WIP Stadtteil-Magazin Nr. 4/2016
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die Türkei als Vollmitglied aufzunehmen, hat<br />
die Türkei zurzeit zu viele Defizite: der Demokratieabbau<br />
seit 2009, die unzureichende<br />
Korruptionsbekämpfung, die desolate Lage<br />
im Hinblick auf die Meinungsfreiheit und den<br />
Minderheitenschutz sowie die Unabhängigkeit<br />
der Gerichte. Erdoğan hat den Staat zwar<br />
aus der militärischen Bevormundung gelöst,<br />
aber das Militär nicht der Kontrolle des Parlaments<br />
überführt. Seit dem gescheiterten Militärputsch<br />
am 15. Juli <strong>2016</strong> wird das Land durch<br />
Sonderdekrete regiert. Die Maßnahmen gegen<br />
jene türkischen Bürger, die an dem vereitelten<br />
Putsch beteiligt gewesen sein sollen, gehen mit<br />
rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht konform,<br />
sie ähneln einer Hexenjagd. Es wäre allerdings<br />
nicht zielführend, die Beitrittsverhandlungen<br />
jetzt auszusetzen, denn dann hätten die EU<br />
und Deutschland noch weniger Möglichkeiten,<br />
auf die Türkei im Sinne von Demokratie, Menschenrechten<br />
und Rechtsstaatlichkeit einzuwirken<br />
– es sei denn, die Türkei würde tatsächlich<br />
die Todesstrafe wieder einführen.<br />
<strong>WIP</strong>: Kann Erdoğan das Kurdenproblem<br />
noch lösen?<br />
Dr. Aydın: Erdoğan hat in der Kurdenfrage<br />
offensichtlich keinen Plan. Allerdings wurden<br />
die Verhandlungen mit der PKK schon vor der<br />
Wahl ausgesetzt. Der Fehler der AKP und Erdoğans<br />
war, nur auf informelle Gespräche mit<br />
der PKK zu setzen, statt gleichzeitig die Rechte<br />
der Kurden auszubauen, die kurdische Zivilgesellschaft<br />
zu berücksichtigen und andere kurdische<br />
Akteure einzubinden. Die PKK wiederum<br />
hat sich überschätzt bei ihrem Versuch, durch<br />
Mobilisierung, insbesondere der demokratischen<br />
Öffentlichkeit in Deutschland, innenpolitisch<br />
Druck aufzubauen. Die türkische Regierung<br />
hätte auch durch sicherheitspolitische<br />
Maßnahmen verhindern müssen, dass die PKK<br />
den Verhandlungsprozess dazu nutzte, sich auf<br />
den „Volkskrieg“ vorzubereiten. Fatal war es<br />
auch, die Lösung der Kurdenfrage mit dem Ziel<br />
zu verbinden, die Türkei in ein Präsidialsystem<br />
zu überführen. So eskaliert wieder die Gewalt<br />
zwischen den türkischen Streitkräften und der<br />
46 <strong>WIP</strong> – Wilhelmsburg Important Person