuordnen?<br />
Natürlich gebe ich Ratschläge, manche Wünsche lehne<br />
ich auch ab, denn jedes Tattoo ist ja auch eine Art<br />
Visitenkarte für mich. In erster Linie verstehe ich mich<br />
aber als Dienstleister. Die Tätowierung gehört den<br />
Tätowierten, sie sollen damit glücklich sein.<br />
Welche Art von Körper lässt sich am besten tätowieren?<br />
Extreme sind von Nachteil. Wenn ein Kunde dürr und<br />
knochig ist, hat man kaum Fläche. Zu muskulös ist auch<br />
nicht ideal. Am geeignetsten ist jemand, der gerade ein<br />
bisschen zugenommen hat. Die Haut ist dann schön<br />
gedehnt. Das gilt auch für bestimmte Körperstellen.<br />
Unterschenkel zum Beispiel sind bei Tätowierern beliebt.<br />
Jeder macht Fehler. Was bedeutet das in Ihrem Fall?<br />
Das hängt von der Tätowierung und vom Kunden ab.<br />
Manche Designs verzeihen nicht das Geringste, zwei<br />
gerade Linien ums Handgelenk zum Beispiel. Wenn<br />
ich etwas Organisches wie eine Rosenblüte mache,<br />
habe ich mehr Spielraum. Unter den Kunden sind<br />
diejenigen am kritischsten, die sich zum ersten Mal<br />
tätowieren lassen – meistens etwas sehr Kleines. Die<br />
schauen auf jedes Detail. Leute, die öfter kommen,<br />
sind entspannter.<br />
Gibt es Motive und Körperstellen, von denen Sie abraten?<br />
Sagen Sie auch mal: „Arschgeweih haben so viele, würde ich<br />
nicht machen“?<br />
Das ist für mich kein Argument. Viele Leute wollen ja<br />
gerade, was viele andere haben. Und keiner weiß, was in<br />
fünf Jahren Mode ist. Es gibt aber Tätowierer, die sehen<br />
das anders. Als das Ornament am Sacrum, sprich: das<br />
„Arschgeweih“, so beliebt war, hat ein Kollege an seinem<br />
Stand auf der Tattoo-Convention ein Schild aufgehängt:<br />
„Keine Arschgeweihe“. Kann sein, dass er sogar der<br />
Urheber des Wortes ist, jedenfalls ist es mir bei ihm zum<br />
ersten Mal begegnet.<br />
Wie entstehen Tätowiermoden?<br />
Das Paradoxe ist ja, dass das Tätowieren, obwohl auf<br />
Dauer angelegt, überhaupt Moden unterworfen ist.<br />
Wie bei allen Moden spielt eine Rolle, was die Leute bei<br />
Fahrzeugdarstellung zeigt Sonderausstattung.<br />
DAS NEUE MINI CABRIO.<br />
STAY OPEN.