10 Mobilisation des adipösen Patienten
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Physiotherapie<br />
wird. Besonders gravierend zeigen sich<br />
die Ausstattungsmängel im Hinblick auf<br />
die Versorgung adipöser <strong>Patienten</strong> in der<br />
Notfallsituation [19].<br />
»<br />
Adipositas<br />
20,8%<br />
Übergewicht<br />
37,4%<br />
Untergewicht<br />
1,4%<br />
Die apparative<br />
Ausstattung muss für die<br />
höhere Gewichtsbelastung<br />
zugelassen sein<br />
In der klinischen Planung müssen für<br />
adipöse <strong>Patienten</strong> längere Operationszeiten<br />
eingeplant und es muss berücksichtigt<br />
werden, dass der operative Zugang<br />
aufgrund der schlechteren Übersicht<br />
problematischer sein können. Außerdem<br />
muss ausreichend Personal zur Versorgung<br />
und Betreuung <strong>des</strong> <strong>Patienten</strong> zur<br />
Verfügung stehen [13, 16, 22].<br />
Die Durchführung der erforderlichen<br />
postoperativen Nachsorge, z. B. bei belastungsstabilen<br />
Frakturen, erweist sich<br />
ebenfalls als problematisch. Gemäß den<br />
ärztlichen Vorgaben, dürfen <strong>Patienten</strong><br />
das operierte Bein mit halbem Körpergewicht<br />
belasten. Ist diese Belastung unabhängig<br />
von BMI und Körpergewicht?<br />
Dürfen <strong>Patienten</strong> mit einem BMI von 73<br />
das Bein trotzdem mit halbem Körpergewicht<br />
belasten? Oder gelten diese<br />
Angaben vielleicht nur für normalgewichtige<br />
<strong>Patienten</strong>? Wie sieht es bei<br />
Beckenfrakturen aus, wenn das Gewicht,<br />
das vertikal auf die Fraktur wirkt, entsprechend<br />
größer ist?<br />
Klinische Rahmenbedingungen<br />
Im klinischen Alltag tritt immer wieder<br />
die Situation auf, dass <strong>Patienten</strong> nur<br />
im Beisein der Physiotherapeuten oder<br />
Normalgewicht<br />
40,4%<br />
Pflegenden aufstehen wollen und manche<br />
es auch nur dann können. Das Personal<br />
gelangt hierbei an Grenzen. Nicht jede<br />
Klinik ist auf die Versorgung adipöser<br />
<strong>Patienten</strong> ausgerichtet. Hier fehlt es<br />
nicht nur an Personal, sondern oft an der<br />
passenden Ausstattung. Es ist unabdingbar,<br />
dass eine Klinik mit Hilfsmitteln<br />
ausgestattet ist, die für die <strong>Mobilisation</strong><br />
adipöser <strong>Patienten</strong> benötigt werden. Auf<br />
den Stationen müssen entsprechende<br />
Rollbretter, Liftsysteme, bariatrische Gehhilfen,<br />
Rollstühle und Rollatoren sowie<br />
entsprechende Waagen für diese Gewichtsklassen<br />
zur Verfügung stehen. Angepasste<br />
Stühle (z. B. Thekla® 3 für 200 kg<br />
und mehr, Hanse Medizintechnik, Ratekau)<br />
sollten zur <strong>Mobilisation</strong> vorhanden<br />
sein [25]. Ein Patient, der das Ziel vor<br />
Augen hat, z. B. in einem Stuhl zu sitzen,<br />
ist stärker motiviert und die <strong>Mobilisation</strong><br />
wird somit leichter ablaufen.<br />
»<br />
Untergewicht<br />
Normalgewicht<br />
Übergewicht<br />
Adipositas<br />
Abb. 1 9 Gewichtsverteilung<br />
der deutschen<br />
Bevölkerung. (Aus [5])<br />
Die <strong>Mobilisation</strong> <strong>des</strong><br />
<strong>Patienten</strong> muss multiprofessionell<br />
vorbereitet werden<br />
Das Personal muss die <strong>Mobilisation</strong> <strong>des</strong><br />
<strong>Patienten</strong> multiprofessionell vorbereiten<br />
und sog. Abbruchkriterien sollten im Vorfeld<br />
festgelegt werden [6]. Das Team weiß<br />
somit, wann unterstützend eingegriffen<br />
oder evtl. abgebrochen werden muss. Der<br />
sichere Umgang mit allen vorhandenen<br />
Geräten und Hilfsmitteln (der eine fachgerechte<br />
Einweisung voraussetzt) gilt als<br />
eine der Grundlagen für eine sichere und<br />
erfolgreiche <strong>Mobilisation</strong>.<br />
Die Spezialbetten für Adipöse sind<br />
mit Funktionen ausgestattet, die die<br />
<strong>Mobilisation</strong> bereits im Bett erheblich<br />
erleichtern. Sofern notwendig und vorhanden<br />
kann ein geeignetes Liftsystem für<br />
den <strong>Patienten</strong>transfer eingesetzt werden.<br />
Ein <strong>Patienten</strong>transport in Spezialbetten<br />
ist im Vorfeld gründlich zu planen. Dabei<br />
fließen Überlegungen zu ausreichenden<br />
Türbreiten, zur Verfügung stehenden<br />
Fahrstühlen und zu ausreichendem<br />
Personal ein. Eine sichere Verlegung eines<br />
<strong>adipösen</strong> <strong>Patienten</strong> erfordert eine gründliche<br />
Organisation und gute Logistik [25].<br />
Zielgerichtete multiprofessionelle<br />
Teamarbeit<br />
Zur <strong>Mobilisation</strong> eines <strong>adipösen</strong> <strong>Patienten</strong><br />
ist zweifelsohne, wie schon mehrfach betont,<br />
ein multiprofessionelles Team erforderlich.<br />
Die verschiedenen Berufsgruppen<br />
und der Patient arbeiten sehr eng<br />
zusammen. Im Klinikalltag ist es daher<br />
wichtig, dass sich das gesamte Team gemeinsame<br />
Ziele in der Versorgung zur<br />
bestmöglichen Förderung und Therapie<br />
der <strong>Patienten</strong> setzt.<br />
Psychische Ebene<br />
Zur Erreichung der anvisierten Ziele ist<br />
die psychische Ebene <strong>des</strong> <strong>Patienten</strong> in<br />
die Therapie einzubeziehen. Es gilt, das<br />
Selbstwertgefühl <strong>des</strong> <strong>Patienten</strong> zu stärken.<br />
Die Fokussierung auf Probleme sollte umgelenkt<br />
und Faktoren, die seine Mobilität<br />
einschränken, aus dem Mittelpunkt genommen<br />
werden. Von großer Bedeutung<br />
ist diesbezüglich eine angemessene Stressverarbeitung<br />
sowie eine gute Motivation<br />
von Patient und Team [6, 8].<br />
Psychosoziale Ebene<br />
Gelingt es, die gemeinsamen Ziele<br />
<strong>des</strong> multiprofessionellen Teams und<br />
<strong>des</strong> <strong>Patienten</strong> zu realisieren, kann die<br />
Lebensqualität <strong>des</strong> <strong>Patienten</strong> gesteigert<br />
werden und er gewinnt an (Selbst)<br />
Sicherheit. Diese Aspekte fördern sein<br />
seelisches Wohlbefinden und seine<br />
Eigenverantwortung, wodurch sich Lerneffekte<br />
leichter sichern lassen. Diese gemeinsamen<br />
Zielsetzungen in der Behandlung<br />
von <strong>adipösen</strong> <strong>Patienten</strong> treffen<br />
auf alle Stationen gleichermaßen zu. Sie<br />
lassen sich unabhängig vom Fachbereich<br />
auf je<strong>des</strong> Team einer beliebigen Station<br />
übertragen [6, 8].<br />
56 | Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin 1 · 2017