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Handout - Kontrollierter Konsum illegaler Drogen

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Motivational Interviewing und Selbstmanagementprogramme<br />

zur gezielten <strong>Konsum</strong>reduktion: Paradigmenwechsel in der<br />

niedrigschwelligen <strong>Drogen</strong>arbeit?<br />

Joachim Körkel (1), Gabi Becker (2), Uli Gehring (3), Dieter König (3),<br />

Christiane Leiblein (3) & Uwe Täubler (4)<br />

(1) Ev. Fachhochschule Nürnberg, (2) integrative drogenhilfe (idh), Frankfurt,<br />

(3) GK Quest Akademie, Heidelberg, (4) Palette, Hamburg<br />

Abb. 1: KISS<br />

Trainermanual mit<br />

CD-ROM<br />

1. Einführung<br />

1.1 In Deutschland haben sich in den letzten<br />

Jahrzehnten in Abgrenzung zur abstinenzorientierten<br />

<strong>Drogen</strong>hilfe schadensminimierende<br />

Angebote, wie Kontaktläden, <strong>Konsum</strong>räume<br />

u.a. etabliert (vgl. Stöver, 1999).<br />

1.2 Im Rahmen dieser „akzeptierenden <strong>Drogen</strong>arbeit“<br />

wird der <strong>Konsum</strong> von <strong>Drogen</strong> als Teil des<br />

„Lebensentwurfs“ der <strong>Konsum</strong>entInnen angesehen<br />

und „akzeptiert“. Motivierungsbemühungen<br />

durch MitarbeiterInnen der <strong>Drogen</strong>hilfe<br />

werden assoziiert mit ungefragter und<br />

unerwünschter Einflussnahme auf das Leben<br />

der <strong>Konsum</strong>entInnen – in der Regel mit dem<br />

Ziel, diese zu totaler Abstinenz von <strong>Drogen</strong> zu<br />

bewegen (vgl. Schneider, 2005).<br />

1.3 Der Gesprächsansatz des „Motivational Interviewing“<br />

(MI; Miller & Rollnick, 2002) geht<br />

demgegenüber davon aus, dass <strong>Drogen</strong>gebrau<br />

1<br />

cherInnen bereits in sich selbst gute Gründe<br />

für eine Veränderung ihres <strong>Drogen</strong>gebrauchs<br />

besitzen – ihre intrinsische Motivation zur<br />

Veränderung also nur freigesetzt werden muss.<br />

1.4 Daher erscheint es folgerichtig, KlientInnen der<br />

niedrigschwelligen <strong>Drogen</strong>hilfe<br />

- zu einer Veränderung ihres <strong>Drogen</strong>konsums zu<br />

motivieren<br />

- und ihnen systematisch Angebote zur Reduktion<br />

ihres <strong>Drogen</strong>konsums zu unterbreiten,<br />

sofern sie nicht abstinent leben wollen oder dazu<br />

(noch) nicht in der Lage sind.<br />

1.5 Die Notwendigkeit, KlientInnen zur Änderung<br />

zu motivieren und neben Abstinenz- auch<br />

Reduktionsprogramme vorzuhalten, ergibt<br />

sich genauso für Heroinabhängige, die sich in<br />

Substitutionsbehandlung befinden und „Beikonsum“<br />

legaler und <strong>illegaler</strong> <strong>Drogen</strong> auf-


Abb. 2: „Eastside“ (idh Frankfurt), größte niedrigschwellige<br />

<strong>Drogen</strong>hilfeeinrichtung Europas<br />

weisen – was der Regelfall und nicht die<br />

Ausnahme ist (vgl. Westermann, 2005).<br />

Aus der aufgezeigten Bedarfslage heraus wurden<br />

MitarbeiterInnen aus dem niedrigschwelligen<br />

<strong>Drogen</strong>hilfebereich in Motivierender Gesprächsführung<br />

und „KISS“, einem verhaltenstherapeutischen<br />

Selbstkontrollprogramm für <strong>Konsum</strong>ent-<br />

Innen <strong>illegaler</strong> <strong>Drogen</strong>, geschult.<br />

2. Methode<br />

2.1 Ausbildung der MitarbeiterInnen<br />

Im Herbst 2005 und März 2006 nahmen 90 MitarbeiterInnen<br />

(überwiegend SozialarbeiterInnen)<br />

aus niedrigschwelligen <strong>Drogen</strong>hilfeeinrichtungen<br />

in Hamburg (Abrigado, Die Brücke, Palette, Ragazza,<br />

Subway) und Frankfurt (Integrative <strong>Drogen</strong>hilfe,<br />

idh; vgl. Abb. 2-5) teil an 4- bis 6-tägigen<br />

Fortbildungen zu<br />

Abb. 3: Poster im <strong>Konsum</strong>raum<br />

Niddastraße<br />

Abb. 4: Zwei Klienten beim intravenösen<br />

<strong>Drogen</strong>konsum im <strong>Konsum</strong>raum Niddastraße<br />

(idh Frankfurt)<br />

2<br />

- motivationsfördernder Gesprächsführung<br />

(„Motivational Interviewing“) und<br />

- selbstkontrollierter <strong>Konsum</strong>reduktion mittels<br />

des Programms „KISS“ (= „Kontrolle im selbstbestimmten<br />

Substanzkonsum“). KISS ist ein<br />

neu entwickeltes verhaltenstherapeutisches<br />

Selbstmanagementprogramm („Behavioral Self-<br />

Control Training“) zur gezielten Reduktion des<br />

<strong>Konsum</strong>s legaler und <strong>illegaler</strong> <strong>Drogen</strong> (Körkel<br />

& GK Quest, 2005). Es besteht aus 12 strukturierten<br />

Sitzungen, in denen das Führen eines<br />

<strong>Konsum</strong>tagebuches, Festlegen von wöchentlichen<br />

<strong>Konsum</strong>zielen, Erkennen und Bewältigen<br />

von Risikosituation, Umgang mit „Ausrutschern“<br />

u.a.m. vermittelt werden. KISS<br />

kann sowohl mit Einzelpersonen als auch in<br />

Gruppen durchgeführt werden. Die Arbeitsunterlagen<br />

bestehen aus einem Durchführungsmanual<br />

für die KursleiterInnen (einschl.<br />

CD-ROM mit Blanko-<strong>Konsum</strong>tagebüchern,<br />

Evaluationsbögen usw.) sowie einem Handbuch<br />

für die KlientInnen (Abb. 1).<br />

2.2 Intervention (MI + KISS)<br />

Die ausgebildeten MitarbeiterInnen bringen MI-<br />

Methoden immer dann zum Einsatz, wenn die<br />

drei notwendigen „Fenster der Veränderung“ geöffnet<br />

sind (vgl. Abb. 10). Das ist der Fall, wenn der<br />

Mitarbeiter, der Klient und die Rahmenbedingungen<br />

für eine MI-Intervention geeignet sind.<br />

KlientInnen, die Interesse an einer <strong>Konsum</strong>reduktion<br />

bekunden, nehmen in Einzel- oder<br />

Gruppensitzungen (8-12 TeilnehmerInnen) an<br />

den 12 KISS-Sitzungen teil.<br />

2.3 Studiendesign<br />

Die KursteilnehmerInnen nehmen vor Beginn,<br />

direkt nach Ende und 6 Monate nach der Behandlung<br />

an ein bis zwei Diagnostiksitzungen teil.<br />

Erhoben werden soziodemographische Merkmale,<br />

das <strong>Konsum</strong>verhalten, das Vorliegen psychischer,<br />

sozialer und somatischer Beeinträchtigungen<br />

u.a.m. (Erhebungsinstrumente: Teile des<br />

Abb. 5: MitarbeiterInnen des <strong>Konsum</strong>raums<br />

Niddastraße bei der Vorbereitung der<br />

<strong>Konsum</strong>utensilien


Abb. 6: TeilnehmerInnen der ersten<br />

KISS-Gruppe Hamburg<br />

Abb. 7: Therapeutin (Carola<br />

Heinecke) und Therapeut (Uwe<br />

Täubler) der ersten KISS-Gruppe<br />

Deutschlands (Palette Hamburg)<br />

European Addiction Severity Index, DSM-IV, <strong>Konsum</strong>tagebücher<br />

u.a.m.). In Planung ist eine randomisierte<br />

kontrollierte Studie in der Integrativen<br />

<strong>Drogen</strong>hilfe (idh) Frankfurt.<br />

2.4 TeilnehmerInnen<br />

Von November 2005 bis März 2006 fand die erste<br />

KISS-Gruppe mit 8 KlientInnen in der Palette in<br />

Hamburg (s. Abb. 6-9) statt. Auf diese beziehen<br />

sich die folgenden Ergebnisse. Alle Teilnehmer-<br />

Innen waren polytoxikoman (s. Abb. 11). Vier der<br />

KlientInnen nahmen an einer Methadonbehandlung<br />

teil (KlientInnen M, J, T, Ts). Mittlerweile<br />

läuft die zweite KISS-Gruppe in der Palette<br />

Hamburg.<br />

Weitere KISS-Gruppen sind in Hamburg und<br />

Frankfurt in Vorbereitung.<br />

3. Ergebnisse<br />

- Die in MI und KISS fortgebildeten MitarbeiterInnen<br />

äußern sich mit dem Ergebnis der<br />

Schulung sehr zufrieden und betrachten das<br />

Gelernte als Bereicherung ihrer Arbeit.<br />

- Ein Klient (Hr E) der ersten KISS-Gruppe hat<br />

das Programm vorzeitig abgebrochen (nach<br />

Sitzung 1). Während der (in Hamburg nur) 11<br />

3<br />

Abb. 8: Zwei KlientInnen aus<br />

KISS-Gruppe 1 (Palette Hamburg)<br />

Abb. 9: Therapeutin und Klient<br />

aus KISS-Gruppe 1 (Palette<br />

Hamburg)<br />

Gruppensitzungen waren durchschnittlich<br />

76% der KlientInnen (bezogen auf die 7 verbliebenen<br />

TN) anwesend. Auf Wunsch der<br />

KlientInnen, die nicht an allen Gruppensitzungen<br />

teilgenommen hatten, wurden die versäumten<br />

Stunden in Einzelsitzungen nachgeholt<br />

(s. Abb. 12). Auf dieser Basis ergibt sich<br />

eine Teilnahme von 89,6% (bezogen auf 7 TN).<br />

- Die meisten Teilnehmenden konnten den<br />

<strong>Konsum</strong> ihrer Hauptsubstanz zum Teil erheblich<br />

reduzieren. (s. Abb. 13-15)<br />

- Die Teilnehmenden haben gezielte <strong>Konsum</strong>reduktionen<br />

auch bei anderen von ihnen konsumierten<br />

Substanzen angestrebt und erreicht.<br />

Veränderungen sind auch in anderen Lebensbereichen<br />

in Gang gesetzt worden (z.B. Partnerschaft).<br />

- Hinsichtlich der Reduktion ihres <strong>Drogen</strong>konsums<br />

sind die KlientInnen mit der Unterstützung<br />

durch KISS zufrieden (s. Abb. 16).<br />

- Die Bewertung der KISS-Sitzungen durch die<br />

beiden TrainerInnen fällt positiv aus (s. Abb.<br />

17).


4. Schlussfolgerungen<br />

4.1 MitarbeiterInnen niedrigschwelliger <strong>Drogen</strong>hilfeeinrichtungen<br />

können motiviert werden,<br />

MI zu erlernen, „Fenster der Veränderung“<br />

zum MI-Einsatz zu erkennen und entsprechend<br />

zu nutzen.<br />

4.2 Es ist möglich, in niedrigschwelligen Einrichtungen<br />

verhaltenstherapeutische Selbstkontrollprogramme<br />

(wie „KISS“) anzuwenden,<br />

auch wenn Kontext und KlientInnen auf den<br />

ersten Blick ungeeignet für ein solches Angebot<br />

erscheinen.<br />

4.3 Auch <strong>Konsum</strong>entInnen, die der „offenen <strong>Drogen</strong>szene“<br />

zuzurechnen sind, können zur <strong>Konsum</strong>reduktion<br />

motiviert werden.<br />

Literatur:<br />

Körkel, J. & GK Quest (2005). Kontrolle im selbstbestimmten Substanzkonsum (KISS).<br />

Teilnehmerhandbuch und Trainermanual. Heidelberg: GK Quest Akademie.<br />

Miller, W. R. & Rollnick, S. (2002). Motivational interviewing. Preparing people for change<br />

(2nd edition). New York: Guilford (Deutsch: „Motivierende Gesprächsführung“,<br />

Freiburg: Lambertus, 2005).<br />

Schneider, W. (2005). Kritische Bilanz akzeptanzorientierter <strong>Drogen</strong>hilfe. Akzeptanz, 13(1), 17-28.<br />

Stöver, H. (Hrsg.) (1999). Akzeptierende <strong>Drogen</strong>arbeit. Freiburg: Lambertus.<br />

Westermann, H. (2005). <strong>Kontrollierter</strong> „Beikonsum“ bei mehrfach-abhängigen Substituierten:<br />

Ein neuer Anlauf zur Quadratur des Kreises? Vortrag gehalten auf der Tagung „Controlled intake –<br />

harm reduction versus therapy target“ der Suchtakademie Berlin-Brandenburg, 17. September 2005,<br />

Berlin.<br />

Kontaktadresse:<br />

Dieter König, GK Quest Akademie, Maaßstraße 28, 69123 Heidelberg,<br />

Tel.: (0 62 21) 7 39 20 30, Fax: (0 62 21) 7 39 20 40, e-mail: info@gk-quest.de, web: www.gk-quest.de<br />

4<br />

4.4 Die Ergebnisse dieser Studie ermutigen dazu,<br />

eine Neuausrichtung des Angebotsprofils<br />

niedrigschwelliger <strong>Drogen</strong>hilfe vorzunehmen.<br />

Dieser angestrebte „Paradigmenwechsel“ besagt:<br />

Zum Profil niedrigschwelliger <strong>Drogen</strong>arbeit<br />

sollte neben den gängigen Überlebenshilfemaßnahmen<br />

(wie Spritzentausch, Notschlafmöglichkeiten,<br />

Versorgung mit Lebensmitteln<br />

etc.) auch gehören, den <strong>Konsum</strong> als<br />

solchen zu problematisieren, zur <strong>Konsum</strong>veränderung<br />

zu motivieren und neben Abstinenz<br />

auch Reduktionsprogramme vorzuhalten.

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