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Zur Ideengeschichte der Herz-Kreislauf-Lehre - Der Merkurstab

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Geschichtliche Einleitung.<br />

Skizze von William Harveys Lebenslauf<br />

Die Gedanken und Gefühle, die zum <strong>Herz</strong>en in den<br />

verschiedenen zurückliegenden Epochen geäußert<br />

wurden, sind so unendlich vielfältig, dass<br />

man sie nicht in einer Betrachtung zusammenstellen<br />

kann. So gibt es aus allen alten Kulturen Berichte über<br />

die Auffassung vom <strong>Herz</strong>en, wie aus China, aus Indien in<br />

den Veden, in den sumerischen Epen, z. B. im Gilgamesch-Epos,<br />

aus dem alt-ägyptischen Kulturraum und<br />

von den Azteken. Hier finden sich überall seelische und<br />

geistige Eigenschaften, mit denen das <strong>Herz</strong> beschrieben<br />

und mit denen es gleich gesetzt wurde (1). Es wurde erlebt<br />

als eine Art seelischer Hort, in dem <strong>der</strong> Mensch sich<br />

selbst und <strong>der</strong> Gottheit begegnete.Wenn die Menschen<br />

im alten China vom <strong>Herz</strong>en sprachen, meinten sie, im<br />

heutigen Sprachgebrauch, Sinn, Gemüt, Gefühl, Gedanken,<br />

Planung und Wissen hätten dort ihren Sitz (2). Aber<br />

nicht nur das für gut Erachtete drückte sich dort aus,<br />

auch Zweifel, Stolz Habsucht, Eifersucht und an<strong>der</strong>e eher<br />

selbstsüchtige Eigenschaften fanden ebenso ihren Sitz<br />

im <strong>Herz</strong>en. Erst in <strong>der</strong> griechischen Kultur wurden <strong>Herz</strong><br />

und Gefäße auch anatomisch genauer beschrieben, so<br />

bei Hippokrates (460–375 v. Chr.), Empedokles (um 495–<br />

435 v. Chr.), Platon (428–349 v. Chr.) und bei Aristoteles<br />

(384–322 v. Chr.). Sitz seelischer Fähigkeiten und Eigenschaften<br />

blieb das <strong>Herz</strong> auch bei diesen Philosophen<br />

noch, bei Aristoteles sogar in seelischem und geistigem<br />

Sinne. Für ihn ist es das zentrale Koordinationsorgan,<br />

„und an ihm hängt ja nach unserer <strong>Lehre</strong> das Leben und<br />

alle Bewegung und Wahrnehmung“ (3), heißt eine <strong>der</strong><br />

knappsten Formulierungen dieser <strong>Herz</strong>lehre.<br />

Galen (129–199) fasste das gesamte medizinische<br />

Wissen <strong>der</strong> Griechen zusammen, das im Wesentlichen<br />

unverän<strong>der</strong>t bis ins siebzehnte Jahrhun<strong>der</strong>t in Europa<br />

angewendet wurde. Dann traten aber durch eine ganz<br />

an<strong>der</strong>e Erkenntnisart und Forschungsweise Verän<strong>der</strong>ungen<br />

auf, die mit den galenischen Anschauungen nicht<br />

mehr vereinbar waren. Einer <strong>der</strong> bekanntesten Forscher,<br />

<strong>der</strong> diese Wende in <strong>der</strong> Medizin einleitete, ist William<br />

Harvey (1578–1657), bekannt als <strong>der</strong> Entdecker des Blutkreislaufs,<br />

<strong>der</strong> mit dieser Entdeckung nicht nur <strong>der</strong> <strong>Herz</strong>-<br />

<strong>Kreislauf</strong>-Physiologie eine ganz neue Richtung gab, son<strong>der</strong>n<br />

auch <strong>der</strong> Physiologie insgesamt. Die galenischen<br />

Auffassungen wurden von da ab Schritt für Schritt durch<br />

die neuen Tatsachen ersetzt. Es waren nicht nur die Tatsachen<br />

ganz neuartig, die Harvey entdeckte, son<strong>der</strong>n<br />

auch die Art wie er forschte (4). Nicht was in den Büchern<br />

stand, wollte er bestätigen, son<strong>der</strong>n Beobachtung und<br />

Experiment waren seine neuen Methoden. Er war fasziniert<br />

durch direkte Beobachtung heraus zu bekommen,<br />

wie <strong>der</strong> Blutfluss im Körper von Tieren, die er sezierte, tatsächlich<br />

ist und bezog die Ergebnisse auch auf den Menschen.<br />

Ihm war aufgefallen, dass sein <strong>Lehre</strong>r, ein bekannter<br />

Anatom in Padua (Fabricius ab Aquapendente, 1537–<br />

1619), die Venenklappen zwar genau beschrieben hatte,<br />

auch mit ihrer Öffnung in Richtung zum <strong>Herz</strong>en, dass<br />

dies aber nicht vereinbar war mit <strong>der</strong> Richtung des Blutflusses<br />

in den Venen, wie er von Galen dargestellt wurde<br />

Kümmell | <strong>Zur</strong> <strong>Ideengeschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Herz</strong>-<strong>Kreislauf</strong>-<strong>Lehre</strong> 5<br />

(5). Dieser Wi<strong>der</strong>spruch war seinem <strong>Lehre</strong>r selbst nicht<br />

aufgefallen. In <strong>der</strong> griechischen Medizin war man <strong>der</strong><br />

Auffassung, dass die aufgenommene Nahrung beim<br />

Durchfluss durch die Leber kontinuierlich in neues Blut<br />

umgewandelt wird und dieses von dort durch die Venen<br />

in die Peripherie zu den Organen und zur Muskulatur zu<br />

<strong>der</strong>en Ernährung fließt. Nur ein kleiner Teil des Blutes<br />

sollte, nach dieser Ansicht, aus <strong>der</strong> Leber ins rechte <strong>Herz</strong><br />

fließen und weiter zu einem Teil in die Lungen zu <strong>der</strong>en<br />

Ernährung und zu einem an<strong>der</strong>en Teil durch Porositäten<br />

des Ventrikelseptums in den linken Ventrikel dringen und<br />

von dort mit pneuma, später spiritus genannt, vermischt<br />

in die Arterien gelangen, um dann ebenfalls die Organe<br />

<strong>der</strong> Peripherie zu versorgen, jetzt aber mit spiritus. Galen<br />

beschrieb, dass das pneuma mit <strong>der</strong> Luft verbunden über<br />

die Lungen in die Pulmonalvenen gelange und von dort<br />

ins linke <strong>Herz</strong>, und dass an<strong>der</strong>erseits anfallen<strong>der</strong> „Ruß“<br />

über dieselben und die Lungen abgeleitet würde. Man<br />

nahm außerdem an, dass im linken <strong>Herz</strong>en ein Feuer<br />

brenne, und dass eine <strong>der</strong> Hauptaufgaben <strong>der</strong> Lungen<br />

darin bestehe, das <strong>Herz</strong> dieses Feuers wegen zu kühlen.<br />

Das offensichtlich Unpassende dieser Anschauung<br />

war für Harvey <strong>der</strong> Fluss des Blutes durch die Venen in<br />

die Peripherie, da <strong>der</strong> Bau <strong>der</strong> Venenklappen eine solche<br />

Flussrichtung nicht erlaubte, und das Durchdringen des<br />

Blutes vom rechten in das linke <strong>Herz</strong> durch Porositäten<br />

des Ventrikelseptums, die nie nachgewiesen wurden.<br />

Dazu kam die Vorstellung, dass das Blut sich aus <strong>der</strong><br />

Nahrung jeweils neu regeneriere, was bedeutete, dass<br />

<strong>der</strong> Blutfluss insgesamt sehr viel behäbiger hätte verlaufen<br />

müssen, als ihn Harvey bei seinen Vivisektionen an<br />

kleinen Tieren fand. Ungleich größer fand er die Durchflussmenge<br />

durchs <strong>Herz</strong> – wenn wir es mit den Volumenmengen<br />

des heute registrierbaren <strong>Herz</strong>minutenvolumens<br />

ausdrücken, also 5–6 Liter in <strong>der</strong> Minute beim<br />

mittelgroßen ruhenden Menschen – als die Flüssigkeitsmenge,<br />

die mit <strong>der</strong> Nahrung aufgenommen wird, in<br />

unserem Beispiel also ca. 2–4 Liter in 24 Stunden, so dass<br />

er daraus schloss, dass die Nahrungsflüssigkeit die<br />

Menge des Blutes, die in so kurzer Zeit durch das <strong>Herz</strong><br />

und die Gefäße fließt, gar nicht liefern könne. Er experimentierte<br />

auch in <strong>der</strong> Weise, dass er Venen vor dem<br />

Eintritt ins <strong>Herz</strong> abklemmte und einen Aufstau vor <strong>der</strong><br />

Abklemmung beobachtete. Auch an den aufgestauten<br />

Armvenen konnte er durch Ausstreichen zeigen,<br />

dass die Füllung von <strong>der</strong> Peripherie her erfolgte, und<br />

dass beim A<strong>der</strong>lass das Blut von <strong>der</strong> Peripherie<br />

herausfloss.<br />

Um zu zeigen, in welches Umfeld seine Entdeckung<br />

fiel, sind einige Lebensdaten Harveys hilfreich. Geboren<br />

1578 in Folkstone, also direkt am Kanal, erlebte er zehnjährig<br />

den englischen Sieg über die spanische Armada<br />

mit. Er durfte ab dem 15. Lebensjahr in Cambridge studieren,<br />

wo er mit dem medizinischen Examen abschloss.<br />

Mit 20 Jahren konnte er in Padua/Italien seine medizinischen<br />

Kenntnisse vertiefen und war gerade zu <strong>der</strong> Zeit<br />

dort, als sein <strong>Lehre</strong>r die Arbeit über den Bau <strong>der</strong> Venenklappen<br />

veröffentlichte. Harvey lernte hier die Philosophie<br />

und Naturkunde des Aristoteles kennen, die er so-

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