Short Stories 1-3
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Ingriied Nordinstrøm <strong>Short</strong> <strong>Stories</strong> 1-3<br />
Hallo, mein Name ist Ingriied und ich bin imaginär.<br />
Mal ehrlich, wer hatte ihn noch nicht, diesen Gedanken für einen Sekundenbruchteil...dieses<br />
Verlangen das einen kurz durchzuckt...diese Gier nach einer Kurzschlussreaktion...das Verlangen<br />
dieses nervtötende Leben zu Beenden das da gegenüber sitzt und einem den Verstand aus der<br />
Rübe redet...den Kopf vom Hals zu reissen, ihn zumindest ein zu schlagen...damit es endlich still<br />
wird.<br />
Meist ebbt ein solches Verlangen ab und verwandelt sich in den harmlosen Wunsch wenigstens<br />
mal ordentlich rein zu hauen, in das blöde Gesicht...<br />
Und dann endet es doch damit, dass man mit dem eigenen Kopf verzweifelt auf der Tischplatte<br />
landet und innerlich wimmernd darauf wartet, dass jene Art von Überflussmensch die Klappe<br />
hält...<br />
Doch was, wenn dieses Gefühl, diese Gier eben nicht nachlässt??<br />
In der heutigen Gesellschaft sind wir ständig zum Aushalten, Ausharren, Erdulden gezwungen.<br />
Das macht krank.<br />
Stellen Sie sich also vor, Sie könnten all diesen Mordgelüsten fröhlich frönen und endlich mal sich<br />
und Ihrer Kettensäge freien Lauf lassen. Stellen Sie sich vor, einen solchen Ort wo dies jederzeit<br />
möglich ist, trügen Sie sogar stets mit sich herum. Nehmen Sie den Ort, an dem derart böse<br />
Gedanken entstehen doch mal dankend an, als eine Art privates Holodeck! Verdammen Sie diese<br />
Geburtsstätte Ihrer bösen Seite nicht! Nehmen Sie sie als Möglichkeit wahr, in die Sie eintauchen<br />
und anrichten können was immer Ihnen im Kopf rum spukt. Denn wem nutzt es, wenn Ihnen aus<br />
lauter Wut und Verzweiflung über bescheuerte Menschen der Kopf platzt? Niemandem. Es gibt nur<br />
eine gewaltige Sauerei.<br />
Ich lade Sie heute in meinen Kopf ein.<br />
Wissen Sie das Schöne am imaginär sein ist doch, dass man tun und lassen kann was man will<br />
Mein Name ist Ingriied und ich bin imaginär.<br />
Ich töte.<br />
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Ingriied Nordinstrøm <strong>Short</strong> <strong>Stories</strong> 1-3<br />
ONE<br />
Der Pudel und ich<br />
Die Idiotie mancher Menschen trägt denke ich die Hauptschuld daran, dass ich hin und wieder zu<br />
kleinen und größeren Morden neige.<br />
Es gibt Leute, die können sich beherrschen oder sich anderweitig mit dümmlichen Hobbies<br />
ablenken. Zu dieser Art Leuten gehöre ich nicht.<br />
Ich habe auch schon des öfteren darüber nachgedacht, ob ich mich diesbezüglich vielleicht in<br />
ärztliche Behandlung begeben sollte. Aber am Ende würde man mir ja doch nicht glauben. Oder<br />
mich weg sperren. Nun ja, ich erzähle es jetzt Ihnen. Denn es ist ja egal, ob Sie mir glauben, oder<br />
eben auch nicht, hier geht es um Unterhaltung. I love to entertain you.<br />
Meinen ersten Mord beging ich eigentlich aus Versehen. Im Affekt. Ich konnte praktisch gar nichts<br />
dafür. Ich würde es sogar als Notwehr interpretieren. Ich habe mich gegen Dummheit, die mir ganz<br />
offensichtlich Schmerzen und damit Schaden zu gefügt hat, gewehrt. Ohne zu überlegen, aus einer<br />
schlechten Laune heraus und beflügelt durch ihre eigene Penetranz, erschlug ich meine Nachbarin<br />
mit diesem kitschigen gold-weißen Keramikpudel, den sie vor einem Jahr verzückt neben ihrer<br />
Wohnungstür platziert hatte. Sie hatte ihn bei so einem Teleshopping bestellt. Der Mann, der<br />
dieses Wunderwerk der Töpferkunst anpries, hatte gesagt, dass der dumme Köter jeden<br />
Hauseingang zu einem königlichen Tor in die Gemütlichkeit machen würde... Ja, letztlich hatte er<br />
ihre Tür ins Totenreich geziert.<br />
Meine Nachbarin hatte schon wieder meine Post abgefangen. Das machte sie ständig. Sie suchte<br />
immer einen Weg, mit mir ins Gespräch zu kommen. Mir die Tristesse ihres nichtssagenden Lebens<br />
aufs Butterbrot zu schmieren. Mir zu sagen, dass meine Musik am Wochenende mal wieder ein<br />
wenig zu laut war...abgesehen davon, fand sie jede Art von Musik unerträglich egal in welcher<br />
Lautstärke, wenn es sich nicht um Folksmusik mit viel Ufftata und Tirallala handelte.<br />
Des weiteren führte sie Tagebuch über mein Betreten und Verlassen meiner eigenen Wohnung.<br />
Weiß der Himmel warum.<br />
Wie dem auch sei, an diesem einen Montagnachmittag war jedes Wort von ihr zu viel.<br />
Montage sind sowieso schrecklich, weil man noch eine ganze Arbeitswoche vor sich hat und die<br />
Erkenntnis, die Zeit nicht zu einer schnelleren Gangart befleißigen zu können, macht mich an<br />
Montagen immer besonders wütend.<br />
Ich hatte also kaum meinen Schlüssel aus der Tasche gefischt, da stand sie auch schon hinter mir,<br />
wie ein böser Geist. Meine Post in ihren Händen. Meine persönlichen Anschreiben! Dinge die sie<br />
einen Scheißdreck angingen! Und sie fragte mich mit dieser heiseren, leicht jammernden Stimme,<br />
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Ingriied Nordinstrøm <strong>Short</strong> <strong>Stories</strong> 1-3<br />
ob ich mir vielleicht mal dieses eine Schreiben von ihrer Bank ansehen könnte, da junge Leute wie<br />
ich ja viel besser durch so was durchsteigen würden. Sie hätte auch wieder meine Post für mich<br />
entgegen genommen, damit nichts weg kommt. Ich frage mich bis heute, wozu ich einen<br />
Briefkasten habe. Oder warum ich als Adresszusatz nicht gleich überall angab, „Bitte der hässlichen<br />
Trulla mit dem Keramiktick nebenan in die Hand drücken.“<br />
Was soll ich lang drum rum reden. Ich folgte ihr ein zwei Schritte in ihre Wohnung. In diesen<br />
riesigen begehbaren Setzkasten. Regale voll mit Porzellanpüppchen mit gruselig, starren<br />
unnatürlich geschminkten Fratzen, mit der ganzen Fülle der Tierwelt gebannt in Keramik und<br />
Porzellan, mit Kunstblumengestecken und Kristallschalen...in der Luft tanzten Staubkörner, die sich<br />
listig auf die Teleshoppingexponate nieder ließen. Es musste die meiste Lebenszeit meiner<br />
Nachbarin gekostet haben, die ganze Nippesscheiße ab zu stauben. Den Rest ihrer Zeit verbrachte<br />
sie ganz offensichtlich damit, mich zu bespitzeln. Was ein Leben.<br />
Der Pudel und ich beendeten dieses sinnlose Dasein. Sie hörte einfach nicht auf zu reden und ich<br />
hatte einen wirklich beschissenen Tag. Sie drehte mir den Rücken zu, um diesen Bankbrief zu<br />
holen, ich packte Fifi und schlug zu. Zack. Einfach so. Fifi´s Fell bekam ein paar interessante Risse<br />
und gewann optisch sehr durch Blutspritzer. Meine Nachbarin ging wie ein toter Baum zu Boden.<br />
Ich hatte gut getroffen. Ich stand da und sah den Pudel voller Bewunderung an. Völlig beeindruckt,<br />
wie robust sein Keramikkorpus doch war. Und wie empfindlich ein menschlicher Schädel sein kann,<br />
wenn man nur die richtige Stelle trifft.<br />
Mein Blick wanderte zu meiner Nachbarin, die still und leise ihren dicken Perserteppich voll<br />
blutete.<br />
Nun war es getan. Sie war tot. Ich hatte gemordet. Ich wartete einen Moment auf ein schlechtes<br />
Gewissen oder Panik oder etwas ähnliches. Nichts.<br />
Ich meldete mich den nächsten Tag krank, um die Spuren meiner Tat zu beseitigen. Ich zerteilte<br />
meine Nachbarin in kleine Häppchen und fror sie ein. Das war der Grund, warum ich eine große<br />
Gefriertruhe kaufte. Mal ehrlich, wollten Sie eine zerteilte Leiche neben den Pommes im<br />
Gefrierfach liegen haben? Ich nicht. Ein Fach für die Pommes, eine Truhe für die Toten. Ich<br />
entsorgte ihre gefrorenen Überreste stückchenweise im Mülleimer bei der Bushaltestelle, von der<br />
ich jeden Morgen mit dem Bus zur Arbeit fahre. Ich hätte nie gedacht, dass ich damit durch<br />
komme.<br />
Die Polizei räumte irgendwann ihre Wohnung. Keine Angehörigen. Sie galt nun als vermisst. Ich<br />
habe bei der Befragung der Nachbarn durch die Polizei überrascht, aber wenig beeindruckt getan.<br />
Dass ich jetzt wohl meinen Briefkastenschlüssel suchen müsste, wo doch keiner mehr meine Post<br />
annimmt...<br />
Den Rest der Woche verbrachte ich übrigens so entspannt, wie schon lange nicht mehr. Ich<br />
schlenderte pfeifend nach Hause, öffnete schwungvoll den Briefkasten und drehte am<br />
Wochenende meine Musik so richtig auf. Den gereinigten gold-weißen Teleshopping -<br />
Keramikpudel habe ich übrigens auf der Terrasse stehen. Jedes Mal wenn ich an einem lauen<br />
Sommerabend bei einem Glas Wein draussen sitze und ihn ansehe, wie er da hockt mit seinen<br />
Rissen und der vom Schlag eingedrückten Schnauze muss ich lächeln... Ende<br />
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Ingriied Nordinstrøm <strong>Short</strong> <strong>Stories</strong> 1-3<br />
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Ingriied Nordinstrøm <strong>Short</strong> <strong>Stories</strong> 1-3<br />
TWO<br />
Ein neuer Gefährte<br />
Ich bin ja wahrlich kein Unmensch. Ich bin auch kein Misanthrop. Nur weil ich hin und wieder<br />
Menschen umbringe, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass ich alle Menschen durch die Bank<br />
verabscheue! Es sind bestimmte Menschen. Mit bestimmten Verhaltensmustern oder<br />
Gewohnheiten, oder einem Musikgeschmack der sich von meinem gravierend unterscheidet. Der<br />
Musikgeschmack ist ein guter, völlig unterschätzter Indikator dafür, mit was für einer Art Mensch<br />
man zu tun hat. Nicht zu 100% fehlerfrei, aber mich hat er noch nie getäuscht.<br />
Meine verblichene Nachbarin zum Beispiel: Volksmusikveteran der ganz schlimmen Sorte. Einsam.<br />
Teleshoppingsüchtig. Neugierig. Aufdringlich. Tot. Und dann wundern sich die Leute.<br />
Der kleine dicke Mann der morgens immer mit mächtigen Kopfhörern auf den Ohren an meiner<br />
Bushaltestelle vorbei geht, lächelt einfach ausnahmslos jeden Morgen wie die aufgehende Sonne.<br />
Ich wette, er und ich haben einen ähnlichen Musikgeschmack. Man erkennt sich doch irgendwie<br />
unterbewusst.<br />
Ich lächle auch viel. Hätten sie jetzt nicht angenommen, was? Ist aber so.<br />
Ich beginne den Tag lächelnd. Und ich würde den ganzen Tag lang lächeln, wenn es da nicht<br />
bestimmte Menschen gäbe, die einem das Lächeln immer irgendwie versauen. Das allein schon,<br />
die Tatsache, dass man mir mein Lächeln brutal aus dem Gesicht zerrt, rechtfertigt meine Taten.<br />
Mein Lächeln verschwand zum Beispiel immer dann schlagartig, wenn sich das Fleisch gewordene<br />
Schützenfest, eine Haltestelle nachdem ich eingestiegen bin neben mich setzte. Dieser Mensch<br />
roch. Nach Schützenfest. Bier und Schweinshaxe mit Sauerkraut. Abgesehen davon, hatte er sein<br />
tragbares Musikabspielgerät derart laut gedreht, dass seine billigen Kopfhörer zwar die Geräusche<br />
außerhalb seines Umfeldes von ihm fernhielten, jedoch seine Musik nicht von mir. Ein Marsch nach<br />
dem anderen schmetterte da jeden Morgen durch seinen Schädel. Und seine Händflächen<br />
klatschten mehr oder minder rhythmisch auf seine Oberschenkel.<br />
Meine Halsschlagader pulsierte definitiv wütend im Takt mit und bescherte mir jedes Mal<br />
hämmernde Kofschmerzen. Diese Kopfschmerzen begleiteten mich wie ein treuer Kumpel durch<br />
den Tag.<br />
Eines Tages personifizierten sich diese Schützenfestkopfschmerzen und fingen an mit mir zu<br />
schwätzen.<br />
Anfangs waren es Floskeln und alltägliche Höflichkeiten. Jedoch begann diese imaginäre<br />
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Ingriied Nordinstrøm <strong>Short</strong> <strong>Stories</strong> 1-3<br />
Schießbudenfigur mir mehr und mehr den Grund ihrer Existenz klar zu machen. Und wie leicht es<br />
wäre sie und den Ursprung ihres Daseins los zu werden. Ich muss zugeben, angesichts des<br />
zusätzlichen Nervfaktors, der sich da in hübscher Regelmäßigkeit in mein Leben schob, wehrte ich<br />
mich nicht lange dagegen. Der Schützenbruder musste sterben.<br />
Ich fand heraus dass er noch -als hätt ich es bitteschön geahnt- bei seiner Mutter wohnte. Besagte<br />
Dame war sehr alt und sollte keine Gefahr darstellen. Wahscheinlich war sie ohne ihren debilen<br />
Sohn sogar besser dran und konnte noch ein, zwei schöne, ruhige Jahre hier auf Erden verbringen.<br />
Das Haus war gesäumt von wild vor sich hin wucherndem Buschwerk, dass sicherlich seit Jahren<br />
einen ordentlichen Schnitt bitter nötig hatte. Aber Muttern war zu alt und ich spekuliere jetzt mal<br />
wild drauf los, dass der Schützenbruder ein fauler Hund war. Ich mochte ihn immer weniger.<br />
Ich stand eines morgens besonders früh auf und bezog vor `Hotel Mama´ Stellung. Als der<br />
Schützenbruder das traute Heim verließ, ratzte Mutti schon wieder friedlich vor der Glotze.<br />
Ich überwältigte ihn ungesehen auf dem Kiesweg, der vom Haus zur Jägerzaunpforte führte und<br />
erdrosselte ihn mit seinen billigen Kopfhörern mit dem mörderischen Sound. Der<br />
Kirmesbudensoldat starb völlig überrascht mit Pauken und Trompeten in den Ohren. Er wehrte sich<br />
nicht mal sehr. Selbst dazu war er scheinbar zu faul. Wenn man es genau nimmt, starb er an seiner<br />
Faulheit. Sein Gesichtsausdruck verriet mir nicht viel. Vielleicht hätte ich auf einen besonders<br />
epischen Teil seiner Marschmusik warten sollen, um ihm einen pompöseren Abgang zu<br />
bereiten...Nun ja...zu spät.<br />
Da ich aber seinen Leichnam in meine schicke Tiefkühltruhe befördern musste und ich mit dem<br />
Toten schlecht eine Fahrt im Bus antreten konnte, hatte ich mir in weiser Voraussicht ein Auto<br />
gemietet. Den Kofferraum hatte ich mit Folien ausgekleidet, um eventuelle Spuren zu vermeiden.<br />
In dieses raschelnde Nest hiefte ich den schlaffen Körper und fuhr schnellen Reifens zu mir nach<br />
Hause.<br />
Da ich bis auf meine verblichene Nachbarin keine Nachbarn in Sichtweite habe, konnte ich<br />
ungesehen auf den Hinterhof des Zweifamilienhauses (nun nur noch von mir bewohnt) fahren und<br />
die Leiche in meine Wohnung zerren.<br />
Ich entfernte seine Kleidung, weil dann das Zerteilen mit der Kettensäge in der Badewanne<br />
deutlich leichter von der Hand geht. Wenn sich das Sägeblatt ständig in den Textilfasern verfängt<br />
ist das einfach nur ein nerviges Geraffel. Mittlerweile war ich ja schon etwas routiniert. Denn<br />
zwischen meiner Nachbarin und dem Schützenbruder gab es noch ein zwei weitere Vorfälle. Ich<br />
will hier ja nicht jede belanglose Seele aufzählen, die sich mit meiner Hilfe ins Reich der Toten<br />
aufgemacht hat. Das wird ja langweilig.<br />
Als ich dann am Montag drauf an der Bushaltestelle stand, ein geschnürtes Päcklein in den<br />
Mülleimer gleiten ließ, das Lächeln der aufgehenden Sonne erwiderte und mich auf eine ruhige<br />
Fahrt im Bus freute, wünschte mir der Schützenfestkopfschmerz einen guten Morgen...Ende<br />
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THREE<br />
Schlaf mein Kindlein...<br />
Keiner mag Klugscheißerkinder. Sie wachsen zu Klugscheißern heran. Und die mag auch keiner. Sie<br />
sitzen in der Schule an Einzeltischen, werden in der Pause verprügelt, und vertragen später keinen<br />
Alkohol. Aber da sie sowieso niemand auf Parties einläd, macht das auch nichts. Werden sie<br />
dennoch eingeladen, eben bitte nur, um sie ab zu füllen und dann zur Belustigung aller zu<br />
demütigen. Welch wunderbare Eddingkunstwerke da schon in Klugscheißergesichtern entstanden<br />
sind! Vom lustigen Schnurbartgesicht mit Brille bis zur bildlichen Darstellung von<br />
Geschlechtsorganen und sogar die ein oder andere lyrische Absonderlichkeit aus der Welt der<br />
Beschimpfungen feierten in Klugscheißergesichtern ihre Daseinsberechtigung. Bis heute.<br />
Erwachsene Klugscheißer haben später Jobs, in denen sie mit Wonne ihrer Natur entsprechen<br />
können. Sie belehren, erklären (möglichst kopliziert und ausführlich) und klugscheißen, dass es<br />
zum Himmel stinkt. Oft sind sie die arschkriecherische rechte Hand ihres Bosses. Sie werden es nie<br />
zu wirklicher Größe bringen, haben sich aber zum Ziel gesetzt, jedem das Leben unerträglicher zu<br />
machen indem sie tun was immer sie tun. Diese Menschen haben keine Freunde. Zumindest keine<br />
aufrichtigen. Sie haben vielleicht Zeitfreunde, die sich für eine Weile von ihnen beklugscheißern<br />
lassen, um zu einem bestimmten Zeitpunkt einen vorrauskalkulierten Vorteil für sich aus der Sache<br />
zu ziehen. Dann sind sie weg. Und der Klugscheißer ist erneut allein. So richtig checken tut er das<br />
aber meist nie. Es sind erbärmliche Wesen. Ich bin mir sicher, nicht mal ihre Eltern lieben sie<br />
aufrichtig. Und das obwohl Eltern einen natürlichen Trieb haben ihre Kinder zu lieben, egal wie<br />
scheiße die auch sein mögen... Aber bei Klugscheißerkindern setzt die Natur sich selbst außer<br />
Kraft. Wenn es jemals Klugscheißerdinosaurier, oder Klugscheißerneanderthaler gegeben hat, so<br />
wissen wir aus gutem Grund nichts davon. Sie werden es nicht zu einem allzu hohen Alter gebracht<br />
haben. Wahrscheinlich ist der Mob schon relativ früh über ein solches Individuum hergefallen und<br />
hat es aufgefressen. Genauso wie die Kranken und Gebrechlichen. Die hat man auch entweder zum<br />
Sterben in die Steppe geschubst, oder aufgefressen. Manch hübscher Brauch sollte wieder belebt<br />
werden, wie ich finde.<br />
Und heute? Nun, heute darf -nein, muss- einfach alles überleben, was gezeugt wird. Die Natur hat<br />
da heut zu Tage überhaupt kein Mitspracherecht mehr. Die Medizin lässt Eltern regelrecht zu<br />
vermeintlichen Helden mutieren, weil sie sich trotz hochtechnischen Frühwarnsystemen ganz<br />
bewusst für ein krankes oder behindertes Kind entscheiden. Jede andere Entscheidung würde auch<br />
armselig, feige und egoistisch rüber kommen. (Die Anzahl meiner Freunde und Facebookfreunde<br />
-das bedarf ja in Zeiten wie diesen einer klaren Differenzierung- hat sich gerade drastisch<br />
dezimiert...so what. have a nice life.) Aber, würde es ein Früherkennungssystem für das sog.<br />
Klugscheißersyndrom geben, ich wette es würde weit weniger heroische Eltern hervorbringen.<br />
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Ingriied Nordinstrøm <strong>Short</strong> <strong>Stories</strong> 1-3<br />
Denn sie würden den blanken Hass ihrer Freunde auf sich ziehen, wenn sie sich für das Ausbrüten<br />
eines Klugscheißerkindes entschieden. Niemand mag Klugscheißerkinder! N i e m a n d .<br />
Klugscheißerkinder werden auch nur ganz selten entführt. Und wenn dann nicht sehr lang. Der<br />
Entführer schmeißt es entweder ein paar Straßen weiter entnervt aus seinem Kleinbus mit<br />
getönten Scheiben, oder bringt es recht zügig um und legt es mit roter Schleife und<br />
Glückwunschkarte vorm Haus der Eltern ab. Wenn er nett ist. Da die wenigsten Kindesentführer<br />
allerdings nett sind, kehren die meisten Klugscheißerkinder aus einer Entführung recht bald und<br />
zum Leidwesen der Eltern unbeschadet nach Hause zurück. Wer will denn sowas?<br />
Der kleine Kevin -schon allein der Name zeigt doch, wie wenig ihn seine Eltern geliebt habenwohnte<br />
irgendwo in meinem Vorort. Ich begenete ihm hin und wieder im Supermarkt. Plappernd<br />
schlurfte er hinter seiner völlig entkräfteten Mutter her, die sich mit einem Auge zuckend und<br />
hervorquellender Ader auf der Stirn am Einkaufswagen festkrallte. Der kleine Klugscheißerkevin<br />
stierte mit hochgezogenen Augenbrauen durch seine lächerliche Kinderbrille (mit Autos drauf. In<br />
rot.) und versuchte seiner armen Mutter irgendeinen Irrsinn zu erklären, den keiner hören wollte.<br />
Ich sah in den gequälten Augen seiner Mutter, dass sie ihn gerne an der Fleischtheke gegen einen<br />
schönen saftigen Braten eingetauscht hätte. Und dass sie sich und den Vater von Kevin erneut<br />
verfluchte, sich für Kinder -dieses Kind- und gegen ein erfülltes Leben entschieden zu haben.<br />
Ich hätte ihr gern mal mitfühlend auf die Schulter geklopft. Aber ich bin nicht so gut mit<br />
zwischenmenschlichem Gedöns.<br />
Kevin hatte ja keine Freunde. Wen wundert´s. Und deshalb schlich er immer einsam durch den<br />
Vorort, auf der Suche nach einem Opfer. Wenn Kevin unterwegs war, dann leerten sich die Straßen.<br />
Die Rollläden rasselten reihenweise abwärts und panische Eltern rissen ihre eigenen Kinder von<br />
Kreidezeichnungen fort ins schützende Haus. Hunde wurden von den Leinen gelassen und<br />
geiferten angestachelt hinter Gartentoren. Nachbarn zogen aus. Einsam zurückgelassene Fußbälle<br />
kullerten über die Bordsteine und die Vögel stellten furchtsam das Singen ein.<br />
Wenn Kevins Eltern ihren Spross abends mal -hahaha- allein zu Haus ließen, stellte der Vater den<br />
Gasherd an und pustete die Flamme aus.<br />
Doch Kevin wollte nicht sterben. Er hing an seinem einsamen Dasein.<br />
Ich saß viele Male abends auf der Terrasse und schaute, auf der Suche nach Zuspruch den<br />
Keramikpudel an. Er und ich hatten schon einmal eine erbärmliche Seele erlöst...<br />
Nun, es kam wie es kommen musste. Kevin endete in meiner Tiefkühltruhe. Angelockt mit<br />
Süßigkeiten, deren negative Auswirkung auf die Zähne selbstverständlich erst einmal von ihm<br />
erklärt werden musste, um schlußendlich doch gierig in seinem Mund zu verschwinden. Da saß er<br />
auf meiner Couch. Schokolade kauend und Milch trinkend. Aber da man mit vollem Munde nicht<br />
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Ingriied Nordinstrøm <strong>Short</strong> <strong>Stories</strong> 1-3<br />
spricht und das selbst der doofe Kevin wusste, war er wenigstens still. Ich hockte ihm, in meinen<br />
Sessel versunken gegnüber und schloss Wetten mit mir selbst ab, wie lange es noch dauern würde.<br />
Der Bengel war erstaunlich zäh. Ich hatte ihm ordentlich Valium in die leckere Milch gerührt. Und<br />
da seine Geschmacksknospen nach dem Haufen Schokolade schon gänzlich auf Zucker<br />
konditioniert waren, war es ihm gar nicht möglich, irgendetwas anderes zu schmecken.<br />
Irgendwann begann er mich dümmlich anzusehen. Er legte den Kopf leicht schräg, die<br />
angeschmolzene Schokolade rutschte ihm langsam aus den klebrigen Fingern und plumpste auf<br />
meinen Holzfußboden. Gut dass ich keine Teppichböden habe. Ich hasse Teppichböden. Da<br />
wohnen Milben drin. Ich hasse Milben.<br />
Kevin sank auf die Seite und fing an Schokoladensabber auf eines meiner Sofakissen zu speicheln.<br />
Ich sprang auf und rettete mein Kissen vor weiterer Verunreinigung. Das ist ja ekelhaft!<br />
Kevin´s kleines Herzchen war bereits stehen geblieben und der kleine Klugscheißer schlief den<br />
ewigen Schlaf der... nun ja der toten Klugscheißer.<br />
Ich trug ihn in mein Badezimmer und legte ihn behutsam in die Badewanne. Ich richtete mich auf<br />
und betrachtete den kleinen Scheißer.<br />
Jetzt sah er ganz friedlich aus...<br />
Wenige Momente später, war er in kleine, stille, friedliche Häppchen zerlegt und in der Kühltruhe<br />
verstaut.<br />
Ich fand es irgendwie passend ihn im Zoo stückchenweise den Löwen ins Steppengehege zu<br />
werfen. Anstatt ihn bedeutungslos im Mülleimer bei meiner Bushaltestelle zu entsorgen. Einfach<br />
auch mal wieder der alten Sitten und Bräuche gedenken. Ich spürte, wie die Natur lächelnd über<br />
meine Schulter blickte. Ende.<br />
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