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Zur Ideengeschichte der Herz-Kreislauf-Lehre - Der Merkurstab

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zen erhält, son<strong>der</strong>n in den Lungen, er registrierte auch<br />

keine beson<strong>der</strong>e Erwärmung des Blutes im <strong>Herz</strong>en, er<br />

beschrieb, dass die Muskulatur sich in <strong>der</strong> Systole kontrahiert,<br />

was man spüren kann, wenn man den Finger in die<br />

eröffnete <strong>Herz</strong>spitze einführt. (Systole ist aktiv, Diastole<br />

passiv). Das alles ließ ihn schreiben: „Nicht das Blut bewegt<br />

das <strong>Herz</strong>, son<strong>der</strong>n das <strong>Herz</strong> bewegt das Blut.“<br />

Wobei er noch keine klaren Vorstellungen hatte, wie das<br />

<strong>Herz</strong> das bewirkt. Von <strong>der</strong> physiologischen Theorie her<br />

versuchte er, den kartesianischen Ansatz über Gehirn<br />

und Nervenaktivität zu benutzen. Er hatte den Vagus<br />

unterbunden und einen <strong>Herz</strong>stillstand herbeigeführt.<br />

So hängt für ihn die Bewegung des Blutes und des <strong>Herz</strong>ens<br />

ganz vom Gehirn ab (analog <strong>der</strong> Nerven-Muskel–<br />

tätigkeit). „Das Gehirn herrscht über alle Teile des unteren<br />

Körpers, wie ein König über seine Untertanen“, (zit.<br />

nach 10). So kurz nach Harvey trat schon ein völlig an<strong>der</strong>es<br />

Konzept <strong>der</strong> noch neuen Entdeckung auf mit rein<br />

cartesianischen Theorieelementen, aber mit klaren physiologischen<br />

Fakten. Das <strong>Herz</strong> hatte dabei viel verloren:<br />

die eingeborene Wärme, so bedurfte es keiner Kühlung<br />

mehr, die spezielle Wechselwirkung zwischen Blut und<br />

<strong>Herz</strong>, seine regenerierende Wirkung (in <strong>der</strong> Lunge wird<br />

das Blut gerötet, nicht mehr im <strong>Herz</strong>en), seine zentrale<br />

Stellung und das Primat, Sitz <strong>der</strong> Seele zu sein, was ja<br />

schon Harvey selbst und an<strong>der</strong>s auch Descartes geän<strong>der</strong>t<br />

hatten.<br />

Von da ab wurde das <strong>Herz</strong> als eine Blut auswerfende<br />

Pumpe aufgefasst, die sich in <strong>der</strong> Diastole füllt und in <strong>der</strong><br />

Systole entleert (5). Und es gewann im mechanistischen<br />

Modell erneut eine zentrale Stellung, nur mit neuen<br />

Eigenschaften.<br />

John Mayow (1641–1679), auch Schüler von Willis,<br />

nahm mit seiner Annahme des „Luftsalpeters“ den einhun<strong>der</strong>t<br />

Jahre später entdeckten Sauerstoff vorweg und<br />

ersetzte die spiritus vitales durch einen Verbrennungsprozess.<br />

Die spiritus animales blieben für die Nervenfunktion<br />

noch erhalten.<br />

Sylvius’ Schüler Craanen (1620–1690) und Bontekoe<br />

(1647–1685), beide aus Leyden, setzten die mechanistische<br />

Betrachtungsweise fort, so dass sie die <strong>Herz</strong>funktionen<br />

wie das Zahnrad-Getriebe einer Uhr ansahen. Das<br />

<strong>Herz</strong> stößt das Blut aus und treibt es ins Gehirn, so dass<br />

<strong>der</strong> Nervensaft dort ausgetrieben wird, <strong>der</strong> den <strong>Herz</strong>muskel<br />

zu neuer Kontraktion stimuliert. Das <strong>Herz</strong> lebte<br />

inzwischen ganz von des Gehirns Gnaden. (Heute sehen<br />

wir, dass das <strong>Herz</strong> gerade nicht vom Gehirn, bzw. Hirnstamm<br />

abhängig ist, wie z. B. die Atmung).<br />

Giovanni Borelli (1608–1679) benutzte mathematisch-physikalische<br />

Gedankengänge, um die cartesianischen<br />

Konstruktionen zu erhärten. Er blieb bei theoretischen<br />

Überlegungen, führte keine Experimente durch. Er<br />

erklärte die <strong>Herz</strong>funktion i. S. eines Automaten, gab sich<br />

aber nicht zufrieden, da sich auch verschiedene seelische<br />

Zustände auf die <strong>Herz</strong>funktion auswirken sollten, die er<br />

über die <strong>Herz</strong>nerven in die <strong>Herz</strong>funktion einfließen ließ.<br />

Erst Stephen Hales (1677–1761) berechnete sehr exakt<br />

aufgrund von gründlichen Experimenten Blutdruck,<br />

Schlagvolumina und Gefäßwi<strong>der</strong>stände. Das <strong>Herz</strong> kann<br />

Kümmell | <strong>Zur</strong> <strong>Ideengeschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>Herz</strong>-<strong>Kreislauf</strong>-<strong>Lehre</strong> 9<br />

als eine hydraulische Maschine betrachtet, und die daraus<br />

folgende Blutbewegung mit physikalischen Methoden<br />

berechnet werden, so schloss er.<br />

Marcello Malpighi (1628–1694) entdeckte 1661 den<br />

Kapillarkreislauf, 1665 die roten Blutkörperchen und er<br />

gilt als Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> mikroskopischen Anatomie.<br />

Bei Johannes Bohn (1640– 1718, Leipzig) traten dualistisch-cartesianische<br />

und vitalistisch-harveysche Ansichten<br />

gemischt auf. Einerseits sah er das <strong>Herz</strong> als eine<br />

Maschine an, vergleichbar einer Kolbenpumpe, <strong>der</strong>en<br />

einzige Funktion Bewegung ist. An<strong>der</strong>erseits gestand er<br />

dem <strong>Herz</strong>en die Fähigkeit zu, eine Art von unbewusster<br />

Wahrnehmung und Reizbarkeit zu haben, wie jede<br />

lebendige Faser, durch die sie zur Kontraktion, bzw.<br />

Bewegung stimuliert wird, eine durchaus vitalistische<br />

Anschauung. Beide konträren Anschauungen zu einer<br />

übergeordneten Sicht zu vereinen, dazu lieferte die<br />

cartesianische Theorie nicht die nötigen Begriffe.<br />

Nach <strong>der</strong> Entfaltung des iatrophysikalischen und<br />

iatrochemischen Aspektes, <strong>der</strong> ins Extrem getrieben keine<br />

befriedigende Erklärung <strong>der</strong> <strong>Herz</strong>funktion und <strong>der</strong><br />

Blutaktivitäten ergeben hatte, kamen wie<strong>der</strong> vitalistische<br />

Betrachtungsweisen auf. Die physikalische hatte<br />

mit den messbaren Parametern von Druck und Volumen<br />

jedoch eine strengere und stabilere Ordnung in den<br />

Funktionsablauf des <strong>Herz</strong>ens gebracht, was auch schon<br />

dem harveyschen Vorgehen entsprach: die Quantifizierung<br />

<strong>der</strong> Auswurfmenge des <strong>Herz</strong>ens hatte mit dazu<br />

beigetragen, die Idee des <strong>Kreislauf</strong>s überhaupt zu entwickeln.<br />

Offen geblieben waren die schwer quantifizierbaren<br />

Funktionen des vitalistischen Aspektes. Die Vitalisten<br />

favorisierten das Reiz-Reaktions-Modell <strong>der</strong> Gewebe<br />

und die Eigenständigkeit <strong>der</strong> Blutströmung.<br />

Hermann Conring (1605–1681), einer <strong>der</strong> ersten Anhänger<br />

Harveys in Deutschland, hielt die reine Druckentwicklung<br />

des <strong>Herz</strong>ens für unzureichend, um die gesamte<br />

Blutbewegung zu erklären, zumal sich bei arteriellen<br />

Ligaturen das entsprechende Venenblut dennoch herzwärts<br />

bewegte – und dies selbst nach <strong>der</strong> Excision des<br />

<strong>Herz</strong>ens (10). Er erklärte das mit <strong>der</strong> Bewegung des Blutes<br />

von kälteren zu wärmern Orten, von <strong>der</strong> Peripherie<br />

zum Zentrum, was Harvey in <strong>der</strong> zentripetalen Tendenz<br />

des Blutes auch schon postuliert hatte.<br />

Thomas Bartholinus (1616–1680), dänischer Anatom,<br />

sagte noch deutlicher, dass das anschwellende<br />

Blut im <strong>Herz</strong>en dieses reizt und zur Kontraktion bringt.<br />

„So wird das <strong>Herz</strong> fortwährend vom Blut bewegt, wie<br />

ein Mühlrad, das durch den ständigen Anprall des<br />

Wassers angetrieben wird, ohne ihn jedoch stehen<br />

bleibt. Aber das <strong>Herz</strong> hat auch eine facultas pulsifica,<br />

also eine autonome rhythmische Funktion, damit es<br />

den Blutausfluss und -zufluss regeln kann, ohne sie<br />

wäre <strong>der</strong> Puls total unregelmäßig.“ Wie Harvey hielt<br />

Bartholinus die <strong>Herz</strong>aktion für eine autonome eigene<br />

Leistung, nicht für eine zentral (cerebral) gesteuerte<br />

Wechselbeziehung.<br />

Selbst in England gab es vitalistische Anschauungen,<br />

sogar von dem Hauptvertreter des Atomismus und<br />

Mechanizismus, Walter Charleton, <strong>der</strong> 1659 schrieb:

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