"50 Jahre Banker" (1710 kB) - Naspa
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FINANZGRUPPE<br />
NASPA – INTERVIEW<br />
<strong>50</strong> <strong>Jahre</strong><br />
Banker<br />
Als Jürgen Bockholt (Foto) 1962 seine<br />
Lehre begann, hatten die Banken den<br />
Privatkunden gerade erst für sich entdeckt.<br />
Bei der Nassauischen Sparkasse kam Bockholt<br />
2007 in den Vorstand. Ein Gespräch über<br />
Veränderungen und Konstanten.<br />
SPARKASSE: Herr Bockholt, Sie haben sich<br />
nach Ihrer Banklehre bis zum Vorstandsmitglied<br />
hochgearbeitet. Was hat sich in Ihrem<br />
Beruf in den fünf Jahrzehnten am meisten<br />
verändert?<br />
Jürgen Bockholt: Es hat sich eigentlich<br />
alles verändert: die Produkte, die Heran-<br />
gehensweise, die Technik, die politi-<br />
schen und rechtlichen Rahmenbedingungen,<br />
die Anforderungen der Kunden,<br />
die Wettbewerbssituation und so weiter.<br />
Wir haben beispielsweise von 1959 bis<br />
1969 fast <strong>50</strong>0, also eine riesige Zahl von<br />
Geschäftsstellen aufgebaut und Heerscharen<br />
von Auszubildenden eingestellt.<br />
Heute erleben wir die konträre Entwicklung<br />
in der Branche, den Rückbau der<br />
Standorte. Oder denken Sie nur an die<br />
Technik. Wir haben noch mit Lochkarten<br />
gearbeitet und in den Zweigstellen hat<br />
man mit Buchungsautomaten selber gebucht<br />
– auch hier eine wahnsinnige Entwicklung.<br />
Was kennzeichnet das Bankgeschäft von<br />
damals?<br />
Bockholt: Wesentlich für das damalige<br />
Bankgeschäft war, dass es im Zinsbereich<br />
keinen Wettbewerb um die Soll- und Habenzinsen<br />
gab. Man durfte Zinshöhen<br />
absprechen. Das wurde 1967 abgeschafft.<br />
Aber dann war noch lange die Formel<br />
„Diskontsatz plus 4 ½ Prozent“ die Standard-Kreditkondition.<br />
Hier gibt es heute<br />
einen sehr differenzierten Wettbewerb.<br />
Immer weniger Menschen müssen heute<br />
komplexere Anforderungen bewältigen.<br />
Die komplexeren Produkte, die höheren<br />
Anforderungen haben auch die Ausbildung<br />
revolutioniert. Früher haben wir<br />
unsere Kunden mit Bargeld versorgt –<br />
das gibt es jetzt auch in Supermärkten<br />
– wir bieten heute Beratungsleistungen.<br />
Beratungskompetenz ist der wesentliche<br />
Baustein, um als Bank oder Sparkasse erfolgreich<br />
zu sein.<br />
Wie sah es 1962, zu Beginn Ihrer Lehrzeit, in<br />
der Schalterhalle aus?<br />
Bockholt: Es gab einen Wertpapierschalter,<br />
einen Sparschalter und einen<br />
Giroschalter. Es wurde also ein Kunde für<br />
ein Produkt gesucht. Das ist heute völlig<br />
anders. Jetzt haben wir das Sparkassen-<br />
Finanzkonzept zur Bedarfsermittlung<br />
und die Produkte werden nur noch als<br />
Problemlöser eingefügt. Wir suchen gemeinsam<br />
mit dem Kunden nach Finanzlösungen,<br />
die in die jeweilige Lebenssituation<br />
am besten passen.<br />
Ist das Bankgeschäft einfacher oder komplizierter<br />
geworden?<br />
Bockholt: Vieles war früher noch in den<br />
Anfängen und unkomplizierter, etwa das<br />
Wertpapiergeschäft. Da wurde einfach<br />
die Kundenorder entgegengenommen.<br />
Heute gibt es MiFid I, MiFid II, den WpHG-<br />
Bogen und das Beratungsprotokoll. Die<br />
Absicht, den Kunden aufzuklären, ist zwar<br />
gut, das begrüße ich. Aber das führt in der<br />
Kostenstruktur dazu, dass das ursprüngliche<br />
Ziel, die Kunden an Wertpapiere<br />
heranzuführen, konterkariert wird, weil<br />
sich das betriebswirtschaftlich in kleinen<br />
Abschnitten nicht mehr darstellen lässt.<br />
Einfache Produkte haben sich bis heute<br />
zu sehr komplexen Produktkonstrukten<br />
entwickelt, zu Derivaten mit Strukturen,<br />
die teilweise in der Zusammensetzung<br />
leider eben nicht mehr für jeden nachzuvollziehen<br />
sind.<br />
S P A R K A S S E A P R I L 2 0 1 2<br />
Wie hat sich die Gesetzeslage geändert?<br />
Einfache gesetzliche Regelungen zur<br />
Steuerung des Geschäfts sind ebenfalls<br />
passé. Heute erfahren wir hoch komplexe<br />
Regulierungen, die teilweise widersprüchlich<br />
sind. Ich mache es an einem<br />
Beispiel fest, dem Zinsschock. Der ist auf<br />
200 Basispunkte ausgelegt. Das heißt, das<br />
gesamte Zinsvermögen einer Bank wird<br />
barwertig hochgerechnet und dann unter<br />
den Zinsschock gestellt. Das ist eine<br />
dynamische Größe. Dagegen wird das statische<br />
Eigenkapital gestellt. Je niedriger<br />
der Zins ist, desto höher ist barwertig der<br />
ökonomische Wert des Zinsvermögens.<br />
Wenn das Eigenkapital nicht mitwächst,<br />
erhalten sie ein Ungleichgewicht, was uns<br />
teilweise große Probleme macht. Darüber<br />
hat wohl keiner nachgedacht. Wir sind<br />
durchreguliert, meiner Meinung nach<br />
überreguliert. Manches ist gut, manches<br />
aber auch nicht nachvollziehbar.<br />
Wie wurden die Produkte früher entwickelt?<br />
Bockholt: Der Privatkunde wurde eigentlich<br />
erst Ende der <strong>50</strong>er-<strong>Jahre</strong> ent-<br />
Zur Person<br />
Jürgen Bockholt, 1945 in Hamburg geboren,<br />
war 34 <strong>Jahre</strong> bei der Commerzbank tätig, zuletzt<br />
als Direktor und Mitglied der Geschäftsleitung<br />
in der Gebietsfiliale Frankfurt. Es<br />
folgten elf <strong>Jahre</strong> bei der BWBank in Stuttgart<br />
als Vorstandsmitglied. Im August 2007 kam<br />
der Vertriebsprofi zur <strong>Naspa</strong>, um innovative<br />
Ansätze im Filialgeschäft umzusetzen. Im<br />
Mai 2012 geht Bockholt mit 67 <strong>Jahre</strong>n in den<br />
Ruhestand.<br />
FOTO: NASPA
deckt. Die Bankprodukte haben sich am<br />
Anfang am Grundbedarf orientiert. Da<br />
die Lohntüte nach dem Kneipenbesuch<br />
– der üblicherweise zwischen der Barauszahlung<br />
und der Ankunft zu Hause lag<br />
(lacht) – fast leer war, wurde beispielsweise<br />
klar: Man brauchte ein Konto. Neue<br />
Sparformen und das Investmentsparen<br />
kamen hinzu. Und dann kam ein Produkt<br />
nach dem anderen: der Konsumentenkredit<br />
in kleinen Größenordnungen,<br />
der Scheck, die vermögenswirksamen<br />
Leistungen, die Volksaktie und so weiter.<br />
Man hatte den Kleinanleger, den Privatmann<br />
so langsam im Fokus und ermög-<br />
lichte es ihm, an der volkswirtschaftli-<br />
chen Entwicklung teilzuhaben.<br />
Wie haben Sie in den letzten <strong>Jahre</strong>n die Fehlentwicklungen<br />
in der Branche erlebt?<br />
Bockholt: Fehlentwicklungen und Probleme<br />
gab es auch zu früheren Zeiten.<br />
Denken Sie nur an das sogenannte Münemann-Prinzip<br />
und die Herstatt-Pleite. Es<br />
kam immer mal wieder vor, dass goldene<br />
Bankenregeln verletzt wurden. In den<br />
letzten <strong>Jahre</strong>n haben wir im Investment-<br />
Banking Fehlentwicklungen erfahren.<br />
Die haben zu den veränderten Anforderungen<br />
geführt, die leider nicht mehr<br />
ausreichend zwischen den unterschiedlichen<br />
Institutsgruppen differenzieren.<br />
Dass eine Sparkasse oder eine Volksbank,<br />
die beide kein klassisches Investment-<br />
Banking betreiben, jetzt unter die gleichen<br />
Regelungen fallen wie beispielsweise<br />
eine Deutsche Bank, passt nicht mehr<br />
zusammen.<br />
In zwei der drei Säulen des deutschen Bankensystems<br />
waren Sie viele <strong>Jahre</strong> überwiegend<br />
im Privatkundengeschäft engagiert.<br />
Haben Sie Unterschiede zwischen den Säulen<br />
gespürt?<br />
Bockholt: In der Frage der Kundenbegleitung,<br />
in der Professionalität oder in<br />
der Ausbildung sehe ich keine Unterschiede.<br />
Es gibt sie aber, das ist ja ganz<br />
klar. Die Grundkonzeption einer Sparkasse<br />
ist natürlich völlig anders ausgerichtet<br />
als die einer Privatbank. Unsere Satzung<br />
gibt uns klare Aufträge, wie wir die Bevölkerung<br />
mit Bankdienstleistungen zu versorgen<br />
haben, die wir gerne annehmen.<br />
Das nehmen wir sehr ernst. So stellen wir<br />
selbstverständlich all unseren Kunden<br />
das P-Konto zu einem vertretbaren Preis<br />
zur Verfügung, was nicht alle Institute<br />
machen. Natürlich spielt auch die Eigentümerseite<br />
eine Rolle. Dienst Du einem<br />
Aktionär oder einem politisch ausgerichteten<br />
Träger? Aber trotz unseres Auftrags<br />
müssen wir einen gewissen Ertrag generieren,<br />
um die Eigenkapitalanforderungen<br />
zu erfüllen.<br />
Was hat Sie beruflich besonders geprägt?<br />
Bockholt: Der Wechsel von der Zweigstellenarbeit<br />
hin zu einer zentralen<br />
Funktion bei der Commerzbank hat<br />
mich schon geprägt. Ich habe gelernt,<br />
mich durchzusetzen und fand es spannend,<br />
strategisch denken und arbeiten,<br />
Visionen entwickeln und umsetzen zu<br />
können. In der Phase gab es die interessantesten<br />
Felder zu bearbeiten. Die Wiedervereinigung<br />
– Aufbau Ost – fiel da<br />
hinein, die Entwicklung von neuen Produkten<br />
und die stärkere Beschäftigung<br />
mit differenzierten Kundengruppen.<br />
Dann kamen neue technische Entwicklungen.<br />
Wir haben das Telefon-Banking<br />
eingeführt und alle technischen Möglichkeiten<br />
genutzt. Das Internet habe ich zugegebener<br />
Maßen zunächst unterschätzt.<br />
Schließlich haben wir Direktbanken aufgebaut.<br />
All diese Themen haben mich<br />
geprägt. Damit war ich fürs Filialgeschäft<br />
verdorben und wollte dann selbst Vorstand<br />
sein (lacht).<br />
Sie haben in den vergangenen <strong>Jahre</strong>n das<br />
Kundengeschäft der <strong>Naspa</strong> weiter vorangebracht.<br />
Welches Ziel steckt dahinter?<br />
Bockholt: Wir haben uns auf den Weg<br />
zu einer Vertriebssparkasse gemacht<br />
und uns eine neue Gesamtausrichtung<br />
gegeben, die unterschiedliche Kundengruppen<br />
aus ihrer Bedarfssituation be-<br />
schrieben hat. Für jede einzelne Kundengruppe<br />
haben wir Konzepte auf Basis<br />
des S-Finanzkonzept entworfen. Dabei<br />
haben wir die Flächenpräsenz nicht<br />
aufgegeben. So haben wir immer konzentrierter<br />
Beratergruppen entwickelt<br />
und zugeordnet. Die Königsdisziplin<br />
ist sicher wegen der Breite der Anforderungen<br />
das Private Banking. Wir haben<br />
dann nicht nur Hochglanzbroschüren<br />
geschrieben, sondern die Inhalte durch<br />
die Weiterentwicklung der Mitarbeiter<br />
für den Kunden auch erlebbar werden<br />
lassen. Das war das Ziel.<br />
Wir haben unsere Private Banker in<br />
Kooperation mit der Frankfurt School of<br />
Finance and Management zu Financial<br />
Consultants ausbilden lassen und unser<br />
Geschäft durch die Verbesserung der<br />
Beratungsqualität abgesichert. Also den<br />
Gesamtauftritt gegenüber Privat-, Firmen-<br />
und Geschäftskunden haben wir<br />
hoch professionalisiert, verbessert und<br />
das über Fortbildungsbausteine bei den<br />
Mitarbeitern untermauert.<br />
PERSPEKTIVEN<br />
„Dass eine Sparkasse oder Volksbank,<br />
die beide kein klassisches Investment-<br />
Banking betreiben, jetzt unter die gleichen<br />
Regelungen fallen wie etwa eine Deutsche<br />
Bank, passt nicht mehr zusammen.“<br />
<strong>Naspa</strong>-Vorstand Jürgen Bockholt<br />
Wie lautet Ihr Erfolgsgeheimnis in der vertriebsorientierten<br />
Vorstandsarbeit?<br />
Bockholt: Für mich ist eines klar: Vertrauen<br />
und Glaubwürdigkeit sind die beiden<br />
Hauptparameter für unser Geschäft,<br />
davon leben wir. Um erfolgreich zu sein,<br />
müssen Sie meiner Meinung nach die<br />
Menschen in den Mittelpunkt der Bemühungen<br />
stellen, Mitarbeiter, Kunden jederzeit<br />
ernst nehmen. Ich habe mich immer<br />
für die Menschen interessiert. Selbst<br />
wenn ich viele Mitarbeiter hatte, kannte<br />
ich oft von jedem die Lebensgeschichte.<br />
Das war ein Vertrauensverhältnis. Und<br />
Sie müssen visionär und auf die Zukunft<br />
ausgerichtet sein. Und vor allem müssen<br />
Sie Mitarbeiter in die Lage versetzen, das<br />
geschäftspolitisch Gewollte auch zu leben<br />
und beim Kunden einzulösen. Andere<br />
Erfolgsrezepte gibt es nicht.<br />
Das Interview führte Wolfgang Eck.<br />
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