Gesa Kolb Über Leichtigkeit und Schwermut Ich habe begonnen mich heimisch zu fühlen in diesen alten Gemäuern. In denen der Putz schon von den Mauern fällt wie Ascheregen und in der sich unendliche Hände mit Schmutz, Öl und Edding in den hintersten Ecken und auf dem Stuck der Wände verewigt haben. Wie mögen die Nonnen und die Adligen durch diese Räume geschritten sein, was für Tänze wurden auf diesen Böden getanzt, die jetzt bedeckt sind mit einer Schicht aus Farbe, violetter Pastellkreide und Schmutz. Manches Mal knacken die Heizungsrohre als würden Geister über die Dielen poltern oder es sind die Mäuse, die sich an unseren Essensresten in der Küche satt fressen. Es stapeln sich die Vorräte unzähliger Studenten, die Spüle ist bedeckt von schwarzen Punkten aus Kaffeepulver und verdreckten Tellern. „Die Küche ist halt autonom, da kannst du nicht erwarten, dass sich jemand an Regeln hält“, haben sie gesagt und seit dem die Abflussrohre kaputt gegangen sind, ist es unmöglich hier unten auch nur gemütlich eine Zigarette zu rauchen, so sehr stinkt es. Manch einer überlegt schon, sich einen Camping-Kocher oder eine mobile Herdplatte zu besorgen. Wer malt, muss schließlich auch essen und Hasenleim und Lack anrühren und kochen können. In den letzten Monaten hat es begonnen, durch die hohen Fenster zu ziehen und sie schließen das Tor jetzt wie an der Hauptstelle sonntags ab. Ich musste schmunzeln bei dem Gedanken an die Jungs, die es nicht vom sonntäglichen Arbeiten abhalten wird, mit ihren Fahrrädern beladen über die meterhohen Stäbe zu klettern. Sie stellen sich manches Mal, wenn die Toiletten wieder abgeschlossen sind und sie zu faul sind, durchs Fenster in den Garten zu klettern, in ihre hohen Fensterrahmen, öffnen eine der Türen und halten ihre Schwänze in die kalte Luft, ohne darauf zu achten ob ihre Pisse an der Hauswand hinabläuft oder auf den halb gefrorenen Boden tropft. Sie sind so ungezwungen in ihrer jugendlichen, männlichen Leichtigkeit, kiffen sich die Nächte voller Sterne und sphärischer Musik, wie es nur Männer Anfang zwanzig können, leben hedonistisch in den Tag hinein ohne irgendeine Konsequenz. Sie sind. 28 N. beschreibt das Einatmen des Rauches wie das kalte Prickeln von Fischerman‘s Friends im Hals, nur weiter unten in der Lunge und vielleicht auch ein wenig wärmer. Wir liegen auf dem Boden, ich kann nicht genau sagen, ob wir gerade die Stuckdecke betrachten oder den freien Himmel über uns, das Zirpen der Zikaden unter uns und die ISS in ihrem Orbit schwebend. Ich bin verliebt in diese Leichtigkeit; der Schalk im Nacken von F.; N.‘s flinke, verdrehte Wendigkeit in M.‘s Stuhl, als sie ihn fotografiert. Manches Mal kann ich mich zwischen ihnen nicht entscheiden. Sie sind so schön auf ihre komplementäre Art. Der große dunkle F. mit den Samurai-Locken und dem Geist, der so voll ist von dunklen, tiefen Seen und der schmale N. mit seinem sympathischen Akzent und dem schnellen, bunten Verstand, immer ein Grinch-Grinsen auf den Lippen. Sie sind wohl das absolute Gegenteil zu meiner unsicheren-sicheren Welt, mit der von außen behüteten Ordnung. Bei Ihnen herrscht kreatives Chaos, im Inneren wie im Äußeren. Wenn man so will, haben sie ihre Spuren dadurch schon hinterlassen. Der violette Staub aus Pastell, die Runen an den Wänden. Sie beschädigen und fügen doch etwas hinzu: die Lebendigkeit in diesem toten Gemäuer. Die Nonnen in ihren weißen Hauben mögen hier ihre Gebete gesprochen und mit ihren Knien die Böden glatt geschmirgelt haben. Doch was bleibt von ihnen übrig außer der wagen Erzählung einer alten Frau. Selbst vom Bauherr des Schlosses bleibt eben nur noch der Stuck an der Decke bestehen. Aus seinen Ländereien ist nun ein stupider Golfplatz für neureiche Manager geworden. Sein erhabener Wald zum Flanieren und Jagen gedacht, wird zum schweißtreibenden Fitnesspart für Jogger und Walker (aka Zombies mit und ohne Stöcke). Sein Lustschloss, einst mit Leben gefüllt, wird zum leeren Raum. Eine Projektionsfläche für unbekannte Eitelkeiten. Die große Freiheit. Wie fühlt man sich heimisch in leerem Raum? Indem man ihn füllt.
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