Judo-Magazin 05/2016
Serie mit Johanna Müller: „Mein Jahr in der Nationalmannschaft“
Serie mit Johanna Müller: „Mein Jahr in der Nationalmannschaft“
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Schweißtreibende Angelegenheit:<br />
Johanna Müller im Trainingslager<br />
Foto: Micha Neugebauer<br />
Serie: Mein Jahr in der Nationalmannschaft<br />
U-W-V und T-W-K<br />
Von Johanna Müller<br />
Nationalmannschaftskämpferin Johanna Müller gibt uns diesmal<br />
einen Einblick in die sagenumwobene „UWV“ – die Unmittelbare<br />
Wettkampfvorbereitung auf Saisonhöhepunkte. Sie war im Spezial-<br />
Trainingslager für das EM-Team eine der Partnerinnen bei den TWK<br />
– noch so eine legendäre Abkürzung<br />
D<br />
er Anfang einer Unmittelbaren<br />
Wettkampfvorbereitung<br />
(UWV) ist vergleichsweise<br />
unspektakulär. Diesmal traf sich unser<br />
Team zur Einstimmung auf die Europameisterschaften<br />
in Kasan vom 8. bis 12.<br />
April in Köln zunächst am Freitag zu einer<br />
kurzen allgemeinen Besprechung, dabei<br />
wurde der Ablaufplan bekannt gegeben.<br />
In der ersten Einheit standen dann<br />
einige Bewegungs-Randoris und ein wenig<br />
Techniktraining auf dem Plan, um<br />
die für einige Sportlerinnen lange Anreise<br />
aus den Knochen zu bekommen.<br />
Dann aber: Der erste Hochbelastungstag<br />
begann mit lockerem Frühsport,<br />
um wach in den Tag zu starten. Nach<br />
dem Frühstück ging es vormittags auf<br />
die <strong>Judo</strong>matte: viele Randoris und für<br />
die EM-Starterinnen japanische Runden<br />
– also sechs Minuten Randori am Stück<br />
und dabei alle 90 Sekunden eine neue<br />
ausgeruhte Partnerin.<br />
Nach dem Mittagessen hatten wir<br />
nur eine kurze Pause von rund zwei Stunden,<br />
bis am Nachmittag die „TWK“, die<br />
Trainingswettkämpfe, folgen. Sie sollen<br />
einem Wettkampf möglichst nahe kommen,<br />
den Druck, die Anspannung und<br />
die Kämpfe simulieren. Hierfür wird eine<br />
30<br />
<strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>05</strong>/16
SPORTGESCHEHEN<br />
Liste ausgehängt, auf der die Paarungen<br />
notiert sind. Jeder weiß also, wer als<br />
nächstes wartet. Die mitgereisten Trainer<br />
werden als Kampfrichter „missbraucht“.<br />
Mitarbeiter vom Institut für Angewandte<br />
Trainingswissenschaft filmen jeden<br />
Kampf, um ihn später aufzuarbeiten<br />
und mit Sportlerin und Trainer auszuwerten.<br />
Zusätzlich wird nach jeder<br />
Runde eine Belastung für die<br />
Starterin durchgeführt, diese<br />
variiert immer etwas: Sitzball,<br />
„Wurfrandori“ und<br />
andere tolle Überraschungen<br />
lässt sich unser gewitzter<br />
Trainer da einfallen. Zudem<br />
wird vor und nach jeder<br />
Belastung der Laktatwert am Ohr<br />
gemessen, die individuelle Belastung<br />
wird überprüft und dokumentiert.<br />
Sportlicher Ehrgeiz<br />
Inzwischen kenne ich beide Seiten von<br />
Trainingswettkämpfen: die als Partnerin<br />
und die als Starterin. Für mich persönlich<br />
bedeutet das immer wieder eine<br />
große Anspannung: Als Starterin möchte<br />
man natürlich zeigen, dass man es<br />
verdient hat, für den Saisonhöhepunkt<br />
nominiert worden zu sein. Man möchte<br />
sich nicht „blamieren“, deshalb werden<br />
die von außen genau beäugten TWKs<br />
stets sehr ernst genommen. Man ärgert<br />
„Immer wieder<br />
eine große<br />
Anspannung“<br />
sich dabei, wenn etwas nicht klappt, wie<br />
man es sich vorstellt. Man stellt sich<br />
selbst in Frage, wenn die Runden nicht<br />
befriedigend waren; das ist mir leider<br />
auch schon öfter passiert. Wichtig ist es<br />
dann, sich selbst wieder aus diesen kleinen<br />
Tiefs heraus zu kämpfen, denn auch<br />
beim Wettkampf läuft nicht immer alles<br />
glatt. Auch bei einer EM oder WM<br />
muss man Tiefen überbrücken<br />
und vorher eben genau das<br />
trainieren.<br />
Genauso steht man<br />
als Trainingspartnerin in<br />
einem TWK unter Anspannung.<br />
An erster Stelle<br />
möchte man natürlich den<br />
Starterinnen das Leben schwer<br />
machen, sie auch mal „ärgern“, um<br />
sie bestmöglich vorzubereiten. Und mal<br />
ehrlich: Man will es sich in den TWKs<br />
auch selbst und den Trainern beweisen.<br />
Oft geht es bei der Nominierung für einen<br />
Höhepunkt eng zu, unter Umständen<br />
hätten es weitere Athletinnen verdient,<br />
teilzunehmen. Sie wollen dann<br />
natürlich zeigen, dass sie gut in Form<br />
sind, der Trainer eventuell auch sie bei<br />
der Nominierung hätte berücksichtigen<br />
können. Das hat nichts mit Eifersucht<br />
zu tun, sondern einfach mit dem sportlichen<br />
Ehrgeiz, die oder der Beste sein zu<br />
wollen!<br />
Das Jahr von Johanna Müller<br />
Die Serie<br />
Eine besondere Serie im <strong>Judo</strong> <strong>Magazin</strong>:<br />
Nationalmannschaftskämpferin<br />
Johanna Müller berichtet ein ganzes<br />
Jahr lang in jeder Ausgabe von ihren<br />
Wettkämpfen, ihrem Training und ihren<br />
Erfahrungen im Nationalteam.<br />
Die 57-Kilo-Athletin vom PSV Olympia<br />
Berlin, im Januar Nummer 36 der<br />
Olympiaqualifikationsrangliste, lässt<br />
die Leserinnen und Leser an ihren<br />
Eindrücken und Gedanken teilhaben<br />
und ermöglicht Blicke hinter die Kulissen<br />
des <strong>Judo</strong>-Spitzensports. •<br />
Dieses Jahr war die Vorbereitung vergleichsweise<br />
kurz und gab es nur zwei<br />
Hochbelastungstage. Zwischen ihnen<br />
war ein Tag lang „entspanntes“ Training<br />
angesagt. Das Wetter meinte es an jenem<br />
Sonntag gut mit uns und wir konnten nebenbei<br />
ein paar Sonnenstrahlen genießen.<br />
Am Dienstag war die letzte Einheit<br />
des UWV-Trainingslagers geschafft, das<br />
EM-Team traf sich noch einmal kurz im<br />
Büro von Bundestrainer Michael Bazynski.<br />
Bei dieser letzten Zusammenkunft<br />
werden seit einigen Jahren traditionell<br />
die individuell bestickten T-Shirts ausgeteilt,<br />
die DJB-Ausrüster Adidas extra für<br />
die Höhepunkte bedruckt.<br />
<strong>Judo</strong> ist Partnersport, auch bei den von Bundestrainer Michael Bazynski verordneten<br />
Zugübungen<br />
Foto: Micha Neugebauer<br />
An die Grenzen gehen<br />
Ich habe nun schon einige UWVs mitmachen<br />
dürfen. Es ist jedes Mal wirklich<br />
hart, du musst an deine Grenzen gehen.<br />
Doch genau das ist der Sinn, um sich optimal<br />
auf den Jahreshöhepunkt vorzubereiten.<br />
Zur EM-UWV waren diesmal auch<br />
die Juniorinnen eingeladen. U21-Bundestrainer<br />
Claudiu Pusa hat da ein starkes<br />
Team beisammen. Wir haben uns<br />
gegenseitig gut unterstützt und vorbereitet.<br />
Die Juniorinnen starteten nur wenige<br />
Tag nachher bei ihrem European Cup<br />
in St. Petersburg, wo sie sehr erfolgreich<br />
abschnitten: sechs der zehn Starterinnen<br />
erreichten eine Platzierung. Und ich<br />
war zuversichtlich, dass meinen Mannschaftskolleginnen<br />
in Kasan ein ähnlich<br />
gutes Abschneiden gelingt. •<br />
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