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GriechenlandSpecial2016_de

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ERINNERUNGSARBEIT<br />

So kommt es auch kaum zu horizontaler Vernetzung, z.B. an <strong>de</strong>r für<br />

die Erinnerungsarbeit wichtigen Schnittstelle von Bildungsarbeit, historischer<br />

Forschung, Opferverbän<strong>de</strong>n und Politik. Panos Poulos fand<br />

dafür ein konkretes Beispiel: „Dass eine solche Konferenz eines Ministeriums<br />

mit so unterschiedlichen Akteuren just in einer Ge<strong>de</strong>nkstätte<br />

mit ihrem Bildungs- und Gästehaus stattfin<strong>de</strong>n konnte, sei für griechische<br />

Partner wohl etwas ganz Neues.<br />

Dabei gibt es in <strong>de</strong>r traditionell lebendigen Vereinskultur lokaler Kultur-<br />

und Folkloreassoziationen durchaus ein Potenzial an Engagement<br />

und Kontakten. Zu erfolgreicher Projektarbeit kommt es zumeist dort,<br />

wo auf kommunaler Ebene eine Kooperation zwischen örtlicher Zivilgesellschaft<br />

und aufgeschlossenen Kommunalverwaltung gelingt, wie<br />

auch die langjährig in Distomo engagierte Sozialarbeiterin Brigitte<br />

Spuller bestätigte. Dann organisieren Tanzverein und Heimatkun<strong>de</strong>museum<br />

zusammen mit <strong>de</strong>m Bürgermeister ein Geschichtsprojekt zu<br />

einem NS-Massaker im eigenen Dorf. Aber auch innergesellschaftlich<br />

breit, zugleich international verankerte Organisationen wie die<br />

Pfadfin<strong>de</strong>r-Bewegung eignen sich als etablierte Träger für Austauschvorhaben,<br />

was Magdalena Stefanska (Wil<strong>de</strong> Rose e.V.) anhand einer<br />

<strong>de</strong>utsch-griechischen Begegnungsstätte auf Kreta veranschaulichen<br />

konnte.<br />

Bürgerschaftliche Eigeninitiative, persönliche Verbindungen und<br />

Ortskenntnis machen fehlen<strong>de</strong> Mittel wett, ja ermöglichen in <strong>de</strong>n<br />

historisch vielfach konfliktbelasteten Märtyrergemein<strong>de</strong>n mitunter<br />

überhaupt erst die Anfänge eines Aussöhnungsprozesses: Vertrauen<br />

in einen aufrichtigen Versuch <strong>de</strong>r Aufarbeitung zu gewinnen, so dass<br />

es dann auch zu Begegnung und Zusammenarbeit kommen kann.<br />

Doch so beachtlich diese ehrenamtliche Pionierarbeit im Einzelnen<br />

auch ist – um dieses Engagement zu verstetigen braucht es eher früher<br />

als später eine Professionalisierung. Zwar können EU-För<strong>de</strong>rtöpfe,<br />

-Bildungsprogramme und -Zertifikate immerhin zum Teil fehlen<strong>de</strong><br />

Strukturen im Land wettmachen. Allerdings sind diese EU-Angebote<br />

meist nur komplementär zu <strong>de</strong>n nationalen Institutionen angelegt.<br />

Letztlich bedarf es in Griechenland mittelfristig entsprechen<strong>de</strong>r<br />

Strukturreformen und erheblich größerer Mittel.<br />

Von Geschichtswerkstätten zu Institutionenlandschaft<br />

Umgekehrt berichteten Dr. Denis Riffel (Gegen Vergessen/Für Demokratie),<br />

Ingolf Sei<strong>de</strong>l (Agentur für Bildung) und Angelika Meyer (Ge<strong>de</strong>nkstätte<br />

Ravensbrück) vom vergleichsweise ausdifferenzierten Bildungssektor<br />

in Deutschland mit zahlreichen Möglichkeiten zur Aus- und<br />

Fortbildung, Beratung und Vernetzung. Gera<strong>de</strong> auch im Erinnerungsfeld<br />

hat in <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten eine enorme Professionalisierung<br />

stattgefun<strong>de</strong>n. Aus <strong>de</strong>n Anfängen lokaler Geschichtswerkstätten und<br />

Erinnerungsinitiativen <strong>de</strong>r 1980er Jahre, die oft gegen erhebliche<br />

Wi<strong>de</strong>rstän<strong>de</strong> anzukämpfen hatten, etablierte sich eine vielfältige Erinnerungslandschaft<br />

mit staatlichen o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st stark öffentlich<br />

mitfinanzierten Ge<strong>de</strong>nk- und Dokumentationsstätten, Stiftungen und<br />

Vereinen, Forschungs- und Fortbildungsstellen. Eine Teilnehmerin pointierte<br />

ironisch, es sei fast schon ein Zuviel und Nebeneinan<strong>de</strong>r an ausdifferenzierter<br />

Professionalisierung und För<strong>de</strong>rung.<br />

Komplementäre Chancen zwischen<br />

Professionalisierung und do it yourself<br />

Zugespitzt lassen sich Bedarf, Voraussetzungen und Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

an <strong>de</strong>utsch-griechische Fachkräfte-Qualifikationen zwischen<br />

Do-it-yourself und Professionalisierung, Unterfinanzierung und<br />

För<strong>de</strong>r-Dschungel, zivilgesellschaftlicher Unabhängigkeit und Etatisierung<br />

verorten. So unterschiedlich also die Ausgangslage in bei<strong>de</strong>n<br />

Län<strong>de</strong>rn ist – umgekehrt erwächst just aus dieser strukturellen<br />

Asymmetrie ein komplementäres Potential für <strong>de</strong>n bilateralen Austausch;<br />

gera<strong>de</strong> auch in gemeinsamen Qualifikationsprogrammen für<br />

entsprechen<strong>de</strong> Fachkräfte. So gelang im <strong>de</strong>utsch-französischen o<strong>de</strong>r<br />

auch –polnischen und -türkischen Verhältnis die bilaterale Zusammenarbeit<br />

nicht zuletzt in einem durchaus verbin<strong>de</strong>nd-dynamischen<br />

Spannungsverhältnis <strong>de</strong>r gemeinsamen Geschichte von Zweitem<br />

Weltkrieg, NS-Besatzung aber auch wirtschaftlicher Verflechtung,<br />

Migration und Europäischer Einigung. Bilateralen Jugendwerke und<br />

Austauschprogramme wie <strong>de</strong>r DAAD können als Best-Practice-Beispiele<br />

für <strong>de</strong>utsch-griechische Projekte dienen, gera<strong>de</strong> auch mit Blick<br />

auf erfolgreich überbrückten Unterschie<strong>de</strong> dieser in vielerlei Hinsicht<br />

ungleichen Län<strong>de</strong>rpaare, betonte Christiane Reinholz-Asolli (IJAB).<br />

Bilaterale Voraussetzungen und Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

Freilich müssen solche Programme dieser Vielfältigkeit gerecht wer<strong>de</strong>n.<br />

Für Träger und Trainer von Fortbildungen gilt es, interkulturell sensibel<br />

mit historischen Konfliktlagen aber auch sozio-professionellen Unterschie<strong>de</strong>n<br />

umzugehen. Aufgrund <strong>de</strong>s stark variieren<strong>de</strong>n Entwicklungsstan<strong>de</strong>s<br />

müssen die Programme thematisch möglichst breit und niedrigschwellig<br />

angelegt wer<strong>de</strong>n – fachliche, methodische Fragen wie auch<br />

Fundraising und Öffentlichkeitsarbeit ab<strong>de</strong>cken. Eine möglichst flexible<br />

Modularisierung und lebendig-aktivieren<strong>de</strong> Formen <strong>de</strong>s informellen<br />

und mo<strong>de</strong>llhaften Lernens bieten sich hierfür an. Neben Programmphasen<br />

<strong>de</strong>s bilateralen Austauschs braucht es auch getrennte Einheiten, in<br />

<strong>de</strong>nen die Län<strong>de</strong>rgruppen in <strong>de</strong>r Muttersprache eigene Erfahrung und<br />

neue Begegnung offen reflektieren und für sich annehmen können.<br />

Damit Qualifikationsmaßnahmen von Teilnehmern tatsächlich angenommen<br />

und nachhaltig wirksam wer<strong>de</strong>n, sollte möglichst praxisnah<br />

fortgebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m man konkrete Projekte und sozioökonomische<br />

Kontexte einbezieht: Interdisziplinär offen für Ehrenamtliche,<br />

Seiten- und Quereinsteiger, bedarfsorientiert für kleine Ge<strong>de</strong>nkinitiativen<br />

aber auch <strong>de</strong>n Sport- o<strong>de</strong>r Folkloreverein. Möglichst direkte<br />

Partnerkooperationen z.B. zwischen Universitäten, Betrieben, Kirchen<br />

o<strong>de</strong>r Kommunalverwaltungen. Sozioökonomisch sinnvoll durch professionelle<br />

Schlüsselqualifikationen und zertifizierte Abschlüsse für<br />

die Teilnehmen<strong>de</strong>n bzw. einem konkreten Nutzen <strong>de</strong>r angeschobenen<br />

Projekte vor Ort, z.B. durch die Verbindung von Erinnerungsarbeit und<br />

Tourismus o<strong>de</strong>r Sozial- und Bildungsprojekten.<br />

Matteo Schürenberg ist Mitglied im Vorstand von Aktion Sühnezeichen Frie<strong>de</strong>nsdienste. Er<br />

studierte Politikwissenschaften mit einem Schwerpunkt auf erinnerungspolitische Fragen<br />

in Freiburg und Berlin. Heute arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter für einen Bun<strong>de</strong>stagsabgeordneten<br />

und lebt pen<strong>de</strong>lnd in Berlin und Schleswig-Holstein.<br />

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