TTM in der neurologischen Intensivmedizin
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Fieber bei <strong>neurologischen</strong> Intensivpatienten<br />
Targeted Temperature Management (<strong>TTM</strong>) <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>neurologischen</strong> Intensivmediz<strong>in</strong>:<br />
„To cool or not to cool“ – das ist die Frage!<br />
Early temperature and mortality <strong>in</strong> critically ill patients with acute neurological<br />
diseases: Trauma and stroke differ from <strong>in</strong>fection.<br />
Saxena M, Young P, Pilcher D, Bailey M, Harrison D, Bellomo R, F<strong>in</strong>fer S, Beasley R, et al. Intensive Care Med 2015; 41:823-32<br />
BACKGROUND: Fever suppression may be beneficial for patients<br />
with traumatic bra<strong>in</strong> <strong>in</strong>jury (TBI) and stroke, but for patients with men<strong>in</strong>gitis<br />
or encephalitis [central nervous system (CNS) <strong>in</strong>fection], the<br />
febrile response may be advantageous.<br />
OBJECTIVE: To evaluate the relationship between peak temperature<br />
<strong>in</strong> the first 24 h of <strong>in</strong>tensive care unit (ICU) admission and allcause<br />
hospital mortality for acute neurological diseases.<br />
DESIGN, SETTING AND PARTICIPANTS: Retrospective cohort<br />
design from 2005 to 2013, <strong>in</strong>clud<strong>in</strong>g 934,159 admissions to 148 ICUs<br />
<strong>in</strong> Australia and New Zealand (ANZ) and 908,775 admissions to 236<br />
ICUs <strong>in</strong> the UK.<br />
RESULTS: There were 53,942 (5.8 %) patients <strong>in</strong> ANZ and 56,696<br />
(6.2 %) patients <strong>in</strong> the UK with a diagnosis of TBI, stroke or CNS <strong>in</strong>fection.<br />
For both the ANZ(P = 0.02) and UK (P < 0.0001) cohorts there<br />
was a significant <strong>in</strong>teraction between early peak temperature and CNS<br />
<strong>in</strong>fection, <strong>in</strong>dicat<strong>in</strong>g that the nature of the relationship between <strong>in</strong>hospital<br />
mortality and peak temperature differed between TBI/stroke<br />
and CNS <strong>in</strong>fection. For patients with CNS <strong>in</strong>fection, elevated peak temperature<br />
was not associated with an <strong>in</strong>creased risk of death, relative<br />
to the risk at 37–37.4 °C (normothermia). For patients with stroke and<br />
TBI, peak temperature below 37 °C and above 39 °C was associated<br />
with an <strong>in</strong>creased risk of death, compared to normothermia.<br />
CONCLUSIONS: The relationship between peak temperature <strong>in</strong><br />
the first 24 h after ICU admission and <strong>in</strong>-hospital mortality differs for<br />
TBI/stroke compared to CNS <strong>in</strong>fection. For CNS <strong>in</strong>fection, <strong>in</strong>creased<br />
temperature is not associated with <strong>in</strong>creased risk of death.<br />
Die Temperatur des menschlichen Körpers<br />
ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> am genauesten regulierten<br />
Körperfunktionen überhaupt.<br />
Sie wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Peripherie gemessen<br />
und zentral unter an<strong>der</strong>em <strong>in</strong> <strong>der</strong> preoptischen<br />
Area genauestens reguliert<br />
und versucht, möglichst konstant zu<br />
halten. Abweichungen nach oben werden<br />
als Fieber bezeichnet und obwohl<br />
dieses zentrale Symptom schon seit <strong>der</strong><br />
Antike bekannt ist, existiert bis heute<br />
ke<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong> gültige Def<strong>in</strong>ition, ab<br />
welchem Temperaturwert man von Fieber<br />
spricht. Im Allgeme<strong>in</strong>en wird unter<br />
Fieber e<strong>in</strong>e Erhöhung <strong>der</strong> Körperkerntemperatur<br />
auf über 38,3 °C verstanden.<br />
Beschäftigt man sich mit Temperaturmanagement,<br />
wird relativ rasch klar,<br />
dass die gemessene Temperatur abhängig<br />
ist vom Organsystem, <strong>in</strong> dem sie abgeleitet<br />
wird. Als Goldstandard für die<br />
Wie<strong>der</strong>gabe <strong>der</strong> Körperkerntemperatur<br />
(KKT) wird heutzutage die Messung<br />
<strong>der</strong> pulmonalarteriellen Temperatur<br />
(PAT) angesehen. Die Messung<br />
<strong>der</strong> PAT ist jedoch <strong>in</strong> <strong>der</strong> kl<strong>in</strong>ischen<br />
Rout<strong>in</strong>e nur durch E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>es „Pulmonaliskatheters“<br />
möglich und daher<br />
nur beschränkt anwendbar.<br />
Daher wurde nach alternativen Messorten<br />
gesucht. In mehreren kl<strong>in</strong>isch randomisierten<br />
Studien konnte gezeigt<br />
werden, dass <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e (semi-) <strong>in</strong>vasive<br />
Methoden wie die Messung <strong>der</strong><br />
Ösophagus-, Harnblasen-, Femoraliso<strong>der</strong><br />
Rektaltemperatur die KKT verlässlich<br />
wie<strong>der</strong>geben (Krizanac D; Resuscitation<br />
2013, 84:805; Sh<strong>in</strong> J; Resuscitation<br />
2013; 84:810).<br />
Daher ist diesen Methoden gegenüber<br />
von oberflächlichen Messungen (Hautbeziehungsweise<br />
tympanale Temperatur)<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Intensivmediz<strong>in</strong> <strong>der</strong> Vorzug<br />
zu geben. Darüber h<strong>in</strong>aus entspricht<br />
die Gehirntemperatur (GT) nicht <strong>der</strong><br />
KKT, so konnte gezeigt werden, dass<br />
die GT auch physiologischerweise über<br />
<strong>der</strong> KKT liegt (Nybo L, Experiment Physiol<br />
2012; 97:333).<br />
Schon Rumana et al. konnten zeigen,<br />
dass bei Patienten mit schweren Schädelhirntrauma<br />
(SHT) die GT bis zu 2<br />
Grad Celsius über <strong>der</strong> KKT lag (Rumana<br />
CS; Crit Care Med 1998; 26:526).<br />
Dieser messbare Unterschied fällt umso<br />
mehr <strong>in</strong>s Gewicht, will man die negativen<br />
Effekte von Fieber auf Patienten<br />
mit schweren akuten <strong>neurologischen</strong><br />
Erkrankungen untersuchen.<br />
In <strong>der</strong> Literatur f<strong>in</strong>den sich massenhaft<br />
H<strong>in</strong>weise aus Tier- bzw. humanen<br />
Studien, dass Fieber e<strong>in</strong>en negativen Effekt<br />
auf das Outcome von Patienten mit<br />
akuter neurologischer Schädigung hat.<br />
Hervorzuheben ist hier e<strong>in</strong>e große Metaanalyse<br />
von Greer, die bei über 14.000<br />
Patienten die Auswirkung <strong>der</strong> KKT auf<br />
das Outcome von Patienten mit akuter<br />
ZNS-Schädigung (SHT, Stroke,<br />
Nr. 4, 2016 11
Fieber bei <strong>neurologischen</strong> Intensivpatienten<br />
hämorrhagischer Insult) untersuchte<br />
(Greer DM; Stroke 2008; 39:3029).<br />
In dieser Studie konnte gezeigt werden,<br />
dass Fieber e<strong>in</strong> klarer unabhängiger<br />
Prädiktor für schlechtes neurologisches<br />
Outcome gemessen an Morbidität<br />
(modified Rank<strong>in</strong> Scale, Glasgow<br />
Come Scale, Barthel Index, ICU und<br />
Hospital length of stay) und Mortalität<br />
ist. Inwieweit sich dieser Effekt auch<br />
auf febrile, nicht neurologische Patienten<br />
übertragen lässt, wird <strong>der</strong>zeit <strong>in</strong>tensiv<br />
und kontroversiell diskutiert (Young<br />
P; N Engl J Med 2015;373; 2315, siehe<br />
dazu Intensiv-News 2/16).<br />
In e<strong>in</strong>er retrospektiven Kohortenstudie<br />
<strong>in</strong>kludierten Saxena und Mitarbeiter<br />
letztlich mehr als 100.000 Patienten,<br />
die die Inklusionskriterien, SHT,<br />
Stroke beziehungsweise akute ZNS-Infektion<br />
erfüllten (Saxena M; Intensive<br />
Care Med 2015, 41:823). Sie untersuchten<br />
den E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> KKT auf das Outcome.<br />
Hierzu korrelierten sie die KKT<br />
<strong>der</strong> ersten 24 Stunden auf <strong>der</strong> Intensivstation<br />
mit <strong>der</strong> Krankenhausmortalität.<br />
Diese Autoren fanden e<strong>in</strong>e signifikant<br />
erhöhte Mortalität bei KKT höher als<br />
39 °C beziehungsweise niedriger als<br />
37 °C <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe von Patienten mit<br />
Schädelhirntrauma beziehungsweise<br />
Schlaganfall, nicht jedoch bei Patienten<br />
mit ZNS-Infektion im Vergleich<br />
zum Normothermie. Diese Resultate<br />
stellen nun e<strong>in</strong>mal die Hypothese, ob<br />
Fieber bei allen <strong>neurologischen</strong> Intensivpatienten<br />
zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n ist, <strong>in</strong> Frage.<br />
Grundsätzlich sollten hier bei <strong>der</strong> Interpretation<br />
<strong>der</strong> Resultate die Limitationen<br />
<strong>der</strong> Studie genauer <strong>in</strong> Betracht<br />
gezogen werden.<br />
Erstens, neurologische Erkrankungen<br />
entwickeln sich, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e bei Erkrankungen<br />
wie Schädelhirntrauma<br />
o<strong>der</strong> auch Stroke wissen wir, dass nicht<br />
nur die ersten 24 Stunden e<strong>in</strong>en relevanten<br />
E<strong>in</strong>fluss auf das Outcome <strong>der</strong><br />
Patienten haben. „Secondary neuronal<br />
<strong>in</strong>juries“, sogenannte „Zweitschäden“,<br />
die erst während des Aufenthaltes auf<br />
<strong>der</strong> Intensivstation auftreten, können<br />
<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> ersten Wochen e<strong>in</strong>en signifikanten<br />
E<strong>in</strong>fluss auf Mobilität und<br />
12<br />
Abb.: Möglicher Temperaturverlauf von „Targeted Temperture Management“ bei <strong>neurologischen</strong><br />
Intensivpatienten (nach Dr. Florian Frank).<br />
Mortalität haben. In <strong>der</strong> Literatur gibt<br />
es unzählige Beispiele, dass diese Sekundärschädigungen<br />
sehr wohl durch<br />
Fieber negativ modifiziert werden können.<br />
Daher ist me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach<br />
die Analyse <strong>der</strong> Patiententemperatur<br />
nur über die ersten 24 Stunden als unzureichend<br />
zu erachten.<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus konnten die Autoren<br />
nicht für e<strong>in</strong>en (antipyretischen) Effekt<br />
durch NSARs o<strong>der</strong> physikalische Maßnahmen<br />
kontrollieren. Auch das führt<br />
zu e<strong>in</strong>er weiteren Unsicherheit <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Interpretation <strong>der</strong> Studien ergebnisse,<br />
da gezeigt werden konnte, dass NSAR<br />
und auch physikalische Temperatur-<br />
Kontrollmaßnahmen neben dem temperatursenkenden<br />
Effekt auch ausgeprägte<br />
anti-<strong>in</strong>flammatorische und<br />
dadurch auch neuromodu latorische<br />
Eigenschaften besitzen (Broessner G,<br />
Stroke 2010; 41:2969).<br />
So kann zum Beispiel e<strong>in</strong>e Senkung <strong>der</strong><br />
(zerebralen) Temperatur durch Verabreichung<br />
von NSAR zu e<strong>in</strong>er Reduktion<br />
<strong>der</strong> zerebralen Perfusion und Sauerstoffversorgung<br />
führen und damit <strong>in</strong>sgesamt<br />
die Prognose verschlechtern<br />
(Schiefecker AJ; Crit Care 2013, 17:R88).<br />
Für die Temperatur zum Aufnahmezeitpunkt,<br />
<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e für Hypothermie,<br />
konnte gezeigt werden, dass sie mit<br />
dem Outcome von unterschiedlichen<br />
<strong>neurologischen</strong> Erkrankungen assoziiert<br />
ist. Es wird diskutiert, dass Hypothermie<br />
zum Aufnahmezeitpunkt als<br />
Surrogatparameter <strong>der</strong> <strong>neurologischen</strong><br />
Initialschädigung zu bewerten ist. Aus<br />
all diesen Gründen denke ich nicht,<br />
dass die Resultate <strong>der</strong> Studie Saxena et<br />
al. unsere kl<strong>in</strong>ische Interpretation <strong>der</strong><br />
Patiententemperatur <strong>in</strong>nerhalb von 24<br />
Stunden nachhaltig bee<strong>in</strong>flussen sollte.<br />
Welche Patiententemperatur sollte nun<br />
bei <strong>neurologischen</strong> Intensivpatienten angestrebt<br />
werden?<br />
Diese Frage ist nicht e<strong>in</strong>heitlich zu beantworten,<br />
son<strong>der</strong>n sollte aufgrund <strong>der</strong><br />
Diagnose des Patienten als auch <strong>der</strong><br />
Komplikationen <strong>in</strong>dividuell entschieden<br />
werden.<br />
Schädel-Hirn-Trauma: Die drei großen<br />
randomisierten Studien zum Thema<br />
Temperaturkontrolle (therapeutische<br />
Hypothermie) bei schwerem<br />
Schädel-Hirn-Trauma s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>sgesamt<br />
alle negativ verlaufen (Andrews PDJ; N<br />
Engl J Med 2015, 373:2403; Clifton GL;<br />
Lancet Neurol 2011, 10:131). Daher ist<br />
<strong>der</strong> grundsätzliche E<strong>in</strong>satz von therapeutischer<br />
Hypothermie beim schweren<br />
Schädel-Hirn-Trauma außerhalb<br />
von Studien <strong>der</strong>zeit nicht zu empfehlen.<br />
Ob e<strong>in</strong>e kontrollierte Normothermie<br />
s<strong>in</strong>nvoll ist, gilt es <strong>in</strong> zukünftigen<br />
Studien zu testen.<br />
Erhöhter <strong>in</strong>trakranieller Druck: Hier<br />
gibt es ausreichend wissenschaftli-<br />
Nr. 4, 2016
Fieber bei <strong>neurologischen</strong> Intensivpatienten<br />
che Evidenz, dass kontrollierte Hypothermie<br />
(i.e. KKT