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TITEL<br />

INTERVIEW<br />

„Der ‚neue Ehrenamtliche‘ ist unbequemer“<br />

Professor Sebastian Braun empfiehlt eine „Partizipationskultur“ für Engagierte<br />

eNATURFREUNDiN: Herr Professor Braun, Ihr<br />

Forschungsgebiet ist das „Bürgerschaftliche<br />

Engagement“. Was ist damit gemeint?<br />

Sebastian Braun: Vielfältige Formen des Engagements<br />

im öffentlichen Raum – vom ehrenamtlichen<br />

und freiwilligen Engagement über<br />

den sozialen oder karitativen Einsatz bis hin zu<br />

politischer Beteiligung. Es geht also um Engagementformen,<br />

die jenseits der Erwerbsarbeit, des<br />

staatlichen Verwaltungshandelns und der Privatsphäre<br />

erbracht werden.<br />

eDer aktuellen Freiwilligenstudie des Familienministeriums<br />

zufolge engagieren sich 43,6<br />

Prozent der Deutschen ab 14 Jahren freiwillig.<br />

Trotzdem klagen viele Vereine über Mitgliederschwund<br />

und mangelnde Bereitschaft, Ämter<br />

zu übernehmen. Wie passt das zusammen?<br />

Offenkundig binden sich viele Menschen nicht<br />

mehr so langfristig und intensiv an traditionelle<br />

Großorganisationen wie Parteien, Gewerkschaften<br />

oder Verbände. Eine langfristige, emotionale<br />

Bindung an die Ziele eines Verbandes ist vielfach<br />

aber wichtig, um über die reine Mitgliedschaft<br />

hinaus Zeit und Wissen zu spenden und<br />

Ämter wahrzunehmen. Die Organisationen können<br />

heute auch nicht mehr so weitreichend<br />

wie früher auf die klassische Ochsentour<br />

bauen. Zugleich hat das Selbstorganisationspotenzial<br />

der Menschen zugenommen<br />

und an Effektivität und Effizienz<br />

wie auch an gesellschaftspolitischem<br />

Einfluss gewonnen.<br />

eWie wirkt sich das auf den Engagementwillen<br />

der Bürger aus?<br />

Seit einigen Jahrzehnten beobachten wir einen<br />

Strukturwandel des Ehrenamts, der häufig mit<br />

den Begriffen „altes“ und „neues Ehrenamt“<br />

umschrieben wird. Idealtypisch wuchs der „alte<br />

Ehrenamtliche“ aus dem sozialen Milieu in eine<br />

Trägerorganisation hinein, in der er sich langfristig<br />

für die „gemeinsame Sache“ engagierte.<br />

eUnd der „neue Ehrenamtliche“?<br />

Der engagiert sich tendenziell projektbezogener im<br />

Kontext seiner biografischen Gelegenheiten. Dabei<br />

erscheint der „neue Ehrenamtliche“ aus der Perspektive<br />

traditioneller Verbände unbequemer. Er<br />

fragt nach dem persönlichen Sinn seines Engagements<br />

im Verein oder Verband und handelt seltener<br />

aus einer selbstverständlichen, eingelebten<br />

Gewohnheit heraus. Dieses selbstreflexive<br />

und rational motivierte Handeln macht es<br />

schwieriger, den „neuen Ehrenamtlichen“<br />

längerfristig an die Organisation<br />

zu binden.<br />

FRIEDENSSTIFTER<br />

Daniel Wölfle (42), Bogotá/Kolumbien<br />

eWie können sich traditionelle Vereine auf<br />

die veränderten Bedingungen einstellen?<br />

Eine längerfristige Bindung dürfte maßgeblich davon<br />

abhängen, ob es Strukturen gibt, die für Menschen<br />

attraktiv sind. Um nur einige Punkte anzudeuten:<br />

Werden den Engagierten und potenziell<br />

Engagementbereiten anspruchsvolle – und zugleich<br />

zeitlich und fachlich nicht überfordernde –<br />

Aufgabenfelder übertragen, in denen sie mit einer<br />

gewissen Eigenständigkeit und praktisch folgenreich<br />

agieren können? Gibt es verantwortliche<br />

Personen, mit denen sie ihre Vorstellungen vom<br />

Engagement diskutieren können, um auch neue<br />

Projektideen in die Vereinspolitik einzubringen?<br />

Gibt es Partizipationschancen, die auch tatsächlich<br />

wahrgenommen werden können?<br />

Nicht zuletzt braucht es neben einer „Willkommenskultur“<br />

für Engagierte auch eine „Verabschiedungskultur“,<br />

die es Engagierten ermöglicht,<br />

nach einem zeitlich definierten Projekt das<br />

Engagement auch wieder „im Guten“ einzustellen.c<br />

INTERVIEW MARION ANDERT<br />

Sebastian Braun (44) ist Professor für Sportsoziologie<br />

an der Berliner Humboldt-Universität und<br />

forscht seit langem über Bürgerschaftliches Engagement.<br />

Er war stellvertretender Vorsitzender<br />

der Sachverständigenkommission der Bundesregierung<br />

zur Erarbeitung des „Ersten Engagementberichts“.<br />

braun@hu-berlin.de<br />

„Ich habe Job und Wohnung gekündigt und gehe nach Kolumbien. Als Freiwilliger.“ Damit<br />

hatte niemand gerechnet. Schon gar nicht, dass Daniel in Regionen arbeiten würde, die seit<br />

Jahrzehnten von bewaffneten Konflikten betroffen sind. „In Kolumbien kann der Einsatz für<br />

die Menschenrechte lebensgefährlich sein", sagt er. Meine Organisation „peace brigades international<br />

begleitet kolumbianische Menschenrechtsverteidiger, die bedroht werden. Unsere<br />

Präsenz schützt diese Leute bei ihrer täglichen Arbeit.“<br />

Daniel trägt keine Waffe und ist auch kein Draufgänger. Drei Viertel seiner Arbeit verbringt<br />

er im Büro und informiert Behörden und Diplomaten. „Je mehr offizielle Stellen Bescheid<br />

wissen, desto sicherer sind wir auf unseren Begleitungen“, sagt er. „Wir setzen auf<br />

Gewaltfreiheit und mischen uns nicht in die Arbeit der begleiteten Personen ein.“<br />

Und warum macht er das? Daniel lebt seit zweieinhalb Jahren in einer Freiwilligen-WG,<br />

hat wenig Freizeit und bekommt nur ein kleines Taschengeld. „Mir gefällt der Ansatz“, sagt<br />

er. „Bei der Arbeit lerne ich Menschen kennen, deren Engagement für die Menschenrechte,<br />

gerade unter den großen Risiken hier, einfach beeindruckend ist.“c SAMUEL LEHMBERG<br />

www.pbideutschland.de<br />

SEITE 6 NATURFREUNDiN 3-2016

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