Das Paradox als Stilmittel
paradox16
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Toliletpaper-Fotografien ohne Titel ist] ein junges hübsches Model, das einem Hitchcock-<br />
Film entsprungen sein könnte. Sie trägt einen pinken Rolli und pinken Lippenstift. Ihre weit<br />
aufgerissenen blauen Augen und der zum Schrei offene Mund verstärken den Eindruck des<br />
Schreckens. Mit den Händen fasst sie sich an den Kopf, eine Verzweiflungsgeste. Der<br />
Schock, ein surrealistisches Arbeitsmittel, ist ihr anzusehen, denn etwas scheint sie<br />
anzugreifen [Wie die Vögel, die bei Hitchcock im gleichnamigen Film von 1963 Melanie<br />
Daniels (Tippi Hedren) angriffen.]. Auf der Toiletpaper-Fotografie sind es aber keine Vögel,<br />
sondern schwarze Telefonhörer aus den 40er/50er Jahren, die das Model zur Verzweiflung<br />
bringen, denn sie fallen an Kabeln auf sie herab und scheinen sie bedrängen zu wollen. Man<br />
kann das zigfache imaginäre Reden/Läuten hören, das die Situation unerträglich zu machen<br />
scheint. Die Frau wird von einer Informations- und Signalflut überwältigt.<br />
Diese surrealistische Szenerie wirkt manieristisch durch die perfekte saubere Ausleuchtung<br />
der satten Farben. Die Absurdität der Darstellung soll zur Interpretation anregen. Ist dieses<br />
Foto eine Kritik an unser aller „Allzeit-Erreichbarkeit“, unserer Handy-Affinität? Zeigt es den<br />
Wahnsinn einer Kommunikationstechnologie, die immer weiter in unser Leben eindringt?<br />
Weitere Spekulationen sind möglich. Auch hier geht es um eine nicht negative Intension des<br />
Bildes, denn es regt die Phantasie an, es zeigt an, in welchem Spannungsfeld wir heute leben.<br />
Die manieristischen Strategien, die Spannung, Verunsicherung, das <strong>Paradox</strong>e der Zeit, in der<br />
Kunst seinen Ausdruck finden zu lassen durch überzogene Formen, Farben und Ideen ist auch<br />
heute noch präsent. Auch wenn sich die Medien weiterentwickelt haben, so treffen wir gerade<br />
heute wieder auf ein gesellschaftliches Umfeld, das vom Neoliberalismus, Terrorismus,<br />
Nationalismus und Imperialismus bestimmt ist. Die Folgen daraus sind die Krisen unserer<br />
Zeit [Überwachungskrise, Wirtschaftkrise, Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Umweltkrise,<br />
Armutskrise], die wir nicht, so scheint es, bewältigen können oder wollen. Die Menschen im<br />
Manierismus steckten wie wir heute in einer tiefen Vertrauenskrise, zu sich selbst, zu unseren<br />
Systemen und zu unseren Werten/unserem Glauben. Hieraus entwuchsen und entwachsen<br />
ähnliche künstlerische Ansätze, dies nachzuzeichnen, war meine Absicht.<br />
von Helge H. Paulsen