Mixology - Magazin für Barkultur 3-16
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Zucker an der Bar!<br />
Süsser Dämon * Die ganze<br />
Wahrheit im Dossier<br />
Kuba * Zucker, Rum<br />
&<br />
Bar » Light « ? * Wo<br />
liegen die Alternativen?
Bars & Menschen<br />
ZEHN<br />
Der Rausch nach Ursache und Wirkung<br />
.............................................................................. 18<br />
MIXOLOGY INTERN<br />
Die Redaktion und ihr persönlicher Cocktail-Horror<br />
.............................................................................. 20<br />
STADTGESCHICHTEN<br />
Düsseldorf – Trinken zwischen Prunk und Punk<br />
.............................................................................. 24<br />
STARS IN BARS<br />
Thomas Pflanz – Ein Tresenleben an der Spree<br />
.............................................................................. 36<br />
NEUE BARS<br />
Whiskytrinken im Londoner Untergrund<br />
.............................................................................. 40<br />
INTERVIEW<br />
Brooklyn Brewer Garrett Oliver und seine europäische<br />
Offenbarung<br />
.............................................................................. 98<br />
Flüssiges<br />
MIXTUR<br />
Neue Produkte aus dem Baruniversum<br />
................................................................................ 8<br />
MEINUNG<br />
Bartender über Rhum Agricole<br />
.............................................................................. <strong>16</strong><br />
MADE IN GSA<br />
Produkte aus dem heimischen Barkosmos<br />
.............................................................................. 22<br />
NACHTRAUSCHEN<br />
Die Gesamtheit des Glücks<br />
.............................................................................. 42<br />
FOOD & DRINK<br />
Marmelade nach Bartendermanier<br />
.............................................................................. 44<br />
TRINKWELT<br />
Culture Clash auf Kuba<br />
.............................................................................. 46<br />
MARKENPORTRAIT<br />
Ron Abuelo – Oh wie schön ist Panama<br />
.............................................................................. 52<br />
MIXOLOGY TASTE FORUM<br />
Verkostungsrunde mit Ingwersodas<br />
und weißem Rum<br />
.............................................................................. 54<br />
TITEL<br />
Ein zuckersüßes Panorama<br />
.............................................................................. 66<br />
ALCHEMIST<br />
Reis, Dattel, Kokos – Alternativen …<br />
.............................................................................. 76<br />
FOUR OF A KIND<br />
Colas im Redaktionstest<br />
.............................................................................. 81<br />
MARKENPORTRAIT<br />
The Bitter Truth – Jubiläum der Essenzenmacher<br />
.............................................................................. 82<br />
66 TITEL<br />
Zucker ist Leben. Und zentrale Komponente der<br />
Barwelt. Kaum ein Drink kommt ohne ihn aus.<br />
Was alles in den kristallinen Körnchen steckt,<br />
zeigt ein Blick aufs große Ganze.<br />
COCKTAIL 90<br />
Der Long Island Iced Tea. Als<br />
Wirkungsdroge wird dieses Relikt<br />
der Achtziger gehasst, verdammt,<br />
getwistet. Zeit <strong>für</strong> Ahnenforschung<br />
und Missionsarbeit.<br />
SCHNAPS<br />
SÜß & SAUER<br />
SCHNAPS<br />
SCHNAPS<br />
PRICKELWASSER<br />
SCHNAPS<br />
LONG ISLAND<br />
ICED TEA<br />
46 TRINKWELT<br />
Staatlichkeit und Siesta. Auf Kuba passiert<br />
aktuell besonders viel auch Abseits des<br />
Rums. Systemwandel statt Zuckerrohr.<br />
Über ein Land am Rumrevolutionieren.<br />
6
76 ALCHEMIST<br />
Alternativlos? Von Wegen! Experimente mit süßen Sünden zeigen Möglichkeiten,<br />
den klassischen Zucker an der Bar auszutauschen. Worauf man achten muss, klärt<br />
die Versuchsreihe.<br />
BACK TO BASICS<br />
Bitter – Der Grundgeschmack erklärt<br />
.............................................................................. 84<br />
HOW TO COCKTAIL<br />
Der Mojito<br />
.............................................................................. 90<br />
COCKTAIL<br />
Der Long Island Iced Tea – Ein Streitgespräch<br />
.............................................................................. 90<br />
KAFFEENOTIZEN<br />
Neues aus dem Koffeinkosmos<br />
.............................................................................. 95<br />
WHISKEY NEWS<br />
Die wichtigsten Neuheiten der Whiskywelt<br />
.............................................................................. 96<br />
BIERNOTIZEN<br />
Die wichtigsten Hopfenneuheiten<br />
............................................................................102<br />
BIER<br />
Die Antithese zum Craft Beer<br />
............................................................................104<br />
KLIMEKS KAUFBEFEHL<br />
Einzelkämpfer aus der Steiermark<br />
............................................................................108<br />
DIE FLASCHE IN ZAHLEN<br />
Summa summarum – Lillet Blanc<br />
............................................................................109<br />
MIXOLOGY ON THE ROAD<br />
Dominikanische Nächte – Party, Rum, Touristen<br />
............................................................................110<br />
Wirtschaft & Kultur<br />
24 STADTGESCHICHTEN<br />
Cocktails auf der Kö. Die Narrenhochburg Düsseldorf<br />
ruft zum nächtlichen Besuch an den Tresen, zu<br />
Drinks und Altbier zwischen Prunk und Punk.<br />
BIER 104<br />
Gesinnung, Geschmack, Verrat, Missgunst,<br />
Vernunft und Wirtschaftlichkeit. Die deutsche<br />
Craft Beer-Szene wird zur Ellenbogengesellschaft<br />
und schadet sich vor allem selbst.<br />
KUNST & BAR<br />
Der Installationskünstler Claus Föttinger und die Bar<br />
...............................................................................94<br />
ESSENTIAL CULTURE<br />
Neue Schätze <strong>für</strong> Augen und Ohren<br />
............................................................................113<br />
TIEFENRAUSCH<br />
Alkohol, Scheitern, Hoffnung – Erinnerung an<br />
Wolfgang Koeppen<br />
............................................................................114<br />
MUSIK<br />
Zwei zwischen Pomp und Pathos<br />
............................................................................1<strong>16</strong><br />
HOMEBAR<br />
Cocktails Digital – Die besten Apps <strong>für</strong> Trinker<br />
............................................................................118<br />
Neues & Notizen<br />
VERANSTALTUNGEN & WETTBEWERBE<br />
Alle wichtigen Termine der vergangenen und<br />
kommenden Wochen<br />
............................................................................120<br />
IMPRESSUM<br />
............................................................................128<br />
7
STADTGESCHICHTEN<br />
VIEL MEHR ALS<br />
SCHICKIMICKI!<br />
Text Philipp Gaux
Innovative<br />
Marken<br />
Willkommen in der einzigen<br />
»Japantown« Deutschlands!<br />
Dass sich Steinbachs Trinkstätte mit seinem in Düsseldorf vielleicht<br />
zunächst untypisch erscheinenden Konzept nicht vor der Kölner Konkurrenz<br />
verstecken muss, stellen nicht nur er, sondern sein gesamtes<br />
Team und die konzeptuelle Ausrichtung unter Beweis. Viva la Revolucíon.<br />
Foto: Schmittmann<br />
Schmittmann<br />
Die traditionsreiche Familienbrennerei Schmittmann zählt zu den langeingesessenen<br />
Spirituosenherstellern Düsseldorfs. Es war schließlich<br />
bereits 1818, als Adelheid Schmittmann erstmals hochoffiziell den<br />
Namen Branntweinbrennerin tragen durfte. Und so ist es auch – neben<br />
einer weiten Produktpalette um Kirschbrand und Schokolikör – vor allem<br />
jener das Gründungsjahr stolz zur Schau tragende Gin mit dem einfachen<br />
Namen 1818, der den Schritt in eine moderne Epoche einleitet. Angenehme<br />
Wacholdernoten treffen auf Schalen von Zitrusfrüchten, Koriander,<br />
Ingwer und zahlreiche weitere geheime Botanicals. Nach der Reifezeit in<br />
Eichenfässern in edlen, prägnanten Flaschen abgefüllt, gibt es den Gin<br />
zum Verkaufspreis von € 31,95 im Fachhandel zu erwerben.<br />
Likörfabrik Peter Busch<br />
Unter dem Motto »On äschte Düsseldorfer Spezialität«<br />
vertreibt Peter Busch in seinem Traditionsunternehmen<br />
einen Likör mit dem klangvoll-zünftigen<br />
Namen »Killepitsch«. Was eins klein begann, ist<br />
heute ein Produkt nationaler Größe geworden und<br />
auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Mit<br />
42 Volumenprozent sicherlich einer der kräftigeren<br />
Liköre, nennt er 98 Kräuter, Beeren und Früchte aus<br />
aller Welt sein Eigen und lagert ein ganzes Jahr in<br />
Tongefäßen, bevor er in den Vertrieb geht. Seit mehr<br />
als 50 Jahren genießt man den Düsseldorfer als<br />
Shot eisgekühlt oder im Longdrink aufgefizzt. 0,7 l<br />
ab € 19,80 erhältlich.<br />
Weltstadt Düsseldorf<br />
So ist es die Leidenschaft und unermessliche Energie der Düsseldorfer<br />
Bartender <strong>für</strong> ihre Arbeit, die mir auf dieser haltlosen Reise durch<br />
die Rheinstadt besonders aufgefallen sind und alle Bartender über die<br />
Wirkungsstätten hinaus miteinander verbindet. Düsseldorf ist eine<br />
Stadt voller Unterschiede: Denn wenn wir ehrlich sind, dann ist all<br />
der Prunk und all der Protz vielfach nichts als Katzengold jener sich<br />
profilierenden selbsternannten Connaisseure der Nacht in einer Stadt,<br />
die neben Mode und Kunst auch von traditionellen Werten und Einstellungen<br />
geprägt ist. So gibt es wohl kaum einen Düsseldorfer, der<br />
nicht <strong>für</strong> sich in Anspruch nimmt, sein Alt wäre das einzig wahre Bier.<br />
Die Stadt nur auf ihren hippen Ruf des Extravaganten und Mon dänen<br />
zu beschränken, wäre wahrlich vermessen, bieten sich in Düsseldorf<br />
doch ein solch multi-soziales Umfeld und ambivalente städtische<br />
Strukturen, dass dieser Ruf getrost als triviales Klischee gewertet werden<br />
sollte.<br />
Vergessen wir nicht die enorme kulturelle Bandbreite Düsseldorfs,<br />
der wohl einzigen Japantown Deutschlands. Auch wenn die Japaner<br />
prozentual auf alle Einwohner gerechnet nur eine Minderheit darstellen,<br />
so prägen sie doch seit 50 Jahren das Stadtbild und bereichern<br />
das kulturelle und wirtschaftliche Leben der Stadt. Es war 1859, als<br />
der Düsseldorfer Handelskaufmann Louis Kniffler in Dejima das<br />
erste deutsche Handelshaus in Japan eröffnete. Er kam Jahre später<br />
nicht nur mit erlebnisreichen Geschichten rund ums Kaiserreich<br />
wieder, sondern legte auch den Grundstein <strong>für</strong> eine deutsch-japanische<br />
Freundschaft. Was einst klein begann, hat sich heute mit ca. 230<br />
japanischen Unternehmen vervielfacht. Nicht alleine die wirtschaftlichen<br />
Beziehungen profitieren von dieser potenten Beziehung, auch<br />
die gastronomische Szene der Stadt wurde durch eine Vielzahl an<br />
Sushi-Lokalen und japanischen Restaurants ergänzt, die nicht selten<br />
auch über eine ganz hervorragende Auswahl an Sake verfügen. Für<br />
den Interessierten lohnt sich ein Besuch im edlen »Nagaya« genau<br />
wie ein Vorbeischauen im »Naniwa« <strong>für</strong> das – so sagt man hier – beste<br />
Ramen in ganz Japantown, pardon Düsseldorf. Und so ist diese Stadt<br />
weit mehr als Schickimicki und muss sich nicht nur im Vergleich zum<br />
Erzfeind Köln, sondern auch zu vielen anderen Großstädten Deutschlands<br />
wahrlich nicht verstecken. Och, kick ens aan!<br />
__<br />
34<br />
Stadtgeschichten — Düsseldorf
NEUE BARS<br />
ZUGÄNGLICHE<br />
RAFFINESSE<br />
Text Haley Forest<br />
Foto: Black Rock<br />
40
TRINKWELT<br />
ZWEI WÄHRUNGEN,<br />
ZWEI STAATEN, ZWEI<br />
MOJITOS<br />
Text Juliane Reichert<br />
Alle berichten aus Panama, weil es dort viele Briefkästen gibt.<br />
Dabei kann man aus »Briefkasten« nicht einmal Verben bilden.<br />
Anders mit Kuba und Rum! Rumarbeiten, rumfahren und Rum-Trinken.<br />
Über ein Land am Rumrevolutionieren.<br />
Letzten März besuchte US-Präsident Obama Kuba. Dieser Besuch<br />
wurde nicht nur wohlwollend beäugt – ein Aufenthalt in Kiew wäre<br />
ungleich nötiger gewesen, so kommentiert man seine Unfähigkeit,<br />
»kraftvolle außenpolitische Prioritäten zu setzen« im Deutschlandradio.<br />
Weshalb diese Zeit allerdings ausgezeichnet da<strong>für</strong> ist, sich<br />
mit dem Castro-Regime auf einen Cuba Libre zu treffen, ist einfach<br />
zu beantworten. Seit dem letzten Besuch eines US-Präsidenten auf<br />
Kuba, nämlich Calvin Coolidge im Jahr 1928, waren sage und schreibe<br />
88 Jahre vergangen.<br />
Es sind Bilder von Raúl Castro und Barack Obama, wie sie schwere,<br />
ja staatstragende Cohiba-Schwaden nach sich ziehend, am Malecón<br />
spazieren gehen, bevor sie mit einem Chevrolet abgeholt werden und<br />
»Chan Chan« singend in den Sonnenuntergang gen Playa Coco fahren,<br />
wo sie durch ein kristallklares Meer von Flamingos gehen, Havana Club<br />
trinken und über Trumps Frisur lachen. Es könnte alles so schön sein.<br />
Ist es aber nicht.<br />
Andersdenken verboten<br />
Der Wunsch nach Freiheit und Vielfalt, nach Konfrontation und Kommunikation<br />
scheint vor allem von der Außenwelt befohlen zu sein.<br />
Ob die Mehrheit der kubanischen Bevölkerung will, was die Welt von<br />
ihr will, dass sie es wolle, bleibt vage. So hatte Raúl Castro kurz vor<br />
Obamas Ankunft direkt 200 Dissidenten festgenommen. Vielleicht,<br />
um direkt eines vorwegzunehmen. Etwa: »Es bleibt schwierig zwischen<br />
uns.« Vielleicht aber auch, weil das politische Andersdenken eine der<br />
häufigsten Straftaten ist, <strong>für</strong> die man in Kuba verhaftet und verurteilt<br />
wird. Lebenslänglich oder zum Tode, wenn es schlecht läuft. Amnesty<br />
International berichtet von einer Gefangennahme von knapp 550 Dissidenten<br />
im August 2013. Die Dunkelziffer allerdings dürfte ungleich<br />
höher sein, da auch »asoziales Verhalten« genügt, um weggesperrt<br />
zu werden. Gemäß des »Ley de Peligrosidad« läuft im Grunde jeder<br />
Bewohner Kubas, der »eine Bedrohung <strong>für</strong> den Sozialismus« darstellt,<br />
Gefahr, inhaftiert zu werden – mindestens. Natürlich müssen sich die<br />
46<br />
Illustrationen: studio grau
Bright<br />
&<br />
Stormy<br />
54
MIXOLOGY TASTE FORUM<br />
Der Sommer bricht an und die Bestellungen von erfrischenden Rum-Cocktails<br />
wie Daiquiri und Cuba Libre lassen nicht lange auf sich warten. Genau wie die<br />
der Kult-Longdrinks mit Ingwer: Pimm’s Cup, Horse’s Neck, Moscow Mule oder<br />
Dark & Stormy. Eine gute Gelegenheit <strong>für</strong> das MIXOLOGY TASTE FORUM,<br />
milde und würzige Ingwerlimonaden sowie verschiedenste weiße Rums aus<br />
unterschiedlichen Regionen unter die Lupe zu nehmen.<br />
Text Peter Eichhorn<br />
Illustrationen: studio grau<br />
Rätselhafter weißer Rum. Gerne auch mit Begriffen wie Light, White,<br />
Silver oder Platino auf den Etiketten versehen. Zahlreiche klassische<br />
Cocktailrezepturen verlangen explizit nach einem weißen oder »Light<br />
Rum«, dennoch vermeidet die Fachliteratur gerne, weißen Rum genauer<br />
zu definieren. Zuletzt kamen neben den milden Klassikern auch deutlich<br />
charakterbetonte weiße Melasse-Destillate auf den Markt. Das MTF<br />
geht der Bandbreite dieser durch die Farbe – oder besser: Un-Farbe –<br />
umrissenen Rum-Kategorie auf die Spur.<br />
Highballs und Longdrinks sind im Trend und bereiten gerade bei hohen<br />
Temperaturen und erhöhtem Durst Freude und Erfrischung. Die Zahl<br />
der Bitterlimonadenhersteller wächst spürbar und ebenso ihr jeweiliges<br />
Portfolio. Neben den bewährten, milderen Ginger Ales erfreuen sich<br />
seit geraumer Zeit auch die kräftig-würzigen Verwandten einer steigenden<br />
Beliebtheit – die Ginger Beers, wie der internationale Begriff lautet.<br />
Ein Ginger Ale <strong>für</strong> Greta Garbo<br />
Bereits in der Ära des Stummfilms ist Greta Garbo ein umschwärmter<br />
Star der Leinwand. Die Schauspielerin bleibt ein Star, auch in die<br />
Tonfilm-Epoche hinein. 1930 kommt ihr erster Tonfilm in die Kinos:<br />
Anna Christie. Sie spielt darin eine ehemalige Prostituierte, die ihren<br />
verschollenen Vater, einen Seemann, wiederfindet. Sie sticht mit ihm in<br />
See, aber er soll nichts von ihrer dubiosen Vergangenheit erfahren. Die<br />
ersten Worte, die Greta Garbo im Tonfilm spricht, lauten: »Give me a<br />
whisky, ginger ale on the side, and don’t be stingy, baby.«<br />
Die Wurzeln von Ginger Ale liegen ein wenig im Dunkeln. Ale ist<br />
ursprünglich ein englischer Begriff <strong>für</strong> obergäriges Bier, wird aber<br />
auch zuweilen als Synonym <strong>für</strong> Bier insgesamt verwendet. Ingwer verweist<br />
gleichfalls auf eine lange Geschichte als Gewürz in Speisen und<br />
Getränken. Und somit sicher auch auf eine Verwendung in Limonaden.<br />
Zahlreiche Getränkehistoriker teilen jene Variante der Geschichte,<br />
dass der Ursprung im Irland der 1850er-Jahre liegt. Der amerikanische<br />
Arzt und Apotheker Thomas Cantrell soll in Belfast ein Verfahren<br />
und eine Rezeptur entwickelt haben, die alsbald vom ortsansässigen<br />
Getränkehersteller »Grattan and Company« vermarktet wurde. Auf den<br />
historischen Flaschen der Marke findet sich die Gravur: »The Original<br />
Makers of Ginger Ale«.<br />
Von Golden zu Dry<br />
Der Stil dieses ursprünglichen Ginger Ales war der des »Golden Ginger<br />
Ale«, eine Limonade von dunkler Farbe mit einer deutlichen Süße, aber<br />
auch einer intensiven Ingwer-Note. Golden Ginger Ale ist in Europa<br />
derzeit kaum noch zu bekommen, in Nordamerika fertigen einige Hersteller<br />
diese Variante, von der wir eine <strong>für</strong> den MTF-Test beschaffen<br />
konnten, nach wie vor an. Golden Ginger liegt in der Aromatik in der<br />
Mitte zwischen Ginger Beer und dem Dry Ginger Ale, wie es in hiesigen<br />
Bars gängig ist.<br />
Dry Ginger Ale wiederum gilt als kanadische Erfindung. Wieder ist<br />
ein Pharmazeut und Chemiker zugange: John McLaughlin gründet<br />
1890 eine Soda-Water-Firma in Toronto und verkauft sein karbonisiertes<br />
Wasser in Siphons an die Gaststätten und Pubs der Stadt. Später<br />
beginnt er, mit Aromen zu experimentieren, entwickelt 1904 eine Rezeptur<br />
<strong>für</strong> eine neue Variante von Ginger Ale und nennt es »Pale Dry Ginger<br />
Ale«. Umgehend erfreut sich die Rezeptur größter Beliebtheit und<br />
wird 1907 als »Canada Dry Ginger Ale« patentiert. Heute gehört die<br />
Marke »Canada Dry« zur »Dr Pepper Snapple Group« und ist nach wie<br />
vor eine der führenden Brands weltweit.<br />
55
Fentimans<br />
Ginger Beer<br />
Preis (ca.): € 2,85 (0,275 l)<br />
Herkunft: UK<br />
Füllmenge: 0,125 l, 0,275 l, 0,75 l<br />
Hersteller: Fentimans Ltd.<br />
Alkoholgehalt: alkoholfrei<br />
Vertrieb: Fentiman-Vertrieb,<br />
Offshore Agency GmbH. Hamburg<br />
Platz<br />
1<br />
Thomas Henry<br />
Ginger Ale<br />
Preis (ca.): € 0,99 (0,2 l)<br />
Herkunft: Berlin, Deutschland<br />
Füllmenge: 0,2 l / 1 l<br />
Hersteller: Thomas Henry<br />
Alkoholgehalt: alkoholfrei<br />
Vertrieb: Thomas Henry<br />
2010 gegründet und benannt nach jenem Pionier<br />
der Karbonisierung, dem 1773 die Anreicherung von<br />
Wasser mit Kohlensäure gelang, brachte die junge<br />
Berliner Marke sofort Schwung in den Limonaden-Markt.<br />
Das Ginger Ale besticht durch eine opulente Nase. Am<br />
Gaumen baut sich der Geschmack kraftvoll auf und verfügt<br />
über eine ideale Balance aus Süße und der Schärfe<br />
des Ingwers. Angenehm trocken mit einem langen,<br />
würzigen Nachhall.<br />
.<br />
Die britische Limonadenschmiede ist <strong>für</strong> ihre außergewöhnlichen<br />
Erzeugnisse bekannt und geschätzt. Natürliche<br />
Zutaten und besondere Brautechniken verleihen der<br />
Produktrange einen unverwechselbaren Charakter. Das<br />
Ginger Beer macht dabei keine Ausnahme und überzeugt<br />
mit einer sehr frischen Nase. Elegant und ausgewogen.<br />
Die komplexe Balance aus Schärfe und Süße bereitet<br />
höchstes Vergnügen. Eine angenehme Säure begleitet<br />
jeden Schluck und mündet in einen herrlich langen Nachhall.<br />
pHenomenal<br />
Preis (ca.): € 12<br />
Herkunft: Deutschland,<br />
Hamburg<br />
Füllmenge: 0,25 l – Sirup. 1:5<br />
Hersteller: pHenomenal<br />
Drinks GbR<br />
Alkoholgehalt: alkoholfrei<br />
Vertrieb: phenomenal<br />
Drinks GbR<br />
Füllmenge: 250 ml – Sirup. 1:5<br />
Platz<br />
1<br />
Der bemerkenswerte Ingwersirup<br />
aus Hamburg. Herrlich <strong>für</strong> den<br />
Pur-Genuss, wenn es mit Soda<br />
Wasser aufgegossen wird.<br />
Geschmacksintensität und Schärfe<br />
sind dadurch individuell dosierbar.<br />
Kräftige Nase, die neben dem<br />
Ingwer weitere Fruchtfacetten<br />
verströmt. Unsere Verkosten raten,<br />
das Konzentrat als Würzmittel im<br />
Cocktail zu erproben und sehen<br />
eine Verwendbarkeit an der Bar,<br />
ähnlich wie ein Bitters.<br />
56 MTF — <strong>Mixology</strong> Taste Forum
Platz<br />
1 Tiki Lovers<br />
Der Testsieger überzeugt auf ganzer<br />
Linie. Die typisch würzigen Jamaika-<br />
Aromen kommen herrlich zur Geltung.<br />
Filtriert und mit Trinidad-Rum abgerundet,<br />
gehen Frische und Komplexität<br />
eine spannende Kombination ein:<br />
Banane, Pfeffer und Leder treffen auf<br />
Süße, Blumigkeit und exotische Früchte.<br />
Harmonischer und langer Nachhall.<br />
Ein einzigartiger Rum zu einem sehr<br />
attraktiven Preis, der die MTF-Verkoster<br />
sofort zur Zubereitung von Ti Punch,<br />
El Presidente oder sogar eines Rum<br />
Martinez inspiriert.<br />
Wray & Nephew<br />
Preis (ca.): € 21<br />
Herkunft: Jamaika<br />
Füllmenge: 0,7 l<br />
Hersteller: J. Wray & Nephew<br />
Ltd.<br />
Alkoholgehalt: 63 % Vol.<br />
Vertrieb: Campari Deutschland<br />
Preis (ca.): € 20<br />
Herkunft: Jamaica<br />
Füllmenge: 0,7 l<br />
Hersteller: Haromex Development<br />
Alkoholgehalt: 50 % Vol.<br />
Vertrieb: Haromex Development<br />
Dieser Rum aus dem Hause<br />
Appleton darf in keiner Bar fehlen.<br />
Ein Barlöffel der hochprozentigen<br />
jamaikanischen Spezialität, und<br />
jeder Daiquiri gewinnt noch einen<br />
extra Pfiff. Mit 63% Vol. und der<br />
typischen fruchtigen Aromatik<br />
nach grüner Banane, Melasse<br />
und kraftvollen Gewürzen ist der<br />
Wray & Nephew von allen Testern<br />
erkannt worden.<br />
60<br />
MTF — <strong>Mixology</strong> Taste Forum
66
TITEL<br />
Ist Zucker so süß, wie er schmeckt?<br />
LA DOLCE<br />
VITA<br />
Text Marianne Julia Strauss<br />
Seit jeher zählt Zucker zu den Grundbestandteilen des alkoholischen<br />
Drinks. Schon im Jahr 1806 definierte die Zeitung »Balance and<br />
Columbian Repository« den Cocktail als »ein anregendes Getränk<br />
aus beliebigen Spirituosen, Wasser, Bitter und Zucker«. Seitdem<br />
gehört Zucker zu den wichtigsten Zutaten an der Bar. Doch welche<br />
Geschichten schlummern hinter seinem weiß-glitzernden und unschuldigen<br />
Antlitz? Welche Rolle spielt er in der globalen Wirtschaft<br />
und im menschlichen Stoffwechsel, was bedeutet er <strong>für</strong> den nicaraguanischen<br />
Zuckerrohrarbeiter und den Nahrungsmittelspekulanten?<br />
Und was macht Zucker überhaupt im Weltall? Zeit <strong>für</strong> ein süßes –<br />
oder süßsaures? – Panorama.<br />
Illustrationen: studio grau<br />
67
76
ALCHEMIST<br />
GIB DEM<br />
Reissirup<br />
verfügbar: Drogerie<br />
Preis: ca. € 6,50 à 600 g<br />
gut lagerfähig<br />
AFFEN ALTER-<br />
NATIVEN!<br />
Old Fashioned<br />
Whiskey Sour<br />
geringe Süßkraft<br />
Menge im Drink<br />
sehr geringe Süßkraft<br />
leicht gallertartig, schwer löslich<br />
Löslichkeit / Emulsion<br />
kompakter Schaum<br />
würzig-blumig, klare Getreidetöne<br />
Aroma<br />
»helles« Aroma<br />
Text Reinhard Pohorec<br />
Geschmack von Milchreis<br />
und Brioche<br />
sehr schlankes Gefühl,<br />
wenig Körper<br />
Geschmack<br />
Mundgefühl / Konsistenz<br />
getreidig, trocken-säuerliches<br />
Profil<br />
sehr wenig Volumen, flach<br />
mittlerer Abgang<br />
Finish<br />
kaum Finish<br />
3<br />
Note<br />
4<br />
Zucker ist eine jener Säulen, auf denen<br />
die <strong>Barkultur</strong> thront. So gut wie kein<br />
Drink kommt ohne ihn aus. Zwar gibt es<br />
wenige Drinks, die die Süße auf anderem<br />
Wege ins Spiel bringen. Aber auch,<br />
wenn er oft anders gewandet ist, mündet<br />
es am Ende fast immer in den simplen<br />
Zucker. Wie sieht es mit den Alternativen<br />
aus? Ein Whiskey Sour ohne Zucker,<br />
aber mit Süße? Schwingen wir uns mit<br />
dem sprichwörtlichen Affen durch den<br />
Dschungel an Ausweichlösungen.<br />
Old Fashioned<br />
übliche Dosierung<br />
sehr schwer löslich<br />
wenig Eigenaroma<br />
verhaltene Süße, unterstreicht<br />
würzige Noten im Whiskey<br />
wenig Volumen<br />
whiskeylastiger Abgang<br />
Sukrin (kristallin)<br />
Menge im Drink<br />
Löslichkeit / Emulsion<br />
Aroma<br />
Geschmack<br />
Mundgefühl / Konsistenz<br />
Finish<br />
verfügbar: Reformhaus, online<br />
Preis: ca. € 11 à 750 g<br />
kristallin, sehr lange haltbar<br />
Whiskey Sour<br />
muss höher dosiert werden<br />
praktisch keine Schaumbildung<br />
klar strukturiertes,<br />
würzig-leichtes Aroma<br />
säuerlicher Geschmack<br />
flache, eindimensionale Textur,<br />
wenig ansprechend<br />
kurzes Finish<br />
3<br />
Note<br />
4<br />
Fotos: Constantin Falk<br />
77
SCHNAPS<br />
SCHNAPS<br />
PRICKELWASSER<br />
SÜß & SAUER<br />
SCHNAPS<br />
SCHNAPS<br />
90<br />
LONG ISLAND<br />
ICED TEA<br />
Illustration: studio grau
COCKTAIL<br />
DER<br />
HASS-DRINK<br />
Der Long Island Iced Tea hat das Zeug zum Disput.<br />
Die einen <strong>für</strong>chten ihn und die Gäste, die ihn bestellen.<br />
Andere haben sich mit ihm befasst und moderne<br />
Twists gezaubert. Dabei hat er ohnehin einebewegte<br />
Geschichte und kennt zahl reiche Varianten.<br />
Wer war’s? Wann war’s?<br />
Beim Long Island Iced Tea gibt es einigen<br />
Klärungsbedarf. Wo kommt er her, wie ist der<br />
korrekte Name? Nach landläufiger Meinung ist<br />
Robert »Rosebud« Butt der Erfinder. Fakt<br />
ist, dass er in den Siebzigerjahren in Hampton<br />
Bays, New York, in einer fancy Bar mit einer<br />
Menge Live- Musik namens Oak Beach Inn<br />
arbeitet und an einem Cocktailwett bewerb<br />
eines Triple-Sec-Herstellers teilnimmt. Dort<br />
mischt er zu gleichen Teilen Vodka, Tequila,<br />
Triple Sec, Gin und Rum, fügt einen Dash<br />
Zitronensaft hinzu und toppt ihn mit Cola.<br />
Fertig ist die Bombe, die tatsächlich wie Eistee<br />
aussieht. Das alles soll sich 1972 zugetragen<br />
haben. Nach einigen Jahren hat fast jede Bar<br />
auf Long Island und in den Achtzigern dann<br />
weltweit den Drink auf der Karte. Bob Butt<br />
erzählt es so:<br />
Text Markus Orschiedt<br />
Die Achtziger sind das Jahrzehnt der Hässlichkeit<br />
und der Geschmacksverirrungen.<br />
Eine Gruppe Namens DÖF singt im Intro des<br />
Liedchens »Codo«: »Ich bin so hässlich, ich bin<br />
der Hass.« Die Frisuren sind ein Albtraum, die<br />
produzierten Videos billig und so erotisch wie<br />
Cocktail schirmchen. Überhaupt die Cocktails:<br />
Aus heutiger Sicht sind die Kreationen und<br />
das Konsumverhalten der Gäste in Cocktailbars<br />
so angesehen wie ein Urlaub am Ballermann.<br />
Spirituosen werden wild zusammengemischt<br />
und mit Säften, Sahne, Zucker und Brause<br />
erschlagen. Bunt, grell und hart soll es sein.<br />
Die Bartender der Neuzeit rümpfen die Nase,<br />
nein sie hassen es, wenn sie bestellt werden, die<br />
(falschen) Piña Coladas, Hurricanes, Swimming<br />
Pools, Sex on the Beachs und ganz besonders<br />
die Long Island Iced Teas. Der Untergang der<br />
<strong>Barkultur</strong> im Glas. Die Geissens auf dem Tresen.<br />
Manche weigern sich sogar, diese zuzubereiten.<br />
Man schmückt sich mit Rezepten aus dem<br />
19. Jahrhundert, Eigenkreationen, puristischem<br />
Minimalismus; Sahne, Cola oder Vodka werden<br />
erst gar nicht am Tresen vor rätig gehalten. Der<br />
Gast soll zu einer gustatorischen Höchstleistung<br />
erzogen werden, alles andere ist uncool. Selbst<br />
aus den umfang reichen Rezepturlisten einiger<br />
Barbücher ist er verbannt worden.<br />
Ist der Ruf erst ruiniert ...<br />
Der Long Island Iced Tea hat sich einen<br />
besonders zweifelhaften Ruf erworben. Er gilt<br />
gemeinhin als Partydrink <strong>für</strong> Pubcrawler mit<br />
hoher »Wirkungsorientierung« und schneller<br />
Ausfallgarantie. Wie bei allen anderen vermeintlichen<br />
Horrordrinks der 1980er und<br />
90er stellt sich allerdings eine grundsätzliche<br />
Frage: Wenn die allgemeine Cocktail revolution<br />
unter anderem damit begründet wird, dass<br />
man historische Rezepte wiederbelebt hat, sie<br />
mit einem zeitgemäßen Twist versehen und<br />
mit neuen Produkten verfeinert hat, warum<br />
soll dies nicht auch mit diesen angeblichen<br />
Scheußlichkeiten möglich sein. Auch ein Long<br />
Island Iced Tea ist ein Klassiker, ein Klassiker<br />
der Moderne, der mit dabei gewesen ist, als<br />
sich immer mehr freie Bars etablieren und<br />
den Fokus ihrer Gäste auf den Verzehr von<br />
Cocktails richten. Einige namhafte Bartender,<br />
so wie der international bekannte Jeffrey<br />
Morgenthaler aus Portland / Oregon, sehen<br />
das bereits und haben sich in ihrer Arbeit an<br />
sie herangewagt und auch dem Iced Tea ein<br />
anderes Gewand gegeben.<br />
»The world famous Long Island Iced Tea<br />
was first invented in 1972 by me, Robert<br />
Butt, while I was tending bar at the infamous<br />
Oak Beach Inn. I participated in a<br />
cocktail creating contest. Triple Sec had to<br />
be included, and the bottles started flying.<br />
My concoction was an immediate hit and<br />
quickly became the house drink at the Oak<br />
Beach Inn. By the mid-1970s, every bar on<br />
Long Island was serving up this innocentlooking<br />
cocktail, and by the 1980s it was<br />
known the world over.«<br />
Es gibt allerdings, wie so oft bei Eigenkreationen,<br />
Zweifel daran, ob er tatsächlich der Erste<br />
ist, der diesen Drink erfunden hat. Butt selbst<br />
hat zugegeben, dass es ja möglich ist, dass auch<br />
andere Bartender zu dieser oder zu anderen<br />
Zeiten ähnliche Drinks gemixt haben, er sei<br />
aber der jenige, der dieses Rezept erfunden<br />
habe.<br />
So weist Robert Glass auf der Online-Seite<br />
thrillist.com darauf hin, dass in zwei Kochbüchern<br />
aus den 1960ern, nämlich in Betty<br />
Crocker's New Picture Cook Book von 1961 und<br />
in American Home All-Purpose Cookbook von<br />
Virginia T. Habeeb aus dem Jahre 1966, ein<br />
Rezept zum Long Island Iced Tea zu finden<br />
sind.<br />
Auch Dale DeGroff erwähnt andere<br />
Ursprünge, da der Long Island Iced Tea erst<br />
Ende der Siebziger wirklich auf der Bildfläche<br />
erschienen ist. So weist er auf Bartender aus<br />
dem »Leonard’s« in Great Neck, Long Island /<br />
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