Herrschaftsfiguration und Demokratisierung in Indonesien (1965 ...

MITTEILUNGEN
DES INSTITUTS FÜR ASIENKUNDE
HAMBURG
–––––––––––––––––––––––––––– Nummer 348 –––––––––––––––––––––––––––
Andreas Ufen
Herrschaftsfiguration und
Demokratisierung in Indonesien
(1965-2000)
–––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––
Hamburg 2002

Redaktion der Mitteilungsreihe des Instituts für Asienkunde:
Dr. Brunhild Staiger
Manuskriptbearbeitung: Vera Rathje
Textgestaltung: Elisabeth Fatty
Gesamtherstellung: Deutsches Übersee-Institut, Hamburg
ISBN 3-88910-266-2
Copyright Institut für Asienkunde
Hamburg 2002
CIP-Titelaufnahme:
Ufen, Andreas
Herrschaftsfiguration und Demokratisierung in
Indonesien (1965-2000). – Hamburg : IFA, 2002. –
xlviii, 627 S.
(Mitteilungen des Instituts für Asienkunde ; Nr. 348)
ISBN 3-88910-266-2
VERBUND STIFTUNG
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dem Institut für Afrika-Kunde, dem Institut für Iberoamerika-Kunde und dem Deutschen
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Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke................................. xiv
Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder ......................................................... xxxvii
Vorwort.......................................................................................................... xxxix
Einleitung...........................................................................................................xlii
Teil I: Theoretische Grundlagen und historische Wurzeln
der Neuen Ordnung.............................................................................1
1. Theoretische Vorüberlegungen .......................................................................... 1
1.1 Indonesische Demokratieerfahrungen und ausgewählte Probleme
der Demokratietheorie ......................................................................................... 1
Erfahrungen mit der parlamentarischen Demokratie im Indonesien
der 50er Jahre............................................................................................. 2
Probleme der Demokratietheorie............................................................... 7
Demokratie und Kultur: Die javanische Weltanschauung und der
Islam..................................................................................................... 7
Demokratie und Kultur: Der Islam ...................................................... 9
Über den Zusammenhang zwischen Demokratisierung
und wirtschaftlicher Entwicklung ...................................................... 11
1.2 Neopatrimonialismus, Klassen, strategische und konfliktfähige Gruppen ........ 16
Neopatrimonialismus............................................................................... 17
Klassen .................................................................................................... 24
Demokratisierung und die Analyse strategischer und konfliktfähiger
Gruppen (SKOG)..................................................................................... 29
SKOG................................................................................................. 29
Schwierigkeiten bei der Anwendung des SKOG-Konzeptes
auf die Neue Ordnung........................................................................ 30
SKOG, Patron-Klient-Beziehungen und Allianzen............................ 32
2. Die Herrschaftsfiguration bis 1965: Die politische Entwicklung
und die Stellung der Bürokratie, der Militärs, der Unternehmer,
der Chinesen und muslimischer Gruppen............................................................ 34
Herrschaftsformen, politische Organisationen und politische Kämpfe
bis 1965 ................................................................................................... 35
Die ersten Patrimonialreiche.............................................................. 35
Die Herrschaftsstruktur der Patrimonialreiche................................... 36
v

vi Inhaltsverzeichnis
Die Kolonialherrschaft seit 1800 ....................................................... 41
Nationalismus und erste politische Organisationen ........................... 44
Die Herrschaft der Japaner 1942-1945............................................... 47
Die Phase der Revolution 1945-1949................................................. 48
Die parlamentarische Demokratie 1949/50-1957............................... 50
Gelenkte Demokratie ......................................................................... 53
Die Entwicklung der Bürokratie vom Einfall der Japaner bis 1965 ........ 57
Die Entwicklung der Armee bis 1965 und die Entstehung von
Sekber Golkar......................................................................................... 59
Die Enstehung von Sekber Golkar..................................................... 62
Die Unternehmer ..................................................................................... 63
Die wirtschaftliche Entwicklung und die Stellung der
einheimischen Unternehmer im kolonialen System........................... 63
Die Entwicklung der indonesischen Ökonomie von der
Unabhängigkeit bis 1965 ................................................................... 65
Die Sonderrolle der Chinesen in Indonesien ........................................... 70
Die Bedeutung des Islam und islamischer Gruppen bis 1965.................. 73
Die Entwicklung der Machteliten und die Verbindung
zur Figuration der Neuen Ordnung ......................................................... 77
Teil II: Die strategischen und die konfliktfähigen Gruppen
der Neuen Ordnung (1965-1998)...................................................... 81
3. Legitimierung, Struktur und Entwicklung der Regimekoalition
und kooptierter Organisationen und Gruppen.................................................... 81
3.1 Die Legitimierung der Regimekoalition und die politische Kultur
der Neuen Ordnung............ ...................................................................................... 81
Die korporatistische Strategie.................................................................. 84
Der Organizismus und die Pancasila ....................................................... 85
Die Konstruktion des Organizismus........................................................ 88
Dwifungsi ................................................................................................ 92
Floating mass........................................................................................... 93
Der Antikommunismus und die Bekämpfung des Sukarnoismus............ 94
Aspekte der politischen Kultur und die Erosion des Wertesystems......... 97
Anmerkungen zur politischen Kultur................................................. 97
Erosion des Wertesystems ............................................................... 102
3.2 Grundzüge des wirtschaftlichen Wandels und der Wirtschaftspolitik
seit 1965............................................................................................................ 104
Phasen der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung (1965-1998) 104
Vom Machtwechsel (1965-1967/68) bis zur Malari-Affäre (1974)....... 106

Inhaltsverzeichnis vii
Vom Malari-Vorfall (1974) bis zur vierten Wiederwahl Suhartos
(1983): Protektion und Importsubstitution............................................. 109
Die Übergangsphase Anfang/Mitte der 80er Jahre................................ 112
Die Liberalisierung des Außenhandels und des Finanzsektors
seit 1985/86 und der Wechsel zwischen politischer Öffnung
und Repression bis zum Krisenjahr 1997/98 ......................................... 115
Indonesien in der Asienkrise (1997/98)................................................. 119
Kritik an der Wirtschaftspolitik ............................................................. 120
Einflüsse auf die Demokratisierung....................................................... 122
3.3 Suharto und seine Stellung in der Regimekoalition......................................... 125
Seine Machtübernahme ......................................................................... 125
Machtfülle, Neopatrimonialismus, Legitimationsquellen...................... 127
Seine Herkunft und seine militärische Karriere..................................... 129
Suhartos Vorstellungen von Macht und Herrschaft............................... 131
Herrschaftsstrategien des Präsidenten ................................................... 136
Suharto und seine Beziehungen zu Klienten und Klientengruppen....... 139
3.4 Die Großunternehmer...................................................................................... 149
Die Bedeutung privater, staatlicher und ausländischer Unternehmen ... 150
Großbauern und ihre Stellung im Herrschaftssystem ............................ 153
Sinoindonesier in der Neuen Ordnung................................................... 155
Die Politik der Neuen Ordnung........................................................ 156
Sinoindonesier als Sündenböcke...................................................... 158
Ursachen des Erfolges...................................................................... 159
Entwicklung der Konglomerate ....................................................... 160
Fallstudien: Liem Sioe Liong und "Bob" Hasan .............................. 162
Die Haltung der Regimekoalition und der Öffentlichkeit
zu den Sinoindonesiern in den 90er Jahren...................................... 165
Pribumi-Unternehmer............................................................................ 167
Pribumi-Förderung durch den Staat................................................. 168
Kadin, Hippi, Hipmi......................................................................... 172
Die Suhartos als Unternehmer ............................................................... 175
Beispiele des Nepotismus: BPPC, Busang, Mobnas........................ 179
Schlussbemerkung: Unternehmer in der Neuen Ordnung ..................... 185
3.5 Die Militärs...................................................................................................... 188
Umgestaltung der Streitkräfte von 1965 bis Anfang der 90er Jahre...... 188
Die indonesischen Streitkräfte in zivilen Funktionen............................ 193
Das Militär in der Verwaltung ......................................................... 194
ABRI und Golkar, ABRI als Parlamentsfraktion............................. 196
Die Streitkräfte als Unternehmer ..................................................... 197
Die Geheimdienste und ihre Position im Herrschaftsgefüge
der Neuen Ordnung ............................................................................... 202

viii Inhaltsverzeichnis
Kopkamtib und Bakorstanas ............................................................ 203
Opsus, Bakin, Bais, BIA, preman und Kopassus............................. 204
Faktionen innerhalb ABRIs: die Entwicklung bis Ende der 80er Jahre. 207
ABRI in den 90er Jahren ....................................................................... 209
Zusammenfassung ................................................................................. 217
3.6 Die Bürokraten ................................................................................................ 219
Die Umgestaltung des Verwaltungsapparates in den ersten Jahren....... 219
Die Herrschaft an der Peripherie, insbesondere in den Dörfern ............ 220
"State Ibuism"........................................................................................ 227
Die Finanzverfassung und der Zentralismus.......................................... 228
Merkmale der Verwaltungsarbeit .......................................................... 229
Ministerialverwaltung............................................................................ 231
Die Technokraten oder: die Berkeley-Mafia und Wijoyonomics .......... 232
Die Technokraten: ihre Geschichte und ihre Machtzentren ............. 233
Phasen der Entwicklung................................................................... 236
Interventionistisch orientierte Nationalisten.......................................... 238
Machtzentren der Nationalisten und Phasen der Entwicklung......... 239
Habibienomics ................................................................................. 242
Konflikte mit den Technokraten und dem Militär............................ 244
Zusammenfassung ................................................................................. 247
3.7 Religiöse Führer zwischen Loyalität und begrenzter Opposition.................... 248
Die verschiedenen Strömungen im indonesischen Islam....................... 249
Santri, abangan und neo-santri........................................................ 249
Gegenwärtige Interpretationen der islamischen Lehre:
Traditionalisten, Modernisten, Neomodernisten,
Fundamentalisten, Transformisten................................................... 250
Die Entwicklung des Islam in der Neuen Ordnung bis Ende der
80er Jahre............................................................................................... 253
Die Annäherung zwischen der Regimekoalition und islamischen
Gruppen seit Ende der 80er Jahre.......................................................... 256
Spannungen als Folge der Islamisierungspolitik ................................... 259
Muslimorganisationen: Dewan Dakwah, MUI, NU
und Muhammadiyah .............................................................................. 262
ICMI ...................................................................................................... 265
Die Gründung und die Reaktion einiger Kritiker............................. 265
Aufgaben und Struktur von ICMI .................................................... 267
Abschließende Bemerkung.................................................................... 271
3.8 Politiker in der Neuen Ordnung: Parteien, Golkar, Parlamente und Wahlen .. 271
Die Umgestaltung des politischen Systems bis 1975............................. 272
Die Regierungspartei Golkar ................................................................. 274
Die Entwicklung Golkars von 1965 bis Anfang der 80er Jahre....... 275

Inhaltsverzeichnis ix
Reorganisation unter Sudharmono und Schwächung durch
Wahono............................................................................................ 278
Golkar nach dem Parteikongress des Jahres 1993............................ 279
Die PPP.................................................................................................. 282
Die PDI bis 1993 ................................................................................... 284
Die Parlamente ...................................................................................... 286
Wahlen im politischen System der Neuen Ordnung.............................. 291
Abschließende Bemerkung.................................................................... 295
3.9 Einige abschließende Bemerkungen zur Regimekoalition der
Neuen Ordnung ...................................................................................................... 297
Die strategischen Gruppen der Neuen Ordnung ................................... .297
Klientelistische Netzwerke, Allianzen und strategische Gruppen ......... 299
Formen des Machtkampfes in der Regimekoalition .............................. 301
Erosionserscheinungen seit Ende der 80er Jahre ................................... 303
4. Die Entwicklung und Struktur oppositioneller Gruppen ............................ 306
4.1 Die Opposition in Indonesien bis Ende der 80er Jahre.................................... 306
Die Ausschaltung der politischen Linken und die Massaker 1965/66... 307
Die Beschränkung des Handlungsspielraumes der Opposition:
Straf- und Presserecht............................................................................ 310
Das Straf- und das Strafprozessrecht als politische Instrumente...... 310
Die Kontrolle der Medien ................................................................ 312
Die Opposition bis Ende der 80er Jahre ................................................ 315
Die Studentenproteste Anfang der 70er Jahre und die
Malari-Affäre ................................................................................... 315
Die Spannungen der Jahre 1977/78, die Studentenbewegung
und die Gründung von Fosko, LKB und Petisi 50 ........................... 317
Der Widerstand islamischer Gruppen und der Tanjung-Priok-
Zwischenfall..................................................................................... 321
4.2 Die Demokratiebewegung seit Ende der 80er Jahre: internationale Einflüsse,
Demokratiediskurs, Entwicklungsphasen.............................................. 325
Außenpolitische Einflüsse auf die Demokratisierung............................ 325
Demonstrations- und Diffusionseffekte................................................. 328
Der Diskurs über Demokratie und Demokratisierung in Indonesien
in den 90er Jahren.................................................................................. 330
Die Opposition von 1988 bis 1998: Phasen der Entwicklung................ 334
4.3 Freie Professionals, Politiker sowie religiöse Führer und ihre jeweiligen
Organisationen........................................................................................................ 336
Statistische Daten zu den Professionals................................................. 337

x Inhaltsverzeichnis
Die erste Phase von 1988/89 bis 1993 ................................................... 340
Keterbukaan..................................................................................... 340
Die Rolle von Generälen a.D. und ehemaligen Spitzenpolitikern.... 340
Diskussionsforen: Das Forum Demokrasi, FPKR und Petisi 50...... 342
Die Nationale Menschenrechtskommission KomnasHAM.............. 345
Die Phase von 1993 bis 1996................................................................. 346
Die PDI bis 1996.............................................................................. 347
Quasiparteien und PUDI .................................................................. 351
Aktionsbündnisse: KIPP, Oposisi Indonesia und MARI ................. 353
Pembreidelan und die Gründung von AJI........................................ 356
Widersprüche im Justizapparat ........................................................ 359
Der Fall "Udin": Der Gerichtssaal als Forum für die Opposition .... 361
Die dritte Phase vom "Sabtu Kelabu" bis zum Februar 1998 ................ 363
Der "Sabtu Kelabu".......................................................................... 363
Die PDI, Megawati und die Wahlen 1997 ....................................... 364
Prodemokratische Flügel in religiösen Organisationen:
Der HKBP-Konflikt, Amien Rais und Abdurrahman Wahid ................ 366
Muhammadiyah und Amien Rais..................................................... 368
NU und Abdurrahman Wahid .......................................................... 370
Schlussbemerkung................................................................................. 374
4.4 Nichtregierungsorganisationen........................................................................ 375
Definition und Typologie ...................................................................... 376
Soziale Zusammensetzung und Schwächen der NGOs ......................... 379
Fallbeispiele für BINGOs: LBH und Walhi .......................................... 381
LINGOs: Kleinere, z.T. radikale NGOs ................................................ 384
Regionale und internationale Netzwerke............................................... 387
Die Funktion der NGOs für die Demokratiebewegung ......................... 388
4.5 Studenten ......................................................................................................... 390
Entwicklungen vor 1965........................................................................ 390
Die verschiedenen Generationen seit 1965............................................ 391
Die Studentenbewegung seit Mitte/Ende der 80er Jahre ....................... 394
Zusammensetzung der Studentenschaft und Motive
der politischen Radikalisierung........................................................ 394
Proteste in den späten 80er und in den 90er Jahren:
Kedung Ombo, das Verkehrsgesetz, SDSB, FAMI ......................... 398
Die Partai Rakyat Demokratik ......................................................... 401
Schlussbemerkung................................................................................. 405
4.6 Arbeiter und Gewerkschaften in der Neuen Ordnung ..................................... 405
Anmerkungen zur Vorgeschichte .......................................................... 405
Die Staatsgewerkschaft und die Arbeitsbeziehungen
in der Neuen Ordnung. .......................................................................... 406

Inhaltsverzeichnis xi
Zusammensetzung der Arbeiterschaft.............................................. 411
Streiks .............................................................................................. 414
Die Phase der Erosion: Die Entstehung unabhängiger
Gewerkschaften und der Marsinah-Fall................................................. 417
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen.......................................... 421
4.7 Landarbeiter und Bauern ................................................................................. 422
Anmerkungen zur Entwicklung der Landwirtschaft
in der Neuen Ordnung ........................................................................... 422
Landkonflikte......................................................................................... 425
Fallbeispiele: Lampung, Sampang und Kedung Ombo.................... 427
Die Bedeutung für die Demokratiebewegung........................................ 431
4.8 Die urban poor und die Unruhen..................................................................... 432
Einige Bemerkungen zu den urban poor und zum informellen Sektor . 432
Unruhen als Formen eines diffusen Widerstandes................................. 433
Fallbeispiele: Situbondo,Tasikmalaya, Purwakarta, Pekalongan,
Surabaya und der "Naga Hijau"-Vorwurf ........................................ 438
Rengasdenklok, Banjarmasin, Tanah Abang und die Mai-
Unruhen ........................................................................................... 440
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen.......................................... 442
4.9 Sezessionistische und regionalistische Bewegungen....................................... 444
Aceh....................................................................................................... 444
West-Papua (Irian Jaya)......................................................................... 445
Ost-Timor .............................................................................................. 447
Invasion und Kriegführung .............................................................. 447
Das Dili-Massaker............................................................................ 449
Der Widerstand gegen die Besatzer ................................................. 451
Aceh, West-Papua und Ost-Timor in der indonesischen
Öffentlichkeit und die Bedeutung für die Demokratiebewegung .......... 454
4.10 Einige abschließende Bemerkungen zu den konfliktfähigen Gruppen
in Indonesien..................................................................................................... 456
Protestformen und Programme .............................................................. 456
Die Beziehung der oppositionellen Gruppen zueinander....................... 457
Die Grenze zwischen Regimekoalition und Opposition ........................ 459

xii Inhaltsverzeichnis
Teil III: Der Sturz Suhartos und die Demokratisierung
unter Habibie und Wahid............................................................... 465
5. Der Zerfall des Suhartos-Regimes ................................................................. 465
Waldbrände und Missernten.................................................................. 466
Die Asienkrise ....................................................................................... 467
Die sozialen Folgen der Krise.......................................................... 473
Ursachen der Asienkrise .................................................................. 474
Die Phase bis zum Regierungswechsel im Mai 1998 ............................ 478
Die ersten Unruhen, die Wiederwahl Suhartos und das neue
Kabinett............................................................................................ 478
Die Studentendemonstrationen von Februar bis Mitte Mai 1998..... 482
Die Schüsse an der Trisakti-Universität, die Unruhen Mitte
Mai 1998 und die Besetzung des Parlamentsgeländes..................... 487
Die Ereignisse am 20./21. Mai............................................................... 491
Das Verhalten verschiedener Akteure während des Regimezerfalls ..... 493
Die Regimekoalition in den letzten Wochen der
Neuen Ordnung................................................................................ 494
Die Opposition in den letzten Wochen der Neuen Ordnung............ 498
6. Von der Übergangsregierung Habibie zur demokratisch gewählten
Regierung von Abdurrahman Wahid................................................................. 501
6.1 Die Entwicklung bis zu den nationalen Wahlen im Juni 1999 ........................ 501
Das Kabinett Habibie und seine Aufgabe.............................................. 501
Das veränderte politische Klima............................................................ 503
Die Transition vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise .................... 505
Die politische Erneuerung ..................................................................... 508
Die Entstehung eines neuen Parteiensystems................................... 508
Die MPR-Sitzung im November 1998: Die neuen Gesetze,
die Studentendemonstrationen und die "Erklärung von Ciganjur"... 512
Das Militär während des Systemwechsels ....................................... 516
Unruhen und Sezessionismus: Die Ost-Timor-Frage, Aceh,
West-Papua sowie die Konflikte auf Borneo und auf Ambon............... 519
Die nationalen Wahlen vom 7. Juni 1999.............................................. 523
Bilanz der Entwicklungen in der Transitionsphase bis zum Juni 1999.. 526
6.2 Von Habibie zu Wahid: Die Phase bis zur Wahl des Präsidenten .................. 528
Erste Sondierungsgespräche .................................................................. 528
Der Bank Bali-Skandal.......................................................................... 529
Ost-Timor wird unabhängig .................................................................. 530
Die MPR-Sitzung und die Wahl des vierten Präsidenten ...................... 531

Inhaltsverzeichnis xiii
7. Die Regierung Wahid und ihre Probleme bei der Konsolidierung
der Demokratie (Oktober 1999-Dezember 2000).............................................. 534
Das neue Kabinett und seine Aufgaben................................................. 534
Die neue Außenpolitik und der Umgang mit sezessionistischen
Bewegungen .......................................................................................... 537
Kabinettsumbesetzung, Interpellation und Impeachment-
Androhungen ......................................................................................... 543
Die Beschlüsse der MPR-Sitzung vom 7.-18. August 2000 .................. 545
Die Fortsetzung der wirtschaftlichen Neustrukturierung und
Konsolidierung ...................................................................................... 548
Konflikte mit den Militärs ..................................................................... 551
Die Beschäftigung mit der Vergangenheit............................................. 554
Das Kabinett vom August 2000 und weitere Angriffe
auf den Präsidenten................................................................................ 557
Indonesien gut ein Jahr nach der Präsidentenwahl: Konsolidierung
der Demokratie? .................................................................................... 560
Teil IV: Schluss................................................................................ 564
8. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen.................................................. 564
Veränderungen der Herrschaftsfiguration (1965-1998)......................... 564
Bemerkungen zur Analyse der Herrschaftsfiguration ...................... 567
Blockierung der Demokratisierung .................................................. 569
Schlussfolgerungen zur Demokratietheorie ..................................... 571
Die Transition bis zum Mai 1998..................................................... 573
Schlussfolgerungen zur Demokratisierung nach Suharto ...................... 575
Die weiteren Transitionsphasen ....................................................... 575
Strategische und konfliktfähige Gruppen in der fragilen
Demokratie....................................................................................... 577
Summary........................................................................................................... 580
Literaturverzeichnis................................................................................................ 581
Verzeichnis der Interviews ..................................................................................... 624

Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke
abangan nichtorthodoxer, synkretistischer Muslim
ABRI Angkatan Bersenjata Republik Indonesia = Streitkräfte
der Republik Indonesien; Bezeichnung gültig seit 1962;
seit 1999: TNI (siehe dort)
ABRI-Cendana auch ABRI-loyalis; d.h. ABRI-Flügel der dem Palast
(cendana), also Suharto, loyal dient
ABRI-hijau "ABRI-grün"; d.h. der ABRI-Flügel der orthodoxen
Muslime
ABRI-merah-putih "ABRI-rot-weiß"; auch ABRI Sapta Marga; d.h. der
ABRI-Flügel der Nationalisten, also derjenigen, die die
Nation über die Religion oder die Loyalität zum Präsidenten
stellen
adat Brauch, Tradition
AFTA ASEAN Free Trade Area
AJI Aliansi Jurnalis Independen = Allianz unabhängiger
Journalisten; von 85 Journalisten am 7.8.1994 in Sirnagalih,
Bogor, gegründet
Akabri Akademi Angkatan Bersenjata Republik Indonesia =
Akademie der ABRI
Akmil Akademi Militer; Militärakademie in Magelang
Aldera Aliansi Demokrasi Rakyat; im Sept. 1994 von Studenten,
Bauern und Arbeitern aus 15 Städten gegründete
"Volksdemokratie-Allianz"
aliran "Strömung", d.h. die zu einer sozialen Großgruppe
zusammengeschlossenen Anhänger einer religiös fundierten
Weltanschauung; die aliran führen zu einer
Versäulung der Gesellschaft; nach Clifford Geertz
unterscheidet man i.d.R. drei aliran: die der abangan,
der santri und der priyayi (siehe dort)
AMPI Angkatan Muda Pembaruan Indonesia; Jugendorganisation
von Golkar
anak-anak pejabat "Kinder der Amtsträger"
APEC Asia Pacific Economic Cooperation; gegründet 1989
Apindo Asosiasi Pengusaha Indonesia = Unternehmerverband
Indonesien; relativ unbedeutend
xiv

Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke xv
Apodeti Associação Populár Democrática Timorense = Demokratische
Timoresische Volksvereinigung; gegründet
am 27.5.1974
arus bawah "Unterströmung"; die Unterklasse als diffuse politische
Bewegung
ASDT Associação Social Democrática Timorense = Sozialdemokratische
Timoresische Vereinigung; gegr. im
Mai 1974, Vorgängerin der Fretilin
ASEAN Association of Southeast Asian Nations; gegründet
1967
Asintel Asisten Intelijen; Geheimdienstassistent
Aspri Asisten-asisten Presiden Republik Indonesia = Assistenten
des Präsidenten der RI; Küchenkabinett, das
1974 aufgelöst wurde
Assospol Assistent des Kassospol (siehe dort)
azas tunggal (auch: asas tunggal); Pancasila als alleinige Grundlage
für Massenorganisationen
Babinsa Bintara Pembina Desa; Unteroffizier mit Portepee, der
das Militär auf der untersten Verwaltungsebene vertritt
Bais Badan Intelijen Strategis; Strategischer Geheimdienst;
1983 gegründet
Bakin Badan Koordinasi Intelijen Negara; Koordinierungsrat
des Nationalen Geheimdienstes
Bakorstanas Badan Koordinasi Bantuan Pemantapan Stabilitas Nasional
= Koordinationsbehörde für die Konsolidierung
der Nationalen Stabilität; Nachfolgerin von Kopkamtib
im Jahre 1988
Bapak "Vater"; auch Anrede für verehrte ältere Personen
Baperki Badan Permusyawaratan Kewarganegaraan Indonesia =
Konsultativgremium für Indonesische Staatsangehörigkeit;
Interessenvertretung der Sinoindonesier; zu Beginn
der Neuen Ordnung aufgelöst
Bapilu Badan pengendali pemilihan umum = Leitungsgremium
für die allgemeinen Wahlen; geleitet von Ali Murtopo
Bapindo-Skandal Bankenskandal in den frühen 90er Jahren, in den auch
Angehörige der Regimekoalition verwickelt waren
Bappeda I/II Badan Perencanaan Pembangunan Daerah = Regionale
Entwicklungsplanungsbehörde auf Provinz- (I) und

xvi Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke
darunter liegender Verwaltungsebene (II)
Bappenas Badan Perencanaan Pembangunan Nasional = Nationale
Entwicklungsplanungsbehörde
becak Fahrradrikscha
"Berkeley-Mafia" Bezeichnung für die häufig in Berkeley ausgebildeten
"Technokraten", die in der Finanz- und Wirtschaftspolitik
sehr einflussreich waren
bersih lingkungan "sauberes Umfeld", d.h. frei von Beziehungen zu
Kommunisten
BG Brigadegeneral
Bhinneka Tunggal "Einheit in Vielfalt"; offizielles Staatsmotto
Ika
BIA Badan Intelijen ABRI = ABRI-Geheimdienst; Nachfolgeorganisation
von Bais
Bimantara Unternehmensgruppe von Bambang Suharto
Bimas Bimbingan massal = Anleitung der Massen (zur Modernisierung
der Landwirtschaft)
Bimmas Bimbingan Masyarakat Desa; Polizist, der neben dem
Babinsa für die Kontrolle der Dorfbevölkerung zuständig
ist
Bina Graha Staatssekretariat, siehe Sekneg
Bina Swadaya 1974 gegründete NGO in Jakarta, die ländliche Selbsthilfegruppen
unterstützt
BINGO Big NGO
BIP Bruttoinlandsprodukt
BKPM Badan Koordinasi Penanaman Modal = Behörde für die
Koordinierung von Kapitalinvestitionen
BP7 Badan Pembinaan Pendidikan Pelaksanaan Pedoman
Penghayatan dan Pengalaman Pancasila = Aufsichtsgremium
für die P4-Implementierung
BPHPR Badan Perlindungan Hak-Hak Politik Rakyat = Gremium
für den Schutz der politischen Rechte des Volkes;
gegr. im April 1992
BPIS Badan Pengelolaan Industri Strategis = Managementbehörde
für Strategische Industrien
BPK Badan Pemeriksa Keuangan = Rechnungshof
BPPC Badan Penyangga dan Pemasaran Cengkeh = Behörde

Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke xvii
für die Stützung und Vermarktung von Gewürznelken
(unter "Tommy" Suharto)
BPPT Badan Pengkajian dan Penerapan Teknologi = Behörde
für Technologiebewertung und -anwendung
BPS Biro Pusat Statistik; seit 1997: Badan Pusat Statistik =
Zentrale Statistikbehörde
BPUPK Badan Penyelidikan Untuk Persiapan Kemerdekaan =
Prüfungskomitee für die Vorbereitung der Unabhängigkeit;
am 29.4.1945 von den Japanern eingesetzt;
sollte eine Verfassung ausarbeiten; Anfang August
1945 durch das PPKI ersetzt
Brawijaya Name des Militärkommandos in Ostjava
Brimob paramilitärische Mobile Polizeibrigade
BSP Bruttosozialprodukt
Bulog Badan Urusan Logistik = staatliche Logistikbehörde;
u.a. zuständig für die Vermarktung landwirtschaftlicher
Erzeugnisse
BUMN Badan Usaha Milik Negara = Staatsbetrieb
CGI Consultative Group for Indonesia; Nachfolger der
IGGI; Zusammenschluss von 18 Ländern und 13 multilateralen
Organisationen unter dem Vorsitz der Weltbank
Cides Center for Information and Development Studies;
Think Tank von ICMI in Jakarta
Cilangkap ABRI-Hauptquartier
Citra Lamtoro Unternehmensgruppe von "Tutut" Suharto
Gung
CNRM Conselho Nacional de Resistência Maubere = Nationalrat
für den Maubere-Widerstand; gegründet 1988
CNRT Conselho Nacional de Resistência Timorense = Nationalrat
für den timoresischen Widerstand; gegründet im
April 1998
CPDS Center for Policy and Development Studies; armeenaher
Think Tank in Jakarta
CSIS Centre for Strategic and International Studies; Think
Tank in Jakarta; gegründet von Ali Murtopo und Sujono
Humardani
CUCO-I Credit Union Co-ordinating Organization; NGO in

xviii Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke
Jakarta
cukong Hokkien-Begriff; "Boss" oder "Master"; pejorativer
Begriff für einen reichen indonesischen Geschäftsmann
chinesischer Herkunft, der Verbindungen zur Machtelite
hat
DDII Dewan Dakwah Islamiyyah Indonesia = Indonesischer
Rat für Islamische Mission
Dema Dewan Mahasiswa; offizielle Studentenvertretung an
den Universitäten
desa Dorf
DGI Dewan Gereja-Gereja Indonesia; seit 1984 PGI = Persekutuan
Gereja-Gereja di Indonesia; Indonesischer
Kirchenrat bzw. Indonesische Kirchenföderation
Dharma Wanita Offizielle Vereinigung der Ehefrauen der Beamten
Dian Desa NGO in Yogyakarta; stellt im ländlichen Bereich angepasste
Technologien zur Verfügung
Dili-Massaker Massaker in Ost-Timor (1991)
Diponegoro Name des berühmten Militärkommandos in Mitteljava
DIY Daerah Istimewa Yogyakarta = Sonderregion Yogyakarta
DKI Jakarta Daerah Khusus Ibukota ("Sonderregion Hauptstadt")
Jakarta
DPA Dewan Pertimbangan Agung = Oberstes Beratergremium;
verfassungsrechtlich eine der höchsten Institutionen,
faktisch aber nahezu machtlos
DPP Dewan Pimpinan Pusat = Zentraler Vorstand
DPR Dewan Perwakilan Rakyat = Volksvertretungsrat; nationales
Parlament
DPRD Dewan Perwakilan Rakyat Daerah; Provinzparlament
(DPRD I) und Distriktparlament (DPRD II)
Drs. Doktorandus = Bachelor-Grad; auch: S (Sarjana) 1
dwifungsi militärische und soziopolitische "Doppelfunktion" des
Militärs; dwifungsi ist zusammengesetzt aus dwi (Sanskrit)
und functie (Niederländisch).
ekstrim kiri/kanan linksextrem/rechtsextrem; als rechtsextrem galten in
der Neuen Ordnung fundamentalistische Muslime
ELSAM Lembaga Studi dan Advokasi Masyarakat = Institut für

Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke xix
soziale Studien und für soziale Beratung; NGO in Jakarta
ET Eks-Tahanan Politik = ehemaliger politischer Gefangener;
Eintrag in Kennkarte KTP für angeblich in den
Putsch(versuch) verwickelte Personen
FAMI Front Aksi Mahasiswa Indonesia = Indonesische Studenten-Aktionsfront;
gegründet 1989
FBSI Federasi Buruh Seluruh Indonesia = Allindonesische
Arbeitervereinigung; Vorläufer von SPSI
FDPY Forum Diskusi Perempuan Yogya = Frauendiskussionsforum
Yogyakarta; NGO
FKMY Forum Komunikasi Mahasiswa Yogyakarta = Studenten-Kommunikationsforum
Yogyakarta; 1991 Aufteilung
in DMPY (Dewan Mahasiswa dan Pemuda Yogyakarta)
und SMY (Solidaritas Mahasiswa Yogyakarta)
FKPPI Forum Komunikasi Putra-Putri Purnawirawan Indonesia
= Kommunikationsforum für die Söhne und Töchter
pensionierter Offiziere; Agentur zur Pfründenverteilung
Forsol Forum Solidaritas untuk Buruh; Koalition von 11
NGOs in Jakarta; gegr. 1992
Fosko Forum Studi dan Komunikasi = Studien- und Kommunikationsforum;
Vorläufer der Petisi-50-Gruppe
FPKR Forum Pemurnian Kedaulatan Rakyat = Forum für die
Vervollkommnung der Volkssouveränität; gegründet
im August 1991
Fretilin Frente Revolucionária do Timor Leste Independente =
Revolutionäre Front für ein Unabhängiges Ost-Timor
Furkon Forum Umat Islam Penegak Keadilan dan Konstitusi =
Forum der Muslime zur Aufrechterhaltung von Gerechtigkeit
und Verfassung
GAM Gerakan Aceh Merdeka = Bewegung Freies Aceh
GBHN Garis-garis Besar Haluan Negara = Allgemeine Richtlinien
der Staatspolitik
Gestapu Gerakan September Tiga Puluh = Bewegung des 30.
September; in der Neuen Ordnung auch "G30S/PKI",
um die vermeintliche Alleinverantwortung der PKI
auszudrücken
GLt Generalleutnant

xx Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke
GM Generalmajor
Golkar Golongan Karya = funktionale Gruppen; Regierungspartei
golput golongan putih = weiße Gruppe; Nichtwähler und
solche, die bewusst ungültige Stimmzettel abgeben
GONGO Government Organized Non-Government Organization
gotong royong traditionell in Dörfern übliche gegenseitige Hilfeleistung
GPK Gerakan Pengacau Keamanan = Sicherheitsstörende
Bewegung
GUPPI Gabungan Usaha Perbaikan Pendidikan Islam = Vereinigung
zur Verbesserung der islamischen Ausbildung
HAM Hak(-Hak) Asasi Manusia = Menschenrecht(e)
Hankam [Departemen] Pertahanan Keamanan = Ministerium für
Verteidigung und Sicherheit
Hipmi Himpunan pengusaha muda Indonesia = Indonesische
Vereinigung junger Unternehmer
Hippi Himpunan pengusaha pribumi Indonesia = Indonesische
Vereinigung einheimischer Unternehmer; seit
1984 statt "pribumi": "putera-puteri" (Söhne und Töchter)
HKBP Huria Kristen Batak Protestan = Protestantengemeinde
der Bataker
HKTI Himpunan Kerukunan Tani Indonesia = Vereinigung
indonesischer Bauern
HMI Himpunan Mahasiswa Islam = Vereinigung islamischer
Studenten
HNSI Himpunan Nelayan Seluruh Indonesia = Gesamtindonesische
Vereinigung der Fischer
Humpuss Unternehmensgruppe von "Tommy" Suharto
IAIN Institut Agama Islam Negeri; staatliche Islamuniversität
IBRA Indonesian Bank Restructuring Agency; zuständig für
die Umgestaltung des Bankensektors
ICFTU International Confederation of Free Trade Unions
ICMI Ikatan Cendekiawan Muslim Se-Indonesia = Indonesische
Vereinigung islamischer Intellektueller; gegründet
im Dez. 1990

Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke xxi
IGGI Intergovernmental Group on Indonesia; Zusammenschluss
staatlicher und privater ausländischer Kreditgeber
bis März 1992, danach: CGI
ijo royo-royo jav.: "alles ist grün"; gemeint ist die Aufnahme strenggläubiger
Muslime in die Regimekoalition (grün ist die
Farbe des Islam)
Ikadin Ikatan Advokat Indonesia; gegründet 1985; wurde die
einzige von der Regierung anerkannte Anwaltsvereinigung,
der die anderen Anwaltsvereinigungen beitreten
mussten
IMF International Monetary Fund
IMM Ikatan Mahasiswa Muhammadiyah = Muhammadiyah-
Studentenvereinigung
IN-DEMO Indonesian NGOs for Democracy; Erklärung von
NGOs vor der Wiener Menschenrechtskonferenz 1993
INDRA Indonesian Debt Restructuring Agency; am 2. Juli 1998
mit Präsidentialdekret 95 eingerichtet; zuständig für die
Umschuldung
INFID International NGO Forum on Indonesian Development;
Nachfolger von INGI
Infight Indonesian Front for the Defence of Human Rights
INGI International NGO Forum on Indonesian Development;
Vorgänger von INFID
Inpres Instruksi Presiden = Weisung des Präsidenten
Insist Institute for Social Transformation; NGO in Yogyakarta
IPKI Ikatan Pendukung Kemerdekaan Indonesia = Liga zur
Unterstützung der indonesischen Unabhängigkeit
IPTN Industri Pesawat Terbang Nusantara = Flugzeugindustrie
Nusantara
ISAI Institut Studi Arus Informasi = Institute for the Free
Flow of Information; NGO von Journalisten in Jakarta;
gegründet im August 1994
ISJ Institut Sosial Jakarta; NGO
ITB Institut Teknologi Bandung; staatliche Technische
Universität
IWF Internationaler Währungsfonds

xxii Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke
Jamsostek Jaminan Sosial Tenaga Kerja = Arbeitersozialversicherung
JSX Jakarta Stock Exchange
K.H. Kiai Haji (Hadschi)
kabupaten Verwaltungsdistrikt; unterhalb der Provinz- und oberhalb
der kecamatan-Ebene
KADIN Kamar Dagang dan Industri = Indonesische Handelsund
Industriekammer
Kalyanamitra Frauen-NGO; gegründet 1985 in Jakarta
KAMI Kesatuan Aksi Mahasiswa Indonesia = Aktionsfront
indonesischer Studenten; gegründet am 15.10.1965
KAMMI Kesatuan Aksi Mahasiswa Muslim Indonesia = Aktionseinheit
muslimischer Studenten Indonesien; Teil
der Studentenbewegung von 1998
kampung städtische Siedlung
Kamtibmas Keamanan dan Ketertiban Masyarakat = Gesellschaftliche
Ordnung und Sicherheit
Kanwil Kantor Wilayah = Regionalbüro der Zentralverwaltung
KAP-Gestapu Komando Aksi Pengganyangan Gestapu = Aktionskommando
zur Vernichtung der Gestapu; gegründet am
2.10.1965
KAPPI Kesatuan Aksi Pemuda dan Pelajar Indonesia = Aktionsfront
indonesischer Jugendlicher und Schüler
karakterdes kader penggerak teritorial desa; Golkar-Kader in den
Dörfern zur Mobilisierung der Bevölkerung
karyawan jemand, der eine Funktion ausübt; in einem Unternehmen
sowohl der Arbeiter als auch der Manager; auch
der Soldat, der im zivilen Bereich arbeitet
Kasad Kepala Staf Angkatan Darat = Armeestabschef; folgt in
der Militärhierarchie dem Pangab (ABRI-
Kommandeur)
kasekten kosmische Kraft; Macht
KASI Kesatuan Aksi Sarjana Indonesia = Aktionsfront indonesischer
Gelehrter
Kassospol Kepala Staf Sospol = Stabschef für Soziales und Politik;
zuständig für die Bestimmung der Rolle des Militärs
in der Gesellschaft; Manager für politische Krisen;

Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke xxiii
verantwortlich für den Einsatz von Militärs in zivilen
Positionen
Kasum Kepala Staf Umum = Generalstabschef
KCBI Keluarga Cendekiawan Buddhis Indonesia = Familie
buddhistischer Intellektueller Indonesien; gegründet
1994
kebatinan javanische Mystik
kecamatan Subdistrikt
Kedung Ombo Gebiet in Mitteljava, das für den gleichnamigen Staudamm
nach mehrjährigen Konflikten geflutet wurde
Keluarga Besar "Große ABRI-Familie"; bestehend aus den verschiede-
ABRI
nen ABRI-Organisationen der Ehefrauen, Veteranen,
Parlamentarier etc.
Keluarga Besar
Golkar
"Große Golkar-Familie"; bestehend aus Korpri, ABRI
und den Golkar-Zivilisten
Kelurahan Dorf als Verwaltungseinheit
kepala desa von der Bevölkerung gewählter Dorfvorsteher
Keppres Keputusan Presiden = Verordnung des Präsidenten
kerusuhan Unruhen; auch huru-hara oder amuk
ketahanan Standhaftigkeit, Ausdauer, Widerstandskraft
keterbukaan Offenheit; häufig gebrauchter Begriff seit Ende der
80er Jahre
KFM Kebutuhan Fisik Minimum = physisches Grundbedürfnis
oder Existenzminimum
KGB Komunisme Gaya Baru = Kommunismus neuen Stils
KHM Kebutuhan Hidup Minimum = "basic needs"
kiai versch. Schreibweisen (auch: kiyayi, kijaji, kiyai etc.);
javanisch: Weiser; islamischer Gelehrter, meist Besitzer
und Leiter einer pesantren
KIPP Komite Independen Pemantauan Pemilu = Unabhängiges
Komitee zur Wahlbeobachtung
KISDI Komite Indonesia untuk Solidaritas Dunia Islam =
Indonesisches Komitee für die Solidarität der Islamischen
Welt; gegründet 1990 von Moh. Natsir mit Unterstützung
von K.H. Abdul Rosyid, H. Husein Umar,
H.A. Sumargono; z.T. fundamentalistische Tendenzen
KKN 1) Kuliah Kerja Nyata; Pflichtpraktikum für Studenten,

xxiv Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke
oftmals in Dörfern
2) Kolusi, Korupsi, Nepotisme; Slogan des Jahres 1998
KLB Kongres Luar Biasa = Außerordentlicher Kongress
KNIL Koninklijk Nederlands Indisch Leger; Kolonialarmee
KNPI Komite Nasional Pemuda Indonesia = Nationalkomitee
der indonesischen Jugend
Kodam Komando Daerah Militer = Regionales Militärkommando;
zuletzt gab es 10 Kodam
Kodim Komando Distrik Militer = Distrikt-Militärkommando
KomnasHAM Komite Nasional Hak Asasi Manusia = Nationales
Menschenrechtskomitee; gegr. 1993
konco indon. Wort für crony; davon abgeleitet: koncoisme
Kontras Komisi untuk Orang Hilang dan Tindak Kekerasan =
Kommission für Verschwundene und Gewaltopfer;
Arbeitsgremium von 12 Menschenrechts-NGOs, das
sich um Verschwundene und Misshandelte kümmert;
arbeitet seit Oktober 1997, offizielle Gründung am
20.3.1998
Kopassandha Komando Sandi Yudha = Kommando für Geheime
Kriegführung; Nachfolger vom RPKAD und Vorläufer
von Kopassus
Kopassus Komando Pasukan Khusus = Sondereinsatzkommando;
Nachfolger von Kopassandha
Kopkamtib Komando Operasi Pemulihan Keamanan dan Ketertiban
= Operationskommando zur Wiederherstellung von
Sicherheit und Ordnung; abgelöst von Bakorstanas
Koramil Komando Rayon Militer = Subdistrikt-
Militärkommando
Korem Komando Resort Militer = Subregional-
Militärkommando
Korpri Korps Pegawai Negeri Indonesia oder Korps Karyawan
Pegawai Republik Indonesia = Korps indonesischer
Beamter
Kosgoro Koperasi Serba Guna Gotong Royong = Allzweck-
Kooperative Gotong Royong
Kostrad Komando Cadangan Strategis Angkatan Darat =
Strategisches Reservekommando des Heeres

Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke xxv
Kowani Korps Wanita Indonesia = Frauenkorps Indonesien;
nationale Frauenorganisation
Kowilhan Komando Wilayah Pertahanan = Wehrbereichskommando
KPNI Kongres Pemuda Nasional Indonesia = Nationaler
Jugendkongress von Indonesien
KPU Komisi Pemilihan Umum = Kommission für die
allgemeinen Wahlen
kraton Palast, Fürstenhof
krismon, krisek krisis moneter, krisis ekonomi dan krisis kepercayaan =
dan krisper monetäre Krise, ökonomische Krise und Vertrauenskrise;
Slogan der Jahre 1997/98
KSKPKO Kelompok Solidaritas Korban Pembangunan Kedung Ombo =
Solidaritätsgruppe für die Opfer bei der Entwicklung des
Kedung-Ombo-Staudammes
KUD Koperasi Unit Desa = Dorfkooperative; Hauptfunktion ist der
Ankauf des Reises von den Bauern und die Vergabe subventionierter
Düngemittel, Pestizide etc.
KUHAP Kitab Undang-Undang Acara Pidana = Strafprozessordnung
KUHP Kitab Undang-Undang Hukum Pidana = Strafgesetzbuch
LBH Lembaga Bantuan Hukum = Rechtshilfeinstitut; bekannteste
NGO
Lemhannas auch: Lemhanas; Lembaga Pertahanan Nasional = Nationales
Verteidigungsinstitut
LINGO Little NGO
LIPI Lembaga Ilmu Pengetahuan Indonesia = Indonesisches
Wissenschaftsinstitut
LKB Lembaga Kesadaran Berkonstitusi = Bund für Verfassungsbewusstsein;
ähnlich wie Fosko Vorläufer der Petisi-50-
Gruppe
LKMD Lembaga Ketahanan Masyarakat Desa = Wohlfahrtsorganisation
der Dorfgemeinschaft; 1979 eingerichtet
LMD Lembaga Musyawarah Desa = Dorfrat; 1979 eingerichtet
LPD Liga Pemulihan Demokrasi = Liga zur Wiederherstellung der
Demokratie; gegründet im März 1991
LPHAM Lembaga Pembela Hak-Hak Asasi Manusia = Institut zur
Verteidigung der Menschenrechte; gegründet im Jahre 1966

xxvi Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke
LP3ES Lembaga Penelitian, Pendidikan dan Penerangan Ekonomi
dan Sosial = Institut für ökonomische und soziale Forschung,
Erziehung und Information; NGO in Jakarta; gegründet 1971
LPU Lembaga Pemilihan Umum; Behörde für die allgemeinen
Wahlen
LSD Lembaga Sosial Desa = Dorfsozialrat; bis 1979
LSM/LPSM Lembaga Swadaya Masyarakat/ Lembaga Pembina Swadaya
Masyarakat; indon. Bezeichnungen für NGO
LSP Lembaga Studi Pembangunan = Institut für Entwicklungsstudien;
NGO; gegr. 1976; aus Studentenbewegung und
islamischer Reformbewegung hervorgegangen
luber langsung, umum, bebas, dan rahasia = direkt, allgemein, frei
und geheim
lurah Dorfvorsteher
MA Mahkamah Agung = Oberster Gerichtshof
Mahkehjapol Mahkamah Agung, Kehakiman, Kejaksaan Agung, Kepolisian
= Gremium bestehend aus dem Obersten Richter, dem
Justizminister, dem Generalstaatsanwalt und dem Polizeichef;
Mitte der 80er Jahre eingerichtet
Mahmillub Mahkamah Militer Luar Biasa = außerordentliches Militärtribunal
Malari Malapetaka Januari = Januar-Unglück; Ausschreitungen
Mitte Januar 1974 anlässlich des Staatsbesuches des japanischen
Premierministers Tanaka
Manipol-USDEK Manifesto Politik - Undang-undang dasar 1945 (Verfassung
von 1945), Sosialisme ala Indonesia (Sozialismus à la Indonesien),
Demokrasi terpimpin (Gelenkte Demokratie), Ekonomi
terpimpin (Gelenkte Wirtschaft), Kepribadian Indonesia
(Indonesische Persönlichkeit); verkündet von Sukarno am
7.8.1959
MAR Majelis Amanat Rakyat = Rat der Botschaft des Volkes;
gegründet am 14. Mai 1998
MARI Majelis Aksi Rakyat Indonesia = Aktionsrat des Indonesischen
Volkes, gegründet am 26.6.1996 in Jakarta von 60
Repräsentanten von 30 Organisationen
Marsinah-Fall die Aufsehen erregende Ermordung der Arbeiterin Marsinah
Masyumi Majelis Syuro Muslimin Indonesia = Konsultativrat der indonesischen
Muslime; 1943 auf Geheiß der Japaner gegründet;

Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke xxvii
1960 verboten
MAWI Majelis Agung Wali-Gereja Indonesia = Indonesische
Bischofskonferenz
Menhankam Menteri Pertahanan Keamanan = Minister für Verteidigung
und Sicherheit
Menko Ekuin Menteri Koordinator Ekonomi, Keuangan dan Industri =
Koordinierungsminister für Ökonomie, Finanzen und Industrie
Menko Polkam Menteri Koordinator Politik dan Keamanan = Koordinierungsminister
für Politik und Sicherheit; zuständig für das
Verteidigungs-, das Informations-, das Innen-, das Außen-
und das Justizministerium
MIAI Majelis Islam A'la Indonesia = Oberster Indonesischer Islamrat;
gegr. 1937, Vorläufer vom Masyumi
mimbar bebas "freies Podium" (in den Wochen vor dem 27.7.1996 in der
PDI-Zentrale)
Mobnas Das Nationale Auto (Mobil Nasional) "Timor", das "Tommy"
Suharto bauen lassen wollte
Monitor-Affäre Affäre um die Zeitschrift Monitor, der 1990 von Muslimen
die Herabwürdigung des Propheten und damit aller Muslime
vorgeworfen wurde
MPR Majelis Permusyawaratan Rakyat = Volkskongress
MPRS Majelis Permusyawaratan Rakyat Sementara = provisorischer
Volkskongress (in den ersten Jahren der Neuen Ordnung)
Muhammadiyah vorwiegend städtische, modernistische Muslim-Organisation;
gegründet 1920
MUI Majelis Ulama Indonesia = Indonesischer Ulama-Rat
Munas Musyawarah Nasional = Nationalkongress
musyawarah dan
mufakat
arab.: gegenseitige Beratung und Einmütigkeit
Muspida Musyawarah Pimpinan Daerah; regionale Führungsräte auf
Provinz- und Distriktebene, bestehend aus Militär, Verwaltung,
Staatsanwaltschaft und Polizei; 1967 eingerichtet
Muspika Musyawarah Pimpinan Kecamatan; Führungsrat auf Subdistriktebene;
siehe Muspida
NAM Non-Aligned Movement
Nasakom Nasionalisme, Agama dan Komunisme = Nationalismus,

xxviii Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke
Religion und Kommunismus; Sukarnos Konzept zur Bündelung
verschiedener gesellschaftlicher Gruppen
Nationalisten Gruppierung in der Regierung, die protektionistische Maßnahmen
und pribumi-Förderpolitiken unterstützt (Gegensatz:
"Technokraten"); eine besondere Fraktion bei diesen Nationalisten
sind die "Technologen" um Habibie, die auf eine
High-Tech-Modernisierung setzen
NE/E-Produkte Nicht-Erdöl/Erdgas-Produkte
negara integralistik integralistischer Staat; ab Mitte der 80er Jahre "Staatsidee"
NGO Non-Government Organization = Nichtregierungsorganisation
NIC Newly Industrialised Country
NII Negara Islam Indonesia = Indonesischer Islamstaat
NKK Normalisasi Kehidupan Kampus = Normalisierung des Campus-Lebens;
1978 eingeführte Bestimmungen zur Kontrolle
der Studentenbewegung
NOVIB Nederlandse Organisatie voor Internationale Bijstand; NGO
NPA New People's Army; Philippinen
NU Nahdatul (oder: Nahdlatul) Ulama = Renaissance der ulama;
orthodoxe und traditionalistische Organisation; lange Zeit
auch Partei, dann Teil der PPP
NVA Nationale Volksarmee
onderbouw Unterbau; einer Partei angeschlossene Organisationen
Opsus Operasi Khusus = Sonderoperationen; geheimdienstähnliche
Sonderorganisation unter der Leitung von Ali Murtopo
OPM Organisasi Papua Merdeka = Organisation Freies Papua
Orba Orde Baru = Neue Ordnung
Orla Orde Lama = Alte Ordnung
ormas organisasi massa = Massenorganisation
Ornop Organisasi Non-Pemerintah = NGO; siehe: LSM/LPSM
OTB Organisasi Tanpa Bentuk = formlose Organisation
Oxfam Oxford Committee for Famine Relief; brit. Geberorganisation
für NGOs
pagar betis "Wadenzaun"; Antiguerillataktik, bei der Einheimische vor
jenen Soldaten herlaufen müssen, die das Gelände nach
Guerilleros durchstreifen

Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke xxix
PAN Partai Amanat Nasional = Partei des Nationalen Mandats;
gegründet im August 1998 von Amien Rais
Pangab Panglima ABRI = Kommandeur der Streitkräfte
P4 Pedoman Penghayatan dan Pengamalan Pancasila =
Leitfaden zur Vertiefung und Ausführung der Pancasila
P7 Badan Pembinaan Pendidikan Pelaksanaan P4 (siehe dort) =
Aufsichtsgremium für die P4-Implementation
Pancasila "fünf Säulen"; Staatsphilosophie
Panglima Militärkommandeur
Parmusi Partai Muslimin Indonesia = Muslimpartei Indonesien;
Vorläuferin der PPP
PBB Partai Bintang Bulan = Partei des Halbmondes; gegründet im
Juli 1998 von Yusril Ihza Mahendra u.a.
PBHI Perhimpunan Bantuan Hukum dan Hak Asasi Manusia Indonesia
= Indonesian Legal Aid and Human Rights Association,
Jakarta
PCPP Persatuan Cendekiawan Pembangunan Pancasila =
Intellektuellenvereinigung für die Entwicklung der Pancasila;
gegründet im Juli 1995
PDI Partai Demokrasi Indonesia = Demokratische Partei Indonesien;
1973 aus der Zwangsfusion der PNI mit anderen, z.B.
christlichen Parteien hervorgegangen; zuletzt bestand die PDI
in der Neuen Ordnung aus zwei Flügeln um Suryadi bzw.
Megawati
PDI-P Partai Demokrasi Indonesia-Perjuangan = Demokratische
Partei Indonesien-Kampf; die seit dem August 1998 von
Megawati angeführte erneuerte PDI
PDKB Partai Demokrasi Kasih Bangsa = Demokratische Partei
Liebe zur Nation; erhielt 1999 fünf DPR-Sitze; von früheren
Golkar-Mitgliedern gegründet, Parteivorsitzender ist Manasse
Maio, ein Sinoindonesier und Christ
pedagang kaki lima "Fünffußhändler"; Bezeichnung für die indonesischen
Kleinsthändler und Garköche, die auf dem Gehweg
(der ursprünglich einmal fünf Fuß breit war) arbeiten
pembangunan Aufbau, Entwicklung; einer der Schlüsselbegriffe der Neuen
Ordnung
pembreidelan Presseverbote im Juni 1994
Pemilu Pemilihan Umum = allgemeine Wahlen

xxx Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke
Pemuda Pancasila Golkar nahe stehende Jugendorganisation, der viele preman
angehören
Peradin Persatuan Advokat Indonesia = Anwaltsvereinigung Indonesien
peranakan in Indonesien geborener Chinese, dessen Familie oft seit
Generationen in Indonesien ist und der sprachlich und kulturell
von Einheimischen nicht oder kaum zu unterscheiden ist;
Gegensatz: totok; heute ist diese Unterscheidung nicht mehr
wichtig
Pertamina Perusahaan Tambang Minyak dan Gas Bumi Nasional =
Nationales Erdöl- und Erdgasförderungsunternehmen
pesantren islamisches Internat; tendenziell traditionalistisch; meist in
javanischen Dörfern und im Besitz eines kiai; sufistische und
indische Einflüsse; Machtbasis von NU
Peta Pembela Tanah Air = Verteidiger des Vaterlandes; militärische
Einheiten; gegründet von den Japanern im Okt. 1943
Petisi 50 Petition 50; 1980 gegründete Gruppe prominenter Regimekritiker
um Ali Sadikin
Petrus Penembakan misterius = mysteriöse Erschießungen; Erschießungen
von mehreren Tausend mutmaßlichen Kriminellen in
den frühen 80er Jahren
Piagam Jakarta "Charta von Jakarta" vom 22.6.1945; sie verpflichtete Muslime
dazu, das islamische Recht anzuwenden ("menjalankan")
PIJAR Pusat Informasi dan Pendidikan Hak Asasi Manusia = Zentrum
für Menschenrechtsinformationen und -erziehung;
NGO; 1989 von Journalistikstudenten gegründet
PIKI Persatuan Inteligensia Kristen Indonesia = Vereinigung der
Christlichen Intelligenz Indonesien
PJP Pembangunan Jangka Panjang = langer Entwicklungsschritt
(Stufe I: 1968-1993, Stufe II: 1993-2018)
PK Partai Keadilan = Gerechtigkeitspartei; erhielt 1999 sieben
DPR-Sitze
PKB Partai Kebangkitan Bangsa = Partei des Volkserwachens; von
NU am 23. Juli 1998 gegründet
PKI Partai Komunis Indonesia = Kommunistische Partei Indonesien;
gegr. im Mai 1920; verboten im März 1966
PKK Pembinaan Kesejahteraan Keluarga = Familienwohlfahrts-

Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke xxxi
programm
PKP Partai Keadilan dan Persatuan = Partei Gerechtigkeit und
Einheit; erhielt 1999 vier DPR-Sitze; gegründet von Edi
Sudrajat
PMII Pergerakan Mahasiswa Islam Indonesia = Bewegung der
Islamischen Studenten Indonesiens; Nähe zu Muhammadiyah
PMKRI Persatuan Mahasiswa Katolik RI = Katholische Studentenvereinigung
der RI
PMP Pendidikan Moral Pancasila; Primär- und Sekundarstufenunterricht
in der "Pancasila-Moral"
PNI Partai Nasional Indonesia = Nationalpartei Indonesien; 1973
in der PDI aufgegangen
PNU Partai Nahdatul Ulama unter Syukron Ma'mun; erhielt 1999
fünf DPR-Sitze
poros tengah „Mittelachse“; Allianz islamischer Parteien, die A. Wahid bei
der Wahl zum Präsidenten unterstützte
POSYANDU Pos Pelayanan Terpadu = Integrierte Gesundheitsversorgungsstellen;
geschaffen im Jahre 1984
PPBI Pusat Perjuangan Buruh Indonesia = Zentrum Arbeiterkampf
Indonesien; gegründet im Okt. 1994
PPKI Panitia Persiapan Kemerdekaan Indonesia = Vorbereitungskomitee
für die Unabhängigkeit Indonesiens; eingerichtet am
9.8.1945
PPP Partai Persatuan Pembangunan = Vereinigte Entwicklungspartei;
1973 aus der Fusion der islamischen Parteien hervorgegangen
PRD Persatuan Rakyat Indonesia = Vereinigung des indonesischen
Volkes, gegründet im April 1994; seit 1996 Partai Rakyat
Demokratik = Demokratische Volkspartei
preman urspr.: vrijman (nl.) = freier Mann; Gangster; oft von den
Machthabern für verdeckte Operationen angeheuert
pribumi "eingeborener" Indonesier, im Gegensatz zu einem Indonesier
fremder Herkunft (i.d.R. sind damit die Sinoindonesier
der Ggs. pri-nonpri wurde 1984 offiziell aufgehoben gemeint);
abgekürzt pri
priyayi "jüngerer Bruder des Fürsten"; Angehöriger der traditionellen
Verwaltungselite; heute eher im Sinne von "gentleman" gebraucht

xxxii Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke
PRRI/Permesta Pemerintah Revolusioner Republik Indonesia/Piagam Perjuangan
Semesta Alam = Revolutionäre Regierung Republik
Indonesien/Charta des Universalen Kampfes; Sammelbezeichnung
für die regionalistisc in den Jahren 1957/58 auf
verschiedenen Außeninseln hen Bewegungen
PSI Partai Sosialis Indonesia = Sozialistische Partei Indonesien;
1960 verboten
PSPB Pendidikan Sejarah Perjuangan Bangsa = Unterricht in der
Geschichte des Volkskampfes
PT Perseroan Terbatas = GmbH
PTUN Pengadilan Tata Usaha Negara = Verwaltungsgericht
PUDI Partai Uni Demokrasi Indonesia = Partei der indonesischen
demokratischen Union; gegründet am 29.5.1996
PWI Persatuan Wartawan Indonesia; offizielle Journalistenvereinigung
Reformasi Reform; eine der Hauptforderungen der prodemokratischen
Bewegung, auch: Reformasi Total
Repelita Rencana Pembangunan Lima Tahun = Fünfjahres-
Entwicklungsplan
RI Republik Indonesia
Rp. Rupiah
RPKAD Resimen Pasukan Komando Angkatan Darat = Fallschirmjägerregiment
des Heeres; Eliteeinheit; abgelöst von Kopassandha
RT/RW Rukun Tetangga/Rukun Warga; Nachbarschaftsorganisationen
nach japanischem Vorbild
RUSI Republik Uni Serikat Indonesia = Vereinigte Staaten von
Indonesien (Dez. 1949 bis August 1950)
Sabtu Kelabu "Grauer (oder: Aschener) Samstag"; der 27.7.1996
Sakernas Survei Angkatan Kerja Nasional; Nationale Statistik über
Arbeiter
santri orthodoxer Muslim; Ggs.: abangan
SARA Suku, Agama, Ras, Antar Golongan = "Ethnie, Religion,
Rasse, zwischen Gruppen", also "zwischen Klassen"; von der
Regierung Ende der 70er Jahre geprägtes Akronym; bezeichnet
die potenziellen Konfliktbereiche
SBMSK Serikat Buruh Merdeka Setia Kawan (oder kurz: Setiakawan

Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke xxxiii
= Solidarität); gegründet im November 1990 u.a. von
Princen, Saut Aritonang und Pakpahan; erste, nur kurzzeitig
aktive Gewerkschaft
SBSI Serikat Buruh Sejahtera Indonesia = Wohlfahrtsgewerkschaft
Indonesien; gegründet 1992; unter dem Vorsitz von Muchtar
Pakpahan
SD Sekolah Dasar = sechsjährige Grundschule
SDSB Sumbangan Dermawan Sosial Berhadiah = Soziale Spende
mit Gewinn; staatliche Lotterie
Sekber Golkar Sekretariat bersama Golkar = gemeinsames Sekretariat Golkar;
1964 gegründeter Vorläufer von Golkar
Seskoad Sekolah Staf Komando Angkatan Darat = Schule des Heeresstabes;
Bandung
Setneg (oder: Sekretariat Negara = Staatssekretariat
Sekneg)
SH Sarjana Hukum = akad. Grad in den Rechtswissenschaften;
früher: Mr. = Meester
SIAGA Solidaritas Indonesia untuk Amien dan Mega; lockeres Oppositionsbündnis;
engagierte sich - geführt von Ratna Sarumpaet
- für Amien Rais und Megawati
Siliwangi Name der berühmten Militärdivision in Westjava
SIRA Sentral Informasi Referendum Aceh = Informationszentrale
für ein Referendum in Aceh
Sishankamrata Sistem Pertahanan Keamanan Rakyat Semesta = System
der umfassenden Volksverteidigung und -sicherheit;
Verteidigungsdoktrin
Siskamling Sistem Keamanan Lingkungan; durch die Bevölkerung aufrechterhaltenes
Sicherheitssystem auf unterster Ebene
SIUPP a) Surat Izin Usaha Penerbitan Pers = Publikationsgenehmigung;
löste im September 1982 SIT (Surat Izin Terbit) ab
b) Solidaritas Indonesia untuk Pembebasan Pers = Indonesische
Solidarität für Pressefreiheit; Aktionsgruppe, die nach
den Publikationsverboten (1994) gebildet wurde
Skephi Jaringan (früher: Sekretariat) Kerjasama Pelestarian Hutan
Indonesia = Netzwerk für die Zusammenarbeit zur Erhaltung
des Regenwaldes in Indonesien; NGO
SKOG Strategische und Konfliktfähige Gruppen
SMID Solidaritas Mahasiswa Indonesia untuk Demokrasi; gehört

xxxiv Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke
zum onderbouw der PRD
SMTA Sekolah Menengah Tingkat Atas = Senior High School
SMTP Sekolah Menengah Tingkat Pertama = Junior High School
SOBSI Sentral Organisasi Buruh Seluruh Indonesia = Zentrale Allindonesische
Arbeiterorganisation; militärnahe Gewerkschaft
vor 1965; nach 1965 Teil von Golkar
SOKSI Swadiri Organisasi Karya Sosialis Indonesia = Vereinigung
der Indonesischen Sozialistischen Karya-Organisationen;
PKI-nahe Gewerkschaft
SPES Society for Social and Political Studies; NGO
SPSI Serikat Pekerja Seluruh Indonesia = Allindonesischer Gewerkschaftsverband;
staatliche Einheitsgewerkschaft
Suara Ibu Peduli "Stimme besorgter Mütter"; auf dem Höhepunkt der Asienkrise
gebildete Frauenvereinigung
Supersemar Surat Perintah Sebelas Maret = Befehlsschreiben vom 11.
März; Machtübergabe Sukarnos an Suharto (1966)
Susenas Survei Sosial Ekonomi Nasional; Nationale Statistik zu sozioökonomischen
Entwicklungen
Tanjung Priok Hafengebiet in Nord-Jakarta, in dem es 1984 zu einem Massaker
an mehreren Hundert demonstrierenden Muslimen kam
Tapol Tahanan Politik = politischer Gefangener, der ohne Anklage
und Verfahren einsitzt (im Gegensatz zum Napol = Narapidana
Politik, der offiziell angeklagt und verurteilt wurde)
Technokraten Bezeichnung für die tendenziell neoliberalen Wirtschaftsfachleute
in den Regierungen der Neuen Ordnung (Ggs.:
Nationalisten); s.a. "Berkeley-Mafia"
TGPF Tim Gabungan Pencari Fakta = Gemeinsames Ermittlungsteam;
Team, das Ermittlungen zu den Unruhen vom 13. bis
15.5.1998 durchführte
TNI Tentara Nasional Indonesia = Nationale Streitkräfte Indonesiens;
alte, 1999 anstelle von "ABRI" erneut eingeführte
Bezeichnung
totok Chinese, der noch nicht lange in Indonesien ist, noch Chinesisch
spricht und kulturell kaum integriert ist; Gegensatz:
peranakan
trias politica Gewaltenteilung
Trilogi Pembangunan
"Entwicklungstrilogie" aus "Wachstum", "nationaler Stabilität"
und "gerechter Verteilung des Wohlstands"

Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke xxxv
Trisakti-Universität Universität in West-Jakarta, an der Mitte Mai 1998 mehrere
Studenten von Militäreinheiten erschossen wurden
Tritunggal Entsprechung des Mahkehjapol (siehe dort) auf unterer Ebene
Tritura Tri Tuntunan Rakyat = "Drei Forderungen des Volkes"
TRuK Tim Relawan untuk Kemanusiaan = Freiwilligenteam für
Menschlichkeit; geführt von Romo Sandyawan; beschäftigte
sich vor allem mit den Massenvergewaltigungen bei den
Unruhen Mitte Mai 1998 in Jakarta
"Udin"-Fall Aufsehen erregender Fall um die Ermordung des kritischen
Journalisten "Udin" in Yogyakarta (1997)
UDT União Democrática Timorense = Timoresische Demokratische
Union; gegründet am 11.5.1974
UGM Universitas Gajah Mada; renommierte staatliche Universität
in Yogyakarta
UI Universitas Indonesia; renommierte staatliche Universität in
Jakarta
ulama arabisch: muslimische Gelehrte; im Indonesischen ist "ulama"
die Singular- und Pluralform
UMNO United Malays National Organization
UMR Upah Minimum Regional = Regionaler Mindestlohn
USAID United States Agency for International Development
UUD '45 Undang-Undang Dasar (Verfassung) von 1945; 1959 durch
Sukarno wiedereingeführt; sieht - anders als die 1950 bis
1959 geltende Verfassung - einen starken Präsidenten vor
VOC Vereenigde Oostindische Compagnie = Vereinigte Ostindische
Kompanie
wahyu göttliche Offenbarung oder Berufung
Walhi Wahana Lingkungan Hidup Indonesia = Indonesisches Umweltforum;
NGO
wayang javanisches Schattenspiel, dessen Themen überwiegend den
Hindu-Epen Ramayana und Mahabharata entnommen sind
WIM Wahana Informasi Masyarakat; gegr. 1986 in Nordsumatra;
soll die Kooperation zwischen NGOs fördern
WNI Warga Negara Indonesia = indonesischer Staatsbürger; angewandt
aber auf ethnische Chinesen; auch "WNI keturunan
Cina" (chinesischer Herkunft)
YABMP Yayasan Amal Bakti Muslim Pancasila; 1982 von Suharto

xxxvi Verzeichnis der Abkürzungen und indonesischen Ausdrücke
und islamischen Regierungsmitgliedern gegründete Stiftung
für wohltätige Zwecke
Yapusham Yayasan Pusat Studi Hak Asasi Manusia = Stiftung Studienzentrum
Menschenrechte; NGO
Yasanti Yayasan Annisa Swasti; Frauen-NGO, gegr. 1982 in Yogyakarta
YIS Yayasan Indonesia Sejahtera = Wohlfahrtsstiftung Indonesien;
NGO; gegr. 1974
YKPK Yayasan Kerukunan Persaudaraan Kebangsaan = Stiftung für
die Harmonie Nationaler Brüderschaft
YLBHI Yayasan Lembaga Bantuan Hukum Indonesia = Stiftung
Rechtshilfeinstitut Indonesien; LBH-Stiftung
YLKI Yayasan Lembaga Konsumen Indonesia = Stiftung Konsumentenorganisation;
NGO
Zopfan Zone of Peace, Freedom and Neutrality

Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder
Tabelle 2-1: Wachstum des realen BIP und des Exportvolumens (1938-68)......... 69
Tabelle 2-2: Indikatoren der Wirtschaftsentwicklung von 1960-1965................... 70
Tabelle 3-1: Exporte und Importe (1972-1986) in Mrd. US $
(ausgewählte Jahre).......................................................................... 113
Tabelle 3-2: Indonesiens Ökonomie: Allgemeiner Überblick (1968-1986) ......... 114
Tabelle 3-3: Exporte und Importe (1986-1997) in Mrd. US $
(ausgewählte Jahre).......................................................................... 117
Tabelle 3-4: Einnahmen der Zentralregierung in Billionen Rp.
in den Jahren 1969/70 bis 1995/96 (1969/70 in Mrd. Rp.) .............. 119
Tabelle 3-5: Genehmigte Projekte und Investitionssumme (1967/68-1995/96)
(kumuliert) ....................................................................................... 151
Tabelle 3-6: Besitzverhältnisse im Industriesektor in % (1975-93) .................... 151
Tabelle 3-7: Schätzung des Besitzanteils privater einheimischer, ausländischer
und staatlicher Unternehmen Ende der 80er Jahre (in %)................ 152
Tabelle 3-8: Verteilung der Anbaufläche in Indonesien (1973-93)
(nur Landbesitzer).................... ........................................................ 153
Tabelle 3-9: Verteilung des Landbesitzes in Indonesien (1993)
(auch Landlose)................................................................................ 154
Tabelle 3-10: Besetzung der wichtigsten Positionen der Zentralverwaltung
durch Militärs................................................................................... 195
Tabelle 3-11: Anteil der Militärs in verschiedenen zivilen Bereichen ................... 195
Tabelle 3-12: Zusammensetzung der Kabinette ..................................................... 195
Tabelle 3-13: Anteil der Militärausgaben an den Staatsausgaben.......................... 197
Tabelle 3-14: Verteidigungsausgaben in Mrd. US$ (1980-1998) .......................... 197
Tabelle 3-15: Verwaltungsbeschäftigte in Indonesien von 1920-1996 .................. 222
Tabelle 3-16: Einnahmequellen sämtlicher Gebietskörperschaften in %............... 229
Tabelle 3-17: Einnahmen sämtlicher indonesischer Distrikte (Dati II)
1989/90 und 1993/94 (gerundet)...................................................... 229
Tabelle 3-18: Berufe der DPR-Abgeordneten vor ihrem Eintritt ins Parlament
(1982-87).......................................................................................... 288
Tabelle 3-19: Sitzverteilung im DPR seit 1971.................................. .................... 288
Tabelle 3-20: Ergebnisse der Parlamentswahlen 1971-1997 in Prozent ................ 294
Tabelle 4-1: Bildungsniveau der Beschäftigten (1990 und 1996) in Mio. ........... 338
Tabelle 4-2: Prozentualer Anteil der Beschäftigten nach Beschäftigungsfeldern
in den Jahren 1980, 1990 und 1996 ................................................. 339
Tabelle 4-3: Anzahl der Schüler und Studenten (1969-1996) in Mio. ................. 395
Tabelle 4-4: Arbeitslosenquote nach Bildungsabschlüssen (1976-1996) in %..... 395
xxxvii

xxxviii Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder
Tabelle 4-5: Beschäftigte über 10 Jahre nach Beschäftigungssektor (1990)
sowie nach Beschäftigungssektor und -status (1996) in Mio.
(Abweichungen durch Rundung) und prozentual
(ohne Residuen) ............................................................................... 412
Tabelle 4-6: Daten zu den Beschäftigten (1990 und 1996) .................................. 413
Tabelle 4-7: Daten zu Streiks in Indonesien (bei Fünfjahresperioden jährliche
Durchschnittswerte) ......................................................................... 415
Tabelle 5-1: Wechselkursentwicklung seit 1968........................ .......................... 470
Tabelle 6-1: Statistisches Profil Indonesien (1997-1999) .................................... 506
Tabelle 6-2: Das Ergebnis der Parlamentswahlen vom Juni 1999 ....................... 525
Tabelle 7-1: Indikatoren der Wirtschaftsentwicklung (1999-2001) ..................... 551
Schaubild 3-1: Die Entwicklung der Neuen Ordnung im Überblick...................... 124
Schaubild 3-2: Spektakuläre Begünstigungen für cronies in den 90er Jahren ....... 182
Schaubild 3-3: Eine Auswahl der umsatzstärksten indonesischen Unternehmen
(1996)............................................................................................. 183
Schaubild 3-4: Verwaltungsebenen und parallele Militärverwaltung .................... 193
Schaubild 3-5: Ebenen der Verwaltung ................................................................. 221
Schaubild 3-6: Die sechs allgemeinen Wahlen in der Neuen Ordnung:
Besonderheiten .............................................................................. 295
Schaubild 3-7: Stärke, Struktur und Legitimation der herrschenden,
strategischen Gruppen.................................................................... 304
Schaubild 4-1: Unruhen in Indonesien (1995-1998)............................ .................. 435
Schaubild 4-2: Vergleich der Opposition (1965/66 bis Ende der 80er Jahre
und Ende der 80er Jahre bis 1998)................................................. 461
Schaubild 4-3: Konfliktfähigkeit verschiedener gesellschaftlicher Gruppen......... 462
Schaubild 4-4: Wichtige Daten in der Entwicklung von Regimekoalition
und Opposition (1988 bis Mai 1998) ............................................. 463
Schaubild 5-1: Die beiden Entwicklungskabinette des Jahres 1998 ...................... 481
Schaubild 7-1: Das Kabinett von Abdurrahman Wahid vom Oktober 1999.......... 535
Schaubild 7-2: Das Kabinett von Abdurrahman Wahid und Megawati
Sukarnoputri vom 23. August 2000 ............................................... 559

Vorwort
Dies ist die leicht verbesserte und ergänzte Fassung meiner Dissertation, die ich im
Oktober 1999 unter dem Titel "Herrschaftsfiguration und Demokratisierung in Indonesien.
Entstehung, Entwicklung und Zerfall des Suharto-Regimes (1965-1999)"
eingereicht habe. Hinzugefügt wurden die Passagen zu den politischen Entwicklungen
seit dem Juni 1999.
Ursprünglich sollte in dieser Dissertation gezeigt werden, dass eine grundlegende
Demokratisierung in Indonesien nicht nur notwendig, sondern auch ohne weiteres
möglich ist. Kurz bevor die Arbeit fertiggestellt war, kam es zu einer solchen beachtlichen
Demokratisierung; und das noch dazu in einem Tempo, das vorher wohl
niemand für möglich gehalten hätte. Die Ereignisse im Mai 1998 erleichterten in
gewisser Weise die Niederschrift dieser Arbeit, da mit dem Umsturz auch die zeitlichen
Grenzen der Neuen Ordnung deutlich festgelegt waren: nämlich mit dem
1.10.1965 und dem 21.5.1998. Auch zeigte sich erst nach dem 21. Mai, welche
Fraktionen es im Militär oder innerhalb Golkars schon vorher gegeben hatte und wie
bedeutend z.B. die verschiedenen Teile der Opposition dann in der Umbruchphase
waren. Allerdings brachte der Regierungswechsel so viel Bewegung in die indonesische
Politik, dass es reizvoll wurde, die Ereignisse bis zum Ende des Jahres 2000 zu
analysieren und Rückschlüsse auf die Entwicklung und die Machtstrukturen der
Neuen Ordnung zu ziehen.
Forschungsaufenthalt
Ein siebenmonatiger Aufenthalt (1997/98) in Jakarta, Yogyakarta, Surabaya und
Denpasar diente vor allem der Durchführung von Interviews. Diese Interviews werden
i.d.R. nur in den Fußnoten erwähnt, obwohl sie für diese Arbeit sehr wichtig
waren. Nur durch diese vielen Gespräche war es möglich, einen Überblick über die
damaligen politischen Ereignisse zu bekommen und insbesondere die Motive der
Akteure nachzuvollziehen. Der Forschungsaufenthalt beschränkte sich fast ausschließlich
auf einige große javanische Städte, vor allem auf die Metropole Jakarta,
weil dort der größte Teil der wirtschaftlichen, militärischen, bürokratischen, politischen,
wissenschaftlichen, künstlerischen und religiösen Elite konzentriert ist.
Ein zweiwöchiger Aufenthalt im Juni 1999 als Wahlbeobachter für das Auswärtige
Amt und die Europäische Union in Jakarta und Ujung Pandang eröffnete mir noch
einmal die Möglichkeit, mir ein Bild von den inzwischen eingetretenen politischen
und wirtschaftlichen Veränderungen zu machen und die ersten freien nationalen
Wahlen seit 1955 zu verfolgen. Einige Wochen vor der Fertigstellung des Manuskriptes
erfolgte im September und Oktober 2000 ein vierwöchiger Aufenthalt in
Jakarta, der u.a. dazu diente, weitere Interviews durchzuführen, um die Demokratisierungsbemühungen
der Wahid-Regierung bewerten zu können.
xxxix

xl Vorwort
Danksagung
Bedanken möchte ich mich vor allem bei den knapp 100 - meist indonesischen -
Interviewpartnern. Nur eine Hand voll waren zu Interviews nicht bereit oder waren
zu beschäftigt. Die meisten von ihnen - NGO-Aktivisten, Vertreter von religiösen
und von Studentenorganisationen, Parlamentarier, Wissenschaftler, Staatsbedienstete
und sogar einige Generäle - gaben sehr freundlich und bereitwillig Auskunft. Ein
besonderer Dank gilt außerdem dem Institute of Southeast Asian Studies in Singapur,
das mich einige Monate als Visiting Associate aufnahm, den Mitarbeitern des
Institute for Social Transformation (INSIST) sowie Dr. Lance Castles und Prof.
Herbert Feith in Yogyakarta, Daniel in Surabaya, Soni in Denpasar, den Mitarbeitern
von Cides, vom CSIS, vom ISAI und vom DPR-Wissenschaftlerstab des P3I
(Pusat Pengkajian dan Pelayanan Informasi) sowie der Public-Relations-(Humas-)
Abteilung des DPR (sämtlich in Jakarta).
In Deutschland haben mir u.a. Prof. Ingrid Wessel vom Fachbereich Asien-/Afrikawissenschaften
der Humboldt-Universität Berlin, Dr. Werner Pfennig und Dr. Mark
Suh vom Fachbereich Politikwissenschaft (Arbeitsstelle China) an der FU Berlin,
Watch Indonesia! (insbesondere Alex, Pipit und Komang) sowie natürlich mein
Doktorvater Prof. Rainer Tetzlaff vom Institut für Politikwissenschaft der Universität
Hamburg sehr geholfen.
Ohne die finanzielle Unterstützung durch den DAAD wäre der lange Aufenthalt in
Singapur und Indonesien nicht möglich gewesen.
Kurz vor der Drucklegung gaben mir u.a. Prof. Jürgen Rüland, Prof. Bernhard
Dahm, Prof. Rolf Hanisch, Manfred Fenner und Hartmut Dürste noch einige wichtige
Hinweise.
Bei der Manuskriptbearbeitung, das heißt beim Korrekturlesen und bei der Textgestaltung,
haben Vera Rathje bzw. Elisabeth Fatty sehr geholfen.
Anmerkung zur Transkription, zur Schreibweise und zu den biographischen
Hinweisen
Bei der Rechtschreibreform des Jahres 1972 sind einige Buchstaben oder Buchstabenfolgen
ersetzt worden: Aus "tj" wurde "c", aus "oe" wurde "u", aus "ch" wurde
"kh", aus "dj" wurde "j", aus "j" wurde "y" und aus "sj" wurde "sy".
Bei Eigennamen ist mit Ausnahme der Literaturangaben die neue Rechtschreibform
gewählt worden: also z.B. "Suharto" statt "Soeharto" und "Suryajaya" statt "Soerjadjaja".
Außerdem wurde in dieser Arbeit bei Personennamen i.d.R. der Familienname gewählt.
Also bei Abdurrahman Wahid wurde z.B. nicht, wie es Indonesier auch in
Fachbüchern häufig tun, von "Abdurrahman", sondern von "Wahid" gesprochen.
Bei biographischen Hinweisen wurde u.a. auf folgende Quellen Bezug genommen:
Leifer 1995, TEMPO 1986, Sekretariat Jenderal DPR RI 1997, Malley 1998, verschiedene
Ausgaben von Indonesia, Forum Keadilan, Tempo, Gatra etc.

Vorwort xli
In dieser Arbeit wurde aus stilistischen Gründen durchgängig die maskuline Form
gewählt (also "indonesische Arbeiter" statt "Arbeiter und Arbeiterinnen" oder statt
"ArbeiterInnen").

Einleitung
Warum Indonesien?
Indonesien ist mit einer Landfläche von 1,92 Mio. km² (bei einer Gesamtfläche von
fast 10 Mio. km²) eines der größten Länder der Erde. 1995 lebten in Indonesien
194,8 Millionen Menschen, davon 59% in Java, was etwa 900 Bewohnern/km² entspricht.
1 Im Jahre 2001 dürfte die Einwohnerzahl auf ca. 210 Millionen gestiegen
sein. Der Archipel besteht aus 17.508 Inseln, von denen allerdings die meisten unbewohnt
sind. Es werden 583 Sprachen und Dialekte von mehreren Hundert Ethnien
gesprochen, allerdings nur 13 Sprachen haben jeweils mehr als eine Million Sprecher.
2
Es gibt kein Land, in dem mehr Muslime leben, nämlich 170-175 Millionen. 3 Nach
dem Zensus von 1990 sind 87,2% der Indonesier Muslime, 6,1% Protestanten, 3,6%
Katholiken, 1,8% Hinduisten, 1,0% Buddhisten, und 0,3% werden unter "andere"
aufgeführt. 4 Es gibt im Islam liberale nichtislamistische Strömungen, und gerade in
Indonesien hat sich eine relativ tolerante, z.T. auf synkretistischen Vorstellungen
aufbauende Islaminterpretation weitgehend durchgesetzt. Trotz des zahlenmäßigen
Übergewichts der Muslime hat Indonesien eine eigene Staatsphilosophie (die "Pancasila"),
in der verschiedene monotheistische Glaubenssysteme einander gleichgestellt
sind.
Trotz der politischen und zahlenmäßigen Vorherrschaft der Javaner hat der multiethnische
und multireligiöse Inselstaat eine eigene, zu Beginn dieses Jahrhunderts
nur von wenigen Indonesiern gesprochene Nationalsprache ("Bahasa Indonesia").
Indonesien ist OPEC-Mitglied und gilt nach Ansicht vieler Experten als eine der
potenziell größten Wirtschaftsmächte des 21. Jahrhunderts. Allerdings beherrscht in
diesem Land eine kleine, politisch ohnmächtige sinoindonesische Minderheit große
Bereiche der Volkswirtschaft. Der moderne Turbokapitalismus ging mit einem
scheinbar sanften javanischen Patrimonialismus eine einzigartige Synthese ein. Das
führte zum einen zu einem von der Weltbank und dem IWF hoch gelobten wirtschaftlichen
Erfolg, zum anderen war das ein idealer Nährboden für Nepotismus und
Korruption (Indonesien als "Weltmeister der Korruption"), was letztlich in der Asienkrise
katastrophale Folgen hatte.
1 Biro Pusat Statistik 1997c, 39.
2 Department of Information 1997, 15ff. All diese Zahlenangaben schwanken beständig und sind Gegenstand
wissenschaftlicher Kontroversen. In anderen Publikationen ist von 450 oder von nur 200 verschiedenen
Sprachen und Dialekten die Rede, wobei die Unterscheidung zwischen "Sprache" und "Dialekt"
i.d.R. nicht expliziert wird.
3 Nach dem Zensus von 1980, nach dem zum letzten Mal diese Zahlen publiziert wurden, bestand die
Bevölkerung zu 87% aus Muslimen, zu 9% aus Christen, zu 2% aus Hinduisten und zu 1% aus Buddhisten.
4 Thaba 1996, 70.
xlii

Einleitung xliii
Die Neue Ordnung, also das Suharto-Regime von 1965 bis 1998, war in vielerlei
Hinsicht ein einzigartiges politisches System, das auf einem ebenso einzigartigen
Gesellschafts- und Politikmodell gegründet war. Das Militär weigerte sich hartnäckig
- gestützt auf die Doktrin der Doppelfunktion (dwifungsi) -, sich aus den eigentlich
zivilen Bereichen zurückziehen. Es war aber keine von einer Junta geführte
Militärdiktatur, sondern ein militaristisches System mit einer immer stärker werdenden
zivilen Komponente. Staatspräsident Suharto war darin der königgleiche, allwissende
und stets lächelnde Landesvater. Es ist faszinierend zu sehen, dass noch
Ende des 20. Jahrhunderts Suharto tief in der hindubuddhistisch geprägten javanischen
Kultur verwurzelt war und dass sich die politische Herrschaft auch auf den
Machtkonzeptionen alter Patrimonialkönigreiche gründete.
Indonesiens Neue Ordnung stützte sich auch auf Terror und Gewalt. Heinsohn rechnet
dieses Land sogar zu den "führenden Demozidnationen in der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts". 5 Am Anfang der Suharto-Herrschaft wurden mindestens 500.000
(z.T. vermeintliche) Kommunisten niedergemetzelt, seit 1975 starben in Ost-Timor
wahrscheinlich mindestens 200.000 Menschen, und in den über drei Jahrzehnten seit
1965 wurden Oppositionelle bespitzelt, ohne Prozess inhaftiert, gefoltert und ihrer
Bürgerrechte beraubt. Trotz alledem wäre es zu einfach, dieses Land nur als Unrechts-
und Terrorregime zu beschreiben. Auffallend war immerhin ein hohes Maß
an Zustimmung aus allen Schichten der Bevölkerung.
Trotz all dieser - nicht nur politikwissenschaftlich - aufschlussreichen indonesischen
Spezifika weiß man in Deutschland nur sehr wenig über dieses Land. Nur Sukarno
und Suharto - und neuerdings auch Habibie, A. Wahid und Megawati Sukarnoputri -
dürften sich außerhalb der Landesgrenzen einen Namen gemacht haben.
Anmerkungen zum Zweck dieser Arbeit
Es gibt bisher keine zusammenfassenden wissenschaftlichen Darstellungen der Neuen
Ordnung. Lediglich in einigen journalistischen Arbeiten (Vatikiotis 1993;
Schwarz 1994; Kingsbury 1998) finden sich ein kurzer Abriss der indonesischen
Geschichte und eine Beschreibung der Kräfteverhältnisse in der Neuen Ordnung. Es
ist aber noch nicht der Versuch unternommen werden, die Herrschaftsstruktur der
Neuen Ordnung systematisch und unter Einbeziehung der wichtigen herrschenden
und oppositionellen Gruppen darzustellen und zu analysieren. Lediglich Robison
(1985; 1988a; 1988b; insbesondere aber: 1986) versuchte, mit einem neomarxistischen
Ansatz die Herrschaftsstruktur in toto aufzuschlüsseln. Allerdings konzentrierte
er sich dabei fast ausschließlich auf ökonomische Prozesse. Die meisten Autoren
beschränkten sich auf eine kurze Beschreibung der Figuration wichtiger Akteure
(Militär, Suharto, Golkar etc.), ohne sie systematisch und ausführlich zu analysieren.
Bis jetzt ist daher die Beschäftigung mit dem Suharto-Regime für den politisch
Interessierten außerordentlich mühsam. Man muss auf eine Unzahl von Monographien
und Aufsätzen zurückgreifen, um nach langer Zeit (das gilt im übrigen
5 Heinsohn 1998, 184.

xliv Einleitung
auch für die "Gelenkte Demokratie") ein - undeutliches - Mosaikbild zusammensetzen
zu können. Zwar gibt es viele Arbeiten etwa über das Militär oder die Geschäfte
der Suharto-Familie, dafür aber wenig Material über verschiedene religiöse Organisationen
(wie Muhammadiyah, MUI oder KISDI), über Golkar, über Teile der Bürokratie
und besonders über weite Bereiche der Opposition. So gibt es bis heute
keine umfassende Studie über die Opposition in der Neuen Ordnung.
Vor allem in den 90er Jahren begann man, das Suharto-Regime unter dem Gesichtspunkt
der Demokratisierbarkeit zu untersuchen (vgl. etwa: Bourchier/Legge 1994).
Auch in Indonesien selbst erschienen eine Reihe von - sehr vorsichtig formulierten -
Arbeiten über die Möglichkeiten der Demokratisierung (vgl. etwa: Fatah 1994; Hikam
1996; Magnis-Suseno 1995 und 1996; Djiwandono/Legowo 1996; Arfani 1996
etc.). Erst nach dem Sturz Suhartos - im Rückblick - kann aber die langfristige Bedeutung
verschiedener Entwicklungen und Ereignisse in der Neuen Ordnung besser
beurteilt werden.
In dieser Arbeit geht es um die Frage, wie sich die Herrschaftsstruktur der Neuen
Ordnung seit 1965 wandelte und wie es dann in Indonesien zur Einführung einer
parlamentarischen Demokratie kam. Die Hauptthese ist, dass zwar die Asienkrise
letztlich der Auslöser der politischen Transformation war, dass aber vor allem Veränderungen
seit Mitte/Ende der 80er Jahre einen Wechsel und einschneidende politische
Reformen wahrscheinlich und - zuletzt - notwendig machten. Erst in dieser
letzten Phase der Neuen Ordnung entstand eine deutlich erkennbare, aktive Opposition,
die einen breiten Rückhalt bei großen Teilen der Unter- und Mittelklasse hatte. 6
In dieser Arbeit stehen also zwei Fragenkomplexe im Vordergrund der Analysen:
1.) Wie ist die Herrschaftsstruktur der Neuen Ordnung unter Suharto am besten zu
beschreiben? Wie hat sich die Konstellation strategischer und konfliktfähiger Gruppen
und patrimonialer Netzwerke im Laufe der 33 Jahre verändert?
2.) Wie ist es zum Zusammenbruch des Autoritarismus gekommen? Welche Akteure
haben die Demokratisierung unterstützt? Kann sich die Demokratie konsolidieren?
Aufbau der Arbeit
Ein Problem ergibt sich bei der zeitlichen Eingrenzung des Themas. Soll die gesamte
Neue Ordnung seit 1965 oder sollen nur die letzten 10 Jahre, in denen eine starke
Opposition erst entstand, beleuchtet werden? Erst seit Ende der 80er Jahre entstand -
zumindest in Ansätzen - eine Arbeiterbewegung, erwachte die Studentenbewegung
zu neuem Leben, vervielfachte sich die Zahl der NGOs, kam es zu vielfältigen Bauernprotesten
und breitete sich der Demokratisierungs- und keterbukaan-Diskurs aus.
Als am sinnvollsten erwies sich ein Kompromiss: Zum einen werden die letzten 10
Jahre ausführlicher als die vorhergehenden 23 Jahre untersucht, zum anderen wer-
6 Budiman (1994) sieht das Jahr 1988 mit der Entmachtung Benny Murdanis und den Auseinandersetzungen
um die Vizepräsidentschaft mit Naro, Sudharmono und später mit BG Ibrahim Saleh als den entscheidenden
Einschnitt.

Einleitung xlv
den insbesondere bei der Darstellung der Regimekoalition langfristige Entwicklungen
berücksichtigt, um die großen Veränderungen seit Mitte der 80er Jahre besser
verständlich machen und die Besonderheiten des indonesischen Herrschaftssystems
besser schildern zu können. 7
Eine nur chronologische Vorgehensweise ist kaum möglich. Zwar werden immer
wieder, vor allem in den Kapiteln 5, 6 und 7, die Ereignisse in eine zeitliche Reihenfolge
gebracht. Aber im Wesentlichen geht es darum, die verschiedenen Gruppen
und Organisationen, ihre jeweilige Stellung im Herrschaftssystem und ihre jeweilige
Haltung zur Demokratisierung nachzuzeichnen.
Im ersten Teil werden einige theoretische Fragen erörtert. In Teil 1.1 geht es um
Probleme der Demokratietheorie, also um die Frage, wie Prozesse der Demokratisierung
in Ländern der Dritten Welt am besten konzipiert werden können. Etwas ausführlicher
werden die Beziehungen zwischen "Kultur" und "Demokratie" und zwischen
"ökonomischer Entwicklung" und "Demokratisierung" diskutiert, da diese
Aspekte in der sich auf Indonesien beziehenden Debatte von besonderer Relevanz
sind. Zwar spiegelt dieser Teil vor allem die Diskussionen vor dem Sturz Suhartos
wider, die wesentlichen Fragestellungen dürften aber aktuell geblieben sein. 8 Da die
politischen Entwicklungen auf dem Hintergrund der Veränderung der Herrschaftsstruktur
betrachtet werden, geht es im Teil 1.2 darum, verschiedene klassen- und
gruppensoziologische Überlegungen vorzustellen und zugleich in die Modelle zur
Beschreibung der Neuen Ordnung und in die Neopatrimonialismustheorie einzuführen.
Da die Entwicklung der Herrschaftsfiguration 9 der Neuen Ordnung in dieser Arbeit
analysiert werden soll, ist es erforderlich, eine kurze geschichtliche Skizze (in Kapitel
2) einzufügen. Dabei werden nicht einzelne Ereignisse und Personen beschrieben
und vorgestellt. Vielmehr soll vorwiegend die Entwicklung jener Gruppen erläutert
werden, die später in der Neuen Ordnung zur Regimekoalition gehörten, also die
Geschichte der Bürokratie, des Militärs, der Unternehmer (insbesondere der Chinesen,
oder später: Sinoindonesier) und muslimischer Gruppen. 10 Hinzu kommt ein
7
Die Anordnung des Materials erweist sich im Falle Indonesiens als sehr schwierig. Kingsbury (1998,
258) schreibt dazu: "The fact is that Indonesian political life is not simple, and it is effectively impossible
to discuss one aspect without necessarily touching on others. A three dimensional matrix might illustrate
it, but the writing of a book is constrained by a set of methodological abstractions that differ from those
used to construct such a model."
8
Einige Teile der Arbeit wurden vor dem Mai 1998 fertiggestellt. Da nach dem Sturz Suhartos relativ
wenig neues Material zur Neuen Ordnung publiziert wurde, erschien eine umfassende Neubearbeitung
nicht notwendig zu sein.
9
Die Neue Ordnung war ein schwer durchschaubares, vielgestaltiges und sehr fluides Arrangement
sozialer Institutionen. Deshalb wurde der Eliassche Begriff der Figuration gewählt, um diese von interdependenten
Individuen und Gruppen gebildeten Netzwerke zu beschreiben (Elias 1970). Dieser Begriff
bringt gut zum Ausdruck, dass die angesprochenen Beziehungen sich nicht einfach zu einem abstrakten
"System" anordnen, sondern dass es sich um Verflechtungen von Menschen handelt, die Elias als "Menschenwissenschaftler"
beschreibt. Elias verzichtet allerdings auf eine explizite Definition des Begriffes
"Figuration".
10
Im Sinne einer Elitenprofil-, Machtressourcen- und Strategienanalyse (vgl. Schubert/Tetzlaff/Vennewald
1994, 106ff).

xlvi Einleitung
stichwortartiger Abriss der jüngsten politischen Geschichte, der verdeutlichen kann,
dass eine Reihe von Phänomenen und Strukturen eine deutlich erkennbare Vorgeschichte
haben.
In den Teilen 3 und 4 werden vor diesem Hintergrund die verschiedenen Gruppen
und Organisationsformen der Regimekoalition und der Opposition beschrieben. In
Teil 3.1 ist eine Auseinandersetzung mit den Legitimationsmodellen der Neuen
Ordnung vorangestellt, die einen ersten Eindruck von dem Selbstverständnis und
den Herrschaftstechniken der Regimekoalition vermittelt. Die Neue Ordnung hatte
sehr eigentümliche, integralistische Lehren propagiert, deren Kenntnis von fundamentaler
Bedeutung für ein vertieftes Verständnis des Regimes ist. Im Teil 3.2 werden
die einzelnen Phasen der politischen, vor allem aber der wirtschaftlichen Entwicklung
von 1965-98 beleuchtet. Dabei sollte deutlich werden, wie sehr diese einzelnen
Phasen vom Erdölpreis, von ausländischen Investitionen und Krediten und
wirtschaftspolitischen Kurswechseln geprägt waren. Da "Aufbau" ("Pembangunan")
die selbst gestellte Hauptaufgabe des Orba-Regimes war, ist es interessant zu beobachten,
wie dieser Aufbau verwirklicht wurde und welche unterschiedlichen wirtschaftspolitischen
Schulen dabei miteinander konkurrierten.
Es schließt sich ein Abschnitt über den Präsidenten an. Suharto hat das Herrschaftssystem
in fast beispielloser Weise geprägt. Er stand als Neopatrimonialherr an der
Spitze einer Pyramide von Patron-Klient-Beziehungen. In diesem Abschnitt sollen
auch im Anschluss an die kurze historische Skizze in 2 und an die Überlegungen in
1.2 die neopatrimoniale Spitze der Regimekoalition und die verschiedenen Konstellationen
elitärer, unmittelbar von Suharto abhängiger Netzwerke vor Augen geführt
werden. Diese Klüngel in der Umgebung des "Palastes" haben den Lauf der jüngsten
indonesischen Geschichte entscheidend geprägt.
In den folgenden Abschnitten werden die verschiedenen, in der Regimekoalition
zusammengeschlossenen strategischen Gruppen detailliert analysiert. In 3.4 finden
sich Ausführungen zu den großen Unternehmern, also zu den Sinoindonesiern und
den - "genuin indonesischen" - pribumi-Unternehmern. Die in Indonesien in mehrfacher
Hinsicht eigenartige Verteilung der Verfügungsmacht über die Produktionsmittel
und die auffällige Abhängigkeit der Unternehmer von den Partnern in der Regimekoalition
vermögen einen Eindruck von der Macht des Militärs zu geben, das in
Abschnitt 3.5 behandelt wird. Die Umsetzung der Doppelfunktion, die innere Struktur
ABRIs und die Veränderungen in den 90er Jahren werden ausführlich dargelegt.
In 3.6 werden einige Passagen aus dem vorhergehenden Abschnitt über das Militär
in der Verwaltung fortgeführt. Und nach einer allgemeinen Einführung in den Aufbau
und die Fraktionierungen im administrativen Apparat folgen u.a. kleinere Abhandlungen
über zwei sehr einflussreiche Fraktionen, nämlich die Technokraten und
die Nationalisten. Auch in diesem Fall werden Gedanken aus den vorhergehenden
Kapiteln weitergeführt und vertieft.
Die Großunternehmer sowie die Spitzen des Militärs und der Bürokratie lassen sich
ohne Einschränkung zur Regimekoalition rechnen. Schwieriger wird es bei den
religiösen Führern (3.7) und den Politikern (3.8), für die eine häufig sehr ambivalente
Haltung gegenüber der Neuen Ordnung typisch war. In dem Abschnitt 3.7 werden

Einleitung xlvii
die verschiedenen Strömungen im indonesischen Islam, die Beziehung zwischen der
Regimekoalition und den verschiedenen islamischen Gruppen von 1965-98 und die
Entwicklung wichtiger Muslimorganisationen beschrieben. In Teil 3.8 werden die
Geschichte und die Bedeutung der drei politischen Parteien analysiert und die Arbeit
der Parlamente sowie der Stellenwert nationaler Wahlen erläutert.
Eine Zusammenfassung der Ergebnisse in 3.9 schließt das dritte Kapitel über die
Regimekoalition ab.
Im vierten Teil sollen einige der Gruppen und Organisationen vorgestellt werden,
die zusammen die prodemokratische Opposition ausmachten. Der Schwerpunkt
dieser Ausführungen liegt hier deutlich auf den Entwicklungen seit Ende der 80er
Jahre, schon deshalb, weil erst seit dieser Zeit starke, vielfältige und häufig neuartige
prodemokratische Kräfte entstanden. Bevor diese einzelnen Organisationen,
Gruppen bzw. Bewegungen beschrieben und analysiert werden, wird ein kurzer
Überblick über die Geschichte der Opposition bis Ende der 80er Jahre sowie über
die rechtlichen und politischen Beschränkungen ihres Handlungsspielraumes eingefügt.
Es schließen sich Bemerkungen über den Demokratiediskurs in Indonesien und
über außenpolitische und auf die Globalisierung zurückzuführende, demokratiefördernde
Einflüsse an. Am Ende von Abschnitt 4.2 findet sich zudem ein kurzer Überblick
über die Entwicklungsphasen der Opposition von 1988-98, der zu den folgenden
Abschnitten hinführt.
In 4.3 wird der Versuch unternommen, das weite Feld von Organisationen der Professionals,
Politiker und religiösen Führer auszuleuchten. Wegen der großen Vielfalt
von Bewegungen, Protestformen, Resolutionen, charismatischen Einzelkämpfern
und mehr oder weniger regimekritischen religiösen, politischen und Berufsorganisationen
erwies sich eine chronologische Ordnung des Materials als besonders übersichtlich.
Diese Vorgehensweise ermöglichte es zudem, die Vorgänge - und nicht
nur die Herrschaftsstrukturen - in den letzten Jahren der Neuen Ordnung für den
Leser nachvollziehbar zu beschreiben und zu deuten. Dieser Teil zeigt bereits, wie
diffus und für den Beobachter verwirrend die Opposition aufgebaut war und wie
sehr die Grenzen zwischen den verschiedenen Teilen der prodemokratischen Bewegung
verschwommen waren. Deshalb auch werden die NGOs, in denen überwiegend
Studenten und Professionals zusammenarbeiteten, und die Bewegung(en) der politisch
aktiven Studenten, die häufig Professionals in spe waren, in gesonderten Abschnitten
(4.4 und 4.5) behandelt. Die ebenfalls in vielfältigen Formen auftretenden
NGOs waren sehr wichtig für die Demokratisierung in Indonesien, da sie häufig
Vorformen von explizit politischen oder gewerkschaftlichen Organisationen bildeten
und da sie gewissermaßen zum Rückgrat der Opposition wurden. Die Studentenbewegungen,
vor allem die Gruppierungen seit Mitte/Ende der 80er Jahre, müssen
schon deshalb genauer betrachtet werden, weil es vornehmlich Studenten waren, die
im Mai 1998 den Rücktritt Suhartos erzwangen.
In den Abschnitten 4.6, 4.7 und 4.8 geht es um solche sozialen Gruppen und Organisationen,
die ihre soziale Basis nicht in der Mittel-, sondern in der Unterklasse haben.
Wichtig für die Demokratisierung waren in den 90er Jahren Industriearbeiter

xlviii Einleitung
(4.6), von denen sich viele sogar in unabhängigen, also illegalen Gewerkschaften
zusammenschlossen. Die Landarbeiter und Kleinbauern hingegen (4.7) waren relativ
schwach und fast ohne eigene, unabhängige Organisationen. Aber auch sie gerieten
zunehmend in Konflikt mit der Staatsmacht und den kapitalkräftigen Unternehmern.
In Abschnitt 4.8 werden die ebenfalls in diesem Ausmaß neuartigen Unruhen der
90er Jahre kurz analysiert, weil sie Aufschluss über die allgemein gestiegene Unzufriedenheit
mit der Neuen Ordnung geben, und weil an ihnen vor allem in den Städten
lebende arme Menschen, die urban poor, beteiligt waren. Ein kurzer Abschnitt
über die sezessionistischen und regionalistischen Bewegungen, insbesondere in Ost-
Timor, vermittelt nicht nur einen weiteren Einblick in die Brutalität des Suharto-
Regimes, sondern dient der Einordnung dieser ganzen Problematik in die Fragenkomplexe,
die in dieser Arbeit zur Diskussion stehen (4.9).
Auch in diesem Kapitel werden erste Zwischenergebnisse, z.T. mithilfe von Übersichtsdarstellungen,
zusammengefasst (4.10).
Nach dieser ausführlichen Behandlung von Regimekoalition und Opposition, die
nicht in allen Fällen umstandslos voneinander unterschieden werden können, wird
im fünften Kapitel die politische und wirtschaftliche Entwicklung von 1997 bis zum
Mai 1998 dargelegt. Da in diesem Jahr die Herrschaftsfiguration vollkommen verändert
wurde und die indonesische Ökonomie förmlich zusammenbrach, da aber
auch bestimmte Segmente der Regimekoalition und der Opposition z.T. ungeahnte
Aktivitäten entfalteten, sind auch hier detaillierte Beschreibungen notwendig. Vor
allem die Ereignisse im Mai 1998 verdienen besondere Aufmerksamkeit.
Das sechste, kurz gehaltene Kapitel ist den Ereignissen vom 21.5.1998 bis zu den
Präsidentschaftswahlen im Oktober 1999 gewidmet. In dieser wichtigen Übergangsphase
wurden zukunftsweisende Entscheidungen gefällt: Dazu gehörten eine Reform
der Wahl- und Parteiengesetze sowie der Zusammensetzung der Parlamente, aber
auch die Konstituierung neuer Parteien. Der Abriss der Ereignisse gibt wichtige
Aufschlüsse über die beginnende Konsolidierung der Demokratie in Indonesien.
Einige Entwicklungen auf den Außeninseln geben eine Vorstellung von den noch
bevorstehenden Problemen der jungen indonesischen Demokratie.
Das siebte Kapitel ist den ersten 14 Monaten der Regierung Wahid gewidmet. Dabei
geht es vor allem um Probleme bei der Demokratiekonsolidierung. Da bisher wenig
über die Opposition nach dem Mai 1998 erschienen ist, konzentriert sich die Beschreibung
auf intraelitäre Machtkämpfe.
Im letzten, achten Kapitel werden die Gesamtergebnisse zusammengefasst.

Teil I: Theoretische Grundlagen und historische
Wurzeln der Neuen Ordnung
1. Theoretische Vorüberlegungen
1.1 Indonesische Demokratieerfahrungen und ausgewählte
Probleme der Demokratietheorie
In dieser Arbeit sollen nicht nur die Entwicklung und die Struktur der Regimekoalition
und der Opposition beschrieben und analysiert werden, sondern es sollen zugleich
die Faktoren herausgearbeitet werden, die eine Demokratisierung in Indonesien
hemmen oder fördern. Warum war die Demokratisierung in Indonesien lange
blockiert? Warum kam es seit Ende der 80er Jahre zu den in Kapitel 4 beschriebenen
Entwicklungen, also zur Stärkung der prodemokratischen Bewegung? Wie wirkte
sich letztlich die Asienkrise aus, und wäre es auch ohne den ökonomischen Kollaps
zur politischen Öffnung gekommen?
Eine Klärung des Demokratiebegriffs soll am Anfang der Überlegungen stehen.
Demokratie wird in dieser Arbeit verstanden als ein Modus der Herrschaftsregulierung,
der gekennzeichnet ist durch
- freie, allgemeine, gleiche und geheime Wahlen,
- eine weitgehende Gewaltenteilung mit einer unabhängigen Justiz, einer kontrollierten
und rechtsgebundenen Exekutive und einer durch Wahlen legitimierten, von
externen Einflüssen weitgehend unabhängigen Legislative sowie
- die Anerkennung und effektive Durchsetzung unveräußerlicher Menschen- und
Bürgerrechte gemäß dem Katalog der Vereinten Nationen. 1
Diese Minimaldefinition der Demokratie zieht sich wie ein roter Faden durch die
inzwischen umfangreiche Literatur über Demokratie und Demokratisierung in der
Dritten Welt. 2 Dabei bleiben aus Gründen der Operationalisierbarkeit anspruchsvollere,
häufig kommunikationstheoretisch inspirierte Demokratieentwürfe unberücksichtigt.
3
Was aber bedeutet Demokratie in Indonesien, und gibt es Traditionen, auf die man
sich heute in Indonesien beziehen könnte? Während sich in Europa die wesentlichen
1 Vgl. auch Schubert/Tetzlaff 1998, 14. Diese Definition, die zumindest einige Kriterien genauer zu
bestimmen sucht, ist besser operationalisierbar als Definitionen, bei denen in der Tradition Schumpeters
Demokratie als ein politischer Wettbewerb konzipiert wird. Siehe etwa Vanhanen: "Democracy is a
political system in which different groups are legally entitled to compete for power and in which institutional
power holders are elected by the people and are responsible to the people" (Vanhanen 1997, 31).
2 Vgl. etwa Huntington 1991; Diamond et al. 1990; zuletzt: Schmidt 2000, 26.
3 Die Modelle der deliberativen Demokratie fußen i.d.R. auf komplexen kommunikationstheoretischen
Annahmen (wie bei Jürgen Habermas), die den Nachteil haben, dass sie in materialen Studien schwer
operationalisierbar sind. In dieser Arbeit stehen deshalb die Machtverschiebungen zwischen Regime und
Opposition im Vordergrund.
1

2 Theoretische Vorüberlegungen
Institutionen der modernen Demokratie über Jahrhunderte ausbilden konnten, kam
es in vielen Entwicklungsländern zu einem abrupten Übergang von autoritären kolonialen
Systemen zu parlamentarischen Demokratien. Für die Intellektuellen dieser
Länder stellte sich frühzeitig das Problem, auf welchen kulturellen und institutionellen
Fundamenten die jungen Demokratien aufbauen sollten. In Indonesien leitete der
ehemalige Vizepräsident Hatta, bis heute eine der Symbolfiguren der liberalen Demokratie
in seinem Land, seine Demokratiekonzeption u.a. aus einer Form der traditionellen
Dorfdemokratie (rembug desa) ab. 4 Die Debatten über die traditionellen
demokratischen, demokratiekompatiblen oder vordemokratischen Institutionen sind
allerdings wenig aufschlussreich für das Indonesien der Gegenwart, dessen Sozialstruktur
nur noch wenig mit den vormodernen Gesellschaften zu tun hat. 5 Auch eine
Beschäftigung mit dem 1918 eröffneten Volksraad, einem von der niederländischen
Kolonialregierung eingerichteten, relativ machtlosen Parlament, ist wenig ergiebig.
Der Volksraad bestand nämlich zu einem großen Teil aus Nicht-Indonesiern. Nur
etwa 10% der Bevölkerung waren wahlberechtigt, und die führenden Nationalisten
weigerten sich, in dem Scheinparlament mitzuarbeiten. 6 Erst mit dem Zentralen
Nationalen Komitee KNIP hatten die Indonesier eine - nicht gewählte - Volksvertretung,
die eigenständig Entscheidungen treffen konnte. Aber wegen der sehr unsicheren
und wechselhaften politischen Lage - die sich auch in der Arbeit und Zusammensetzung
des KNIP widerspiegelte - war diese Volksvertretung noch kein Modell
für spätere Generationen. 7 Ein kurzer Exkurs über die indonesischen Demokratieerfahrungen
in den 50er Jahren ist demgegenüber weitaus lohnender, zumal sich bis
heute viele Debatten auf diese Phase der indonesischen Geschichte beziehen.
Zunächst soll also ein kurzer Abschnitt über die Bewertung der ersten parlamentarischen
Demokratie (1950 bis 1957) durch die Indonesistik folgen. Die sich ergebenden
grundlegenden demokratietheoretischen Probleme sollen im Anschluss daran
erörtert werden. Dabei werden zwei Fragenkomplexe in den Vordergrund gerückt,
die in der Diskussion über die Neue Ordnung immer eine wichtige Rolle gespielt
haben. Das betrifft zum einen Fragen über den Zusammenhang von wirtschaftlicher
Entwicklung und Demokratisierung und zum anderen die Beziehung zwischen Kultur
und Demokratie.
Erfahrungen mit der parlamentarischen Demokratie im Indonesien der 50er
Jahre
Mit der Unabhängigkeit (1949) und der Etablierung des Einheitsstaates (1950) begann
in Indonesien eine parlamentarisch-demokratische Phase. Es gehörte zu den
grundlegenden Mythen der Neue Ordnung, dass diese demokratische Periode von
Sezessionismus, ökonomischem Misserfolg, einer leistungsschwachen Verwaltung
4 Vgl. Magnis-Suseno 1996, 11f. Die Schrift "Demokrasi kita" (Hatta 1960) ist bis heute für viele prodemokratisch
eingestellte Indonesier ein Schlüsseltext.
5 Vgl. etwa die Beiträge von Mattulada und Parsudi Suparlan in: LP3ES 1986.
6 Vgl. Dahm 1971, 47ff.
7 Vgl. Drooglever 1997.

Indonesische Demokratieerfahrungen 3
und einem Gegensätzlichkeiten fördernden Parteiensystem geprägt gewesen sei.
Demokratie wurde von der Regimekoalition der Neuen Ordnung mit Anarchie,
Schwäche und Konflikthaftigkeit gleichgesetzt. 8 Diese Einschätzung wurde in einigen
Punkten von vielen Indonesien-Spezialisten geteilt.
Zu bedenken ist, dass nach der Weltwirtschaftskrise, der japanischen Besatzung und
den kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Niederländern der Staatsapparat
kaum handlungsfähig war. Anderson meint, dass wegen dieser Schwäche notgedrungen
ein parlamentarisches System eingeführt werden musste:
"It could easily be argued that parliamentary democracy survived in Indonesia until about
1957 simply because no other form of regime was possible. There was no coherent civil
bureaucracy. No dominant nationwide political party had emerged. No centralized, professionalized
armed forces (including an industrial navy and air force for archipelagic
control) existed, capable of seizing power." 9
Die Einführung der Demokratie war demnach also lediglich eine Notlösung, die von
vielen Indonesiern von Beginn an auch so begriffen wurde. Feith meint:
"[...] the basic principle of constitutional democracy had never gained acceptance in Indonesia,
except from a small group of leaders. The idea of institutionalized opposition, in
particular, was regarded as foreign." 10
Sie, die parlamentarische Demokratie, entsprach also weder dem Verständnis und
den Bedürfnissen eines großen Teils der Bevölkerung noch dem der politischen,
religiösen, bürokratischen und militärischen Eliten. Auch nach Ansicht vieler Experten
passten die Werte und Institutionen der "westlichen Demokratie" nicht zur traditionellen
indonesischen, insbesondere javanischen Kultur. Benda 11 , einer der führenden
Indonesisten jener Zeit, stellte in einer Besprechung des Feith-Buches über
"The Decline of Constitutional Democracy in Indonesia" 12 dessen Titel grundsätzlich
in Frage. "Niedergang" würde bedeuten, dass es eine Demokratie gegeben habe,
nach Benda aber zeigte die gesamte indonesische Geschichte, dass die parlamentarische
Demokratie viel zu früh eingeführt wurde:
"But on balance I believe that the fate of an intrinsically alien political framework must be
primarily understood in terms of Indonesian historical continuity rather than in terms of a
contemporary élite contest. From this point of view the question «Why did democracy fail
in Indonesia?» appears less meaningful than its opposite, «Why should it have survived?»"
13
Gemäß diesem kulturalistischen Ansatz sind hitzig diskutierende Parlamentarier und
kompetitive Parteiensysteme grundsätzlich als fremdartig und als mit der indonesi-
8 Bourchier 1994.
9 Anderson 1990, 102.
10 Feith 1963, 324.
11 Benda 1964.
12 Feith 1962.
13 Benda 1964, 167.

4 Theoretische Vorüberlegungen
schen Kultur unvereinbar einzustufen. 14 Neben diesen auch von den Orba-Ideologen
aufgegriffenen, konservativen Erklärungen gibt es andere Deutungen des Zusammenbruches
bzw. des Scheiterns der ersten indonesischen Demokratie. So gibt es
Interpreten, die einzelne politische Akteure für den Niedergang verantwortlich machen.
Die eigentlich funktionierende parlamentarische Demokratie sei demnach von
Sukarno, der Militärführung und Teilen der PKI (der Kommunistischen Partei) und
der Bürokratie ohne Not zu Zwecken des Machterhaltes und -erwerbs abgeschafft
worden. 15 Sundhaussen z.B. schrieb im Jahre 1989:
"[...] there has been a potential for democratic government in Indonesia, and [...] the embryonic
democratic system once in existence in Indonesia was, essentially, not destroyed
by all sorts of sinister antidemocratic forces but, in the first place, gambled away by indecisive,
selfish, narrow-minded, and incompetent politicians [...]" 16
Dies ist die Interpretation, die in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. 17
Eine andere, nicht dazu im Widerspruch stehende Lesart führt den Zusammenbruch
auf die ökonomische und politisch-institutionelle Unterentwicklung Indonesiens
zurück.
Seit den 80er Jahren, mehr noch seit Anfang der 90er Jahre, hat sich in der Indonesistik
die Tendenz abgezeichnet, den Niedergang nicht mehr als quasi unabwendbare
Entwicklung zu beschreiben. Herbert Feith z.B., der in seinem Hauptwerk die liberal-demokratische
Periode der neueren indonesischen Geschichte mit großem Pessimismus
- wenn auch nicht aus kulturalistischer Perspektive - analysierte, war später
bei weitem nicht mehr so düster gestimmt. Er unterstrich Anfang der 90er Jahre
die Stärken und Erfolge der ersten und bisher einzigen indonesischen Demokratie.
Dazu gehörten:
- die Erfolge in der Bildungspolitik, bei der Inflationskontrolle und im Handel,
- das fast völlige Fehlen von extremistischen Bewegungen sowie von religiösen und
rassischen Spannungen,
- der effektive Schutz der Menschenrechte, die freie Presse und unabhängige Gerichte,
14 Gemeint ist die Unterscheidung zwischen kulturalistischen Ansätzen, die die sozioökonomischen
Verhältnisse primär als Sinnverhältnisse deuten, und Modellen, die einen Primat sozioökonomischer
Faktoren postulieren und die javanische Machttheorie, den Patriarchalismus, die Strategien der Konfliktvermeidung
etc. als von diesen Faktoren abhängig begreifen.
15 Feith (1963, 398) zählt jene Personengruppen auf, die von der Abschaffung der Demokratie profitierten:
"Those who have gained from this whole pattern of change are not merely a handful of men, a few
thousand of the ninety-seven million Indonesians. On the contrary, the group of beneficiaries includes a
large segment of the swollen civil and military bureaucracy, the personnel of government firms, various
categories of private businessmen to whom the politician-bureaucrats are indulgent, and certain religious,
cultural, and professional groups with access to the powerful. This is certainly a significant proportion of
the country's effective political public, the two million or so - mainly city dwellers of relatively high
school status - who read newspapers and have opinions on national politics."
16 Sundhaussen 1989, 467.
17 Vgl. die Beiträge in: Bourchier/Legge (Hg.) 1994. Ironischerweise wurden zwei der Hauptverantwortlichen
für den Übergang zur Diktatur Symbole der Demokratiebewegung in Indonesien, nämlich General
Nasution und Sukarno.

Indonesische Demokratieerfahrungen 5
- das hohe Niveau des politischen Diskurses, die große Bedeutung des Parlamentes
und freier politischer Wahlen. 18
An anderer Stelle hat Feith 19 beschrieben, wie pragmatisch und demokratisch die
politische Führung in den Jahren der parlamentarischen Demokratie in Indonesien
gewesen ist. Die meisten Politiker ähnelten in den ersten Jahren dem pragmatisch
orientierten Mohammad Hatta, der 1945 Vizepräsident geworden war und danach
kurze Zeit auch das Amt des Premiers innehatte. Sie orientierten sich an einer Politik
der wirtschaftlichen Konsolidierung und suchten den Ausgleich mit westlichen Regierungen,
insbesondere mit den Niederländern. "Demokratie" wurde von ihnen als
ein geeigneter Konfliktlösungsmodus betrachtet. Ihr Pragmatismus äußerte sich auch
in der Art der Regierungsbildung. Obwohl zwischen 1950 und 1957 sieben verschiedene
Kabinette gebildet worden waren, ist das Bild von ständigen, turbulenten
Umbesetzungen falsch. 20 Viele nicht parteigebundene Politiker sowie Mitglieder der
Katholischen und der Protestantischen Partei wurden wiederholt in Ministerämter
berufen. Außerdem führten Regierungswechsel nicht zu völlig veränderten Politiken:
Sämtliche Koalitionen wollten in den ersten Jahren den wirtschaftlichen Aufbau
mit ähnlichen Programmen vorantreiben, und außenpolitisch war eine vorsichtige
Anlehnung an den Westen die vorherrschende Haltung.
Auch die freien nationalen Wahlen im Jahre 1955 - über die in der Neuen Ordnung
wenig gesprochen wurde - wurden von Anderson wie von Feith als außerordentlich
fair und als weitgehend gewaltfrei eingestuft. Anderson sprach sogar von den offensten
und kompetitivsten Wahlen, die in Südostasien je stattgefunden hätten. 21
Zwar führten diese Wahlen zu einer über Jahre anhaltenden Instabilität, weil die vier
größten politischen Parteien wechselnde Koalitionen eingingen und sich weniger als
zuvor auf gemeinsame Politiken einigen konnten. Die Wahlen hatten aber einen
mäßigenden Einfluss auf die radikaleren Kräfte, insbesondere auf die PKI. Anderson
wagt deshalb die These, dass 1964 abgehaltene Wahlen wahrscheinlich das Massaker
von 1965/66 verhindert hätten. 22
Auch eine der prominentesten Figuren der Demokratiebewegung in Indonesien, der
Anwalt und Menschenrechtler Adnan Buyung Nasution, hat versucht, das von der
Neuen Ordnung präsentierte Bild von eigensüchtigen, undemokratischen und ständig
miteinander streitenden Politikern zu korrigieren. In seiner Dissertation 23 über
die Verfassunggebende Versammlung (Konstituante), die vom November 1956 bis
zum Juni 1959 arbeitete, bevor sie von Sukarno aufgelöst wurde, bringt er einige
Einwände gegen dieses Argumentationsmuster vor. Die Konstituante, die von Politologen
und Historikern kaum beachtet worden ist, hatte sich ohne nennenswerte
Konflikte und Meinungsverschiedenheiten auf die Festschreibung von 19 Men-
18
McVey 1994; Feith 1994 sowie Interviews mit H. Feith und Lance Castles am 18. und 23.8.1997 in
Yogyakarta.
19
Feith 1963, 312ff.
20
Cribb/Brown 1995, 60ff.
21
Anderson 1996, 29.
22
Anderson 1996, 31.
23
Nasution 1992.

6 Theoretische Vorüberlegungen
schenrechten geeinigt; außerdem hatte sie eine Rückkehr zur Verfassung von 1945
abgelehnt. Vor allem die Haltung zu Menschenrechtsfragen war offensichtlich noch
wenig beeinflusst von integralistischen, antidemokratischen Vorstellungen.
Was hat nun im Einzelnen zum Niedergang bzw. zum Zusammenbruch der Demokratie
geführt? Neben den für Entwicklungsländer typischen wirtschaftlichen Problemen
sind folgende Faktoren bzw. Entwicklungen zu nennen:
- die zwar nicht separatistischen, aber antizentralistischen, regionalistischen Bewegungen
auf den Außeninseln,
- die zunehmende Bedeutung des Militärs wegen dieser Bewegungen,
- die zunehmende Stärke der PKI,
- die antidemokratische Haltung von Teilen des Militärs (das seit seinem Bestehen
eine mehr als nur militärische Rolle spielen wollte), der Bürokraten und der Populisten
(unter ihnen vor allem Sukarno),
- die Polarisierung zwischen verschiedenen sozialen und politischen Strömungen
(aliran), die durch den langen Wahlkampf verstärkt wurde,
- die Aufblähung des Verwaltungsapparates und der unzureichende Personalabbau
in den Streitkräften. 24
Kahin 25 nennt - neben den bereits angeführten Faktoren - einige auf die Verfassung
und die Parteienstruktur bezogene Gründe für das Scheitern der parlamentarischen
Demokratie:
- 1950 bis 1956 saßen im Parlament nicht gewählte, sondern ernannte Politiker.
- Die Rolle des Präsidenten war in der Verfassung von 1950 z.T. nur vage definiert.
Sukarno hatte das Recht, den so genannten formateur mit der Bildung eines Kabinetts
zu beauftragen und dann, auf dessen Vorschlag hin, den Premierminister zu
ernennen. Außerdem konnte der Präsident, der niemandem verantwortlich war (ähnlich
wie der niederländische Monarch), das Parlament auflösen und somit Neuwahlen
erwirken, und er konnte den Ausnahmezustand ausrufen. Sukarno konnte direkt
und indirekt Druck auf die jeweiligen Kabinette ausüben und in der Phase der Transition
zur Gelenkten Demokratie zusammen mit dem Militär das Parlament und die
Parteien weitgehend ausschalten.
- Die Verfassung war von Anfang an phantasielos konstruiert worden, und das
Mehrparteiensystem sowie das Verhältniswahlrecht war den indonesischen Bedingungen
nicht angepasst.
- Das Verhältniswahlrecht hatte außerdem die Macht der politischen Elite über die
regionalen Subeliten, die sich eher der Führung in Jakarta als den Wählern in ihrem
Wahlbezirk verpflichtet fühlten, gestärkt.
- Es hatte keine geeinte nationalistische Organisation und keine sämtliche Akteure
vereinende politische Theorie oder Programmatik gegeben. Die Transition bis
1949/50 war disruptiv und wenig organisiert verlaufen.
- Die politische Elite war auf staatliche Ressourcen (Importlizenzen, Kredite) für die
Parteienfinanzierung und für die Verteilung von Patronageleistungen angewiesen.
24 Feith 1963, 314ff.
25 Kahin 1963², 601-635.

Indonesische Demokratieerfahrungen 7
- Die Parteien (mit Ausnahme der PKI und der PSI 26 ) waren Patronagenetzwerke, in
denen verschiedene Faktionen miteinander konkurrierten. Die ohnehin schon
schwachen Koalitionen wurden zusätzlich durch innerparteiliche Kämpfe destabilisiert.
Für den Untergang der ersten indonesischen Demokratie lassen sich also eine Reihe
von nachvollziehbaren, empirisch überprüfbaren Ursachen benennen. Und diese
Demokratie war nicht von vornherein - wie von Benda behauptet - zum Scheitern
verurteilt. Bei solchen kulturalistischen Interpretationen, die häufig kulturpessimistisch
ausgerichtet sind, ist ein hohes Maß an Skepsis angebracht. Dabei ist der Verweis
auf kulturspezifische Verhaltensmuster und Wahrnehmungsweisen durchaus
ernst zu nehmen. Im Folgenden sollen daher zwei Probleme beleuchtet werden. Zum
einen das des Einflusses bestimmter Kulturmuster, zum anderen das des Verhältnisses
zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Demokratie. 27
Probleme der Demokratietheorie
Demokratie und Kultur: Die javanische Weltanschauung und der Islam
Die Debatten über den Zusammenhang zwischen Demokratie und Kultur in Indonesien
konzentrieren sich auf zwei Komplexe. 28 Zum einen geht es um die Spezifika
der javanischen Kultur, die sehr häufig als aristokratisch, patriarchal und antidemokratisch
eingestuft wird. Zum anderen beschäftigt man sich mit der Frage, ob der
Islam, insbesondere in seiner indonesischen Variante, überwiegend demokratische
oder antidemokratische Einstellungen und Verhaltensformen begünstigt.
Kulturalisten nehmen offenbar an, dass die Kultur als eine "Urkraft" wirkt. Danach
sind die für einen bestimmten Kulturraum typischen Verhaltensformen und Wahrnehmungsmuster
- sowie die von diesen abhängigen Herrschaftsstrukturen und
Herrschaftsstile - kaum wandelbar. Kulturen sind demnach statisch, die durch die
Globalisierung ausgelösten Wirkungen sind relativ schwach, und selbst innergesellschaftlicher
wirtschaftlicher und sozialer Wandel hat einen unerheblichen Einfluss
auf tief verankerte Grundüberzeugungen. 29 Häufig meinen Kulturalisten mit dem
26 Partai Sosialis Indonesia.
27 Vgl. Crouch (1994b): Er unterscheidet zwischen drei Ansätzen: einem strukturalistischen (angesprochen
sind hier in erster Linie Klassen), einem elitetheoretischen (gemeint ist die Bedeutung der Zusammensetzung
und der Verhaltensweisen der Machteliten) und einem kulturalistischen Ansatz, mit dem die
in den Habitus eingeschriebenen und das soziale Handeln prägenden Verhaltens- und Wahrnehmungsformen
analysiert werden.
28 Nachgezeichnet werden hier die Debatten bis 1998. Seither ist der javanische Kulturalismus auf dem
Rückzug. Noch heute stellen aber viele Konservative mit solchen kulturalistischen Argumentationsformen
die Demokratie in Frage. Die Islam-Demokratie-Debatte ist mit dem Aufkommen islamistischer
Gruppierungen seit 1998 immer noch sehr aktuell.
29 Vgl. auch Pye 1985; Anderson 1972a. Die gesamte Asianismusdebatte dreht sich um diesen Kulturalismus.
Vgl. zur Kritik am Asianismus die Beiträge von: Pfennig 1996; Senghaas 1996; Buruma 1996. Es
sei in diesem Zusammenhang nur erwähnt, dass die autoritären Systeme in der Dritten Welt, die sich so
gerne vom "westlichen" Demokratiemodell distanzieren, schon seit langem vieles aus dem Westen übernommen
haben: den modernen Nationalstaat, die im Weberschen Sinne moderne Organisation der Ge-

8 Theoretische Vorüberlegungen
Begriff "Kultur" sogar lediglich auf den religiösen Bereich eingegrenzte Wertesysteme.
30
Besonders die javanische Religion oder Weltanschauung steht seit langem im Verdacht,
im Sinne dieses Kulturalismus eine Demokratisierung zu erschweren oder gar
zu verhindern. 31 Dabei ist die Feststellung, dass viele Javaner zur Konfliktvermeidung
tendieren, Ältere und Höhergestellte verehren und großen Wert auf harmonische
Beziehungen legen, sicher richtig. Entscheidend ist aber, ob diese Verhaltensweisen
und Wahrnehmungsschemata unwandelbar und für alle Bevölkerungsschichten
gleichermaßen gültig sind. Vor allem ist zu fragen, ob nicht diese Kulturmuster
durch Herrschaftseliten geprägt wurden und weiterhin am Leben gehalten werden.
Und selbst wenn diese javanischen Verhaltensweisen der Konfliktvermeidung und
des Harmoniestrebens wirklich das Handeln breiter Bevölkerungsschichten prägen,
ergeben sich dann daraus notwendig antidemokratische Haltungen? Für eine erhebliche
Skepsis gegenüber den Kulturpessimisten sprechen folgende Argumente:
1.) Die angesprochenen Kulturmuster gelten für viele Kulturen der Außeninseln
(also für Bataker, Minangkabau etc.) nicht, und in Java gelten sie am ehesten noch
in der Zentralregion um Yogyakarta.
2.) Es handelt sich um eine aristokratische priyayi-Kultur, die zwar als Hegemonialkultur
bis in jedes Dorf "ausstrahlt", den meisten Bauern aber die Möglichkeit lässt,
Elemente des "Groben" und "Einfachen" (kasar), also des in gewisser Weise Antiautoritären,
zu bewahren.
3.) Selbst die von Geertz 32 , Magnis-Suseno 33 , Anderson 34 u.a. beschriebene priyayi-
Kultur stellt nur eine Art Idealmodell dar. Viele priyayi waren zugleich Muslime,
trieben Handel und waren von der europäischen Moderne beeinflusst.
4.) Inzwischen ist die javanische Kultur durch die Schaffung einer Nationalkultur
modifiziert worden. Diese Nationalkultur schließt unterschiedliche Elemente ein:
konservative und aufklärerische Einflüsse aus den Niederlanden, Vorstellungen des
japanischen Faschismus, den "Geist der Revolution", den Populismus Sukarnos,
militärisch-bürokratische Denkweisen, die Vorstellung von Fortschritt und Entwicklung
(pembangunan) und westliche Ideen und Verhaltensmuster vom Kommunis-
richte, der Verwaltung und des Militärs, politische Parteien und Massenmedien. Es ist nicht ganz einzusehen,
warum gerade die "Erfindung" der Demokratie, also ein fairer und institutionalisierter Interessenausgleich,
mit der vermeintlich eigentümlichen Kultur dieser Länder nicht vereinbar sein soll (vgl. Hanisch
1996, 3f). Außerdem basieren Demokratien in viel höherem Maße auf Konsens und auf Interessenkonkordanz
als Diktaturen, selbst wenn diese, wie die Neue Ordnung, Konsensmodelle zu Staatsideologien
erhoben (siehe auch: Djiwandono 1997).
30
Das trifft z.B. auch auf Huntington (1996) zu. Harald Müller (1998) kritisiert dessen Verwendung des
Begriffes "Zivilisation", der in den angelsächsischen Ländern eigentlich "die Wirtschaftsweise, die prägenden
sozialen Beziehungen, die politischen Umgangsformen, die Siedlungsstruktur, das Erziehungswesen,
schließlich auch Religion, Wertesystem und Ästhetik" (Müller 1998, 31) einschließt, aber bei Huntington
auf den Bedeutungsgehalt des spezifisch deutschen Begriffes "Kultur" eingeengt wird.
31
Vgl. etwa die Ausführungen zu Anderson 1972a im nächsten Kapitel und die Überlegungen in Kap.
3.1.
32
Geertz 1960.
33
Magnis-Suseno 1981.
34
Anderson 1972a.

Indonesische Demokratieerfahrungen 9
mus und Sozialismus über den Konsumismus bis hin zu Wissenschaft und liberaler
Demokratie. 35
Auch Magnis-Suseno, der in seinem Hauptwerk 36 selbst zu kulturalistischen Argumentationsformen
neigte, schwächte seine idealtypisch-einseitige Beschreibung der
javanischen Kultur später ab. Er wendet die Argumente der Kulturpessimisten gegen
sie selbst. So hebt er die typisch javanische hohe Toleranzfähigkeit, das intensive
Gerechtigkeitsbewusstsein und die Fähigkeit, Kritik stets zu relativieren, hervor. 37
Die (scheinbare) Unterwürfigkeit vieler Javaner ist folglich nicht in jeder Hinsicht
als Demokratisierungshindernis zu interpretieren:
"Daß Javaner ihren Herrschern immer in vollendeter Demut gegenüber treten, heißt keineswegs,
daß sie ihnen alles glauben, ja sie für besonders weise halten. Jeder Javaner
weiß das, wenn nicht aus eigener Erfahrung, dann zumindest vom wayang-Schattenspiel,
wo die ponokawans, die Diener der edlen Könige und Ritter, sich sehr respektlos über sie
unterhalten. Und wie Javaner im wayang sowohl die Aktionen der Helden als auch die
Künste der Puppenspieler (dalangs) kritisch und genüßlich verfolgen, so sehen sie die
Wahlen und das Staatstheater in Jakarta kritisch und genüßlich an und kommentieren
reichlich und gern. Daß der Präsident vermutlich eine besonders dicke übernatürliche
wahyu (Erwählung) besitzt, hindert die Menschen keineswegs, ihn, wenn sie unter sich
sind, kritisch unter die Augen zu nehmen." 38
Demokratie und Kultur: Der Islam
Während es im javanischen Mystizismus keine explizite Demokratietheorie gibt,
haben sich im indonesischen Islam schon frühzeitig ausgesprochen demokratische
Strömungen herausgebildet. Denn der Islam ist anders als die javanische Weltanschauung
nicht durch priyayi entwickelt und perfektioniert worden. Er war keine
Lehre, die patrimoniale Hierarchien legitimieren sollte. Bei den idealtypisch formulierten
javanischen Herrschaftskonzeptionen und Verhaltenskodizes war die patrimoniale
Ordnung sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen, beim Islam aber gab
es von vornherein mächtige egalitäre und universalistische Gehalte. Diese Lehre war
von Anfang an sowohl mit autoritären als auch mit antiautoritären politischen Haltungen
vereinbar. Schließlich gab es im Islam verschiedene politische Konzeptionen,
die noch heute von vielen indonesischen Muslimen, die der Demokratiebewegung
angehören, vertreten werden. 39 Zu den Schlüsselbegriffen in den Konzeptionen
35 Ähnlich hat auch Mochtar Pabottingi seine Kritik am Java-Kulturalismus formuliert: Macht war in Java
in Wirklichkeit stets zerstreut, und die Machthaber wurden dauernd von Rivalen herausgefordert. Der
Islam hat die hindubuddhistischen Traditionen weitgehend überlagert und verändert, daher gibt es erhebliche
Unterschiede zwischen synkretistischen abangan, orthodox-islamischen santri und aristokratischen,
ebenfalls synkretistisch orientierten priyayi. Seit einigen Jahren lässt sich zudem eine santrinisasi von
priyayi und abangan beobachten. Allerdings räumt auch Pabottingi ein, dass es weiterhin Tendenzen gibt,
keselarasan (Harmonie), kerukunan (friedliches Zusammenleben) und keseimbangan (Gleichgewicht) als
ethische Gebote hochzuhalten und das Verhalten danach auszurichten (Pabottingi 1995, 235ff).
36 Magnis-Suseno 1981.
37 Magnis-Suseno 1996, 15.
38 Magnis-Suseno 1996, 16.
39 Uhlin 1995, 14ff; Abdillah 1997, 250.

10 Theoretische Vorüberlegungen
prodemokratischer Muslime gehören etwa ijtihad (die eigenständige Interpretation
der islamischen Lehre), musawat (Gleichheit), shura (gemeinsame Beratung), ijma
(Konsens) und majlis (Versammlung). Für einen Muslim ist es daher kein Problem,
sämtliche Institutionen der modernen Demokratie aus dem Koran abzuleiten. 40 Auch
wenn indonesische Muslime meist Vorbehalte gegen die individualistische Auslegung
der Menschenrechte äußern, so sind doch viele prominente Aktivisten der
Demokratiebewegung gläubige Muslime. Abdillah fasst die Haltung indonesischer,
islamischer Intellektueller zur Demokratie in seiner Dissertation folgendermaßen
zusammen:
"All Muslim intellectuals in Indonesia accept the term «democracy» and support it as a
system which must be implemented in a Muslim society. Generally, their support for democracy
is based on two reasons. Firstly, its values are in accordance with the Islamic
values on society, especially the concept of shûrâ (mutual consultation). Secondly, it is an
appropriate way of articulating Muslims' aspirations and interests, because the Muslim
community in Indonesia constitutes the majority, while the democratic system is a system
of majority rule." 41
Diese prodemokratische Haltung ist typisch für die von Segmenten der urbanen
Mittelklasse 42 getragene und z.T. spezifisch indonesische Erneuerung ("Pembaruan")
seit den 70er Jahren. Barton schreibt:
"In fact it can be said that throughout the 1970s, the 1980s and on through to the present
Indonesia has experienced a reflective, cognitive, resurgence in Islam [...] a phenomenon
remarkable enough in itself but quite astounding when stood in comparison with the »Islamic
Revival« being experienced by neighbouring Malaysia [...] All in all, the Islam of
this present revival is »moderate«, »liberal« and »progressive«." 43
Für diese Beobachtungen sprechen auch die Erfahrungen des Jahres 1998, als viele
Muslime an der Spitze der Reformbewegung standen. Sowohl die modernistische
Muslimorganisation Muhammadiyah als auch - wenngleich mit einiger Verspätung -
die eher traditionalistische NU sprachen sich für eine grundlegende Demokratisierung
aus. Die islamischen Lehren sind also vielfältig interpretierbar. Das politische
Verhalten vieler Muslime und islamischer Organisationen ist deshalb nicht von
vermeintlich unwandelbaren Inhalten des Islam determiniert, sondern von machtpolitischen
und ökonomischen Interessen geprägt.
40 Interessanterweise sind in Indonesien viele politische Begriffe dem Arabischen entlehnt. Zu diesen
gehören u.a. dewan (Rat), wakil (Vertreter), rakyat (Volk) (daher Dewan Perwakilan Rakyat), hukum
(Gesetz), musyawarah dan mufakat (Beratung und Einmütigkeit), adil (gerecht), aman (sicher), resmi
(offiziell), mahkamah (Gericht), daerah (Region) etc. (Abdillah 1997, 152). Die Termini, mit denen
moderne politische Institutionen und Prozesse bezeichnet werden, sind demgegenüber meist dem Niederländischen
entnommen, wie demokrasi, reformasi, republik, liberal, partai, politik usw., aber auch -
bezeichnenderweise - korupsi, kolusi, nepotisme, krisis etc.
41 Abdillah 1997, 250.
42 Zur Mittelklasse werden all jene gerechnet, die aus der Regimekoalition ausgeschlossen waren und
nicht über größeren Kapitalbesitz verfügten. Anders als etwa in der Klassentheorie von Pierre Bourdieu
gehören deshalb auch viele bekannte und erfolgreiche Professoren, Anwälte, Ingenieure etc. zur Mittelklasse.
43 Barton 1998, 435.

Indonesische Demokratieerfahrungen 11
Wie also lässt sich eine allgemeine Kritik des Kulturalismus formulieren? In Anlehnung
an Kim 44 lässt sich eine methodologische Kritik so zusammenfassen:
- die postulierten Werthaltungen und Verhaltensmuster entspringen oftmals den
Vorurteilen des Beobachters oder sind überlieferte, populäre Fehlinterpretationen,
- viele Kulturmuster sind schlicht Erfindungen der daran interessierten Machthaber,
- die Wandlungsfähigkeit von Kulturen wird unterschätzt, die Beharrungskräfte
werden zu sehr betont,
- die meisten Erklärungen sind tautologisch und
- vermeintlich einzigartige, kulturspezifische Verhaltensformen lassen sich häufig in
ganz unterschiedlichen Kulturräumen finden.
Über den Zusammenhang zwischen Demokratisierung und wirtschaftlicher
Entwicklung
Neben der "Kulturdebatte" gibt es eine solche über den Zusammenhang zwischen
wirtschaftlicher Entwicklung und Demokratisierung. Als erster hat Lipset auf diese
Beziehung aufmerksam gemacht und verschiedene "prerequisites" der Demokratisierung
benannt. 45 Die einfachsten Modelle, die in dieser Theorietradition stehen, konzentrieren
sich lediglich auf die BSP-Höhe oder das Pro-Kopf-Einkommen und
stellen auf dieser Analyseebene bereits deutliche Korrelationen fest. Crouch und
Morley haben auf diese Weise in Bezug auf mehrere asiatische Länder argumentiert.
46
Die Konzentration auf wenige ökonomische Indikatoren ist typisch für relativ simpel
aufgebaute Modernisierungstheorien. Aber schon der Blick auf die politischen Prozesse
in einigen südostasiatischen Ländern zeigt, dass der Zusammenhang zwischen
wirtschaftlicher Entwicklung und politischer Liberalisierung wesentlich komplexer
konzipiert werden muss. 47 Singapur etwa ist ein Paradebeispiel für das Ausbleiben
einer politischen Liberalisierung trotz eines anhaltend hohen wirtschaftlichen
Wachstums. 48 In Singapur gibt es keine großen Einkommensunterschiede und eine
fast vorbildliche Versorgung mit Eigentumswohnungen, Gütern des täglichen Bedarfs
und Bildungseinrichtungen. Trotzdem gibt es kaum ein anderes Land mit einer
so schwach entwickelten Zivilgesellschaft und einer so flächendeckenden Kontrolle
der Bevölkerung. Auch in Malaysia deutet - trotz anhaltenden Wachstums - vieles
auf eine Stärkung des Autoritarismus seit 1969 hin. 49 Und die Ereignisse in den
Philippinen 1986 und in Indonesien 1998 verdeutlichten, dass gerade die ökonomische
Krise zu einer Neustrukturierung des Machtgefüges führen kann.
Komplexer angelegte Ansätze nehmen die Anzahl der Akademiker und Studenten
(noch dazu der Arbeitslosen oder von Arbeitslosigkeit Bedrohten), die sektorale
44
Kim 1997, 1129; vgl. auch: Rüland 1998, 30ff.
45
Lipset 1959; Schubert/Vennewald 1992, 271ff.
46
Crouch/Morley 1992; vgl. zu diesem Zusammenhang auch: Neher/Marlay 1995, 188ff.
47
Auch Rüland 1998, 26.
48
Vennewald 1994.
49
Nach Crouch (1996, 5f) ist das System seit 1969 autoritärer und responsiver zugleich geworden.

12 Theoretische Vorüberlegungen
Aufteilung des BSP und verschiedene Indikatoren der sozioökonomischen Entwicklung
(Mobilität, Massenkommunikation, Bildungsexpansion, Formalisierung und
Monetarisierung der Arbeitsbeziehungen und des Handels, Einfluss westlicher Lebens-
und Konsumstile etc.) auf. Aber selbst vielschichtig angelegte empirische
Untersuchungen, wie die von Vanhanen 50 , führen oft zu unergiebigen, wenn nicht
falschen Ergebnissen. Vanhanen 51 verwendet für die Messung der Demokratie folgende
grundlegende Indikatoren: Anteil der städtischen und der nicht in der Landwirtschaft
arbeitenden Bevölkerung, Anzahl der Studenten, Alphabetisierung, Anteil
der Familienbetriebe in der Landwirtschaft und Konzentrationsgrad bei nichtlandwirtschaftlichen
ökonomischen Ressourcen. Daraus lassen sich dann Indizes über
die berufliche Diversifizierung, die Verteilung des Wissens sowie die Verteilung
ökonomischer Machtressourcen konstruieren. Als kombinierte Indizes ergeben sich
letztlich der Machtressourcen-Index und der IPRI (Index of Power Resources and
Structural Imbalance). Diese Mathematisierung der Demokratisierungsforschung
führt in vielen Fällen zu unbefriedigenden Ergebnissen, da die Konstruktion der
Indizes häufig fragwürdig ist, die verschiedenen Indikatoren nur unzureichend über
die wirkliche Machtverteilung unterrichten und Weltbilder und spezifische Wahrnehmungs-
und Interpretationsweisen ausgeblendet werden. 52
Wie schwierig es ist, solche Korrelationen festzustellen, lässt sich - wie schon gesagt
- daraus ableiten, dass wirtschaftlicher Fortschritt nicht selten eine Festigung autoritärer
Herrschaft nach sich zieht. Die These vom bürokratisch-autoritären Staat etwa
hebt hervor, dass zur Absicherung einer exportorientierten Industrialisierung gerade
die Beschränkung von Freiheitsrechten kennzeichnend ist. 53 Ein anderes Beispiel für
die Inkongruenz zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Demokratisierung sind
Rentierstaaten, in denen die Einnahmen aus dem Export eines oder weniger Güter -
i.d.R. Erdöl - direkt in die Staatskasse fließen. In solchen Fällen kann die Regimekoalition
über immer größere Geldmengen verfügen, ohne dass sie auf Steuerzahler
Rücksicht nehmen müsste. 54
Trotz dieser Kritik wird in dieser Arbeit von der These ausgegangen, dass die soziale
und ökonomische Entwicklung Prozesse auslöst, die eine Demokratisierung erst
ermöglichen. 55 Es lässt sich aber allenfalls eine schwache und nicht eindeutige Korrelation
konstatieren. Tetzlaff schreibt dazu:
50
Vanhanen 1997.
51
Vanhanen 1997, 59ff.
52
Vgl. auch Ersson/Lane (1996, 66), die ebenfalls komplexe Regressionsmodelle verwenden und zu dem
Ergebnis kommen, dass es nicht möglich ist, "[...] to establish a stable relation between democracy and
economic growth or between democracy and the degree of income equality."
53
O'Donnell 1978.
54
Pawelka 1991.
55
Der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Demokratisierung existiert, aber für
Einzelfallstudien ist mit dieser Erkenntnis wenig gewonnen. McLean (1994, 38) formuliert das so: "Both
statisticians and the sociologists have important truths to tell us. The important statistical truth is that
there is a strong tendency for democracy to be associated with national wealth, and for democratization to
be associated with economic liberalization. But this has two limitations: it says nothing about causation,
and it says nothing about the interesting exceptions." Ganz ähnlich: Moore 1995.

Indonesische Demokratieerfahrungen 13
"Eine erfolgreiche sozioökonomische Entwicklung (zunächst unter politisch autoritären
Rahmenbedingungen) erzeugt mit hoher Wahrscheinlichkeit in der zweiten Generation als
Folge zunehmender Arbeits- und Funktionsteilungen so starke soziale Spannungen, daß
der politische Druck von unten zugunsten einer demokratischen Liberalisierung oder Öffnung
des Systems permanent wird." 56
Diese Spannungen ergeben sich aus verschiedenen Modernisierungseffekten. Dazu
gehören u.a. der Ausbau des Bildungssystems, die Verdichtung der nationalen und
internationalen Verkehrs- und Kommunikationsnetze, eine fortschreitende Arbeitsteilung
und die Entstehung neuer Funktionseliten. Mit zunehmender Komplexität
steigt der Regulierungsbedarf:
"Steuergesetzgebung, Investitionsgesetze, Baugenehmigungen und Geschäftslizenzen betreffen
immer mehr wirtschaftlich aktive Personenkreise in einer sich rasch verzweigenden
Branchenstruktur und schaffen neue, vielschichtige, sich von Fall zu Fall verändernde
Interessenkonfigurationen. Mit steigendem wirtschaftlichem «Einsatz» entsteht für die betroffenen
Gruppen der Wunsch, ihre Interessen adäquat vertreten zu wissen." 57
Eine Internationalisierung der Ökonomie und eine Stärkung der nichtstaatlichen
Unternehmen, die sich aus der Privatisierung der Staatsunternehmen und der Expansion
des produktiveren privaten Sektors ergeben, bewirken eine höhere Unabhängigkeit
der Mittelklasse, deren Angehörige verstärkt im privaten Sektor Arbeit finden
können. Dieser Zusammenhang bildet die Grundlage für die Mittelklassethese. 58
Das heißt für die auch in Indonesien weit verbreitete Vorstellung, dass die Mittelklasse
der eigentliche und wichtigste Agent der politischen Liberalisierung sei und
dass eine Gesellschaft ohne eine "breite Mitte" fast zwangsläufig zum Autoritarismus
tendiere. 59 Bei diesem Ansatz wird zwar die Bedeutung ökonomischen Wandels
hervorgehoben, allerdings wird der Akzent von wirtschaftsstatistischen Indikatoren
auf die Bedeutung sich verändernder Herrschaftsfigurationen verschoben.
56 Tetzlaff 1992, 15.
57 Rüland 1994a, 272.
58 Zur indonesischen Mittelklasse vgl. auch: Mackie 1990a und b; Lev 1990; Young 1990. In Gatra gab
es eine längere Auseinandersetzung zwischen westlichen Indonesisten über die Bedeutung der Mittelklasse
für die Demokratisierung (Gatra 4.1., 11.1., 12.4., 3.5., 31.5.1997, mit Beiträgen von Raillon, Mackie,
Crouch und Liddle).
59 Dick hat schon 1985 den Aufstieg einer urbanen Mittelklasse in Indonesien beschrieben (Dick 1985,
75). Er bestimmt die städtische Mittelklasse primär anhand ihres Lebens- oder Konsumstils. Danach sind
der Besitz von Personenwagen, Fernsehern, Kühlschränken etc. weitgehend verlässliche Indikatoren für
die Zugehörigkeit zu dieser Klasse. In den folgenden Jahren entwickelte sich eine lebhafte Diskussion zu
diesem Thema in Indonesien, so dass Ariel Heryanto 1990 bereits einen umfangreichen Literaturbericht
vorlegen konnte (Heryanto 1990). Prodolliet (1996, 288) konzipiert als wichtiges Merkmal der Zugehörigkeit
zur - ländlichen und städtischen - Mittelklasse "[...] die Priorität der Ausbildung gegenüber der
Anschaffung von Konsumgütern." Sie hebt ebenfalls "[...]das Gefühl, sich nicht dauernd am Rande des
Existenzminimums zu bewegen [...]" hervor. "Bildung, insbesondere Mittelschul- und Hochschulbildung,
wird von allen gesellschaftlichen Schichten als die Grundlage für einen sozialen Aufstieg angesehen”
(Prodolliet 1996, 287). Nach Evers/Gerke (1994) zogen die meisten der von ihnen in Java und Sumatra
befragten Indonesier die Linie zwischen Unter- und Mittelschicht bei einem Einkommen von 5.000 Rp.
pro Tag und einer sechsjährigen Schulbildung.

14 Theoretische Vorüberlegungen
Die Demokratisierungsskeptiker verwiesen immer wieder auf den geringen Umfang
der gesellschaftlichen "Mitte" in Indonesien, der besonders im Vergleich zu Ländern
wie Südkorea und Taiwan deutlich wurde. Der konservative Politikwissenschaftler
und Golkar-Politiker Amir Santoso 60 z.B. argumentierte in dieser Weise und bekräftigte
seinen Skeptizismus mit der Feststellung, dass ein großer Teil dieser "Mitte"
noch dazu vom Staatsapparat abhängig sei. 61 Auch Brown/Jones 62 , die vom "Mythos
der liberalisierenden Mittelklassen" sprechen, verweisen auf die häufig abwartende
und am Status quo orientierte Haltung der Mittelklassen in vielen asiatischen Ländern.
63 Dieser Argumentation ist entgegenzuhalten, dass die Demokratiebewegung,
die seit Ende der 80er Jahre immer stärker wurde, vor allem von freien Professionals
getragen wurde. 64 Und die Rolle der verschiedenen Fraktionen der Mittelklasse -
kleine und mittlere Beamte und Angestellte, kleine und mittlere Unternehmer, Mittelbauern,
Professionals, u.U. Studenten, NGO-Aktivisten etc. 65 - in der Demokratisierung
hängt von den jeweiligen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen ab. So können
Unternehmer und Angestellte eine sehr progressive Rolle spielen, sie können
aber auch die Regimekoalition unterstützen. 66
Der Mythos von der tugendhaften Mittelklasse - der auch die Diskussion vieler
prodemokratischer Gruppen in Indonesien in den 90er Jahren bestimmte - hat dazu
geführt, dass andere gesellschaftliche Gruppen aus dem Blickfeld gerieten. 67
Sundhaussen schreibt dazu:
60
Santoso 1997.
61
Außerdem verweist er auf die noch wirksamen Kulturmuster des Feudalismus und die ihm zugrunde
liegenden Patron-Klient-Beziehungen.
62
Brown/Jones 1995.
63
Ähnlich skeptisch, aber differenzierter: Robison/Goodmann 1996; Robison 1996.
64
Wie Cederroth noch dazu gezeigt hat, ist die oft behauptete Abhängigkeit der Mittelklasse differenzierter
zu beurteilen. Sicherlich sind Beamte und auf staatliche Aufträge und Kredite angewiesene Unternehmer
abhängig, doch fragt sich, inwieweit sich daraus langfristig gesicherte Loyalitäten ergeben (Cederroth
1995, 207).
65
Robison unterscheidet zwischen der Mittelklasse der Professionals, Angestellten und Beamten einerseits
(upper middle class und populist lower middle class) und dem Kleinbürgertum (petty bourgeoisie)
andererseits. Nachdem 1926 eine Allianz von Arbeitern und Bauern mit dem Kleinbürgertum katastrophal
geendet war, tendierte das Kleinbürgertum zu nationalistischen, populistischen, stark islamisch
gefärbten, oft antichinesischen und meist nicht antistaatlichen Ideologien (Robison 1996, 90f). Außerdem
ist es sinnvoll, zwischen der urbanen und der dörflichen Mittelklasse zu unterscheiden. Die wohlhabendsten
Dorfbewohner orientieren sich an der Mittelklasse der Distrikt- und Provinzhauptstadt. Die großstädtische
Mittelklasse wiederum fühlt sich der kleinstädtischen überlegen (Prodolliet 1996, 298).
66
Lev (1990) z.B. hat beschrieben, welche Gruppen an der Durchsetzung rechtsstaatlicher Prinzipien
interessiert sind: "[...] entrepreneurs, especially those without direct lines to political power, for the
standard reasons of certainty, regularity, predictability, and low cost efficiency of business operation; [...]
upwardly mobile students for reasons of unemployment [...]; [...] ethnic and religious minorities for
reasons of protection from and equalisation with ethnic and religious majorities; [...] Islamic groups partly
for the same but more subtle reasons, given the evident demographic majority but political subordination
of Islam".
67
Rueschemeyer/Stephens/Stephens (1992, 59) heben in ihrer Studie die Rolle der Arbeiterklasse hervor:
"In the relative class power model of democratization that stands at the center of our analytic framework,
it is a crucial hypothesis that the relative size and the density of organization of the working class - of
employed manual labour outside of agriculture - are of critical importance for the advance of democracy."

Indonesische Demokratieerfahrungen 15
"For instance, the urban working class in abandoning the Marxist prescription of revolution
and adopting instead social-democratic evolution has in modern times done more for
spreading democratic rights than the middle classes. The same discrimination applies to
peasants." 68
Erst in den letzten Jahren haben z.B. Muhammad Hikam und Vedi Hadiz die Bedeutung
von Industriearbeitern stärker hervorgehoben. 69
Jede gesellschaftliche Gruppe kann eine bedeutende Funktion für die Demokratiebewegung
übernehmen. In den folgenden Kapiteln soll eine Vielzahl dieser Gruppen
untersucht werden. Dabei wird es um ihre spezifische Stellung in der Herrschaftsfiguration
der Neuen Ordnung sowie um ihre besonderen Interessen und Ziele gehen.
Mit Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung wird in den folgenden Kapiteln u.a.
herauszuarbeiten sein, dass:
- eine nicht unbedeutende Schicht von Professionals entstanden ist, von denen sich
viele für eine Demokratisierung einsetzten,
- parallel dazu eine zahlenmäßig sehr starke, hinsichtlich ihres Konfliktpotenzials
relativ schwache Industriearbeiterschaft entstanden ist, die die Demokratisierung nur
indirekt unterstützte und förderte,
- die ökonomische Entwicklung eine Bildungsexpansion nach sich zog, die eine der
wesentlichen konfliktfähigen Gruppen hervorbrachte: die politisch aktiven Studenten
der 90er Jahre,
- sich die Stärke und Zusammensetzung der einheimischen Bourgeoisie wesentlich
veränderte und
- die zunehmende Integration in das Weltwirtschaftssystem den Demokratisierungsdruck
erhöht hat und letztlich den Zusammenbruch in der Asienkrise bewirkte.
In dieser Arbeit werden zwar die Spezifika der javanischen Kultur sowie des indonesischen
Islam und deren Manipulation durch die Machthaber der Neuen Ordnung
- soweit das für den Gang der Argumentation sinnvoll ist - dargelegt. Aber ausgehend
von der These, dass die javanische Kultur unzählige Handlungsmöglichkeiten
offen lässt und die islamische Lehre vielfältig interpretierbar ist, werden diese Spezifika
als Randbedingungen der Demokratisierung begriffen. Und die ökonomische
Modernisierung sowie die Krise 1997/98 werden als wichtige Auslöser, nicht aber
als die alles determinierenden Ursachen der Demokratisierung verstanden.
Die Transition soll insgesamt aus mehreren Perspektiven beschrieben werden. 70
Dazu gehört eine Beschäftigung mit spezifischen historischen Weichenstellungen
und mit der Entwicklung der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und ihrer
politischen Konzeptionen. Dazu gehört aber auch eine Analyse der sozioökonomi-
68
Sundhaussen 1996, 40.
69
Interviews mit Muhammad Hikam und Vedi Hadiz am 15.5. bzw. 30.9.1997 in Jakarta. Siehe auch:
Hikam 1995; Hadiz 1993 und 1994.
70
Die Beschreibung der Akteure und der verschiedenen Transitionsformen - unter Einbeziehung einer
Vielzahl unterschiedlicher Faktoren - wurde systematisch durchgeführt in: O'Donnell et al. 1986 und
Diamond/Linz/Lipset 1989 und 1990. Eine Analyse allerdings, die alle erdenklichen Faktoren der Demokratisierung
einbezieht, gerät in Gefahr, zu einer unverbindlichen Auflistung zu werden, bei der die
einzelnen Posten "abgehakt" werden.

16 Theoretische Vorüberlegungen
schen und soziokulturellen Wandlungen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Vor
dem Hintergrund all dieser Faktoren wird die Transition als ein Figurationswandel
konzipiert.
Dazu werden im folgenden Kapitel verschiedene Theorien über die Herrschaftsstruktur
der Neuen Ordnung vorgestellt:
- Die Neopatrimonialismustheorie, die gerade bei der Beschreibung der Neuen Ordnung
außerordentlich einflussreich war. Da mit der Neopatrimonialismustheorie
wesentliche Aspekte des Orba-Herrschaftssystems beschrieben werden können, soll
dieser Ansatz ausgiebig behandelt werden.
- Die Klassentheorie, die in Indonesien selbst tabuisiert war. Außerhalb Indonesiens
versuchten jedoch einige Politologen mit klassentheoretischen Mitteln die Neue
Ordnung zu beschreiben.
- Da es in dieser Arbeit vor allem um die Frage geht, wie man die Auseinandersetzungen
zwischen z.T. relativ instabilen Gruppen mit z.T. kurz- bis mittelfristigen
Zielen am ehesten erfassen kann, soll das Konzept der strategischen und konfliktfähigen
Gruppen zuletzt dargestellt werden. Dieses Konzept ist besonders geeignet,
kurzfristige Figurationswandlungen, also etwa Prozesse der Demokratisierung,
nachzuzeichnen.
1.2 Neopatrimonialismus, Klassen, strategische und
konfliktfähige Gruppen
In diesem Kapitel wird aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven die Herrschaftsstruktur
der Neuen Ordnung beschrieben. Dabei wird der Versuch unternommen,
die Neopatrimonialismustheorie und das Modell der strategischen und
konfliktfähigen Gruppen zu verbinden.
Eine umfassende Analyse der Neuen Ordnung sollte:
- die Neopatrimonialismustheorie mit ihrem Bezug auf das Mataram-Reich, auf die
javanische Kultur und auf die besondere Stellung Suhartos einschließen,
- klären, inwieweit in Indonesien sinnvoll von Klassen gesprochen werden kann,
- über den engeren Zirkel um Suharto hinausgehen und die Stärke und Bedeutung
der an der Regimekoalition beteiligten Gruppen analysieren,
- sich mit der Ressourcenbasis der Herrschaftseliten beschäftigen und
- ein Konzept entwickeln, mit dem man die in den letzten Jahren der Neuen Ordnung
so bedeutende Opposition sowie die Interaktionen zwischen diesen konfliktfähigen
Gruppen und der Regimekoalition beschreiben kann.

Neopatrimonialismus, Klassen, Gruppen 17
Neopatrimonialismus
Die Neue Ordnung wird in der politikwissenschaftlichen Literatur unterschiedlich
bewertet. 71 Es besteht allerdings weitgehend Einigkeit darin, dass die politische
Macht sehr stark zentralisiert war, die nichtstaatlichen Kräfte (private Unternehmer,
Parteien, Verbände, Studenten, Intellektuelle, Bauern etc.) einen relativ geringen
Einfluss auf die Entscheidungsprozesse hatten 72 und dass zu den mächtigsten Personen
die höchsten Militärs, Bürokraten und Politiker sowie die sinoindonesischen
Großunternehmer zu zählen waren. Alle hier berücksichtigten Autoren sind sich
darin einig, dass für das Verständnis der Herrschaftsstruktur Indonesiens eine Analyse
der kolonialen und vorkolonialen Geschichte unentbehrlich ist. Es ist jedoch
strittig, ob die geschichtliche Kontinuität in erster Linie auf bis heute fortwirkenden,
spezifisch javanischen Kulturmustern oder auf den besonderen Herrschaftsinteressen
der Machteliten beruht.
Die patrimoniale Herrschaft, die jahrhundertelang für die Königreiche im indonesischen
Kerngebiet Java typisch war, sowie die sich aus dieser Herrschaftsform ergebenden
und sie verstärkenden Kulturmuster haben auf Indonesisten einen besonderen
Reiz ausgeübt. 73 Die Versuchung, gegenwärtige Prozesse im Vergleich mit diesen
alten Königreichen zu deuten, ist auch heute noch sehr groß. Dabei findet häufig
- vor allem mit Blick auf die Selbstinterpretation und die Rolle Suhartos - ein Rekurs
auf die politische und die Machttheorie der altjavanischen Königtümer statt.
In der offiziellen politischen Theorie der javanischen Patrimonialreiche erwuchs die
Machtvollkommenheit des Fürsten aus seiner Funktion als Mittler zwischen einer
göttlichen Ordnung, dem Makrokosmos, und einer weltlichen Ordnung, dem Mikrokosmos,
die von denselben Prinzipien beherrscht wurden. 74 Die Beziehung zwischen
dem Herrscher (kawula) und seinen Dienern oder Untertanen (gusti) sollte nach
altjavanischer Auffassung wie die zwischen einem fürsorgenden Vater und seinen
Kindern sein. Die kawula-Rolle verpflichtete zur Aufrechterhaltung der harmonischen
Gesamtordnung, indem Störungen des kosmischen Gleichgewichtes beseitigt,
also Rebellen, Banditen und Thronprätendenten im Namen einer höheren Macht
bekämpft wurden.
71 Einen allgemeinen Überblick über die Diskussion geben Robison (1985, 295ff und 1986, 108ff) und
Crouch (1986). Zuletzt Mackie/MacIntyre 1994.
72 Nur Anderson (1983) begreift die Neue Ordnung als ein System, in dem die Herrschaft der Machtelite
nahezu unbegrenzt ist. Er meint, dass es zur Bildung eines solchen "state-qua-state" gekommen sei, weil
in Indonesien ein Nationalstaat nicht entstanden sei. Der Staat agiere "antinational" und sei von der
Gesellschaft nahezu vollkommen isoliert. Demgegenüber heben Emmerson (1983) und Liddle (1987) den
Einfluss von Interessengruppen hervor, die nicht unmittelbar zum Staatsapparat zu zählen sind. Liddle
beschreibt Auseinandersetzungen über die Festsetzung des Reispreises und über das Recht zur Verteilung
von Düngemitteln, in die sich Beamte, Parlamentarier, Produzenten, Konsumenten, Journalisten und
Wissenschaftler einschalten. Die Zentralregierung reagiert auf diese Meinungsäußerungen, so dass Liddle
von einer "antizipierten Partizipation" (Liddle 1987, 143) sprechen kann. Emmerson folgt der Definition
Kings, wonach das autoritäre System der Neuen Ordnung einen begrenzten Pluralismus zulassen müsse.
Er demonstriert das am Beispiel der Verwaltung, in der neben Militärs auch Zivilisten mit ihren Eigeninteressen
vertreten sind.
73 Diese Herrschaftsform wird in Kapitel 2 näher vorgestellt.
74 Moertono 1968, 27f.

18 Theoretische Vorüberlegungen
Diesem als Ideal formulierten Verhältnis zwischen Herr und Diener entspricht die
spezifisch javanische Machtkonzeption. Danach konzentriert sich in der Person des
Herrschers ein Fluidum oder eine Substanz, die ihm durch göttliche Offenbarung
(wahyu) verliehen wird. Die kosmische Kraft (kasekten), die nur unzureichend als
"Macht" beschrieben werden kann, ist kein abstraktes Medium zwischenmenschlicher
Beziehungen, sondern eine in konstanter Menge über das gesamte Universum
verteilte Seinsform, die durch asketische Übungen und durch den Rückzug in die
Einsamkeit konzentriert werden kann. Der Herrscher ist nicht auf die Anwendung
von Gewalt angewiesen, sondern vermag mit seiner übernatürlichen Ausstrahlung
eine "gerechte" und "harmonische" Ordnung aufrechtzuerhalten. Naturkatastrophen
oder politische Krisensituationen sind Anzeichen eines Machtverlustes und lassen
eine Neubesetzung des Thrones legitim erscheinen. 75
Benedict R. O'G. Anderson versucht in seinem Aufsatz "The Idea of Power in Javanese
Culture" nachzuweisen, dass diese spezifisch javanische Vorstellung von
Macht (kasekten) die Politik des nachkolonialen Indonesien tief prägt. Das zeige
sich in der Abneigung gegen föderalistische Bestrebungen und in der Idee, dass
kasekten nicht als Mittel, sondern als Ziel zu betrachten sei. 76 Sukarno beispielsweise
sei fortwährend darauf bedacht gewesen, Macht zu konzentrieren, indem er wie
ein javanischer Fürst beschwörende Formeln verwendet (Pancasila, Revolusi, Sapta
Marga), Massenversammlungen initiiert, Gegensätze zu vereinen gesucht (Nasakom)
77 , seine Fruchtbarkeit demonstriert (in Form eines lingga [Phallus]-
Monumentes) und wayang-Aufführungen 78 im Präsidentenpalast veranlasst habe. 79
Sukarno habe behauptet, von alten Königen oder Heiligen wie Singaraja, Jayabaya
oder Sunan Kalijaga abzustammen. Seine Abneigung gegen die Geburtenkontrolle
verbinde ihn zudem mit den altjavanischen Herrschern, da er möglichst große Menschenmengen
kontrollieren wollte. 80 Suharto habe sich das Ideal des ruhigen, leidenschaftslosen
und ausgleichenden Herren zu Eigen gemacht und mit den Kampagnen
gegen Sukarno 1966/67 dessen wahyu zerstört.
Obwohl Anderson durchaus die Bedeutung materieller Interessen einräumt 81 , dominiert
in seinem bis heute einflussreichen Aufsatz doch die Vorstellung, dass das
unabhängige Indonesien in erster Linie durch die Beharrlichkeit traditioneller Herrschaftskonzepte
und symbolischer Handlungen geprägt sei:
75
Anderson 1972a, 5ff; Magnis-Suseno 1981, 84ff.
76
Anderson 1972a; Anderson konzipiert die Vermittlung zwischen jahrhundertealten, tief verankerten
Wertvorstellungen, Deutungs- und Verhaltensmustern und der politischen Praxis noch recht komplex.
Lange wurde - und wird z.T. heute noch immer - die vermeintliche Demokratieunfähigkeit der Javaner
unmittelbar aus einem "irrationalen Mystizismus" abgeleitet (siehe etwa: Sievers 1974 und May 1978).
77
Nasakom ist ein Akronym, das aus den Begriffen "Nasionalisme" (Nationalismus), "Agama" (Religion)
und "Komunisme" (Kommunismus) gebildet ist. Sukarno wollte eine Zusammenarbeit der nationalistischen
Kräfte, der Muslime und der PKI erreichen. Er hatte das Konzept schon in den späten 20er Jahren
entwickelt, um die nationalistische Bewegung ideologisch zu einen.
78
Javanisches Schattentheater.
79
Anderson 1972a, 11ff.
80
Anderson 1972a, 26 und 30.
81
Er spricht von einer gegenseitigen Verstärkung ("mutual reinforcement") von "interests and perceptions"
(Anderson 1972a, 23).

Neopatrimonialismus, Klassen, Gruppen 19
"Such apparently discrete aspects of Javanese political thought and behaviour in the contemporary
period as the rejection of parliamentary democracy, the characteristic traits of
Djakarta's inter-ethnic and international politics, the patterns of administrative organization
and internal bureaucratic relationships, the styles of post-independence leadership,
the forms of corruption, and the ambiguous political position of the urban intelligentsia
can and indeed should be seen as inextricably related to one another, and that the link is
precisely the continuing cultural hold of traditional conceptions, including conceptions
about Power." 82
Wenn er davon spricht, dass Kabinettsmitglieder aufgrund dieser immer noch üblichen
Verehrung des Herrschers nicht fähig seien, Eigenverantwortung zu übernehmen,
83 oder dass es eine spezifisch javanische Feindseligkeit gegen föderale Strukturen
gebe, 84 dann wird deutlich, wie sehr er auf Wahrnehmungs- und Urteilsschemata
fixiert ist, ohne die materiellen Bedingungen ihrer Entstehung zu reflektieren. Er
kann nicht verdeutlichen, warum die javanische Kultur weiterhin so einflussreich ist,
welche anderen Werte und Normen im unabhängigen Indonesien von Bedeutung
sind und inwieweit Traditionsbestände nur instrumentalisiert werden.
Ähnlich wie Anderson verfährt Ann Ruth Willner. Sie vergleicht die Struktur des
Mataram-Reiches mit der des Regierungssystems unter Sukarno nach 1957, wobei
sie sich im Besonderen mit dem Einfluss javanischer Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster
auf die Verwaltungstätigkeit befasst. Sie konstatiert eine Renaissance
traditionaler Symbole und Praktiken nach dem Zusammenbruch des von außen aufrechterhaltenen
rationalen Verwaltungssystems der Kolonialherren. 85 In dem neu
entstandenen Machtvakuum hat sich ihr zufolge die Gelenkte Demokratie herauskristallisiert,
die vieles mit dem Majapahit- und dem Mataram-Reich gemein habe.
Nach Willner wacht ein "semimonarchischer" Präsident über eine Vielzahl von
legislativen und administrativen Organen, deren Verantwortlichkeiten ungenau definiert
sind, und der politisierte, in ökonomische Angelegenheiten verstrickte Verwaltungsapparat
hat sich in den Regionen weitgehend verselbständigt. 86 Die Beamten
arbeiteten ineffizient, weil sie Konflikte vermieden, sich auf schlechte Kompromisse
einigten, Informationen nicht immer weitergäben und die Zusammenarbeit oftmals
eher aufgrund eines "wohlwollenden Paternalismus" als aufgrund sachlicher Erfordernisse
erfolgte. 87 Wie Anderson analysiert sie die Beharrungskraft der altjavanischen
Kultur, ohne die ökonomischen Interessen der Beteiligten ausreichend zu
berücksichtigen. Während Anderson der Meinung ist, dass traditionale Verhaltensmuster
relativ unbeeinflusst von der Kolonialherrschaft fort existierten, konzipiert
Willner den Übergang zur Gelenkten Demokratie als einen Prozess der Retraditionalisierung.
88 Bei ihr bleibt insgesamt unklar, wie die alte, vorkoloniale Kultur über-
82 Anderson 1972a, 63.
83 Anderson 1972a, 37.
84 Anderson 1972a, 23.
85 Willner 1970, 242ff.
86 Willner 1970, 248ff.
87 Willner 1970, 265ff.
88 Willner 1970, 263f.

20 Theoretische Vorüberlegungen
dauern konnte und warum es nach dem Ende der vermeintlich legal-rationalen Kolonialherrschaft
zu einer "politischen Traditionalisierung" kam.
Diese beiden weithin rezipierten Ansätze könnte man einer kulturalistischen Neopatrimonialismustheorie
zurechnen, wobei die Beharrungsfähigkeit von Kulturmustern
offenbar höher bewertet wird als die durch sozioökonomische Prozesse ausgelösten
Wandlungen der gesellschaftlichen Machtfiguration.
Karl D. Jackson knüpft an die Ausführungen Andersons an, fügt sie aber in einen
größeren theoretischen Rahmen ein, indem er das von Riggs 89 am Beispiel Thailands
gewonnene "bureaucratic-polity"-Modell auf Indonesien überträgt. 90 Danach hat
eine aus weniger als 1.000 Personen bestehende "Jakarta-Elite" aus Offizieren, Bürokraten
und Technokraten die Entscheidungsprozesse monopolisiert und ist weder
bestrebt noch fähig, die Masse der Bevölkerung langfristig zu mobilisieren oder
politisch zu beteiligen. 91 Diese Elite sei durch Patron-Klient-Beziehungen miteinander
verbunden und weitgehend von den sozialen Gruppen außerhalb dieses Zentrums
isoliert:
"[...] Indonesian social life is composed of a multitude of groupings, each with its own
elite and mass elements bound together by an elaborate set of personal relations, but only
tenuously connected to surrounding social groupings. [...] long-term mass mobilization
along ideological lines is nearly impossible because most networks remain unconnected to
one another and the larger ones tend to be socially heterogeneous, thus precluding attempts
to mobilize through a straightforward appeal to class, ethnic, or religious differences."
92
Die Patron-Klient-Beziehungen führt auch Jackson nicht auf die sie fundierenden
sozioökonomischen Strukturen, sondern auf spezifisch javanische, traditionale Kulturmuster
zurück. Die tiefverwurzelten Vorstellungen von einer unwandelbaren
Statusordnung, das Ideal einer konfliktvermeidenden, indirekten und ritualisierten
Kommunikation und der Wunsch, das konstante Machtquantum zu konzentrieren, 93
bestimmen seiner Meinung nach letztlich die wenig institutionalisierten intraelitären
und Zentrum-Peripherie-Beziehungen. Jackson erweitert diese Analyse nur um Aussagen
über das noch wenig entwickelte Transport- und Kommunikationswesen. Da
für ihn der politische Entscheidungsprozess innerhalb einer kleinen Elite stattfindet
und von ökonomischen Interessen, zumal denen von Gruppen außerhalb des Zen-
89 Riggs 1966.
90 Mit dem "bureaucratic-polity"-Ansatz verwandt ist die These vom "Beamtenstaat" (Benda 1966;
McVey 1982). Danach waren die Machteliten nach 1965 - ähnlich wie die Niederländer in den 30er
Jahren - darauf bedacht, die Bevölkerung nicht an politischen Entscheidungen zu beteiligen. Der "Beamtenstaat"
sollte stattdessen unter Anleitung von Experten für wirtschaftliche Entwicklung sowie für "Ruhe
und Ordnung" sorgen. Ähnlich wie unter den Niederländern war die städtische Mittel- und Oberklasse am
Lebensstil ausländischer metropolitaner Eliten orientiert und isolierte sich von den "urban poor" und von
der Dorfbevölkerung. Ruth McVey erwähnt allerdings einen bedeutenden Unterschied: In den 30er
Jahren spielte die Korruption in der Verwaltung kaum eine Rolle, da es effektive Kontrollinstanzen in den
Niederlanden gab. Zur Kritik an diesem Ansatz: Gordon 1993.
91 Jackson 1978a, 3ff.
92 Jackson 1978b, 35.
93 Jackson 1978b, 36ff.

Neopatrimonialismus, Klassen, Gruppen 21
trums, kaum beeinflusst wird, deutet er sozialen Wandel als einen Vorgang, bei dem
traditionale durch moderne Verhaltensstandards abgelöst werden.
Dieser Ansatz benennt mit dem Verweis auf die sämtliche gesellschaftlichen Bereiche
durchdringenden Patron-Klient-Beziehungen einen wichtigen Mechanismus, der
sich aus der eigentümlichen Dynamik neopatrimonialer Gesellschaftsfigurationen
ergibt, aber erst der Neopatrimonialismusansatz in der Fassung von Harold Crouch
geht über solche Engführungen hinaus. 94 Zunächst soll aber in die Patrimonialismustheorie,
so wie sie Max Weber in seiner Herrschaftssoziologie entwickelt hat, kurz
eingeführt werden. In ihr wird den Herrschaftsstrukturen mehr Aufmerksamkeit
gewidmet als den kulturellen Praktiken. Crouch hat sich - wenn auch nur ansatzweise
- auf diese Theorie bezogen.
Weber hat die patrimoniale Herrschaftsstruktur nach dem Kriterium der Stellung der
Verwalter zu den Verwaltungsmitteln aufgeschlüsselt:
"Während also beim reinen Patrimonialismus volle Trennung der Verwalter von den
Verwaltungsmitteln stattfindet, ist dies beim ständischen Patrimonialismus gerade umgekehrt:
Der Verwaltende ist im Besitz der Verwaltungsmittel, aller oder mindestens eines
wesentlichen Teils." 95
Beim - in diesem Zusammenhang interessierenden - reinen Patrimonialismus ist also
ein Verwaltungsstab vorhanden, die Verwaltungsmittel bzw. die mit einem Amt
verbundenen ökonomischen Chancen sind aber im Besitz des Patrimonialherren. 96
Aus dieser Konstellation ergeben sich einige aufschlussreiche Spezifika des ökonomischen,
des Verwaltungs- und des Rechtssystems, die in modernisierter Version in
der Neuen Ordnung wieder auftauchen. An dieser Stelle seien nur einige der Hauptcharakteristika
patrimonialer Systeme (zu denen das Mataram-Reich gezählt werden
kann) nach Weber aufgeführt:
- Einzelne Unternehmer können sich durch die geschickte Ausnutzung persönlicher
Beziehungen große Erwerbschancen eröffnen. 97 Patrimoniale Ordnungen sind also
durchaus vereinbar mit "Eigenwirtschaft und Verkehrswirtschaft, kleinbürgerlicher
und grundherrlicher Agrarverfassung, Fehlen und Existenz kapitalistischer Wirtschaft".
98 Der Patrimonialherr betrachtet seinen Gewaltbereich als "Beuteland für
Vermögensbildung" und vergibt nach Gnade und Ungnade Privilegien und Konzessionen
an Hofbeamte, Günstlinge, Statthalter, Lieferanten, Steuerpächter etc.
- In der Bürokratie sind Kompetenzabgrenzungen das Ergebnis eines Kampfes um
Sportelquellen, und es sind nicht in erster Linie organisatorische und auf Fach-
94
Schulte-Nordholt (1987a; 1987b) betont sehr viel weniger als Crouch den Aspekt des Kampfes um
Machtanteile und bietet eher einen ideengeschichtlichen Abriss. Auch Mackie und MacIntyre (1994, 6)
beziehen sich auf Crouch und seine Patrimonialismustheorie.
95
Weber 1972, 135.
96
Über die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen reinem und ständischem Patrimonialismus
bzw. zwischen Pfründen- und Lehensfeudalismus informieren sehr gut: Breuer 1982 und 1988 sowie
Schluchter 1987 und 1988. Die vielleicht immer noch beste Übersicht über das Werk Max Webers:
Bendix 1964.
97
Weber 1972, 643.
98
Weber 1972, 640.

22 Theoretische Vorüberlegungen
spezialisierung gründende Fähigkeiten für die Qualifikation der Beamten ausschlag-
gebend. 99 Der Beamte entscheidet mit Ansehen der Person, also ebenso partikularistisch
wie der Herr, und ohne einer definierten sachlichen Amtspflicht zu unterliegen.
Somit ist es unmöglich, zwischen privaten und öffentlichen Angelegenheiten zu
unterscheiden, denn die subjektiven Rechte der Administratoren setzen sich unmittelbar
in geltendes Recht um, ohne dass es zur Kodifikation fester, bindender Normen
kommt. 100
- Weil das patrimoniale Recht eng an religiöse Gerechtigkeitsvorstellungen gebunden
ist, fehlt ihm die formale Rationalisierung moderner Rechtssysteme. Zwar kann
die patrimoniale Rechtspflege ihre juristischen Denkmittel an festen Grundsätzen
orientieren und so eine gewisse Systematisierung erreichen, aber das Vorwalten
materialer Prinzipien widerspricht dem "abstrakten Formalismus" der modernen
Rechtslogik, die von universitätsgeschulten Fachjuristen ausgearbeitet wird. Gerade
das von Fall zu Fall gewährte Recht steht einer kalkulierbaren und stetigen Verwaltung
und dem parallelen Entstehen modern-kapitalistischer Betriebe entgegen. 101
In der Literatur über den Neopatrimonialismus der Neuen Ordnung wurden solche
recht detaillierten Strukturanalysen in der Nachfolge Webers nicht systematisch
vorgenommen. Crouch hat aber einige Anregungen Webers aufgenommen. Er ist der
Auffassung, dass einige Hauptmerkmale des patrimonialen Java auch die Neue Ordnung
charakterisieren. Politik stelle sich hier vorwiegend als ein intraelitärer Kampf
dar, bei dem verschiedene Cliquen, die allesamt die Verteilungsregeln anerkennten,
um die vom Herrscher kontrollierten Einnahmequellen rivalisierten:
"In a patrimonial state, the ruler's power depended on his capacity to win and retain the
loyalty of key sections of the political elite. [...] Politics thus took the form of a struggle
within the elite itself, among rival factions and cliques that were concerned principally
with gaining influence with the ruler who determined the distribution of the rewards of office."
102
In der Zeit der Gelenkten Demokratie (1959-65) hätten nur die Rhetorik und die
ritualisierten Handlungen Sukarnos dem patrimonialen Herrschaftsstil geglichen,
aber die Basis dieses Systems sei nichtpatrimonial gewesen 103 :
"But, unlike the sultan's officials in the patrimonial courts Sukarno's courtiers were
backed by modern organizations whose members confronted each other throughout the
nation." 104
Erst mit der völligen Ausschaltung der PKI, der Entmachtung der anderen Parteien
und mit der Machtzentralisierung im Militär und in der Verwaltung sei es Suharto
99
Das chinesische Mandarinat z.B. qualifizierte sich durch die Beherrschung klassisch-literarischer Texte
und durch die Verinnerlichung konfuzianischer Lebensweisheiten (Weber 1972, 610).
100
Weber 1972, 596f und 486f.
101
Weber 1972, 468 und 485ff.
102
Crouch 1978, 572.
103
Schulte-Nordholt (1987 b, 154) hingegen gilt das Regime unter Sukarno als ein besonders gutes Beispiel
patrimonialer Herrschaft.
104
Crouch 1978, 574.

Neopatrimonialismus, Klassen, Gruppen 23
gelungen, die Kontrolle über die Patronagemaschinerie zu erlangen. Die Amtsinhaber,
die mit ihrem Posten für ihre Loyalität belohnt würden, betrachteten ihre Handlungen
als legitim. In einem solchen System gebe es keine unabhängigen Unternehmer,
und die Bevölkerung sei von den Entscheidungsprozessen ausgeschlossen. 105
Die Neopatrimonialismustheorie hat auf einige Zusammenhänge aufmerksam gemacht,
die für das Verständnis der Neuen Ordnung wesentlich sind. So werden historische
Prozesse, also die Entwicklung vom Mataram-Reich bis zur Neuen Ordnung,
in sehr eigenwilliger und interessanter Weise gedeutet. 106 Die unzweifelhaft
überragende Rolle Suhartos, seine Herrschaftsstrategien und seine Beziehung zu
seinem Verwaltungsstab 107 lassen sich unter diesem Blickwinkel anschaulich darstellen.
Auch die Bedeutung von Patron-Klient-Beziehungen, von neopatrimonialen
Netzwerken und von der für solche Figurationen häufig typischen paternalistischen,
stark hierarchisierten Über-Unterordnungsbeziehungen wird mit diesem Ansatz
deutlich. Trotzdem bleibt ein gewisses Unbehagen. Denn mittlerweile sind in Indonesien
riesige Konglomerate, bürokratische Apparate, Parteien und Parlamente entstanden.
108 Während sich beispielsweise wirtschaftliche Transaktionen in Patrimonialreichen
im Wesentlichen auf Loyalitätsbeziehungen zwischen Landbesitzern,
Verwaltern und mehr oder wenig abhängig beschäftigten Bauern beschränken, gibt
es in neopatrimonialen Gesellschaftsformationen z.B. die Institution der Kapitalgesellschaft.
Durch hochkomplexe Verschachtelungen werden die Über-Unterordnungsbeziehungen
einerseits unterlaufen, andererseits können solche Beteiligungsformen
die Herrschaft der Regimekoalition erheblich ausweiten. Die idealtypisch
pyramidal angeordnete Figuration wird so zu einem sehr viel enger gewobenen
Geflecht mit diffuseren Zentralisierungsmustern. Dieses Beispiel soll nur zeigen,
dass es zahlreiche Institutionen gibt, die eine Ergänzung der Neopatrimonialismustheorie
notwendig machen. So hat es auch Crouch selbst gesehen:
"But it would be inaccurate to portray the New Order government as a "pure" neopatrimonial
regime or bureaucratic polity in which policies are no more than the reflection of
105
Die Gelenkte Demokratie war für Crouch kein patrimoniales System, da die Massen z.T. mobilisiert
worden seien und die Elitefraktionen (PKI, Militär, Sukarno-Flügel) sich nicht auf gemeinsame Ziele
hätten einigen können.
106
Die Wirksamkeit neopatrimonialer Mechanismen in der Neuen Ordnung beruhte auf der besonderen
Herrschaftsstruktur, die sich über einen langen Zeitraum konservieren konnte. Mochtar Pabottingi (1995,
237) hat das prägnant zusammengefasst: "Patrimonialism in independent Indonesia stems from the lack of
political consensus among the egalitarian forces during the pergerakan [die Periode, in der die nationalistische
Bewegung aufkam, A.U.], the revolutionary, and the postrevolutionary periods. It works only
because the egalitarian and potentially modern-oriented parties and groups - each commanding a sizeable
membership and some even substantial economic power and significant numbers of educated people -
have been mutually undermining. Patrimonialism prevails accidentally, not independently."
107
Diese Beziehung zwischen Herrscher und Verwaltungsstab ist von Weber besonders ausführlich
analysiert worden.
108
King (1982, 113) bemerkt dazu: "Whereas most writers who mention political clientelism start out
with elaboration of individual orientations or dyadic relationships (micro-level), their focus expands
rather quickly to some larger unit of analysis - to parties, bureaucracies, or even entire national political
systems."

24 Theoretische Vorüberlegungen
the struggle for power between self-interested cliques. The long-term viability of the Suharto
regime depended on its ability to promote economic development [...]." 109
Die von der Herrschaftsspitze nach unten, also vertikal, verlaufenden Herrschaftsbeziehungen
bestimmen die Neue Ordnung nur zu einem - wenn auch wesentlichen -
Teil. Zu den Prozessen, die außerdem erläutert werden müssen, gehören solche der
Klassenbildung und der Entstehung von strategischen und konfliktfähigen Gruppen.
Klassen
Bis 1965 war die PKI eine der größten Parteien in Indonesien, die sich den Klassenkampf
auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Nach der "Gestapu" jedoch war in Indonesien
jeglicher Bezug auf die PKI und ihre Strategien oder gar auf die Klassentheorie
tabuisiert. 110
In den 70er wurden neomarxistische, dependenztheoretische Annahmen allerdings
bei Kritikern der Neuen Ordnung recht populär. Rex Mortimer beschrieb Anfang der
70er Jahre die "bürokratischen Kapitalisten" in Indonesien als eine Kompradoren-
Bourgeoisie, die zusammen mit den ausländischen, neokolonialistischen Investoren
die bestehende heterogene Struktur der Ökonomie zementiert und sich nicht an den
Grundbedürfnissen der Bevölkerung orientiert habe. Deshalb schätzte er die Zukunftsaussichten
Indonesiens düster ein:
"[...] the divergence between the tiny enclave economy and the vast rural distress areas
will be greater than ever; the former will fail to ignite development in the latter, which in
turn will continue to act as a brake on development generally." 111
Die Kompradoren schaffen nach Mortimer lediglich unter politisch stabilen Bedingungen
die nötige Infrastruktur für "Coca-Cola-Investitionen" und verhindern auf
diese Weise eine sozial ausgewogene wirtschaftliche Entwicklung.
Dieser noch relativ undifferenzierte Ansatz unterscheidet sich von Theorien, die
dem Staatsapparat eine größere Autonomie zubilligen. King z.B. favorisiert das von
J. Linz, G. O'Donnell, F.H. Cardoso, P.C. Schmitter u.a. entwickelte Konzept des
bürokratischen Autoritarismus 112 :
"In the bureaucratic-authoritarian model, ultimate authority resides in an oligarchy or the
military as an institution, rather than exclusively in an individual ruler. Where a group of
military men or the military as an institution hold power, they adopt a technocratic, bu-
109 Crouch 1986, 46.
110 Sparringa (1997, 274f): "Almost all subjects (except those deemed 'oppositional' in this study) avoided
using the term 'class' during the interviews. While it is obvious that such an issue involves a fundamental
debate over economic distribution, including class divisions within Indonesian society, the intellectuals
tended to use official sanitised terms such as 'social gap' or 'social jealousy' [...]."
111 Mortimer 1973, 64.
112 King 1982, 110ff. Feith (1980) findet den Ausdruck "bürokratischer Autoritarismus" zu harmlos und
spricht stattdessen von "repressive-developmentalist regimes". Zu diesen Systemen gehören - wieder nach
Feith - neben Indonesien auch Südkorea, Singapur, die Philippinen und der Iran unter dem Schah. Sie
fördern ein durch die Tätigkeit multinationaler Konzerne ausgelöstes kapitalistisches Wachstum, ohne
dabei zu reinen Kompradoren zu werden (Feith 1980, 41).

Neopatrimonialismus, Klassen, Gruppen 25
reaucratic approach to policy making. The accent is on a consultative and consensual (and
relatively predictable) decision-making process among a ruling group and the central role
of a larger bureaucratic structure, not the military per se." 113
Die komplexe Legitimationsbasis bürokratisch-autoritärer Regime besteht nach
diesem Modell aus charismatischen, traditionalen und legalen Elementen sowie
materiellen Anreizen. Die Bevölkerung werde weder, wie in totalitären Gesellschaften,
kontinuierlich mobilisiert noch völlig vom Staatsapparat isoliert, sondern vorsichtig
an das politische Zentrum gebunden. Es gebe keine logisch konsistente, auf
ein utopisches Ziel weisende Modernisierungsideologie, sondern eine eher unverbindliche,
in sich widersprüchliche Staatsphilosophie (Pancasila). Die Elite habe
eine technokratische Politikauffassung und teile einen programmatischen Konsens.
114
Auch Arief Budiman verwendet weiterhin den Begriff des "bürokratischen Kapitalismus".
Er stellt fest, dass Südkorea, Taiwan und Singapur die nationale Bourgeoisie
jeweils so fördern konnten, dass ein "developmentalist capitalist state" entstand.
Im Gegensatz dazu ist Indonesien für Budiman ein "bureaucratic capitalistic state"
geblieben, der vornehmlich von Auslandshilfen und Erdöl-Revenuen abhängig sei
und keine umfassende ökonomische Umstrukturierung unter Beteiligung der einheimischen
Unternehmer erreichen konnte. 115
Ähnlich argumentiert Robison. 116 Ihm zufolge blieb in Indonesien die Entstehung
einer mächtigen einheimischen Bourgeoisie lange aus, so dass die Positionen im
Staatsapparat eine strategisch wichtige Bedeutung erhielten. Die Entwicklung nach
1974, als sich die Investitionsbedingungen für ausländische Unternehmer als Folge
gesetzlicher Maßnahmen verschlechterten und der Staat zunehmend als Investor im
Zuge einer Importsubstitutionsindustrialisierung auftrat, beweise, dass der Staat eine
gewisse Unabhängigkeit gegenüber dem ausländischen Kapital habe wahren kön-
113 King 1982, 110.
114 Im Anschluss an die Theorie des bürokratisch-autoritären Staates von O'Donnell u.a. könnte man drei
Phasen der Einbeziehung in das Weltwirtschaftssystem unterscheiden. In der ersten Phase der importsubstituierenden
Industrialisierung (ISI) gibt es häufig populistisch geführte parlamentarisch-demokratische
Systeme mit relativ starken Gewerkschaften. In der zweiten Phase der exportorientierten Industrialisierung
(EOI) wird der Binnenmarkt für ausländische Produkte und Investitionen geöffnet. Häufig setzen
sich jetzt Regime, die "nationale Stabilität" und profitable Produktionsbedingungen garantieren, durch. In
der dritten Phase hat sich zwar nicht die exportorientierte Industrialisierungsstrategie in der bisherigen
Form, dafür aber das repressive Regime zumindest z.T. überlebt. Aufgrund der zunehmenden Komplexität
der internationalen Finanzsysteme, aber auch der nationalen Ökonomien, sind Rechtsstaatlichkeit,
Transparenz und letztlich Menschenrechte und Demokratie keine Hindernisse mehr, sondern garantieren
eine fortgesetzte Entwicklung.
115 Budiman 1988.
116 Daneben gibt es natürlich einen unsystematischen, eher beiläufigen Verweis auf die Existenz von
Klassen. So z.B. bei Liddle (1996a, 68): "One consequence has been the emergence or growth of several
economic interest groups or classes. These include the Sino-Indonesian business class, which continues to
dominate the upper levels of the modern economy; indigenous entrepreneurs, who are starting to challenge
Sino-Indonesian preeminence; highly educated professionals such as doctors, lawyers, and engineers;
private-sector business executives and managers; clerical and other white-collar workers; industrial
workers; and land-owning farmers." Klassen definiert Liddle offenbar als "ökonomische Interessengruppen".

26 Theoretische Vorüberlegungen
nen. 117 Er wendet sich somit gegen eine eilfertige Gleichsetzung der Interessen des
Staatsapparates mit denen der Bourgeoisie:
"[...] we must look at structural relationships, not motives of formal political relationships.
The New Order state does not operate as the instrument of the bourgeoisie or any of its
factions [...] nor does it represent their interests. Instead the state constitutes the general
interests of this coalition (once again, it is a coalition only in a structural sense, not necessarily
in the sense that they are bound by formal political agreements or common institutional
frameworks) by providing political, ideological and even economic conditions for
their existence and for the process of capital accumulation." 118
Für Robison ist die Neue Ordnung ein Regime, in dem sich eine technokratische
Fraktion mit politischen Bürokraten und Teilen der ausländischen sowie der chinesischen
Bourgeoisie in einer komplexen Allianz verbunden hat. 119 Die Neue Ordnung
sichere in Indonesien die Bedingungen "[...] for the development of a capitalist
structure in which ownership and control of the productive forces is largely vested in
foreign or Chinese hands." 120
Er kritisiert den einseitig kulturalistischen Ansatz, der die ökonomische Dimension
der indonesischen Entwicklung vernachlässigt, und argumentiert gegen Autoren, die
den Klassencharakter Indonesiens verschleiern, indem sie z.B. Patron-Klient-
Beziehungen beschreiben, ohne die in ihnen zum Ausdruck kommenden ökonomischen
Gegensätze zu explizieren. 121 Robison 122 spricht von den Politikobürokraten,
das sind jene, die Positionen im Staatsapparat besetzen, die es ihnen ermöglichen,
die Verteilung von Ressourcen zu kontrollieren. Allerdings beginnen diese Politikobürokraten
damit, bis hinunter zu den Dorfnotabeln ihre Positionen für die Schaffung
eigener Unternehmen zu nutzen und sich so von ihrer eigenen ursprünglichen
Machtbasis zu emanzipieren. So werden aus den Politikobürokraten Privatunternehmer,
die die Gestalt des Staatsapparates langsam verändern. Schließlich ist die
ökonomische Bedeutung des Staates seit Mitte der 80er Jahre wegen der Deregulierung
des Finanzsektors und der Öffnung anderer Bereiche (Telekommunikation,
Elektrizitätsversorgung, Straßenbau etc.) zurückgegangen.
Robison reduziert seine Sozialstrukturanalyse letztlich auf unmittelbar ökonomische
Interessen. Daher sieht er sich gezwungen, fast ausschließlich die Rolle von Unternehmern
und die wirtschaftlichen Interessen der herrschenden Klassen darzustellen.
Seine abstrakten Bemerkungen über "Koalitionen im strukturellen Sinne" und über
die "Konstituierung der allgemeinen Interessen dieser Koalition" durch den "New
Order state" lassen zudem erahnen, welche Schwierigkeiten bei der Anwendung
solcher Theorien entstehen, wenn sie politische Akteure und ihre kurz- und mittel-
117 Er versteht den Staat im Anschluss an Skocpol, Trimberger und Block als separaten Faktor im Kampf
um Macht und um die Kontrolle des politischen Prozesses (Robison 1988, 55).
118 Robison 1985, 307.
119 Robison 1982, 131. In seinem Buch "The Rise of Capital" (1986) kommt er zu der Überzeugung, dass
inzwischen auch eine pribumi-(indigene) Bourgeoisie entstanden sei.
120 Robison 1982, 133.
121 Robison 1982, 136ff.
122 Robison 1996, 82f.

Neopatrimonialismus, Klassen, Gruppen 27
fristigen Strategien benennen sollen. 123 Ausgehend von diesem Gedanken hat Mackie
die Probleme, die bei der theoretischen Konstruktion einer indonesischen "Bourgeoisie"
auftreten, so beschrieben:
"Only in the loosest sense of the terms can we conflate 'the military', the 'politicobureaucrats'
and the largely Chinese group of big capitalists together into a single 'class'
which we can then label a 'bourgeoisie'. My basic objection to this procedure is that this
group of people, though closely allied politically for some purposes, have very different
socio-economic interests, very different sources of wealth and power, little sense of class
solidarity and nothing like a capitalist ideology." 124
Trotz dieser berechtigten Kritik sind die Klassentheorien nicht ad absurdum geführt.
Gerade in weniger entwickelten Ländern existieren immense soziale Unterschiede.
In Indonesien ist z.B. die Idee einer in zwei große gesellschaftliche Gruppen zerfallenden
Gesellschaft sehr alt und hält sich bis in die Gegenwart:
"The notion of a two-class society consisting of the wong gede (big people) - educated,
state-employed, aristocratic in manner if not by birth - in contrast to the wong cilik - uneducated,
employed in agriculture or petty trade, coarse in manner - was challenged but
not vanquished by the populist revolutionary spirit of the 1945-49 independence struggle
against the Dutch." 125
Nach der Unabhängigkeit wurde die Gesellschaft zunehmend durch die Bildung von
unterschiedlichen aliran (politisch-religiöse "Strömungen") polarisiert. Die Massenorganisationen
und Parteien fanden ihre Klientel jeweils vornehmlich bei synkretistischen
abangan oder bei orthodoxen santri. Die ökonomischen Interessenkonflikte
standen zwar in einer engen Beziehung zu dieser aliran-Bildung, aber durch die
große Bedeutung religiöser Bindungen wurde die Entstehung von Klassen (definiert
durch die Stellung zu den Produktionsmitteln) erschwert.
Als in den späten 50er Jahren trotzdem eine Machtübernahme durch die Kommunisten
in Indonesien möglich erschien, versuchten Sukarno und die Militärs um Nasution,
die sozialen Gegensätze durch die Schaffung "funktionaler Gruppen" und korporatistischer
Organisationen auszugleichen. 126 In diesen Organisationen sollten Vertreter
verschiedener Berufs-, Frauen-, Jugendverbände etc. zu einem harmonischen
Interessenausgleich kommen. Dieses Konzept wurde von der Regimekoalition der
Neuen Ordnung übernommen. Sie propagierte integralistische Lehren, in welchen
123
Jeffrey Winters fasst seine Kritik folgendermaßen zusammen: "Robison's tendency to view everything,
including the state, from the perspective of capital leads to a narrowness of motivation for most policies
and actions on the part of the state. When the state acts, it must be in service of the politically and economically
dominant classes (except when these classes are 'weak', in which case there is a power 'vacuum'
and the state acts 'relatively autonomously' - which, for Robison, seems to mean with no clear social
logic at all)” (Winters 1988, 125).
124
Mackie 1990b, 107f.
125
Liddle 1996d, 182.
126
Mortimer (1982, 54) meint zu der langsamen Abkehr von Strategien eines aggressiven Klassenkampfes:
"The fundamental reasons for this ideological shift [...] are to be found in the specific features of
Indonesian social structure and political history and, in particular, the weakness of class «contradictions»
in comparison with other bases of social conflict."

28 Theoretische Vorüberlegungen
die Existenz von Klassen geleugnet wurde. Das wohl beste Beispiel dafür war die
Streichung des Begriffes "buruh" (Arbeiter) aus dem Vokabular der Neuen Ordnung.
Die Arbeiter standen der Idee nach in einem harmonischen, nach dem "Familienprinzip"
geformten Verhältnis zu den Unternehmern. Dieser Integralismus dürfte
dazu beigetragen haben, dass sich in Indonesien ein Klassenbewusstsein allenfalls in
Ansätzen herausbildete. So gab es erst am Ende der Neuen Ordnung eine relativ
schwache Arbeiterbewegung. 127 Auch die Mittelklasse war weitgehend abhängig,
zersplittert und kaum in der Lage, sich zu organisieren und eine gemeinsame Strategie
zu entwickeln. Die indonesische Gegenwartsgesellschaft lässt sich also nur um
den Preis sehr hoher Abstraktion als Klassengesellschaft beschreiben, denn:
1.) Es gibt in Indonesien keine Klassen "an und für sich". Selbst die Industriearbeiter
haben nur in sehr geringem Maße ein Klassenbewusstsein entwickelt. Und es haben
sich generell keine über Jahrhunderte ausgefeilten, klassenspezifischen Lebensstile
und Habitus 128 wie etwa in Europa entwickeln können.
2.) Religiöse und ethnische Bindungen sind z.T. wichtiger als Bindungen, die durch
gemeinsame ökonomische Interessen entstehen. Man denke etwa an islamistische
Strömungen oder die besondere Lage der Sinoindonesier.
3.) Vertikale Bindungen wie etwa in Patron-Klient-Beziehungen sind außerordentlich
wichtig.
Noch andere Faktoren sprechen gegen eine Anwendung hochabstrakter Klassenmodelle.
In den Dörfern und besonders in den Städten gibt es ein riesiges, in dauernder
Unsicherheit lebendes Semiproletariat, dass nur schwer politisch zu organisieren ist.
Die Konstituierung von Klassen aber bedarf einer gewissen Dauerhaftigkeit, Stabilität
und Sicherheit sowie einer gewissen Berechenbarkeit der eigenen ökonomischen
Lage. 129
Klassen können nur in Ausnahmesituationen als politisch handlungsfähige soziale
Großgruppen in Erscheinung treten. 130 Welche Akteure aber haben die alltäglichen
politischen Kämpfe in der Neuen Ordnung ausgetragen?
127 Am ehesten trifft das noch auf die Industriearbeiter zu, die meist sehr ähnliche Arbeitsbedingungen
haben, oft auf engstem Raum zusammenarbeiten und -leben und auf fester vertraglicher Basis arbeiten.
128 Der Habitus ist "[...] ein subjektives, aber nicht-individuelles System verinnerlichter Strukturen, gemeinsamer
Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata [...], welche Vorbedingung für jede Objektivierung
und Wahrnehmung sind und die objektive Abstimmung der Praktiken und die Einheitlichkeit der
Weltanschauung mit der vollkommenen Personenungebundenheit und Substituierbarkeit der Praktiken
und Einzelanschauungen begründen” (Bourdieu 1987, 112).
129 Die Klassen sind noch keine mobilisierten Klassen, sondern allenfalls "in the making": "Die 'reale'
Klasse, sofern überhaupt jemals eine Klasse 'real' existiert hat, ist immer nur die realisierte, das heißt
mobilisierte Klasse, Ergebnis des Klassifizierungskampfs als eines genuin symbolischen (und politischen)
Kampfs um die Durchsetzung einer Sicht der sozialen Welt oder besser einer Art und Weise ihrer Konstruktion
in der Wahrnehmung und in der Realität und einer Konstruktion der Klassen, in der sie zu
unterteilen ist” (Bourdieu 1998, 25). Klassen werden in Indonesien allenfalls in Ansätzen durch ein
gemeinsames Klassenunbewusstes, durch einen gemeinsamen Habitus, konstituiert.
130 Trotzdem ist der Begriff "Klasse" dem Begriff "Schicht" dann vorzuziehen, wenn von einer sozialen
Großgruppe die Rede ist, die entweder politisch handlungsfähig ist oder sich zumindest eine, wenn auch
brüchige, gemeinsame Identität vermittels eines bestimmten Lebensstils konstruiert hat (vgl. zum Zusammenhang
Konsum - Klassenidentität: Heryanto 1999).

Neopatrimonialismus, Klassen, Gruppen 29
Demokratisierung und die Analyse strategischer und konfliktfähiger Gruppen
(SKOG)
SKOG
In dieser Arbeit sollen politisch handlungsfähige Gruppen - gestützt auf den SKOG-
Ansatz von Schubert/Tetzlaff/Vennewald - analysiert werden. 131 Die Autoren beziehen
sich selbst wiederum auf den Bielefelder Ansatz der strategischen Gruppen, der
u.a. von T. Schiel und H. D. Evers 132 vertreten wird, ergänzen ihn aber durch die
Einbeziehung konfliktfähiger (oppositioneller) Gruppen und berücksichtigen verschiedene
(auch nichtökonomische) Machtressourcen. 133
Der SKOG-Ansatz soll "[...] zwischen dem evolutionären Determinismus systemtheoretischer
Ansätze (Modernisierung, Urbanisierung, Industrialisierung) [...]" 134
und akteurszentrierten Modellen vermitteln. 135 Das heißt, es sollen leicht definierbare,
empirisch gut nachweisbare Gruppen benannt werden, die als Kollektive spezifische
gemeinsame Interessen durchzusetzen versuchen. Strategische und konfliktfähige
Gruppen
"[...] sind somit aktiv-handelnde Personenkollektive, die aufgrund einer tendenziell gleichen
gesellschaftlichen Lage ihrer Mitglieder ein gemeinsames Bewußtsein entwickeln
und sich unterschiedlicher Macht- bzw. Handlungsressourcen bedienen, die unmittelbar
an ihre gesellschaftliche Lage gekoppelt sind und ihrer spezifischen Interessenrealisierung
dienen." 136
Strategische Gruppen haben sich in der Regel zu einer Regimekoalition zusammengeschlossen,
verfügen über die wichtigsten Machtressourcen und versuchen, den
Status quo zu verteidigen. Konfliktfähige Gruppen hingegen wenden sich gegen die
bestehenden Macht- und Verteilungsverhältnisse, verfügen über Droh- und Verweigerungspotenziale
und haben ebenfalls gemeinsame Handlungsstrategien und Ziele.
Ziele sind etwa ein Zuwachs an politischer Macht, ökonomische Zugewinne oder die
131 Vgl.: Schubert/Tetzlaff/Vennewald 1994; Schubert/Tetzlaff 1998a.
132 Vgl.: Evers/Schiel 1988 und 1989.
133 Zur Kritik an Evers/Schiel: Schubert/Tetzlaff/Vennewald 1994, 64ff und Neelsen 1988 und 1989. Bei
Evers/Schiel sind die Bezugsgrößen oft unklar, und es fehlt eine aus empirischen Analysen hervorgehende
Kategorisierung strategischen Handelns. "Die theoretische Verbindung zwischen der strategischen
Gruppe als (klassen)-analytischer Kategorie und der Art ihrer organisierten Interessenwahrnehmung auf
der politischen Erscheinungsebene bleibt jedoch [...] diffus” (Schubert/Tetzlaff/Vennewald 1994, 66).
134 Tetzlaff 1994, 6. Oder in den Worten Noltes (1998, 49): "Das Konzept [...] könnte eine Verbindung
zwischen Erklärungsmodellen herstellen, die allein auf die strategische Interaktion zwischen politischen
Akteursgruppen abheben, und früheren bzw. neueren Erklärungsansätzen, die das Wechselverhältnis
zwischen sozialen und ökonomischen Veränderungsprozessen sowie politischen Wandlungsprozessen
analysieren [...] und dabei auch die politischen Vermittlungsstrukturen (Parteien, Interessenorganisationen
etc.) stärker in die Untersuchung einbeziehen."
135 Siehe auch Merkel 1994. In diesem Band wird ebenfalls für eine Systemwechseltheorie mittlerer
Reichweite plädiert, bei der strukturalistische und funktionalistische Ansätze mit solchen, die das Handeln
politischer Akteure beschreiben, verknüpft werden.
136 Schubert/Tetzlaff 1998a, 32f.

30 Theoretische Vorüberlegungen
Durchsetzung eigener Wertvorstellungen. Zu den Machtressourcen der strategischen
Gruppen zählen u.a.:
- die Verfügung über Produktionsmittel und über Lizenzen, Konzessionen, staatliche
Aufträge und Kredite,
- technisches, militärisches, administratives und religiöses Wissen,
- die Fähigkeit, durch die Bezugnahme auf wirkliche und vermeintliche Traditionen
und auf neu geprägte Ideologien einen Legitimitätsglauben zu erwecken,
- die Mobilisierungsfähigkeit von Charismatikern sowie
- physische Gewalt. 137
Die konfliktfähigen Gruppen verfügen demgegenüber kaum über ökonomische Ressourcen.
Allerdings haben sie die Möglichkeit, Demonstrationen, Streiks, Landbesetzungen
etc. zu organisieren und offen oder indirekt mit Gewalt - etwa in der Form
unkontrollierbarer Unruhen - zu drohen. Angeführt von charismatischen Reformern
können sie versuchen, eine Massenbasis aufzubauen. Beamte, höhere Angestellte,
Unternehmer und Militärs können zudem als Angehörige der Regimekoalition für
Reformen "von oben" sorgen und Spaltungen in der Machtelite erzeugen.
Schwierigkeiten bei der Anwendung des SKOG-Konzeptes auf die Neue Ordnung
Zu den strategischen Gruppen werden in dieser Arbeit die hohen Offiziere, die Spitzen
der Bürokratie und die Großunternehmer gerechnet. 138 Die kooptierten religiösen
Führer und die genuinen Golkar-Politiker bilden sekundäre, weniger mächtige strategische
Gruppen. Daneben gibt es Politiker und religiöse Spezialisten, die eine eher
ambivalente Haltung einnahmen, wie viele PPP- und PDI-Abgeordnete und Angehörige
von Muslimorganisationen wie NU oder Muhammadiyah. 139
Ein Problem ergibt sich also aus der Gruppeneinteilung selbst. Zählen sämtliche
Politiker (also auch die der PPP und der PDI) zur sekundären strategischen Gruppe
der Politiker oder nur die Golkar-Funktionäre? Und welche Rolle spielen einflussreiche
religiöse Führer, Professoren, Künstler, Richter und Staatsanwälte sowie
Funktionäre der korporatistischen Organisationen, wie der Staatsgewerkschaft oder
137 Vgl. auch Schubert/Tetzlaff/Vennewald 1994, 70.
138 Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dass Franz L. Neumann (1984, 542) in seiner berühmten
Studie über den Nationalsozialismus zwar klassentheoretische Elemente aufnimmt, aber bei der Beschreibung
der intraelitären Machtkämpfe von Gruppen spricht: "Unter dem Nationalsozialismus hingegen ist
die gesamte Gesellschaft in vier festgefügten zentralisierten Gruppen organisiert, von denen jede nach
dem Führerprinzip operiert und ihre eigene legislative, administrative und judikative Gewalt besitzt.
Weder ein allgemeines Gesetz noch eine rationale Bürokratie sind zur Integration erforderlich [...] Es
reicht völlig aus, wenn die Führung der vier Flügel sich informell auf eine bestimmte Politik einigt. Nach
einem über allen Gruppen stehenden Staat besteht kein Bedürfnis [...] Die Entscheidungen des Führers
sind lediglich Ergebnis der zwischen den vier Führungen erzielten Kompromisse." Selbst die Vermittlung
der Gruppeninteressen durch einen "Führer" erinnert an die Neue Ordnung.
139 MacAndrews hat auf die selbst gestellte Frage "Who governs?" vier Gruppen unterschieden: das
Militär, die Bürokratie, die Unternehmer und die Politiker (MacAndrews 1986b, 33ff). Uhlin (1995, 80ff)
unterscheidet bei den politischen Akteuren Suharto, dessen Familie und engste Partner, die Streitkräfte,
den organisierten Islam, bestehend aus verschiedenen Strömungen und Organisationen, die Bürokratie
und die Regierungspartei Golkar sowie die Kapitalisten, bestehend aus Chinesen und pribumi, voneinander.
Schließlich begreift er noch die prodemokratische Bewegung als einen Akteur.

Neopatrimonialismus, Klassen, Gruppen 31
staatlicher Berufsverbände, Jugendverbände etc.? Die Unternehmer, die Bürokraten
und die Militärs haben die Aufgabe, Ressourcen zu beschaffen, zu verwalten bzw.
zu verteidigen. Die Angehörigen der anderen Gruppen, die sich nur vage begrenzen
lassen, haben demgegenüber die Aufgabe, das Herrschaftssystem und repressive
Maßnahmen zu legitimieren, mit religiösen Grundsätzen in Einklang zu bringen, die
Staatsdoktrinen zu verfassen und zu erläutern sowie die Bevölkerung durch Verschleierung,
Täuschung, Bestechung etc. milde zu stimmen.
Selbst der Begriff der Gruppe erweist sich als schwer operationalisierbar. Die ABRI-
Führung z.B. ist in einem relativ gut definierten Apparat mit fester Hierarchie zusammengeschlossen.
Die religiösen Führer hingegen sind über verschiedene, miteinander
konkurrierende Organisationen verteilt, und nur wenige von ihnen sind als
regimeloyal einzustufen. Die großen sinoindonesischen Unternehmer schließlich
treten auf dem Markt als Konkurrenten einander gegenüber. Sie haben zwar immense
Finanzmittel zur Verfügung, sind aber allenfalls als Parias in die Regimekoalition
eingebunden. Bei den führenden Bürokraten gibt es ähnlich wie bei ABRI institutionalisierte
Ausbildungs-, Rekrutierungs- und Abstimmungsprozeduren. Allerdings
führen die Ressortaufteilung in der Verwaltung und die Vielfalt der administrativ zu
bewältigenden Aufgaben zu einer stärkeren Dezentralisierung und Machtteilung.
Die Bürokraten sind also nicht so geeint wie die Militärs, es bilden sich sogar Gruppen
innerhalb der strategischen Gruppe, nämlich Nationalisten und Technokraten.
Die freien, also von staatlicher Unterstützung relativ unabhängigen Professionals
(Intellektuelle, Journalisten, Anwälte, Ingenieure und Wissenschaftler) werden aus
Gründen der Übersichtlichkeit von den Studenten und den NGO-Aktivisten geschieden.
Deutlich von diesen konfliktfähigen Gruppen abzugrenzen sind die Industriearbeiter,
die ganz eigene Organisationen gebildet und besondere Protestformen entwickelt
haben. Die Landarbeiter und Bauern haben sich als konfliktfähige Gruppe
nur in Ansätzen gebildet, die urban poor waren fast ausschließlich zu kaum organisierten
Widerstandsformen in der Lage, während die sezessionistischen bzw. regionalistischen
Bewegungen keine wesentlichen Bestandteile der nationalen Opposition
waren.
Während die den Staatsapparat okkupierende Regimekoalition recht gut definierte
herrschaftslegitimierende Doktrinen ausgearbeitet hat, sind die oppositionellen oder
konfliktfähigen Gruppen meist nur durch vage definierte Minimalziele miteinander
verbunden und verteilen sich auf eine Vielzahl von Organisationen, Diskussions-
und Aktionsgruppen. Für die oppositionellen Gruppen sind eine differenzierte Rekrutierungsbasis,
eine hohe Fluktuation der Mitglieder, eine oft kurze Dauer der
Organisierung und eine meist prekäre finanzielle Lage kennzeichnend.
Schließlich soll darauf hingewiesen werden, dass die Gegenüberstellung von Regimekoalition
und Opposition dazu führen kann, einen mittleren Bereich aus den
Augen zu verlieren. Viele Angehörige der Regimekoalition hatten durchaus Sympathien
für Kritiker der Neuen Ordnung und umgekehrt, und viele Organisationen
bestanden aus regimekritischen und regimeloyalen Fraktionen, die zu unterschiedlichen
Zeiten die Führung übernahmen. Es gab Richter, die plötzlich überraschende
Urteile fällten, Universitätsprofessoren, die zumindest einige Reformen anmahnten,

32 Theoretische Vorüberlegungen
religiöse Führer, die Entscheidungen der Regierung ablehnten, sowie Bürokraten
und Militärs, die den Autoritarismus grundsätzlich für richtig hielten, aber die Korruption
und den Nepotismus verabscheuten. Andererseits gab es Oppositionelle, die
bis zu einem bestimmten Grad mit der Machtelite kooperieren mussten.
Über die hier angedeuteten Schwierigkeiten mit den Begriffen der strategischen und
der konfliktfähigen Gruppe werden im Schlusskapitel weitere Ausführungen folgen.
SKOG, Patron-Klient-Beziehungen und Allianzen
Das SKOG-Schema soll ergänzt werden durch Ausführungen zu zwei weiteren
Formen sozialer Integration, die hier nicht als strategische Gruppen definiert sind.
Das sind zum einen Allianzen zwischen Führern der verschiedenen strategischen
Gruppen, zum anderen Patron-Klient-Beziehungen und die sich daraus ergebenden
klientelistischen Netzwerke.
Die Habibie-Allianz z.B. hatte ihren Schwerpunkt in der Bürokratie, nämlich im
Forschungs- und Technologieministerium sowie in einigen Staatsunternehmen und
in einigen Behörden. Aber ohne die Muslimorganisation ICMI, also die Kooptation
religiöser Führer mit jeweils eigenen Machtbasen, und ohne die Unterstützung eines
Teils der Armee und eines Teils der Regierungspartei Golkar hätte Habibie nicht
Vizepräsident und dann Präsident werden können. Dieses Beispiel soll zeigen, dass
solche Allianzen die Grenzen von ABRI, von der Bürokratie usw. gerade überschritten.
Sie erhöhten z.T. den Zusammenhalt der Regimekoalition, sie führten aber auch
in bestimmten Fällen zu Fraktionsbildungen und zu Rissen in dieser Koalition. Für
die verschiedenen strategischen Gruppen ist kennzeichnend, dass jeweils eine
Machtressource den Vorrang vor anderen hat, während bei den Allianzen verschiedene
Machtressourcen für ein gemeinsames Ziel mobilisiert werden. Die Interaktionen
zwischen den strategischen Gruppen wurden einerseits durch diese Allianzen,
andererseits durch den Neopatrimonialherren Suharto vermittelt.
Die Führer der strategischen Gruppen waren sowohl Klienten des Oberpatrons Suharto
als auch ihrerseits Patrone ihnen untergeordneter Klienten. Die horizontalen
Bindungen zwischen den strategischen Gruppen standen also quer zu den vertikalen
Bindungen zwischen Patronen und Klienten. Solche Patron-Klient-Beziehungen
weisen einige charakteristische Merkmale auf. 140 Es findet ein Austausch verschiedener
"Ressourcen" (Stimmen, Patronage, Schutz, Geld, Lizenzen etc.) statt. Diese
"Ressourcen" können i.d.R. nicht einzeln, sondern nur kombiniert ausgetauscht
werden. Die von den Beteiligten mehr oder weniger freiwillig geknüpften, nichtkontraktierten
und z.T. nichtlegalen Beziehungen sind häufig von langer Dauer und
basieren auf einem Gefühl der inneren Verpflichtung dem jeweils anderen gegenüber.
Die Beziehungen werden meist zwischen machtstarken und machtschwachen
Personen geschaffen und sind also vertikal ausgerichtet. Aus einer Vielzahl von
Patron-Klient-Beziehungen können sich umfangreiche Netzwerke ergeben. Im indonesischen
Neopatrimonialismus war Suharto der oberste Patron. Als "Bapak" ("Va-
140 Vgl. Eisenstadt 1984, 48ff.

Neopatrimonialismus, Klassen, Gruppen 33
ter") war er verantwortlich für eine Reihe von "anak buah" ("Kinder"), auf deren
Unterstützung er zugleich angewiesen war. Diese familienartige Beziehung wird in
Indonesien als "bapakisme" bezeichnet. Weil Suharto mit der beschriebenen Machtfülle
fast sämtliche Führungspositionen in der Regimekoalition nach seinem Willen
besetzen konnte, waren die Gruppen, die diese Regimekoalition bildeten, in hohem
Maß vom Präsidenten abhängig. Diese Logik der Personalisierung und Zentralisierung
prägte das Herrschaftssystem so sehr, dass die Bereiche Recht, Wirtschaft,
Politik usw. davon nachhaltig beeinflusst waren.
Zwar werden in den folgenden Analysen der Neuen Ordnung sämtliche drei Formen
sozialer Integration berücksichtigt, aber die Anwendung des SKOG-Konzeptes wird
im Vordergrund stehen. Die Demokratisierung wird dabei als ein Prozess verstanden,
bei dem herrschende, strategische Gruppen um die Bewahrung, oppositionelle,
konfliktfähige Gruppen dagegen um die fundamentale Veränderung der Machtverhältnisse
kämpfen. 141 In Kapitel 3 werden die die Demokratisierung blockierenden
Gruppen der Reihe nach vorgestellt, in Kapitel 4 sollen demgegenüber die die Demokratisierung
fordernden Gruppen und Personen analysiert werden.
141 Demokratisierung ist dann "ein von konfliktfähigen Interessengruppen ertrotzter, zunächst im Ergebnis
offener Prozess des (stufenweisen oder ruckartigen) Übergangs von einer autoritären Herrschaftsform zu
einem Pluralismus zulassenden, partizipativen Rechtsstaat [...]" (Tetzlaff 1998, 7).

2. Die Herrschaftsfiguration bis 1965: Die politische
Entwicklung und die Stellung der Bürokratie, der
Militärs, der Unternehmer, der Chinesen und
muslimischer Gruppen
In diesem Kapitel soll die Entwicklung der Regimekoalition in Indonesien bis 1965
beschrieben werden. Schließlich konnte die neue Machtelite unter Suharto nach
1965 nicht nach Belieben die Beziehungen zwischen den Gruppen, die die Regimekoalition
bildeten, strukturieren. Einige Gruppen hatten zu Beginn der Neuen Ordnung
einen historisch bedingten Startvorteil. Offensichtlich gibt es "formative Phasen"
nicht nur in der Entwicklung von Individuen, sondern auch in der ganzer Nationen
bzw. von Herrschaftsfigurationen. Gelingt es einer gesellschaftlichen Gruppe,
zu einem bestimmten Zeitpunkt Machtressourcen zu erwerben und die eigene Position
zu stabilisieren, kann sie nicht ohne weiteres entmachtet werden. Zu diesen
Gruppen zählen in Indonesien insbesondere die Bürokraten, die Militärs und die
sinoindonesischen Unternehmer:
- Die Herrschaftselite der alten Patrimonialreiche, die priyayi, sind die Vorgänger
der heutigen Bürokraten und haben ihre Weltanschauung an einen großen Teil der
heutigen indonesischen Oberschicht weitergegeben. Die priyayi bildeten das Rückgrat
des javanischen Patrimonialismus, dessen Homologien mit der Suharto-
Herrschaft die Indonesistik bis heute beschäftigen.
- Der in der Neuen Ordnung mächtigste Teil der Regimekoalition, das Militär, hat
zwar auch gewisse Traditionen der patrimonialen Königreiche übernommen, etwa
das Ideal der Ritterlichkeit. Die Vorläufer der modernen Streitkräfte waren aber die
mehr oder weniger regulären Truppen der Revolutionszeit, die selbst wiederum z.T.
aus Truppen bestanden, die von den Niederländern bzw. den Japanern ausgebildet
worden waren.
- Die noch heute bestehende hegemoniale Stellung sinoindonesischer Unternehmer
ergab sich aus der aus europäischer Sicht merkwürdigen, aber für viele Entwicklungsländer
typischen Entfaltung des unternehmerischen Sektors. Die Beziehung
zwischen ausländischen Investoren, Staatsunternehmen, pribumi- 1 sowie chinesischen
bzw. sinoindonesischen Geschäftsleuten lässt sich u.a. aus den strukturellen
Vorgaben des Kolonialzeitalters ableiten.
Mit den priyayi bzw. Bürokraten, den Militärs und den Unternehmern sind nur die
wichtigsten Gruppen der Regimekoalition benannt. Dazu kommen muslimische
Führer sowie Politiker, die besonders in den 50er und frühen 60er Jahren von Bedeutung
waren.
In diesem Kapitel werden nur jene Gruppen berücksichtigt, die zu den Machteliten
zählten, während die indonesische Unterklasse und die wenigen Oppositionellen
nicht oder nur am Rande erwähnt werden. Das geschieht deshalb, weil diese Grup-
1 Das sind die in Indonesien als "indigen" oder "genuin" definierten Indonesier.
34

Herrschaftsformen bis 1965 35
pen, Bewegungen, Bündnisse etc. überwiegend schon frühzeitig zerschlagen wurden
und somit ihre Organisationsbasis verloren. 1965/66 vernichtete die Neue Ordnung
die PKI sowie die einstmals bedeutenden Bauernverbände und Arbeiterorganisationen.
Und die Studentenbewegungen, die NGOs und die von Professionals dominierten
Assoziationen schmiedeten erst in der Neuen Ordnung die wichtigsten Oppositionsbündnisse.
Herrschaftsformen, politische Organisationen und politische Kämpfe bis 1965
Die ersten Patrimonialreiche
Seit dem 5. Jahrhundert gab es in Java Fürstentümer mit einem höfischen Zentrum,
die sich auf die Ausbeutung einer Nassreis anbauenden Bauernbevölkerung stützten.
Im 7. und 8. Jahrhundert gewannen neben altjavanischen Vorstellungen (Ahnenverehrung,
Glaube an eine kosmische Macht, Erlösungs- und Todesvorstellungen) hinduistische
und buddhistische Herrschaftskonzeptionen an Bedeutung, und die mitteljavanischen
Könige des 8.-10. Jahrhunderts galten ebenso wie die Herrscher der
ostjavanischen Reiche Kediri und Singosari vom 11. bis zum 13. Jahrhundert als
Inkarnationen Shivas, Vishnus oder Buddhas. 2 Im Gegensatz zu diesen vornehmlich
binnenorientierten, ländlich geprägten Patrimonialreichen fungierte vom 7. bis zum
13. Jahrhundert das außenhandelsorientierte, städtisch geprägte sumatraische Küstenfürstentum
Srivijaya als Schaltstelle des überregionalen Handels. Im 14. Jahrhundert
herrschte das Großreich von Majapahit direkt oder als Suzerän über ganz
Java und Bali sowie über einen Teil der Küstengebiete der Außeninseln. Um 1400
war Majapahits Hegemonie so sehr geschwunden, dass an der javanischen Nordküste
(pasisir) Stadtfürstentümer das entstandene Machtvakuum ausfüllen und den
interinsularen und überregionalen Handel in dieser Region kontrollieren konnten.
Erst Anfang des 17. Jh. gelang es dem Mataram-Reich unter Sultan Agung (1613-
1645), der seine Herrschaft auch mit islamischen Konzeptionen legitimierte, fast das
ganze Java zu unterwerfen. Die niederländische VOC3 (Vereinigte Ostindische
Kompanie) hatte die Mataram-Herrscher bei der Ausschaltung der islamisch geprägten
Händlerschicht unterstützt, um selbst den überregionalen Handel beherrschen zu
können. Die Annahme des Sultantitels zeigte keine Abkehr vom hindubuddhistischen
Modell eines gottgleichen Königs an, sondern diente eher der geschickten
Einbindung der muslimischen Kräfte. Agungs Nachfolger betonten wieder stärker
2 Dabei kam es zu einer Koexistenz oder Verschmelzung dieser verschiedenen Kulturelemente, so dass
mitunter auch von einer hindujavanischen Kultur gesprochen wird. In dieser Zeit wurden die javanischen
Elemente, d.h. die Schrift, der Baustil und die Ahnenverehrung, stärker betont. Zugleich wurden shivaistische
Heiligtümer als Gedenkstätten für die Vorfahren benutzt (Magnis-Suseno 1981, 24). Diese
Tradition setzte sich im Majapahit-Reich im offiziellen shivabuddhistischen Kult fort. Im Mataram-Reich
schließlich waren die Fürsten symbolisch mit der javanischen Göttin des Südlichen Ozeans, Ratu Lara
Kidul, verheiratet.
3 Vereenigde Oostindische Compagnie.

36 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
das hindubuddhistische Ordnungsmodell, und die politische und die religiöse Sphäre
verschmolzen erneut zu einer Einheit in der Person des Fürsten. 4
Nachdem sich im 17. und frühen 18. Jahrhundert die VOC auf die Region um Batavia
konzentriert hatte, um von dort aus den Gewürzhandel mit den Molukken und
den Kaffeeanbau im Preanger-Hochland zu kontrollieren, dehnte sie im Verlaufe des
18. Jahrhunderts ihren Einflussbereich in Java immer weiter aus. Sie griff dabei auch
in die Thronstreitigkeiten der Fürstentümer ein und bewirkte 1755 mit dem Vertrag
von Giyanti die Teilung Matarams in das Sultanat Yogyakarta und das Susuhunan-
Reich von Surakarta. 5 Trotz dieser Zerstückelung Matarams blieben die Herrschaftsstrukturen
im Wesentlichen unangetastet. Die Kolonialherrschaft begann sich erst im
19. Jahrhundert merklich zu intensivieren.
Die Herrschaftsstruktur der Patrimonialreiche
Im Mataram-Reich strahlte - gemäß der offiziellen Lehre - die kosmische Kraft von
einem Zentrum in die beherrschten Gebiete aus. Dabei verlor sie mit zunehmender
Entfernung vom Palast (kraton) langsam an Wirkung. Während in dem Bereich, der
an das Palastgelände angrenzte (negaragung), die Macht des Königs sehr groß war,
schwächte sie sich in dem sich anschließenden Gebiet (mancanegara) bereits merklich
ab. 6 Der König konnte im negaragung-Bereich seine Verwandten und Günstlinge
mit Pfründen (lungguh) für ihre Untertanentreue belohnen und sich selbst durch
seine Krondomänen versorgen lassen. 7 Im mancanegara-Bereich war der Einfluss
des obersten Patrimonialherren bereits so geschwächt, dass die einzelnen Regenten
(bupati) z.T. über eigene Streitkräfte verfügten, eigene Krondomänen besaßen, ihre
Untergebenen selbständig einsetzen konnten und ihren kraton nach dem Vorbild in
der Hauptstadt führten. Die bupati waren entweder Verwandte des Königs, seine
ursprünglich nichtadeligen Gefolgsleute oder aber Angehörige des Lokaladels in
einem Gebiet, das erst später dem ursprünglichen Herrschaftsbereich angegliedert
wurde. 8 Auf der untersten Verwaltungsebene standen die halbautonomen Dörfer
(desa), die eigene desa-Räte hatten, die wiederum das Dorfoberhaupt, den lurah,
bestimmten. 9 Die im traditionellen Konsensverfahren gewählten lurah mussten al-
4
Smail 1987, 84. Amangkurat I. (1645-1677) nahm nur den altjavanischen susuhunan-Titel an.
5
Vom Susuhunan-Reich spaltete sich 1756 Mangkunegaran ab, und Pakualaman trennte sich 1813 vom
Sultanat.
6
Nach Geertz (1991, 60ff) waren diese Reiche "Theaterstaaten" mit einem "exemplarischen Mittelpunkt"
und einer "abgestuften Spiritualität". Das Zentrum verkörperte die heilige Ordnung und spiegelte die
soziale Ordnung wider.
7
Laut Weber konstituiert die gegenseitige Treueverpflichtung lehensfeudalistische Bindungen. Im patrimonialen
Mataram-Reich hatte zwar der Herrscher die Pflicht, die göttliche Ordnung auf Erden aufrechtzuerhalten,
er musste aber seinen Untertanen keine Treue versprechen. Typisch für patrimoniale Gebilde
ist die väterliche Fürsorgepflicht, im Lehensfeudalismus aber handelt es sich um eine Verbrüderung.
Nicht zufällig bediente sich auch Suharto dieser Rhetorik, indem er sich als "Bapak Pembangunan" (Vater
des Aufbaus) titulieren ließ.
8
Moertono 1981, 107.
9
Die desa waren im Sinne Webers Leiturgien, also leicht kontrollierbare abgabenpflichtige Solidarverbände.

Herrschaftsformen bis 1965 37
lerdings von den bupati bestätigt werden. In den desa gab es bereits beträchtliche
soziale Unterschiede zwischen den sikep, d.h. tributpflichtigen und waffenfähigen
Bauern mit ererbten Landrechten, und den numpang, die kein eigenes Land besaßen
und lediglich zu Gemeinschaftsarbeiten im Dorf herangezogen wurden. 10
Die herrschende Elite orientierte sich an der hindubuddhistischen höfischen Kultur.
Auch wenn zahlreiche Verwaltungspositionen tendenziell erblich wurden, war die
herrscherliche Willkür so groß, dass selbst Prinzen ihre Pfründen verlieren konnten.
Jeder Beamte musste immer mit seiner Versetzung oder Enteignung rechnen. 11
Um die Bindungen innerhalb der priyayi-Aristokratie zu schwächen, griff der König
auf brutale Gewaltmaßnahmen, auf einen ausgedehnten Spitzeldienst und auf verschiedene
andere Herrschaftsstrategien zurück: So stiftete er Heiratsallianzen, um
aufmüpfige bupati enger an sich zu binden, oder er rief potenzielle Konkurrenten
mit ihren Familien für einige Zeit zu sich an den Hof, um sie dort unter direkter
Kontrolle zu halten. Die Einheit der priyayi wurde zudem immer dann ausgehöhlt,
wenn der König Leute aus dem Volk in seine Dienste nahm.
Die bupati hatten eigene Krondomänen, konnten ihre Untergebenen selbständig ein-
und absetzen, übernahmen autonom die Aufgaben der Finanzverwaltung, stellten
militärische Kontingente und sorgten für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit.
Da ihre Rechte aber nicht systematisch kontraktiert waren und da sie nominell -
und oft auch in Wirklichkeit - auswechselbar waren, waren sie patrimoniale Beamte
und keine Lehensvasallen. Sie hatten zwar eine eigene höfische Kultur 12 entwickelt
und nahmen sich selbst als eine an gemeinsame Werte gebundene Aristokratie wahr,
ihre Paläste ahmten aber nur das "eigentliche" Zentrum in der Hauptstadt nach. Es
entstanden innerhalb der Verwaltungselite keine autonomen Intellektuellengruppen,
die häretische Lehren hätten formulieren können. 13 Auch am Hofe konkurrierten
10 Dahm 1974, 77.
11 Der Beamtenadel bestand aus patrimonialen, untertänigen punggawa oder abdidalem, die nach und
nach zu einer Gruppe mit distinkten Wertvorstellungen wurden und zwischen dem Blutadel und den
"kleinen Leuten" (wong cilik) standen. Da der Fürst aber alle Bewohner seines Reiches als Untertanen
betrachtete, ist die Unterscheidung zwischen den punggawa und den engen Verwandten des Fürsten (para
bendara) für die Machtausübung über diese Untertanen nur zweitrangig. Die beiden Gruppen gehörten
deshalb zusammen zu den priyayi, also den vornehmen königlichen Beamten. Moertono (1981, 95)
schreibt: "Although Javanese society had an open elite, the king's officials traditionally were recruited
mainly from the prijaji class, the social group which essentially consisted of the king's punggawa (officials)
but gradually came to include their families and their descendants. Yet, the essential criterion for
membership remained being in the king's service; consequently, if a person were not a punggawa his
inclusion in the prijaji class depended on a close blood-relationship to a royal functionary."
12 Zur kraton-Kultur gehörten heilige, kosmische Kraft verleihende Erbstücke (pusaka) wie der traditionelle
Dolch (kris), gamelan-Orchester und das javanische Schattenspiel (wayang), in dem aus Indien
stammende Werke, wie das Mahabharata und das Ramayana, verarbeitet wurden. Die höfische Etikette
verlangte kultivierte (alus) Umgangsformen, also eine Unterdrückung der Leidenschaften und Eigeninteressen
(pamrih). Der große Abstand zwischen den priyayi und den wong cilik kam in mehreren Sprachebenen
zum Ausdruck. So gab es neben einer Hochsprache (krama) eine Umgangssprache (ngoko) und
verschiedene Zwischenstufen (Magnis-Suseno 1981, 56f; Sutherland 1979, Kap. 2). Diese Sprachebenen
sind wahrscheinlich erst im Mataram-Reich entwickelt worden (dazu ausführlich: Moedjanto 1986).
13 In der Literatur dominierten halbmythische Geschichtswerke, die in erster Linie legitimatorische Funktionen
erfüllten, indem sie z.B. genealogische Verbindungen konstruierten. Dazu gehörten Werke wie

38 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
lediglich verschiedene Cliquen miteinander, die aber keine unterschiedlichen politischen
Doktrinen vertraten, sondern das gleiche Weltbild hatten. Sie waren außerdem
nicht in der Lage, Institutionen zu schaffen, mit denen sie auf einer intermediären
Ebene in Verhandlungen mit dem Patrimonialherren hätten treten können. 14
Das politische Zentrum der javanischen Patrimonialreiche wurde mit dem gesamten
Reichsgebilde identifiziert. Der Name des Staates war daher auch der Name der
Hauptstadt (Majapahit, Demak, Surakarta, Kediri etc.) oder der Ursprungsregion
(Mataram, Bintara etc.). 15 Der Zentralismus äußerte sich schon darin, dass die wichtigsten
Regimenter in der Hauptstadt stationiert waren und der Fürst das ganze Land
als sein Eigentum ansah. 16
Aus der patrimonialen Grundstruktur folgt, dass es sich nicht um einen modernen
Staat im Sinne Webers handelte, da die Verwaltungsarbeit ad hoc, ohne schriftlich
fixierte Regularien erfolgte und die administrativen Bereiche nicht ausschließlich
nach funktionalen Kriterien voneinander abgegrenzt waren. Dem obersten Minister
(patih) waren beispielsweise wedana beigeordnet, deren Aufgaben nicht eindeutig
definiert waren. 17 Die regionalen Verwaltungen waren bereits so verselbständigt,
dass die bupati lediglich durch die Tributzahlungen an den Fürsten gebunden waren,
während die Alltagsarbeit in eigener Regie verrichtet wurde. 18 Da die Geldwirtschaft
noch wenig entwickelt war, wurden Tribute und Gehälter überwiegend in Naturalien
bezahlt. Die Abgabenzahlungen beruhten nicht auf einem ausgeklügelten System,
sondern unterschieden sich von Region zu Region und teilten sich in eine Vielzahl
von Zöllen und Ernteabgaben. 19 Der König verfügte daher nicht über einen großen
Kronschatz, aus dem er seine Beamten hätte bezahlen können, sondern musste die
finanzielle Autonomie der Regionalverwaltungen anerkennen. 20
Die Patrimonialreiche waren so schwach, dass die priyayi in ständiger Unsicherheit
lebten. Aber auch der Fürst hatte permanent mit Rebellengruppen zu kämpfen, die
entweder von Hofcliquen oder von mächtigen bupati angeführt wurden. 21 Epidemien
Sejarah Melayu, Babad Tanah Jawi u.a.
14 Houben/Kolff 1988, 185.
15 Moertono 1968, 111. Immer wieder wechselten die Fürsten ihre Residenz, so dass sich lange Zeit kein
dauerhaftes Zentrum herausbilden konnte. Außerdem kam es nicht zu der Diversifizierung der gesamten
Herrschaftsstruktur, die in Europa teilautonome Städte entstehen ließ.
16 Moertono 1968, 94.
17 Smail 1987, 86.
18 Die mangelnde Kommunikation zwischen Zentrum und Peripherie ergab sich in Java schon aus der
zerklüfteten Landschaft, in der viele Flächen unbebaut und die Wege während der Regenzeit kaum passierbar
waren (Ricklefs 1981, 14ff).
19 Im negaragung-Bereich wurden 2/5 der Ernte dem König und 1/5 dem Dorfverwalter überlassen. Im
mancanegara-Bereich war der Anteil des Königs in der Regel schon kleiner (Moertono 1968, 141).
20 Aus dem Kronschatz konnte er lediglich die im kraton tätige Dienerschaft finanzieren (Moertono 1968,
134).
21 Schon im Mataram-Reich - und wahrscheinlich in ähnlicher Form in anderen Patrimonialreichen - gab
es mindestens drei Protestformen. Wenn die Zwangsabgaben und die Zwangsarbeitslasten zu groß wurden,
konnten die Bauern den Einflussbereich ihres Königs verlassen und sich in einem anderen Gebiet
niederlassen. Da es damals viel Land, aber nur wenige Bauern gab, war das eine realistische Möglichkeit,
sich der Willkürherrschaft zu entziehen. Eine weitere Protestform wurde pepe genannt (noch heute wird
in Makassar das Demonstrieren als pepe-pepe bezeichnet): Dabei setzten sich die Untertanen vor die

Herrschaftsformen bis 1965 39
und Missernten stellten die Legitimität des Patrimonialherren in Frage und lösten
Überfälle der benachbarten Reiche aus. Das Ideal von Harmonie, Stabilität und
Konzentration hatte mit den wirklichen Machtkämpfen also wenig zu tun. Dennoch
konnte es zu Konstellationen kommen, bei denen einzelne Reiche über einige Generationen
hinweg eine überregionale Dominanz erreichten.
Nachdem Sultan Agung mit einem schlagkräftigen Heer Pajang, Demak, Madiun,
Kediri und Surabaya bezwungen hatte und ganz Mittel- und Westjava beherrschte,
ging schon unter Amangkurat I. die Balance des inneren Machtgefüges wieder verloren.
Er ersetzte die bupati durch ministeriales, die festgelegte Beträge abzuführen
hatten, rottete die Hofnobilität aus und machte den Außenhandel zu einem Reichsmonopol.
22 1655 ließ er die Häfen an der Nordküste schließen, um den Reishandel
mit der VOC selbst übernehmen und die weit reichende Autonomie der außenhandelsorientierten
Städte eindämmen zu können. Gerade die Zentralisierungsbestrebungen
verstärkten aber zentrifugale Kräfte, und er war nicht mehr in der Lage, ein
großes Heer 23 aufzustellen. 24
Die nur schwache administrative Durchdringung der Peripherie, die Abnahme der
"überirdischen Kraft" des Königs, ermöglichte nur eine vage Definition der Untertanenrechte,
aber auch der territorialen Grenzen. Zwar gab es geographische, natürliche
Grenzen, aber noch kein gebietsherrschaftlich organisiertes Gewaltmonopol.
Das Reich war nicht juristisch definiert, und Eigentumsrechte waren noch nicht
kontraktlich festgelegt. 25
Die Beschreibung der Herrschaftsstruktur der javanischen Patrimonialreiche, die
sich ähnlich in den Ausführungen Max Webers zum Patrimonialismus im Allgemeinen
findet, weist auf die in Kap. 1.2 angesprochenen strukturellen Homologien zwischen
dem Mataram-Reich und der Neuen Ordnung hin, zu denen in den nächsten
Kapiteln noch einige Anmerkungen gemacht werden.
Audienzhalle des Königs in die Sonne und warteten so lange, bis dieser ihre Beschwerden anhörte. Eine
dritte, sehr alte Protestform ist das nggogol: Damit wurde das Recht bezeichnet, sich mit einer Prozession
bei höheren Amtsträgern zu beschweren. Das nggogol scheint also eine Vorform der politischen Demonstrationszüge
des 20. Jahrhunderts zu sein. Außerdem gab es den alltäglichen Widerstand durch das Streuen
von Gerüchten oder durch das Lächerlichmachen der Beamtenaristokraten etwa in Form von Reimen,
Kinderliedern oder von Kommentaren der Clowns im Wayang-Spiel (vgl. Moertono 1968, 75ff).
22 Schrieke 1955, 184f.
23 Mitte des 17. Jahrhunderts bestand die Armee Matarams aus 920.000 Soldaten, denen insgesamt
115.500 Musketen zur Verfügung standen. 500.000 Soldaten mit 100.000 Musketen unterstanden direkt
dem König, der Rest verteilte sich auf 11 Provinzen (Lombard 1990, 38). Die Armee wurde nie zur
Besatzung eingesetzt, sondern immer nur zu Eroberungskriegszügen.
24 "He dared not leave his guarded court and place himself in the midst of commanders whom he could
not trust with his life. Equally, he dared not entrust the command of a major army to anyone else” (Ricklefs
1981, 67).
25 Moertono (1981, 104) schreibt: "[...] hard and fast rules cannot be drawn about the competencies and
powers of the dignitaries administering the two main parts of the realm, for there was always a fluidity of
situation and an ever-changing balance of power. [...] the king's administration was essentially an hierarchical
line of separate, self-sufficient and highly autonomous units of power, vertically linked by the
direct and personal ties between the several power-holder/administrators. Apart from the binding ties of a
common servitude and loyalty, there did not seem to be any horizontal administrative relationship which
could limit the monarch's independence from each other."

40 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
Die VOC geriet gegen Ende des 18. Jahrhunderts immer mehr in finanzielle Schwierigkeiten,
weil sie ineffizient arbeitete, die Angestellten korrumpiert waren und die
kostspieligen militärischen Unternehmen sich nicht immer unmittelbar auszahlten.
Die Niederländer hatten zwar ihren Einflussbereich ausgeweitet, 26 waren aber keineswegs
die Java souverän dominierenden Kolonisatoren. 27 Indem sie sich geschickt
in Thronstreitigkeiten einschalteten, 28 gelang es ihnen, sich 1677/78 zahlreiche Privilegien
(Zollfreiheit, Monopole beim Reis- und Zuckerhandel sowie für den Import
von Textilien und Opium, Entschädigung für die militärischen Kosten, direkter
Zugang nach Semarang, Anerkennung der Grenzen Batavias einschließlich des Priangan-Gebietes)
zu sichern und sich 1749 während des dritten javanischen Nachfolgekrieges
ihre Souveränität über Mataram anerkennen zu lassen. 29 Die damals geschlossenen
Verträge erwiesen sich aber schnell als leere Versprechungen der Niederländer.
Nach der Teilung Matarams (1755) übernahm die VOC lediglich die
Verwaltung der Nordküste und unterhielt nur kleine Garnisonen an den Fürstenhöfen.
Als auswärtige Macht sorgte die VOC zwar aufgrund ihrer, wenn auch schwachen,
militärischen Präsenz und mit ihrer divide et impera-Taktik für eine Befriedung
Javas von 1757 bis 1825, konnte aber schon aus finanziellen Gründen keine
Kolonialherrschaft mit einer planmäßigen administrativen Durchdringung und ökonomischen
Ausbeutung der javanischen Binnenreiche etablieren. Die niederländischen
Residenten blieben Botschafter an den Fürstenhöfen.
Die VOC hatte - schon wegen ihrer begrenzten finanziellen und militärischen Mittel
- nicht die Absicht, das Inselreich zu unterwerfen und die ökonomischen und politischen
Gegebenheiten fundamental zu verändern. Die VOC beschränkte sich in Java
in der Regel darauf, der Aristokratie die niederländische Überlegenheit vor Augen
zu führen und in einer Suzeränitätsbeziehung einen Teil des von den Einheimischen
Produzierten abzuschöpfen. Den einheimischen Machthabern blieb nicht nur ihre
Herrschaftssymbolik und das damit verbundene Prestige, in vielen Fällen konnten
sie ihre Machtpositionen stabilisieren, indem sie informelle Beziehungen mit den
VOC-Verantwortlichen eingingen. In Westjava z.B. waren die Herrscher von Banten
und Cirebon VOC-Vasallen. In den Städten an der Nordküste Javas und im Kaffeeanbaugebiet
Priangan hingegen war die Herrschaft der VOC direkter und intensiver.
Hier war die spätere Form der Verwaltungsorganisation Niederländisch-Indiens
bereits vorgeprägt. 30
26 Seit 1680/81 hatte Cirebon ihre Suzeränität anerkannt, 1641 war Malacca, 1683 Banten erobert worden,
und in Maluku und Celebes hatten sie das Handelsmonopol für Gewürznelken durchgesetzt, wobei sie
Hoamoal entvölkert, ganze Ernten vernichtet sowie Ambon, Banda, Tidore, Ternate und Gowa militärisch
besiegt hatten.
27 1628/29 hatten sie einen Angriff Sultan Agungs auf ihr 1619 neu eingerichtetes Hauptquartier in Batavia
abgewehrt und waren wegen der weiterhin bestehenden militärischen Bedrohung sowie wegen ihres
Bedarfes an Reis und Bauholz immer mehr in die Auseinandersetzungen in Java hineingezogen worden.
28 So z.B. verbündeten sie sich 1677 mit Amangkurat II. in einer Rebellion gegen seinen Vater.
29 Ricklefs 1981, 73 und 92.
30 Sutherland 1979, 6.

Herrschaftsformen bis 1965 41
Die Kolonialherrschaft seit 1800
Die hohen Militärausgaben und die kaum rationalisierte Finanzverfassung der VOC
führten 1799 zu deren Bankrott, so dass sie von den Niederlanden verstaatlicht wurde.
Damit löste der Staat eine Handelsgesellschaft ab, die in abenteuerkapitalistischer
Manier auf schnelle Profite bedacht gewesen war.
Der von Louis Napoleon eingesetzte niederländische Generalgouverneur Daendels
(1808-11) und der Brite Raffles (1811-16) versuchten zunächst, die einheimische
Verwaltungselite zu umgehen und eine direktere Herrschaftsform zu etablieren.
Daendels machte aus den niederländischen Residenten, die vorher als Botschafter
der VOC in das Hofzeremoniell eingebunden waren, Minister, die sich um die Rituale
der Respektsbezeugung nicht weiter zu kümmern hatten. In dem darauf folgenden
kurzen britischen Intermezzo von 1811 bis 1816 führte Raffles erhebliche
Veränderungen in der Beziehung zwischen dem Staat und der Dorfbevölkerung ein.
Diese war durch die Einführung einer Grundsteuer und einer Kopfsteuer für Bauern
ohne Landrechte direkt an die Kolonialherren gebunden. Außerdem setzten die Briten
ein Verwaltungssystem durch, das die priyayi einiger ihrer traditionellen Rechte
beraubte und in dem Funktionen und Hierarchien genauer definiert waren. 31
Nachdem die Niederländer nach 1816 zunächst ein ähnliches Modell direkter Herrschaft
verwirklichten, dabei aber auf den erbitterten Widerstand der priyayi stießen, 32
gingen sie 1830 zu einer indirekten Herrschaftsmethode über, indem sie die alten
Herrschaftsrechte der priyayi wiederherstellten. Trotzdem behielten sie die von
Daendels und Raffles vorgenommene administrative Umgestaltung z.T. bei. Java
wurde von Residenten, die jeweils 3-5 Assistenten hatten, verwaltet. Sie beaufsichtigten
die einheimischen bupati und deren Beamte, die alle bezahlte Angestellte der
Kolonialmacht wurden. Die bupati galten als die "jüngeren Brüder" der Assistenten
und hatten sich deren Urteilen im Zweifelsfalle zu beugen. 33
Die indirekte Herrschaft war mit dem so genannten Zwangsanbausystem (Cultuurstelsel)
verknüpft. 34 Schon im frühen 18. Jahrhundert hatte man ein solches im
Preanger-Gebiet südlich von Batavia beim Kaffeeanbau erfolgreich angewandt. Seit
1830 sollte dieses Cultuurstelsel die Javaner dazu bringen, unter der Aufsicht der
einheimischen priyayi - und letztlich der Niederländer - einen Teil ihres Bodens für
den Anbau von Indigo, Zucker und Kaffee zu nutzen und die Ernten im Ersatz für
die Bodensteuer an die Kolonialherren abzuliefern. Die 1824 gegründete staatliche
31 Nach zwei militärischen Angriffen auf den Hof von Yogyakarta (1810 und 1812) wurden Ausgleichszahlungen
für die Kontrolle der Küstenstädte eingestellt, Außenbezirke Yogyakartas und Surakartas
annektiert und die Verwaltung von Märkten und Zollsperren übernommen.
32 1825-30 kam es zum Java-Krieg, bei dem 200.000 Javaner, 8.000 Europäer und 7.000 indische Soldaten
ums Leben kamen. Die Einheimischen wurden von Diponegoro, dem Sohn von Hamengkubowono,
angeführt (Ricklefs 1981, 110ff).
33 Sutherland 1979, 8f. Bis 1887 gab es in Java 43.000 Dörfer in den von bupati kontrollierten 90 Regentschaften,
die wiederum in jeweils 4-5 von wedana beaufsichtigte Distrikte eingeteilt waren. Die wedana
wurden von holländischen "Controleurs" bewacht.
34 Carey 1980, 79ff.

42 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
Nederlandsche Handel-Maatschappij war für die Vermarktung der cash crops in
Europa zuständig.
Viele Dörfer mussten tatsächlich weit mehr als nur ein Fünftel ihres Landes für das
Anbausystem zur Verfügung stellen. Außerdem konnten die priyayi als Mittelsmänner
einen erheblichen Teil der Gewinne abschöpfen. Der Zwangsanbau, die
Zwangsdienstleistungen (heerendiensten) sowie die Ausbeutung durch die niederländischen
Kolonialbeamten und die priyayi führten zu einer Verschlechterung der
Lebensumstände vieler Javaner, und besonders in den 40er Jahren wurden zahlreiche
Hungersnöte ausgelöst.
Die in den alten Patrimonialreichen schon vorhandene Willkür und die Überausbeutung
der Bauern wurden durch die niederländische Kolonialherrschaft verstärkt.
Diese zweite Phase des Patrimonialismus kennzeichnet ein gewisses Maß der Enttraditionalisierung:
Die zuvor religiös legitimierte Abgabeneintreibung wurde zunehmend
zu einem Akt der strategischen, nurmehr oberflächlich legitimierten
Mehrwertaneignung.
In den 50er und 60er Jahren begannen die Niederländer damit, technische Verwaltungszweige
(Finanzen, öffentliche Arbeiten, Bildung, Justiz usw.) einzuführen.
Außerdem wurden die Residentschaften und Regentschaften im Jahre 1874 systematischer
in Distrikte und Unterdistrikte eingeteilt. Die einheimische, aristokratische
Verwaltungselite war den an größtmöglicher Effizienz orientierten Weisungen der
Niederländer unterworfen, machte aber weiterhin traditionelle Herrschaftsrechte
gegenüber der bäuerlichen Bevölkerung geltend. 35 Sie war als Aufsichtspersonal für
von der Kolonialmacht kontrollierte Ländereien angestellt und bestrebt, sich als
alteingesessene, achtenswerte Aristokratie zu legitimieren. 36
Mit dem "Regeeringsreglement" (1854) wurde den bupati, die von den Niederländern
als "Regenten" bezeichnet wurden, de facto sogar ein erbliches Recht auf ihr
Amt zugesprochen. Sie hatten zwar viel von ihrem Prestige eingebüßt, konnten sich
nun aber z.T. sicherer fühlen als im patrimonialen Mataram. 37
Die Privilegien der priyayi wurden aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
wieder etwas abgebaut. Die Abschaffung des Dienstlandes im Jahre 1867 sowie der
pancen-(Zwangsarbeits-)Dienste im Jahre 1882, die langsame Unterminierung des
35 Diese priyayi machten im 19. Jahrhundert z.B. in der Residentschaft Madiun in Java nur etwa 0,3% der
Bevölkerung aus. Diesen 350 Familien standen 1.500 lurah-Familien, 1.100 Familien von religiösen
Lehrern, 5.000 von - meist chinesischen - Händlern, 2.000 von Handwerkern und 110.000 von Bauern
gegenüber (Robison 1986, 33).
36 In welch einer merkwürdigen Position die priyayi waren, verdeutlicht die Tatsache, dass sich viele von
ihnen, darunter vor allem die bupati, aufgrund ihres aufwendigen Lebensstils, der zur Wahrung ihres
Prestiges notwendig war, bei chinesischen Geldverleihern verschuldeten (Sutherland 1979, 22). Ihr
wirtschaftlicher Erfolg war dabei immer noch an ihre Stellung in der Verwaltung gebunden: "The majority
of regents rejected the 1830 offer of grants of land in favour of a combination of salaries, a percentage
commission on crops cultivated for the Dutch and traditional tributary rights over the peasantry. By doing
so, the priyayi chose the state rather than private landholdings as the basis of their economic and political
position. Consequently they were to develop as a class of politico-bureaucrats rather than as a class of
large landowners” (Robison 1986, 13f).
37 "The Javanese warrior-chiefs, living off the tribute of their people, were becoming salaried Malaywriting
clerks, agricultural overseers and colonial policemen” (Sutherland 1979, 16).

Herrschaftsformen bis 1965 43
Zwangsanbausystems und die Aushöhlung des Hofzeremoniells waren Folgen einer
wirtschaftsliberalen Politik, die in dieser Zeit einsetzte. 38
Offiziell wurde das Anbausystem durch das Agrargesetz (1870) beendet. Das Agrargesetz
markiert den Übergang zu einer wirtschaftsliberalen Phase; in Wirklichkeit
gab es schon vorher Tendenzen der Auflösung und der Ablösung durch privatwirtschaftlich
geregelten Anbau. Das Land gehörte zwar weiterhin den Einheimischen
und durfte nicht verkauft werden, um sie so vor den privaten Geschäftsleuten zu
schützen. Niederländische Unternehmer konnten aber nach den neuen Gesetzen
Ländereien langfristig pachten.
Die Bürokratisierung nahm in den letzten Jahrzehnten der Kolonialherrschaft immer
mehr zu. Dadurch gelangten in die priyayi-Klasse zunehmend Aufsteiger, die sich in
den neu geschaffenen Institutionen höherer Bildung bewährt hatten. In den Worten
Van Niels:
"In the first two decades of the twentieth century the term priyayi which had once referred
only to the Javanese civil administrators and members of the nobility began to be applied
to an even wider category of people at various levels of government service." 39
Während bis ins 19. Jahrhundert das Ideal des Kriegers (ksatriya) eine wesentliche
Rolle in der priyayi-Kultur spielte, verlagerte sich der Schwerpunkt stärker auf typische
Beamtenwerte wie Unterordnung, Selbstaufgabe, Disziplin etc. Sutherland
schreibt zu der mit der Verwaltungsrationalisierung verbundenen Neuordnung des
Beamtenapparates:
"As an administrative service the Pangreh Praja developed considerably during this period,
from a collection of rather untidy local networks into a single carefully graded hierarchy
of about fifteen hundred career officials." 40
Die meisten dieser 1.500 priyayi erwiesen sich als konservativ. Sie befanden sich
zwar als bezahlte Angestellte der Kolonialherren in abhängiger Stellung, gehörten
aber zugleich als traditional legitimierte volkshoofden zur einheimischen Elite, die
bei der Dorfbevölkerung noch immer ein hohes Ansehen genoss. 41 Die anderen ca.
250.000 Staatsbediensteten arbeiteten fast ausschließlich auf den unteren Verwaltungsebenen.
42
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts gab es nationalistische Kräfte, die auf die Unabhängigkeit
von den Niederländern drangen und mit ihren Forderungen viele priyayi
38
Schrieke 1955, 193. 1863 wurden zudem die Dorfvorsteher durch ein Gesetz geschwächt, in dem
festgelegt wurde, dass Verträge direkt mit den Landbesitzern auszuhandeln und nicht die Dorfvorsteher
als Verhandlungsführer einzuschalten waren.
39
Van Niel 1980, 116.
40
Sutherland 1979, 1.
41
Benda (1965, 1065f) schreibt: "[...] in the course of two centuries the Javanese elite did not move out of
its traditional moorings, its bureaucratic habitat. [...] its world view remained basically aristocratic and
bureaucratic. This was as true of traditional officialdom as it was of the majority of Westernized Indonesians
who came to staff the spreading administrative and technical services of the modern colony in the
twentieth century."
42
Von den 3.039 wichtigsten Posten waren 1940 nur 221 von Indonesiern besetzt (Feith 1962, 6). Auf der
untersten Verwaltungsebene aber machten sie 98,9% des Personals aus (Wertheim 1964, 149).

44 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
oder pangreh praja (Herrscher des Reiches), wie sie auch genannt wurden, verschreckten.
Nationalismus und erste politische Organisationen
Eigentlich waren die Voraussetzungen für die Ausbildung eines nationalen Bewusstseins
sehr ungünstig, da in dem Gebiet, das später Indonesien genannt wurde, mehrere
Hundert Ethnien auf mehreren Tausend Inseln ohne gemeinsame Landessprache
verstreut lebten. Das Einzigartige des indonesischen Nation-Building war die Wahl
einer Nationalsprache, der Bahasa Indonesia, die nur von einer Minderheit gesprochen
wurde und kaum noch einen Bezug zu einer spezifischen Ethnie (den Malaien)
aufwies. 43 Wie Nigeria, die Philippinen oder Brasilien kam Indonesien also ohne
eine ethnische Fundierung bei der "Erfindung" der Nation aus. 44 Was diese Menschen
miteinander verband, war, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, die Erfahrung
der niederländischen Kolonialherrschaft und das Bewusstsein, in einem als
Niederländisch-Indien bekannten Konstrukt als Untertanen zu leben.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts formulierten einige der wenigen indonesischen
Intellektuellen jener Jahre - gestützt auf westliche Vorbilder - nationalistische Lehren
und konzipierten Strategien zur Erlangung der Unabhängigkeit. 45 Verschiedene,
kaum koordinierte Strömungen verbanden sich zu einer Bewegung (pergerakan), die
erst so spät entstand, weil bis weit ins 19. Jahrhundert hinein die tendenziell indirekte
Herrschaft der Niederländer ohne gut ausgebildete indonesische Führungskräfte
aufrechterhalten werden konnte. Erst in der wirtschaftsliberalen Phase seit 1870,
aber besonders mit der "Ethischen Politik" kam es zum Aufbau einer breit gefächerten
Verwaltung, für die auch einheimische Fachkräfte benötigt wurden. 1901 hatte
Königin Wilhelmina den Beginn der "Ethischen Politik" verkündet und grundsätz-
43 Abgeleitet aus dem Malaiischen, das an der Ostküste Sumatras, auf den Riau-Inseln und auf der Malaiischen
Halbinsel gesprochen wurde. Es wurde seit dem 17. Jahrhundert zur lingua franca im interinsularen
Verkehr und deshalb auch von der VOC benutzt. Die Niederländer halfen ungewollt bei der Ausbildung
der Staatssprache, da sich niederländische Beamte des dienstmaleisch (Verwaltungsmalaiisch)
bedienten, das dann im 19. Jahrhundert von Journalisten und Verlegern - viele von ihnen waren Chinesen
oder Eurasier - übernommen wurde (Anderson 1993, 132f). Am 28.10.1928 wurde Malaiisch auf einem
Jugendkongress zur Bahasa Indonesia, der indonesischen Nationalsprache, erklärt. Es wäre verständlich
gewesen, wenn die nationalistische Bewegung sich auf Javanisch als Nationalsprache geeinigt hätte, da
ca. 45% der Bevölkerung diese Sprache beherrschten. Aber das Malaiische ist nicht - wie das Javanische -
in "feudale" Sprachebenen gegliedert und entsprach daher eher den emanzipatorischen Bestrebungen der
Nationalisten.
44 In diesem Sinne sind diese Länder ausgesprochen modern, zumal wenn man bedenkt, dass viele der
westlichen Nationalstaaten sich zumindest in ihren Ursprüngen ethnisch definiert haben. Das gleiche gilt
in Asien für Japan und China. Es ist schwierig, allgemein verbindliche Aussagen über die nationale
Kultur Indonesiens zu machen. Eine Reihe von Intellektuellen lehnt diesen Begriff rundheraus mit der
Begründung ab, dass Indonesien eine noch zu junge Nation sei und dass eher ein unüberschaubarer
Kulturenmix typisch für dieses Land sei. So Gunawan Muhamad (Interview am 18.10.1997 in Jakarta).
45 Kahin 1952, Kap. 1-3; Dahm 1971, Kap. 2 und 3; Ricklefs 1981, Kap. 14 und 15; van Niel 1980;
Schmahl 1964; Kubitschek/Wessel 1981, 119ff.

Herrschaftsformen bis 1965 45
lich anerkannt, dass die Niederlande auch moralische Verpflichtungen zu übernehmen
hätten. 46
Um einen Absatzmarkt für niederländische Produkte zu schaffen und um qualifiziertes
einheimisches Personal für den wachsenden Verwaltungsapparat zu gewinnen,
wurden das Bildungs- und das Gesundheitssystem ausgebaut, sehr vorsichtig Dezentralisierungs-
und Demokratisierungsmaßnahmen 47 durchgeführt sowie Bauern
mit Kleinkrediten und mit einem umfangreichen Irrigationsprogramm unterstützt.
Für die Ausbildung von Beamten bzw. Ärzten gründeten die Niederländer die Osvia
und die Stovia 48 und schufen in den 20er Jahren erstmals die Möglichkeit einer universitären
Ausbildung. Außerdem wurden Dorf-, Mittel- und Berufsschulen errichtet.
Die wenigen Indonesier, die vor 1945 studiert hatten, aber nicht entsprechend
ihrer Qualifikation eingesetzt wurden, stiegen dann zu den bedeutendsten politischen
Führern der nationalistischen Bewegung auf. Kahin schreibt:
"[...] the large majority of Western-educated Indonesians were either given posts which
they felt to be inferior to their educational training or were unable to get governmental or
any other employment where their training was utilized. It was this group which was to
emerge as the chief force behind the Indonesian nationalist movement and which soon
produced leaders much more numerous than those coming from the slightly older Modernist
Islamic root of the nationalist movement." 49
Als "nationales Erwachen" (kebangkitan nasional) gilt in Indonesien die Gründung
von Budi Utomo im Jahre 1908. 50 Budi Utomo ("Erhabene Anstrengung" oder "Edles
Streben") war ursprünglich eigentlich zur Förderung der javanischen Kultur und
um den Zugang zu westlicher Bildung zu erleichtern, gegründet worden. Es war eine
Organisation, die von niederen priyayi mit akademischer Bildung dominiert wurde
und allmählich sehr gemäßigte politische Ziele formulierte. Als konservative Vereinigung
wurde sie von den niederländischen Kolonialherren anerkannt und von
anderen Nationalisten skeptisch betrachtet. Die erste Organisation, die die volle Unabhängigkeit
Indonesiens forderte, war die Indische Partij, die 1911 von dem Eurasier
E.F.E. Douwes Dekker gegründet wurde. Diese Partei war auch die erste, die nicht
auf bestimmte Ethnien oder Religionen beschränkt blieb. Die erste nationalistische
Massenorganisation aber war die Sarekat Islam, die 1909 als Islamische Händlervereinigung
(Sarekat Dagang Indonesia) gegründet wurde. Die SDI wollte den zunehmenden
Einfluss der chinesischen Konkurrenten im Batikhandel durch Boykotte und
Genossenschaftsbildungen zurückdrängen. 1912 ging die Islamische Union (Sarekat
Islam) aus der antichinesischen Händlervereinigung hervor. Sie hatte schon wenige
46
Die Ethische Politik basierte auf einer lockeren Allianz zwischen "big Capital, Christian political
parties, and liberal humanitarianism" (Sutherland 1979, 45).
47
Die alten Dorfstrukturen sind allerdings durch die Zusammenlegung von 43.000 (1887) Dörfern zu
23.000 (1920) erheblich transformiert worden (Dahm 1974, 80).
48
Opleidingschoolen voor inlandsche ambtenaaren und School tot opleiding van inlandsche artsen.
49
Kahin 1952, 49.
50
90 Jahre später hätte im Gedenken an dieses "nationale Erwachen" die vielleicht größte Demonstration
der indonesischen Geschichte stattgefunden, wenn nicht das Militär vorher Warnungen ausgesprochen
und A. Rais daraufhin die Demonstration abgesagt hätte.

46 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
Jahre später (1919) etwa 1/2 Million Mitglieder. Von ihr spaltete sich aber bald
darauf ein linker Flügel ab, der die PKI gründete. Traditionalistische Muslime sammelten
sich u.a. 1926 in der NU (Nahdatul Ulama), der Vereinigung muslimischer
Gelehrter. Diese unterschiedlichen Gruppierungen konnten sich nicht zu einer gemeinsamen
antikolonialen Front zusammenschließen. Nach einem missglückten
kommunistischen Aufstand (1926/27) waren die verschiedenen Parteien und Verbände
nahezu paralysiert. Die Aufstände in Banten (Ende 1926) und in Westsumatra
(Anfang 1927) kamen viel zu früh: Die PKI hatte eine zu schwache Basis, und die
Parteiführung selbst war hinsichtlich der Strategie gespalten. Die niederländische
Kolonialregierung, die in den Jahren zuvor den Nationalisten begrenzte Freiräume
gewährt hatte, ging mit aller Härte gegen die Aufständischen vor und ließ 13.000
Personen verhaften, 4.500 verurteilen und über 800 in das berüchtigte Gefangenenlager
Boven Digul in West Neuguinea bringen.
Nach der Niederschlagung des Aufstandes war die PKI weitgehend zerstört. Auch
die Sarekat Islam, die 1913-23 das Zentrum der nationalistischen Bewegung gewesen
war, büßte erheblich an Einfluss ein. In diese Lücke stieß 1927 die säkularistisch-nationalistische
PNI 51 unter Sukarno, die bald zur mächtigsten Organisation
aufstieg und auch von der Sarekat Islam unterstützt wurde. Die Niederländer reagierten
mit zunehmender Repression und verhafteten die meisten der nationalistischen
Führer. Sukarno, Hatta, Syahrir u.a. wurden bis 1942 in verschiedenen Gefängnissen
oder Gefangenenlagern festgehalten. Auch die der PNI nachfolgenden
säkularistischen und radikalnationalistischen Assoziationen, die Partai Indonesia und
Pendidikan Nasional Indonesia, wurden mit aller Härte bekämpft.
Selbst die mehrheitlich vom Volksraad verabschiedete Sutarjo-Petition, die Verhandlungen
über eine begrenzte Selbständigkeit Indonesiens forderte, wurde von der
Kolonialregierung abgelehnt. Der Volksraad war ein 1918 von den Niederländern
eingerichtetes Parlament, das von den radikalen Nationalisten aufgrund der sehr
beschränkten Vollmachten boykottiert wurde.
Die repressive Politik der Niederländer führte dazu, dass die meisten Nationalisten
ihre nonkooperative Haltung aufgaben und größere Allianzen anstrebten. 1935
sammelten sich die konservativen Kräfte in der Großindonesischen Partei "Partai
Indonesia Raya" (Parindra) 52 , die im Volksraad sehr einflussreich war. Die moderatlinken
Kräfte bildeten 1937 die Volksbewegung Indonesien "Gerakan Rakyat Indonesia"
(Gerindo). Die Gerindo war zur Kooperation bereit, strebte aber zugleich
unmissverständlich die Unabhängigkeit Indonesiens an. Im selben Jahr schlossen
sich NU und Muhammadiyah zum MIAI zusammen. Kurz vor Ankunft der Japaner
entstanden endlich Bündnisse, die fast alle wichtigen Organisationen einschlossen,
so 1939 das Indonesische Politische Bündnis "Gabungan Politik Indonesia" (Gapi,
bestehend u.a. aus Gerindo, der Partai Sarekat Islam Indonesia und Parindra) und
1941 der Volksrat Indonesien "Majelis Rakyat Indonesia" (bestehend aus Gapi,
51
Partai Nasional Indonesia.
52
Bestehend aus Budi Utomo, einigen moderaten "Studierklubs" und javanischen nationalistischen Organisationen.

Herrschaftsformen bis 1965 47
MIAI und der Gewerkschaftsföderation PVPN). Der Majelis Rakyat Indonesia beschloss
auf einem Kongress im September 1941, sich für die Schaffung eines unabhängigen
indonesischen Parlamentes einzusetzen. Wenige Monate später wurden
diese Bemühungen aber durch die Invasion japanischer Truppen gestoppt.
Die Herrschaft der Japaner 1942-1945
Die japanische Besatzung dauerte zwar nur 3 1/2 Jahre, sie hatte aber einen nicht
unbeträchtlichen Einfluss auf die moderne indonesische Geschichte. 53 Die Japaner,
die anfänglich von großen Teilen der einheimischen Bevölkerung als Befreier angesehen
wurden, errichteten ein Gewaltregime. Sie trieben ruinöse Zwangsabgaben
ein, verschifften Ausrüstungsgüter und Maschinen nach Japan und benutzten mehrere
Hunderttausend Zwangsarbeiter (romushas) für verschiedene Bauprojekte in
Südostasien. Die landwirtschaftliche Produktion wurde auf ihre Kriegsbedürfnisse
zugeschnitten. Die Administration der Kriegswirtschaft war oftmals chaotisch und
förderte die Korruption. Die Folge waren Hungerkatastrophen und Produktionsrückgänge
in fast allen Bereichen.
Die Japaner versuchten - anders als ihre niederländischen Vorgänger - die Indonesier
zu indoktrinieren und umfassend zu mobilisieren. So errichteten sie das tonarikumi-System
von Nachbarschaftsvereinigungen, unter dem sämtliche Tätigkeiten
kontrolliert und erfasst wurden. 54 Die Bevölkerung musste jeden Japaner militärisch
grüßen und sich in Richtung des Kaiserpalastes in Tokio verbeugen, widerspenstige
Indonesier wurden ausgepeitscht.
Trotzdem entfaltete die Herrschaft der vermeintlichen "asiatischen Brüder" auch
einige emanzipatorische Wirkungen: So wurde die nationalistische Bewegung nicht
geschwächt, sondern in mehrfacher Hinsicht revitalisiert. Da die Japaner die Indonesier
für eine mögliche Abwehr der Alliierten benötigten, förderten sie die Schaffung
einer nationalen Kultur und eines indonesischen Nationalbewusstseins. Hatta, Syahrir,
Sukarno und andere nationalistische Führer kehrten aus dem Exil zurück, und
einige übernahmen erneut wichtige Positionen in den neu geschaffenen politischen
Organisationen.
Viele Europäer gerieten in japanische Gefangenschaft und wurden öffentlich gedemütigt.
Durch das Verbot europäischer Sprachen, die Zerstörung des Mythos vom
unbezwingbaren Europäer und die generelle Abwertung alles Westlichen kam es
zum endgültigen Bruch mit der niederländischen Kolonialherrschaft. Indonesisch
wurde erstmals in der Geschichte des Landes zur vorherrschenden, zur nationalen
Sprache. Viele Indonesier aus der Mittelklasse (die niederen priyayi, die zuvor nur
unterhalb ihres Bildungsniveaus beschäftigt wurden) konnten in der Verwaltung in
53
Vgl. etwa Dahm 1971, Kap. 4; Ricklefs 1981, Kap. 16; Kahin 1952, Kap. 4; Kubitschek/Wessel 1981,
150ff.
54
Das tonarikumi-System erstand in der Neuen Ordnung mit den "Rukun Warga" und "Rukun Tetangga"
wieder auf (vgl. Mangunwijaya 1994 und Bourchier 1996, Kap. 3). Zu dem japanischen Erbe gehörten
auch das Nachbarschaftswachsystem "Siskamling" und die Zivilverteidigung (Hansip), die korporatistischen
Organisationen, die Rolle des Militärs, die Ablehnung westlicher politischer Theorien und die
organizistische Theorie vom "Familienstaat".

48 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
höhere Positionen aufsteigen, da die niederländischen Kolonialbeamten aus dem
Lande getrieben oder inhaftiert wurden. Van Niel schreibt dazu:
"What actually seems to have happened [...] was a levelling of various élite groups. [...]
The power of the administration was no longer as exclusive as it once had been [...] The
term priyayi loses virtually all its meaning under these circumstances [...]" 55
Mit verschiedenen, von nationalistischen Führern geleiteten Massenorganisationen
(wie Putera, Jawa Hokogai und dem Masyumi, der später zu einer der größten Parteien
in der Republik Indonesien wurde) wurde ein großer Teil der indonesischen
Bevölkerung mobilisiert und politisiert. Militärische Verbände wie Peta ("Freiwillige
Verteidiger des Vaterlandes") und Giyugun bildeten den Kern der späteren indonesischen
Armee. Insbesondere Peta bildete eine Vielzahl von Offizieren aus, die
später zusammen mit den paramilitärischen Verbänden (islamische Hizbullah-
Einheiten sowie nationalistische Barisan-Pelopor-Truppen) gegen die Niederländer
kämpften.
Im September 1944 versprach Japan den Indonesiern die nationale Unabhängigkeit,
und im März 1945 wurde dafür ein Vorbereitungskomitee eingerichtet. Nach der
militärischen Niederlage der Japaner am Ende des Zweiten Weltkrieges wurde in
Indonesien am 17.8.1945 die Republik ausgerufen, die von den zurückkehrenden
Niederländern jedoch nicht anerkannt wurde.
Die Phase der Revolution 1945-1949
Die Erinnerung an die Revolution56 erfüllt die meisten Indonesier noch heute mit
Stolz. Zwei Prozesse überlagerten sich dabei: der Kampf gegen die zurückkehrenden
Niederländer und in einigen Regionen der Kampf gegen die indonesischen, traditionellen
Machteliten. 57 In diesen Jahren zeichneten sich schon Konstellationen und
Konfliktformen ab, die auch in den folgenden Jahrzehnten das Land prägen sollten.
Im August 1945 erlangte die neu gegründete Republik Indonesien die endgültige
Unabhängigkeit. Aus der erst niederländischen, dann japanischen Kolonie wurde ein
Nationalstaat mit einer modernen Verfassung und einem parlamentarischdemokratischen
System. Das zuletzt von den Japanern eingesetzte Komitee zur
Vorbereitung der Unabhängigkeit, PPKI, wurde personell aufgestockt und zu einem
Parlament, nämlich dem Zentralen Indonesischen Nationalkomitee KNIP (Komite
Nasional Indonesia Pusat), umgewandelt. Seit Oktober 1945 war das Kabinett dem
KNIP und nicht dem Präsidenten verantwortlich. Die Verantwortlichkeiten der nicht
gewählten Parlamentarier, des Kabinetts und des Präsidenten waren allerdings nicht
eindeutig geregelt. 58
55 Van Niel 1980, 161.
56 Kahin 1952; Dahm 1979, Kap. 1; Ricklefs 1981, Kap. 17.
57 In der offiziellen Geschichtsschreibung der Neuen Ordnung wurde von der "Masa Revolusi Fisik"
gesprochen, so als hätte es sich lediglich um einen "physischen" Überlebenskampf gegen die Niederländer
gehandelt. Vgl. etwa Kansil/Julianto 1991, ein Lehrbuch für den Unterricht in der Sekundarstufe und
an Hochschulen.
58 Zum KNIP: Drooglever 1997.

Herrschaftsformen bis 1965 49
Millionen Indonesier beteiligten sich am Kampf gegen die Niederländer, die selbst
trotz groß angelegter militärischer Vorstöße (den so genannten Polizeiaktionen) und
trotz ihrer geschickten divide-et-impera-Politik ihre Ziele nicht erreichten. Das Militär
konnte sich in dieser Phase als "Retter der Nation", als "Gründer der Republik"
und als volksnahe, wenn nicht mit dem Volk identische, Kraft darstellen. Es übte
schon eine Art Doppelfunktion aus, da es eng mit der Bevölkerung zusammenarbeiten,
sich größtenteils selbst versorgen und auch Verwaltungsfunktionen übernehmen
musste. Die Tendenz der Dezentralisierung wurde dadurch verstärkt: Die Zentralregierung
war nämlich - nicht nur in finanzieller Hinsicht - relativ schwach und nur
auf das Gebiet der Republik Indonesien, d.h. große Teile Sumatras und Javas, beschränkt.
Das Militär und die regionale Verwaltung arbeiteten weitgehend autonom.
Soziale Revolutionen fanden nicht im ganzen Land, sondern nur in einigen Regionen
statt. In Südsulawesi und in Bali akzeptierten viele raja die neuen republikanischen
Machthaber. In anderen Gebieten - etwa in Kalimantan - konnten die schnell
zurückkehrenden Niederländer den Ausbruch von Kämpfen verhindern. In Yogyakarta
reformierte der aufgeklärte Sultan Hamengkubuwono IX. die Verwaltung "von
oben". Yogyakarta wurde u.a. deshalb - nach der Besetzung Jakartas durch die Niederländer
- im Januar 1946 zur neuen Hauptstadt der Republik Indonesia. 59 Während
die Revolution in einigen Gebieten nahezu gewaltlos verlief, kamen bei Kämpfen in
Ostsumatra mehrere Hundert Personen - vor allem die alten raja und ihre Anhänger
- ums Leben. In Aceh wurde die traditionelle aristokratische Verwaltungselite der
uleëbalang von den ulama und ihren Mitstreitern getötet oder vertrieben.
Neben solchen regionalen Kämpfen zwischen alteingesessenen Machteliten und
ihren nationalistischen, sozialrevolutionären Herausforderern kam es im politischen
Machtzentrum, also seit 1946 in Yogyakarta, zu dauernden Konflikten zwischen den
Befürwortern und den Gegnern von Verhandlungen mit den Niederländern. Die
beiden Gruppen vertraten die Ansätze der Diplomatie (diplomasi) und des Kampfes
(perjuangan). Der PSI-Politiker Syahrir, der die ersten drei Kabinette bis 1947 anführte
und von Sukarno und Hatta unterstützt wurde, war bereit, den Niederländern
weit reichende Zugeständnisse zu machen. Daraufhin bildete sich um den "Nationalkommunisten"
Tan Malaka eine Kampffront (Persatuan Perjuangan), die im Februar
1946 Syahrir zum Rücktritt zwang. Das im Anschluss daran konstituierte
zweite Syahrir-Kabinett ließ die Persatuan-Perjuangan-Führer ohne Verurteilung
einsperren. Auf dem Höhepunkt dieser Krise nahmen Militäreinheiten kurzzeitig den
Premierminister fest, ließen ihn aber nach der Intervention PSI-naher Einheiten
wieder frei.
Im Juni 1947 wurde Syahrir von Syarifuddin in seinem Amt abgelöst. Dieser wiederum
wurde im Januar 1948 wegen seiner nachgiebigen Haltung gegenüber den
Niederländern zum Rücktritt gezwungen. Daraufhin verschoben sich die Gewichte
im Parlament. Masyumi- und PNI-Politiker setzten sich durch, und im Januar 1948
formierte sich das Kabinett unter Vize-Präsident Hatta. Gleichzeitig machte man das
59 1998 spielte der Sohn des Sultans eine vergleichbar progressive Rolle in der Demokratiebewegung, als
er im Mai bei einer Großdemonstration seinen kraton für die abschließende Großkundgebung zur Verfügung
stellte und sich an die Spitze der Reformbefürworter stellte.

50 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
Kabinett dem Präsidenten verantwortlich. Gegen die Hatta-Regierung bildete sich
die prokommunistische "Front Demokrasi Rakyat" (FDR) unter Amir Syarifuddin,
der selbst in den Jahren zuvor Verhandlungen mit den Niederländern unterstützt und
geführt hatte.
Als im August der PKI-Führer Musso aus Russland zurückkehrte, überschlugen sich
die Ereignisse. Im September 1948 revoltierten im ostjavanischen Madiun Kommunisten
gegen die Regierung Sukarno-Hatta. Ähnlich wie über 20 Jahre zuvor, war
auch diese Rebellion - in die auch Teile des Militärs verwickelt waren - verfrüht
und scheiterte schon nach wenigen Wochen. Der missglückte Aufstand von Kommunisten
und von der Demobilisierung bedrohter Truppen schwächte die PKI nachhaltig.
Der Partei wurde vorgeworfen, kurz vor dem zweiten, groß angelegten Angriff
der Niederländer im Dezember 1948 der antikolonialistischen, nationalistischen
Bewegung in den Rücken gefallen zu sein.
Die verlustreiche Niederschlagung des Aufstandes und der langjährige Widerstandskampf
der Indonesier bewirkten aber einen Stimmungsumschwung der Staaten (insbesondere
der USA), die die UN dominierten. Die Niederländer mussten sich
schließlich mit der Unabhängigkeit Indonesiens abfinden.
Die parlamentarische Demokratie 1949/50-1957
Nach Gesprächen unter Vermittlung der United Nations Commission for Indonesia
in Den Haag vom August bis zum November 1949 wurde die Schaffung der Vereinigten
Staaten von Indonesien (RUSI) beschlossen. 1949 war also die "Stunde
Null" der Indonesier, die zum ersten Mal einen souveränen, völkerrechtlich anerkannten
und nicht von ehemaligen Kolonialmächten bekämpften Staat gründeten.
Innerhalb weniger Monate schlossen sich die Teilstaaten der RUSI der Republik
Indonesia an, so dass am 17.8.1950 - exakt fünf Jahre nach der Ausrufung der Republik
durch Sukarno - wieder ein mächtiger Einheitsstaat entstand. 60 Allerdings
übernahmen die Indonesier die Schulden Niederländisch-Indiens. Sie gewährten den
weiterhin dominierenden ausländischen Gesellschaften umfassende Investitionsfreiheiten
und besaßen nur sehr beschränkte Handlungsmöglichkeiten. Anderson
schreibt:
"The final political settlement (1949) with the Dutch left the vast archipelagic country sovereign
but flat on its back in terms of finances, material infrastructure, and modern-sector economy.
It had neither an air force nor a navy, and the eastern part of the nation had been largely
cut off from the western since 1942." 61
Schon aus diesen Gründen wäre die Einführung eines autoritären politischen Systems
schwierig gewesen. Das Militär allein war noch zu schwach, um die Macht an
sich zu reißen. Die Guerilla-Armee war stark dezentralisiert und hatte nur leichte
Waffen zur Verfügung. Die Kommunistische Partei hatte - vor allem nach Madiun -
keinen so starken Rückhalt in der Bevölkerung. Also setzten sich als neue strategi-
60
Vgl. Dahm 1974, Kap. 2; Ricklefs 1981, Kap. 18; Feith 1962; Cribb/Brown 1995; Kubitschek/Wessel
1981, 187ff.
61
Anderson 1996, 28.

Herrschaftsformen bis 1965 51
sche Gruppen die Bürokratie und die Berufspolitiker durch, die aus der nationalistischen
Bewegung und dem antikolonialistischen Kampf hervorgegangen waren. Ihre
Beziehungen zu den Militärs, die in die Kasernen beordert wurden, waren von Anfang
an gespannt.
Die politische Elite bestand i.d.R. aus Personen mit einer überdurchschnittlich guten,
vor allem westlich orientierten Ausbildung, die zuvor als Professionals oder Beamte
im technischen Dienst gearbeitet hatten. Einige waren für religiöse, politische oder
Kulturorganisationen tätig gewesen. Nur sehr wenige verfügten über eigene Unternehmen
oder über Großgrundbesitz. 62 Die Parteien in diesem System waren keine
bürokratisierten Massenorganisationen, die mit elaborierten Programmen die Interessen
der Bevölkerung artikulierten, sondern sie konstituierten aliran (Strömungen
oder cultural solidarity groups). Nach Mackie 63 war ein aliran:
"[...] a cluster of nationally based organizations - women's clubs, youth groups, religious
societies, and so on - sharing a similar ideological direction or standpoint, and having one
political party as the nucleus."
Diese aliran basierten auf sehr alten Lebensformen und Weltbildern, aber erst in den
50er Jahren entstanden aus ihnen politische Parteien und parteinahe Organisationen.
64 Die wichtigsten vier Parteien, die bei den ersten Wahlen 1955 zusammen etwa
4/5 der Stimmen erhielten, 65 ließen sich diesen Strömungen zuordnen. 66 Die nationalistische
Partei, die PNI, vertrat solche abangan, die der javanisch-aristokratischen
Kultur verhaftet und überwiegend als Angestellte oder Beamte tätig waren, sowie
Dorfbewohner, die als Klienten unter dem Einfluss dieser pamong praja standen.
Die PKI hatte ihre abangan-Stammwählerschaft 67 in den städtischen kampung und in
der verarmten Bauernbevölkerung. Die santri gliederten sich in einen modernistischen
und einen traditionalistischen Flügel. Unter den strenggläubigen Muslimen
band NU vornehmlich traditionalistische santri, also - meist grundbesitzende - kiai
oder ulama und deren Gefolgschaft, an sich, während Masyumi die Interessen mo-
62
Feith (1962, 102): "[...] the basis of their power continued to be political - rooted in their ties to bureaucratic
organizations, civil and military, and political parties - rather than economic."
63
Mackie 1971, 60.
64
Vgl. auch die Definition von Geertz (1963, 15): "Each party with its aggregation of specialized associations
provides, therefore, a general framework within which a wide range of social activities can be
organized, as well as an over-all ideological rationale to give these activities point and direction." Geertz
hat erst in den 60er Jahren das aliran-Modell entwickelt, zuvor (Geertz 1960) hatte er die abangan, die
santri und die priyayi lediglich als Anhänger unterschiedlicher Weltanschauungen beschrieben. Anderson
(1972a, 45) definiert aliran folgendermaßen: "[...] a distinctive, integrated cultural outlook, together with
its organized and unorganized (but potentially organizable) adherents."
65
PNI 22,3% ; Masyumi 20,9% ; NU 18,4% ; PKI 16,4%.
66
Dahm 1978, 60ff; Feith 1962, 132ff. Sie erinnern damit an die Milieuparteien des Kaiserreiches und der
Weimarer Republik.
67
Die PKI bestand größtenteils nicht aus säkularisierten, ideologisch geschulten Mitgliedern. Sie musste
ihre revolutionäre Rhetorik vor allem in den javanischen Dörfern den religiösen Weltbildern ihrer Anhänger
anpassen und sich ähnlich wie die anderen Parteien Patron-Klient-Beziehungen zu Nutze machen.
Erst seit Ende der 50er Jahre begann sie damit, kämpferischer aufzutreten. 1964 hatte sie - nach eigenen
Angaben - mit 2,5 Mio. Parteimitgliedern (1954: 165.000) und 16 Mio. Mitgliedern in den angeschlossenen
Massenorganisationen die weitaus größte Basis der indonesischen Parteien (Mortimer 1969).

52 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
dernistischer santri, das waren in erster Linie städtische Intellektuelle, Händler und
Handwerker außerhalb Javas, repräsentierte. Mortimer schreibt über diese verschiedenen,
politisch relevanten Konfliktlinien:
"In the absence of strong class pressures, political parties and mass organizations organized
their followings largely along lines of religious and cultural cleavage. The major elite
groupings aggregated these cleavage bases, but intraelite conflict also owed a good deal to
differences in political values and styles, and to the divergent socioeconomic interests
which they encompassed. The latter were a very important source of conflict, particularly
between the Masjumi, with its clientele of santri businessmen and Outer Islands export
producers, and the PNI, with its base among the Javanese civil bureaucracy and the patronage
it extended to a group of predominantly Javanese importers." 68
Die politischen Konflikte spiegelten also ökonomische Interessen wider und drückten
sich z.T. in religiösen Begriffen aus. Die Parteien waren zumeist locker organisiert
und verfügten aufgrund der vagen Mitgliedschaftsregelung kaum über stetige
und ausreichende Einkünfte. Ihre Führung bestand überwiegend aus Politikern, die
die parlamentarische Demokratie zumindest skeptisch einschätzten. 69 Die Macht der
Spitzenpolitiker gründete auf ihrem Zugang zu Segmenten der Bürokratie, des Militärs
und staatlicher sowie privater Betriebe. So wurden manchmal sogar über Parteigrenzen
hinweg Patronagebeziehungen aufrechterhalten.
Eine häufig zitierte Unterscheidung von Feith ist die zwischen dem Politikertyp des
pragmatischen Problemlösers (problem-solver) und dem des eher populistischen
Symbolmanipulierers oder Solidarisierers (solidarity-maker). 70 Die pragmatischen
"Administratoren", zumeist PSI- oder Masyumi-Politiker, wurden seit Mitte 1952
zusehends von solidarity-makers verdrängt. Die Affäre vom 17. Oktober 1952, bei
der eine Hatta nahe stehende Militärfraktion um Nasution und Simatupang einen
"halben Coup" durchführte, hatte die Ablösung eines Teils der Administratoren oder
Professionals in der Armee zur Folge und stärkte die populistischen solidaritymakers,
die eine weniger stark westlich orientierte Außenpolitik und eine Förderung
der einheimischen Unternehmer - auf Kosten der Chinesen und der ausländischen
Investoren - anstrebten.
Die ersten und letzten freien Wahlen in Indonesien im Jahre 1955 hatten eine Politisierung
der Bevölkerung zur Folge und bewirkten eine stärkere Abgrenzung der
Parteien voneinander. Zuvor gingen die Konfliktlinien mitten durch die einzelnen
Parteien. Nach diesen Wahlen waren die Parteien in sich geschlossener, die Kämpfe
zwischen den Parteien intensivierten sich aber. Unter anderem wegen der Pattsituation
vor und nach den Wahlen und weil eine innerparteiliche Demokratie wegen der
Cliquenkämpfe und der Abhängigkeit von außerparteilichen Gruppen nicht bestand,
wechselten sich kurzlebige, zuletzt instabile Fraktionen ab. 71
68
Mortimer 1982, 60.
69
Feith (1962, 108ff) rechnet zu dieser politisch bewussten Elite 1-1,5 Mio. Menschen und zur politischen
Machtelite 200-500 Personen.
70
Feith 1962.
71
In diesen Koalitionen arbeiteten zumeist die NU mit der PNI oder die Masyumi-Partei mit der säkularisierten,
eher marktwirtschaftlich orientierten PSI (Partai Sosialis Indonesia) zusammen, während die PKI

Herrschaftsformen bis 1965 53
Seit Ende 1956 spitzten sich die Ereignisse mit der Bildung so genannter Banteng("Büffel")-Räte
auf verschiedenen Außeninseln zu. Die von Militärs zusammen
mit Zivilisten eingerichteten Räte forderten eine größere politische und finanzielle
Autonomie der Außenprovinzen. Im März 1957 rief Sukarno daraufhin das Kriegsrecht
aus. Die gleichzeitig forcierte Konfrontation mit den Niederlanden führte im
Dezember 1957 zur Verstaatlichung fast sämtlicher niederländischer Unternehmen.
Am 15. Februar 1958 wurde dann die Revolutionäre Regierung der Republik Indonesien
(PRRI) in Padang, Zentralsumatra, proklamiert. Die PRRI unter der Führung
von Ahmad Husein wurde von den Militärkommandeuren in Zentralsumatra und
Nordsulawesi, von führenden PSI- und Masyumi-Politikern wie Natsir, Burhanuddin
Harahap (den ehemaligen Premierministern), Syafruddin Prawiranegara und Sumitro
Joyohadikusumo, aber auch z.T. von der amerikanischen Regierung unterstützt.
Husein forderte von der Regierung in Jakarta in einem Ultimatum die Einsetzung
eines Kabinettes unter der Führung von Hatta oder Sultan Hamengkubuwono. Innerhalb
weniger Wochen konnten die PRRI und die Bewegung in Nordsulawesi
niedergekämpft werden.
In dieser Phase von 1956-58 wurde die parlamentarische Demokratie - ohne nennenswerten
Widerstand der politischen Parteien - zerstört. Es entstanden drei
Machtzentren mit je eigenen politischen Konzepten. Die REGIONALISTEN - die
von Teilen Masyumis, der PSI und der protestantischen Parkindo unterstützt wurden
- setzten auf eine größere Autonomie der Außenprovinzen, auf eine Besserstellung
des Militärs und auf eine starke zentrale Führung durch Sukarno als Präsidenten und
Hatta als Premierminister. SUKARNO UND SEINE ANHÄNGER bereiteten den
Übergang zur Gelenkten Demokratie vor. Der Präsident vertrat im Februar 1957
seine konsepsi: Er wollte die Parteien entmachten, sie durch "funktionale Gruppen"
weitgehend ersetzen und "zurück zur Revolution". Die ARMEEFÜHRUNG UNTER
NASUTION nahm eine vermittelnde Position ein und stimmte für eine Machterweiterung
der Streitkräfte.
Gelenkte Demokratie
Sukarno - u.a. mit Unterstützung der PKI - und der Nasution-Flügel des Militärs
setzten sich in dem Machtkampf mit der Wiedereinführung der präsidialen Verfassung
von 1945 durch. Die Gelenkte Demokratie72 (demokrasi terpimpin) war "[...] a
transitional stage between a relatively open parliamentary period and a thoroughgoing
authoritarianism." 73 . Es bildete sich eine Beziehung des "stabilen Konflikts"
zwischen Sukarno und der Armee heraus. Die Armee, die während des Ausnahmezustandes
und nach der Beschlagnahme der niederländischen Betriebe erheblich an
Macht gewonnen hatte, brauchte Sukarno als populistischen Mobilisierer und Legi-
nicht beteiligt wurde.
72 Vgl. die Übersichtsdarstellungen u.a. bei: Dahm 1974, Kap. 3; Ricklefs 1981, Kap. 19; Feith 1963;
Cribb/Brown 1995; Kubitschek/Wessel 1981 205ff. Einige Autoren setzen den Beginn der Gelenkten
Demokratie auf den Tag der Ausrufung des Kriegsrechtes (21.3.1957). I.d.R. gilt aber der 5.7.1959 - der
Tag der Wiedereinführung der Verfassung von 1945 - als der Beginn der Gelenkten Demokratie.
73 McVey 1982, 86.

54 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
timierer der Gelenkten Demokratie. Sukarno, der selbst keine Hausmacht hatte, war
wiederum auf die Unterstützung des Militärs angewiesen.
Die politischen Parteien verloren in dieser Zeit ihre herausragende Position. Die PSI
und Masyumi waren durch die Beteiligung verschiedener hochrangiger Mitglieder
an der PRRI auf Jahre hinaus diskreditiert. Die anderen Parteien waren gezwungen,
sich zurückzuhalten. Politische Entscheidungen wurden nunmehr vom Dewan Nasional,
auf Kommandeurstagungen oder bei informellen Meetings getroffen. Im Dewan
Nasional, der schon im Juli 1957 eingerichtet worden war, saßen neben hochrangigen
Militärs bedeutende Persönlichkeiten aus den verschiedenen gesellschaftlichen
Bereichen. Das Kabinett und das Parlament wurden immer mehr zu Werkzeugen
von Sukarno und der Militärführung. Im Juli 1959 führte Sukarno die Verfassung
von 1945, die dem Staatspräsidenten große Vollmachten einräumte, wieder
ein. 74 Gleichzeitig löste er per Dekret die nach den Wahlen von 1955 eingerichtete
Verfassunggebende Versammlung, die Konstituante, auf. Als diese der Einführung
der Verfassung von 1945 nicht mit der nötigen Zweidrittelmehrheit zustimmte, ließ
Stabschef Nasution - unter Berufung auf den Ausnahmezustand - kurzerhand sämtliche
politischen Aktivitäten verbieten. 75
Die Armee weitete ihren Einfluss in den verstaatlichten Industriebetrieben sowie in
verschiedenen Parlamenten und Gremien erheblich aus. Offiziere wurden zu Gouverneuren
und bupati ernannt. Mit dem Catur-Tunggal-System (Zusammenarbeit
zwischen Zivilverwaltungschefs und den lokalen Armeekommandeuren, Polizeichefs
und Staatsanwälten) konnte die Armee sich die Verwaltung in vielen Gebieten
gefügig machen. In den folgenden Jahren wurden die Grund- und Menschenrechte -
vor allem die politischen Grundrechte - eingeschränkt. Im März 1960 wurde das
Parlament aufgelöst. An seine Stelle trat im Juni das Gotong-Royong-Parlament, das
aus 283 ernannten Mitgliedern bestand, und im August setzte der Präsident die so
genannte Nationale Front mit einem 58 Mitglieder starken Vorstand ein.
Schon seit 1958 hatte sich Sukarno verstärkt auch der PKI zugewandt, um seine
Position gegenüber dem Militär zu stärken. Gleichzeitig bekämpften mächtige Teile
des Militärs die PKI: So versuchten sie, den sechsten PKI-Parteikongress im Jahre
1959 zu verhindern, und in einigen Provinzen wurde jegliche Tätigkeit der Partei
74 Die Verfassung von 1945, die im Juli 1959 durch ein Dekret Sukarnos wieder eingeführt wurde, räumt
dem Präsidenten große Vollmachten ein, wenngleich der Volkskongress (MPR) das höchste Staatsorgan
ist (Thoolen [Hg.] 1987, 35ff und 54f). Der Präsident ist Oberster Kommandeur der Streitkräfte, hat das
Recht, Verträge zu schließen, ernennt und entlässt die ausschließlich ihm verantwortlichen Minister, hat
das Vetorecht und muss mit dem Parlament (DPR) lediglich "kooperieren". Zuvor, nach den Bestimmungen
der Provisorischen Verfassung von 1950, konnte der Präsident einen formateur mit der Kabinettsbildung
beauftragen. Er konnte dem Premierminister nur Empfehlungen bei der Ministerernennung
geben, hatte aber das Recht, das Parlament aufzulösen. Das Kabinett war dem Parlament verantwortlich.
Allerdings waren in dieser Verfassung weder die Rechte des Premierministers noch die Beziehungen
zwischen dem Parlament und dem Kabinett eindeutig geregelt.
75 Allerdings hatte die Konstituante die erforderliche Zweidrittelmehrheit nur deshalb nicht erreichen
können, weil die NU auf der Einfügung der Jakarta-Charta in die Verfassung bestanden hatte. Ein grundsätzlicher
Widerstand gegen die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie hatte es nur von Masyumi
gegeben. Sundhaussen (1980, 451) nennt die Unfähigkeit der politischen Parteien, in den Jahren
1957-59 die Initiative zu ergreifen und Lösungsmöglichkeiten zu formulieren, "[...] one of the few least
explicable features of Indonesian history [...]".

Herrschaftsformen bis 1965 55
unterbunden. Die PKI befand sich im neuen Herrschaftssystem also in einer merkwürdigen
Stellung. Einerseits wurde sie von einer gut organisierten, gewaltigen
Massenbasis sowie vom Präsidenten unterstützt. Andererseits wurden die Kommunisten
von großen Teilen der politisch-administrativen und der militärischen Elite
wie Aussätzige behandelt. Auch in den verschiedenen, neu errichteten Gremien der
Gelenkten Demokratie waren sie nur sporadisch vertreten. Erst seit 1962 profilierte
sich die PKI zunehmend. Zugleich wurden die Streitkräfte etwas in die Defensive
gedrängt. 76 Ein entscheidender Wendepunkt war die Entmachtung Nasutions, der
von Sukarno im Juni 1962 auf den relativ unbedeutenden Posten als Stabschef der
Streitkräfte versetzt wurde. Außerdem ernannte Sukarno die Stabschefs der vier
Teilstreitkräfte zu - ihm direkt verantwortlichen - Kommandeuren: Damit war Nasution
als neuer Stabschef der Streitkräfte weit weniger einflussreich als in den Jahren
seit 1955. Eine wesentliche Machtschwächung des Militärs erfolgte schließlich -
nach der Niederschlagung der Darul-Islam-Bewegung und des PRRI/Permesta-
Aufstandes sowie nach Beendigung der West-Irian-Kampagne - durch die Aufhebung
des Kriegsrechtes im Mai 1963. Sundhaussen beschreibt die Veränderung der
Herrschaftsfiguration so:
"Thus the triangle of power that had determined the politics of the early Guided Democracy
period from mid-1962 onwards gradually changed its shape. No longer was the
Army unquestionably second only to the President. The PKI increasingly challenged the
Army in this position as the co-operation between it and Sukarno grew more intimate.
Moreover, Sukarno's position in this triangle of power also changed considerably. Having
put Nasution down so effectively, and thrown other political adversaries into prison, he
had beyond any doubt established his absolute political supremacy." 77
Das Hauptkennzeichen der Gelenkten Demokratie war ihre Formlosigkeit und Unbeständigkeit.
Das äußerte sich in dauernd wechselnden Koalitionen, in ständigen
Machtkämpfen, zeitweise im Primat der Außenpolitik, in der Indoktrinierung, der
schwachen Institutionalisierung sowie in einer umfassenden Mobilisierung und
Politisierung der gesamten Bevölkerung. Es bildete sich keine Regimekoalition im
Sinne eines soliden, weitgehend geeinten Machtapparates, sondern ein dynamisches,
von Antagonismen geprägtes labiles Gleichgewicht zwischen Gruppierungen und
Assoziationen, die mit dem Militär, der PKI oder anderen - etwa islamischen Organisationen
- verbunden waren. Sukarno versuchte, diese Dynamik durch eine aggressive
Außenpolitik zu verstärken und durch geschicktes Lavieren eine nationalistisch-
"revolutionäre", antiimperialistische Einheitsfront aufzubauen. So war die gegen
Malaysia gerichtete Kampagne sicher auch ein Mittel Sukarnos und der PKI, den
revolutionären Elan zu bewahren und die permanente Mobilisierung der Bevölkerung
sowie die Ablenkung von wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu erreichen. Die
Militärführung hingegen unterstützte die Angriffe auf Malaysia allenfalls halbherzig.
78
76 Vgl. auch: Nöbel 1975, 136ff.
77 Sundhaussen 1982, 170.
78 Zur Außenpolitik bis 1965: Heinzlmeir 1976, 39ff.

56 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
In den letzten beiden Jahren der Gelenkten Demokratie spitzte sich der Konflikt
zwischen dem Militär und den es unterstützenden Gruppen mit der PKI und ihren
Anhängern zu. Sukarno, der "Große Führer der Revolution" und seit 1963 Präsident
auf Lebenszeit, näherte sich außenpolitisch der Volksrepublik China. Die PKI, die
die Militärs als kapbir, d.h. als "bürokratische Kapitalisten" bezeichnete, verlangte
ab 1964 das Verbot der armeenahen Gewerkschaft SOKSI und einen Rückzug der
Militärs aus den unteren Verwaltungsebenen. Die PKI mobilisierte ihren Apparat
nicht nur gegen das Militär, sondern auch gegen all jene Kräfte in der Verwaltung
und in den Dörfern, die die Durchführung der Bodenreformbestimmungen von 1960
boykottierten oder verzögerten. Insbesondere die "einseitigen, eigenmächtigen Aktionen"
(aksi sepihak) der PKI - das waren Landbesetzungen zur Durchsetzung der
Bodenreform - verschärften die politischen Kämpfe in den Dörfern. Besonders in
Mittel- und Ostjava kam es zu blutigen Zusammenstößen mit - meist von islamischen
Jugendorganisationen unterstützten - Landbesitzern. 1964/65 versuchte die
PKI zusehends, auch das Militär zu unterwandern. Aidit plante offenbar die Einsetzung
von politischen Kommissaren in den Streitkräften. 79 Außerdem sollte eine
"fünfte Streitkraft", bestehend aus bis zu 15 Millionen leicht bewaffneten Arbeitern
und Bauern, geschaffen werden.
Die Gegensätze zwischen Sukarno, der PKI, den Militärs und einigen islamischen
Gruppierungen kulminierten in dem Machtwechsel (1965) und den folgenden Massakern.
Zuvor waren Gerüchte über einen "Rat der Generäle", der angeblich einen
gegen Sukarno und die PKI gerichteten Putsch plante, verbreitet worden. Die Massaker
von 1965/66 wurden durch den sich in diesen Jahren verschärfenden Klassenkampf
zwischen PKI-nahen Kleinbauern und Landarbeitern einerseits und - häufig
orthodox-islamischen - Großbauern andererseits ausgelöst.
Dieser kurze Überblick über wesentliche Entwicklungen bis 1965 sollte verdeutlichen,
dass die Neue Ordnung gar nicht so neu war, wie sie sich selbst präsentierte.
Es folgen kurze Ausführungen zur Verwaltungselite, zu den Militärs und den Unternehmern.
Dabei geht es vor allem um die Entwicklung dieser Gruppen und ihre
strategische Position im Herrschaftsgefüge insbesondere am Vorabend des
30.9.1965. Dem schließen sich einige Bemerkungen über die Rolle muslimischer
Gruppen und die Entwicklung der chinesischen Minderheit an.
79 Sundhaussen 1982, 190.

Entwicklung der Bürokratie vom Einfall der Japaner bis 1965 57
Die Entwicklung der Bürokratie vom Einfall der Japaner bis 1965
Als die Japaner im März 1942 die Holländer als Kolonialherren ersetzten, bedienten
sie sich der indonesischen Nationalisten, um die Bevölkerung besser für ihre Zwecke
mobilisieren zu können. Die Gehälter der oberen priyayi wurden um die Hälfte
gekürzt, ihre Kompetenzbereiche weiter verkleinert und ihr Status als aristokratische
Elite permanent untergraben. 80 Außerdem wurden die neuen politischen und religiösen
Führer bei der Besetzung von Amtsposten gegenüber der traditionellen Verwaltungselite
bevorzugt. 1944 änderten die Japaner jedoch ihre Strategie. Sie stärkten
die Beamten, indem sie die von ihnen geschaffene Massenorganisation Putera wieder
auflösten und sie durch Djawa Hokokai ersetzten, die unter der Aufsicht der
Verwaltung stand.
Als die Indonesier in den Jahren 1945-49 um ihre nationale Unabhängigkeit kämpften,
verstärkten sich Spannungen zwischen den pangreh praja und den Nationalisten.
In den von den zurückgekehrten Niederländern besetzten Gebieten, die als Separatstaaten
in einem föderalen Gebilde zusammengeschlossen waren, unterwarf
sich ein großer Teil der alten Verwaltungselite den neuen Herren. In einigen Regionen
wurden sie in dieser Phase der Umwälzung einfach von vermeintlichen oder
wirklichen Revolutionären abgelöst. In den von den Republikanern kontrollierten
Gebieten jedoch stellten sich viele priyayi auf die Seite der Unabhängigkeitskämpfer
und nannten sich seit 1946 pamong praja, also "Diener des Reiches". 81 Koentjaraningrat
schreibt dazu:
"The pre-war exclusiveness of the pamong praja, however, was not preserved, and after a
decade it simply disappeared, together with the other priyayi classes, into a new post-war
class of pegawai or karyawan." 82
Nach 1949 war die Stellung der Beamten recht prekär, da ein Teil von ihnen als
Kollaborateure eingestuft wurde. Dennoch musste der neue Staat, allein schon weil
qualifiziertes Personal fehlte, auf die alte Elite zurückgreifen. Viele Posten konnten
aber auch von Personen übernommen werden, die zuvor unter den Niederländern
nicht berücksichtigt worden waren. Islamische kiai (Leiter von Islaminternaten)
gingen ebenso in die staatliche Verwaltung wie einfache Leute, die sich bei sozialen
Diensten oder in den Widerstandstruppen bewährt hatten. 83 Zum erstenmal gab es
keine auswärtige Macht mehr, die die traditional legitimierte Herrschaft der Beamten
stützte. Der Verwaltungsapparat wurde nunmehr von den wiedererstandenen
Parteien besetzt und zu Patronagezwecken missbraucht.
Benda 84 hat im Hinblick auf das Kolonialreich von einem "Beamtenstaat" gesprochen,
in dem die Verwaltung - unbeeinflusst von parteipolitischen Kämpfen - "Ruhe
und Ordnung" (rust en orde) sicherte und Anweisungen aus dem Herrschaftszen-
80 Sutherland 1979, 151f.
81 Sutherland 1979, 154f.
82 Koentjaraningrat 1985, 275.
83 Anderson 1990, 103.
84 Benda 1966, 591.

58 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
trum gründlich befolgte. Seit 1949 setzte jedoch eine Politisierung des Verwaltungsapparates
ein. Fast alle Beamten, Richter, Staatsanwälte etc. gehörten Parteien an,
die von Politikern, die sich persönliche Gefolgschaften aufgebaut hatten, angeführt
wurden. 85
Aufgrund der Schwäche der einheimischen Bourgeoisie waren Ansehen und Einkommen
am ehesten in der Politik und in der Bürokratie zu erwerben. Daher wurde
das politisch-administrative System zum wichtigsten Handlungsfeld für die indonesische
Elite. Durch die Verteilung von Ämtern im öffentlichen Dienst konnten Gefolgsleute
angeworben und Konflikte eingedämmt werden. Auch nach Ausrufung
des Kriegsrechtes und der Einführung der Gelenkten Demokratie in den Jahren nach
1957 änderte sich das nicht grundlegend, obwohl die Parteien auf die politischen
Entscheidungsprozesse keinen so großen Einfluss mehr hatten. 86 Nach dem Ende der
parlamentarischen Demokratie verlagerten sich die politischen Kämpfe aus dem
Parlament in die Bürokratie. Die politische Führung gab meist nur inhaltsleere Losungen
aus. 87 Feith bemerkt dazu:
"As the job of the bureaucrats has become more and more one of choosing between policies
as well as implementing policies chosen, so battles between rival cliques and "empires"
within the bureaucracy have grown in importance. [...] Policies actually implemented
are most frequently the result of battles between politician-bureaucrats: ministers,
top civil servants, general staff officers, regional military commanders, and the cliques
and alliances formed among all these." 88
Die durch die Politisierung erzeugte Expansion des Verwaltungsapparates hielt bis
Ende der 60er Jahre an. 1940 bezahlte der Staat die Löhne und Gehälter von 250.000
Menschen, unter ihnen auch Arbeiter und Militärs. Bis 1968 sollte sich diese Anzahl
verzehnfachen. 89 Das war nur zu einem geringen Teil auf die mit der Modernisierung
verbundene gestiegene Staatstätigkeit zurückzuführen. Ganze Ministerien entwickelten
sich zu Großpfründen politischer Parteien. Den Muslimen, insbesondere denen
aus der NU, gelang es z.B., das Religionsministerium in ihre Gewalt zu bekommen
und den Personalbestand von 27.000 (1958) auf 102.000 (1967) auszuweiten. 90 Das
Innen- und das Informationsministerium waren bis 1965 Domänen der PNI, während
die PKI besonders stark im Landwirtschaftsministerium vertreten war. Die
Ämterbesetzung erfolgte dabei nicht in erster Linie nach dem Kriterium der Leistungsfähigkeit,
sondern nach dem der politischen Loyalität. Die Überbesetzung
ganzer Verwaltungsbereiche und die daraus folgende Unterbezahlung der Beamten
erzwang die Schaffung zusätzlicher, nicht immer legaler Einnahmequellen.
85
Feith 1962, 115.
86
1960 wurden zudem die PSI und Masyumi wegen der Beteiligung einiger ihrer Mitglieder an der
PRRI/Permesta-Rebellion verboten. 1959 hatte der mit großen Vollmachten ausgestattete Staatspräsident
Sukarno sogar den Versuch unternommen, per Dekret die höchsten Beamten dazu zu veranlassen, aus
ihrer jeweiligen Partei auszutreten, aber nur einige folgten dieser Anweisung.
87
Vgl. zum Formalismus Sukarnos: Feith 1963, 377ff.
88
Feith 1963, 394.
89
Emmerson 1978, 86.
90
Und schließlich sogar 163.000 (1971). Siehe: Emmerson 1978, 95.

Entwicklung der Bürokratie vom Einfall der Japaner bis 1965 59
1957 übernahmen die Militärs die verstaatlichten niederländischen Betriebe und
weiteten ihre Präsenz auch in der Verwaltung, z.B. in den regionalen Exekutivausschüssen,
in den Provinzen (1965 waren 12 der 24 Gouverneure Soldaten) und in der
Regierung aus. Sukarno versuchte - so weit man von einer bewussten Herrschaftsstrategie
überhaupt sprechen kann -, vor allem die PKI und das Militär, aber auch
die Muslime und die Bürokratie in einem Kräftegleichgewicht zu halten. 1959 beispielsweise
hob er ein zwei Jahre zuvor verabschiedetes Gesetz auf, das die Wahl
der Gouverneure und bupati durch die jeweils zuständigen Regionalparlamente
vorsah, um so die pamong praja weiter auf seiner Seite zu haben und die erstarkende
PKI zu zügeln. 91 Er schuf eine Vielzahl von Parlamenten, Gremien, Sonderausschüssen,
militärischen Sonderkommandos etc., deren Kompetenzen nicht immer
eindeutig geregelt waren, scharte um sich zuletzt 93 Minister und versuchte, durch
ständige personelle und organisatorische Veränderungen und durch sich widersprechende
Anordnungen eine Verstetigung der bürokratischen Arbeit zu verhindern.
Die wenig rationalisierte Verwaltung verschaffte den Regionen größere Freiräume.
Das Zentrum trat deshalb meist eher als Verhandlungspartner denn als anweisende
Oberbehörde auf. 92
Die Entwicklung der Armee bis 1965 und die Entstehung von Sekber Golkar
Die indonesische Armee ging aus der kolonialen KNIL93 , einer 30.000-Mann starken,
fast ausschließlich von niederländischen Offizieren befehligten, multiethnisch
zusammengesetzten Truppe, sowie aus den beiden von den Japanern 1943-45 geschaffenen
Einheiten Heiho und der Armee der "Verteidiger des Vaterlandes" Peta94 hervor. 95 Die Heiho-Hilfstruppen (25.000 Javaner und 15.000 Indonesier von den
Außeninseln) wurden nur zwei Monate ausgebildet und dann für Transportdienste,
den Straßenbau und bei der Flugabwehr eingesetzt. Wichtiger für die postkoloniale
indonesische Armee war die aus 38.000 Soldaten bestehende Peta-Miliz, in der
bereits die Hälfte der Truppenangehörigen mit Waffen versorgt war und deren 1.600
Offiziere in Bogor ausgebildet worden waren.
Nach dem Abzug der Japaner konstituierte sich 1945 eine von den Peta- und KNIL-
Offizieren angeführte indonesische Armee. 96 Ihnen schlossen sich im Laufe der
Revolution Milizen (laskar-Einheiten) an, die z.T. aus an Parteien gebundenen Jugendverbänden
hervorgegangen waren. 97 Die Truppen waren ohne gemeinsame
91
Sutherland 1979, 156f; Wessel 1991, 455.
92
Willner 1970, 249ff.
93
Koninklijk Nederlands Indisch Leger = Königliche Niederländisch-Indische Armee.
94
Pembela Tanah Air.
95
Maynard 1986, 187ff; McVey 1971, 133ff.
96
Tentara Keamanan Rakyat = TKR. Die Ex-KNIL-Offiziere (unter ihnen Nasution und Simatupang)
hatten später vor allem in der Heeresleitung, z.B. als Stabschefs, wichtige Funktionen inne und traten für
eine Modernisierung der Streitkräfte ein (Dahm 1993, 100). In der Revolutionsphase setzten sie sich - im
Gegensatz zu den Ex-Peta-Offizieren und den irregulären Einheiten - eher für Verhandlungen mit den
Niederländern ein.
97
1948 bestand diese heterogene Armee aus 820.000 Soldaten, von denen 350.000 in regulären und

60 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
oberste Führung über das Land verstreut, wählten häufig ihre Kommandeure selbst
und organisierten sich z.T. in Guerilla-Einheiten. Die Heerführer insbesondere auf
den Außeninseln agierten häufig ohne direkte Weisung aus der Zentrale. Sie sorgten
als charismatische Vaterfiguren (bapak) für ihre "Kinder" (anak buah). 98
Die Armee war also von Anfang an sehr heterogen zusammengesetzt. Vor allem der
Konflikt zwischen den "unpolitischen", professionellen KNIL-Offizieren und den
vom japanischen Faschismus geprägten Peta-Soldaten, die das Militär als Seele der
Nation betrachteten und die Bedeutung des Kampfgeistes (semangat) betonten,
prägte die Armee auch noch lange nach dem Ende der Revolutionsphase.
In Java war seit 1947 die Lokalverwaltung in den Händen von Verteidigungsräten
(Dewan Pertahanan Daerah), in denen Militärs und zivile Beamte sich auf politische
Maßnahmen einigten. Die Armee war aber nie so selbstständig, wie es die Militär-
Propaganda in der Neuen Ordnung darstellte. Cribb schreibt:
"The Army's creation in 1945 was tightly intertwined, especially at regional level, with
the seizure of power from the Japanese by civilian local national committees (Komite Nasional
Indonesia). [...] The Army was [...] not administratively separate from or independent
of the civilian bureaucracy during the Revolution: vast amounts of logistical support
came to the Army both through Amir Sjarifuddin's Department of Defence and through
the regional civilian administration." 99
Von Beginn an kam es zu Spannungen zwischen der Armee und den Politikern und
Bürokraten, so etwa bei der Besetzung des Postens des Heereskommandeurs. Die
Konflikte erklären sich auch aus den verschiedenen Klassenhintergründen. Die führenden
Politiker, die in den 20er und 30er Jahren die nationalistische Bewegung
unterstützt hatten, gehörten zumeist der großstädtischen, sehr gut ausgebildeten Elite
an, während viele Offiziere als Söhne von Lehrern, Beamten, Angestellten und
Händlern in Kleinstädten groß geworden waren und allenfalls die Sekundarschule
besucht hatten:
"Thus the officer corps was recruited largely from the upper strata of the small towns of
Java. Most had little sense of identity with the mass of the people in the villages and were
uninterested in turning the revolution against the Dutch into a true social revolution.
While they recognized that they occupied a less-privileged position than the civilian elite
in power in Jakarta, they were usually more interested in the possibilities that a military
career offered for social mobility than in its potential for carrying out social transformation."
100
470.000 in irregulären Einheiten dienten (Ricklefs 1981, 216).
98 Nöbel 1975, 84.
99 Cribb 1994, 77.
100 Crouch 1978, 37f.

Entwicklung der Armee bis 1965 61
Die Militärs betrachteten die politische Elite, die auf Verhandlungen mit den Niederländern
gesetzt und dabei - aus der Sicht der Guerilla-Kämpfer - mitunter opportunistisch
gehandelt hatte, mit einiger Skepsis. Sie vertraten die Auffassung, dass sie
aufgrund ihrer Leistungen während der Revolution und wegen der zweideutigen
Haltung der politischen Führung in dieser Zeit berechtigt seien, auch weiterhin auf
höchster Ebene mitbestimmen zu dürfen. 101 Sie waren vage durch den "Geist der
Revolution" vereint und hatten radikale Kräfte schon frühzeitig ausgeschaltet.
Mit der Einführung der parlamentarischen Demokratie (1949/1950) wurden die
Militärs wieder in die Kasernen zurückbeordert. Der Stabschef des Heeres, Nasution,
und der Stabschef der Streitkräfte, Simatupang, versuchten, eine Modernisierung
der Armee durchzusetzen, und vertraten damit die Interessen der besser ausgebildeten
Offiziere, von denen einige vorher der KNIL gedient hatten. 102 Als einige Regionalkommandeure,
unter ihnen viele Ex-Peta-Offiziere, die Mehrheit des Parlamentes
für eine Absetzung der zentralen Armeeführung mobilisierten, zogen am 17.10.1952
Truppenteile, die die Modernisierer unterstützten, vor den Präsidentenpalast und
verlangten die Auflösung des Parlamentes. Sukarno ließ daraufhin die Ex-KNIL-
Gruppe aus den führenden Positionen entfernen. 103 Ricklefs bemerkt zu den Folgen
dieser Maßnahme:
"The army was now left in a highly decentralized state and even more open to civilian interference.
Its bargaining power in Jakarta was devastated, with the result that government
budgeting for the military fell and regional commanders began to search for more unorthodox
sources of funds." 104
Die Zentralregierung selbst war zu schwach, um diese unorthodoxen Finanzierungsmethoden,
also in erster Linie den Schmuggel, zu unterbinden. Die Beziehung
zwischen Legislative und Exekutive blieb weiterhin gespannt. Als die Regierung
1955 den PNI-nahen Bambang Utoyo zum Stabschef des Heeres ernannte, erkannte
die Militärführung diesen Vorstoß in ihren Machtbereich nicht an, erwirkte die Ablösung
des Kandidaten und letztlich den Rücktritt der Regierung. 105
Im März 1957 rief Sukarno auf Vorschlag Nasutions, der inzwischen wieder Stabschef
des Heeres geworden war, das Kriegsrecht aus. Die territorial organisierte Ar-
101
Zu den zu Nationalmythen gewordenen Leistungen der Armee zählten u.a. die gegen die Niederländer
und Engländer geschlagene "Schlacht von Surabaya" im November 1945, an der 20.000 Soldaten aus
regulären und 120.000 Soldaten aus irregulären Einheiten teilnahmen. Außerdem die von der Siliwangi-
Division angeführte Niederschlagung des kommunistischen Madiun-Aufstandes im September 1948 und
die Kämpfe gegen die Niederländer, insbesondere nach deren zweiter "Polizeiaktion", einem Fallschirmjägerangriff
auf die republikanische Hauptstadt Yogyakarta im Dezember 1948.
102
Die Modernisierer der zentralen Armeeführung strebten eine Reduzierung der Truppenstärke auf
100.000 Mann, eine Schwächung der Regionalkommandeure und eine Orientierung an westlichen Militärdoktrinen,
also nicht am "Geist der Revolution", an.
103
Sundhaussen 1978, 65ff. Nasution hatte sich bei diesem Vorstoß der Armee zurückgehalten (so die
Interpretation Sundhaussens im Gegensatz zu: Feith 1962, 262). Die Militärs waren von Parlamentariern
unterstützt worden, die die Regierung stürzen wollten.
104
Ricklefs 1981, 234.
105
Crouch 1978, 31.

62 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
mee wirkte danach auf allen Ebenen direkt auf den Verwaltungsapparat ein. 106 Nach
der Niederschlagung der sezessionistischen Bewegung und der Nationalisierung
niederländischer Unternehmen, deren Spitzenmanagement von Offizieren besetzt
wurde, gehörte das Militär zu den einflussreichsten politischen Kräften.
Mit der Einführung der Gelenkten Demokratie im Jahre 1959 wurde der Parlamentarismus
in Indonesien liquidiert. Die meist javanischen Armeeangehörigen konnten
nunmehr Erfahrungen als Politiker, Administratoren und Manager sammeln. Dennoch
war das Militär noch kaum professionalisiert und hielt noch immer an den
Prinzipien einer "territorialen Kriegführung" fest, womit ein Guerillakampf mit einer
gefestigteren Führungsstruktur gemeint war. 107 Nasution hatte 1958 den Streitkräften
eine eher gemäßigte Rolle empfohlen (jalan tengah oder "mittlerer Weg"). Sie sollten
weder blind den Weisungen der Regierung folgen noch selbst, wie in einigen
lateinamerikanischen Ländern, die Macht übernehmen.
Sukarno versuchte in populistischer Manier, die Bevölkerung unter Mithilfe der PKI
zu mobilisieren. Mit aufwendigen Kampagnen zur "Befreiung" West-Irians und
gegen Malaysia lenkte er die Aufmerksamkeit auf außenpolitische Themen. Das
Militär erfuhr in dieser Phase eine Aufwertung, weil die neu eingerichteten Organe
Peperti und Koti, die für die Überwachung der Administration bzw. als inoffizielles
Kabinett dienten, von Armeeangehörigen dominiert waren. 108 Außerdem fungierten
viele Offiziere als Minister, Parlamentarier oder Gouverneure. 109
Die Entstehung von Sekber Golkar
Das Konzept der funktionalen Gruppen war bereits von Sukarno in den 50er Jahren
als einzige Lösung für die Streitigkeiten zwischen Parteien und zwischen Interessengruppen
gepriesen worden. Sukarno selbst bewegte sich damit im Rahmen der
integralistischen Denktradition. Die Armee übernahm diese Konzeption und baute
Kooperationsgremien auf: Das waren Institutionen, die vom Militär kontrolliert
wurden und die die funktionalen Gruppen auf diese Weise jeweils fest an das Militär
binden sollten. Die funktionalen Gruppen waren die Basis der dwifungsi und der
korporatistischen Strukturierung der indonesischen Gesellschaft, die bereits in den
späten 50er Jahren begonnen, aber erst in der Neuen Ordnung radikal verwirklicht
wurde.
Der Generalstab des Militärs richtete bereits in den 60er Jahren eigene Sektionen für
die Verwaltung der Kooperationsgremien und für die Koordinierung der Arbeit in
zivilen Positionen ein. 1964 ließ der Verteidigungsminister 97 Organisationen (Gewerkschaften,
Beamten-, Intellektuellen-, Studenten- und Frauenverbände sowie
Vertretungen von Journalisten, Bauern, Fischern, Soldaten etc.) unter dem Gemeinsamen
Sekretariat Funktionaler Gruppen (Sekber Golkar) 110 zusammenschließen.
106
Sundhaussen 1978, 52.
107
Wandelt 1992, 121ff. Ausführlich zu den Militärdoktrinen: Nöbel 1975, 55ff.
108
Crouch 1978, 47ff.
109
1965 waren 12 der 24 Provinzgouverneure Militärangehörige.
110
Sekretariat Bersama Golongan Karya.

Entwicklung der Armee bis 1965 63
Damit hatte das Militär eine Idee Sukarnos aufgegriffen, der die parteigebundenen
Massenorganisationen als selbstständige Gruppen am parlamentarischen Entscheidungsprozess
beteiligt sehen wollte, um statt des Parteiengezänks einen klassenübergreifenden
Konsens erzielen zu können. 111 Die Militärs unterstützten diese Strategie
auch deshalb, weil sie sich erhofften, ihre eigene Stellung u.a. im DPR-GR
(Gotong-Royong-Parlament) 112 , in dem sie selbst seit 1960 als funktionale Gruppe
vertreten waren, und in der Nationalen Front zu festigen. 113 Bis 1965 war das Sekber
Golkar aber noch ohne größere Bedeutung. Wichtiger für die Streitkräfte waren die
1960 gegründeten Organisationen wie Kosgoro, MK-GR und die Gewerkschaft
Soksi, die allein 7-7,5 Mio. Mitglieder, darunter vorwiegend Plantagenarbeiter,
hatte. 114 Soksi war eine vom Militär kreierte Pseudogewerkschaft, die als Vorläufer
der späteren Staatsgewerkschaft SPSI gelten kann.
Die Unternehmer
Die wirtschaftliche Entwicklung und die Stellung der einheimischen Unternehmer
im kolonialen System
Vor der Ankunft der Niederländer gab es im indonesischen Archipel bereits einen
florierenden interinsularen und interkontinentalen Handel. Ohne die Zerstörung der
Handelsbeziehungen durch die Kolonialherren wäre es vielleicht zumindest in den
Küstenfürstentümern zu einer lang anhaltenden wirtschaftlichen Entwicklung gekommen.
Dazu merkt Pabottingi an:
"Unlike the portrayal in much of the colonial literature in the early twentieth century, the
economy of the vast archipelago, at least from the thirteenth to the sixteenth centuries,
was neither autarkic nor backward. This period coincided with the spread of the Malay
language throughout maritime Southeast Asia and the generally peaceful, trade-mediated
spread of Islam in most of the Malay-speaking world. [...] In fact, the archipelago was an
integral part of a thriving economy in the East, whose commerce was superior to that of
the West in both quality and quantity of merchandise." 115
111 Bahasoan 1982, 56ff.
112 Gotong Royong bedeutet soviel wie "gegenseitige Hilfeleistung", wie sie im traditionellen Java unter
Dorfbewohnern üblich war. Auch diese Vorstellung drückt Sukarnos Wunsch nach einer Integration
gegensätzlicher Interessen aus.
113 Ambong 1990, 238ff.
114 Kesatuan Organisasi Serbaguna Gotong Royong; Musyawarah Keluargaan Gotong Royong; Swadiri
Organisasi Karya Sosialis Indonesia. Die von ABRI gegründeten Massenorganisationen Kosgoro (aus
ehemaligen Studenten-Militäreinheiten; mit eigenen Fabriken, Banken, Nachtclubs etc.), Soksi und
MKGR (ähnlich wie Kosgoro mit eigenen Jugend-, Intellektuellen-, Bauern- und Unternehmerorganisationen)
verloren in den 70er Jahren zunehmend an Einfluss (Suryadinata 1989, 12ff).
115 Pabottingi 1995, 229.

64 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
Aber bereits im 17. und 18. Jahrhundert schufen die Holländer Handelsmonopole
(u.a. für Gewürze) und führten Zwangsabgaben von cash crops ein. In der nächsten
Phase (Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts) übernahm der niederländische Staat
die Aufsichtsfunktionen der VOC und forcierte den Anbau und die Zwangsabgaben
von cash crops. Es erwies sich als profitabel, denn der niederländische Staat erwirtschaftete
in seiner Kolonie 1830-50 etwa ein Fünftel und 1851-60 etwa ein Drittel
seiner Gesamteinnahmen. Der Export konzentrierte sich dabei immer mehr auf Zucker
und Kaffee, die 1830 zwei Fünftel und 1870 drei Fünftel der Gesamtausfuhr
ausmachten. 116
Booth fasst die Folgen des Anbausystems u.a. so zusammen:
"Perhaps we can best sum up the four decades from 1830 to 1870 by saying that the real
growth in output which occurred brought few dramatic material benefits to Javanese society,
beyond permitting the accommodation of a growing population. [...] Indeed, it can be
argued that the most harmful legacies of the CS (culture system, A.U.) [...] was to frustrate
the growth of market institutions, and to supplant such markets as did exist with a
dirigiste command economy run by powerful bureaucrats." 117
Neue Agrargesetze verschafften 1870 ausländischen Privatunternehmern die Möglichkeit,
Land von Indonesiern zu pachten. Die Öffnung führte zu einer Ausweitung
ausländischer Privatinvestitionen, mit der der Gegensatz zwischen einem für den
Weltmarkt produzierenden Plantagensektor und einer vornehmlich subsistenzorientierten,
extensiven, allenfalls den einheimischen Markt beliefernden Landwirtschaft
noch verstärkt wurde. 118 In den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts fiel
sogar der Pro-Kopf-Reiskonsum.
Um 1900 verlagerte sich das Interesse ausländischer Investoren von der Produktion
profitabler Konsumgüter zu der von Rohstoffen (Öl, Zinn, Bauxit, Kohle und Kautschuk)
für die heimische Industrie. 119 In dieser Zeit beschleunigten sozialen Wandels
mehrten sich Forderungen nach einer aktiven Sozialpolitik, und ab 1901 versuchte
die Kolonialmacht, eine "Ethische Politik" zu verwirklichen. Zu den Elementen
dieser Politik gehörte zum einen eine stärkere Berücksichtigung der Interessen der
einheimischen Bevölkerung, zum anderen eine Ausdifferenzierung der Verwaltungsarbeit
und eine stärkere Konzentration auf staatliche Entwicklungsprojekte.
Anfang des 20. Jahrhunderts dominierten Ausländer den Plantagen- und Bergbausektor.
Die Niederländer beherrschten insbesondere den Handels- und Dienstleistungsbereich
(Außenhandel, Banken und Versicherungen, Transport). Sie überließen
den Chinesen den inländischen Zwischenhandel, den Kleinkreditsektor sowie Teile
der entstehenden Industrieproduktion. Eine mächtige einheimische Handels- und
116 Booth 1990, 275.
117 Booth 1998, 98 und 99.
118 Der niederländische Kolonialbeamte Boeke entwickelte die Dualismustheorie, der zufolge sich in
Indonesien ein dynamischer, moderner, niederländisch dominierter und ein traditioneller, indigener
Wirtschaftssektor weitgehend unvermittelt gegenübergestanden hätten (Boeke 1942, Kap. 1). Boeke
erklärt die Rückständigkeit der Einheimischen allerdings nicht mit den strukturellen Folgen der Kolonialherrschaft,
sondern mit der modernitätsfeindlichen Mentalität der Indonesier.
119 Wertheim 1959, 101.

Die Unternehmer 65
Industriebourgeoisie oder eine Klasse von Großgrundbesitzern konnte nicht entstehen:
"Already in the 1920s and 1930s, American, British, Japanese and European Capital had
established firm foot-holds. The penetration of capitalism had eroded the old class and political
structures of Indonesia but had not yet produced well-defined class forces of bourgeoisie
and proletariat [...]. The domestic bourgeoisie remained primarily a merchant
bourgeoisie torn by serious political, social and economic conflicts between indigenous
and Chinese sections." 120
Die 30er Jahre schließlich waren geprägt durch den Niedergang der Plantagen und
die Expansion des Erdöl- und Zinnsektors sowie der mittleren und größeren Industriebetriebe.
Im industriellen Sektor wurden die größten, kapitalintensivsten Industrien
von Ausländern (Niederländern, Japanern, Amerikanern, Engländern) beherrscht,
während die Chinesen die weniger großen, kapitalintensiven Betriebe
(Produktion von kretek-Zigaretten, Getränken und Nahrungsmitteln) kontrollierten.
Die einheimische Bevölkerung konzentrierte sich auf den kaum mechanisierten
kleinindustriellen Bereich. Die javanischen Landbesitzer hatten zumeist kein Interesse
an der Akkumulation von Kapital zu agroindustriellen Zwecken, sondern tendierten
eher zur Verpachtung ihrer Ländereien und zur Aufrechterhaltung vorkapitalistischer
Produktionsbedingungen. 121
Die Weltwirtschaftskrise hatte die im Vergleich zur ausländischen ohnehin unbedeutende
einheimische Bourgeoisie weiter geschwächt. Die überwiegend muslimischen
Handwerker und Kleinhändler wurden von billigen Importen, vor allem aus Japan,
und von den chinesischen Geschäftsleuten bedrängt. Die Kautschuk produzierenden
Kleinbauern in Sumatra waren zu schwach, um zu einer breiten Schicht von exportorientierten
Großgrundbesitzern aufzusteigen.
Die Entwicklung der indonesischen Ökonomie von der Unabhängigkeit bis 1965
Nach Erlangung der Unabhängigkeit befand sich die indonesische Ökonomie in
einer sehr schlechten Ausgangsposition. Durch die Rezession in den 30er Jahren, die
japanische Besatzung (1942-45) und die Kämpfe bis zur Erlangung der Souveränität
im Jahre 1949 kamen der Export von Zucker, Tabak, Kaffee und Holz sowie der
interinsulare Handel fast zum Erliegen. Die ohnehin schwache Industrialisierung
konnte nicht weiter vorangetrieben werden. 122 1949/50 übernahm der neu entstandene
Staat den Bereich der öffentlichen Dienstleistungen sowie Teile der Zement-,
120 Robison 1986, 29f.
121 Robison 1986, 16ff. Booth (1998, Kap. 2) unterscheidet in der Entwicklung von 1830-1950 sechs
Phasen: 1830-70 (hohes Export- und BSP-Wachstum, starke Monetisierung); 1870-1900 (geringes
Wachstum); 1900-30 (stark steigende Regierungsausgaben, industrielles Wachstum); 1930-42 (zunächst
Baisse wegen Weltwirtschaftskrise, dann Handelsregulierungen und starkes Wachstum im Industriesektor);
1942-50 (Kontraktion; BSP liegt 1950 unter dem Niveau von 1939).
122 Von 1939 bis 1950 verringerte sich z.B. der Export von Plantagenprodukten von 2,7 Mio. Tonnen auf
0,4 Mio. Tonnen (jeweils Bruttogewicht), der Export pflanzlicher und mineralischer Produkte insgesamt
von 12,1 Mio. Tonnen auf 8,5 Mio. Tonnen (Paauw 1963, 185).

66 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
Textil-, Automobil- und Glasproduktion und gründete mehrere Banken und Außenhandelsgesellschaften.
Weiterhin waren es aber Ausländer, die wichtige Bereiche
der indonesischen Ökonomie dominierten:
"[...] the Dutch still controlled almost the entire modern capital-intensive sector of the
economy - nearly all the plantations, all the tin-mines, most of the oil production (the
Americans and British had some of it), the biggest banks and trading-houses, insurance
and financial institutions, sea transport and many public utilities, such as electricity, gas
and even tramways." 123
In dieser Zeit waren es noch die Parteien, die ihre politisch-administrative Macht
ökonomisch dazu nutzen konnten, mithilfe von Krediten, Lizenzen und Konzessionen
eigene Unternehmen aufzubauen. Da die pribumi nicht genügend Kapital hatten,
um mit den starken sinoindonesischen und ausländischen Betrieben konkurrieren zu
können, wurden einige der kleinen pribumi-Unternehmer bevorzugt. Die ersten
Unternehmen dieser Art bildeten sich daher im Umfeld von politischen Parteien, die
die Ministerien und die staatlichen Banken förmlich unter sich aufgeteilt hatten. Es
war durchaus üblich, dass sich Minister und Parlamentarier während ihrer Amtszeit
Staatskredite, Importlizenzen und Regierungsaufträge beschafften.
Die großen ausländischen Besitzungen wurden nicht nationalisiert, weil der indonesische
Staat für die damit verknüpften Verwaltungsaufgaben noch zu schwach war,
und eine Privatisierung kam nicht in Betracht, weil der einheimischen Bourgeoisie
das nötige Know-how und das Kapital fehlten. Eine Abhängigkeit von ausländischen
Investoren und von den Indonesiern chinesischer Herkunft bestand weiterhin,
so dass Mackie feststellen konnte:
"There is only an embryonic Indonesian "middle class" and very few rich landlords or
prosperous peasants who might serve as agents of private capital accumulation. The
Dutch and Chinese domination of the monetised sector virtually stifled Indonesian enterprise
[...]." 124
Eine langsame "Indonesianisierung" (Indonesianisasi) sollte die Vorherrschaft der
Ausländer brechen. Seit dem Jahr 1950 wurde im Rahmen des so genannten Benteng-Systems
der Versuch unternommen, Importlizenzen und -kredite an indonesische
Unternehmer zu vergeben, um so den Aufbau einer einheimischen Bourgeoisie
zu forcieren. 125 In Wirklichkeit wurde damit aber nur der Korruption Vorschub geleistet,
und viele Lizenzinhaber konnten nur durch die stillschweigende Unterstützung
von Chinesen in so genannten "Ali-Baba-Firmen", in denen der Indonesier
123 Mackie 1990a, 73.
124 Mackie 1964, 103.
125 Diese Importlizenzen waren häufig mit Vermarktungsrechten - etwa als Generalvertretung
ausländischer Firmen - verbunden: "Licences, credit and other concessions were then be channeled to
companies directly owned by the party, or to companies owned by relatives or political associates, or
could be sold for cash or used to establish an economic partnership between political parties, individual
politico-bureaucrats and individual business groups, often Chinese” (Robison 1986, 47f). Viele Importeure
verkauften ihre Lizenzen - und das oft zum doppelten Preis - an Chinesen. Die Zahl solcher pribumi-
Importeure versiebzigfachte sich von 1949 bis 1953 (vgl. Robison 1986, 45).

Die Unternehmer 67
("Ali") offiziell die Geschäfte führte, aber der Chinese ("Baba") die organisatorische
Leitung übernahm, kleinere Erfolge erzielen. Die Vormachtstellung von fünf großen
niederländischen Handelsunternehmen konnte mit dieser Politik nicht angetastet
werden. 126 Auch die Bemühungen um eine Entflechtung des Kautschuk- und Koprahandels
sowie des Reis und Zucker verarbeitenden Gewerbes blieben nahezu wirkungslos.
In der Textilindustrie verdrängten die kapitalintensiv produzierenden
nonpribumi die einheimischen Hersteller, die sich zudem zunehmend der Billigimporte
aus Japan erwehren mussten. Die im Vergleich zu den javanischen Exporteuren
starken Kleinexporteure der Außeninseln traf der überhöhte Rupiahkurs, der nur
den javanischen Nettoimporteuren nutzte. Der Staat war viel zu schwach, um mit
den üblichen finanz- und wirtschaftspolitischen Instrumentarien die ökonomischen
Prozesse zu lenken. 1950/51 konnte zwar infolge des durch den Korea-Krieg induzierten
Exportbooms eine positive Handelsbilanz verzeichnet werden, doch schon
1952 verringerten sich der Wert der Ausfuhr und die Regierungseinnahmen erheblich.
127 Nach ECAFE 128 -Berechnungen war das jährliche Wachstum des Sozialproduktes
um etwa 4% in den Jahren 1951-57 lediglich auf den Wiederaufbau und die
Wiederherstellung der Vorkriegsbedingungen zurückzuführen. 129 In dieser Phase
reduzierten sich die Währungsreserven und die Inflation wurde angeheizt. Deshalb
war eine Verschärfung der Außenhandelskontrollen erforderlich: 130
"[...] finally, in 1955, all import firms were required to deposit 5 million rupiah in advance
of anticipated imports. Each of these steps had yielded perceptible reductions in the
money supply and easing of inflationary pressures. By 1956, however, it was apparent
that the use of this device had been pushed beyond the point of diminishing returns, and in
that year the government was obliged to make net refunds to importers." 131
Bis 1956/57 standen sich eine mit der Bürokratie verbundene Gruppe von Unternehmern
und Politikern, die sich um die PNI scharte, und eine von der islamischen
Masyumi-Partei angeführte Gruppe, die die Interessen der staatsunabhängigen indonesischen
Unternehmer, vor allem diejenigen der Außeninseln, vertrat, gegenüber. 132
Im Jahre 1957 bestand entweder die Möglichkeit, die Indonesianisasi-Politik zugunsten
ausländischer und chinesischer Investoren zu beenden oder sie zu radikalisieren.
Das Militär und Teile der PNI, der PKI und der NU unterstützten einen na-
126
Mackie 1964, 105.
127
1951 wurden Waren im Wert von 14,8 Mrd. Rp., 1952 von 10,7 Mrd. Rp. exportiert. Der letztgenannte
Wert veränderte sich bis 1959 (9,9 Mrd. Rp.) kaum. Das Verhältnis der Ausfuhrwerte zum BSP reduzierte
sich von 22% (1951) auf 13% (1952) und auf 5% (1958/59) (Paauw 1963, 183).
128
Economic Commission for Asia and the Far East.
129
Paauw 1963, 190.
130
Paauw 1963, 233ff.
131
Paauw 1963, 237.
132
Die Parteien waren z.T. in der Lage, Verwaltungsbereiche, also z.B. staatliche Banken und mit ökonomischen
Belangen befasste Ministerien und Behörden, so zu durchdringen, dass sie sich eigene Finanzimperien
aufbauen konnten (Robison 1986, 48ff). Die PNI schuf sich auf diese Weise eine Holding-
Gesellschaft (Yayasan Marhaen) und die Bank Umum Nasional als Finanzierungsbasen. PNI-Minister
wiesen in ihrer Amtszeit z.B. einige staatliche Gesellschaften an, ihre Gelder bei der Bank Umum Nasional
einzuzahlen.

68 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
tionalistischen Kurs des Staatspräsidenten, der nach der Niederschlagung der sezessionistischen
Bewegung (1957/58), der Einführung des Kriegsrechtes (1957) und der
Gelenkten Demokratie (1959) und zuletzt mit dem Verbot vom Masyumi und der
PSI (1960) die exportorientierten Wirtschaftsliberalen ausschaltete. Die politischen
Auseinandersetzungen wurden in die Administration und das Militär verlagert und
privatunternehmerische Belange zugunsten eines stärkeren staatlichen Einflusses
zurückgedrängt. 133
Unter Sukarno sollte ein "Sosialisme ala Indonesia" (Sozialismus à la Indonesien)
in Form einer Gelenkten Ökonomie verwirklicht werden. Die Skepsis gegenüber
einer freien Marktwirtschaft überwog bei den meisten Angehörigen der politischadministrativen
Elite und des Militärs. Schon im Artikel 33 der Verfassung von
1945 war, allerdings etwas vage, von einer "gemeinsamen Anstrengung auf der
Basis des Familienprinzips" die Rede gewesen. 134 Dieser Gedanke sollte in der Gelenkten
Demokratie, in der der Staat alle wichtigen Sektoren kontrollierte, verwirklicht
werden:
"The intention of Guided Economy was to construct a national economy around stateowned
capital. [...] the private sector, indigenous or Chinese, was to be excluded from the
most lucrative of trading monopolies. Correspondingly, state credit was directed primarily
to state-owned corporations [...]." 135
Außerdem sollten die ausländischen Unternehmer sich den nationalen Interessen
Indonesiens beugen. Während die noch junge Erdölindustrie jedoch weiterhin vornehmlich
von Ausländern kontrolliert wurde, nationalisierte die Regierung 1957/58
niederländische Plantagen sowie Handels- und Industriebetriebe. Dies war eine
Reaktion auf die starre Haltung der Niederlande in der West-Irian-Frage und verursachte
letztlich einen Exodus ausländischer Fachkräfte, den Abtransport von Ausrüstungsgütern,
Managementprobleme bei der Beschaffung, Produktion und Vermarktung,
Schwierigkeiten im Transportwesen und in den folgenden Jahren einen rapiden
Rückgang ausländischer Investitionen. 136 Diese Maßnahmen sowie die unrealistische
Wirtschaftsplanung führten bis 1965 zu stetig steigenden Inflationsraten, 137 zu einer
Erhöhung der Auslandsverschuldung auf über 2 Mrd. US$ und zu einer Verminderung
der Exporteinnahmen auf 450 Mio. US$ (vgl. Tabelle 2-1). Die staatliche Kontrolle
des Außenhandels bewirkte zum einen eine Ausweitung des Schmuggels und
der Korruption, zum anderen eine Unterversorgung der Betriebe mit Ausrüstungsgütern,
die aufgrund fehlender Devisen nicht importiert werden konnten. Privates Kapital
wurde ins Ausland geschafft, weil langfristige Investitionen nicht mehr rentabel
waren. Die Unberechenbarkeit der nationalen Wirtschaftspolitik zeigte sich u.a. in
133
Feith 1963, 396; Mackie 1964, 107ff.
134
Mackie 1964, 103f. Die Volkswirtschaft sollte wie eine große Familie aufgebaut sein.
135
Robison 1986, 80.
136
Die Nationalisierung betraf einen Großteil der Plantagen, 60% des Außenhandels, 246 Fabriken und
Bergbaubetriebe sowie Banken, Reedereien etc. (Robison 1986, 72).Zum Pseudosozialismus der Gelenkten
Demokratie: Booth 1998, 301 und 317.
137
Mackie 1964, 113ff.

Die Unternehmer 69
dem Regierungsbeschluss PP10 (Peraturan Pemerintah No. 10, 1959), durch den ca.
25.000 chinesische Kleinhändler aus den Dörfern verdrängt wurden, und in einer
unvorbereiteten und sozial unausgewogenen 90%igen Entwertung von Bankeinlagen
im August 1959. 138
Ein Fünfjahresplan für die Jahre 1956-60, der ohnehin nur sehr allgemeine Zielbestimmungen
enthielt, war schon 1958 aufgrund der politischen Veränderungen, aber
auch wegen der hohen Inflationsrate, obsolet geworden. Der 1960 verabschiedete
Achtjahresplan "[...] was based on quite fantastic assumptions to justify, in theory,
government expenditures of Rp. 30 billion per annum on development projects,
again without inflation and without increased taxation." 139
In diesem Jahr ging die indonesische Regierung immer mehr dazu über, auch den
Handelssektor zu kontrollieren. 140 Sie ließ für die Bevölkerung staatliche Geschäfte
für Kleidung und Nahrungsmittel (sandan-pangan) errichten und zwang die privaten
Produzenten der dort angebotenen Waren, einen Teil ihrer Erzeugnisse zu festgesetzten
Preisen abzugeben. Den Im- und Export von Gütern, die als wichtig eingestuft
wurden, übernahmen überwiegend staatliche Handelsgesellschaften. Die
schlecht koordinierten staatlichen Eingriffe hatten eine lähmende Wirkung auf die
Produktion und den Handel, zumal sich die Korruption ausbreitete und ein Schwarzmarkt
entstand.
Tabelle 2-1: Wachstum des realen BIP und des Exportvolumens (1938-68)
Index des realen BIP Exportindex Exporte/BIP in %
1938 100 100 17,1
1951 90 137 26,1
1952 97 132 23,3
1954 107 141 22,6
1956 114 133 20,0
1958 122 135 19,0
1960 123 129 18,0
1962 132 148 19,2
1964 134 147 18,8
1966 139 147 18,1
1968 151 184 20,9
Quelle: Booth 1998, 60.
138 Robison 1986, 83 und 87. Es galt für Bankeinlagen, die einen Wert von 25.500 Rp. überstiegen.
139 Mackie 1964, 108.
140 Paauw 1963, 211ff.

70 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
Tabelle 2-2: Indikatoren der Wirtschaftsentwicklung von 1960-1965
1960 1961 1962 1963 1964 1965
Veränderung des PKE* in % - 1,6 1,7 - 3,0 - 4,0 0,3 3,2
Wachstum M1 in % 37 41 101 94 156 302
Anstieg Haushaltsdefizit in % 19 134 97 115 104 90
Inflation in % 20 95 156 129 135 594
Quelle: Hill 1996, 4.
* Pro-Kopf-Einkommen
Die hohen Militärausgaben für die Kampagnen zur Integration West Irians und gegen
Malaysia, die unrealistische Wirtschaftsplanung, das Missmanagement in den
verstaatlichten Betrieben, der Rückgang ausländischer und einheimischer Investitionen
und die sich ausweitende Handelsreglementierung trieben die indonesische
Ökonomie immer stärker in die Krise (vgl. Tabelle 2-2). Der radikale Kurswechsel
in den Jahren 1965/66 war vor allem eine Reaktion auf den wirtschaftlichen Niedergang
und die beginnenden Klassenkämpfe in den Dörfern.
Die Sonderrolle der Chinesen in Indonesien
Schon im 10. Jahrhundert kamen erste chinesische Händler auf den Archipel und
ließen sich in den Küstenstädten in speziellen Chinesenvierteln nieder. 141 Im Laufe
der nächsten Jahrhunderte sicherte sich diese Minorität eine bedeutende Position im
Handel. Chinesen konnten sogar zu Ministern und Hafenmeistern aufsteigen. Sie
waren zu dieser Zeit wahrscheinlich noch keine verhasste Minderheit. Erst unter
dem Einfluss der Niederländer übernahmen sie nach und nach eine lukrative, aber
prekäre Mittlerrolle. 142 Sie erhielten verschiedene Monopole auf die Eintreibung von
Tributen und Abgaben wie Maut-, Basar-, Schlacht- und Zollgebühren, aber auch
auf den Handel mit Salz. In einigen Gebieten waren sie als Steuerpächter sogar verantwortlich
für die Eintreibung bäuerlicher Zwangsabgaben im Auftrag der VOC
oder der einheimischen Aristokratie. Sie fungierten somit als Bindeglied zwischen
der einheimischen Bevölkerung und den Kolonialherren. Auch dies war eine Form
der indirekten Herrschaft. Die Niederländer konnten auf diese Weise die einheimischen
Händler ausschalten und hatten zugleich ein politisch ungefährliches Gegengewicht
zu den priyayi. Aber die Chinesen dienten in vielen Fällen auch den einheimischen
Aristokraten: Diese konnten die direkte Konfrontation mit der Bauernbevölkerung
umgehen.
141 Zum Folgenden findet sich eine gute Übersichtsdarstellung bei: Buchholt 1998, 97ff.
142 "The role of the Chinese in Java thus changed from that of intermediaries between the big China-based
merchants and the population of Java to that of intermediaries between the Company and the latter"
(Kahin 1952, 8).

Die Sonderrolle der Chinesen 71
Im 18. Jahrhundert - beim sukzessiven Übergang von der Gewürzökonomie zum
Anbau von cash crops - verstärkten sich die Spannungen zwischen den Kolonialherren
und den Chinesen. Als Mittelsmänner verloren sie an Bedeutung, da die Holländer
sich verstärkt an die priyayi-Elite wandten. 143 Für die chinesische Minderheit
wurden Zuwanderungsquoten, ein Passsystem und eine spezielle Kopfsteuer eingeführt.
Damit wurde ihre räumliche Mobilität deutlich eingeschränkt. Schwarz beschreibt
deren Sonderstatus eindrucksvoll:
"The Chinese were separated by education, with most Chinese children studying at Chinese-language
schools. The Chinese were also segregated into specially marked
neighbourhoods [...]. Even in everyday appearance, the Chinese were different. The Dutch
required Chinese men to wear a long braid down their back - the mark of the Manchu -
and to dress in typically Chinese fashion." 144
Solche Maßnahmen forderten den Widerstand der Chinesen heraus. Als Reaktion
darauf wurden 1740 bei dem Massaker in Batavia viele Tausend Chinesen von den
Holländern umgebracht.
Die antisinitischen Ressentiments verstärkten sich im 19. Jahrhundert, als die Chinesen
in neue Bereiche wie den Opiumhandel und den Betrieb von Spielhöllen und
Pfandhäusern vordrangen. Zur gleichen Zeit nahm die Immigration stetig zu. Während
es 1860 nur ca. 220.000 Chinesen in Indonesien gab, von denen zwei Drittel in
Java lebten, waren es 1905 schon ca. 560.000, von denen fast die Hälfte außerhalb
Javas und dort wiederum größtenteils in Sumatra lebten. Davon waren aber nur etwa
20% im Handel tätig. 145 Viele Chinesen, die im 19. und 20. Jahrhundert nach Indonesien
kamen, arbeiteten in Zinn- und Goldminen (Westkalimantan, Bangka, Belitung)
oder als Plantagenarbeiter in Ostsumatra, einige sogar als Bauern in Kalimantan.
Viele dieser Neuankömmlinge kamen völlig mittellos nach Indonesien, übernahmen
auch härteste Arbeiten und entsprachen also in keiner Weise dem Stereotyp des
chinesischen Halsabschneiders.
Die Migration führte zu einer deutlichen Differenzierung in totok und peranakan.
Totok (oder singkeh) waren solche Chinesen, die erst relativ spät - nämlich im 19.
Jahrhundert - nach Indonesien kamen und i.d.R. weniger an ihre neue kulturelle
Umgebung angepasst waren. Peranakan (oder baba) waren solche, die sich der
lokalen Kultur anpassten und i.d.R. Malaiisch sprachen. Das Stereotyp vom geschäftstüchtigen
Chinesen traf vorwiegend auf die totok zu.
Mit der Ausweitung der Geldwirtschaft und der Kommerzialisierung der gesamten
Ökonomie boten sich den Chinesen neue Möglichkeiten im Handel mit Importgütern,
beim Aufkauf und bei der Vermarktung von Agrargütern und im Geldverleih. 146
Als Anfang des 20. Jahrhunderts Reise- und Aufenthaltsrestriktionen für die Chinesen
beseitigt wurden, konnten sie auch in den Dörfern Handel treiben. Da sie nicht
143 Buchholt 1998, 106ff.
144 Schwarz 1994, 102. Bis 1918 lebten die Chinesen in speziellen Vierteln nach dem Wijkenstelsel unter
der Verwaltung eines Vorstehers, der von den Holländern bestimmt wurde.
145 Vgl. Rapp 1988, 30ff.
146 Zur Rolle der Chinesen siehe: Robison 1986, 18ff und 24ff.

72 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
mehr Ländereien pachten durften, produzierten und vermarkteten sie vermehrt Batikstoffe
und kretek-Zigaretten. Erst seit den 20er Jahren besetzten sie solche und
andere Nischen in großer Zahl:
"It was really only from about the 1920s onward that large numbers of Chinese in Indonesia
began to move away from other occupations, mostly less desirable ones, as in the case
of thousands of plantation and mining coolies, into what today are commonly regarded as
their characteristic roles as small-scale traders, warung operators, commodity dealers, and
money lenders." 147
Vor allem waren das die neu angekommenen totok, die als Händler oder Handwerker
in die ländlichen Gebiete oder in die Plantagengebiete Javas und Sumatras zogen,
während die peranakan eher feste Anstellungen oder Arbeit als Professionals
suchten. 148
Die Sonderrolle der Chinesen wurde seit dem 19. Jahrhundert schrittweise verrechtlicht,
zuletzt durch ihre - 1925 erfolgende - Zuordnung zu der Kategorie der "fremden
Orientalen" (vreemde oosterlingen, zusammen mit Arabern; Japaner und Türken
hingegen wurden den Europäern gleichgesetzt). Furnivall 149 spricht von einer "pluralen
Gesellschaft", weil die verschiedenen ethnischen Gruppen jeweils spezifische
ökonomische Funktionen übernahmen und sich gleichzeitig kulturell und sozial
scharf voneinander abgrenzten.
Die schnell errungene Überlegenheit bei der Batik- und kretek-Produktion gab antisinitischen
Vorurteilen neue Nahrung. 150 Die Chinesen galten als die Händler
schlechthin und mussten mit den Stereotypen leben, die dieser Berufsgruppe gemeinhin
zugesprochen werden. Go schreibt:
"Practically jammed between European import and export monopolies at the top level and
the masses of the Indonesian peasantry at the bottom, the Chinese, thus, remained a group
apart [...]. The socio-psychological consequence of this typical colonial configuration was
that the Chinese were generally considered either the industrious or the unscrupulous
trader, anyhow always the trader, in the eyes of Europeans and Indonesians alike." 151
Selbst die indonesische nationalistische Bewegung hatte ihre Ursprünge u.a. in der
islamischen Händlervereinigung Sarekat Dagang Islam, die anfänglich eine gegen
die chinesische Überlegenheit gerichtete Assoziation war.
147 Mackie 1991, 84.
148 Mackie 1991, 88f.
149 Furnivall 1942.
150 In diese Phase fallen antichinesische Unruhen etwa in Kudus (1918), die in ihrem Verlauf und im
Hinblick auf die Motivation der beteiligten Indonesier sehr an die Unruhen in der Neuen Ordnung erinnern.
151 Go 1987, 80.

Bedeutung des Islam 73
Von 1930 bis 1965 stagnierte die indonesische Ökonomie, so dass auch die Chinesen
keine großen Unternehmen aufbauen konnten, zumal sie politisch unter Druck
gerieten. Während der japanischen Besetzung waren sie ständig den Pressionen der
Japaner und der einheimischen Bevölkerung ausgesetzt. Während der Revolution
waren sie wegen des Verdachts der Kollaboration mit den Niederländern ebenfalls
in einer sehr unsicheren Lage. Von 1950 bis 1965 gab es immer wieder Bestrebungen
von Teilen der Parteien und des Militärs, die pribumi zu privilegieren und etwas
gegen die Überlegenheit der Chinesen zu tun. Schon 1950 wurde zu diesem Zweck
das Benteng-System eingeführt, bei dem den pribumi Importlizenzen gewährt wurden.
Nach einigen Jahren, nämlich im Jahre 1954, wurde dieses untaugliche Mittel
abgeschafft, zumal sich die pribumi, die kaum über das nötige Know-how und die
Kapitalmittel verfügten, selbst wiederum Chinesen brauchten, um die Importlizenzen
nutzen zu können. Es entstanden die schon erwähnten "Ali-Baba-Firmen". 1956
kam die so genannte Assaat-Bewegung um den gleichnamigen sumatraischen Politiker
auf, deren erklärtes Ziel die Schwächung des chinesischen Einflusses war. Ein
Ergebnis ihrer Bemühungen war die Einführung des Regierungserlasses 10 (PP
10) 152 im Jahre 1959. Mit der Bestimmung verloren die Chinesen die Möglichkeit, in
den Dörfern Handel zu treiben. Am konsequentesten wurde der PP 10 in Westjava
von einer Koalition von Militärs mit der Unterstützung durch den Generalstab und
von Masyumi, der NU und einigen PSI-Zeitungen ausgeführt. Sukarno scheint eher
schlichtend eingewirkt zu haben. Als eine der verheerendsten Erlasse der neuesten
indonesischen Geschichte führte der PP 10 dazu, dass in den Monaten nach dem Mai
1959 über 130.000 Chinesen das Land verließen. 153
Noch in den letzten Jahren der Gelenkten Demokratie kam es mehrfach zu antichinesischen
Ausschreitungen, so z.B. im Mai 1963 in West- und Mitteljava, an denen
vor allem Schüler und Studenten beteiligt waren.
Die chinesische Minderheit konnte nur in einigen Bereichen eine Vorherrschaft
durchsetzen. Bis 1957 behaupteten sich die Niederländer im Finanz-, Banken- und
Großhandelssektor. Mit der Verstaatlichung der niederländischen Unternehmen
gingen diese Sektoren in die Hand des Staates bzw. des Militärs über. Chinesen
bauten allerdings schon seit der Revolutionszeit Beziehungen zu einzelnen Militärs
auf, die sie dann in der Neuen Ordnung vergolden konnten.
Die Bedeutung des Islam und islamischer Gruppen bis 1965
Während eine aus Indien stammende Mixtur hinduistischer und buddhistischer Elemente
schon seit dem 3. oder 4. Jahrhundert n. Chr. die existierenden animistischen
Vorstellungen ergänzte und umformte, drang der Islam erst etwa seit dem 13. Jahrhundert
in den Archipel vor. Entlang der Handelsrouten in die Molukken entstand in
den folgenden Jahrhunderten eine Reihe von islamischen Fürstentümern. Erst im 17.
Jahrhundert konnte der Islam in nennenswertem Umfang in das javanische Binnen-
152 Peraturan Presiden No. 10.
153 Feith 1963, 348ff.

74 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
land vordringen. Über die Handel treibenden Ausländer der Nordküste Javas gelangte
eine von persischen und indischen mystischen Elementen bereicherte Variante in
die javanischen Patrimonialreiche. 154 Diese sufistischen Lehren konnten in die bestehenden
hindubuddhistischen Glaubenssysteme relativ leicht integriert werden.
König Agung von Mataram durfte Mitte des 17. Jahrhundert mit offizieller Bestätigung
aus Mekka den Sultanstitel tragen, aber zugleich hielt er an vielen hindubuddhistischen
Ideen, Zeremonien und Herrschaftsinsignien fest. Im Mataram-Reich
wurden also Teile der islamischen Doktrin integriert und santri-Enklaven, oft in und
um die aus vorislamischer Zeit stammenden pesantren, geduldet. Grundsätzlich
galten die ulama, die Islamgelehrten, aber als subversiv. Amangkurat I. ließ im 17.
Jahrhundert 5.000-6.000 von ihnen ermorden, wodurch die Stellung der orthodoxen
Muslime für lange Zeit geschwächt wurde. Deshalb schreibt Anderson über die
Bedeutung des Islam in jener Zeit und danach:
"To use Gramsci's term, at no point did a «hegemonic» Islamic culture develop in Java.
The self-consciousness of pious Muslims remained strictly «corporate». Political and cultural
subordination went hand in hand." 155
Die abhängige Stellung der Muslime dürfte auch auf eine eigentümliche Differenzierung
zurückzuführen sein. So unterscheidet man im Anschluss an Clifford Geertz
zwischen den orthodoxen Muslimen, den santri 156 , und den abangan. 157 Die - häufig
kleinbäuerlichen - abangan glauben an javanische Götter meist indischen Ursprungs
(nach einer Berechnung waren es Ende des 19. Jahrhundert über 1.000), von denen
viele in den Wayang-Geschichten auftauchen, an eine Unzahl von Geistern und an
154 Koentjaraningrat 1985, 319ff.
155 Anderson 1972a, 59.
156 Santri (im engeren Sinne) sind in Indonesien die Schüler einer muslimischen Internatsschule, einer
pesantren. Der Leiter dieser Schule, der kiyayi oder kiai, wird von einigen ustad oder ulama unterstützt.
Die Schule ist ein Unikum in der islamischen Welt und entwickelte sich aus den asrama der hindubuddhistischen
Periode. Dhofier (1980, 270) definiert die genannten Begriffe folgendermaßen:"Islamic
scholars in Java who are proficient in Islamic knowledge are called ulama. In West Java they are called
ajengan. In Central and East Java ulama who lead pesantren are called kyai. At present, however, there
are some influential ulama who do not lead pesantren but are called kyai. With its strong association with
the pesantren tradition, the term kyai commonly refers to traditionalist ulama."
157 In den 50er Jahren hatte Geertz noch eine dritte Weltanschauung, nämlich die der priyayi, ausgemacht.
Gegen dieses Modell ist eingewandt worden, dass die priyayi einen bestimmten Berufsstand oder eine
eigene Klasse, aber keine religiöse Gruppe, wie die abangan und santri, bildeten. Die priyayi selbst sind,
was ihren religiösen Glauben betrifft, weit überwiegend abangan (vgl. Zifirdaus 1990, 442). Ein anderer
Kritikpunkt bezieht sich auf die Unterscheidung zwischen (orthodoxen) santri und (synkretistischen)
abangan, denn in Wirklichkeit gibt es auch abangan, die die Gebote des Islam strikt befolgen, und santri,
die kejawen-Elemente in ihr Glaubenssystem integriert haben (siehe auch: Bachtiar 1986). Viele orthodoxe
kiai in Java praktizieren Rituale, die ihrem Ursprung nach nichtislamisch sind. Hodgson meint, dass
Geertz zu sehr vom islamischen Modernismus beeinflusst sei, so dass er vieles als unislamisch, d.h. als
hindubuddhistisch oder urjavanisch, einstufe, was in Wirklichkeit islamisch sei (Hodgson 1974, 551ff).
Wie fragwürdig die Unterscheidung abangan-santri auch sein mag, sie verweist auf den zweifellos
vorhandenen Gegensatz zwischen orthodoxen oder praktizierenden und synkretistischen Muslimen.
Dieser Unterschied war die Grundlage für die Entstehung der aliran, die die parteipolitischen Auseinandersetzungen
vor allem der 50er Jahre prägten. In der Neuen Ordnung wurde aber die Bindung an solche
"Strömungen" immer unwichtiger (Anwar 1995, 265ff).

Bedeutung des Islam 75
die magischen Kräfte von dukun, die als Zauberer, Hexer, Medizinmänner und/oder
Wahrsager auftreten. 158 Außerdem praktizieren die abangan zusammen mit den
Nachbarn bei wichtigen Ereignissen den slametan, eine ritualisierte Mahlzeit. Es
besteht bei dieser Form der Religiösität keine kirchliche Organisation mit einem
ausgearbeiteten Dogma und Berufspriestern, die das "Monopol legitimen hierokratischen
Zwanges" 159 in Anspruch nehmen würden.
Trotzdem sehen sich diese abangan als Muslime. Sie beachten zumindest einige der
islamischen Gebote und nehmen den Propheten Muhammad und verschiedene islamische
Heilige in ihr pantheistisches Weltbild auf. Koentjaraningrat definiert es so:
"They firmly believe in God (Allah), and like Muslims in general, they believe that Muhammad
is Allah's prophet. They also believe that if they lead a good life their soul will
go to heaven (minggah swargi), but leading a bad life will bring them to hell (neraka).
They are aware that Islam has a sacred book which contains Allah's Words. Most of them
even know the name Koran, and each of them has at least once in his life pronounced the
Muslim confession of faith, the Al-fatihah, that is, at his circumcision ceremony." 160
Die spezifisch indonesische (oder besser: javanische) Unterteilung in santri und
abangan ist ein Ergebnis der angesprochenen hindubuddhistischen und islamischen
Durchdringung des Landes im Laufe der Jahrhunderte. Während z.B. die dukun und
die Schutzgeister auf eine vorstaatliche Tradition hindeuten, entstanden die Machtkonzeption,
die Unterscheidung alus-kasar (höflich-unhöflich, fein-grob, kultiviertbäuerlich
etc.), die Vorstellung von einer unwandelbaren hierarchischen Ordnung
und die gesamte höfische Kultur in der sehr stark vom Hinduismus und vom Buddhismus
geprägten Phase der Staatsbildung.
Die Niederländer sahen die größte Gefahr im 19. Jahrhundert in einem Bündnis
zwischen enttäuschten priyayi und den ulama. Ein solches Bündnis hatte z.B. 1825-
30 zum Java-Krieg geführt. Deshalb setzten sie in der kolonialen Verwaltung überwiegend
abangan ein. Auf diese Weise blieb der Zugang zum Staatsapparat den
orthodoxen Muslimen versperrt. 161 Unter dem Einfluss des reformerischen Kolonialbeamten
und Islamexperten Snouck Hurgronje änderten die Niederländer jedoch um
die Jahrhundertwende ihre starre Haltung gegenüber den Muslimen und förderten
den Islam als kulturelle - nicht als politische - Kraft.
Die Spannungen zwischen den priyayi und den santri intensivierten sich Ende des
19. Jahrhunderts. Die santri hatten schon seit mehreren Jahrhunderten ein Gegenmodell
zu den aristokratischen javanischen Beamten konzipiert. Aber besonders seit
Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Muslime stärker, weil die priyayi zunehmend
an Macht und Legitimität einbüßten und weil zur gleichen Zeit reformistische Strömungen
aus dem Nahen Osten den indonesischen Islam zu beleben begannen. Erst
158
Koentjaraningrat 1985, 336ff; Geertz 1960, 16ff und 86ff; Magnis-Suseno 1981, 75f. Da es nach der
traditionellen abangan-Weltanschauung keine Zufälle gibt, sondern alles mit allem zusammenhängt, kann
auch die Zukunft vorausberechnet werden.
159
Weber 1972, 29.
160
Koentjaraningrat 1985, 317.
161
Kuntowijoyo 1987, 10.

76 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
um 1900 hatte sich der schon bestehende gemäßigte abangan-santri-Gegensatz
völlig entwickelt. Zu dieser Zeit war der Santrismus zu einer religiösen und politischen
Doktrin ausgearbeitet. Der Santrismus wurde als antikoloniale Ideologie orthodoxer,
weil er sich gleichzeitig von den klassischen Traditionen Indonesiens
abgrenzte. 162 Der Hindubuddhismus war aufgrund der Mitläuferrolle der priyayi bei
Teilen der Bevölkerung diskreditiert.
Nach 1910 setzte sich der Modernismus unter den Händlerschichten der größeren
Städte mehr und mehr durch. Es kam zur Gründung des Sarekat Islam und von Muhammadiyah,
woraufhin 1926 die NU zur Bündelung der traditionalistischen Kräfte
gegründet wurde. Die islamische Lehre fungierte auch als eine nationalistische Doktrin
der Befreiung und der Sarekat Islam war die erste große nationalistische Organisation.
Der abangan-santri-Gegensatz und der zwischen Traditionalisten und Modernisten
prägte den indonesischen Islam über Jahrzehnte, und z.T. lassen sich diese Spaltungen,
wenn auch in modifizierter Form, bis heute verfolgen. Es gab nur kurze Zeit
eine gewisse Einigung islamischer Gruppen, etwa 1937 mit der Gründung des antikolonial
orientierten Obersten Indonesischen Islamrates MIAI 163 und mit der von den
Japanern initiierten Gründung des Masyumi 164 (1943).
Seit 1945 wurde über die Frage diskutiert, welchen Stellenwert die Scharia in der
Verfassung haben und ob die Republik Indonesien ein islamischer Staat sein sollte.
Der Streit wurde bereits mit der Formulierung der Jakarta-Charta entfacht. Die Charta
stellte einen Kompromiss zwischen Nationalisten und islamischen Führern im
Komitee für die Vorbereitung der Verfassung vom 22. Juni 1945 dar. 165 Mit ihr wurde
die Anordnung der fünf Prinzipien der Pancasila verändert und das nun an erster
Stelle stehende Prinzip des Glaubens an den einen Gott um den Zusatz erweitert,
dass Muslime die syariah anzuwenden hätten. Allerdings sorgte Mohammad Hatta
dafür, dass dieser Passus in der dann gültigen Fassung der Präambel und des Verfassungstextes
nicht mehr auftauchte, weil er Widerstand von christlichen Ostindonesiern
fürchtete. Diese Änderung wurde später von vielen Muslimen als Betrug gewertet.
166
Bei den Wahlen von 1955 erreichten die islamischen Parteien zusammen nur 43,5%
der Stimmen. Die Illusion, einen Islamstaat errichten zu können, war zerstört, da die
abangan sich - zur großen Enttäuschung der orthodoxen Muslime - den nichtislami-
162 Geertz 1991, 100ff. Die Traditionalisten erkennen nur die Gründer der vier mazhab (Rechtsschulen)
als autorisierte Interpreten (mujtahid) an, während die von den Ideen Mohammad Abduhs und Jamal ad-
Din al-Afghanis geprägten Modernisten zu den Ursprüngen des Islams zurückkehren möchten, um selbständig,
d.h. ohne den Einfluss der ulama, zu einer für sie verbindlichen Interpretation des Koran und der
Sunna zu gelangen (ijtihad = individuelle Interpretation).
163 Majelis Islam A'la Indonesia.
164 Majelis Syura Muslimin Indonesia = Konsultativrat der Indonesischen Muslime.
165 Die Jakarta Charter ist bis heute in ihrem Gehalt umstritten. Der Kernsatz "dengan kewajiban menjalankan
syari'at Islam bagi pemeluk-pemeluknya" bedeutet in der Übersetzung: "mit der Verpflichtung für
die Muslime, die Scharia auszuführen/anzuwenden".
166 Ramage, 1995, 16f.

Entwicklung der Machteliten 77
schen Parteien (PNI und PKI) zuwandten. Zudem verstärkte sich wieder der Gegensatz
zwischen den Traditionalisten der NU (die sich Anfang der 50er Jahre aus dem
Masyumi zurückzog und eine eigene Partei gründete) und den beim Masyumi bleibenden
Modernisten. Auch in der Konstituante, die 1956-59 eine neue Verfassung
ausarbeiten sollte, waren die Verhandlungen von den Streitigkeiten zwischen orthodoxen
Muslimen und ihren Widersachern geprägt. Zum Zeitpunkt der Auflösung
dieser Versammlung durch Sukarno (1959) sprachen sich 48% der Abgeordneten für
den Islam als Wertebasis der Republik Indonesien aus, 52% stimmten für die Pancasila.
Nach der Wiedereinführung der Verfassung von 1945 durch Sukarno im Jahre 1959
und dem Verbot vom Masyumi ein Jahr später (wegen der Beteiligung einiger Masyumi-Politiker
an den regionalistischen PRRI/Permesta-Rebellionen) war der modernistische
Islam als parteipolitische Kraft entscheidend geschwächt. Außerdem
waren die Bürokratie und das Militär von abangan beherrscht. 1964/65 steigerten
sich die Spannungen zwischen den meist grundbesitzenden santri und der ländlichen
abangan-Unterschicht, da die PKI in "einseitigen Aktionen" begann, die 1960 vom
Parlament beschlossene Landreform durchzuführen. Die wohlhabenden Bauern
konnten die angestrebten Landbesetzungen verhindern und rächten sich zu Beginn
der Neuen Ordnung mit Massakern an den Kommunisten und ihren Sympathisanten.
Dazu schreibt Wertheim:
"During the closing years of the Sukarno period, the Muslim community took on the attitude
of a threatened minority group. Despite the class struggle character of rural unrest incited
by the leftist peasant unions, the Muslim community, including many poor tenants,
rallied behind the rich landowners who were the leaders of their aliran. The vertical
alignment typical of Indonesia during the populist Sukarno régime thwarted the attempts
of the Communists to carry on the aksi sefihak as a class struggle. After the Untung coup
failed Muslim groups in many parts of Java took a terrific revenge against many members
of the abangan group [...]" 167
Die z.T. fanatisierten Muslime hatten also erheblichen Anteil an der Zerschlagung
der PKI und - insgesamt - der politischen Linken. Trotzdem blieben sie aus den
Zentren der Orba-Regimekoalition weitgehend ausgeschlossen.
Die Entwicklung der Machteliten und die Verbindung zur Figuration der
Neuen Ordnung
Die Kolonialherrschaft war im Wesentlichen eine Form der indirekten Herrschaft.
Das heißt nur wenige Niederländer kamen in unmittelbaren Kontakt mit der indonesischen
Bevölkerung. Stattdessen wurden einheimische Aristokraten und chinesische
Geschäftsleute als Vermittler eingesetzt. Deshalb auch waren die Sprache und Kultur
der Niederländer und das Christentum nicht weit verbreitet.
Die frühzeitige Ausschaltung der Einheimischen im nationalen und internationalen
Handel, der zögerliche Aufbau des Bildungssystems und die Diskriminierung der
167 Wertheim 1974, 92.

78 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
Indonesier in der Verwaltung und im Militär verhinderten die Entstehung einer starken
pribumi-Mittelklasse. Die chinesischen Unternehmer, die nie wirklich in die
pribumi-Gesellschaft integriert wurden, waren - und blieben nach der Unabhängigkeit
- Paria-Unternehmer 168 . Die Chinesen blieben außerdem ohne Zugang zu einflussreichen
Positionen in der Verwaltung, im Militär und in der Politik. Auch nach
Erlangung der Unabhängigkeit entstand in Indonesien bis 1965 keine starke einheimische
oder chinesische Bourgeoisie. Selbst die staatliche pribumi-Förderung konnte
daran nichts ändern.
Durch die indirekte Herrschaft blieben die priyayi lange sehr mächtig, konnten sogar
ihre Macht ausweiten, verloren aber zusehends an Ansehen bei der einheimischen
Bevölkerung. Seit Mataram wurde die Herrschaft der priyayi repressiver ausgeübt,
sie war weniger traditional legitimiert und von der Protektion der Niederländer abhängig.
So konnte Anfang des 20. Jahrhunderts eine nationalistische Gegenelite
entstehen, die das Machtvakuum nach 1945 füllte und den bürokratischen Apparat
besetzen, politisieren und in erheblichem Umfang kontrollieren konnte. Die politischen
Führer konnten in der Zeit der parlamentarischen Demokratie die wichtigsten
Machtpositionen einnehmen. Zusammen mit den Bürokraten (die wiederum häufig
Parteimitglieder waren) und den religiösen Führern, die ebenfalls meist an Parteien
in irgendeiner Form gebunden waren, bildeten sie die Machtelite. Die verschiedenen
Fraktionen des Militärs suchten Parteiführer als potentielle Partner, und die privaten
Unternehmer waren auf die Protektion der Bürokraten und Politiker angewiesen. Bei
allem Elitismus und bei aller Vetternwirtschaft gab es aber starke Mechanismen der
Kontrolle durch eine aktive parlamentarische und außerparlamentarische (Presse,
Gewerkschaften, Bauernverbände etc.) Opposition.
Obwohl die islamischen Gruppierungen schon in der nationalistischen Bewegung
eine wichtige Rolle gespielt hatten und auch in den 50er Jahren mit verschiedenen
Parteien die Politik jener Jahre wesentlich mitbestimmen konnten, gelang es den
orthodoxen Muslimen zu keiner Zeit, den Staat - etwa durch die Einfügung der Jakarta-Charta
in die Präambel der Verfassung - zu islamisieren.
Eine neue, sehr mächtige strategische Gruppe - das Militär - entstand in der Zeit der
japanischen Besatzung. In der Revolutionsphase konnten diese Peta-Truppen, aber
auch die ehemaligen KNIL-Soldaten und die laskar-Milizeinheiten, eine wichtige
Position in der sich langsam konstituierenden Kräftekonstellation erobern. Zwar
wurden die Streitkräfte in der Zeit der parlamentarischen Demokratie von der politischen
Elite kontrolliert, aber mit der Ausrufung des Kriegsrechtes (1957) und der
Wiedereinführung der Verfassung von 1945 im Jahre 1959 konnten die Militärs ihre
Position stetig ausbauen.
Die 1965 gewaltsam durchgesetzte Neue Ordnung war - wie in den folgenden Kapiteln
zu zeigen sein wird - z.T. die logische Folge sich seit langem abzeichnender
Tendenzen. Die Regimekoalition der Neuen Ordnung war nicht in einem Vakuum
entstanden, vielmehr lassen sich ihre spezifische Zusammensetzung und die Eigenheiten
der sie konstituierenden Gruppen historisch ableiten. Von Mataram war eine
168 Zu diesem Begriff: Riggs 1966.

Entwicklung der Machteliten 79
starke Verwaltungsbürokratie sowie das priyayi-Weltbild und der priyayi-Habitus
geblieben. Der javanische Patrimonialismus mit seinen überaus mächtigen Königen
trat in der Neuen Ordnung mit einem in vielfacher Beziehung königgleichen Präsidenten
Suharto, der über ein ausgedehntes Netz von Patron-Klient-Beziehungen
seine "Untertanen" abhängig machte und kontrollierte, wieder auf. Damit verknüpft
war ein ausgeprägter Javazentrismus und die Zentralisierung der Machtbefugnisse in
der Hauptstadt. Selbst der Organizismus und die altjavanischen Harmonieideologien
tauchten unter Suharto wieder aus dem Dunkel der Geschichte auf. Die Rekonstruktion
und Neuanpassung solcher Ideologien hatten z.T. schon die Niederländer gefördert,
die die priyayi für ihre Zwecke eingespannt hatten. Der Patrimonialismus wurde
zwar in der Kolonialzeit durch die ökonomischen und sozialen Wandlungen untergraben,
z.T. wurde aber durch die Stützung der einheimischen aristokratischen
Elite deren Abgehobenheit und Exklusivität gerade gestärkt. Eine der verblüffendsten
Parallelen zwischen dem Indonesien der Neuen Ordnung und der Kolonialzeit
war zudem der Umgang mit Regimekritikern: Das Suharto-Regime übernahm große
Teile des niederländischen Straf- und Strafprozessrechts und bekämpfte in ähnlicher
Weise wie die Niederländer die Opposition.
Von den Japanern übernahmen die Indonesier die Organisation der Nachbarschaften
und die Peta-Truppen. Die Revolutionszeit lieferte erste dwifungsi-Modelle und
sicherte der Armee die Rolle als Retterin und Ordnungsstifterin mit nationalistischrevolutionärem
Geist. Und während von der parlamentarischen Demokratie nur
einige leblose Hüllen für das pseudodemokratische Theater in der Suharto-Zeit blieben,
hinterließ die Gelenkte Demokratie u.a. den Golkar-Vorläufer Sekber Golkar,
das karyawan- und dwifungsi-Konzept, die enge Kooperation von Zivil- und Militärverwaltung
sowie die Kontrolle großer Wirtschaftsbetriebe durch das Militär.
Aber die Neue Ordnung war nicht bloß eine Rekonstruktion vorgängiger Kräfteverhältnisse,
sondern in vielerlei Hinsicht eine ganz neuartige Herrschaftsfiguration mit
eigenen Ideologien. So unterschied sie sich insbesondere in folgenden Punkten von
der Gelenkten Demokratie:
- Im Umgang mit der linken, vor allem kommunistischen Opposition: Die PKI, die
unter Sukarno und z.T. zusammen mit Sukarno sehr mächtig war, wurde nach 1965
ausgeschaltet, oder zutreffender: ausgerottet. Mit der Ausschaltung bzw. Vernichtung
der politischen Linken kam es zu einer Entschärfung der Klassenkämpfe in den
Städten und in den Dörfern.
- Mit Bezug auf die Stellung des Militärs: ABRI wurde zur mächtigsten Institution
des Landes und konnte - gestützt auf die dwifungsi-Doktrin - sehr viel stärker als
zuvor andere gesellschaftliche Bereiche dominieren.
- In der Kooperation mit sinoindonesischen Unternehmern: Die cukong wurden
stärker als zuvor mit Aufträgen, Konzessionen und Krediten versorgt.
- In der Selbstlegitimierung: Die Rhetorik der Revolution und des Antiimperialismus
wurde vollständig aufgegeben; stattdessen wurde der schon angelegte Organizismus
und Korporatismus weiter ausgearbeitet.
- Bezüglich des wirtschaftspolitischen Kurses: Die unklare, antiwestliche, wenngleich
nicht sozialistische Politik des Regimes in der Gelenkten Demokratie wurde

80 Die Herrschaftsfiguration bis 1965
abgelöst durch eine prowestliche, investitionsfreundliche Politik (mit einem sehr
starken Staatssektor und einer ausgeprägten Vetternwirtschaft).
- In der Außenpolitik: Aus einer Achse Jakarta-Peking wurde eine De-facto-Anlehnung
an Japan und an die westlichen Industriestaaten.
Wie der Kurswechsel vollzogen wurde und welches neuartige Gebilde entstand, soll
in den Kapiteln 3 und 4 ausführlich behandelt werden.

Teil II: Die strategischen und die konfliktfähigen
Gruppen der Neuen Ordnung (1965-1998)
3. Legitimierung, Struktur und Entwicklung
der Regimekoalition und kooptierter
Organisationen und Gruppen
3.1 Die Legitimierung der Regimekoalition und die
politische Kultur der Neuen Ordnung
Die indonesische Neue Ordnung wurde von Anfang an als ein Gegenmodell zur parlamentarischen
und zur Gelenkten Demokratie konzipiert. Die beiden letztgenannten
politischen Entwürfe galten der neuen Regimekoalition als gescheitert. Die parlamentarische
Demokratie wurde in der Neuen Ordnung als ein politisches System eingestuft,
in der die wirtschaftliche Entwicklung gelähmt war und in der elitäre politische
Parteien um staatliche Pfründe wetteiferten. Die Gelenkte Demokratie war wegen der
abenteuerlichen Außen- und Wirtschaftspolitik, aber vor allem wegen des Aufstiegs
der PKI diskreditiert. Die Regimekoalition der Neuen Ordnung wollte demgegenüber
auf der Grundlage einer organizistischen Staatstheorie, die sich aus
(neo)hindubuddhistischen und (neo)javanischen Quellen speiste, eine westlich und an
Japan orientierte technokratische Entwicklungspolitik in die Wege leiten, bei der das
Militär eine Sonderrolle einnehmen sollte. Im Laufe der folgenden Jahre gelang es der
Regimekoalition, ein Ideensystem zu schaffen und zu propagieren, dass zwar intellektuell
nicht sehr ausgefeilt war, aber doch eine gewisse Konsistenz hatte.
Die neuen Machthaber strebten eine ökonomische Modernisierung (modernisasi oder
pembangunan = Aufbau) an, die mit Hilfe westlichen Kapitals bewerkstelligt, aber
nicht mit einer demokratischen Öffnung verbunden werden sollte. Für die für einheimische
und ausländische Investoren nötige Stabilisierung sollte die Armee sorgen, die
eine historisch begründete Doppelfunktion (dwifungsi) zu erfüllen hatte: Außer zur
Aufrechterhaltung der inneren und äußeren Sicherheit dienten die Soldaten in zivilen
Bereichen (Staatsbetriebe, Verwaltung, Parlamente).
Schon 1965/66 setzten sich führende Militärs zusammen mit Intellektuellen 1 für eine
Depolitisierung ein, um in einem stabilen politischen System, ohne den störenden
Einfluss angeblich korrumpierter Parteien und ohne das vermeintliche Chaos der
Massendemokratie, eine von oben initiierte und geplante Modernisierung voranzu-
1 Zu diesen Intellektuellen gehörten die Gajah-Mada-Gruppe in Yogyakarta um Sumiskum,
Sugiharto, Suroso etc., die eng mit Dharsono kooperierende, radikale Gruppe in Bandung um
Rachman Tolleng und Midian Siriat und eine Reihe von Katholiken (die Wanandis, Murdopo
etc.), die Murtopo besonders nahe standen (Ward 1974, 35ff).
81

82 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
treiben. 2 Mit dieser westlichen, technokratischen Konzeption verband sich die Vorstellung
vom indonesischen Staat als einer organischen Einheit. 3 Danach war Indonesien
trotz der immensen sozialen Ungleichheit eine klassenlose Gesellschaft, in der
die Herrschenden in Harmonie mit den Beherrschten lebten. 4
Das Legitimationsmodell war nicht "aus einem Guss", sondern bestand aus unterschiedlichen
Elementen: In der Sprache Max Webers kann man von einer Mischung
aus charismatischen, traditionalen und aus modernen bzw. legal-rationalen Elementen
sprechen. Einige pseudotraditionale Bestandteile können hinzugefügt werden. Zu den
wesentlichen Elementen der Ideologie der Neuen Ordnung zählten im Einzelnen:
- die in der Präambel der UUD 45, also der Verfassung von 1945, aufgeführten
Pancasila, aus der u.a. das organizistische oder integralistische Staatsmodell und die
Gleichberechtigung von fünf monotheistischen Religionen abgeleitet wurden,
- die Doktrin von der Doppelfunktion (dwifungsi) der Streitkräfte, die die angebliche
nationale Einheit festigten sowie die politische Stabilität garantierten,
- die floating mass-Lehre,
- ein ausgeprägter Antikommunismus sowie
- die Modernisierungstheorie der Technokraten insbesondere in der Bürokratie. 5
Mit "Organizismus" ist die Vorstellung gemeint, dass der Staat quasinatürliche Eigenschaften
besitzt und zusammen mit der Gesellschaft eine harmonische Einheit bildet
(insofern handelt es sich eigentlich nicht um eine Gesellschaft, sondern um eine Gemeinschaft).
Die Regimekoalition bezeichnete diesen Organizismus als essenziell
indonesisch, obwohl es in Indonesien immer konkurrierende Politikmodelle gegeben
hatte. Sukarno z.B. hatte 1926 den Nationalismus, den Islam und den Marxismus als
die drei großen ideologischen Gruppen in Indonesien bezeichnet. Diese Konzeption
tauchte mehr als 30 Jahre später wieder in seinem Nasakom-Modell auf. Mit dem
Akronym Nasakom versuchte Sukarno die von ihm angestrebte Allianz von Nationalismus
(Nasionalisme), Religion (Agama) - gemeint war in erster Linie der Islam -
und Kommunismus (Komunisme) auf den Begriff zu bringen. Herbert Feith 6 - um ein
weiteres Beispiel zu nennen - unterscheidet in der Einleitung zu einer Sammlung
politischer Schriften sogar fünf verschiedene Strömungen (streams oder auch
meaningful clusters of blendable voices) politischen Denkens im Indonesien der 50er
Jahre, nämlich den Kommunismus, den radikalen Nationalismus, den javanischen
2 Ward 1974, 28 und 37.
3 Langenberg 1990, 123.
4 In den staatlichen Betrieben z.B. galten die Arbeiter und die Manager gleichermaßen als
karyawan (etwa: Funktionäre), so dass - nach offizieller Darstellung - die Einheitsgewerkschaft
als Vertretungsorgan von Gruppen fungierte, die im Grunde gleiche Interessen hatten.
5 Es wird bei diesen Elementen der Orba-Ideologie hier keine systematische Differenzierung
vorgenommen in metatheoretische, grundlegende Doktrinen (z.B.: Organizismus) und Doktrinen,
die unmittelbar politisch operationalisierbar sind (z.B. die floating mass- oder die
dwifungsi-Doktrin).
6 Feith 1970, 12ff.

Legitimierung der Regimekoalition 83
Traditionalismus, den demokratischen Sozialismus und den Islam als politische Glaubenslehre.
Diese fünf Strömungen stammten nach Feith aus westlichen und indigenen
(islamischen und hindujavanischen) Quellen. Die bei den Wahlen von 1955 stärksten
politischen Parteien ließen sich relativ eindeutig dem Kommunismus (PKI), dem
radikalen Nationalismus (PNI) und dem Islam (NU und Masyumi) zuordnen, die PSI
und z.T. der Masyumi zählten zur Strömung des demokratischen Sozialismus, und der
javanische Traditionalismus wurde noch am ehesten von der elitären PIR 7 vertreten.
Nun handelte es sich bei dem Modell von Feith nicht um eine simple Zuordnung von
verschiedenen Strömungen zu verschiedenen Parteien. Vielmehr sollte mit diesem
Bild die Vielgestaltigkeit der politischen Szenerie anschaulich dargestellt werden. Der
javanische Traditionalismus überschnitt sich ein wenig mit dem Kommunismus, der
ansonsten weitgehend isoliert war, ein wenig mit dem Islam (in der NU) und erheblich
mit dem radikalen Nationalismus (in der PNI). Der demokratische Sozialismus
wiederum floss an einigen Stellen zusammen mit Teilen des Islam und des radikalen
Nationalismus. 8
Trotz dieser eigentlich doch vorhandenen Vielfalt waren die Ideologen der Neuen
Ordnung recht erfolgreich bei der Verbreitung der neuen politischen Doktrinen und
der Propagierung der Pancasila-Demokratie als eines anerkennungswürdigen Ideensystems.
9 Die ideologische Wende brauchte aber Zeit. Erst nach und nach stabilisierte
sich das Herrschaftssystem. Deshalb sollen zur besseren Orientierung mehrere Phasen
in der Selbstlegitimierung der Regimekoalition unterschieden werden:
- Die erste Phase von 1965 bis Anfang der 70er Jahre: Die wesentlichen Ideologien,
von denen viele bereits in der Gelenkten Demokratie kursierten (dwifungsi, Gotong
Royong, der Organizismus, die Idee der "funktionalen Gruppen", die Pancasila etc.),
wurden bereits frühzeitig reformuliert. In den ersten Jahren war aber der Antikommunismus
für die lockere Allianz am wichtigsten.
- Die zweite Phase von Anfang der 70er Jahre bis zur Mitte der 80er Jahre: Anfang
bis Mitte der 80er Jahre erreichte die "Pancasilaisierung" der Gesellschaft mit der
azas tunggal-Gesetzgebung ihren Höhepunkt. Die Auseinandersetzung mit islamistischen
Kräften und mit islamischen Gruppen war besonders intensiv.
- Die dritte Phase von der Mitte der 80er Jahre bis 1998: In dieser letzten Phase wurde
der Islam in depolitisierter Form stärker in das Ideensystem eingebaut. Der Antikom-
7 Partai Indonesia Raya = Großindonesische Partei.
8 Außerdem unterscheidet Feith das Maß des Einflusses westlicher und indigener Politikvorstellungen.
Das Bild von politischen, mehrdimensionalen "Strömungen" erlaubt es, Mischungen
und "Einflüsse" adäquat zu beschreiben, es hat aber auch entscheidende Schwächen: Die von
Feith mit festen Grenzen dargestellten Strömungen beeinflussen sich zwar z.T. gegenseitig,
werden aber letztlich doch als eigene, homogene Entitäten behandelt. Feith untersucht nicht die
Gesamtstruktur des politischen Feldes, in dem die einzelnen Elemente als distinkte Zeichen
sich gegenseitig ihre Inhalte geben, sondern als quasi selbständige Kräfte in einem chaotischen,
nicht zu überblickenden Universum von Ideen.
9 Man sollte sich immer vor Augen führen, dass viele Indonesier die Neue Ordnung als durchaus
legitim betrachteten. Bourdieu schreibt: "Die symbolische Gewalt ist jene Gewalt, die,
indem sie sich auf die 'kollektiven Erwartungen' stützt, auf einen sozial begründeten und verinnerlichten
Glauben, Unterwerfungen erpresst, die als solche gar nicht wahrgenommen werden"
(Bourdieu 1998, 174).

84 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
munismus wurde zwar als Knüppel weiterhin eingesetzt, die Doktrin verlor aber weitgehend
ihre Glaubwürdigkeit. Das Regime reagierte zunehmend defensiv mit Debatten
über die Beschränkung der Doppelfunktion und über die Möglichkeiten der Demokratisierung.
Es hatte - anders als bei der PKI oder bei den Islamisten - erhebliche
Probleme, die Bevölkerung von der Illegitimität der Opposition zu überzeugen. Feinde
wurden eher indirekt als "gewisse Gruppierungen", "formlose Organisationen",
"sicherheitsstörende Bewegungen" 10 etc. benannt.
Die korporatistische Strategie
Ein wesentliches Moment der Formierung der Neuen Ordnung war die Schaffung von
Organisationen, die gesellschaftliche Gruppen (bestehend aus Angehörigen einer
Berufsgruppe, aus Frauen, aus Jugendlichen etc.) gemäß der organizistischen Theorie
in den "Staatskörper" inkorporierten. Die Regimekoalition versuchte so, die indonesische
Gesellschaft zu depolitisieren. In der Fachliteratur wird diese Anbindung gesellschaftlicher
Organisationen auch als Korporatismus oder als korporatistische Repräsentation
bezeichnet. 11 Eine der Zentralgedanken des Korporatismus ist es, gesellschaftliche
Interessen nicht auf der Basis von Klassen oder aufgrund unterschiedlicher
politischer Haltungen zu bündeln, sondern sie mithilfe einer nationalen Ideologie nach
primordialen oder beruflichen Bindungen zu organisieren. Dieser Gedanke war in
Indonesien schon lange vor dem Machtwechsel des Jahres 1965 stark verwurzelt. Die
später zur Regierungspartei avancierten "funktionalen Gruppen" Golkar beruhten auf
genau diesem Konzept.
Korporatistisch wurden nicht nur Arbeiter, Bauern und Fischer organisiert, sondern
auch Lehrer, Journalisten, Ärzte und Rechtsanwälte. Für sie wurden jeweils staatlich
kontrollierte Einheitsorganisationen geschaffen. Auf die Angehörigen dieser Berufsgruppen
wurde ein enormer Druck ausgeübt, um ihren Beitritt zu erwirken. In einigen
Bereichen - wie etwa beim Journalistenverband PWI oder bei der staatlichen Gewerkschaft
SPSI bis in die 90er Jahre hinein - war diese Kontrolle sehr streng. Das trifft
besonders auch auf Korpri, die staatliche Beamtenorganisation, zu. Manchmal jedoch
konnte der Korporatismus nur recht oberflächlich durchgesetzt werden, so z.B. bei der
nationalen Organisation für Jugendliche, KNPI. 12 Auch bei den politischen Parteien
war das Regime zu Zugeständnisse gezwungen. Schon frühzeitig mussten die Ideologen
der Neuen Ordnung wohl oder übel neben Golkar zwei politische Parteien dulden,
die jeweils eigene, wenn auch vage formulierte Programme besaßen.
Für Suharto gelangte die Korporatismusstrategie erst 1985, mit der Verabschiedung
der azas tunggal-Gesetze, zu einem vorläufigen Ende. Denn seitdem mussten sich
auch die politischen Parteien und die religiösen und sonstigen Massenorganisationen
10
Kelompok-kelompok tertentu, Organisasi Tanpa Bentuk (OTB), Gerakan Pengacau
Keamanan (GPK).
11
Vgl. MacIntyre 1991, 22ff; King (1982) bezieht sich auf die umfangreiche Literatur über
autoritäre Regime in Lateinamerika.
12
Reeve 1985, 324ff und 346ff.

Legitimierung der Regimekoalition 85
zu den Pancasila als der "einzigen Grundlage" in ihren Statuten bekennen. Damit war
die einheitliche Ideologie durchgesetzt.
Die Bildung staatlich kontrollierter Organisationen erwies sich - aus Sicht der Machtelite
- als effizient und herrschaftsstabilisierend. Dabei erstaunte es, wie offen die
Regierung immer wieder bis weit in die 80er Jahre hinein in die Wahl diverser Vorstände
eingreifen konnte. Trotzdem war eine quasi totale Kontrolle niemals möglich.
Die Bildung einer einheitlichen islamischen Massenorganisation z.B. war wegen der
historisch gewachsenen Spaltungen undenkbar. Es gab neben der islamischen Partei
PPP weiterhin NU und Muhammadiyah, mehrere islamische Studentenorganisationen
und unzählige kleinere Stiftungen und Gruppen unterschiedlicher Art.
Der Organizismus und die Pancasila
Natürlich gibt es unzählige Möglichkeiten, den politischen Diskurs in Indonesien zu
klassifizieren. So gibt es Argumentationsformen, mit denen der Status quo verteidigt
wird: Eine Unterscheidung zwischen Technokraten (oder: Funktionalisten) auf der
einen und Organizisten auf der anderen Seite scheint hier sinnvoll zu sein. Mit Technokraten
sind diejenigen gemeint, die im Anschluss an vor allem amerikanische Modernisierungstheoretiker
die autoritäre Herrschaft und die von dieser abgeleitete politische
Stabilität als eine Grundlage für den wirtschaftlichen Fortschritt betrachten. Die
Organizisten hingegen betonen die kulturelle Spezifität Indonesiens, die eine Zentralisierung
der politischen Macht quasi naturnotwendig mache. Sie betrachten das Volk
als eine harmonische Einheit, die von den Führern verkörpert wird.
Diese beiden Konzepte wurden zu einer Ideologie verknüpft, die von sämtlichen strategischen
Gruppen akzeptiert werden konnte. Die Schlüsselbegriffe, auf die sich
Technokraten und Organizisten einigen konnten, lauteten "politische Stabilität" und
"Entwicklung" - von den Technokraten verstanden als die sozialtechnologisch effiziente
Abwehr systemgefährdender gesellschaftlicher Forderungen zur Sicherung der
ökonomischen und technologischen Modernisierung des Landes. Von den Organizisten
interpretiert als ein von weisen, mit der Bevölkerung durch eine jahrhundertealte
Kultur verbundenen, vätergleichen Führern angeleiteter wirtschaftlicher Aufbau.
"Entwicklung" (Pembangunan, auch "Aufbau") wurde so zu einem der Schlüsselwörter
der Neuen Ordnung, und Suharto wurde Anfang der 80er Jahre offiziell zum
"Bapak Pembangunan" erklärt. Seine Kabinette hießen "Entwicklungskabinette"
(Kabinet Pembangunan I, II, III usw.).
In der Neuen Ordnung wurden der Islam als politisch-religiöses Ideensystem, der
Kommunismus, der radikale Nationalismus und der demokratische Sozialismus bekämpft
und durch staatliche Doktrinen ersetzt. Eine zentrale Stellung im Wertesystem
der Neuen Ordnung nahmen dabei die Pancasila (fünf Säulen oder Prinzipien) ein, die

86 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
in der Präambel der seit 1959 wieder gültigen Verfassung von 1945 aufgeführt sind. 13
Die von Sukarno erstmals 1945 in der verfassunggebenden Versammlung in ähnlicher
Form vorgestellten Pancasila waren bis 1965 nicht so bedeutsam wie die Sukarno-
Formeln Nasakom oder Manipol-USDEK. 14 Sukarno verkörperte damals den Kompromiss
zwischen den verschiedenen ideologischen Strömungen Indonesiens: Er
bezeichnete sich als Marxisten, als Muslim, als Buddhisten, als Christen usw.
Auch in den Pancasila waren verschiedene ideengeschichtliche Traditionen aufgenommen:
nämlich der Sozialismus, traditionelle indonesische Vorstellungen von
Gemeinschaftlichkeit sowie Elemente des islamischen Modernismus und der europäischen
Aufklärung. 15 Erst nach dem Putschversuch und der "Rettung" der Pancasila
vor den Kommunisten wurden die Pancasila zum einheitsstiftenden und herrschaftsstabilisierenden
Dogma. Sie wurden zur "genuin" indonesischen Staats-philosophie
erklärt. Man bezeichnete sie als "Instrument für die Einheit des Staates", ja sogar als
"Seele und Identität des indonesischen Volkes" 16 . Viele, auch ausgesprochen westlich
orientierte indonesische Intellektuelle betrachten die Pancasila zwar nicht als geniale
Geistesschöpfung, wohl aber als erhaltenswerte Kompromissformel für einen multiethnischen,
multireligiösen und geographisch zersplitterten Staat. Vor allem die ethnischen
und religiösen Minderheiten legen großen Wert auf die den Pancasila inhärenten
universalistischen Anteile. 17 Die Pancasila bildeten die oberste Rechtsquelle, die
sogar der Verfassung von 1945 vorausging. Unter Suharto wurden die ursprünglich
noch recht liberalen Prinzipien, die nur allgemeine Staatsziele und eine gemeinsame,
locker definierte weltanschauliche Grundlage benennen sollten, aber zu einem Kontrollinstrument.
Zu den fünf Prinzipien zählen:
- der Glaube an den Alleinigen Gott (Ketuhanan Yang Maha Esa),
- die gerechte und zivilisierte Menschlichkeit (Kemanusiaan yang adil dan beradab),
- die Einheit Indonesiens (Persatuan Indonesia),
- die weise geführte Demokratie, beruhend auf allgemeiner Beratung und Volksvertretung
(Kerakyatan yang dipimpin oleh hikmat kebijaksanaan dalam permusyawaratan/perwakilan),
- die soziale Gerechtigkeit für das gesamte indonesische Volk (Keadilan sosial bagi
seluruh rakyat Indonesia). 18
13
Wandelt 1989, 18; Schweizer 1985, 10.
14
Vgl. zur Rede 1945: Soekarno 1995. 1959 hatte Sukarno die Ideologie der Gelenkten Demokratie
in einer Rede vorgestellt, die später als Manipol (Manifesto Politik) USDEK deklariert
wurde. USDEK = Undang-undang dasar 1945 (Verfassung von 1945), Sosialisme ala Indonesia
(Sozialismus à la Indonesien), Demokrasi terpimpin (gelenkte Demokratie), Ekonomi terpimpin
(gelenkte Ökonomie), Kepribadian Indonesia (indonesische Identität oder Persönlichkeit).
15
Pabottingi 1995, 234.
16
Steenbrink 1990, 129.
17
Der Universalismus ist jedoch ein halbierter, nicht konsequent zu Ende geführter Universalismus.
So waren Indonesier verpflichtet, sich zu einer der fünf anerkannten Staatsreligionen zu
bekennen. Atheisten und Anhänger anderer als der anerkannten Glaubensrichtungen gab es
offiziell nicht.
18
Zur Exegese der Pancasila vgl.: Wandelt 1989, 160ff; Lubis 1993, 75f; Ramage 1995, 12ff.

Legitimierung der Regimekoalition 87
Die erste Säule sollte die Angehörigen der fünf anerkannten Religionen (Islam, Katholizismus,
Protestantismus, Hinduismus, Buddhismus) 19 unter einem für alle annehmbaren
Prinzip vereinen, wurde aber von vielen orthodoxen Muslimen mit Misstrauen
betrachtet, zumal die Regierung Versuche unternahm, die javanische Mystik
(kebatinan) und andere nichtmonotheistische Glaubenslehren (kepercayaan) offiziell
als Religion anzuerkennen. 20
Das zweite Prinzip, "Humanitarismus", wurde von Sukarno auch als Internationalismus
definiert. Die Neue Ordnung hatte diese Interpretation jedoch insoweit abgeschwächt,
als in erster Linie die möglichst tolerante Beziehung zwischen Indonesiern
angesprochen wurde.
Das dritte Prinzip der nationalen Einheit stand ursprünglich an erster Stelle. Vor allem
unmittelbar nach Entstehung der Republik Indonesien war diese Sila aufgrund der
ethnischen und religiösen Vielfalt von großer Bedeutung.
Die vierte Säule bezeichnete keine westliche parlamentarische Demokratie, sondern
die indonesische musyawarah dan mufakat-Variante, also die allgemeine Beratung,
die mit einer einmütigen Beschlussfassung enden sollte .21 In Indonesien war diese
Demokratieform als "Demokrasi Pancasila", also als Pancasila-Demokratie bekannt.
In Wirklichkeit wurde in diesem Fall eine alte Dorftradition als Fassade für autoritäre
Unterweisungen benutzt.
Die fünfte Säule drückte die Vorstellung aus, dass der Staat sich um das wirtschaftliche
Wohlergehen des Volkes zu kümmern habe. In Indonesien gab es von Beginn an
eine weit verbreitete Abneigung gegen allzu liberal organisierte Marktwirtschaften,
die sich auch im Artikel 33 der Verfassung ausdrückt.
Die Pancasila bildeten die Grundlage einer organizistischen Staatstheorie. Der
Organizismus in Indonesien umfasste folgende Elemente:
- Das Familienprinzip (kekeluargaan): Es gab danach keine Aufspaltung in Staat und
Gesellschaft, sondern nur ein harmonisches Ganzes nach dem Modell der "natürlichen"
Einheit "Familie". 22
19 Der Protestantismus und der Katholizismus gelten als verschiedene Religionen.
20 Die Pancasila waren ursprünglich buddhistische Prinzipien, die in dem ältesten javanischen
Text Nagarakrtagama auftauchten. Der Sanskritname verlieh den fünf Prinzipien die heilige
Aura, die sie bis heute für viele Indonesier umgibt. Von einigen Autoren werden sie als eine
Zivilreligion aufgefasst. Danach haben die Pancasila die Merkmale einer Religion, denn sie
sind Grundlage des Staates, oberste Rechtsquelle, Seele und Identität des indonesischen Volkes
sowie Ziel und eschatologische Zukunft des Volkes. Viele Muslime befürchteten, dass die
kepercayaan in die GBHN aufgenommen würden und dass auf diese Weise die synkretistischen
Muslime darin bestärkt würden, die nichtislamischen Glaubensinhalte ihres Weltbildes noch
stärker und selbstverständlicher zu betonen. Schon seit 1978 durfte der nichtkonfessionelle
Glaube als Morallehre verbreitet werden. Noch Ende 1997 warnte die PPP vor einer "neuen
Religion". 1997 waren 245 Organisationen vom Religionsministerium offiziell anerkannt.
21 In den Parlamenten wurden in aller Regel Beschlüsse von den Parlamentariern einstimmig
gefasst. Nur in Ausnahmefällen, z.B., wenn eine Fraktion demonstrativ den Plenarsaal verließ,
kam es zu einer Abweichung von diesem Ideal. Mit den beiden genannten arabischen Ausdrücken
wollte Sukarno insbesondere die Muslime zufrieden stellen.
22 Anklänge an die Volksgemeinschaftsdoktrin der Nationalsozialisten sind nicht zufällig, wie
z.B. verschiedene Äußerungen des Staatsrechtlers Supomo, eines der ersten und wichtigsten

88 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
- Die Ablehnung von Civil Society-Konzepten und der Vorstellung legitimer Opposition.
- Die dwifungsi-Konzeption: Das Militär hatte eine so genannte Doppelfunktion
(dwifungsi), die neben den genuin militärischen Aufgaben auch soziopolitische Aufgaben
einschloss. Die dwifungsi-Doktrin war mit dem ursprünglich als zivile Herrschaft
konzipierten Organizismus in der Weise verknüpft, dass das Militär "mit dem
Volk eins wurde".
- Die Definition der Rechte als soziale, nicht individuelle Rechte. 23 Individuen waren
vorrangig Gruppenmitglieder, und die Gesellschaft setzte sich aus funktionalen Gruppen
zusammen, die im Sinne der Demokrasi Pancasila zu einem harmonischen Ausgleich
ihrer Interessen finden sollten.
Die Konstruktion des Organizismus
Die Neue Ordnung in Indonesien war ein merkwürdig unzeitgemäßes politisches
Gebilde. Anders als in den Militärdiktaturen der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit
insbesondere in Lateinamerika gab die politische Elite der Neuen Ordnung keineswegs
vor, das Militär nur vorübergehend zur Stabilisierung einzusetzen. Und in
Anlehnung an organizistische Ideen wurde das Konzept einer vermeintlich "westlichen"
Demokratie und universal gültiger Menschenrechte grundsätzlich als unindonesisch
verworfen. Was dem kritischen Beobachter zunächst als billiges Manöver zur
Herrschaftslegitimierung vorkommt, erweist sich bei näherer Betrachtung als ein
schwer durchschaubarer Komplex von Werthaltungen, Gefühlsmustern, "echter" und
konstruierter Tradition.
David Bourchier 24 hat in seiner Dissertation gezeigt, wie der Organizismus bewusst
reanimiert wurde, da er sich sehr gut zur Durchsetzung und Absicherung des Suharto-
Herrschaftssystems instrumentalisieren ließ. Bis weit in die 50er Jahre hinein war der
Integralismus die Theorie einer Minderheit, die jedoch in Militär- und Verwaltungsschulen
am Leben erhalten wurde. Von 1957 an setzten sich dann Sukarno und das
Militär unter Nasution mit ihrer Vorstellung einer Repräsentation durch "funktionale
Gruppen" durch. 25 Während also in den Jahren nach Erlangung der Unabhängigkeit
Vertreter des Organizismus, belegen. Dieser Zusammenhang wurde von den Ideologieplanern
der Neuen Ordnung bestritten. Das Familienprinzip war so einflussreich, dass in Indonesien
sogar von der Keluarga Besar ABRI ("Große ABRI-Familie"; bestehend aus den verschiedenen
ABRI-Organisationen: Ehefrauen, Veteranen, Parlamentarier etc.) und von der Keluarga Besar
Golkar ("Große Golkar-Familie", bestehend aus Korpri, ABRI und Golkar-Zivilisten) gesprochen
wurde. Vgl. dazu auch Shiraishi: ". To study New Order Indonesia's political culture,
above all its family-ism, we should not turn to Java's remote villages in search for its authentic
culture, but examine how the 'Indonesian' family has been constructed in Indonesian historically,
culturally, and politically” (Shiraishi 1997, 12).
23
Reeve 1990, 159.
24
Bourchier 1996.
25
Sukarno konnte sich mit konservativen Gruppen zu einer losen Allianz unter dem Dach des
Integralismus zusammenfinden, gleichzeitig war es ihm möglich, als revolutionsbegeisterter
und antiimperialistischer Populist mit der PKI zu kooperieren. Sukarno verkörperte eine Art
"konservativer Revolution", d.h., er wollte einerseits zurück zu (vermeintlicher) Einheit und
Harmonie, andererseits wollte er Bewegung und eine von einer Elite angetriebene Massenmo-

Legitimierung der Regimekoalition 89
bis 1957 der Organizismus im öffentlichen Diskurs kaum eine Rolle gespielt hatte,
wurde er zu Zeiten der Gelenkten Demokratie in einer populistischen Variante von
Sukarno und in einer ausgesprochen reaktionären Variante vom Militär wieder ausgegraben.
Koloniale Einflüsse (sowohl niederländische als auch japanische) und konservative
Ideologien der oft adligen Verwaltungselite wurden unter veränderten politischen
Bedingungen erneut ins Spiel gebracht, und nach der Machtübernahme Suhartos
wurden diese Ideenkomplexe durch eigens eingerichtete Institutionen popularisiert.
Obwohl die integralistische Theorie auf vermeintlich indigene Wurzeln verweist,
sind die Ursprünge europäisch: nämlich zum einen die politische und Rechtstheorie
von Spinoza, Adam Müller und Hegel sowie Gedanken der historischen
Rechtsschule Savignys, zum anderen die Theorien der adat-Rechtsschule der Leidener
Universität in den 20er und 30er Jahren, die wiederum unter Cornelis van
Vollenhoven von der deutschen gegenaufklärerischen, am Volksgeistgedanken orientierten,
organizistischen Romantik des frühen 19. Jahrhunderts beeinflusst war. 26
Ironischerweise waren es u.a. die konservativsten Gehalte der deutschen politischen
Theorie des 19. Jahrhunderts, die von Niederländern Anfang des 20. Jahrhunderts
rezipiert worden waren und die herhalten mussten, um die Militärdiktatur in Indonesien
Ende des 20. Jahrhunderts zu legitimieren. Bourchier schreibt über den vielen
nicht bewussten niederländischen Einfluss:
"There is no doubt that Javanese cultural traditions, especially the notion of the
'underlying unity of all things' common to most strains of Javanese mysticism, helped
sustain organicism and to give it some cultural legitimacy. Yet if we look at the
history of organicist political ideology in Indonesia it is clear that what its theorists
had in common was not Javanese mysticism - some of them were not Javanese at all -
but [...] a Dutch, or Dutch-influenced legal education." 27
Außerdem sind deutliche Einflüsse aus Japan sichtbar, etwa in der Vorstellung vom
Familienstaat (kazoku kokka), in Indonesien als negara kekeluargaan bekannt, wobei
die Japaner selbst wiederum durch europäische Organizisten inspiriert worden waren.
In der Neuen Ordnung kam es dann zu der Koalition von Suharto mit Teilen des Militärs
und der Bürokratie. Die für die Ideologienbildung wichtige Murtopo-Gruppe war
interessanterweise vom amerikanischen Strukturfunktionalismus ebenso wie von der
katholischen Soziallehre und vom japanischen Korporatismus inspiriert. 28 Diese Mixtur
konservativer politischer Theorien gipfelte förmlich in den Pancasila, die unter
Sukarno noch nicht wie Nasakom oder Manipol-USDEK den Status einer Staatsideologie
hatten. Erst 1966 machte der provisorische Volkskongress MPRS die Pancasila
zur höchsten Rechtsquelle, zur Staatsfundamentalnorm, so einer der vielen aus dem
bilisierung. Nach Bourchier (1996) war Sukarno ein Jakobiner und radikaler Kollektivist, der
nur manchmal wie ein Organizist sprach.
26
In den offiziellen Pancasila-Exegesen und in staatsrechtlichen Abhandlungen wimmelte es
von (meist falsch geschriebenen) deutschen Rechtsbegriffen. Obwohl es diesen dauernden
Bezug auf europäische, vor allem deutsche Theorien gab, dürften die meisten Texte nie ernsthaft
rezipiert worden sein.
27
Bourchier 1996, 8.
28
Bourchier 1996, 196ff.

90 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Deutschen übernommenen Rechtsbegriffe. Bis Mitte der 70er Jahre bildete die
Pancasila-Lehre jedoch nicht das Kernstück des herrschaftslegitimierenden Ideensystems.
Erst danach begann die politische Elite, die fünf Prinzipien zum Inhalt einer
breit angelegten Indoktrinierung zu machen. Sie führte 1975 den "Unterricht in der
Pancasila-Moral" 29 in den Schulen und Universitäten ein. Seit 1978 richtete sie für
Staatsbedienstete, Schüler der Sekundarstufe und Studenten P4-Kurse (P4 = Leitfaden
zur Vertiefung und Ausführung der Pancasila) 30 im Umfang von 25-250 Stunden ein.
Die Unterweisungen vermittelten nur abstrakte, vielfältig interpretierbare Prinzipien,
die nicht mit kommunistischen oder religiös-fundamen-talistischen Lehren vereinbar
sein sollten. 31 Im März 1979 wurde das Aufsichtsgremium für die P4-Implementation
BP 32 (auf nationaler Ebene, in den Provinzen und in den Distrikten) eingesetzt. 33 Die
wichtigsten Zentren zur Entwicklung und Propagierung organizistischer Ideen waren
neben dem BP7 die Militärrechtsakademie, Golkar und das Staatssekretariat. 34
1984 wurde der Integralismus Supomos offiziell zur Staatsidee erklärt und in die P4-
Materialien aufgenommen, womit den Rechtsstaats- und trias politica-Vorstellungen
der neuen Mittelklasse begegnet werden sollte. Außerdem konnte auch das Militär mit
integralistischen Ideologien die eigene dwifungsi besser legitimieren. 35 Den Höhepunkt
der "Pancasilaisierung" bildeten die Gesetze über politische Parteien und
Golkar sowie über Massenorganisationen, die 1985 die Pancasila als einzige Grundlage
(azas tunggal) in ihre Statuten aufnehmen mussten. Islamische Organisationen
etwa mussten ihrer Religion eine sekundäre Stellung einräumen: Das war für viele
Muslime, die dem Islam einen allgemeinen - auch politischen - Erklärungsanspruch
zumessen, ein schwerer Schlag.
Die Pancasila bzw. der Pancasila-Integralismus wurden so im Laufe der Jahre zu einer
Staatsdoktrin entwickelt, die alle Lebensbereiche umfasste ("Pancasila-Ökonomie",
"Pancasila-Presse", "Pancasila-Kultur" etc., ja sogar "Pancasila-Fuß-ball"). Sie bot
nicht nur eine geschlossene Interpretation der indonesischen Geschichte und des Regierungssystems,
sondern auch eine philosophisch begründete Moral- und Verhaltenslehre.
Die Indonesier sollten diese Staatsphilosophie verinnerlichen und "lieben" und
so zu "Pancasila-Menschen" werden. Der 1.10. galt offiziell als "Hari Kesaktian
Pancasila" ("Tag der Heiligkeit der Pancasila"), der 1.6. als "Hari Kelahiran
Pancasila" ("Tag der Pancasila-Geburt"). Regimegegner konnten eingeschüchtert
werden, indem ihnen als "Anti-Pancasilaisten" langjährige Haftstrafen wegen Subver-
29
Pendidikan Moral Pancasila = PMP.
30
P4 = Pedoman Penghayatan dan Pengamalan Pancasila; in solchen Kursen wurden u.a. die
Inhalte der UUD 45, der GBHN sowie verschiedener MPR-Entscheidungen und Erläuterungen
zu den Pancasila vermittelt und abgefragt. Darüber hinaus gab es Unterweisungen zur indonesischen
Geschichte, also zu konstitutionellen und politischen Entwicklungen.
31
Morfit 1986, 46.
32
Badan Pembinaan Pendidikan Pelaksanaan Pedoman Penghayatan dan Pengamalan Pancasila
33
Zu den Mitgliedern gehörten unter der Führung von Generalmajor Hari Suharto: Daud
Yusuf, Ali Murtopo, Panggabean, Murdiono, Notosusanto, Padmo Wahyono, Sudharmono u.a.
34
Zu den Chefideologen gehörten Notonagoro, Hazairin, Sudiman Kartohadiprojo, Sucipto,
Daryi Darmodiharjo, Padmo Wahyono, Abdulkadir Besar und Hamid S. Attamimi.
35
Bourchier 1996, 251ff; 1984 waren Nugroho Notosusanto Erziehungsminister und Sarwo
Edhie BP7-Leiter.

Legitimierung der Regimekoalition 91
sion angedroht wurden. Diese autoritäre Pancasila-Auslegung wurde immer wieder
von Oppositionellen kritisiert. Am bekanntesten war die Kritik der Petisi-50-Gruppe
im Jahre 1980, die Suharto eine Monopolisierung der Pancasila-Interpretation vorwarf.
Die beginnende keterbukaan-Debatte führte dazu, dass Suharto im August 1989 die
Pancasila zu einer ideologi terbuka, also zu einer "offenen Ideologie" erklärte. 36 Das
war nur eine Reaktion auf die schon existierenden, konkurrierenden Pancasila-
Debatten. Selbst der langjährige Orba-Ideologe Ruslan Abdulgani äußerte Kritik an
den dogmatischen P4-Kursen. Und bei einem Hearing im nationalen Parlament im
Jahre 1990 wurde der BP7-Leiter Utoyo Usman außergewöhnlich kritisch von Parlamentariern
befragt. Insgesamt markierte also die Öffnung seit Ende der 80er Jahre
auch eine Bereitschaft zu einer verstärkten Diskussion selbst über staatliche Doktrinen.
37 Insbesondere in den Jahren 1989-91 entwickelte sich eine lebhafte Debatte, die
u.a. Marsillam Simanjuntak mit einer Studie ausgelöst hatte. 38 Es ging dabei um das
Integralismuskonzept und um die Rolle Supomos - mit dem Ergebnis, dass sich die
Regierung etwas von Supomo distanzierte und häufiger vom Familienstaat, dem
negara kekeluargaan, sprach. 39 In einem Seminar forderte der Leiter des Staatssekretariats
Murdiono die Teilnehmer sogar auf, einen gänzlich neuen Begriff zu finden.
Führende Köpfe der Bürokratie, des Militärs und der Universitäten sprachen in den
90er Jahren auch über Demokratisierung. Das war zwar im Wesentlichen nur ein
Versuch, die Begriffe der Opposition mit neuen, konservativen Inhalten zu besetzen,
aber das Eingeständnis, dass die Demokrasi Pancasila noch unabgeschlossen und
reformbedürftig war, stellte bereits eine Neuerung dar. 40 Allerdings war nie von einer
"Demokratisasi Pancasila" die Rede, da dies offensichtlich als ein Widerspruch in
sich wahrgenommen wurde.
36 Bourchier 1996, 261f.
37 Dazu: Bourchier 1996, 264ff.
38 Es war seine Magisterarbeit, die er der juristischen Fakultät der UI im Jahre 1989 vorgelegt
hatte. Im Buchhandel erschien das Werk in überarbeiteter Form 1994: Simanjuntak 1994.
39 Supomo war diskreditiert, weil er zu häufig eine gewisse Nähe zum Faschismus erkennen
ließ, weil er mehrfach seine Positionen wechselte und weil er die Autoren, auf die er sich bezog,
nicht oder nur oberflächlich rezipierte.
40 Es gab auch einige Angehörige der Regimekoalition, die sich als Intellektuelle längst vom
organizistischen Erbe distanziert hatten, aber dem Integralismus als soziale Konflikte entschärfender
Doktrin zustimmten. So etwa der Politologieprofessor der Universitas Indonesia in
Jakarta, Nazaruddin Syamsuddin, der zugleich Mitglied des MPR-Gremiums zur Vorbereitung
der GBHN und von BP7, der Behörde zur Weiterentwicklung und Verbreitung der Pancasila,
war, und der Vizegouverneur der Militärakademie Lemhannas und UI-Politologie-Professor
Yuwono Sudarsono. Beide verteidigten zwar die integralistischen Bestandteile der Staatsdoktrin
der Neuen Ordnung, sie taten dies aber gestützt auf ihre strukturfunktionalistische Vorstellung,
dass die Volksmassen nur mit einer leicht verständlichen, auf Einheit setzenden Lehre an
den Staat gebunden werden konnten (Interviews mit Nazaruddin Syamsuddin am 23.10.1997
und mit Yuwono Sudarsono am 25.11.1997 jeweils in Jakarta.). Nazaruddin Syamsuddin und
Maswadi Rauf beschäftigten sich in ihren Antrittsvorlesungen an der UI in Jakarta mit der
Demokratisierung in Indonesien, also mit einem Thema, dass bei konservativer Behandlung zu
akademischen Weihen verhalf.

92 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Bis zuletzt blieb das zentrale Element der Orba-Ideologie ein integralistisches oder
organizistisches Staatsverständnis. 41 Diese Theorie wurde 1993 sogar in die "Leitlinien
für die Ausrichtung des Staates" (GBHN) aufgenommen. Das Konzept war so
ausgefeilt, dass es nicht ohne weiteres der Debatte der "asiatischen Werte" und des
Asianismus zugeordnet werden kann. Suharto hat sich deshalb auch - anders als etwa
Mahathir und Lee Kuan Yew - an solchen Diskursen kaum beteiligt.
Dwifungsi
Der Organizismus eignete sich gut zur Rechtfertigung der Doppelfunktion ABRIs.
Das Militär galt als Verteidiger der Pancasila 42 , als stabilisator, der für die innere und
äußere Sicherheit verantwortlich war, und als dinamisator, der die gesellschaftliche
und ökonomische Entwicklung garantierte. Die von Nasution 1958 formulierte Konzeption
des "mittleren Weges" (jalan tengah) 43 , wonach das Militär weder politisch
passiv bleiben noch wie in einer Militärdiktatur die Macht an sich reißen solle, deutete
bereits auf die später kanonisierte Doppelfunktion. Diese dwifungsi umfasste genuin
militärische und soziopolitische (sospol) Aufgaben. Bei zwei Heeresseminaren im
April 1965 und im August 1966 wurde die dwifungsi bestätigt bzw. zur zentralen
ABRI-Doktrin erklärt. Im Militärhandbuch Dharma Pusaka 45 ("Verpflichtendes
Erbe von 1945") von 1972 war erstmals die Doppelfunktion auf die politische und
soziale Entwicklung der indonesischen Nation ausgeweitet worden. 44 1978 wurde sie
vom MPR formell anerkannt und 1982 in einem Gesetz endgültig festgeschrieben. 45
41 Das ergab sich aus zahlreichen Interviews, in denen diese Vorstellung mehr oder weniger
aufrechterhalten wurde. Dabei war den Interviewten häufig anzumerken, dass sie als Intellektuelle
erhebliche Schwierigkeiten mit den staatlichen Ideologien hatten (Interviews u.a. mit
Prof. Atmadya am 6.9.1997 in Denpasar, Theo Sambuaga und Din Syamsuddin am 10.11.1997
sowie Susilo Bambang Yudhoyono am 17.12.1997, jeweils in Jakarta). Der stellvertretende
Kabinettssekretär von 1983 bis 1993, Attamimi, verteidigte sogar seine Doktorarbeit und die
These, dass Indonesien eine Dorfrepublik (republik desa) sei, mit systemtheoretischen Mitteln.
Das ist ein gutes Beispiel für die konservativen Gehalte der Systemtheorie und für den Aufwand,
der betrieben wurde, um ein genuin indonesisches Modell zu finden (Bourchier 1996,
272).
42 Ramage 1995, 20ff.
43 Zeremonien und magische Formeln besaßen eine große Bedeutung. Neben den vielen Akronymen
waren es Sanskrit-Wörter wie Pancasila (die fünf Prinzipien), Sapta Marga (die sieben
Artikel der Armee), Tridarma Perguruan Tinggi (die drei Dienste der Hochschulen) etc. im
Umlauf, die den Staat als eine geheimnisvoll-magische Macht erscheinen lassen sollten
(Magnis-Suseno 1981, 79).
44 Wandelt 1989, 83. Das Konzept der Nationalen Wehrhaftigkeit (Ketahanan Nasional), das
seit 1978 in die Allgemeinen Richtlinien der Staatspolitik, GBHN, aufgenommen wurde, setzte
diesen Trend fort. Im Zentrum stand dabei der Begriff pembinaan, der sowohl "Aufbau" als
auch "Indoktrination" bedeutet: Die Indonesier sollten durch eine allgemeine Pancasila-
Erziehung im Rahmen einer "beschleunigten Modernisierung" (Akselerasi Modernisasi) zu
gehorsamen und disziplinierten "Aufbaumenschen" (Manusia Pembangunan) gemacht werden
(Wandelt 1992).
45 Zu dwifungsi: Lowry 1996, Kap. 1 und Singh 1995.

Legitimierung der Regimekoalition 93
Die dwifungsi wurde aus der territorialen Kriegführung, an der die überwiegend mit
leichten Waffen ausgerüstete Armee festhielt, abgeleitet. Territoriale Kriegführung
bedeutete, ähnlich wie im Guerillakampf nach 1945, die unmittelbare Präsenz der
Armee in allen Verwaltungsbezirken und den Vorrang der territorialen vor einer funktionalen
Struktur. Die Armee konnte auf mögliche Angriffe von außen nur defensiv
reagieren, indem sie die Bevölkerung an einem Guerillakampf beteiligte. Reguläre
Truppen wurden durch Milizen 46 bei der Bildung des Volksverteidigungssystems
(Sishankamrata) ergänzt. 47 In Wirklichkeit hatte die Armee in erster Linie die Aufgabe,
die innere Sicherheit zu gewährleisten, womit zu einem großen Teil die Niederschlagung
sezessionistischer Bewegungen, islamistischer Gruppen sowie der prodemokratischen
Opposition gemeint war.
Interessanterweise knüpfte die Armee auch an altjavanische Traditionen an. Das Ideal
des javanischen Ritters (satria) war seit 1966 offiziell anerkannt. Mit verschiedenen
Doktrinen und Schwüren (Tri Ubaya Cakti = Drei Heilige Schwüre, Sapta Marga =
Sieben Artikel, Sumpah Prajurit = Eid der Soldaten etc.) wurden die Streitkräfte auf
ein ritterliches, javanisches Ideal der Hingabe und Pflichterfüllung eingeschworen,
und bis weit in die 70er Jahre hinein wurde auch das öffentliche Auftreten der Armee
"javanisiert", bevor die Führung der Streitkräfte sich etwas vorsichtiger dieser Symbolik
bediente. 48
Ende der 70er Jahre mehrte sich selbst in Reihen ABRIs die Kritik an der dwifungsi
(Näheres in Abschnitt 4.1). Damals konstituierten sich Foren ehemaliger Generäle
wie Fosko, LKB und schließlich Petisi 50. In den 90er Jahren intensivierte sich die
dwifungsi-Diskussion abermals. Z.A. Maulani z.B. sprach sich für eine Neudefinition
der Doktrin und für einen Rückzug ABRIs aus Arbeits- und Landkonflikten aus. Ein
Bericht des staatlichen Wissenschaftsinstituts LIPI sah sogar einen stufenweisen
Rückzug des Militärs aus den zivilen Bereichen vor. 49 Auch viele aktive Offiziere und
hohe Funktionäre sprachen - allerdings etwas wolkig - über die Notwendigkeit,
dwifungsi den neuen Gegebenheiten anzupassen. 50 Grundsätzlich aber war die Kritik
an den zentralen ABRI-Ideologien tabuisiert, und die militärische Führung - in deren
Reihen weder Revolutionäre noch Fundamentalisten waren - hielt unverrückbar an
ihren Dogmen fest. Die noch bestehenden divergierenden dwifungsi-Interpretationen
drückten somit keine grundlegend abweichenden Gesellschaftsmodelle, sondern nur
die Machtinteressen der verschiedenen Cliquen in den Streitkräften aus.
46
Hansip = Pertahanan sipil.
47
Sistem Pertahanan Keamanan Rakyat Semesta; Weatherbee 1982, 150ff.
48
Wandelt 1992, 133f.
49
LIPI, PPW 1997.
50
So auch Susilo Bambang Yudhoyono (Interview am 17.12.1997 in Jakarta), seinerzeit
Assospol, und Yuwono Sudarsono (Interview am 25.11.1997 in Jakarta), seinerzeit
Lemhannas-Vizegouverneur. Beide wiesen auf den ökonomischen und sozialen Wandel und
auf die Notwendigkeit einer Professionalisierung in allen Gesellschaftsbereichen hin. Diese
Komplexitätssteigerung machte aus ihrer Sicht zwar weiterhin eine umfassende Präsenz der
Armee nötig, erforderte aber eine Beschränkung des Tätigkeitsfeldes (Inside Indonesia Jan.-
März 1998, 10f).

94 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Floating mass
Da die politische Elite vorgab, in väterlicher Fürsorge für das Wohl aller einzutreten,
erübrigte sich die Vertretung partikularer Interessen. Der Großteil der in den Dörfern
lebenden Bevölkerung wurde daher von den politischen Auseinandersetzungen nicht
nur de facto, sondern auch in der Theorie ausgeschlossen. Er galt als floating mass 51
oder massa mengambang, die noch nicht reif genug sei, um sich eine eigene politische
Meinung bilden zu können.
Die von Ali Murtopo Anfang der 70er Jahre verbreitete Doktrin bildete die Grundlage
des 1975 verabschiedeten Parteiengesetzes, wonach die PPP, die PDI und Golkar auf
den beiden untersten Verwaltungsebenen keine Ortsverbände haben durften. Die
Dorfbevölkerung sollte nur alle fünf Jahre bei den gleichzeitig stattfindenden Wahlen
für das nationale, das Provinz- und das Distriktparlament aktiviert werden. Aber
selbst diese Wahlen mussten "harmonisch" verlaufen. Der Pancasila-Organizismus
bildete die Grundlage der korporatistischen Strategie, die auch die Kontrolle der PDI
und der PPP einschloss. Diese beiden Parteien waren offiziell keine Oppositionsparteien,
die grundsätzlich abweichende Gesellschaftsmodelle vertraten, sondern Teil der
politischen Führung der Neuen Ordnung und damit den gleichen Zielen verpflichtet.
Die floating mass-Doktrin wurde niemals offiziell festgeschrieben. Seit Mitte der 70er
Jahre wurde dafür der Terminus "Tut Wuri Handayani" häufiger benutzt, ohne dass
damit allerdings das Konzept als solches aufgegeben worden wäre. 52 "Tut Wuri
Handayani" ist ein javanischer Ausdruck, der die Führung eines noch unsicher gehenden
Kindes von hinten durch ein Elternteil meint. Von den Angehörigen der Regimekoalition
wurde dieses Führungsmodell für ein - aus ihrer Sicht - noch unreifes Volk
("rakyat yang masih bodoh") benutzt. 53
Der Antikommunismus und die Bekämpfung des
Sukarnoismus
"Gestapu", die "Bewegung vom 30. September", war der Gründungsmythos der Neuen
Ordnung und gleichzeitig die Legitimationsbasis des antikommunistischen Regimes.
Seit 1984 wurde in Indonesien jedes Jahr der Propagandafilm "Pengkhianatan
G30S/PKI" ("Verrat G30S/PKI") gezeigt, in dem die offizielle Interpretation der
Ereignisse vom 30. September 1965 verarbeitet war. 54 In dem Spielfilm rettet ABRI
51
Der Begriff soll nach Auskunft von Harry Can Silalahi (CSIS) von Samuel Huntington
stammen (Bourchier 1996, 197).
52
Goodfellow 1995, 12.
53
Auch dieser Ausdruck ist ein Beispiel für "erfundene Tradition". Shiraishi schreibt: "When
Dewantara introduced the concept in the Taman Siswa classrooms, it was guiding principle for
an educational method that would act as an alternative to the regimented classroom” (Shiraishi
1997, 92). Ki Hajar Dewantara hatte Anfang des Jahrhunderts mit seiner Taman-Siswa-
Bewegung Schulen aufgebaut, in denen westliche Reformpädagogik mit indigenen (oder vermeintlich
indigenen) Traditionen verbunden worden war. Da die westliche Reformpädagogik
selbst wiederum von orientalistischen Ideen durchdrungen war, handelt es sich um ein interessantes
Beispiel für eine mehrfache gegenseitige Beeinflussung von wirklicher und vermeintlicher
westlicher und östlicher Kultur.
54
Eigentlich fand der Putschversuch am 1. Oktober statt. Deshalb sprach Sukarno von der
"Gestok", der "Bewegung vom 1. Oktober". Die in der Neuen Ordnung übliche Abkürzung

Legitimierung der Regimekoalition 95
das indonesische Volk vor dem Chaos der Gelenkten Demokratie und besonders vor
der kommunistischen Bedrohung. Zwar galt es bei vielen Indonesiern als Auszeichnung,
an der Niederschlagung des vermeintlichen PKI-Aufstandes beteiligt gewesen
zu sein, aber über den wahren Ablauf und über die Massaker erfuhr man in den indonesischen
Geschichtsbüchern nichts.
Die lockere Koalition am Anfang der Neuen Ordnung war ideologisch durch die
Feindschaft zur PKI geeint. Wer mit der kommunistischen Bewegung in Verbindung
gebracht wurde, musste günstigstenfalls mit Stigmatisierung und Ausschluss, oftmals
aber mit langjährigen Haftstrafen oder - in der Frühphase der Neuen Ordnung - mit
dem Tod rechnen.
Der Antikommunismus wurde zu einem Dauerthema, aber die Haltung der Regimekoalition
zum Kommunismus und den Kommunisten änderte sich in den mehr als 30
Jahren. Goodfellow 55 unterscheidet drei Phasen des Antikommunismus: In der ersten
Phase von 1965 bis 1971 war diese Ideologie das Bindemittel für die Allianz zwischen
Studenten, Muslimen, den Streitkräften unter Suharto, Politikern und Unternehmern.
In der zweiten Phase bis in die späten 80er Jahre wurde aus dieser unterschiedliche
Gruppen vereinenden Ideologie "[...] the Army High Command's general
instrument of coercion." 56 In der letzten Phase blieben vom Antikommunismus nur
noch einige Leerformeln zur Einschüchterung fast aller fundamentaloppositionellen
Kräfte wie Gewerkschaftern, PRD- und NGO-Aktivisten übrig.
Im Übergang von der zweiten zur dritten Phase (1988) setzte ABRI den Kommunismusvorwurf
sogar gegen Sudharmono, den ungeliebten neuen Vizepräsidenten, ein.
Ihm wurde zunächst in anonymen Pamphleten vorgeworfen, Beziehungen zu PKI-
Angehörigen während der Madiun-Revolte gehabt zu haben. Der Assistent von
Sudharmono, Zarlons Saghul, sowie zwei andere hochrangige Golkar-Politiker mussten
im Verlaufe dieses Feldzuges der "Selbstreinigung" (bersih diri) gehen. 1990, auf
dem Höhepunkt der gesamten Kampagne, reichte schon die Beziehung zu Personen,
die mit der PKI in Verbindung gestanden hatten, oder die Anwendung von Strategien,
die denen der PKI ähnelten, aus, um zur Zielscheibe in diesem Feldzug zu werden. 57
G30S/PKI sollte die vermeintliche Urheberschaft der PKI fest in das Bewusstsein der Indonesier
einprägen. Der Begriff "Gestapu" scheint gewählt worden zu sein, um Assoziationen an die
Gestapo zu wecken. Anderson bemerkt an einer Stelle, dass die im Indonesischen unübliche
Wortstellung "Gerakan September Tiga Puluh" statt "Gerakan Tiga Puluh September" auf USamerikanische
Einflüsse zurückzuführen sein könnte.
55
Goodfellow 1995.
56
Goodfellow 1995, 15.
57
Goodfellow 1995, 23ff. 1992 hatten noch 1,35 Mio. Indonesier einen Code in ihrer Kennkarte,
einer Art Personalausweis, der sie als ehemalige politische Gefangene (ET = Eks Tahanan)
auswies. Im August 1995 wurde diese Codierung aufgehoben. Etwa zur gleichen Zeit wurden
drei prominente politische Gefangene, nämlich der ehemalige Außenminister Subandrio, der
frühere Stabschef der Luftwaffe Omar Dhani und der ehemalige Geheimdienstler Sugang
Sutarto, die seit 1965 im Gefängnis gesessen hatten, freigelassen. Noch nach dem "Sabtu
Kelabu" wurde die PRD unter dem Vorwand verfolgt, dass sie eine ähnliche Organisationsstruktur
wie die PKI habe (so der ehemalige Kassospol GLt Syarwan Hamid (Interview in
Jakarta am 6.11.1997)).

96 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
1995 wurde das Gespenst des Kommunismus von Teilen der ABRI-Führung wieder
heraufbeschworen. Der Generalstabschef der Armee Suyono wies auf "formlose Organisationen"
(OTB) hin und bezeichnete den Schriftsteller Pramudya Ananta Tur,
den Gewerkschafter Muchtar Pakpahan und den Dozenten George Adicondro öffentlich
als Kommunisten. 58 Assospol Syarwan Hamid warnte gar vor "Kommunisten
neuen Stils" (KGB = Komunis Gaya Baru) und sprach davon, dass ehemalige PKI-
Mitglieder jetzt mit NGO-Aktivisten, Menschenrechtlern und Umweltschützern kooperieren
würden. 59 Typisch für diese letzte Phase war, dass führende Militärs immer
wieder vor den Gefahren des Kommunismus warnten, während gleichzeitig andere
Signale gegeben wurden – so sprach Suharto im Februar 1989 einmal davon, dass der
Kommunismus völlig gescheitert sei und keine Gefahr mehr darstelle. 60
Die Ausgrenzung von Personen und Organisationen, die auch nur entfernt mit der PKI
zu tun gehabt hatten oder in ihrer Struktur und ihren Zielen an die PKI erinnerten, galt
auch für die linken Populisten, also für Sukarno 61 und seine Anhänger. Der
Sukarnoismus stellte für die Neue Ordnung immer ein beunruhigendes Problem da,
weil der ehemalige Staatspräsident und "Große Führer der Revolution" aufgrund
seiner anhaltenden Popularität nur mit großer Vorsicht kritisiert werden konnte.
Sukarno war die überragende Figur in der Zeit der Gelenkten Demokratie gewesen
und 1963 zum Präsidenten auf Lebenszeit ernannt worden. Er stand zum Volk in einer
fast mystischen Beziehung. Einerseits war er die "Zunge des Volkes" (lidah rakyat),
der unmittelbar die Gefühle und unartikulierten Sehnsüchte der kleinen Leute
(marhaen 62 ) ausdrücken konnte und in dieser Funktion mit dem Volk verschmolz.
58
Suyono nannte insgesamt 15 Personen, nämlich George Adicondro, Arief Budiman, Kuwat
Triyanto, Harsono und Lie Sing Tew von der Satyawacana Universität; außerdem Muchtar
Pakpahan (Gewerkschafter), Pramudya, Sri Bintang, Mulyana W. Kusumah (NGO-Aktivist),
Princen (NGO-Aktivist), Oei Tjoe Tat (ehemals Minister unter Sukarno), Permadi (Mystiker),
Suhario Padmodiwiryo (General a.D. mit Verbindungen nach Moskau) und die Studenten
Petrus Hariyanto und Paul Salim (Forum Keadilan 23.10.1995).
59
Sebastian/Siregar 1996, 173.
60
Goodfellow 1995, 20.
61
Sukarno: geboren 1901 in Blitar, Ostjava, javanischer Vater und balinesische Mutter, Vater
Lehrer (Theosoph, abangan), Architekturstudium in Bandung (ITB) seit 1921, Mitbegründer
des Algemeene Studieclub 1925, 1926 Ingenieur, gründete am 4. Juli 1927 die PNI
(Perserikatan Nasional Indonesia, ab 1928 Partai), 1929 und 1937 von den Holländern inhaftiert,
arbeitete für die japanischen Besatzer, um die nationalistische Bewegung zu stärken,
später wurde er als Kriegsverbrecher angegriffen wegen seiner Hilfe bei der romusha-
Rekrutierung, Juni 1945 Pancasila-Rede, ließ sich 1948 bei zweiter "Polizeiaktion" in
Yogyakarta gefangen nehmen (von einigen als Desertion gedeutet), 1945-68 Präsident der RI,
setzte 1959 die Gelenkte Demokratie und die Wiedereinführung der Verfassung von 1945
durch, war seit 1963 Präsident auf Lebenszeit, seit dem 30. September 1965 wurde er schrittweise
entmachtet, starb 1970 und wurde in Blitar begraben (zur Biographie, insbesondere bis
1945: Dahm 1966).
62
Von Sukarno geprägter Begriff für den "kleinen Mann". Der Begriff beherrschte die politische
Diskussion in Indonesien seit etwa 1932 und löste den Begriff “Kromo” ab. Sukarno
meinte, er habe den Bauern Marhaen einst zufällig in einem Reisfeld getroffen und dann seine

Legitimierung der Regimekoalition 97
Andererseits stand er hoch über der Masse von marhaen. Sukarno war - im emphatischen
Sinne - der Schöpfer der Pancasila, der also die fast heilige, ideelle Grundlage
des Staates "entdeckt" hatte. Deshalb war die Kritik an Sukarno wie eine Kritik an der
Verfassung von 1945 und der Republik Indonesien selbst.
Sukarno wurde in den Jahren nach seiner Entmachtung kaltgestellt. 1970 wurde er
nicht - wie von seinen Angehörigen gewünscht - in Bogor (nahe Jakarta) begraben,
sondern im von der Metropole weit entfernten ostjavanischen Blitar, seinem Geburtsort.
Erst 1978, also posthum, rehabilitierte man ihn teilweise durch die Errichtung
einer Gedächtnisstätte in Blitar, die zu einem Pilgerort für seine Anhänger wurde.
Im Jahre 1981 gab es dann bereits den ersten Versuch, Suhartos Rolle als Schöpfer
der Pancasila in Frage zu stellen, als einer der Chefideologen der Neuen Ordnung, der
Historiker Nugroho Notosusanto, Muhammad Yamin und Supomo zu den eigentlichen
Entdeckern und Formulierern der Staatsphilosophie erklärte. In der Neuen Ordnung
gab es mehrere solcher Auseinandersetzungen, die immer mit großem Eifer
geführt wurden. 1994 begann sogar eine heftige Debatte über die bis heute unaufgeklärte
Rolle Sukarnos beim Putschversuch 1965. In einem Weißbuch 63 nahm die Regierung
schließlich eine vermittelnde Position ein, indem sie Sukarno nicht direkt
mitverantwortlich machte, aber seine Haltung zur PKI kritisierte.
Der Sukarnoismus war für die Regimekoalition so beunruhigend, weil für Sukarno -
aus der Sicht seiner vielen Anhänger - genau jenes typisch war, was Suharto fehlte,
nämlich Integrität, Leidenschaft und ein ausgeprägter Sinn für soziale Gerechtigkeit.
Seit Anfang der 70er Jahre nahmen mehrere Kinder Sukarnos (Guntur, später Guruh
und Megawati) an PNI- bzw. PDI-Wahlkämpfen teil und zehrten dabei von dem Prestige,
das sich an ihren großen Namen knüpfte. Vor allem Megawati Sukarnoputri war
noch in den 90er Jahren so erfolgreich, weil sie das Charisma ihres Vaters für sich
nutzen konnte. Die Regimekoalition versuchte daher, den Sukarnoismus zu schwächen
und gleichzeitig den alten Staatspräsidenten für sich zu vereinnahmen. 64
Sukarno verkörperte noch lange nach seinem Tod den vom Volk verehrten, selbstlosen
Führer. Obwohl er maßgeblich an der Abschaffung der parlamentarischen Demokratie
1957 bis 1959 beteiligt gewesen war, wurde er in der Neuen Ordnung für viele
ein Symbol der Demokratiebewegung. Viele junge Indonesier, die wenig über
Sukarno wussten und ihn selbst nie erlebt hatten, waren seine glühendsten Anhänger.
Aspekte der politischen Kultur und die Erosion des Wertesystems
Anmerkungen zur politischen Kultur
Bisher wurden überwiegend die offiziell anerkannten, staatlich geprägten Ideologien
referiert. Aber woran glaubten die meisten Indonesier und die Herrschenden selbst?
Man kann diese Frage besser beantworten, wenn man die aller politischen Ideologie
vorgelagerte oder übergeordnete politische Kultur näher betrachtet. Die "politische
Theorie des Marhaenismus entwickelt (Dahm 1966, 109ff). Dieses Konzept war Teil des Programms
der PNI.
63
Sekretariat Negara Republik Indonesia 1994.
64
Mietzner 1997 und Brooks 1995.

98 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Kultur" eines Landes definiert sich durch "[...] die geschriebenen und ungeschriebenen
Ideen und Wertcodes, die politisches Handeln der Gesellschaftsmitglieder regulieren."
65 Dazu gehören u.a. typische Konfliktlösungsmuster, vorpolitische Loyalitätsmuster
und gefühlsmäßige Bindungen an die Nation und den Staat. Die politische
Kultur ergibt sich aus langfristig wirksamen Wahrnehmungs- und Beurteilungsschemata,
die in der Kindeserziehung, durch die gegebenen Machtverhältnisse in Organisationen
und in Bildungsinstitutionen, durch die überkommenen und von interessierten
Gruppen verteidigten Interpretationen des Geschlechterverhältnisses, der religiösen
Lehren, der Beziehung zwischen Herrschenden und Beherrschten usw. bewahrt
und den neuen Bedingungen angepasst werden.
In den Abschnitten 1.1 und 1.2 wurde bereits die Bedeutung der javanischen Kultur
angesprochen. Trotz der ökonomisch-technologischen Modernisierung haben sich
typisch javanische Verhaltensmuster bewahrt, die sich auf das Verhältnis zwischen
Vorgesetzten und Untergebenen, die Verarbeitung von Konflikten und die Beziehung
zur Außenwelt auswirken. Auch heute noch prägen einige tief verankerte, empirisch
schwer zu erfassende Denk- und Handlungsmuster die politische Kultur. Antlöv
schreibt dazu:
"Although these ideas belong to a static conception of social order, they still seem to hold their
own in spite of the changes that everybody experiences. People are still expected to enact their
positions and are not supposed to initiate constructive, innovative, or critical roles as socially
concerned individuals. Cognitively a person's individuality is not even a part of society but an
entity that stands next to it." 66
Selbst in den Behörden und vielen Organisationen sind die hierarchischen Beziehungen
aufgrund von Loyalitätsbindungen zwischen vorgesetzten Patronen und untergebenen
Klienten strukturiert. 67 Die Patron-Klient-Beziehungen 68 sind keine rein
traditionalen Loyalitätsbindungen, sie entspringen aber auch nicht lediglich versach-
65 Christian Fenner in: Nohlen (Hg.) 1995, 565.
66 Mulder 1992, 155.
67 "These diffuse, personal, face-to-face, enduring, noncontractual relationships are the primary
social cement integrating Indonesian organizations to the limited degree that they are integrated
at all” (Jackson 1978b, 35). "[...] loyalty flows to persons rather than to offices or institutions,
and the ability to manage effectively is restricted to those whose formal subordinates are also
their dependent followers” (Jackson 1978c, 348).
68 Es gab unterschiedliche Patron-Klient-Beziehungen. Je nach Verwaltungsebene (von der
Zentralregierung bis hinunter zu den am wenigsten entwickelten Dörfern) und nach Verwaltungsbereich
(ob Militär- oder Zivilverwaltung, ob planende, Eingriffs- oder Leistungsverwaltung)
dominierte entweder das Streben nach materieller Gratifikation oder das nach einer mehr
oder weniger traditional legitimierten Harmonisierung. Beim Militär konkurrierte der
bapakisme mit den Geboten der strikten Befehlsbefolgung, während in manchen Dörfern der
lurah bzw. kepala desa eher als Primus inter Pares auftrat und die Dorfbewohner überzeugen
musste. Für Antlöv (1995) bauen die Patron-Klient-Beziehungen in dem von ihm untersuchten
javanischen Dorf auf nüchternem, aber durch die Sprache der Gemeinschaftlichkeit verdecktem
ökonomischem Kalkül auf. Die “Kultur der Unterwürfigkeit”, die so oft als eine der Hauptursachen
der Herrschaftszentralisierung angesehen wird, ist für ihn eher die Folge eines eklatanten
Machtgefälles.

Legitimierung der Regimekoalition 99
lichten Geschäftsinteressen. Sie werden stabilisiert durch spezifisch javanische Verhaltensmuster,
bei denen die Vermeidung von Konflikten und das respektvolle Auftreten
gegenüber Älteren und Vorgesetzten im Vordergrund stehen. 69
Idealtypisch sind in Java alle Beziehungen jenseits der Kernfamilie durch ein hohes
Maß an Formalität gekennzeichnet. 70 Dem Status eines Menschen entsprechen sein
Habitus, seine Sprechweise und die von ihm benutzte Sprache. In jedem Gespräch
werden ständig die Rangunterschiede deutlich gemacht. 71 Fällt ein Javaner aus der
Rolle, werden tief verwurzelte und für den Betroffenen kaum erträgliche Schamgefühle
hervorgerufen. Selbst wenn heute ein Beamter seinem Vorgesetztem begegnet,
wird er verlegen lächeln und sich leicht verbeugen. Der Vorgesetzte wird das Lächeln
und die Verbeugung erwidern. Man bezeugt sich also gegenseitig Respekt und bekräftigt
jedes Mal aufs Neue die Hierarchie. Eventuell auftretende Konflikte werden nicht
direkt angesprochen, damit der andere sein Gesicht wahren kann. 72
Außenseiter, Protestierer und Rebellen stellen die gesamte Ordnung in Frage und
müssen mit schärfsten Sanktionen rechnen, denn der Einzelne hat nach traditioneller
Auffassung einen göttlich vorgegebenen Platz in der Gesellschaft und muss die seinem
Status entsprechende Funktion erfüllen. Die Vorstellung vom "rechten Ort", von
der harmoniefördernden Selbstbeschränkung und Anpassung und der Wunsch, seine
Gefühle zu verbergen, fördern Strategien der Verstellung und blockieren die Ausbildung
einer nach sachlichen Kriterien strukturierten Hierarchie. Nach diesem Modell
verstößt offener Widerspruch gegen grundlegende Moralprinzipien. Der Untergebene
handelt nach der Devise "Asal Bapak Senang" oder "Hauptsache Bapak ist zufrieden",
von Indonesiern oft selbstironisch als Abkürzung (ABS) wiedergegeben. Entscheidungen
werden fast ausschließlich auf höchstmöglicher Ebene gefällt, und wenn
Untergebene oder gar Teile der Bevölkerung in diesen Prozess eingebunden werden,
geschieht das i.d.R. im Sinne von musyawarah dan mufakat, d.h. einer allgemeinen
Beratung mit anschließender Beschlussfassung. Diese nach offizieller Darstellung
typisch indonesische Form der Demokratie gleicht jedoch eher einer autoritären
Unterweisung durch den Vorgesetzten. Die Autorität des Vorgesetzten wird aufgrund
seiner Herrschaftsposition, nicht in erster Linie wegen erbrachter Leistungen, anerkannt.
Er tritt dabei oft als ein Vater (bapak) auf, der sich um die ihm anvertrauten
Kinder (anak buah) zu kümmern hat.
Ähnlich wie die patriarchale Beziehung Suhartos zu seinen Assistenten war die gesamte
Herrschaftsordnung konzipiert. 73 Sicherlich spielten diese javanischen Verhal-
69 Magnis-Suseno 1981, 37ff; Willner 1970, 257ff. "Der Javaner fühlt sich gedrängt, eine Konfrontation
um beinahe jeden Preis zu vermeiden” (Magnis-Suseno 1981, 49).
70 Der erwachsene Mann muss allerdings sogar in der Familie sein Gesicht wahren.
71 Schon bei der Kindererziehung werden in Java tiefsitzende Gefühle der Scham und der Verlegenheit
erzeugt (Magnis-Suseno 1981, 42ff).
72 Willner 1970, 268 und 274ff.
73 Mulder (1992, 121) beschreibt z.B. die 1978 eingeführten P4-Kurse "zur Vertiefung und
Ausführung der Pancasila": "The tone of the programme is remarkably Javanese, the government
obviously taking the position of a parent vis-à-vis the population that is still durung Indonesia,
not yet civilized the Indonesian way. And in the same way as parents should be trusted
and obeyed, individual citizens should follow the given lead and subject themselves to the
demands of harmonious community."

100 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
tensmuster eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung der Neuen Ordnung. Allerdings
war es auch staatliche Politik, die diese Formen javanischen Verhaltens besonders
förderte. Das geschah durch eine bewusste "Javanisierung der Nation".
Zu den Dilemmata des indonesischen Nationalismus gehört es, dass einerseits die
regionalen Kulturen anerkannt werden mussten, dass andererseits eine solche Anerkennung
die Gefahren des Sezessionismus vergrößert. 74 Obwohl der Regimekoalition
sehr daran gelegen war, das nation building zu fördern, kam es schon frühzeitig
zu einer Förderung der javanischen Kultur, weil die meisten Machtpositionen von
Javanern besetzt waren und die javanische priyayi-Kultur (anders als "offenere" Kulturen
wie die der Bataker oder der Minangkabau) besonders gut die Herrschaft der
Orba-neo-priyayi legitimieren konnte. Im Jahre 1982 z.B. sprach Suharto vor dem
nationalen Jugendverband KNPI über die Größe der javanischen Kultur und davon,
dass die Pancasila das Ergebnis von mehreren Tausend Jahren javanischer Geschichte
seien. 1987 publizierte seine älteste Tochter "Tutut" eine Sammlung javanischer, von
Suharto alltäglich bemühter Spruchweisheiten, und 1991 forderte der Präsident indonesische
Intellektuelle auf, die javanische Lebensphilosophie hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit
für die nationale Entwicklung zu untersuchen. 75 Die javanische Kultur
wurde u.a. wegen der Bestrebungen Suhartos zur dominanten Teilkultur in der Neuen
Ordnung. 76 Ignas Kleden beschreibt das Ergebnis dieser Javanisierung folgendermaßen:
"The wide use of Sanskrit words and the words of old Javanese language to name the buildings,
hotels, or state protocol, the use of feudalistic words like Bapak, berkenan and memohon to
replace more democratic words like Anda/Saudara, bersedia and meminta, the greater emphasis
on politeness in political and formal relationships, the use of Javanese language among the
Javanese during office hours, the fact that social prowess is given preference over technical
skill - all these things are quite characteristic of a culture which is basically aesthetic in nature."
77
Im nationalen Parlament z.B. trugen die verschiedenen Räumlichkeiten für den durchschnittlich
gebildeten Indonesier unverständliche, kryptische Sanskritbezeichnungen.
78 Dabei war diese Art der Javanisierung in erster Linie eine Propagierung einer
herrschaftsstabilisierenden neopatrimonialen Kultur. Foulcher sieht diesen Prozess so:
74 Deshalb wurden Provinzkulturen konstruiert: Im Freizeitpark Taman Mini, im Fernsehen, in
Darstellungen auf Briefmarken etc. verschmolzen einzelne Kulturen zu vermeintlich existenten
Kulturen der jeweiligen Provinzen (Guiness 1994, 271).
75 Ramage 1995, 188.
76 Sie blieb aber der nationalen Kultur untergeordnet, was sich u.a. daran ablesen lässt, dass es
fast keine Publikationen in javanischer Sprache in Indonesien gibt. Die Staatsbürger, die ein
recht ausgeprägtes Nationalbewusstsein haben, definieren sich erst sekundär durch ihre Zugehörigkeit
zu einer der regionalen Kulturen. Der Begriff "Nation" (bangsa) hat in Indonesien
wegen des militärisch geführten Kampfes gegen die Kolonialherren einen pathetischen Beiklang.
77 Kleden 1990, 352.
78 Die Zusammensetzung verschiedener Golkar-Gremien spiegelte bestimmte geschichtliche
Daten wider. Und die Golkar-Doktrin "Karya Siaga Gatra Praja" ("allzeit bereit, das Land zu

Legitimierung der Regimekoalition 101
"The result is not the domination of Java in all its cultural diversity or even of Javanese court
culture in its original form. Rather, it is Java as defined through the eyes of its modern-day
priyayi, an eclectic combination of aspects of a kebatinan world view and the Dutch colonial
mix of public morality and private self-interest, all elaborated against a backdrop of the arts,
customs and etiquette of the courts of Central Java." 79
In dieser neopatrimonialen, staatsverherrlichenden Kultur gab es die Tendenz, auftretende
Probleme in aufwendiger Weise durch Behörden oder eigens eingerichtete
Gremien zu regeln. Der Staat galt vielen als die Instanz, die letztlich alles zu entscheiden
hatte. Der allmächtige und allzuständige Staat wurde - wie seine Vertreter -
in zahlreichen Zeremonien geehrt:
"All Indonesian national ceremonies (upacara) are highly formalized, be they Teachers' Day,
Army's Day, Women's Day, a promotion of the 'Third Phase of the Bandung Regency Birth
Control and Infant-Care Rally', a welcoming ceremony for the regency head, or a prize ceremony
for the local football tournament." 80
Viele Indonesier verehrten "nationale Helden" 81 , und die Staatsfeiertage wurden in
religiösem Ernst begangen. Bei Feiern zum Tag der Unabhängigkeit am 17. August
wurden Umzüge, Massenversammlungen und kleine Wettbewerbe durchgeführt. All
dies wurde wochenlang vorbereitet, hatte einen hochoffiziellen Charakter und verdeutlichte
jedem Indonesier die Allmacht des Staates.
Um es zu wiederholen: Die überlieferten javanischen Verhaltensformen und Wahrnehmungsweisen
und die Javanisierung der politischen Kultur haben dazu beigetragen,
das Herrschaftssystem "Neue Ordnung" zu stabilisieren. Aber die Blockierung
der Demokratisierung ergab sich nicht zwangsläufig aus dieser spezifischen Kultur:
An viele der staatlich propagierten Lehren haben nur wenige Indonesier geglaubt, und
die Staatsverherrlichung hatte allenfalls einen indirekt herrschaftsstabilisierenden,
weil Furcht einflößenden Effekt. Die Neue Ordnung konnte letztlich nur in einer
Atmosphäre der Anpassung und Angst, der Verdächtigungen, Denunzierungen und
Stigmatisierungen Anerkennung finden. 82 In dieser Atmosphäre brachte das Herrschaftssystem
massenhaft Personen hervor, die ihren Opportunismus so weit perfektionierten
und ihre Unehrlichkeit so sehr habitualisierten, dass sie diese selbst für
entwickeln") ist sich auch mit den Zahlen 4, 6, 9, 1 übersetzbar. Umgekehrt gelesen ergeben
diese Zahlen das Golkar-Gründungs-jahr 1964. Das Symbol der Partei, der Banyan-Baum, ist
bedeutsam in der javanischen Religion (Suryadinata 1989, 58f).
79
Foulcher 1990, 303. Kebatinan (kejawen, agama Jawa): Javanische Mystik, die hindubuddhistische,
islamisch-sufistische und indigen-javanische Elemente in sich aufgenommen hat.
Sie galt nicht als Religion (agama), sondern als Glaube (kepercayaan) und ist in Hunderte von
Vereinigungen gegliedert.
80
Antlöv 1995, 61.
81
Vgl. dazu: Schreiner-Brauch 1995.
82
Wie schon in der Gelenkten Demokratie. Sundhaussen redet von dem "[...] cloak-and-dagger
style of politics of 1964/65 with everyone spying on and wildly accusing each other of treason
and betrayal" (Sundhaussen 1982, 195).

102 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Wahrhaftigkeit hielten. Die Ausbildung dieser Fähigkeit mag durch die javanische
Eigenheit, Gefühle zu verbergen, begünstigt worden sein. 83
Die allgegenwärtige Doppelzüngigkeit erschwerte die Kommunikation innerhalb der
Regimekoalition, aber auch zwischen Vertretern des Staates und den indonesischen
Bürgern. Die Hinrichtung von politischen Gefangenen konnte so zu einer indirekten
Warnung an alle Arten von Regimegegnern werden. Und präsidentielle Warnungen
an Oppositionelle oder an Angehörige der Regimekoalition wurden sybillinisch ausgesprochen
("diejenigen, die in trüben Gewässern fischen").
Erosion des Wertesystems
Für die Architekten der Neuen Ordnung war es immer ein Problem, die Balance zu
halten zwischen einer quasiaristokratischen, mystischen Hofkultur und westlich orientierten,
technokratischen Verhaltens- und Denkmustern, mit denen politische und
wirtschaftliche Alltagsprobleme gelöst werden sollten. Auf der einen Seite wurde die
traditionelle javanische Kultur in ihren ungefährlichen Variationen propagiert und
finanziell gefördert, auf der anderen Seite tolerierte die Regierung den Einfall westlicher
Massenkultur in Form amerikanischer Seifenopern und Fast-Food-Ketten.
Seit Ende der 60er Jahre, als Willner 84 und Anderson 85 ihre Studien durchführten, hat
sich ein Wertewandel vollzogen. Vor allem in den wohlhabenden javanischen Familien
sind die Väter nicht mehr so dominant wie früher, und die Eltern werden nicht
mehr im Hochjavanischen (krama) angesprochen. Selbst die Dorfgemeinschaften sind
heute sehr viel mehr in die metropolitane Kultur einbezogen. Die ursprünglich sakrale
Statusordnung ist immer mehr säkularisiert worden. 86 Von der alten höfischen Kultur
sind größtenteils nur noch zweckentfremdete Reste übrig geblieben.
Spätestens seit Ende der 80er Jahre erodierten zudem verschiedene legitimierende
Ideen der Neuen Ordnung. 87 Das Regime gründete seine Herrschaft auf die Vorstellung,
dass man den Kommunismus, den Islamismus und den Liberalismus bekämpfen
müsse und dass die wirtschaftliche Entwicklung nur durch die vom Militär gestützte
politische Stabilität aufrechtzuerhalten sei. All diese Vorstellungen verloren viel von
ihrer Überzeugungskraft, die sie für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung lange
hatten. Wie äußerte sich nun diese Erosion der Herrschaftslegitimation? Folgende
Entwicklungen sind zu erwähnen:
- Der Aufstieg Gorbatschows und der Zusammenbruch des osteuropäischen, etatistischen
Sozialismus, die außenpolitische Annäherung Indonesiens an die Volksrepublik
83
Liddle (1996b, 59) spricht andererseits von einer "inauthentischen Legitimität" der Neuen
Ordnung "[...]in which most members of the political public accord authentic legitimacy to the
regime on other grounds and seek to please officials and domestic and foreign audiences by
feigning belief in the government's democraticness.".
84
Willner 1970.
85
Anderson 1972a.
86
Mulder 1992, 77ff und 97ff.
87
Selbst beim CSIS, einem der Zentren der Ideologienbildung in der Murtopo-Ära, überwog in
den 90er Jahren die Skepsis hinsichtlich integralistischer Lehren. Siehe z.B. die Kritik von
Djiwandono (1996) an den Begriffen "kekeluargaan" und "Demokrasi Pancasila".

Legitimierung der Regimekoalition 103
China und das fast völlige Verschwinden von Kommunisten oder kommunistischen
Organisationen in Indonesien selbst, ließen die antikommunistischen Tiraden immer
hohler werden. Und vor allem für die Indonesier, die die Sukarno-Zeit nicht persönlich
erlebt hatten, verloren sie immer mehr an Überzeugungskraft.
- Auch die Gefahr durch islamistische Kräfte konnte nicht recht einleuchten. Die
islamistischen Bewegungen der 50er und 60er Jahre hatten keine Bedeutung mehr.
Nur sehr wenige islamische Führer hielten noch an ihrer Forderung nach einem Islamstaat
fest. Außerdem war seit Ende der 80er Jahre der Islam immer mehr zu einem
Teil der Orba-Legitimation gemacht worden. Führende Muslime waren in die halbstaatliche
Organisation ICMI aufgenommen worden.
- Auch der dritte Pfeiler des Ideologiegebäudes war morsch geworden. Zwar wetterten
noch bis weit in die 90er Jahre hinein Militärs und Bürokraten gegen die westliche
Moderne und schwörten auf die vermeintliche Einzigartigkeit der indonesischen Kultur.
Aber der Diskurs der Liberalisierung und Demokratisierung war in seinem Fortgang
gar nicht mehr aufzuhalten. Suharto und ABRI hatten diesen Geist selbst beschworen.
Die keterbukaan-Debatte, die Belebung des Parlamentes durch einige
ABRI-Abgeordnete, die Erklärung der Pancasila zu einer "offenen Ideologie" durch
Suharto sowie die Annäherung an regierungskritische Muslime mit der ICMI-
Gründung hatten die vielen Diskussionen über Demokratie und Demokratisierung erst
ermöglicht.
- Das Einzige, was dem Militär noch blieb, war die Doktrin von der Entwicklungsdiktatur,
die aber spätestens Anfang 1998 völlig inhaltsleer geworden war. Fast alle
Wirtschaftsexperten wiesen darauf hin, dass gerade die Intransparenz, die allgegenwärtige
Korruption und die vetternwirtschaftliche Bevorzugung einzelner Unternehmen
die quasi natürlichen Begleiterscheinungen der Diktatur seien und dass nur radikale
Reformen das Land noch retten konnten. Anfang 1998 zeichnete sich deutlich ab,
dass sich - anders als viele Apologeten der Neuen Ordnung immer wieder versichert
hatten - die Wirtschaftskrise erheblich von der in den anderen südost- und ostasiatischen
Ländern unterschied. In Indonesien waren es nicht einige Auswüchse, die mit
einigen gesetzlichen Reformen behoben werden konnten, sondern es war eine Systemkrise,
die strukturelle Reformen verlangte. Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die
Entwicklungsdiktatur in Indonesien endgültig ausgedient hatte, weil nicht zu erwarten
war, dass ausländische Investoren noch einmal das Risiko eingehen würden, in ein
intransparentes System zu investieren.
Bis in die 80er Jahre hinein konnten subversive oder renitente Personen als rechtsextrem
(ekstrim kanan), d.h. als islamistisch, oder als linksextrem (ekstrim kiri) bezeichnet
werden, ohne dass das Gros der Bevölkerung diese Stigmatisierungen als
absurd betrachtet hätte. Danach jedoch machten solche Feindbilder keinen Eindruck
mehr. Wenn etwa die PRD nach dem 27. Juli 1996 als “formlose”, der PKI ähnelnde
Organisation dargestellt wurde (so u.a. der Chef der Sektion für soziale und politische
Angelegenheiten [Kassospol], Syarwan Hamid, und der Koordinierungsminister für
Sicherheit und Politik, Susilo Sudarman), dann zeigte das die Hilflosigkeit der Regimekoalition
im Umgang mit Oppositionellen. Die Vorwürfe blieben meist im Un-

104 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
klaren, und es wurden bewusst vage Formulierungen gewählt, wie OTB (formlose
Organisation), GPK (die Sicherheit störende Bewegung), pihak-pihak tertentu (gewisse
Seiten) etc. 88
3.2 Grundzüge des wirtschaftlichen Wandels und
der Wirtschaftspolitik seit 1965
Im Folgenden sollen verschiedene Phasen der politischen, insbesondere aber der wirtschaftlichen
Entwicklung 89 der Neuen Ordnung unterschieden und beschrieben werden.
Diese Darstellung dient als Folie für die anschließenden Ausführungen zu den
verschiedenen Gruppen der Regimekoalition und der Opposition. Gleichzeitig sollen
sie einen Eindruck von den unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Strategien und
von dem grundlegenden, für die Demokratisierung wesentlichen Wandel seit Mitte
der 80er Jahre vermitteln. Das Auf und Ab der Erdölpreise sowie der Wechsel zwischen
nationalistischen und tendenziell marktliberalen Strategien, die Rolle des Staates,
ausländischer und einheimischer Unternehmen und die Transformation der gesamten
Sozial- und damit Herrschaftsstruktur wird erst durch eine Beschreibung der
wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Wandlungen verständlich. Außerdem ist
dieser Abschnitt auch als eine Beschreibung der Vorgeschichte der Asienkrise
(1997/98), die schließlich den politischen Wandel bewirkte, zu lesen. Dabei wurden
auch einige innen- und außenpolitisch relevante Vorgänge, die zum Verständnis der
wirtschaftspolitischen Entscheidungen wichtig sind, berücksichtigt.
Phasen der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung (1965-1998)
Um eine bessere Übersicht über die verwickelten Machtkämpfe und die Geschichte
der Neuen Ordnung im allgemeinen zu gewinnen, soll an dieser Stelle eine kurze
Darstellung insbesondere der ökonomischen Prozesse von 1965 bis 1998 folgen. Die
Entwicklung wird in fünf Phasen eingeteilt (siehe Schaubild 3-1): 90
- Vom gescheiterten Putschversuch am 30.9./1.10. 91 und der Machtübernahme durch
Suharto über die vollständige Etablierung der Neuen Ordnung (1968) bis zur Malari-
Affäre (1974).
88 Wilson 1994.
89 Die Begriffe "Entwicklung", "Modernisierung" etc. werden trotz ihrer Vieldeutigkeit und der
z.T. eurozentristischen und technokratischen Implikationen verwendet. In dieser Arbeit werden
sie nicht im Sinne einer linearen Entwicklung zu einem "Besseren" gebraucht.
90 Diese Einteilung findet sich ähnlich bei Pangestu (1989), Robison (1986), Hill (1996) und
Sato (1994). Sato unterscheidet zwischen einer Phase der frühen Industrialisierung (1967-73),
gefolgt von einer Ölboomperiode (1974-81), einer Rezessionsphase (1982-86) und einer vom
Export getriebenen Revitalisierung seit 1987 (Sato 1994, 125). Vgl. auch die Übersicht von
Mackie/MacIntyre (1994), die drei Phasen unterscheiden, nämlich 1965-74, 1974-83 und 1983-
1990. Die Ausführungen zur ökonomischen Entwicklung in diesem Abschnitt decken sich in
großen Teilen mit: Ufen 1996 und Ufen 2001d.
91 Zu der Frage, ob der Putschversuch wirklich ein solcher war, siehe Abschnitt 3.1.

Legitimierung der Regimekoalition 105
Die ersten Jahre waren von großen Ambivalenzen gekennzeichnet, da einerseits die
Presse relativ offen berichten konnte und die 66er-Studentengeneration viele progressive
Kräfte in ihren Reihen hatte, da andererseits das Militär um Suharto Sukarnoisten
ausschaltete, Kommunisten niedermetzelte, Hunderttausende in Gefangenschaft nahm
und Ansätze zur Demokratisierung der Neuen Ordnung im Keim erstickte. Von 1968
bis zur Malari-Affäre (1974) folgte eine Periode der Herrschaftsstabilisierung, wenngleich
auch zuletzt erste Risse in der Regimekoalition auftraten. Die Schaffung eines
aus drei Parteien bestehenden Parteiensystems, die generalstabsmäßige Manipulierung
der ersten nationalen Wahlen, die Zentralisierung der Streitkräfte und die Ausweitung
der Kontrolle über die Verwaltung vervollständigten ein Herrschaftssystem,
das diese Form für lange Zeit annahm.
Wirtschaftspolitisch lehnte sich das neue Regime eng an die westlichen Industrieländer
und an Japan an. Es ermunterte ausländische Unternehmen zu Investitionen, nutzte
das Wissen technokratischer Ökonomen und garantierte stabile politische Verhältnisse.
In dieser Phase ging es vornehmlich um eine finanzpolitische Stabilisierung,
um eine langfristige, mit den Gläubigerländern abgestimmte Umschuldung, um den
Infrastrukturausbau und um die Sicherstellung der Grundversorgung.
- Von 1974 bis zum Verfall der Erdölpreise und zur vierten Wiederwahl Suhartos im
Jahre 1983.
Innenpolitisch wurde der Neopatrimonialismus gefestigt, Golkar aufgewertet und der
Generationenwechsel in den Streitkräften vollzogen. In diese Zeit fällt auch die
Unterdrückung der Studentenbewegung mit der "Normalisierung des Campus-
Lebens" (1978) und der Beginn einer stärkeren Indoktrinierung der Bevölkerung mit
Pancasila-Kursen.
Seit 1974 berücksichtigte das Regime stärker die Interessen der einheimischen Unternehmen.
Steigende Einnahmen aus dem Erdölexport ermöglichten eine nationalistische
Wirtschaftspolitik, die im Sinne einer Importsubstitutionsindustrialisierung auf
die Förderung indonesischer Betriebe und auf die Umleitung ausländischer Investitionen
in Joint Ventures (in erster Linie staatlich kontrollierte große Produktionsbetriebe)
zielte. Die Entwicklungsausgaben der Regierung dienten verstärkt der Modernisierung
der Landwirtschaft oder wanderten in den Bausektor.
- Die Jahre von 1983 bis Mitte/Ende der 80er Jahre waren Jahre des Übergangs.
Mit der Durchsetzung der azas tunggal-Bestimmungen war Suharto auf dem Höhepunkt
seiner Macht angelangt, aber schon 1988 zeigten sich deutlich Konflikte in der
Regimekoalition.
Zugleich war es die Phase, in der ein epochaler wirtschaftspolitischer Kurswechsel
eingeleitet wurde. Anfang der 80er Jahre musste nämlich die indonesische Regierung
auf die sich schlagartig verändernden makroökonomischen Rahmenbedingungen, die
aus hohen Einnahmeverlusten aufgrund der gesunkenen Erdölpreise resultierten, mit
einer umfassenden Reformpolitik reagieren. In den ersten Jahren von 1982-85/86

106 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
versuchte sie, durch Importrestriktionen, Sparmaßnahmen und eine veränderte
Steuerpolitik das Zahlungsbilanzdefizit zu verringern.
- Von Mitte/Ende der 80er Jahre bis zum Beginn der Asienkrise (Mitte 1997).
In dieser Periode verstärkten sich die Spannungen in der Regimekoalition und zwischen
dieser und einer selbstbewussten Opposition. Es kam zu einer schrittweisen
Deregulierung des Kapitalmarktes, des Außenhandels, der Investitionsbedingungen
für ausländische Unternehmen und insgesamt zu einer Förderung exportorientierter
Industriebetriebe. Es entstanden die Wirtschaftsimperien der Familie Suharto, und die
Personalisierung der Herrschaft konnte weiter fortschreiten. Mit dem Anwachsen der
Mittelklasse gewann auch der Islam, den die Regierung durch Kooptation und
Akkommodation integrieren wollte, einen größeren Einfluss. Vor allem in diese Phase
fallen auch ein Wiedererstarken der Studentenbewegung, eine enorme Ausweitung
des NGO-Sektors sowie die Gründung neuer Parteien, parteienähnlicher Organisationen
und von Gewerkschaften.
- Die umfassende Krise seit Mitte 1997 bis zum Rücktritt Suhartos im Mai 1998.
In der letzten Phase kam es zur umfassenden wirtschaftliche Krise, die das bis dahin
Aufgebaute in kurzer Zeit zusammenfallen ließ. Die Finanzkrise machte eine enge
Kooperation mit der Weltbank und dem IWF nötig. Da Suharto die geforderten Reformen
nicht einleitete und sich die wirtschaftliche Lage weiterhin verschlechterte,
formierte sich seit dem Februar 1998 eine mächtige Studentenbewegung. Zwar wurde
Suharto im März noch einmal in seinem Amt bestätigt, er musste aber letztlich im
Mai seinen Rücktritt erklären.
Vom Machtwechsel (1965-1967/68) bis zur Malari-Affäre
(1974)
Bei der Machtübernahme (1965) hatten die Militärs um Suharto zunächst eine katastrophale
wirtschaftliche Krise zu bewältigen. Aufgrund der instabilen politischen
Lage und der ineffizienten Verwaltung der seit 1958 verstaatlichten ausländischen
Unternehmen hatten sie Mitte der 60er Jahre mit einer galoppierenden Inflation von
bis zu 650%, einer unkontrollierbaren Kapitalflucht, Zahlungsbilanzproblemen 92 und
nicht zuletzt außergewöhnlich hohen Reispreisen zu kämpfen. Da die im zivilen und
militärischen Staatsdienst Beschäftigten keinen Inflationsausgleich bekamen und
ohnehin unterbezahlt waren, weiteten sich die Korruption und der Handel mit
Schmuggelware weiter aus. Noch 1966 standen staatlichen Einnahmen von 13,1 Mrd.
Rp. Ausgaben von 29,4 Mrd. Rp. gegenüber, und erst 1968 war die Zentralregierung
in der Lage, das "Prinzip des ausgeglichenen Haushalts" zu verwirklichen. Ihre Ausgaben
im Umfang von 185,3 Mrd. Rp. (bei einem Wechselkurs von 1 US$ = 326 Rp.)
waren durch Steuereinnahmen und ausländische Kredite (35,5 Mrd. Rp.) gedeckt. 93
92 1966 hatte Indonesien Schulden in Höhe von 2 Mrd. US$. In diesem Jahr mussten 530 Mio.
US$ für den Schuldendienst aufgewandt werden. Das war angesichts der niedrigen Exporteinkünfte
ein außergewöhnlich hoher Betrag.
93 Glassburner 1978b, 138ff. Zur ausländischen Kapitalhilfe: vgl. Palmer 1978, Kap. 3.

Wirtschaftspolitik seit 1965 107
Die brutale Durchsetzung des Militärregimes hatte zu einer Friedhofsruhe geführt, die
in gewisser Hinsicht den wirtschaftspolitischen Kurswechsel erleichterte, 94 denn von
da an lehnte sich die neue Regierung eng an die westlichen Industrieländer an, um mit
deren Kapitalhilfen zunächst die Grundversorgung der Bevölkerung sicherstellen und
Infrastrukturmaßnahmen durchführen zu können. Auch außenpolitisch kam es zu
einem Kurswechsel. 95 Indonesien trat wieder den Vereinten Nationen bei, löste sich
aus der "Achse Jakarta-Hanoi-Peking", beendete endgültig die Konfrontasi-Politik
gegenüber Malaysia und trat 1967 der ASEAN bei. Auch wenn die Außenpolitik als
unabhängig definiert wurde, fand faktisch eine enge Anlehnung an den Westen statt.
Das Konzept des neuen Kabinetts, in dem Sultan Hamengkubuwono Wirtschaftsminister
war, wurde 1966 vom vorläufigen Volkskongress (MPRS) gebilligt. Es sah u.a.
vor:
"[...] a hospitality to foreign private capital; establishment of a more realistic and simpler
exchange rate system in order to bring sanity in the money market and in overseas trade; operational
rationalization and enhanced efficiency in the State enterprises to be achieved also by
permitting some selected private enterprises to compete with them; and the institution of a
balanced budget and of improvements in credit and banking services." 96
Schon 1966 kristallisierte sich also der neue Ansatz der indonesischen Regierung
heraus. Zu den bis 1968 verabschiedeten Maßnahmen gehörten:
- die Streichung von Importmonopolen,
- eine marktorientierte Vergabe staatlicher Kredite,
- eine weitgehende Gleichbehandlung von Staats- und Privatbetrieben,
- die Rückgabe der meisten in den Jahren zuvor verstaatlichten Betriebe,
- die Umschuldung und die Inflationsbekämpfung sowie
- die Verabschiedung der Investitionsgesetze der Jahre 1967 und 1968.
Unter der fachlichen Leitung eines Teams von Wirtschaftswissenschaftlern, die überwiegend
in den USA ausgebildet worden waren und deshalb von Kritikern als "Berkeley-Mafia"
(oder als Technokraten) bezeichnet wurden, ersetzte die Regierung den
gespaltenen durch einen einheitlichen Wechselkurs 97 und drosselte das Geldmengenwachstum,
so dass die Inflationsrate bis 1971 auf 4,4% fiel. Außerdem lockerte sie
das Lizenzierungssystem im Außenhandel, ließ dabei aber einige Importgüter wie
Reis, Düngemittel, Zeitungspapier und Dieselöl aus. 98
94
Die Massaker an den wirklichen und vermeintlichen Kommunisten wurde 1965/66 von der
ausländischen Presse häufig enthusiastisch begrüßt. Die New York Times bezeichnete das
"staggering mass slaughter" als "a gleam light in Asia", und Time sah in dem "boiling
bloodbath" die beste Nachricht seit Jahren in Asien (Chomsky 1998, 2f). In dieser Atmosphäre
war die Aufnahme wirtschaftlicher Beziehungen mit den Staaten des nichtkommunistischen
Lagers sehr günstig.
95
Ausführlich dazu: Heinzlmeir 1976, 96ff.
96
Van der Kroef 1971, 161.
97
1971-78 wurde die Rupiah fest an den US$ gebunden, danach wurde ein kontrolliertes Floating
gegenüber einem (ungenannten) Währungskorb eingeführt.
98
Bresnan 1993, 65.

108 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Die Stabilisierung war nur mit den ausländischen Kapitalhilfen möglich. 1966 hatte
Indonesien Schulden in Höhe von 2,4 Mrd. US$. Die Sowjetunion verlangte allein 1
Mrd. US$, u.a. für den Kauf von Mig-21-Flugzeugen. Im selben Jahr nahm die neue
Regierung Kontakt mit den Gläubigerländern, der Weltbank und dem IWF auf, und
im Juni 1967 sagte die neu gegründete IGGI (Intergovernmental Group on Indonesia),
in der die finanzstärksten westlichen Industrieländer zusammengeschlossen waren,
Indonesien einen Kredit über 200 Mio. US$ zu. Mit einer umfassenden Umschuldungsstrategie
und jährlich neu festgesetzten IGGI-Hilfen für vorher bestimmte Projekte
oder in Form von Exportkrediten konnte die Regierung, allerdings in großer
Abhängigkeit von den Geberländern, die indonesische Volkswirtschaft konsolidieren.
99
1969/70 legte die nationale Entwicklungsplanungsbehörde Bappenas in dem Fünfjahresentwicklungsplan
Repelita 100 I die Prioritäten zugunsten der Herstellung von Düngemitteln,
Pestiziden, Baustoffen und Ausrüstungsgütern fest. 101 Öffentliche Ausgaben
im Umfang von 2 Mrd. US$ sollten ein BSP-Wachstum von jährlich knapp 5%
ermöglichen. Die meisten Planziele konnten übertroffen werden, allerdings nur, weil
die Ausgaben zu etwa zwei Dritteln durch ausländische Kapitalhilfen gedeckt waren.
In dieser ersten Phase war die Bedeutung des E/E-Exports noch nicht so erheblich.
1966 wurden Waren im Wert von lediglich 574 Mio. US$ exportiert. Davon entfielen
auf die Nettoausfuhr von Erdöl (die Importe der Erdölgesellschaften sind bereits verrechnet)
150 Mio. US$, also etwas mehr als ein Viertel. Bis 1973/74 steigerte sich das
Gesamtausfuhrvolumen auf 2,55 Mrd. US$, wobei der Nettoanteil des Erdöls immer
noch bei etwa einem Viertel lag (siehe Tab. 3-3). 102
Die Öffnungsphase bis 1974 war gekennzeichnet von einer Liberalisierung des Außenhandels
und von überaus günstigen Investitionsbedingungen für ausländische
Unternehmen. Mit dem Gesetz Nr.1 vom Januar 1967 sollten durch steuerliche Vergünstigungen,
durch Erleichterungen bei der Einfuhr bestimmter Rohmaterialien und
Produktionsgüter sowie beim Devisen- und Kapitaltransfer und schließlich durch
Absicherungen gegen Verstaatlichung ausländische Investoren angelockt werden. 103
Bis Ende des Jahres 1973 wurden Investitionen im Wert von etwa 2 Mrd. US$ realisiert.
Davon entfielen 1,1 Mrd. US$ auf Ausländer, die im E/E-Sektor weitere 4 Mrd.
US$ investiert hatten. Die ausländischen Unternehmen betätigten sich vor allem im -
gegen Importe geschützten - Textilbereich oder in der Produktion von Pharmazeutika
99
McDonald 1980, 71ff.
100
Badan Perencanaan Pembangunan Nasional; Rencana Pembangunan Lima Tahun; zur
Entwicklungsplanung: Schwinghammer 1997.
101
Palmer 1978, 19ff. Die ersten fünf Repelita bildeten zusammen die erste lange Entwicklungsperiode
bis 1994. Im Repelita I (1969-74) wurde das Schwergewicht auf die Förderung
neuer Investitionen und auf die Umgestaltung der Infrastruktur gelegt, in den folgenden
Repelita standen die Entwicklung der Landwirtschaft und dann in mehreren aufeinander aufbauenden
Stufen die Schaffung einer starken indust-riellen Basis im Vordergrund, so dass
theoretisch 1994 die take-off-Phase anbrach.
102
Glassburner 1978b, 140.
103
Palmer 1978, 100ff. Im August 1968 wurden diese Vergünstigungen auch einheimischen
Unternehmern gewährt.

Wirtschaftspolitik seit 1965 109
und Kraftfahrzeugen. Die einheimischen Betriebe, die 60% des industriellen Outputs
erwirtschafteten, waren zumeist kleine, arbeitsintensive Firmen, die landwirtschaftliche
Güter weiterverarbeiteten oder in geringem Umfang Textilien, kretek-Zigaretten,
Möbel etc. herstellten.
Anfang der 70er Jahre richtete sich die Kritik vieler Studenten und von Teilen der
liberalen und nationalistischen Mittelklasse gegen die zunehmende Dominanz ausländischen
Kapitals, gegen die cukong und deren enge, oft mit Korruption verbundene
Verflechtung mit Teilen der Regimekoalition. Dabei argumentierten sie in Anlehnung
an dependenztheoretische Modelle (etwa Dorojatun Kuncoroyakti oder Sarbini
Sumawinata) oder plädierten als Nationalisten für eine stärkere Förderung der
pribumi-Unternehmer. Deshalb auch vermischten sich in den Malari-Unruhen im
Januar 1974 antichinesische, antijapanische und antiautoritäre Elemente. Die Demonstranten
wurden z.T. noch von interessierten Gruppen aus der Regimekoalition
angestachelt. Es gab eine Auseinandersetzung zwischen den bürokratischen Nationalisten
(CSIS/Opsus und Sutowo), die eine von einem starken und aktiven Staat gestützte
und geförderte Industrialisierung mit japanischer Hilfe und nach dem japanischen
Modell wollten einerseits und den von der Weltbank, dem IWF und der US-
Regierung unterstützen Laissez-faire-Ansatz der Technokraten um Bappenas andererseits.
Die Opsus/CSIS-Gruppe hatte sehr gute Beziehungen zur japanischen Regierung,
die Bappenas-Leute waren eng mit den Amerikanern liiert. Robison meint dazu:
"In political terms, the push towards state-led national capitalism came from a loose coalition
comprising Ibnu Sutowo, the President Director of the state oil company, Pertamina, together
with Generals Ali Moertopo and Soedjono Hoemardani, the dominant figures in the Opsus
group." 104
Vom Malari-Vorfall (1974) bis zur vierten Wiederwahl
Suhartos (1983): Protektion und Importsubstitution
Äußerer Anlass für den politischen Richtungswechsel waren die Ausschreitungen im
Umfeld des Staatsbesuches von Tanaka, dem japanischen Premierminister, zu denen
es im Januar 1974 kam. Nach dem Malari-Vorfall wurden die Gruppe um Sumitro
entmachtet, Aspri aufgelöst, zahlreiche Zeitungen verboten und einige kritische Intellektuelle
für mehrere Jahre inhaftiert. Die politische Führung interpretierte die Malari-
Ereignisse als Ausdruck der Unzufriedenheit mit der liberalen Außenwirtschaftspolitik
und leitete - bestärkt durch die gestiegenen Erdölpreise - schon wenige Tage nach
den Unruhen umfassende Reformmaßnahmen ein: 105
- in der Form von Joint Ventures - die allen ausländischen Unternehmen vorgeschrieben
wurde - erhielten die indonesischen Partner innerhalb von 10 Jahren 51% der
Unternehmensanteile,
104 Robison 1986, 151.
105 Die Perioden sind nicht ganz eindeutig voneinander abgrenzbar, da schon 1970 einige nationalistische,
protektionistische Maßnahmen eingeleitet wurden (Begrenzung der Steuerbefreiungen
für zwei Jahre auf bestimmte Regionen bzw. Produktionssektoren) und da auch in den
späten 70er Jahren die Technokraten nicht gänzlich einflusslos waren.

110 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
- weitere Bereiche wurden für ausländische Investoren geschlossen,
- staatliche Investitionskredite kamen nur noch pribumi zugute,
- auch für einheimische Investitionsprojekte wurde je nach Managementstruktur ein
bestimmter pribumi-Anteil vorgeschrieben. 106
Zwar konnten ausländische Unternehmer die Bestimmungen häufig umgehen, aber es
wurde mit diesen Maßnahmen doch ein deutlicher Politikwechsel vollzogen. Zum
einen konnten damit die pribumi-Unternehmer und diejenigen, die den großen Einfluss
ausländischen Kapitals kritisierten, zufrieden gestellt werden, zum anderen wurde
auf diese Weise mithilfe eines aktiven, interventionistischen Staates die importsubstituierende
Industrialisierung (in Bereichen wie Stahl, Aluminium, Papier, Zement,
Petrochemie, Metalle etc.) eingeleitet. Die Tätigkeit staatlicher Organe bei der Vergabe
von Krediten wurde stärker zentralisiert, und bis Ende der 70er Jahre war die
Schwäche der einheimischen Unternehmer bei weitem nicht mehr so gravierend.
Ein wesentliches Element der protektionistischen Wirtschaftspolitik war die Einführung
einer Reihe von tarifären und nichttarifären Hemmnissen. Bis 1986 wurden z.B.
bei über 4.000 Produktkategorien Tarifraten von bis zu 225% festgesetzt. Die Investitionen
wurden seit 1976 mittels einer Prioritätenliste, DSP 107 , von der nationalen
Investitionskontrollbehörde, BKPM 108 , in die vorgesehenen Industriebereiche dirigiert.
Der hohe Anteil ausländischen Kapitals von 70-80% an den äußerst kapitalintensiven
High-Tech-Projekten war auf eine Verlagerung ausländischen Kapitals aus
der Konsumgüterproduktion in die Herstellung von Zwischen- und Kapitalgütern
zurückzuführen.
1973 wurden nur 1,6 Mrd. US$ durch den Erdölexport erzielt, 1974 wuchs dieser
Wert auf 5,2 Mrd. US$ und 1980 auf 12,9 Mrd. US$ an, so dass die sonst chronisch
negative Leistungsbilanz 1980 einen Positivsaldo von 2,8 Mrd. US$ aufwies. Das
Verhältnis der staatlichen Einnahmen zum Bruttoinlandsprodukt erhöhte sich von
14,7% (1973) auf 24,4% (1981). Die Terms of Trade (1973 = 100) stiegen bis 1981
auf 311,4. 109 Die Revenuen, die dem Staat durch den Erdöl- und Erdgasverkauf zuflossen,
erlaubten immense öffentliche Investitionen vor allem in den Infrastrukturausbau,
aber auch in die Realisierung zahlreicher industrieller Großprojekte. Im Fünfjahresentwicklungsplan
Repelita III (1979/80-1984/85) war der langsame Aufbau der
Kapitalgüterindustrie (Exploration, Förderung und Verarbeitung von Erdöl und Erdgas;
Stahl-, Aluminium- und Stromerzeugung; Herstellung von Chemikalien, Pharmazeutika,
Papier, Zement etc.; Förderung staatlicher Betriebe in den strategisch
bedeutsamen Industriebereichen Rüstung, Schiff- und Flugzeugbau) und eine Vertiefung
der Produktionsabläufe vorgesehen. Öffentliche Investitionen wanderten verstärkt
in industrielle Großprojekte, wie z.B. in das Stahlwerk von Krakatau, die Aluminiumschmelzhütte
von Asahan, das Olefinzentrum in Aceh, das Aromatenzentrum
in Plaju, die Erdölraffinerien in Cilacap, Balikpapan und Dumai, die Flüssiggasanlagen
in Banteng und Arun etc.
106 Thee 1987.
107 Daftar Skala Prioritas.
108 Badan Koordinasi Penanaman Modal.
109 Sundrum 1986, 44.

Wirtschaftspolitik seit 1965 111
Die neue Investitionsgesetzgebung bewirkte zwar einen Rückgang ausländischer
Investitionen, 110 aber im Zuge dieser durch hohe Tarife abgesicherten Importsubstitutionsindustrialisierung
gelang es, einheimische Unternehmer zu fördern und die
Produktion im verarbeitenden Sektor zu diversifizieren. Gleichzeitig wurde die
Landwirtschaft im Rahmen eines groß angelegten Bimas-Programms (Bimbingan
massal = Anleitung der Massen) durch den Einsatz von subventionierten Hochertragsreissorten,
Pestiziden und Düngemitteln sowie mit Hilfe neuer Anbau- und Ernteverfahren
modernisiert. 111 In den 70er Jahren wurden 20% des Entwicklungshaushalts für
diese Produktionssteigerung aufgewendet. Während Indonesien bis in die frühen 80er
Jahre hinein bis zu 2 Mio. Tonnen Reis jährlich importieren musste, konnte das Land
Mitte der 80er Jahre, nach jährlichen Wachstumsraten von 5,1% seit 1969 und einer
Produktionssteigerung von 12,3 Mio. Tonnen (1969) auf 25,9 Mio. Tonnen (1984),
die Reisselbstversorgung sicherstellen.
Der veränderte wirtschaftspolitische Kurs stärkte die Position einheimischer Unternehmen
im Handel, 112 in der Konsumgüterindustrie, in der Produktion von Zwischengütern
und beim Export von Edelhölzern. Seit dem Repelita II (1974-79) sollten nach
und nach die land- und forstwirtschaftlichen sowie die mineralischen Ressourcen im
eigenen Land veredelt und gleichzeitig eine den Rohstoffreichtum ausnutzende Kapitalgüterindustrie
aufgebaut werden, um verbreiterte und vertiefte Produktionsabläufe
zu schaffen. Allerdings wurden noch 1981 mit verarbeiteten Gütern (NE-Metalle,
verarbeitetes Holz, verarbeitetes Kautschuk etc.) nur 10,6% des Gesamtexportwertes
erzielt, und die Rohstoffveredelung trug zu über 70% zur Industrieausfuhr bei. 113
Bis Anfang der 80er Jahre waren Erdgas und besonders Erdöl die mit Abstand wichtigsten
Exportgüter, die 1981 allein 20,7 Mrd. US$ des Gesamtausfuhrvolumens von
25,5 Mrd. US$ ausmachten (Tab. 3-3). Erst nach dem Verfall der Energierohstoffpreise
begann die indonesische Regierung mit ihrer Reformpolitik.
110 1967-80 investierten ausländische Unternehmen 3,7 Mrd. US$ und einheimische 3,8 Mrd.
US$. Außerdem flossen - vornehmlich aus ausländischen Quellen - 6,7 Mrd. US$ in den Erdöl/Erdgas-(E/E-)
Sektor (Robison 1986, 199).
111 Bei einem der aufwendigsten Entwicklungsprojekte waren die Ergebnisse zwar alles in
allem recht positiv, aber inwieweit dafür die hohen staatlichen Subventionen, der von der Regierung
ausgeübte Zwang oder die gelungene Verwaltungsarbeit im Verein mit einer motivierten
bäuerlichen Bevölkerung verantwortlich waren, lässt sich schwer entscheiden. Ende der
60er Jahre begann die indonesische Regierung mit dem Bimas-Gotong-Royong-Programm,
gefolgt von einem ähnlichen Versuch 1973. Ab 1978 begann sich das Projekt auszuzahlen. Die
Erträge stiegen bis 1984 um 50%, und somit war erstmals die nationale Reisselbstversorgung
gesichert. Der Erfolg scheint auch darauf zurückzuführen zu sein, dass besonders die Mittel-
und Großbauern profitieren konnten und daher bereitwillig mit den Regierungsbeamten zusammenarbeiteten.
Die Regierung hatte mit der Nationalen Logistikbehörde Bulog, dem Indonesischen
Bauernverband HKTI und mit den Dorfgenossenschaften (KUD) ein geeignetes
Kontrollinstrumentarium geschaffen.
112 Nachdem schon 1970 ausländische Gesellschaften vom Importhandel ausgeschlossen worden
waren, verbot man ihnen 1977 zusätzlich, die von ihnen produzierten Güter selbständig auf
dem indonesischen Markt zu verkaufen.
113 Nasution 1991, 38f.

112 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Die Übergangsphase Anfang/Mitte der 80er Jahre
Die frühen und mittleren 80er Jahre waren eine Zeit des innen- und wirtschaftspolitischen
Übergangs. In dieser Phase wurde die Umstellung von einer hochgradig protektionistischen,
nationalistischen Strategie zu einer Politik der Öffnung und Deregulierung
eingeleitet. 114 Es zeichneten sich zwar die ersten Fronten innerhalb der Regimekoalition
ab, aber insgesamt wurde in dieser Zeit das Herrschaftssystem Neue Ordnung
so perfektioniert, dass Anfang der 80er Jahre die Opposition in Indonesien so
schwach wie zu keinem anderen Zeitpunkt während der Orba-Herrschaft war.
Lediglich die Ausschreitungen in Tanjung Priok (1984) ließen etwas von der untergründig
vorhandenen Unzufriedenheit erahnen. Die Unruhen im Hafenviertel von
Jakarta waren eine Folge der wirtschaftlichen Krise jener Jahre, aber auch ein Ausdruck
islamischen Widerstandes gegen die neuen azas tunggal-Gesetze, mit denen die
Kontrolle über sämtliche Massenorganisationen wesentlich erhöht wurde.
In den Jahren 1982-86 reagierte die indonesische Regierung zunächst ambivalent auf
die hohen Leistungsbilanzdefizite der Jahre 1982 (5,5 Mrd. US$) und 1983 (6,4 Mrd.
US$) sowie die geringen BSP-Wachstumsraten in diesen Jahren (0,0% bzw. 0,3%)
(vgl. Tabelle 3-2). Im November 1982 versuchte sie, durch eine verschärfte Kontrolle
der Importe das Defizit zu bekämpfen. Für die Einfuhr zahlreicher Produkte (Eisen-
und Stahlerzeugnisse, Plastikgüter, Chemikalien, Textilien, Pharmazeutika, Weizenmehl,
Milch und Milchprodukte, Sojabohnen, Gewürznelken, Zucker etc.) bestimmte
sie einzelne, oftmals staatliche Handelsunternehmen, die als Alleinimporteure fungierten.
115 Damit sollten die Verhandlungsposition gegenüber ausländischen Anbietern
verstärkt, die Zahl der Importeure begrenzt und der Einfuhrumfang eingeschränkt
werden. Schon vorher hatte es Monopolimporteure (z.B. die staatliche Erdölgesellschaft
Pertamina und die den Handel mit landwirtschaftlichen Produkten, insbesondere
Reis, kontrollierende nationale Logistikbehörde Bulog) und Einfuhrverbote (z.B.
für vollständig gefertigte Kraftfahrzeuge) gegeben, aber viele Erzeugnisse konnten
unbegrenzt von mehreren Unternehmern eingeführt werden. Die restriktive Außenhandelspolitik
hatte letztlich zur Folge, dass sich die Inputs für die heimische Industrie
verteuerten, da die monopolistischen Anbieter die Marktsituation ausnutzten. 116
Der Importumfang reduzierte sich u.a. infolge dieser Maßnahmen von 16,9 Mrd. US$
(1982) auf 10,3 Mrd. US$ (1985), so dass das Leistungsbilanzdefizit 1985 nur noch
2,0 Mrd. US$ betrug.
114 Die Plaza-Vereinbarung vom September 1985 führte zu einer starken Yen-Abwertung, zu
Abwertungen in Südkorea und Taiwan und zur Verlagerung exportintensiver Industriebereiche
in Billiglohnländer. Der wirtschaftspolitische Wechsel dürfte auch eine Folge des mittlerweile
erkennbaren Erfolgs der NICs, also der "Tigerstaaten" Südkorea, Taiwan, Singapur und Hongkong
gewesen sein.
115 Booth 1992, 25f.
116 Bei der Einfuhr von Polyäthylen lag 1986 der Gebührenanteil bei einem Preis von 500 US$/t
bei 21%. Die Weltbank schätzte im gleichen Jahr, dass die Stahlpreise 25-45% über dem
Weltmarktniveau angesiedelt seien (Bresnan 1993, 248ff).

Wirtschaftspolitik seit 1965 113
Tabelle 3-1: Exporte und Importe (1972-1986) in Mrd. US $ (ausgewählte Jahre)
Exporte Importe Exporte ohne E/E E/E-Exporte
1972 1,8 1,6 0,9 0,9
1974 7,4 3,8 2,2 5,2
1976 8,5 5,7 2,5 6,0
1978 11,6 6,7 4,2 7,4
1980 24,0 10,8 6,2 17,8
1982 22,3 16,9 3,9 18,4
1984 21,9 13,9 5,9 16,0
1986 14,8 10,7 6,5 8,3
Quelle: Biro Pusat Statistik 1997c.
Um die Einnahmenverluste im E/E-Geschäft besser kompensieren zu können, verabschiedete
das indonesische Parlament mehrere Steuergesetze, die zwischen Januar
1984 und Januar 1986 in Kraft traten. Durch eine Vereinfachung und Systematisierung
des Steuererhebungsverfahrens und eine Ausweitung der zu besteuernden Einkommen
und Güter wurden die Einnahmen beträchtlich erhöht. 117 Die Haushaltskrise
war mit diesen Maßnahmen allein aber nicht zu bekämpfen, zumal die Steuerreformen
erst mittelfristig wirksam werden konnten. Da die Rupiah wegen der hohen Erdölpreise
faktisch überbewertet war, entschloss sich die indonesische Regierung 1983
zu einer 28%igen und 1986 zu einer 31%igen Abwertung gegenüber dem US$. 118
Damit schuf sie eine Grundvoraussetzung für die Exporterfolge im Nicht-
Erdöl/Erdgas-(NE/E-)Sektor seit Mitte der 80er Jahre.
Die staatlichen Gewinneinbußen konnten nur mit Hilfe einer restriktiven Haushaltspolitik
ausgeglichen werden. Obwohl sich in den 80er Jahren das Verhältnis der Regierungsausgaben
zum Bruttoinlandsprodukt nicht wesentlich veränderte, ließ sich ein
signifikanter Wandel in der Zusammensetzung dieser Ausgaben konstatieren. 119 So
betrug der Anteil des Schuldendienstes im Haushaltsjahr 1981/82 nur 7%, kletterte
aber bis 1989/90 auf 31,3%. Dafür mussten Einsparungen bei Routineausgaben (etwa
bei den Gehältern der im öffentlichen Dienst Beschäftigten) 120 und bei Entwicklungsausgaben,
121 also bei Investitionen in Großprojekte, bei verschiedenen Subventionsleistungen
(etwa für Düngemittel, Pestizide und Brennstoffe) 122 oder bei der Unter-
117 Asher/Booth 1992, 42ff; Cremer 1989, 102ff.
118 Zu den Wechselkursen siehe Tabelle 5-1.
119 Asher/Booth 1992, 57ff.
120 Cremer schätzt (1989, 99), dass die Gehälter von 1985/86 bis 1988/89 real um etwa 30%
sanken. Hinzu kommt, dass die Kürzungen bei den Entwicklungsausgaben die zusätzlichen
Einnahmemöglichkeiten für Beamte begrenzten.
121 Der indonesische Haushalt ist in nicht immer nachvollziehbarer Form in einen Routine- und
einen Entwicklungsausgabenplan aufgeteilt. Damit soll ausgedrückt werden, dass die Regierungsgelder
entweder für den Erhalt schon vorhandener Kapazitäten oder für deren Ausbau
verwendet werden.
122 Die staatlich geregelte Verbilligung von Kerosin, das in vielen Haushalten als Brennstoff
dient und für das 1981/82 noch 2,4 Mrd. US$ im Haushaltsplan veranschlagt worden waren, ist
in den folgenden Jahren immer weiter eingeschränkt worden.

114 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
stützung regionaler Entwicklungsprogramme vorgenommen werden. Die öffentlichen
Investitionen, die 1974-78 um jährlich mehr als 10%, 1979-81 um jährlich durchschnittlich
14,8% und 1982 sogar um 18% gewachsen waren, stiegen in den Jahren
1986-88 jährlich durchschnittlich nur um 4,4%. Erst 1989 erhöhten sich die Wachstumsraten
wieder. 123
Der einzige Bereich, in dem es zu einer etwas deutlicheren Deregulierung in dieser
Phase kam, war der Bankensektor. Bei der - i.d.R. staatlichen - Kreditvergabe waren
oftmals politische Beziehungen wichtiger als die ökonomische Effizienz. Mit den
1983 einsetzenden Reformen im Finanzsektor sollten die unproduktiven Fehlallokationen
beseitigt werden. 124 Dazu sollten die privaten Kreditinstitute den Wettbewerbsdruck
auf die staatlichen Banken erhöhen. Im Juni 1983 kam es zu ersten, noch
vorsichtigen Maßnahmen, mit dem Ziel, durch die Beseitigung von Kreditobergrenzen
und von Begünstigungen bei der Kreditvergabe die Zinssätze stärker durch die
Kräfte des Marktes zu regulieren. Infolge dieser Reformen waren die privaten einheimischen
Banken stärker im Kreditgeschäft vertreten und vergaben über ein Viertel
der Kredite (1982: 12,3%; 1988: 26,4%).
Die geschilderten Maßnahmen zielten - mit Ausnahme des Finanzmarktes - nicht auf
eine Deregulierung des Binnenmarktes, sondern auf eine verstärkte Kontrolle des
Importsektors und eine Konsolidierung des Staatshaushaltes. Die Öffnung des indonesischen
Marktes begann erst Mitte der 80er Jahre.
Tabelle 3-2: Indonesiens Ökonomie: Allgemeiner Überblick (1968-1986)
1968 1970 1972 1974 1976 1978 1980 1982 1984 1986
Reales BIP-Wachstum (%) 10,9 7,6 9,4 7,6 6,9 6,9 8,5 0,0 6,7 5,9
Inflationsrate (%) 84,8 12,3 6,4 40,6 4,8 8,1 18,5 9,5 10,5 9,1
Terms of Trade (1980 = 100) 28,3 32,6 28,9 69,1 70,6 66,9 100 101,9 97,4 69,7
Wechselkurs (Rp./US$) 326 378 415 415 415 625 627 692 1074 1641
Reg.-Einnahmen/BIP (%) 7,2 10,8 13,7 16,7 19,1 19,1 22,9 20,8 20,0 20,2
E/E-Steuereinnahmen/BIP (%) 0,0 3,0 5,1 8,9 10,6 10,2 15,4 13,1 12,0 6,6
Auslandsschulden (Mrd. US$) 2,7 2,9 5,1 9,2 14,6 19,0 22,5 32,2 36,6 49,9
Schuldendienst (Mrd. US$) 0,05 0,08 0,13 0,3 0,8 2,1 1,8 2,2 3,3 4,4
Leistungsbilanz (Mrd. US$) -0,2 -0,3 -0,3 0,6 -0,9 -1,4 2,8 -5,5 -2,0 -4,1
Quelle: Booth 1992, 138ff.
123 Pangestu 1993, 257. Von 1983/84 bis 1988/89 (Repelita 4) sanken die Ausgaben insbesondere
in den Ressorts Industrie (-12,9%), Bergbau- und Energie (-9,8%), Transmigration (-
41,8%) und Umwelt (-25,2%) (Asher/Booth 1992, 59f).
124 1968 verfügten die staatlichen Banken über allein 73,7% der Einlagen und vergaben über
90% der inländischen Kredite, während die ausländischen Banken nur für 0,9% der Gesamtkreditsumme
verantwortlich waren. Bis 1982 änderte sich an dieser Konstellation wenig
(Pangestu 1993, 267ff).

Wirtschaftspolitik seit 1965 115
Die Liberalisierung des Außenhandels und des Finanzsektors
seit 1985/86 und der Wechsel zwischen politischer Öffnung
und Repression bis zum Krisenjahr 1997/98
Mit der wirtschaftlichen Liberalisierung kehrte Indonesien z.T. wieder an den Anfang
zurück. Nur wurden diesmal Prozesse in Gang gesetzt, die das System langsam aushöhlten.
Die Deregulierung und die Zulassung des internationalen Wettbewerbsdrucks
gingen einher mit zunehmenden Forderungen nach einer politischen Liberalisierung.
Die exportorientierte Industrialisierung und der beschleunigte wirtschaftliche Wandel
ließen die Industriearbeiterschaft und die Mittelklasse aus Beamten, Professionals und
mittleren Unternehmern anschwellen. Diese Kombination aus Deregulierung, politischer
Lockerung, Liberalisierungsdruck von außen und der Stärkung oppositioneller
Gruppen führten dazu, dass das Thema der Demokratisierung in Indonesien von Jahr
zu Jahr mehr in den Vordergrund rückte.
Die Erdölexporte gingen von 16,0 Mrd. US$ (1984) auf 8,3 Mrd. US$ (1986) zurück.
Dadurch stieg das Leistungsbilanzdefizit 1986 wieder auf 4,1 Mrd. US$ an. Die veränderten
ökonomischen Rahmenbedingungen zwangen die indonesische Regierung zu
umfassenden Reformen. Der Verfall der Energierohstoffpreise war eine Chance für
die indonesische Regierung, die Exportindustrien anzukurbeln. Zuvor waren verschiedene
Exportsektoren vom Dutch-Disease-Effekt betroffen gewesen. 125 Das heißt,
die hohen E/E-Einnahmen hatten zu einer realen Aufwertung, zu Preisverzerrungen
und einer Benachteiligung der eigenen NE/E-Exportindustrien geführt.
Die protektionistische Politik der 70er und frühen 80er Jahre wich in der folgenden
Periode einer stärker exportorientierten und Privatinvestitionen fördernden Strategie.
Die Deregulierung im Außenhandel setzte zunächst im April 1985 ein, als die Regierung
die schweizerische SGS 126 beauftragte, die Zollformalitäten für Güter mit einem
Wert über 5.000 US$ zu erledigen. Dadurch wurden der Beamtenapparat verkleinert
und die administrative Willkür verringert. Im gleichen Jahr wurden die Zollsätze von
0-225% auf 0-60% und die Anzahl der Tarifstufen von 25 auf 11 reduziert. Eine
gleichzeitige Erhöhung anderer nichttarifärer Gebühren hob die damit erreichte Rationalisierung
jedoch wieder auf. 127 In den folgenden Jahren wurde das System tarifärer
und nichttarifärer Hemmnisse (NTH) immer weiter ausgehöhlt. Seit dem Mai
1986 konnten einheimische Exporteure, unter Umgehung der Importlizenzinhaber,
ihre Inputs zu Weltmarktpreisen erwerben. Unternehmen, die mehr als 85% der von
ihnen hergestellten Güter exportierten, durften sich die Zollgebühren rückerstatten
lassen. Bei diesem Verfahren wurden direkte Kontakte zwischen Beamten und Firmenvertretern
untersagt. Außerdem unterstützte die Regierung exportorientierte
Unternehmer durch die Bereitstellung günstiger Kredite der staatlichen Banken. Im
Oktober 1986 sowie im Januar und Dezember 1987 hob sie für 325 von 1.500 Güterkategorien
NTH auf und lockerte sie für weitere 223. Zwar schuf sie stattdessen neue
reguläre Tarife (z.B. für einige Chemikalien, Reifen, Röhren etc.), sorgte aber insge-
125 Vgl. Laber 1995, 4ff.
126 Société Générale de Surveillance.
127 Pangestu 1989, 226.

116 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
samt für ein durchsichtigeres und berechenbareres Tarifsystem. 128 Danach hob sie mit
weiteren Reformpaketen NTH auf, senkte die meisten Einfuhrzölle und belebte seit
1988 die Investitionstätigkeit ausländischer Unternehmen. Nach einer stufenweise
durchgeführten Liberalisierung 129 durften diese seit dem Juni 1994 gemäß der Präsidentenverordnung
PP 20/94 in ganz Indonesien und ohne Mindestkapitaleinlagen
investieren und die Alleinverfügung über ihr Unternehmen auch langfristig behalten.
Bei Joint Ventures konnten sie 95% der Anteile halten, und sie konnten nun auch in
"strategisch wichtigen" Sektoren (Reedereien, Kraftwerke, Telekommunikation, Verkehrs-
und Transportwesen, Wasserversorgung) investieren. 130
Seit Anfang der 90er Jahre wurde der Deregulierungsprozess durch die Vorstöße
regionaler Organisationen beschleunigt. Die ASEAN einigte sich im Januar 1992 in
Singapur auf die Schaffung der Freihandelszone AFTA (ASEAN Free Trade Area).
Beginnend im Januar 1993, sollte im Laufe von 20 Jahren eine Verminderung der
Zölle im Handel der ASEAN-Staaten untereinander auf 0-5% erreicht werden. 131 Die
AFTA-Regelungen dürfte die Asia Pacific Economic Cooperation (APEC) beflügelt
haben. Sie verabschiedete im November 1994 die Bogor-Deklaration. Darin verpflichteten
sich die Signatarstaaten zur Schaffung einer Freihandelszone bis zum Jahr
2010 (gültig für Industrieländer) bzw. 2020 (gültig für Entwicklungsländer). Ein
Grund für die indonesische Förderung des Freihandels in der Region war die zunehmende
Konkurrenz um Auslandsinvestitionen mit anderen asiatischen Ländern.
Das BSP schrumpfte 1982 (-0,3%), wuchs dann aber im Jahresdurchschnitt 1984-85
um 4,6%, 1986-88 um 5,5% und 1989-91 um 7,0%. 132 1984 wurde wegen der allgemein
ungünstigen Wirtschaftslage und der neuen Steuergesetze insgesamt wenig
investiert. Durch die Reformpakete seit dem Mai 1986 veränderte sich das Investitionsklima
entscheidend. 133 Bis zum März 1997 (seit Verabschiedung des Gesetzes
über ausländische Investitionen von 1967) genehmigten die Behörden ausländischen
Unternehmen Investitionen im Umfang von 177 Mrd. US$. Allein auf die Jahre seit
1994 entfiel ein Investitionswert von über 90 Mrd. US$ (siehe Tabelle 3-5).
Aufgrund des durchsichtigeren und kostengünstigeren Tarifsystems und der gestiegenen
Investitionen hatte sich der Ausfuhrumfang seit 1986 sehr stark erhöht (Tabelle 3-
2 und 3-3). 134 1996 wurden NE/E-Produkte im Wert von über 38 Mrd. US$ exportiert,
128
Sjahrir 1990, 123.
129
Seit dem November 1988 waren auch im Großhandel Joint Ventures möglich, und seit 1989
war es ausländischen Unternehmern erlaubt, in Exportzonen wie Jakarta und auf der Insel
Batam Betriebe ohne indonesische Beteiligung zu gründen. Durch den Präsidentenerlass Nr.
17/1992 wurde diese Bestimmung auch außerhalb der Exportzonen gültig. Die Voraussetzung
dafür war eine Mindestkapitaleinlage von 50 Mio. US$ und eine 20%ige indonesische Beteiligung
nach 20 Jahren.
130
FEER 16.6.1994.
131
Vgl. Pangestu 1995.
132
Pangestu 1993, 257.
133
Soesastro 1993.
134
Die NE/E-Exporte stiegen um 10,4% (1984-85), 14,5% (1986-88) bzw. 13,5% (1989-91) an,
die NE/E-Importe, die 1979-82 noch um 14% gewachsen waren und die Leistungsbilanz stark

Wirtschaftspolitik seit 1965 117
während die E/E-Exporte nur einen Wert von 11,7 Mrd. US$ erreichten. Den auffälligsten
Wandel gab es beim Export verarbeiteter Produkte. Schon 1990 betrug der
Anteil verarbeiteter Güter am Gesamtausfuhrvolumen bereits 46,3%. 135
Die Reformpolitik führte also zu einer Diversifizierung der Ausfuhrgüterpalette (Textilien,
Schuhe, Holzprodukte, Elektrogeräte, Papier, Düngemittel, Chemikalien, Nahrungsmittel
etc.) und zu einer deutlichen Expansion des NE/E-Bereiches. In dieser
Branche existierten neben kapitalintensiven Prozessen der Rohstoffverarbeitung inzwischen
anspruchsvollere, z.T. recht arbeitsintensive Herstellungsverfahren.
Tabelle 3-3: Exporte und Importe (1986-1997) in Mrd. US $ (ausgewählte Jahre)
Exporte Importe E/E-Exporte
1986 14,8 10,7 8,3
1988 19,2 13,2 7,7
1990 25,7 21,8 11,1
1992 34,0 27,3 10,7
1994 40,1 32,0 9,7
1996 49,8 42,9 11,7
1997 53,4 41,7 11,6
Quelle: Badan Pusat Statistik 2000.
Im Oktober 1988 wurden die Neugründung von Banken und deren Zweigstellen vereinfacht
und die Deregulierungspolitik im Finanzsektor wesentlich forciert. Mit dem
Bankengesetz vom Februar 1992 wurden staatliche Banken zu GmbHs erklärt, die
auch ausländische Beteiligungen zuließen, nicht mehr sektoral spezialisiert waren und
sich an den Managementmethoden privater Kreditinstitute orientierten. Viele vergünstigte
Kredite, die vor allem Unternehmern mit guten Kontakten zur politischadministrativen
Elite zugute kamen, wurden abgeschafft. 136 Vom Dezember 1988 bis
zum September 1992 verdoppelte sich dabei die Anzahl der indonesischen Privatbanken
(von 66 auf 139); die Anzahl der Banken in ausländischem Besitz verdreifachte
sich fast (von 11 auf 30). 137 1995/96 gab es 240 Banken mit über 6.200 Zweigstellen.
In diesem Zeitraum konnten insbesondere die Spareinlagen erhöht werden, und das
Gesamteinlagenvolumen verdreifachte sich in dieser Phase nominal fast. 138
belastet hatten, sanken zunächst rapide (1984-85 um 11,8%), stagnierten 1986-89 (-0,2%) und
stiegen dann 1989-91 um 17% (Pangestu 1993, 257).
135 Nasution 1991, 38f. Davon entfielen auf verarbeitetes Holz (größtenteils Sperrholz) 13,0%,
NE-Metalle nur noch 3,9% (Zinn, Aluminium, Nickel), Textilien und Bekleidung 11,4% sowie
verarbeitetes Kautschuk 3,5%.
136 Hill 1992, 18f.
137 Von den 4407 Zweigstellen (September 1992) gehörten 1058 den Staatsbanken (1988: 852)
und 2869 den einheimischen Privatbanken (1988: 593), wohingegen die ausländischen Kreditinstitute
nur insgesamt 56 Zweigstellen besaßen (1988: 21) (McLeod 1993, 27ff).
138 MacIntyre/Sjahrir 1993, 7.

118 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Gleichzeitig wurde der Markt für Wertpapiere aktiviert 139 Bis 1988 waren an der
Aktienbörse in Jakarta nur 24 Gesellschaften vertreten, und das Handelsvolumen lag
bei lediglich 153 Mrd. Rp. Durch die Zulassung ausländischer Unternehmen, die bis
zu 49% der Aktien von allen Gesellschaften außer Banken halten durften, und mit der
Einführung einer Quellensteuer für Zinseinkünfte aus Spar- und Termineinlagen belebte
sich der Handel. Zusätzlich gab es Bemühungen, z.B. mit der Privatisierung der
Börse im Dezember 1989, das Geschäft zu professionalisieren. Der Gesamtwert der
ausgegebenen Aktien stieg Anfang 1993 auf über 10 Bio. Rp., und die Zahl der an der
Börse vertretenen Aktiengesellschaften erhöhte sich von 24 (1988) auf 158. 1997
waren 282 Unternehmen mit einem Aktienwert von über 121 Bio. Rp. vertreten.
Wesentlich einschneidender waren aber die durch die neue Steuerpolitik in den Jahren
1984-86 bedingten Veränderungen in der Zusammensetzung der Staatseinnahmen
(Tabelle 3-4). 140 1995/96 wurden Einkünfte im Umfang von 82,7 Bio. Rp. (ca. 40
Mrd. US$) erzielt, wobei allein 20,5 Bio. Rp. durch die Einkommensteuer und 18,4
Bio. Rp. durch die Mehrwertsteuer eingenommen wurden. Das bedeutete, dass der
Anstieg der steuerlichen Einkünfte seit 1984 die Verluste im Energierohstoffbereich
größtenteils kompensieren konnte. Die Einkommens- und die Mehrwertsteuer, die
1984/85 zusammen 5,6% (1,1 Bio. Rp.) der Revenuen erbrachten, trugen zuletzt fast
zur Hälfte zur Finanzierung des Staatshaushaltes bei.
Das Verhältnis der E/E-Routineeinnahmen zu den NE/E-Routineeinnahmen (also
Steuereinnahmen) betrug 1969/70 etwa 1:3, 1974/75 etwa 1:1, 1979/80 und 1984/85
etwa 2:1, 1995/96 etwa 1:4. Insgesamt war das die Entwicklung eines anfänglich weit
unterentwickelten Landes mit geringen Einnahmen und einer großen Abhängigkeit
von ausländischen Krediten zu einem von solchen Krediten weniger abhängigen
Staat, der zunächst den übergroßen Teil der Einnahmen mit Erdöl und Erdgas erwirtschaftete
und zuletzt die meisten Einkünfte durch die Besteuerung erzielte.
Indonesien war also lange ein Rentierstaat, der von den hohen Erdöleinkünften leben
konnte, ohne auf seine Steuerzahler Rücksicht nehmen zu müssen. Nach Pawelka sind
Rentierstaaten solche,
"[...] die regelmäßig in sehr hohem Umfang externe Renten oder Renten-Äquivalente beziehen
und deren Verhalten als Funktion der Struktur dieser besonderen Staatsrevenuen und des mit
diesem Einkommen betriebenen Politik-Managements nach innen begriffen werden kann.
Renten und Renten-Äquivalente sind Einkommen, die von außen einfließen und denen keine
entsprechende gesellschaftliche Investitions- oder Arbeitsleistung gegen-übersteht, so dass sie
der politischen Führung zur freien (politischen) Disposition stehen." 141
Mitte der 90er Jahre machten diese Einnahmen jedoch nur noch ein Fünftel der Gesamteinnahmen
aus. Und nach der Devise "no taxation without representation" forderten
die Steuerzahler ein größeres Mitspracherecht ein. Ein Machtzuwachs der Steuerzahler
ließ sich vermuten, wenn auch kaum konstatieren.
139 McLeod 1993, 30f.
140 Zu Veränderungen bei der Steuereintreibung: Muir 1991, 23ff; Kelly 1993.
141 Pawelka 1991, 110f.

Wirtschaftspolitik seit 1965 119
Tabelle 3-4: Einnahmen der Zentralregierung in Billionen Rp. in den Jahren 1969/70 bis
1995/96 (1969/70 in Mrd. Rp.)
1969/70 1974/75 1979/80 1984/85 1989/90 1992/93 1995/96
Routineeinnahmen 244 1,8 6,7 15,9 28,7 48,9 71,6
Erdöl und -gas 66 1,0 4,3 10,4 11,3 15,3 14,8
Nicht-Erdöl/Erdgas-
Einnahmen
178 0,8 2,4 5,5 17,5 33,5 56,7
Einkommenssteuer 43 0,2 0,1 0,5 5,5 12,5 20,5
Mehrwert- und Luxussteuer 31 0,2 0,2 0,6 5,8 10,7 18,4
Einfuhrsteuer 58 0,2 0,3 0,5 1,6 3,2 3,2
Zollgebühren 32 0,1 0,3 0,9 1,5 2,2 3,7
Ausfuhrsteuer 7 0,0 0,4 0,1 0,2 0,0 0,2
andere Steuern 4 0,0 0,1 0,1 0,3 0,3 0,5
Grund- und Gebäudesteuer*
0 0,0 0,1 0,2 0,6 1,1 1,9
Nicht-Steuer-Einnahmen 3 0,1 0,2 0,7 2,1 3,4 7,8
andere Erdöleinnahmen - - - - - - 0,5
Entwicklungseinnahmen** 91 0,2 1,4 3,5 9,4 11,1 11,2
Programmhilfen 66 0,0 0,1 0,1 1,0 0,5 -
Projekthilfen 25 0,2 1,3 3,4 8,4 10,6 11,2
Gesamt 335 2,0 8,1 19,4 38,2 60,0 82,8
Quelle: Statistik Indonesia, verschiedene Jahrgänge.
*Seit 1986 Ipeda ersetzt durch Grund- und Gebäudesteuer
**Entwicklungseinnahmen = Auslandshilfe
Indonesien in der Asienkrise (1997/98)
Noch Anfang des Jahres 1997 war die Regimekoalition recht stabil, und das hohe
wirtschaftliche Wachstum schien ungefährdet zu sein. Dann begann das Krisenjahr
der Neuen Ordnung: die ökologische Katastrophe mit monatelangen, unkontrollierbaren
Waldbränden, die sich auf die gesamte Region auswirkten, die ebenfalls monatelange
Dürre, die zu erheblichen Ernteeinbußen führte, und vor allem die finanzielle
und wirtschaftliche Katastrophe, die zu einer nicht für möglich gehaltenen Abwertung
der Rupiah und zu Kurseinbrüchen an der Börse führte. Anfang 1998 schlug die Finanzkrise
immer stärker mit Firmenzusammenbrüchen und Massenentlassungen auf
den realen Sektor durch. Erstmals zeigte sich, dass die neopatrimoniale, nepotistische
Wirtschaft auf schwachen Beinen stand und dass die autoritäre Herrschaft nicht - wie
bis dahin von vielen Technokraten behauptet - ohne weiteres wirtschaftliches Wachstum
garantierte, sondern aufgrund der allgegenwärtigen Rechtsunsicherheit, Intransparenz
und Korruption den wirtschaftlichen Fortschritt gerade zunichte machte. Unter
Suharto kam es immer mehr zu einem Reformstau und einem Anwachsen nicht kanalisierbaren
Widerstands, der sich letztlich in Form einer Wirtschaftskrise und von
Studentenprotesten, begleitet von spontanen Massenaufständen, entlud. Damit war die
kritische Phase der Transition eingeleitet (vgl. dazu Kap. 5).

120 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Kritik an der Wirtschaftspolitik
Insgesamt war für die Entwicklungspolitik der indonesischen Regierung ein dauerndes
wirtschaftspolitisches Schwanken zu konstatieren. Häufig gab es Spannungen
zwischen technokratisch-wirtschaftsliberal, nationalistisch-protektionistisch und lediglich
an schnellen Profiten orientierten Gruppierungen (vgl. Abschnitt 3.6). Trotz
einer Vielzahl von Kontrollbehörden und Planungsämtern kam es nie zu einer mit den
NICs Südkorea und Taiwan vergleichbaren Errichtung einer rational planenden, bürokratisch-autoritären
Entwicklungsdiktatur. In Südkorea gab es einen staatlich gelenkten
Kapitalismus, wobei der Staat - weitgehend unabhängig von Partikularinteressen
- mit konkreten Entwicklungsplänen ein System von Anreizen einsetzte, um
Importsubstitutions- und exportorientierte Strategien so zu verknüpfen, dass im Sinne
eines "managed trade" zum einen komparative Kostenvorteile im Exportsektor ausgenutzt
wurden, zum anderen frühzeitige Spezialisierungen den Aufbau einer Kapitalgüterindustrie
begünstigten. 142 In Indonesien war die Beziehung zwischen dem Staat und
den privaten Unternehmern nicht so komplex reguliert und die Wirtschaftspolitik
nicht auf derartig langfristige Ziele ausgerichtet. Die Entwicklungspläne waren eher
unverbindlich formuliert, die großen Konglomerate glichen oftmals eher Familienbetrieben,
die unter Ausnutzung ihrer guten Kontakte möglichst schnell Gewinne erzielen
wollten. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung waren noch recht dürftig,
außerdem fehlten Facharbeiter und Ingenieure. Die Exportbetriebe wiesen kaum Verknüpfungen
mit vor- und nachgelagerten Betrieben auf, da sie entweder die meisten
Inputs importierten oder natürliche Ressourcen verarbeiteten. 143
Die offiziellen Statistiken wiesen Indonesien - bis zur Asienkrise - als ein "Tigerland"
aus. Der Blick auf die wichtigsten Kennziffern (Handelsbilanz, Pro-Kopf-
Einkommen, Zusammensetzung der Exporte etc.) schien zu bestätigen, dass die Wirtschaftspolitik
der Neuen Ordnung - insbesondere die verstärkte Deregulierung seit
den frühen 80er Jahren - erfolgreich gewesen war. Die Regierung reklamierte für sich
bis 1997 auch einige bedeutende Erfolge in der Armutsbekämpfung, der Familienplanungspolitik
und bei der Entwicklung der Landwirtschaft. Nach Berechnungen des
Statistikamtes fiel die Anzahl der in Armut Lebenden von 54,2 Mio. im Jahre 1976
(48,1% der Bevölkerung) auf 27,2 Mio. im Jahre 1990 (15,1% der Bevölkerung). 144
Die Regierung konnte zudem auf zahlreiche andere positive Entwicklungen verweisen,
etwa auf den kontinuierlichen Anstieg des Pro-Kopf-Einkommens, auf das sin-
142 Messner 1994; Bürklin 1994.
143 Vgl. Hanisch 1994.
144 Booth 1993, 65. Bezieht man, wie Hendra Esmara, in die Statistiken außer der Versorgung
mit Grundnahrungsmitteln noch andere Indikatoren ein (Wohngelegenheiten, Gesundheitsversorgung,
Bildungsmöglichkeiten etc.), dann fallen die Werte zwar anders aus (1970-87 von
47,4% auf 34,4%), dennoch bleibt es bei einem Rückgang der Armutsziffern. Schon kleine
Veränderungen bei der Festsetzung der Armutsgrenze führen allerdings zu gewaltigen Verschiebungen.
Als die Weltbank in einem Bericht im Jahre 1989 zu anderen Zahlen als die indonesische
Regierung kam und diese daraufhin protestierte, wurden die Weltbankzahlen denen
des Statistikamtes ohne weitere Erläuterung "angepasst" (Winters 1999, 14f).

Wirtschaftspolitik seit 1965 121
kende Bevölkerungswachstum trotz sinkender Kindersterblichkeit, die gestiegene
Lebenserwartung, die verbesserte medizinische Versorgung usw. Der zweite langfristige
Entwicklungsplan sah daher weiterhin ein hohes jährliches BIP-Wachstum, den
Ausbau der industriellen Basis und eine Verbesserung sämtlicher Indikatoren der
sozialen und ökonomischen Entwicklung vor. Indonesien sah sich noch 1997 auf der
Schwelle zu einer breitenwirksamen Industrialisierung. Und besonders die Angehörigen
der Regimekoalition waren zu dieser Zeit noch sehr optimistisch. 145
Aber das regierungsamtliche Bild der indonesischen Wirtschaft war verzerrt. Es gab
weiterhin die in der kolonialen Phase entstandene Diskrepanz in der Beziehung zwischen
einem kapitalintensiven und hoch technisierten und einem arbeitsintensiven
Sektor. Diese Aufspaltung kennzeichnete auch den Gegensatz zwischen Industrie und
Landwirtschaft, zwischen Stadt und Land sowie - mit Ausnahme einiger Enklaven -
zwischen Java und den Außeninseln.
Die Wirtschaftspolitik wurde daher immer wieder von Sozialwissenschaftlern, NGO-
Aktivisten und Studentenführern kritisiert. Viele Oppositionelle rekurrierten auf dependenztheoretische
Modelle (Adi Sasono, Sritua Arif, Arief Budiman u.a.) oder
bedienten sich geschickt des legitimen Pancasila-Diskurses (Mubyarto, Todung
Mulya Lubis u.a.), etwa indem sie auf das in der Verfassung verankerte "Familienprinzip"
verwiesen. 146 Sie stießen sich an der eklatanten sozialen Ungleichheit und an
der unausgewogenen Entwicklung. Die meisten Ressourcen wurden von der Oberklasse
in Jakarta ausgebeutet. Selbst rohstoffreiche Regionen auf den Außeninseln -
wie etwa Aceh - wurden wegen dieser Ausbeutung zu Armutsgebieten. Allein die
Provinzen Ostjava und Jakarta zogen 1967-92 53% der ausländischen Investitionen
außerhalb des E/E-Sektors an. 147 Diese Investitionen wanderten entweder in kapitalintensive
Hochtechnologiebereiche, die kaum Arbeitsplätze schufen, oder in ausgelagerte
Betriebe, z.B. in die Textil- und Bekleidungsindustrie, wo die komparativen
145 In einer sehr aufschlussreichen Weltbank-Studie (World Bank 1994), in der die Wirtschaftspolitik
grundsätzlich gelobt wurde, kamen die noch erforderlichen Reformen ausführlich zur
Sprache. Um bis zum Jahr 2000 ein Pro-Kopf-Einkommen von über 1.000 US$ und nach Ablauf
des zweiten langfristigen Entwicklungsplanes im Jahr 2019 ein Pro-Kopf-Einkommen von
über 2.000 US$ erreichen zu können, musste Indonesien ein BSP-Wachstum von jährlich 6-7%
schaffen. Dazu sollten - nach Ansicht der Weltbank - nichttarifäre und tarifäre Hemmnisse
reduziert, Subventionen abgebaut, Binnenhandelsmonopole abgeschafft, zusätzliche Anreize
für Investoren geschaffen, staatliche Betriebe entweder privatisiert oder zu Effizienzsteigerungen
angehalten und die Verwaltung dezentralisiert werden. Im Einzelnen wurden Vorschläge
zur Reform der Buchführung und Rechnungsprüfung, der Kreditgesetzgebung, des Vertragsrechts,
zur Ausbildung von Fachkräften und zur Deregulierung des Immobilienmarktes gemacht.
In der Studie wurde die Dringlichkeit der Armutsbekämpfung, einer aktiveren Umweltpolitik
und einer stärkeren Beteiligung der Bevölkerung bei der Planung und Durchführung von
Entwicklungsprojekten immer wieder hervorgehoben. Der Staat sollte sich um den Infrastrukturausbau
kümmern, sich ansonsten aber weitgehend zurückhalten. Das Habibie-Experiment
einer staatlichen Industriepolitik im High-Tech-Sektor wurde als technological leapfrogging
abgetan.
146 Siehe die Beiträge in: Chalmers/Hadiz (Hg.) (1997), Kap. 2, 5 und 8.
147 Raillon 1993, 165.

122 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Kostenvorteile Indonesiens genutzt wurden. Die Netzwerke von Politikern, Militärs,
Bürokraten und Unternehmern versuchten, in kürzester Zeit höchstmögliche Profite
zu erzielen. Deshalb kam es zu katastrophalen Umweltzerstörungen (bestes Beispiel
dafür waren die Waldbrände der letzten Jahre), zur Bildung riesiger Konglomerate
und zur Marginalisierung der urban poor und der landlosen Bauernbevölkerung (vgl.
Kap. 4).
Einflüsse auf die Demokratisierung
Wie aber wirkten sich all die beschriebenen Entwicklungen - insbesondere seit Mitte
der 80er Jahre - politisch aus? Welche Faktoren förderten eine Demokratisierung in
der Neuen Ordnung? In Abschnitt 1.1 wurden bereits einige Thesen zu diesem Fragenkomplex
formuliert. Ausgehend von der Beschreibung der ökonomischen Entwicklung
und der Wirtschaftspolitiken sollen an dieser Stelle einige zusätzliche Bemerkungen
eingefügt werden. Neben den tendenziell eine politische Liberalisierung
begünstigenden strukturellen Wandlungen (Erhöhung der sozialen und räumlichen
Mobilität, Ausbau des Bildungssystems, Komplexitätssteigerung in den Bereichen
Recht, Verwaltung, Politik und Wirtschaft) lassen sich einige weitere Strukturveränderungen
ausmachen, die die Stellung der Regimekoalition in Indonesien insgesamt
geschwächt haben:
- Es entstand eine zahlenmäßig mächtige Industriearbeiterschaft und eine, vor allem
in den Städten, bedeutende Mittelklasse. Während 1971 noch über 66% der Beschäftigten
in der Landwirtschaft arbeiteten, waren es 1995 nur noch 44%. Entsprechend
stieg der Anteil der Industriearbeiter und der im Dienstleistungsbereich Tätigen.
- Es gab einen deutlichen Trend zur Steigerung der Ausfuhr verarbeiteter Güter. Der
Anteil von - i.d.R. staatlich kontrollierten - Rohstoffen am Export sank demgegenüber.
- Seit Anfang/Mitte der 80er Jahre wurde die Steuerpolitik fundamental umgestellt, so
dass Indonesien zunehmend von seinen Steuerzahlern abhängig wurde und den Rentierstaatscharakter
langsam verlor.
Viele der strukturellen Wandlungen sind jedoch nicht eindeutig als Demokratie fördernd
oder Demokratie hemmend einzustufen. So entstanden durch die Förderpolitiken
und die Kooperation mit sinoindonesischen Geschäftsleuten mächtige, vor allem
sinoindonesische Konglomerate, die das Regime lange stabilisierten (dazu: Abschnitt
3.4). Die Militärs, Bürokraten und Politiker konnten sich aber nie vollkommen auf
ihre Geschäftspartner verlassen. Auf dem Höhepunkt der Asienkrise verließen dann
auch viele Sinoindonesier Hals über Kopf das Land und nahmen große Teile ihres
Vermögens mit.
Ebenso ambivalent ist die Haltung und die Stellung der ausländischen Investoren und
Kreditgeber einzuschätzen. Bis 1997 trugen sie zu dem wirtschaftlichen Boom in
Indonesien bei. Und wenn es um gute geschäftliche Beziehungen mit den Eliten der
Neuen Ordnung ging, wurden Menschenrechts- und Demokratisierungsfragen meist

Wirtschaftspolitik seit 1965 123
ausgeklammert. 148 Aber 1997/98 waren es gerade die Investoren und die CGI-Länder,
die umfassende wirtschaftliche und politische Reformen von der indonesischen Regierung
verlangten und damit die Demokratisierung förderten. Mit der Deregulierungspolitik
hatte sich die Regimekoalition immer mehr von ausländischen Akteuren,
die zuletzt Transparenz und Rechtssicherheit forderten, abhängig gemacht.
Die Machtsteigerung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen sagt also noch recht
wenig über deren Einfluss auf den Prozess der Demokratisierung aus. Erst die Figuration
dieser Gruppen in einem bestimmten geschichtlichen Augenblick bestimmt über
ihr jeweiliges Verhalten.
In den folgenden Kapiteln werden die jeweilige Zusammensetzung, die Machtressourcen,
die Interessen und die Strategien der wichtigsten strategischen Gruppen
analysiert.
148 Vgl. dazu: Winters 1999, 116ff. Winters spricht sogar von der "mostly negative role of
transnational capital in Indonesian democratization". Er kritisiert besonders amerikanische
Unternehmer sowie die Weltbank, die - aus seiner Sicht - die korruptiven Praktiken in Indonesien
gefördert haben.

124 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Schaubild 3-1: Die Entwicklung der Neuen Ordnung im Überblick
Ökonomische Entwicklung Politische Entwicklung Veränderungen in der
Regimekoalition
1965-74 Stabilisierungsphase; Verhandlungen
mit Weltbank und IWF;
Technokraten ("Berkeley-
Mafia") bestimmen weitgehend
die Wirtschafts- und Finanzpolitik;
Hauptziele: Bekämpfung der
Inflation, Anlehnung an den
Westen und Anziehung ausländischen
Kapitals.
1974-83 Ölboom-Jahre; nationalistische
Importsubstitutionspolitik;
stärkere Kontrolle ausländischer
Investitionen; Aufbau der Kapitalgüterindustrie.
1983-
Mitte/
Ende 80er
Jahre
Mitte/
Ende 80er
Jahre-1997
Von Ende
1997 bis
Mai 1998
Rupiah-Abwertungen; Importkontrollen;
Einsparungen; Steuergesetze;
Reformen im Bankensektor.
Sukzessive Liberalisierung des
Außenhandels, der Investitionsgesetze
und des Finanzmarktes;
die geringen Einnahmen aus dem
Erdölexport werden durch höhere
Steuereinnahmen und den Export
von NE/E-Gütern kompensiert.
Allmählicher Verfall der einheimischen
Währung; zunehmende
Handlungsunfähigkeit der
Regierung; Politik hängt weitgehend
von der Haltung des IWF
und der Weltbank ab; Massenentlassungen,
Missernte, hohe
Inflation; ein großer Teil der
Unternehmen ist bankrott.
Ausschaltung bzw. Vernichtung
der linken Opposition 1965-67;
trotzdem bis zu den Wahlen
1971 im Vergleich mit nachher
relativ große Offenheit; Presse
kann weitgehend frei berichten;
1973 "Vereinfachung" des
Parteiensystems.
1974 Malari-Vorfall; 1975
Pertamina-Skandal, Einführung
Pancasila-Kurse; 1978 "Normalisierung
des Campus-Lebens";
1980 Konflikt mit Petisi 50;
1982 Beginn der azas tunggal-
Politik.
1984 nach Tanjung-Priok-
Massaker Tiefpunkt der Beziehung
zw. Staat und politischem
Islam; 1985 azas tunggal-
Gesetze.
Keterbukaan-Politik seit Ende
der 80er; 1990 ICMI-Gründung;
Entstehung einer neuen Studentenbewegung,
transformistischer
NGOs und unabhängiger
Gewerkschaften und Parteien.
Suharto wird im März 1998
wiedergewählt; er zögert die
angemahnten Wirtschaftsreformen
hinaus; Entstehung einer
breiten Oppositionsfront.
Suhartos Stellung ist gefestigt;
Murtopo/Opsus-Gruppe und
Aspri sehr bedeutend, ebenfalls
die Technokraten; Kooperation
mit Sinoindonesiern beginnt;
Konflikt zwischen Murtopo-
Gruppe und Sumitro-Gruppe mit
der Malari-Affäre als Höhepunkt.
Bis 1978 muss Suharto noch
vorsichtig mit der Militärführung
umgehen, danach wird seine
Herrschaft zunehmend personalisiert;
weiterhin Murtopo/ Opsus/
CSIS-Gruppe einflussreich,
außerdem Sekneg-Gruppe um
Sudharmono; Bürokratie insgesamt
stärker.
B. Murdani löst Murtopo ab,
außerdem ist Sudharmono sehr
mächtig (Sekneg und Golkar);
Habibie gewinnt an Einfluss.
Konflikt zwischen Suharto und
Murdani; Habibie wird langsam
als Vizepräsident aufgebaut und
bekommt den ICMI-Vorsitz und
eine wichtige Position bei Golkar;
viele islamische Führer werden
kooptiert; Technokraten mit
Beginn der Liberalisierung wieder
wichtiger; Suharto stützt sich im
Militär auf Verwandte, ehemalige
Adjutanten und orthodoxe Muslime;
zu den Großunternehmern
zählen weit überwiegend
Sinoindonesier, aber auch einige
pribumi, darunter viele Sprösslinge
der Machtelite.
Die Regimekoalition zerfällt;
Habibie kann sich als Übergangskandidat
durchsetzen.

Suharto und seine Stellung 125
3.3 Suharto und seine Stellung in der Regimekoalition
Seine Machtübernahme
Die "Bewegung vom 30. September" (Gestapu = Gerakan September Tiga Puluh, in
Indonesien offiziell auch: G30S/PKI) stand am Ende der Gelenkten Demokratie, und
ihre Niederschlagung stand am Anfang der Neuen Ordnung. Zur "Gestapu" gehörten
Teile des Heeres und der Luftwaffe, Mitglieder von Pemuda Rakyat (der kommunistischen
Jugendorganisation), von Gerwani (der PKI-nahen Frauenorganisation) und von
Pemuda Marhaenis (der PNI-Jugendorganisation). 149 Obwohl die offizielle Interpretation
der Ereignisse - wonach die PKI ein kommunistisches Regime durchsetzen wollte
- gravierende Mängel aufwies, glaubten die meisten Indonesier noch 1998 an sie,
sehr oft sogar, ohne im mindesten an ihr zu zweifeln. Der häufig gebrauchte Ausdruck
"Putschversuch" unterstellte, dass die Entführung der Generäle von vornherein dem
149 Vgl. zum Folgenden: Sundhaussen 1982, 194ff. Die Putschisten verfügten über mehrere
Kampf-einheiten - u.a. zwei Bataillone, die sich wegen der Vorbereitungen zum Tag der Streitkräfte
in Jakarta befanden. Am frühen Morgen des 1. Oktober entführten mehrere Gruppen von
Soldaten und Pemuda-Rakyat-Mitgliedern führende Militärs. Ahmad Yani, der Stabschef des
Heeres und höchstrangige Soldat, GM Haryono und BG Panjaitan wurden, als sie Widerstand
leisteten, erschossen. GM Suprapto, GM Parman und BG Sutoyo wurden erst in Halim umgebracht.
Nasution konnte entkommen, seine fünfjährige Tochter allerdings wurde erschossen,
ebenso wie ein Polizist und der Adjutant Nasutions. Die beiden Bataillone besetzten den Präsidentenpalast,
die Rundfunkstation und das Postgebäude am Merdeka-Platz in Jakarta. Um 7.15
Uhr erklärte Untung im Rundfunk, dass die "Bewegung des 30. September", von ihm selbst
angeführt, einen CIA-unterstützten Putsch eines "Rates der Generäle" vereitelt habe. Die Bewegung
erklärte, sie wolle für die Sicherheit Sukarnos sorgen und die indonesische Revolution
fortführen. Sie richte sich gegen machtbesessene, im Luxus schwelgende hohe Offiziere. Suharto
gelang es, verschiedene Militäreinheiten auf seine Seite zu ziehen. So konnte er auf dem
Merdeka-Platz am Nachmittag des 1. Oktober die dort befindlichen Untung-Truppen dazu
überreden, sich ihm anzuschließen (Sundhaussen 1982, 208ff). Am frühen Morgen des 2. Oktober
nahmen die Suharto-Truppen - ohne auf großen Widerstand zu stoßen - den Luftwaffenstützpunkt
ein. Die Ereignisse gaben in der Folge Anlass zu Spekulationen. Heute lassen sich
mindestens fünf verschiedene Interpretationen des Putsch(versuch)es ausmachen (vgl. etwa
Landmann 1987, 116ff): a) Die PKI war der dalang der Gestapu, also die offizielle Interpretation
der Neuen Ordnung (z.B. Brackman (1970), und insbesondere die Weißbücher der Neuen
Ordnung); b) Sukarno war involviert, wenn nicht sogar der eigentliche Urheber (Dake 1974); c)
Es war im Wesentlichen eine ABRI-interne Auseinandersetzung (Cornell-paper: Anderson/McVey
1971); Untung selbst hatte in seiner Radio-Ansprache von einer internen Angelegenheit
gesprochen; die Untung-Gruppe, Diponegoro-Offiziere, die sehr stark vom mitteljavanischen
Wertekanon geprägt waren und sich gegen den Lebensstil der Jakartaer Oberklasse
wandten, wollte also wirklich ihre anfänglich propagierten Ziele "[...] a fantastic blend of
rightist ideological slogans, personal grudges, moralistic radicalism, and muddled obscurity"
(Anderson/McVey 1971, 27) erreichen; d) Suharto wusste von dem geplanten Coup und war
deshalb wahrscheinlich eine Schlüsselfigur (Wertheim 1995); e) Verschiedene Gruppen arbeiteten
in undurchsichtiger Weise und schlecht koordiniert zusammen, deshalb war der Putschversuch
so dilettantisch (vgl. zuletzt: Mackie/MacIntyre 1994, 10). In dieser Arbeit wird der
Version c) als der im Großen und Ganzen überzeugendsten gefolgt.

126 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Ziel diente, mehr als nur eine erzwungene Unterredung höherer Generäle auf dem
Flughafengelände in Halim zu erreichen. Außerdem unterstellte der Ausdruck, dass es
sich nicht um einen - gelungenen - Putsch der Suharto-Fraktion handelte.
Die Machtübernahme durch Suharto 150 erfolgte in mehreren Schritten. Zunächst
konnte er in der Krisensituation am 1./2. Oktober faktisch die Führung des Militärs
übernehmen und die "Gestapu" niederschlagen. Sukarno gab ihm mit dem Befehl,
"Ruhe und Ordnung" wiederherzustellen, freie Hand. Suharto richtete ein Militärkommando
ein (Kopkamtib), was die Struktur des Gewaltapparates erheblich veränderte.
Kopkamtib war verantwortlich für die "Säuberung" der Verwaltung; es konnte
den gesamten Militärapparat bis hinunter zu den Dörfern für sich nutzen, um "die
Autorität der Regierung wiederherzustellen".
Schon in der zweiten Oktoberhälfte begannen Gruppen von antikommunistischen
Jugendlichen in Ost- und Mitteljava mit Pogromen. Gleichzeitig zogen RPKAD 151 -
Einheiten, die z.T. die Jugendlichen ausbildeten, durch Mitteljava. Tausende von
Killergruppen richteten Menschen hin, die in irgendeiner Weise mit der PKI in Verbindung
gebracht wurden oder aus unterschiedlichen Gründen den Hass der Mordkommandos
auf sich gezogen hatten. Schon Anfang Dezember war die erste und
größte Welle der Gewalt vorüber, der Pogrom und die Verhaftungen von Zehntausenden
gingen jedoch mit verminderter Intensität noch monatelang weiter. 152
Im Oktober 1965 war eine Art Doppelherrschaft von Suharto und Sukarno entstanden,
die mindestens bis zum März 1966 die Machtkämpfe prägte. Suharto wurde hauptsächlich
von vier Gruppierungen unterstützt, nämlich von den Radikalen in der Armee
(hauptsächlich Siliwangi-, Kostrad- und RPKAD-Leute), den Suharto-Zentristen
(moderaten Offizieren, Technokraten etc.), den radikalen Zivilisten (santri, Studenten,
Katholiken etc.) und den meisten Parteiführern. 153
Mit dem "Supersemar" 154 vom 11. März 1966 bekam Suharto weitere Vollmachten
durch den zunehmend isolierten Präsidenten. In der nun folgenden Phase konnte Suharto
die weiteren Abläufe weitgehend selbst bestimmen. Die MPRS-Sitzung im
150 Suharto hatte ursprünglich nur diesen einen Namen, was in Java nicht außergewöhnlich ist.
Später hat er - zum Zeichen seiner islamischen Orthodoxie - den Vornamen "Muhammad"
hinzugefügt, so dass er sich nach seiner Wallfahrt Muhammad Haji Suharto nannte.
151 Resimen Pasukan Komando Angkatan Darat = Fallschirmjägerregiment des Heeres.
152 Vgl. van Langenberg 1990b und Crouch 1978, 142ff. Eine atmosphärisch dichte Darstellung
der Situation vor dem 30. September und während der Kämpfe findet sich bei Pipit Rochiyat
Kartawijaya (1985).
153 Diese Einteilung findet sich bei: Hindley 1970, 55.
154 Supersemar = Surat Perintah Sebelas Maret = Befehlsschreiben vom 11. März. Amir
Machmud, der Kommandeur von Jakarta, Basuki Rahmat, Minister für die Angelegenheiten der
Veteranen, und A. Yusuf, Minister für Basisindustrien, konnten nach langen Diskussionen
Sukarno dazu bewegen, einen Brief zu unterschreiben, in dem Sukarno Suharto damit beauftragte,
"[...] alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um Sicherheit, Ruhe und Stabilität bei
der Ausführung der Regierungsarbeit und der Revolution zu gewährleisten und die persönliche
Sicherheit und Autorität des Präsidenten/Großen Führers der Revolution/Mandatsträgers des
MPRS im Interesse der Einheit von Volk und Staat in der Republik Indonesien zu garantieren
und die Lehren des Großen Führers der Revolution anzuwenden" (Übersetzung nach
Sundhaussen 1982, 235f).

Suharto und seine Stellung 127
Juni/Juli 1966 war der eigentliche Beginn der Neuen Ordnung, aber erst am 12.3.1967
wurde Suharto vom MPRS zum geschäftsführenden Präsidenten ("acting president")
gewählt. Im Juli erreichte ein von Suharto beauftragtes politisches Team einen "Konsens"
mit den politischen Parteien über die Neuordnung der Parlamente und die Reform
des Wahlsystems. Es wurde die Einrichtung eines Proporzwahlsystems festgelegt
und bestimmt, dass von den künftig 460 DPR-Mitgliedern 100 (da-runter 75
Militärs) vom Präsidenten (bzw. der Militärführung) ernannt werden sollten. Im August
wurden die Ministerien der vier Teilstreitkräfte (einschließlich der Polizei) aufgelöst,
und die Teilstreitkräfte wurden fortan Suharto direkt unterstellt.
Spätestens im März 1968 war die Machtposition Suhartos endgültig gesichert, da er
unter großem Sicherheitsaufwand vom MPRS zum neuen Präsidenten Indonesiens
gewählt wurde. Sukarno war zu diesem Zeitpunkt entmachtet.
Machtfülle, Neopatrimonialismus, Legitimationsquellen
Auf dem Höhepunkt seiner Macht, den er vielleicht Mitte der 80er Jahre erreichte,
war Suharto nicht nur Präsident und als solcher mit zahlreichen verfassungsmäßigen
Vollmachten ausgestattet 155 , sondern er beherrschte auch die verschiedenen Teile der
Regimekoalition. Die größten Unternehmer des Landes waren entweder direkt oder
indirekt von ihm abhängig. Die Militärführung war ihm als Oberkommandierendem
ergeben, und noch hatte Benny Murdani nicht begonnen, die Stellung des Präsidenten
anzutasten. Suharto ernannte nicht nur die wichtigsten Militärs, sondern auch die
Minister, die Spitzen der Bürokratie und zu einem großen Teil die Spitzenpolitiker. In
Golkar hatte er seit Anfang der 80er Jahre eine noch stärkere Position als zuvor, und
selbst die Spitzen religiöser Organisationen und der anderen politischen Parteien
waren auf den "Segen" des Präsidenten angewiesen. Suharto konnte Gerichtsprozesse
fast nach Belieben steuern und jeden unliebsamen Oppositionellen ins Gefängnis
werfen lassen. Er hatte selbst ein Milliarden-Dollar-Vermögen angehäuft und sorgte
dafür, dass seine Kinder, einige andere Verwandte und die ihm ergebenen cukong ihre
Unternehmen mit Staatskrediten, Konzessionen und staatlichen Aufträgen zu mächtigen
Konglomeraten ausbauen konnten. Es war unmöglich, Suharto zu kritisieren, da
eine solche Kritik, als Subversion gewertet, schwer geahndet wurde. Es gab niemanden,
der seine Position hätte übernehmen können, da er streng darauf achtete, dass
keine ernst zu nehmenden Rivalen unter ihm heranwuchsen. Obwohl Indonesien eine
Militärdiktatur war, gab es in über 30 Jahren niemals eine Möglichkeit für das Militär,
einen Putsch durchzuführen. Eine Opposition war Mitte der 80er Jahre kaum vorhanden.
Die Professoren propagierten staatliche Ideologien, die kanonisiert und von
sämtlichen Parteien und Massenorganisationen in ihre Statuten aufgenommen wurden.
Und im größten islamischen Land der Erde erkannten die religiösen Führer den
lange als abangan bekannten Präsidenten zumeist ohne Bedenken an.
Wenn Suharto in den 70er oder 80er Jahren gestorben oder durch einen Putsch abgesetzt
worden wäre, wären eventuell Diadochenkämpfe ausgebrochen. Wahrscheinlich
155 Der Präsident war nach der Verfassung von 1945 Oberster Kommandeur. Er durfte mit der
Zustimmung des Parlamentes Krieg und Frieden erklären sowie Verträge mit anderen Staaten
abschließen. Er konnte den Notstand erklären sowie Minister ernennen und entlassen.
Außerdem benötigte das Parlament seine Zustimmung zu Gesetzen.

128 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
war die Loyalität gegenüber dem Präsidenten deshalb so groß, weil kein Angehöriger
der Regimekoalition solche Diadochenkämpfe und damit den möglichen eigenen
Untergang riskieren wollte. Suharto hatte also dafür gesorgt, dass er nur unter größten
Risiken abgesetzt werden konnte. Außerdem kamen bis 1988 die Vizepräsidenten als
mögliche Ersatzkandidaten nicht in Frage. Auch die ABRI-Kommandeure
(Panggabean, Yusuf und Murdani) hätten als Präsidenten oder Anführer einer Armee
von Putschisten nicht den nötigen Rückhalt gehabt. Die Stabilität der Herrschaft Suhartos
ergab sich daher zumindest bis in die 90er Jahre hinein aus dem Fehlen von
Alternativen.
In der Dritten Welt gab es kaum einen Staatschef, der über einen so langen Zeitraum
eine solche Machtstellung behaupten konnte. Suharto hat über Jahrzehnte mit zunehmender
Geschicklichkeit Nachfolger aufgebaut, Gruppen und Personen gegeneinander
ausgespielt, Wissenschaften und Religionen instrumentalisiert und Oppositionelle
unterdrücken lassen. Wieso konnte ein nicht sehr intelligenter und wenig redebegabter
Mann über dreißig Jahre, ohne dass ernsthafte Konkurrenten neben ihm aufsteigen
konnten, regieren? Wie also konnte Suharto in einem multiethnischen und multireligiösen,
in Inseln zerfallenen Gebilde und in einer unterentwickelten, von Massenarmut
und Massenarbeitslosigkeit geprägten Ökonomie seine außergewöhnliche Machtfülle
erwerben und bewahren?
Zur Erklärung dieses Phänomens wurde bereits der javanische Patrimonialismus und
seine Bedeutung für den modernen Neopatrimonialismus vorgestellt. Verglichen mit
der Position des altjavanischen Parimonialherren war aber diejenige Suhartos in der
Neuen Ordnung in mehrfacher Hinsicht neu:
- Es gab in den alten javanischen Reichen keine Vorstellungen von Volkssouveränität,
Gewaltenteilung und Demokratie; der Gedanke der Nation war ebenso wenig ausgeprägt
wie der der sozialen Gerechtigkeit.
- Suhartos Herrschaft war wesentlich intensiver und umfasste sämtliche Gesellschaftsbereiche.
- Suharto war zwar ebenso auf Konsensus und Zustimmung angewiesen, jedoch war
das Verhalten seiner Rivalen (insbesondere auch der eigenen Familie) für ihn leichter
voraussehbar als für die altjavanischen Könige.
Der Neopatrimonialismus unter Suharto war in gewisser Hinsicht eine Perfektionierung
und Systematisierung des alten Patrimonialismus. Die Neue Ordnung hatte die
effiziente niederländische Kolonialherrschaft mit den patrimonialen Traditionen zu
einer eigenartigen Kombination zusammengefügt und sich dabei der jeweils adäquaten
Elemente bedient. 156 Die altjavanischen Elemente der Konsensusorientierung, des
Theaterstaates (Geertz) und der aristokratischen Zurückhaltung der in sich ruhenden
Herrscher waren in der Neuen Ordnung verschmolzen mit Elementen des niederländischen
"Beamtenstaates", d.h. mit einer mehr oder weniger effizienten Verwaltung und
einer gewaltsamen Unterjochung der ausgebeuteten Volksmassen unter dem Stichwort
"rust en orde" (Ruhe und Ordnung). Dabei war oft nicht mehr auszumachen, was
156 Ricklefs (1974, 24) beschreibt, wie die Sitzungen am Hofe normalerweise ausklangen. Der
König verkündete am Ende den Konsens (mupakat), und die Höflinge und Prinzen antworteten
mit "Sandika" ("Was immer Sie wünschen"). In der Neuen Ordnung endeten die MPR-
Sitzungen, auf denen der Präsident gewählt wurde, mit einem einmütigen "Setuju"
("Einverstanden").

Suharto und seine Stellung 129
wirkliche und was konstruierte Tradition war. Dennoch lassen sich mit der
Neopatrimonialismustheorie wichtige Elemente der Orba-Herrschaftsstruktur, der
politischen Kultur und der Herrschaftsstrategien erklären.
Die Legitimationsquellen Suhartos erschließen sich mit den Mitteln der Weberschen
Herrschaftssoziologie. Anders als Sukarno war Suharto kein Charismatiker, der mit
flammenden Reden die Massen mobilisieren konnte. Suharto verfügte als Präsident
über keine "als außeralltäglich geltende Qualität". 157 Trotzdem gründete sich seine
Herrschaft auf Charisma, nämlich auf veralltäglichtes oder Amtscharisma. Das Charisma
der ganzen Nation übertrug sich auf ihn als Präsidenten, das der Streikräfte auf
ihn als Oberkommandierenden. Schon wegen seiner Teilnahme an der Revolution und
am Angriff auf Yogyakarta (1949) sowie wegen seiner Rolle bei der "Gestapu"-
Niederschlagung galt Suharto bis zuletzt als einer der wichtigsten Personen der indonesischen
Geschichte. Er sah sich selbst als Verkörperung der als quasi heilig angesehenen
Verfassung von 1945 und der Pancasila. Hinzu kamen Elemente der
traditionalen Herrschaftslegitimierung. Suharto war Bapak ("Pak Harto"), also "Vater"
aller Indonesier, und genoss vor allem bei den Javanern schon deshalb hohes
Ansehen. Als neo-priyayi, als ein von dukun umgebener und in der javanischen Geisteswelt
aufgehender Präsident galt er vielen Javanern, vor allem den Dorfbewohnern,
als eine Art moderner König, dem aufgrund seit jeher geltender Traditionen Respekt
zu zollen war. Anfang der 90er Jahre wurde Suharto zudem zum "Haji" und orthodoxen
Muslim, wodurch er sich die Loyalität vieler Muslime sicherte. Zusätzlich beruhte
seine Macht auf rationaler Herrschaft. Er legte großen Wert da-rauf, dass die Neue
Ordnung als ein Rechtsstaat erschien und dass seine Stellung als Präsident durch die
Verfassung und durch MPR-Entscheidungen gestützt war. Außerdem förderte er als
"Bapak Pembangunan" in einer merkwürdigen Vermischung traditionaler und moderner
Elemente die wirtschaftliche und technologische Entwicklung.
Seine Herkunft und seine militärische Karriere
Suhartos Biographie ist für viele Soldaten der "Generation von 1945" typisch. 158
Anders als Sukarno, Hatta und Syahrir, die niemals in Armut gelebt hatten, sehr gut
ausgebildet und von "westlichen", sozialrevolutionären Denkweisen stark beeinflusst
waren, war Suharto zumindest einige Jahre in Armut im ländlichen Java aufgewachsen,
hatte nur die Mittelschule besucht, hatte bis zu seiner Präsidentschaft Indonesien
nur selten und für kurze Zeit verlassen und war stark von der javanischen Religion,
jedoch kaum von westlichen Ideen geprägt. Er wurde 1921 in dem Dorf Kemusu in
der Nähe Yogyakartas als Sohn eines kleinen Dorfbeamten, der für die Verwaltung
des Bewässerungssystems zuständig war, geboren. Während seiner Kindheit und
Jugend wuchs er bei verschiedenen Erziehungsberechtigten 159 auf, so dass er sowohl
157
Weber 1972, 140.
158
McDonald 1980, Kap.1 und 2; Vatikiotis 1993, Kap. 1; Emmerson 1988, 119ff; Suharto
1991.
159
In den ersten drei Lebensjahren wuchs er bei seiner Großtante auf. Danach lebte er fünf
Jahre bei seiner leiblichen Mutter, die inzwischen einen Bauern geheiratet hatte. Danach gab
ihn sein leiblicher Vater an Suhartos Onkel, einen Beamten, nach Wuryantoro, einer mittelja-

130 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
von der dörflichen abangan-Kultur mittelloser Bauern als auch von der städtischen
santri-Kultur der Mittelschichten und von der Kultur kleiner und mittlerer Beamter,
die sich an den priyayi-Idealen der alten Aristokratie orientierten, geprägt wurde.
Offensichtlich faszinierte ihn die höfische Kultur Yogyakartas so sehr, dass er später
eine Adlige heiratete. 160 Zeit seines Lebens war er stolz darauf, ein Bauernjunge gewesen
zu sein und das Dorfleben sehr genau zu kennen. Vielleicht reagierte er deshalb
empört, als 1974 eine Zeitschrift versuchte, seine vermeintlich adelige Herkunft
nachzuweisen.
Nach seiner Grund- und Mittelschulausbildung und einer kurzen Tätigkeit als Bankangestellter
trat er 1940 in die Kolonialarmee der Niederländer (KNIL) und 1943 in
eine von den Japanern mit Indonesiern besetzte Einheit der Peta ein, wo er ein Jahr
später bereits Kompaniechef war. 1945 schloss er sich den republikanischen Guerillatruppen
als Bataillonschef an und leitete - der Überlieferung nach - am 1. März 1949
einen legendären Angriff auf das von niederländischen Truppen okkupierte
Yogyakarta. Nach 1949 setzte sich seine Karriere in der indonesischen Armee in
einem Infanterieregiment in Solo und danach in der berühmten Diponegoro-Division
in Mitteljava fort. Dort baute er als Kommandeur enge Beziehungen zu mehreren
chinesischen Geschäftsleuten, unter ihnen "Bob" Hasan und Liem Sioe Liong, auf und
war u.a. am Schmuggel von Zucker nach Singapur beteiligt. 1959 wurde er, vermutlich
wegen des Schmuggels, zur Stabs- und Kommandoschule nach Bandung versetzt,
wo die wichtigsten Militärdoktrinen entwickelt und gelehrt wurden. 1960 war er als
Stellvertreter des Armeestabschefs für geheimdienstliche Aufgaben zuständig, und
1961 erhielt er zusätzlich das Kommando über Kostrad, das Strategische Reservekommando
des Heeres. In den folgenden Jahren wurde er bei der West-Irian- und der
Anti-Malaysia-Kampagne eingesetzt, und 1965 war er mit Kostrad entscheidend an
der Niederschlagung der "Gestapu" beteiligt.
Suharto hob immer wieder seine enge Verbundenheit mit dem indonesischen Volk,
seine niedere Herkunft und seine Bescheidenheit hervor. In einer mit Übersetzungen
versehenen Sammlung von javanischen Weisheiten, die die Kinder Suhartos ihrem
Vater, der sie mit diesen Sprüchen aufgezogen hatte, schenkten, werden unermüdlich
vanischen Kleinstadt. Mit einer weiteren Unterbrechung von einem Jahr in Kemusu lebte Suharto
in Wuryantoro mehrere Jahre in relativem Wohlstand. Danach verbrachte er seine Mittelschulzeit
in Wonogiri bei dem Mystiker Harjowiyono und bei Daryatmo, einem bekannten
guru, dukun und Islamlehrer, der ihn vermutlich stark beeinflusste (McDonald 1980, 8ff).
160 Suharto, Siti Hartinah ("Tien"): geboren 1923 in Solo, Tochter von Kanjeng Raden Mas
Tumenggung Sumoharyomo, einem wedana in Wuryantoro, Rotes Kreuz (Palang Merah),
bekannt für moralische Strenge bei Polygamie und Scheidung (Wijoyo verlor angeblich wegen
seiner Scheidung und der Heirat mit seiner Sekretärin sein Ministeramt), war u.a. für die Stiftungen
Dharmais, Supersemar, Dakwah Amal Bhakti Pancasila verantwortlich und galt als
ausgesprochen korrupt; gestorben im April 1996. Sie initiierte die Errichtung der Familiengrabstätte
auf dem Gipfel des Giri Layu, einem Berg in dem Gebiet des früheren Mangkunegara-
Reiches, das 1757 entstanden war. Sie hat den Grabstein Giri Bangun speziell für die Familie
Suharto in der Nähe des Mengadeg-Berges errichten lassen. Die Anlagen gelten als Orte, an
denen mystische Kräfte konzentriert auftreten. Das erste Mal hatte sich hier also ein moderner,
weltlicher Herrscher ein solches mit magischer Potenz durchtränktes Machtsymbol errichtet.

Suharto und seine Stellung 131
die Tugenden der Selbstbeschränkung gepriesen. Im Gegensatz dazu spielte er jedoch
in seiner Autobiographie die Bedeutung seiner engsten Berater in der Frühphase herunter.
161
Suhartos Vorstellungen von Macht und Herrschaft
Suharto galt als der "lächelnde General" (so der Titel einer Biographie aus dem Jahre
1969 von Roeder 162 ), also als ein ruhiger, gütiger und wohlwollender Herrscher. Während
bei Sukarno die Macht aus der Bewegung und der Mobilisierung erwuchs, lag
sie bei Suharto in der Ruhe. 163 Er war in diesem Sinne ein stiller Charismatiker, dessen
Ideal es zu sein schien, mit kleinen Gesten und möglichst ohne große Worte zu
führen. Einiges spricht dafür, dass Suharto Elemente dieses Idealmodells altjavanischer
Patrimonialkönigtümer vor Augen hatte. Gleichgültig, ob er sich diesem Ideal
schon als Kind verschrieb oder ob er erst später dieses Modell als für seine Zwecke
geeignet entdeckte: Als Präsident regierte er meist wie ein König, der seine Berater zu
sich in seinen Palast bestellte, um sich ihren untertänigen Rat anzuhören und ihnen
dann seine Weisungen mitzuteilen. Suharto wurde selbst von seinen Ministern und
den höchsten Militärs als "Bapak" ("Vater") angesprochen. 164 Selbst Minister verab-
161 So sagte er (Soeharto 1991, 379) z.B. über Sujono Humardani, der als sein Berater und
Lehrmeister in javanischer Mystik galt: "I just listened to make him feel good, but did not take
in everything he said. [...] So those who sought that Djono was my guru in mysticism had it
wrong. That idea was not true. He would ask me about it, not the other way around. He himself
once said, 'I learn from Pak Harto.'" Und über Ali Murtopo, den bis Anfang der 80er Jahre
mächtigsten Indonesier nach dem Präsidenten, äußerte Suharto: "During his lifetime people
talked a great deal about Ali Murtopo, and they did the same when he died. But when you
consider it, why make a commotion about his death? [...] After Ali Murtopo died, the government
went on as usual. [...] It was not true that everything depended on him" (Soeharto 1991,
378).
162 Roeder 1969.
163 Eine alte machttheoretische Erkenntnis besagt, dass der wirklich Mächtige nicht böse ist, da
er ohne Anwendung von Gewalt jederzeit Personen findet, die seine Anweisungen bereitwillig
befolgen. Auch in der alten javanischen Machttheorie war der wahre Herrscher dann vollkommen
mächtig, wenn er ohne jegliche Anstrengung und ohne jeglichen Widerstand regieren
konnte. Lächelnd demonstrierte Suharto also seine Macht. Dieses Gebaren wirkte in gewisser
Weise tatsächlich herrschaftsstabilisierend, denn in der Neuen Ordnung trauten viele Indonesier
ihrem Präsidenten und seinen Beratern die wirklich begangenen Gräueltaten nicht zu und reagierten
ungläubig, wenn man sie mit den Geschehnissen von 1965/66 oder in Ost-Timor konfrontierte.
164 Suharto war der "Bapak Pembangunan", Sukarno war wie Hatta "Bung", d.h. Kamerad,
allerdings besonders verehrter Kamerad, denn normalerweise wird "bung" geschrieben, also der
Kleinbuchstabe gewählt. Shiraishi schreibt: "During the revolution, the more egalitarian terms
of address, saudara (brother/sister) and bung (brother/comrade), were preferred to bapak and
ibu. But bapak and ibu, born in the Taman Siswa classroom, started to make their presence
increasingly felt in government offices in the post-independence, post-revolutionary Indonesia,
as Taman Siswa teachers and graduates joined the government and became its officials, achieving
their unrivaled ascendancy under Bung Karno's Guided Democracy. Now political leaders
and government officials were addressed as bapak and ibu" (Shiraishi 1997, 90f). In den letzten

132 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
schiedeten sich gelegentlich per Handkuss. 165
Bourchier bemerkt zurecht, dass Suharto, obwohl die Opposition bis Ende der 80er
Jahre außergewöhnlich schwach war, geradezu paranoid auf jedwede Art der Kritik
reagierte. 166 Diese Unfähigkeit, Kritik zuzulassen, ließ für ihn die Anwendung nackter
Gewalt in ihn gefährdenden Situationen als legitim erscheinen. So sagte er 1980 in
der berühmten Pekanbaru-Rede, dass die Armee zu den Waffen greifen oder Parlamentarier
kidnappen würde, wenn sich eine Zweidrittelmehrheit für eine Verfassungsänderung
fände. Außerdem verteidigte er in einem kämpferischen Ton die
Pancasila gegen ihre vermeintlichen Feinde. Während er also einerseits die Verfassung
inbrünstig verteidigte, kündigte er andererseits den Verfassungsbruch für den
von ihm zu definierenden Krisenfall an. Als Suharto Mitte des Jahres 1996 Megawati
Sukarnoputri mit großer Gewalt aus der Parteizentrale hinausjagen ließ und Suryadi
als PDI-Vorsitzenden inthronisierte, interpretierten viele politische Beobachter das als
Ergebnis der patrimonial-javanischen Charakterstruktur Suhartos, der keine Megawati
neben sich dulden konnte. 167 Megawati hätte als Präsidentschaftskandidatin in der
MPR-Sitzung einige Dutzend Stimmen von PDI- und einigen PPP-Abgeordneten
bekommen können. Allein diese Vorstellung, dass es nicht zu einer einmütigen Entscheidung
kommen könnte, habe Suharto zu rabiaten Methoden Zuflucht nehmen
lassen. In der traditionellen aristokratisch-javanischen Gedankenwelt bedeutet schon
der Widerspruch einer kleinen Minderheit Chaos und Delegitimierung des Herrschers.
168 Deshalb war auch die scheinbar spontane Attacke Ismael Salehs auf den
Jahren wurde aus dem Vater immer mehr ein Großvater. Crouch bemerkt dazu: "Until the early
1980s Soeharto continued to listen to the views of his brother officers but now several observers
have commented that the relationship between Soeharto and his generals is not even like
that of a father with his sons but rather a grandfather with his grandchildren. The grandchildren
have their own opinions but do not dare to contradict the grandfather to his face" (Crouch 1992,
48).
165 Suharto empfing seine Minister wie ein König. Es gab niemals Diskussionen, sondern lediglich
präsidentielle Unterweisungen. Das führte hin und wieder zu einer komischen Berichterstattung
in den regierungsnahen Zeitungen, wenn z.B. bekannt gegeben wurde, Suharto habe
nach reiflicher Überlegung seine Finanzexperten zu bestimmten Entscheidungen veranlasst,
obwohl er in Wirklichkeit den Ausführungen dieser Experten hilflos gegenübergestanden haben
wird. Suharto war - jedenfalls in der Theorie - für alles zuständig und musste alles entscheiden.
Er entschied politische Krisen im Alleingang, etwa wenn er unter Druck geratene Minister wie
Habibie wegen des Kaufs der NVA-Schiffe oder Abdul Latief im Falle der Veruntreuung von
Sozialversicherungsgeldern entlastete, indem er die Verantwortung auf sich nahm: Damit war
die Diskussion unverzüglich beendet. Als es während der Asienkrise Beschwerden über Mängel
in der Reisversorgung gab, stattete er Bulog einen Besuch ab und - so jedenfalls der Eindruck
in der regierungsnahen Presse - verbesserte mit wenigen Anweisungen die Versorgungslage.
Neben solchen symbolischen Akten gründete sich seine Stellung auf wirklicher Entscheidungsmacht.
Er konnte bei der Produktion eines Nationalen Autos eigenmächtig und gegen den
Willen der großen Mehrheit seinen Sohn "Tommy" bevorzugen.
166 Bourchier 1996, 221.
167 So z.B. Crouch (vgl. AJI/FORUM-ASIA/ISAI 1997a, 19).
168 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Sawito-Affäre des Jahres 1976. Dabei
musste Suharto sich gegen einen selbst ernannten ratu adil ("gerechten König") zur Wehr

Suharto und seine Stellung 133
neuen Vizepräsidenten Sudharmono in der MPR-Sitzung 1988 für diesen ein schlechtes
Omen und bewirkte den Entzug der Legitimität schon beim Amtsantritt.
Es ist unklar, ob Suharto wirklich an die Machttheorien und die Magielehren des alten
Java glaubte. Frühere javanische Könige stärkten ihre Macht durch die Sammlung
magisch potenter Erbstücke (Gamelaninstrumente, Dolche und Speere), durch asketische
und Konzentrationsübungen sowie durch den Besuch von Königsgräbern und
Stätten, an denen sich die kosmische Energie konzentrierte. Außerdem riefen sie
außergewöhnliche, mit magischen Fähigkeiten begabte Menschen zu sich an die Höfe,
wie Wahrsager, Krüppel, Zwerge und Albinos. 169 Suharto scharte lange Zeit Personen
um sich, die ihn in den Lehren des javanischen Mystizismus unterwiesen, so
etwa Sujono Humardani, den "Finanzgeneral" aus der Opsus/CSIS 170 -Gruppe.
Außerdem erzählte man sich von ihm, dass er sich stark mit Semar identifiziere,
setzen, der Präsident werden wollte. Sawito Kartowibowo, ein javanischer Mystiker, der als
Ingenieur im Landwirtschaftsministerium beschäftigt war, hatte zuvor fünf hoch angesehene
Personen (den früheren Vize-Präsidenten Mohammad Hatta, Prof. Hamka, den Vorsitzenden
des Indonesischen Kirchenrates und ehemaligen Stabschef der Streitkräfte T.B. Simatupang,
Kardinal Yustinus Darmoyuwono und den ehemaligen Polizeichef Sukanto Cokrodiatmoyo)
dazu bewegen können, ein von ihm verfasstes, regierungskritisches Schreiben ("Menuju
Keselamatan" = "Auf die Seligkeit gerichtet") zu unterzeichnen. In dem Schreiben (andere
Schreiben waren nicht von allen Personen unterzeichnet worden) wurde ein schleichender, die
nationale Einheit gefährdender Verlust der menschlichen Würde in der Neuen Ordnung und
eine "Erdrosselung der Souveränität des Rechts" beklagt (Bourchier 1984, 23f). In einem anderen,
nur von Sawito unterzeichneten Brief wurde Suharto aufgefordert, sein Amt an Hatta zu
übergeben. Am 22. September 1976 unterrichteten die Behörden die indonesische Öffentlichkeit
über sämtliche Massenmedien von dem Vorfall. Die fünf Unterzeichner sagten allerdings -
wahrscheinlich erzwungenermaßen - später aus, nichts von dem Inhalt des Schreibens gewusst
und leichtfertig unterschrieben zu haben (Bourchier 1984, 31).
169 Magnis-Suseno 1981, 90.
170 In Indonesien gibt es verschiedene Think Tanks. Das bekannteste dieser Institute ist das
1971 geschaffene CSIS (Centre for Strategic and International Studies) in Jakarta, das von
Anfang an unter der Patronage von Ali Murtopo und Sujono Humardani stand. Da viele Forscher
an diesem Institut einen chinesischen und katholischen Hintergrund haben, war das CSIS
in den Augen vieler Muslime und aus der Sicht vieler Oppositioneller eine Einrichtung, die die
Interessen dieser Minderheiten vertrat. Deshalb wurde dem CSIS eine Nähe zu den cukong und
zum Palast nachgesagt. Sofyan Wanandi selbst - er und sein Bruder Yusuf sind die dominierenden
Persönlichkeiten am CSIS - gehört mit seiner Gemala-Gruppe zu den größten Unternehmern
des Landes (1996 an 30. Stelle der umsatzstärksten Konzerne), zu denen er nur aufgrund
seiner guten Beziehungen aufsteigen konnte. Vor allem in den 70er Jahren wurden an diesem
Institut wichtige politische Konzepte entwickelt. Eine Zeit lang gehörten CSIS-Angehörige
sogar zur Führungsspitze von Golkar. Die Strategien zur Eskalation der Malari-Affäre (1974)
sollen auch am CSIS vorbereitet worden sein. Nach dem Tode Murtopos schlüpfte Benny
Murdani in die Rolle des politischen Patrons. Anfang der 90er Jahre hatte das CSIS aber bereits
deutlich an Einfluss eingebüßt. Zum einen aufgrund der schwachen Stellung Murdanis, zum
anderen wegen der Hinwendung Suhartos zu islamischen Gruppen und der Gründung ICMIs.
ICMI schuf sich frühzeitig einen eigenen Think Tank, nämlich Cides, das Center for Information
and Development Studies, das auch als Gegengewicht zum CSIS gedacht war, allerdings
nicht über eine so gute Infrastruktur verfügte (Tiras 2.11.1995, 28f).

134 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
pustaka (magische Erbstücke) sammele und besondere, spirituell aufgeladene Orte
aufsuche (u.a. eine Höhle auf dem Dieng-Plateau), um zu meditieren. 171
Es wäre interessant zu erfahren, wie viele Javaner oder Indonesier an die politisch
relevanten mystischen Lehren des alten Java noch heute glauben. Zumeist hört man
nur von Geschichten, die als Gerücht mit einem leichten Lächeln weitergegeben werden:
So etwa, dass Suharto 1997 der Meinung gewesen sei, der Nabel, der die Insel
Java mit dem Urgrund verbinde, sei durchtrennt. Aber die Vorstellungen Suhartos
und seine Haltung zur javanischen Religion lassen sich nicht eindeutig rekonstruieren.
Es lassen sich lediglich mehrere Varianten durchspielen:
- Suharto glaubte, er sei durch höhere Mächte zum mächtigsten Indonesier ausersehen
und somit ein legitimer Nachfolger der altjavanischen Könige.
- Er hielt sich nicht für einen solchen Nachfolger, glaubte aber an die javanische
Machttheorie, wie von Anderson 172 beschrieben.
- Er glaubte nicht an die javanische Machttheorie, war aber sehr stark von javanischen
Verhaltens- und Wahrnehmungsmustern geprägt. Das heißt, er hielt die Herrschaft der
Männer und der Alten und das Harmoniegebot für richtig und hatte den entsprechenden
Habitus und die entsprechende Weltanschauung.
- Suharto war ein sehr geschickter Machtpolitiker, der die vorgefundenen Kulturmuster
nur strategisch einsetzte.
Am wahrscheinlichsten scheint zu sein, dass Suharto eine Haltung einnahm, die etwa
in der Mitte zwischen den beiden Extremen lag. Suharto hat viele Javaner in ihrem
Glauben an die Macht des Königs, die durch ihre bloße Existenz schon als legitim
gilt, bewusst bestärkt. Er wird sich selbst nicht als Nachfolger der alten Könige gesehen,
aber die javanische Machttheorie auch nicht für reinen Aberglauben gehalten
haben. Entscheidend für sein herrschaftsstrategisches Verhalten aber waren primär
strukturelle Zwänge und nicht der Glaube an alte Machtkonzepte.
Für die politische Kultur der Neuen Ordnung waren ein spezifischer Habitus und
besondere Aversionen und Ressentiments von Bedeutung. Konservative priyayi pflegen
häufig eine verfeinerte Form der javanisierten hindubuddhistischen Weltanschauung
- z.T. in kebatinan-Organisationen - und das Repertoire der javanischen Hochkultur
wie den höfischen Tanz, die Batikkunst, die gamelan-Musik und das wayang-
Schattentheater. Es ist eine nicht leicht zu beantwortende Frage, wie sich diese
priyayi-Weltanschauung in den letzten Jahrhunderten entwickelt hat und wie beispielsweise
die indonesischen Beamten der Gegenwart zur klassischen Hochkultur
und zu dem Ensemble von höfischen Verhaltensweisen und Wahrnehmungsformen
171 Pemberton berichtet, dass Sujono Humardhani in den 70er und frühen 80er Jahren die Suhartos
(Suharto selbst war häufig nur "im Geiste" anwesend) nachts zu magisch potenten Orten
in Mitteljava (dem Lawu- und dem Merapi-Berg, nach Parangtritis und Dlepih) begleitete. In
den 80er Jahren soll es sogar Séancen gegeben haben, bei denen der Präsident zu Rama und
Frau Suharto zu Sita wurde. Ein javanischer Mystiker soll in der Person Wischnus politische
Ratschläge gegeben haben (Pemberton 1994, 305ff).
172 Anderson 1972a.

Suharto und seine Stellung 135
stehen. Schließlich sind die Beamten heute in einem der Idee nach rationalen, effizienten
Verwaltungsapparat beschäftigt, während sie in der Kolonialzeit die bei der
eigenen Bevölkerung häufig verhassten Handlanger der niederländischen Kolonialherren
waren und in den patrimonialen Königreichen in Diensten der mit hindubuddhistischen
Konzepten legitimierten Könige standen. 173
Das angesprochene Arsenal von philosophischen Anschauungen verbanden Suharto
und viele seiner Mitstreiter wie Ali Murtopo oder Sujono Humardani mit den javanischen
Bauern, aber auch mit den Indonesiern, die sich z.B. als Beamte in der Nachfolge
der priyayi sahen. Die priyayi-Kultur bildete jahrhundertelang das Pendant zur
abangan-Kultur, die für die meisten javanischen Bauern noch heute typisch ist.
Abangan sind "indisch", also von einer schwer zu entwirrenden Mixtur hinduistischer
und buddhistischer Denkweisen geprägt. Das Verständnis dieses Weltbildes wird
noch dadurch erschwert, dass Anteile der uralten javanischen Religionen aus der
vorstaatlichen Phase und des Islam sich mit diesen "indischen" Anteilen verknüpft
haben.
Ähnlich wie in westlichen Kulturen wird das Verhalten der Unterschichten häufig als
vulgär, unzivilisiert, roh und abstoßend wahrgenommen. 174 In Java jedoch scheinen
wesentlich mehr Elemente der herrschenden Kultur (also hier der priyayi) in die Verhaltensstandards
der Bauern und Arbeiter eingegangen zu sein. Zwar gelten auch
abangan als kasar (roh, unzivilisiert etc.), damit ist aber weitgehend die Unfähigkeit
gemeint, den Kanon der Verhaltensvorschriften und die javanische Hochsprache wie
ein priyayi zu beherrschen. Ansonsten verhalten sich tendenziell abangan ähnlich wie
priyayi, in dem Sinne, dass sie Konflikte vermeiden, ihr Innenleben nicht nach außen
kehren und den ihnen jeweils vorbestimmten Platz in der Gesellschaft einnehmen.
Nach Goodfellow konstituierten die Offiziere in Indonesien einen "New Order priyayi
aliran". Zumindest die javanischen höheren Offiziere identifizierten sich mit der
Ideologie und dem Lebensstil der priyayi. 175 Suharto kam aus einer abangan-Kultur,
173 Heather Sutherland spricht von der "aristocratic governing class" oder von "government
priyayi", deren Lebensstil und Selbstinterpretation sich insbesondere seit Ende des 19. Jahrhunderts
stark wandelte. Magnis-Suseno zählt zu den priyayi im Java der 70er Jahre die Beamten
(vom kleinen Postbeamten bis hin zum Minister) und die Intellektuellen (Magnis-Suseno
1981, 13).
174 Bourdieu schreibt über diese vorurteilsbeladene Wahrnehmung und die Distinktionen der
herrschenden Klasse: "Daher besitzen von allen Unterscheidungen diejenigen das größte Prestige,
die am deutlichsten die Stellung in der Sozialstruktur symbolisieren, wie etwa Kleidung,
Sprache oder Akzent und vor allem die »Manieren«, Geschmack und Bildung. Denn sie geben
sich den Anschein, als handele es sich um Wesenseigenschaften einer Person, ein aus dem
Haben nicht ableitbares Sein, eine Natur, die paradoxerweise zu Bildung, eine Bildung, die zu
Natur, zu einer Begnadung und einer Gabe geworden seien" (Bourdieu 1974, 60).
175 Goodfellow schreibt: "As argued, Suharto, for instance, is certainly not a hereditary priyayi.
He does, nevertheless, represent the priyayi traditions of Mataram as if he were one [...]. Again,
this can be seen in terms of the penetration of Dutch administrative ideology. What after the
colonial period the priyayi believed to be the values of their aliran were actually 'concepts' of
indigenous ideology heavily filtered through Dutch eyes. This ideological position became

136 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
war aber auch mit dem orthodoxen Islam gut vertraut. Als hoher Offizier und als
Ehemann einer mitteljavanischen Adeligen verfeinerte er seine abangan-
Weltanschauung und stieg zu einem priyayi auf. Insofern vereinigten sich in der Person
Suhartos verschiedene Strömungen, und er gehörte zu den Aufsteigern, die die
ABRI-Führung lange prägten. 176 Liddle bezeichnet den Präsidenten als "[...] less
cosmopolitain, more small-town-conservative, more a product of a bureaucratic and
military milieu, and more inclined to an arriviste priayi-style cultural outlook [...]." 177
Deshalb seine Vorliebe für pompöse Zeremonien und mystische, mantragleiche Losungen,
deshalb seine Verehrung für eine Lebenshaltung der Entsagung und der aristokratischen
Bescheidenheit, deshalb auch sein Hang zur souveränen, autokratischen
Regierung. Seine zugleich bäuerlich-kleinbürgerliche (oder: kleinaristokratische)
Herkunft dürfte in Teilen seine dazu im Widerspruch stehende Raffgier und seine
periodisch wiederkehrenden Ausbrüche, bei denen er jede Zurückhaltung aufgab,
erklären. 178
Herrschaftsstrategien des Präsidenten
Suharto wirkte zwar hochkultiviert, verbarg aber hinter dieser Fassade seine Grausamkeit,
Rücksichtslosigkeit, Habgier und Rachsucht. Mit dieser zivilisierten Äußerlichkeit
konnte er seine Machtversessenheit verbergen und seine Herrschaftsstrategien
perfektionieren. Er war aber kein Willkürherrscher, der nach Belieben politische
Gegner ausschalten konnte. Vielmehr war auch er auf die Zustimmung und Mitarbeit
der Machtelite angewiesen. Allerdings hatte er als Neopatrimonialherr eine Position
inne, die es ihm erlaubte, viele Personalentscheidungen selbst zu treffen, Fraktionen
gegeneinander auszuspielen und damit weit mehr als jeder andere Indonesier auf die
Herrschaftsbeziehungen in der Regimekoalition einzuwirken. Suharto hatte also insgesamt
einen sehr großen Entscheidungsspielraum. Um die militärische Elite in
Schach halten zu können, bediente er sich unterschiedlicher Herrschaftstechniken 179 :
synonymous with the Dutch preoccupation with rust en orde (peace and order)" (Goodfellow
1995, xvi).
176 In einem Interview (17.12.1997 in Jakarta) meinte Mochtar Buchori (ehemals Rektor einer
Islam-Universität, heute freier Journalist und hochrangiges PDI-Mitglied), dass die Engstirnigkeit
und Grausamkeit auch auf diese soziale Herkunft und diese besondere Karriere zurückzuführen
sei.
177 Liddle 1996c, 79.
178 Am bekanntesten waren seine Äußerung im September 1989, als er sagte, er werde denjenigen,
der ihn mit verfassungswidrigen Mitteln ablösen wolle (gemeint war wahrscheinlich
Murdani), "verkloppen" (gebuk), und seine Reaktion nach dem von Demonstranten verpatzten
Deutschlandbesuch im Jahre 1995, als er diese wortreich als "Verrückte" bezeichnete.
179 Hier zeigen sich Parallelen zu den Herrschaftsstrategien von Patrimonialherren: Die regelmäßige
Bereisung des Machtgebietes, der Einsatz von reisenden Sonderbeamten und Spionen,
die Besetzung wichtiger Amtsposten mit Verwandten oder mit Minderprivilegierten, die Schaffung
konkurrierender Amtsgewalten, der Einsatz fern der Heimat, die Festlegung kurzer Amtsfristen
etc. (Weber 1972, 605f).

Suharto und seine Stellung 137
- Er rekrutierte insbesondere alte Kameraden und Günstlinge, in den 90er Jahren
zusehends ehemalige Adjutanten und Verwandte.
- Einige Vertraute bekleideten mehrere Ämter und/oder waren länger als üblich im
Amt; die Mehrfachbesetzung von Ämtern wurde in den 90er Jahren im Militär durch
eine beschleunigte Ämterrotation ersetzt.
- Zwischen verschiedenen Behörden oder Militäreinheiten erzeugte er Kompetenzkonflikte.
- Wenn eine Organisation zu mächtig zu werden drohte, wurden Umstrukturierungen
vorgenommen.
- Einzelne Personen bootete er überraschend aus.
- Wichtige Positionen unterlagen einer dauernden Rotation.
- Das Amt des Vizepräsidenten blieb bis 1988 i.d.R. Leuten ohne größeren Einfluss
innerhalb des Militärs vorbehalten.
- In den Außenregionen, besonders den unruhigen (rawan) Gebieten, wurden häufig
keine Einheimischen (putra-putra daerah) eingesetzt.
Außerdem nutzte Suharto die prekäre Stellung ethnischer und religiöser Minderheiten
aus, indem er "military cripples" förderte:
"[...] in other words, men whose religion, ethnic background, or historic experience in an Army
dominated by abangan-Muslim Javanese effectively precludes them from serious ambitions for
the presidency: obvious examples are two recent Ministers of Defense, the Protestant Toba
Batak Panggabean, and the Muslim Buginese Andi Mohammad Yusuf, and the long-term
intelligence 'czar' and current Commander-in-Chief, Catholic Eurasian Benny Murdani." 180
Ende 1993 z.B. war ein Mandailing-Batak Kommandeur der Streitkräfte, nämlich
Feisal Tanjung. Kostrad-Kommandeur war der Cirebon-Chinese Kuntara, Kodam-3-
Kommandeur (Westjava) der Minangkabau Muzani Syukur, und als Polizei-Chef
fungierte der Madurese Banurusman. Damit waren allein 4 der "sensibelsten" Posten
von Angehörigen ethnischer Minderheiten besetzt. Weiterhin dominierten aber eindeutig
Javaner, die 45-50% der Gesamtbevölkerung ausmachen, den militärischen
Apparat (1993 etwa 60%), obwohl die Akademien mittlerweile auch andere Ethnien
stärker berücksichtigten und die ethnische Verteilung nicht mehr so einseitig war wie
noch in den 70er Jahren, als bis zu 80% (1978) der höheren Offiziere Javaner waren.
Eine andere effektive Herrschaftsstrategie bestand darin, Kompetenzkonflikte zu
schüren. Bis weit in die 80er Jahre geschah dies insbesondere durch Ämterverdoppelungen:
Einige Militärs bekleideten mehrere Posten zugleich, weil sie entweder als
besonders vertrauenswürdig galten und/oder weil auf diese Weise ein System der
gegenseitigen Kontrolle entstand. Yoga Sugama z.B. war nicht nur Bakin-Leiter,
sondern außerdem einige Zeit lang Stabschef bei Kopkamtib. Sudomo war zugleich
180 Indonesia 36/83, 107ff. Panggabean: geboren 1922 in Tarutung, Nordsumatra, Bataker,
Protestant, 1969 und 1971 bis 1973 Kopkamtib-Kommandeur, 1971 bis 1973 auch stellvertretender
Kommandeur von ABRI, ABRI-Kommandeur (1967-78, bis 1973 zusammen mit Suharto)
und Verteidigungsminister (1973-78), 1978-83 Koordinierungsminister für Politik und
Sicherheit, wurde 1982 DPA-Vorsitzender, lange auch wichtige Position bei Golkar.

138 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Kopkamtib-Kommandeur und stellvertretender Kommandeur der Streitkräfte. Murdani
schließlich fungierte als Geheimdienstassistent im Verteidigungsministerium
(Asintel), als stellvertretender Leiter von Bakin und als Leiter des Strategischen Geheimdienstzentrums
(Pusintelstrat). 181 Nach 1983 war er zugleich Kommandeur der
Streitkräfte sowie Kopkamtib-Kommandeur. Außerdem kontrollierte er den neu entstandenen
Geheimdienst Bais und führte Geheimmissionen (Waffenkäufe, Ost-Timor-
Invasion etc.) im Auftrag Suhartos aus. 182
In einigen Bereichen wurden die Amtsinhaber jedoch besonders häufig - z.T. regelmäßig
- ausgetauscht. Die Kommandeure der Streitkräfte, die Verteidigungsminister
und die Vizepräsidenten mussten fast gleichzeitig alle fünf Jahre ihre Amtstätigkeit
beenden. 183 Die Heeresstabschefs wurden i.d.R. schon nach spätestens drei Jahren
ausgewechselt. Eine ähnlich hohe Fluktuation gab es bei Kostrad und den regionalen
Kommandanturen, die allerdings für viele Offiziere auch nur Durchgangsstationen auf
ihrem Karriereweg waren. Offensichtlich dominierten im Geheimdienst- und Sicherheitsapparat
informelle Bindungen, was die Entstehung von Kompetenzkonflikten,
die Ämtervermehrung und lange Amtszeiten förderte. Noch 1998 schürte Suharto
bewusst einen Dauerkonflikt zwischen dem ABRI-Kommandeur Wiranto und dem
Kostrad-Kommandeur Prabowo, seinem Schwiegersohn.
Oftmals waren die Aufgabenbereiche einzelner Behörden nur unzureichend definiert.
Daher kam es zu Spannungen, z.B. zwischen Bakin, Bais, Bakorstanas und dem Geheimdienst
der Polizei. Murtopos Opsus und Kopkamtib waren zudem dafür bekannt,
in einem quasi gesetzesfreien Raum zu agieren. Die Aktivitäten richteten sich z.T.
gegen Angehörige der Streitkräfte, so dass in dieser Weise deren innerer Zusammenhalt
zusätzlich geschwächt wurde. Da die Zivilverwaltung und die regionalen Militärkommandos
nicht auf allen Ebenen parallel angeordnet waren, ergaben sich außerdem
Konflikte zwischen den 27 Provinzgouverneuren (oft pensionierte Generäle) und den
10 Kodam- und 39 Korem-Kommandeuren. 184
Selbstverständlich standen dem Staatspräsidenten auch weniger subtile Mittel zur
Verfügung, um seine Stellung zu stabilisieren. So entließ er unliebsame Konkurrenten,
wie z.B. im Jahre 1974 Sumitro und Sutopo Yuwono, oder er versetzte 1978 den
stellvertretenden Kommandeur der Streitkräfte Surono, der zum Koordinierungsminister
für öffentliche Wohlfahrt degradiert wurde. 1983 schob er Murtopo und Verteidigungsminister
Andi Muhammad Yusuf in das unbedeutende Beratungsgremium
DPA 185 ab. Zuletzt hat Suharto Murdani schrittweise entmachtet. Murdani war bis
1988 Kommandeur der Streitkräfte und wichtigste Figur im Geflecht der indonesischen
Geheimdienste. 1988 wurde er in das nach der Umstrukturierung 1982 relativ
181 Jenkins 1984, 25ff.
182 Suharto hatte in den Anfangsjahren der Neuen Ordnung noch selbst die wichtigsten Ämter
inne. Er war 1966 bis 1973 Verteidigungsminister, Heereskommandeur von 1965 bis 1967,
Kommandeur der Streitkräfte (1967 bis 1973) sowie 1965 bis 1969 und 1974 bis 1978 (zusammen
mit Sudomo) Kopkamtib-Kommandeur.
183 Eine Ausnahme war Panggabean.
184 Indonesia 40/1985, 134f.
185 Dewan Pembina Agung.

Suharto und seine Stellung 139
unbedeutende Amt des Verteidigungsministers versetzt, und mit der Auflösung von
Kopkamtib sowie der Strukturreform bei Bais war auch seine noch verbliebene
Machtbasis ausgehöhlt.
Dies waren Suhartos Herrschaftsstrategien als Oberster Kommandeur der Streitkräfte.
Ähnlich waren seine Strategien zur Beherrschung der Bürokratie. Minister in den
sicherheitsrelevanten Ressorts wurden meist relativ schnell ausgewechselt. Provinzgouverneure
mussten mit ihrer Versetzung rechnen, wenn sie zu selbständig agierten
oder sich eine eigene Machtbasis aufbauten. Zu den anderen strategischen Gruppen
unterhielt er andere Beziehungen. Die größten Unternehmer des Landes waren als
cukong direkt von seiner Gnade abhängig und als Sinoindonesier politisch so ohnmächtig,
dass nur leichte Drohungen ausreichten, um sie gefügig zu machen. Im Falle
der Großunternehmer war es unumgänglich, eine gewisse Kontinuität zu wahren.
Ebenso war es bei den fähigsten Politikberatern und einigen mächtigen Bürokraten,
die erstaunlich lange für Suharto arbeiten durften. Einige Technokraten hatten von
1965 bis 1998 wichtige Beratungsfunktionen zu übernehmen. Einzelne Personen wie
Habibie und Ginanjar Kartasasmita konnten sich ebenfalls über einen längeren Zeitraum
im Machtzentrum behaupten. Von ihnen ging - anders als von den hochrangigen
Militärs - keine unmittelbare Bedrohung aus. Am ungefährlichsten waren für Suharto
die Parteipolitiker, zumal er die kritischeren unter ihnen bei Bedarf von der Kandidatenliste
streichen konnte. Die religiösen Führer konnten (und wollten) bis in die 90er
Jahre kein regimeinternes Bündnis gegen Suharto schmieden und waren insofern
ebenfalls harmlos. Aufgrund ihrer ambivalenten Stellung im Herrschaftssystem waren
einige von ihnen aber vor allem seit den späten 80er Jahren in der Lage, die Opposition
gegen Suharto und die Regimekoalition zu mobilisieren.
Suharto und seine Beziehungen zu Klienten und Klientengruppen
In neopatrimonialen Systemen sind die Beziehungen zwischen Patron und Klient
häufig bedeutsamer als die Zugehörigkeit zu strategischen Gruppen oder zu Klassen.
Die politische Entwicklung der Neuen Ordnung ist deshalb nicht nur vor dem Hintergrund
ökonomischer und weltpolitischer Veränderungen zu betrachten, sondern auch
als ein Prozess der Bildung und Erneuerung von Klientelnetzwerken.
Suharto war der oberste Patrimonialherr und Patron. Sein innerer Zirkel bestand aus
wenigen engen Vertrauten, die sich häufig mit ihm trafen und deren Rat er suchte. Ein
weiterer Kreis bestand aus einigen Dutzend Personen, die noch Zugang zu den Zentren
der Macht hatten und die Suharto persönlich gut kannte, die aber relativ selten
mit dem Präsidenten zusammentrafen. Jenseits dieser engeren Umgebung befanden
sich diejenigen Personen (vielleicht mehrere Hundert, darunter höhere Offiziere,
Parlamentsabgeordnete, Professoren, höhere Verwaltungsbeamte etc.), die Suharto
zwar fast nie traf, über die er aber ausreichend Informationen besaß, um sie entsprechend
seiner Herrschaftsstrategie einsetzen zu können. Die Kontrolle der nachgeordneten
Klienten konnte der Präsident an seine Untergebenen delegieren.

140 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Die Position Suhartos in der Regimekoalition der Neuen Ordnung wandelte sich von
1965 bis 1998 ständig. Weil er so bedeutend für die neuere Geschichte Indonesiens
war und weil sich aus seiner Position, seinen Herrschaftsstrategien und seiner Beziehung
zu den strategischen Gruppen und verschiedenen Faktionen in diesen Gruppen
vieles über die Neue Ordnung ableiten lässt, soll im Folgenden diese Entwicklung
kurz nachgezeichnet werden. Dabei lassen sich sechs Phasen unterscheiden.
In der ersten Phase von 1965 bis 67/68 war Suharto noch sehr stark auf die Unterstützung
von Studenten und muslimischen Gruppen angewiesen. Im Militär war er Erster
unter Gleichen und benötigte die Zustimmung der wichtigsten Generäle. Sukarno war
anfänglich noch ein ernst zu nehmender Konkurrent für Suharto, wurde aber schrittweise
entmachtet. Schon nach kurzer Zeit wurden von den genannten Gruppen einige
Personen kooptiert, während ein großer Teil in die Opposition (zurück)gedrängt wurde.
Viele reformorientierte Studenten der 66er Generation und viele Muslime, die sich
eine Verbesserung in der Neuen Ordnung erhofft hatten, mussten sehr schnell einsehen,
dass das Suharto-Regime in mancher Hinsicht schlimmer war als die Gelenkte
Demokratie.
Wirtschaftspolitisch stützte sich Suharto auf einige Technokraten, die er bei einem
Armeeseminar im August 1966 das erste Mal getroffen hatte. 186 Bei diesem Seminar
wurde auch das erste Mal das dwifungsi-Konzept von Suwarto vorgestellt. Im August
1966 schuf Suharto sich einen Stab von engen Mitarbeitern (Staf Pribadi = Spri),
bestehend aus sechs Offizieren und zwei Teams von Beratern in ökonomischen Angelegenheiten.
187 Zum Spri gehörten u.a. Alamsyah Ratu Perwiranegara als Koordinator,
Sujono Humardani (zuständig für ökonomische Angelegenheiten), Ali Murtopo (Auslandsgeheimdienst),
Yoga Sugama (inländischer Geheimdienst) und Suryo (Finanzen).
188 Zusammen mit dem (zunächst stellvertretenden) Armeekommandeur
Panggabean, Innenminister Basuki Rachmat und Pertamina-Chef Ibnu Sutowo hatte
dieser Zirkel einen erheblichen Einfluss auf die Politik der Neuen Ordnung. Die
gleichzeitig bestehenden Kabinette hingegen wurden von Suharto wenig beachtet.
Von vornherein gab es im Spri eine Rivalität zwischen Alamsyah und der Murtopo-
Gruppe. Da Alamsyah nicht in der Lage war, die Machtkämpfe in der neu gegründeten
islamischen Partei Parmusi unter Kontrolle zu bringen und da seine Bemühungen
186 Vgl. Subroto 1998, 73ff.
187 Jenkins 1984, 22ff; Crouch 1978, 305ff. Am 12.9.1966 stellte Suharto ein Team von Finanz-
und Wirtschaftsexperten sowie eines von Politikexperten zusammen. Das erstere bestand aus
fünf UI-Ökonomen, nämlich aus Wijoyo, Sadli, Ali Wardhana, Emil Salim und Subroto, und
wurde von Sujono Humardani geleitet. Das letztere bestand aus Sarbini, Sulaiman Sumardi,
Fuad Hasan, Deliar Nur und Hairy Hadi und wurde von Alamsyah koordiniert. Am 25.6.1968
wurde das Expertenteam aufgelöst, weil nunmehr das erste Entwicklungskabinett seine Arbeit
aufnahm.
188 Außerdem BG Abdul Kadir Prawiraatmaja (Soziales), BG Slamet Danudirjo (ökonomische
Entwicklung), BG Nawawi Alif (Massenmedien), BG Sudharmono (allgemeine Angelegenheiten),
BG Sunarso (politische Angelegenheiten), BG Isman (Massenbewegungen) und BG
Yusuf Singkedane (nationale Projekte). Murtopo, Sujono und Sugama hatten für Suharto bereits
in der Diponegoro-Division und bei Kostrad gearbeitet.

Suharto und seine Stellung 141
um japanische Investitionen fehlschlugen, ernannte Suharto ihn zum Staatssekretär,
was einer Degradierung gleichkam, und löste den Spri im Juni 1968 auf. Diesen ersetzte
er durch den Aspri, den Stab seiner persönlichen Assistenten. Damit hatte sich
die Gruppe um Ali Murtopo (Suryo, Sujono Humardani, Widya Latief) zunächst
durchgesetzt. Sie hatte einerseits gute Beziehungen zu einigen chinesischen und japanischen
Unternehmern und konnte andererseits Finanzmittel aus verschiedenen staatlichen
Unternehmen wie Pertamina unter Ibnu Sutowo, Bulog unter Ahmad
Tirtosudiro, PN Berdikari und PN Timah abziehen. Eine wichtige Machtbasis für die
Murtopo-Gruppe war Opsus, eine für spezielle Operationen zuständige Organisation.
In Opsus waren bereits zwei der Offiziere vertreten, die später zu den einflussreichsten
Militärs gehören sollten, nämlich Sudomo und Benny Murdani.
In der zweiten Phase von 1967/68 bis 1974 konnte sich Suharto zunehmend emanzipieren.
Er stützte sich auf einen inner circle von Generälen um Ali Murtopo. Bereits
in den frühen 70er Jahren waren einige grundlegende Strukturen der Neuen Ordnung
deutlich erkennbar: Die Regimekoalition hatte sich gefestigt, und die Opposition war
korporatistisch eingebunden oder repressiv ausgeschaltet. Die Studenten und muslimischen
Gruppen waren langsam ausgebootet worden. Suharto wurde 1973 ohne
erkennbaren Widerstand zum Präsidenten wiedergewählt, nachdem die Murtopo/Opsus/CSIS-Gruppe
die Restrukturierung der Parteien und die Wahlen in autoritär-technokratischer
Manier gemanagt hatte.
Crouch 189 unterscheidet die für Politisches und Finanzielles zuständigen Generäle der
Murtopo-Gruppe von den Anfang der 70er Jahre hervortretenden Reformern, die zwar
keine geschlossene Gruppe konstituierten, aber ähnliche Haltungen zur Rolle des
Militärs einnahmen. Die Aspri- oder Murtopo-Gruppe hatte keine direkte Befehlsgewalt
über Truppen, konnte aber wegen ihres Zugangs zu Suharto und ihrer finanziellen
Möglichkeiten Kontakte zu einzelnen Truppenteilen herstellen. Die Reformer aber
waren besorgt, dass die enge Verknüpfung des Militärs mit ausländischen und chinesischen
Unternehmern das aus der Revolution stammende Ansehen ABRIs unterminieren
könnte:
"By the early 1970s, many field officers were looking to the deputy commander of the armed
forces and head of Kopkamtib, Lieutenant General Sumitro, the new head of Bakin, Lieutenant
General Sutopo Juwono, and the deputy chief of staff of the army, Major General Sajidiman, to
express their point of view." 190
Diese Hankam-Gruppe war beispielsweise 1973 in der Lage, ihren Kandidaten Amir
Murtono als 1. Vorsitzenden Golkars durchzusetzen. Die Reformer waren überwiegend
von der Brawijaya- und der Siliwangi-Division und setzten sich für eine größere
Transparenz des politischen Systems und der staatlichen Finanzgeschäfte ein. Dieses
Ziel verband sie zum Teil mit den Technokraten, die ebenfalls versuchten, die Aspri-
Gruppe stärker zu kontrollieren. Letztlich dürfte der ungleiche Zugang zu Finanzquellen
den Kern der Auseinandersetzung zwischen der Murtopo- und der Sumitro-
189 Crouch 1978, 304ff.
190 Crouch 1978, 309.

142 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Gruppe gewesen sein. Ihren Höhepunkt erlebte der Gegensatz in der bereits erwähnten
Malari-Affäre vom 15. Januar 1974.
Am 2. Januar, nachdem wochenlang Gerüchte über die Pläne Sumitros verbreitet
worden waren, rief Suharto Sumitro, Ali Murtopo und Sutopo Yuwono zu sich. In der
folgenden Pressekonferenz musste Sumitro angebliche Ambitionen seinerseits ausdrücklich
abstreiten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass es einen Machtkampf
in der Führungsspitze gab. Nach bisherigen Erkenntnissen hatte Sumitro die
gegen seine Widersacher gerichteten friedlichen Demonstrationen 1973/74, besonders
die am 15. Januar 1974, unterstützt. 191 Am 15. Januar eskalierten Demonstrationen
gegen den japanischen Premierminister Tanaka, gegen die Murtopo-Gruppe und allgemein
gegen den übermäßigen Einfluss ausländischer Unternehmen. Murtopo sorgte
mithilfe seines Opsus-Apparates dafür, dass die Aktion Sumitros aus dem Ruder lief.
Es gibt Berichte darüber, dass die Plünderer und Brandschatzer von agents
provocateurs angestachelt worden waren. 192
In der Malari-Affäre kamen verschiedene Widersprüche zusammen, die sowohl Konflikte
innerhalb der Führungselite des Militärs als auch zwischen Gruppierungen mit
spezifischen wirtschaftlichen Interessen widerspiegelten. Die Konfrontation zwischen
den Militärreformern um Sumitro und der Opsus-Aspri-CSIS-Gruppe, also der Finanz-
und Politikgeneräle um Murtopo, war auch auf unterschiedliche wirtschaftspolitische
Konzeptionen zurückzuführen. Die mit japanischem (und chinesischem) Kapital
eng verflochtene Murtopo-Gruppe plädierte für eine staatlich geführte Industrialisierung
in Zusammenarbeit mit den Sinoindonesiern und Japanern. 193 Die Militärreformer
standen den Technokraten mit ihrer eher an amerikanischen Interessen ausgerichteten
Strategie näher. Die Sumitro-Gruppe konnte sich in sehr lockerer Form mit
Teilen der kleinen, oft islamischen Unternehmerschaft, vor allem aus der Textilbranche,
verbünden, die gegen die japanische und sinoindonesische Dominanz aufbegehrten
und z.B. an den antichinesischen Unruhen in Bandung im August 1973 beteiligt
gewesen sein sollen. Ein weiteres, etwas merkwürdiges Bündnis ergab sich zwischen
den Oppositionellen der Mittelklasse, die ihren aktivsten Teil in der Studentenbewegung
von 1973/74 hatte, mit den Militärreformern, die zumindest den Eindruck erweckten,
gegen die Korruption und die gegen pribumi-Interessen gerichtete Wirtschaftspolitik
vorzugehen.
Suharto übernahm nach den Malari-Unruhen zunächst selbst das Kopkamtib-
Kommando, Yoga Sugama ersetzte Sutopo Yuwono als Bakin-Leiter, und Sudomo
wurde Kopkamtib-Stabschef. Trotz der Aspri-Auflösung blieben Ali Murtopo (als
Opsus-Leiter und Stellvertreter von Yoga Sugama) und Sujono Humardani (als Generalinspektor
für Entwicklung) einflussreich. Sumitro gab im März 1975 sein noch
verbliebenes Amt als stellvertretender Kommandeur der Streitkräfte auf und lehnte
191 Sumitro beschreibt die Begegnung in typisch egozentrischer Weise folgendermaßen: " 'We
believe you!' they shouted back. 'Well, in that case, just go home. Go home!' The crowd began
moving. Then the people dispersed. I had succeeded in keeping the demonstrations from spilling
over into the Monas area" (Ramadhan 1996, 390).
192 Das sagte der Student Aini Chalid während seines Prozesses aus (Crouch 1978, 315).
193 Vgl. dazu u.a.: Robison 1986, Kap. 5.

Suharto und seine Stellung 143
dann den angebotenen Botschafterposten in den USA ab. In seiner Autobiographie
attackierte er 1996 - nicht ganz eindeutig - Panggabean und Murtopo und warf
Sudomo Unfähigkeit vor. Sumitro, der während seiner Amtszeit niemals Sympathien
für demokratische Regierungsformen gezeigt hatte, wurde später zu einem der prominentesten
Kritiker Suhartos und des überzogenen Autoritarismus der Neuen Ordnung.
In der dritten Phase von 1974 bis Anfang der 80er Jahre wurde Suharto zunehmend
mächtiger, wobei allerdings seine Präsidentschaft in den Jahren 1977/78 für kurze
Zeit durch einige führende Militärs in Frage gestellt wurde. Suharto stützte sich weiter
auf die Murtopo/Opsus/CSIS-Gruppe, außerdem aber auf loyale Militär- und Verwaltungsspitzen,
auf eine ihm ergebene Regierungspartei, auf eine Sekneg-Gruppe und
weiterhin auf einige Ökonomen der "Berkeley-Mafia".
Nach Jenkins 194 gehörten zum Zirkel der engsten Mitarbeiter Suhartos nach der
Malari-Affäre und der Auflösung des Aspri der Verteidigungsminister und Kommandeur
der Streitkräfte Panggabean, Innenminister Amir Machmud, Yoga Sugama als
Bakin-Leiter, Ali Murtopo, Kopkamtib-Stabschef (später Kommandeur) Sudomo,
Benny Murdani als Assistent für den Geheimdienst des Verteidigungsministeriums,
Daryatmo als Stabschef für nichtmilitärische Angelegenheiten im Verteidigungsministerium
und schließlich, bis zur Aufdeckung des Finanz-Skandals, der Pertamina-
Chef Ibnu Sutowo. Dieser Zirkel zerfiel in einzelne Gruppen oder Netzwerke:
- die Amir Machmud-Gruppe, die über das Innenministerium einen erheblichen Teil
der Zivilverwaltung kontrollieren konnte,
- die Ali Murtopo-Gruppe mit guten Verbindungen zu japanischen und chinesischen
Unternehmen und einer Basis in den Geheimdiensten (mit guten Kontakten zu Sudomo
und Murdani) sowie
- die Sudharmono-Gruppe mit Stützpunkten im Staatssekretariat (Sekneg) und in der
Justiz.
Die Sudharmono-Gruppe entstand Anfang der 70er Jahre. 195 1972 wurde
Sudharmono, der schon Kabinettssekretär war, zum Staatssekretär ernannt. Er rekrutierte
u.a. Ismael Saleh, Ginanjar Kartasasmita, Murdiono und Ali Said. In den 70er
Jahren standen dem Sekneg allerdings noch keine umfangreichen finanziellen Mittel
zur Verfügung.
Nach der Auflösung von Aspri und Opsus und nach dem Pertamina-Skandal, der
letztlich 1975 zur Entmachtung Ibnu Sutowos führte, wurde die Position der Technokraten
gestärkt. Aber mit den neuen Investitionsgesetzen von 1974 rückten Institutionen,
die die Projektvergabe kontrollieren konnten, in den Vordergrund. Pangaribuan
schreibt dazu:
"Sekneg was now clearly on equal standing with the technocrats and the Ali Moertopo group in
influencing state economic policy. While the Ali Moertopo group advocated nationalist economic
policies that emphasised the role of the state in supporting the growth of domestic business
groups, there was a crucial difference in the brand of economic nationalism that was espoused
by Sekneg: the former group had courted the much stronger Chinese owners of capital,
194 Jenkins 1984, 20ff.
195 Pangaribuan 1996, 30ff.

144 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
while the latter was interested in promoting nascent pribumi capitalists. But the differences
between Sekneg strategies and those of the technocrats were even greater and Sekneg was to
eventually withdraw from the alliance that they had initially forged over the handling of the
Pertamina case." 196
1977/78 geriet Suharto in Bedrängnis, da sich offensichtlich in der Armee zunehmend
Widerstand gegen ihn formierte. 197 Die Kritik richtete sich gegen die verengte, rein
machtpolitisch motivierte dwifungsi-Interpretation. In den nächsten Jahren konnten
sich - z.T. mit Unterstützung führender, aktiver Generäle - Foren wie LKB und Fosko
bilden, die diese Kritik artikulierten (vgl. Abschnitt 4.1). Die Differenzen zwischen
dem Militär und Suharto waren so groß, dass Mitte Dezember 1977 ein zweitägiges
Treffen zwischen dem Präsidenten und 25 Generälen stattfand. Offensichtlich gelang
es Suharto, die Führungsspitze von ABRI wieder fester an sich zu binden, denn in
einer sich anschließenden Pressekonferenz sprach sich Panggabean für eine "nationale
Führung" (pimpinan nasional) aus, womit die Aufrechterhaltung der starken Position
des Präsidenten gemeint war.
Nachdem der ehemalige Kopkamtib-Kommandeur Sumitro das Problem der Präsidentennachfolge
offen angesprochen hatte und Verteidigungsminister Yusuf erklärt hatte,
das Militär solle die Einheit mit dem Volk wiederherstellen (dwi-tunggal
ABRI/Rakyat) und über den Parteien stehen, brachte Suharto im März 1980 bei einer
Kommandeurstagung in Pekanbaru unmissverständlich zum Ausdruck, dass ABRI
sich für die Pancasila und für ein uneingeschränktes Bündnis mit Golkar zu entscheiden
habe.
Im selben Jahr wurde die Machtbasis der Sudharmono-Gruppe durch die Einrichtung
des Tim 10 weiter ausgebaut. Dieses Team war für die Vergabe von Regierungsprojekten
zuständig und kontrollierte somit über mehrere Jahre riesige Finanzmittel.
Sowohl die Technokraten als auch die Militärs waren durch die Entstehung eines
neuen mächtigen Subzentrums, das wieder nur von Suharto beherrscht wurde, beunruhigt.
ABRI reagierte - vertreten durch Benny Murdani - mit der Ankündigung, dass
die Unterscheidung pribumi - nonpribumi aufgehoben werden solle, da sie nicht mehr
zeitgemäß sei. In Wirklichkeit wurde damit die Legitimation des Tim 10 in Frage
gestellt.
Das reguläre Kabinett gewann nach der Aspri-Auflösung zunehmend an Bedeutung.
An der Zusammensetzung der Kabinette ließen sich daher ebenfalls Machtverschiebungen
ablesen. Im Dritten Entwicklungskabinett (1978-83) waren die Ali-Murtopo-
Gruppe, die Sudharmono-Gruppe und weiterhin die Gruppe der Technokraten vertreten,
die als Patron-Klient-Netzwerke, aber auch - wegen der jeweils gemeinsamen
Programmatik - als sehr schwach entwickelte Allianzen eingestuft werden können.
Höher entwickelte Allianzen entstanden erst später.
In der vierten Phase von Anfang der 80er bis etwa 1988 stützte sich Suharto im Militär
vor allem auf Benny Murdani und auf die Gruppe um Sudharmono, die im Sekneg
ihre Basis hatte und seit 1983 auch Golkar dominierte.
196 Pangaribuan 1996, 55.
197 Bresnan 1993, 199ff.

Suharto und seine Stellung 145
Die Herrschaft des Präsidenten war bereits so gefestigt, dass selbst der leiseste Widerspruch
als "Majestätsbeleidigung" aufgefasst wurde. Im Militär waren seine ehemaligen
Kameraden der 45er-Generation bereits ausgemustert worden. Suharto begann in
dieser Zeit, das Wirtschaftsimperium seiner Familie aufzubauen. Gleichzeitig stärkte
er die Gruppe um Sudharmono sowie die Position von Habibie, den er zu dieser Zeit
vielleicht schon als seinen Kronprinzen betrachtete.
Der entscheidende Politik- und machtstrategische Wechsel erfolgte dann Mitte der
80er Jahre mit den sinkenden Erdölpreisen und der im Anschluss daran begonnenen
Deregulierungspolitik. Die Technokraten bestimmten zu diesem Zeitpunkt die Wirtschaftspolitik
und verlangten nach mehr Transparenz, einer Bekämpfung der Korruption
und damit indirekt nach einer Machtschwächung des Militärs. Die intraelitären
Machtkämpfe wurden intensiver ausgetragen, weil Suharto nicht mehr allzu lange
Präsident sein konnte. Die strategischen Gruppen der Regimekoalition mussten sich
also auf die Nach-Suharto-Zeit vorbereiten. ABRI versuchte, die Doppelfunktion in
allen Bereichen unverändert beizubehalten und selbst mit einem geeigneten Kandidaten
die Präsidentschaft zu übernehmen. Habibie arbeitete daran, sein Firmenimperium
auszubauen; Suharto ließ durch seine Kinder ein Milliardenvermögen aufhäufen und
platzierte Günstlinge in der Militärspitze.
Die fünfte Phase reichte von 1988 bis Anfang 1998. In dieser Phase stand die Lösung
des Nachfolgeproblems im Vordergrund, was zu einer Verschärfung eines weitgehend
latenten Konfliktes zwischen Suharto und einigen seiner zivilen Ziehsöhne wie
Habibie und Harmoko einerseits und Teilen von ABRI andererseits führte. Mit der
Annäherung an den Islam und der Schaffung ICMIs, der Besetzung des Golkar-
Vorsitzes durch Harmoko im Jahre 1993 und mit der Förderung eigener Verwandter
(zunächst Wismoyos, dann Prabowos, außerdem seiner Kinder) sowie mit dem Aufstieg
von Hartono und Feisal Tanjung konnte Suharto seine Machtposition wiederum
stabilisieren und seine Wiederwahl 1998 noch einmal durchsetzen.
In den letzten Jahre machte sich eine Krisen- und Untergangsstimmung breit, weil
damit gerechnet werden musste, dass die Ablösung Suhartos zu gewaltsamen Eruptionen
führen könnte. Schon bei der Besetzung des Vizepräsidentenamtes 1988 zeichnete
sich eine zunehmende Distanz zwischen ABRI und Suharto ab. Zum einen mussten
die Streitkräfte befürchten, dass der nächste Präsident ein Zivilist sein könnte,
zum anderen war die Ausbootung Benny Murdanis, der einige Wochen vor der MPR-
Sitzung im März 1988 plötzlich als ABRI-Kommandeur durch Try Sutrisno abgesetzt
worden war, der Ausgangspunkt einer Reihe von Auseinandersetzungen zwischen der
Murdani-Gruppe und Suharto. Auch wenn es aus heutiger Sicht schwierig ist, die
damaligen Strategien Suhartos nachzuvollziehen, so ist recht deutlich, dass er sich seit
1988 stärker auf Zivilisten als potentielle Nachfolger (Sudharmono, Habibie) stützte
und zugleich damit begann, muslimische Gruppen für sich zu gewinnen. Murdani war
als Katholik und als einer der Verantwortlichen des Massakers von Tanjung Priok
(1984) eine geeignete Zielscheibe für Muslime, die einen größeren politischen Einfluss
erringen wollten.

146 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
1988 war ein Wendejahr, weil nicht nur ein mächtiger Zivilist Vizepräsident wurde
(der zu diesem Zeitpunkt noch Golkar-Vorsitzender war), sondern weil die Murdani-
Gruppe sehr viel von ihrer Macht einbüßte (dazu gehörte auch die Ablösung Kopkamtibs
durch Bakorstanas), der Einfluss islamischer Gruppen jedoch zunahm.
Suhartos Position wurde aber seit 1988 immer schwächer, schon allein weil der inzwischen
67-Jährige nicht unbegrenzt amtieren konnte und weil deshalb viele damit
rechneten, dass 1993 ein neuer Präsident - natürlich abgesegnet durch Suharto selbst -
gewählt werden würde. Diese Stimmung der Ungewissheit und die Konflikte innerhalb
der Regimekoalition trafen sich mit fundamentalen Veränderungen in der internationalen
Politik und mit einem nachhaltigen ökonomischen und sozialen Wandel
seit Beginn der wirtschaftlichen Öffnungspolitik Mitte der 80er Jahre. Diese Koinzidenz
führte zu einer Belebung der öffentlichen Debatten und dazu, dass die indonesische
Presse immer mutiger und offener berichtete. 1989-91 wurde z.B. lebhaft über
die integralistische Staatsidee von Supomo debattiert. Zur gleichen Zeit lösten einige
ABRI-Parlamentsabgeordnete Diskussionen über keterbukaan aus. In dieser Zeit
spielte Suharto nicht nur zunehmend die islamische Karte, sondern war bemüht, sich
stärker außenpolitisch zu profilieren (1992 erhielt Indonesien den Vorsitz in der
Blockfreienbewegung) und von den Geschäften seiner Familie abzulenken, indem er
etwa die Sinoindonesier im Januar 1990 aufforderte, Aktienanteile zu Vorzugspreisen
an Kooperativen zu verteilen.
Ein Wendepunkt in der Geschichte der Neuen Ordnung war die Gründung von ICMI
im Dezember 1990, die die Konstellation der herrschenden Gruppen nachhaltig veränderte.
Suharto wollte offensichtlich Habibie zu seinem Nachfolger machen und
stattete ihn mit einer Organisation aus, die einen großen Anhang aufbauen und viele
prominente Muslime, auch kritische Muslimführer, kooptieren oder zur Mitarbeit
bewegen konnte. Die ICMI-Gründung schwächte das Militär und drohte, die verschiedenen
Strömungen im indonesischen Islam weiter auseinander driften zu lassen.
Fortan bestimmte der Gegensatz zwischen Suharto und Habibie-ICMI einerseits und
ABRI andererseits die Konflikte innerhalb der Regimekoalition. Das Dili-Massaker
im November 1991, dessen genaue Hintergründe bis heute nicht geklärt sind, brachte
Indonesien international in die Kritik, und der eigenen Bevölkerung wurde noch einmal
vor Augen geführt, wie brutal das Militär in Ost-Timor vorging.
1993 ging die Auseinandersetzung zwischen Suharto und dem Militär in die nächste
Runde. Diesmal konnte das Militär seinen Vizepräsidenten-Kandidaten, Try Sutrisno,
durchsetzen, nachdem Suharto mit der vorgezogenen Nominierung vor vollendete
Tatsachen gestellt worden war. Gleichzeitig konnte auch Habibie seine Machtposition
ausbauen, da vier Minister als seine Vertrauten gelten konnten und da er in Golkar
eine wichtige Stellung als Vorsitzender eines Sechserteams einnehmen durfte und die
Wahl Harmokos managte. Harmoko war ein Suharto-Günstling, er war allerdings
niemals - im Gegensatz zu allen seinen Vorgängern - Soldat gewesen. Kurz vorher
hatte General Sembiring Meliala in einem Aufsehen erregenden Interview Habibie
und Harmoko als Suharto-Abhängige bezeichnet, die ihre Machtposition nur der Pro-

Suharto und seine Stellung 147
tektion durch den Präsidenten zu verdanken hätten. 198 Damit hatte er die Ressentiments
der Militärs auf den Punkt gebracht. In der Affäre um den Kauf der NVA-
Schiffe erreichte die Auseinandersetzung zwischen ABRI und Habibie einen ersten
Höhepunkt. Die Affäre gipfelte in den Publikationsverboten vom Juni 1994. Im Februar
1995 wurde der als orthodox-muslimisch geltende Hartono Kommandeur des
Heeres. Damit waren die beiden höchsten ABRI-Posten mit Muslimen besetzt, was
von einigen Beobachtern als penghijauan ("Vergrünung") gedeutet wurde. Habibie
hatte nun eine Allianz aufgebaut, die von der Bürokratie über Golkar und muslimische
Kreise bis ins Militär hineinreichte. Seine Annäherung an Teile ABRIs konnte
man u.a. daran ablesen, dass er im Oktober 1996 eine Rede in der Stabskommandoschule
halten durfte.
ABRI war nicht mehr wie früher von einzelnen Personen dominiert. Es gab keinen
Benny Murdani mehr, stattdessen nahm die Rotation auf der höchsten Führungsebene
seit Anfang der 90er Jahre zu. Oft wurden schon nach wenigen Monaten Positionen
neu besetzt. In die allerhöchsten Positionen gelangten ehemalige Adjutanten Suhartos
und sein Schwiegersohn Prabowo. Die ABRI-Führung war also stärker zersplittert,
aber der neu entstandene Gegensatz zwischen säkular-nationalistischen und orthodoxislamischen
Offizieren bedeutete nicht, dass es eine für die Institution ABRI bedrohliche
Fraktionierung gab.
Die Regimekoalition hatte in der letzten Phase vor allem zwei Aufgaben: zum einen
die immer stärker werdende Demokratiebewegung zu unterdrücken und zum anderen
eine möglichst elegante Lösung des Nachfolgeproblems zu finden. Noch war allerdings
unklar, ob Suharto 1998 seine Amtszeit beenden oder fortsetzen wollte. Als
deutlich wurde, dass Suharto zumindest noch zwei, drei Jahre im Amt bleiben wollte,
wurde die Besetzung des Vizepräsidentenamtes zu einer Weichenstellung, da dieser
Vizepräsident mit großer Wahrscheinlichkeit später Nachfolger Suhartos werden
würde. Von den sechs, sieben oder auch acht Personen, die monatelang als mögliche
Kandidaten genannt wurden, hatten nur zwei oder drei wirkliche Chancen: Vor allem
der bereits amtierende Vizepräsident Try Sutrisno und Habibie. Suharto entschied
sich offenbar schon frühzeitig für Habibie. Er hatte die Streitkräfte mittlerweile so fest
im Griff, dass kein nennenswerter Widerstand mehr entstehen konnte. Wiranto wurde
im Juni 1997 neuer Heeresstabschef und im Februar 1998 neuer ABRI-Kommandeur,
gleichzeitig wurden der ehemalige Kommandant der Leibwache des Präsidenten,
Subagyo Hadi Siswoyo, neuer Heeresstabschef und Prabowo Subianto, Suhartos
Schwiegersohn, Kostrad-Kommandeur. Die Nachfolge war geregelt und die Opposition
konnte voraussichtlich noch für einige Zeit im Zaum gehalten werden. Aber die
Asienkrise veränderte die Konstellation der herrschenden Gruppen und vor allem das
Verhältnis von diesen zur Bevölkerung so sehr, dass die Neue Ordnung nicht mehr zu
retten war. Die sechste Phase von Februar bis Mai 1998 führte schließlich zum Sturz
Suhartos (vgl. Kap. 5).
198 DëTik 27.10.-2.11.1993.

148 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Lässt man die mehr als dreißig Jahre Revue passieren, erkennt man einige grundlegende
Veränderungen in der Regimekoalition bzw. in der Beziehung Suhartos zu den
strategischen Gruppen und zu seinen Klienten. Es kam zu einer zunehmenden Konzentration
der Macht durch Suharto bis weit in die 80er Jahre hinein. Das Militär
wurde allmählich geschwächt, während Golkar aus dem vorher starken Griff des
Militärs seit Anfang der 80er Jahre etwas gelöst werden konnte. Teilweise kam es zu
einer "Zivilisierung" der Regimekoalition, was am geringer werdenden Anteil von
Militärs in zivilen Positionen und an der Ablösung der militärischen oder militärnahen
Gruppen durch zivile Gruppen um Sudharmono und dann durch Habibie und
"Tutut" Suharto abzulesen ist. Seit Ende der 80er Jahre veränderte sich die Haltung
von Suharto und Teilen der Regimekoalition zu muslimischen Gruppen, die zunehmend
gefördert und kooptiert wurden. Der Präsident verließ sich in den letzten Jahren
stärker auf Verwandte im Militär und in der Politik (Wismoyo, Prabowo, "Tutut" et
al.). Nach dem Ende bzw. der Schwächung der Murdani- und der Sudharmono-
Gruppe trat Habibie immer mehr in den Vordergrund.
Die von Suharto abhängigen Klienten bildeten in den ersten Jahren kleine Gruppen,
die relativ schnell wieder aufgelöst werden konnten und mit dem Tode des wichtigsten
Klienten verschwanden. Lediglich die Murtopo- und die Sumitro-Gruppe hatten
bis 1974 eine gewisse Selbständigkeit, was für Suharto zeitweise sogar bedrohlich
wurde. Die Murdani- und die Sudharmono-Gruppe waren noch mächtiger. Vor allem
Murdani war so einflussreich, dass er noch in den frühen 90er Jahren von einigen
Beobachtern als potentieller Nachfolger Suhartos eingeschätzt wurde. Während die
wichtigsten Klientengruppen in den ersten Jahren fast ausschließlich aus Militärs
bestanden, war die Sudharmono-Gruppe schon im Wesentlichen zivil. Dabei mussten
vor allem die zivilen Klienten versuchen, Allianzen aufzubauen, um sich gegen das
sehr starke Militär zur Wehr setzen zu können. Erst Habibie gelang das in den 90er
Jahren, weil ABRI inzwischen - nach der Entmachtung Murdanis - keine so starke
Führung mehr hatte.

Die Großunternehmer 149
3.4 Die Großunternehmer
Zu den Großunternehmern der Neuen Ordnung gehörten neben den ausländischen
Investoren und den Militärs und Bürokraten, die einen Teil der Gewinne der Staatsbetriebe
abschöpften, im Wesentlichen zwei Fraktionen: nämlich die sinoindonesischen
Großunternehmer (von denen diejenigen mit guten Kontakten zu den Machthabern
aus dem Militär und der Bürokratie bzw. zur Familie Suharto als cukong 199
bezeichnet werden) und die einheimischen oder pribumi-Unternehmer. 200 Bei letzteren
war die Familie Suharto herauszuheben. Die großen Grundbesitzer hatten anders
als in vielen Entwicklungsländern keinen erkennbaren Einfluss auf die Regimekoalition.
Sie gehörten lediglich auf lokaler Ebene zur Machtelite.
In der Neuen Ordnung entwickelten sich die verschiedenen Fraktionen der Großunternehmerschaft
in folgenden Phasen:
- Bis ca. 1974 dominierten ausländische Investoren und zunehmend sinoindonesische
cukong die heimische Wirtschaft. Pribumi wurden kaum gefördert, weil sie
politisch nicht so leicht zu kontrollieren waren, weil ihre Kapitalbasis schwach war
und ihnen z.T. das Know-how fehlte.
- Ab 1974 und vor allem seit Ende der 70er Jahre wurden die pribumi stärker gefördert.
Trotzdem konnten die Sinoindonesier ihre Position nicht nur behaupten, sondern
sogar stärken.
- Anfang/Mitte der 80er Jahre setzte mit der schrittweisen Öffnung und Liberalisierung
eine zunehmende Konzentration des Kapitals ein. Gleichzeitig verstärkte die
Familie Suharto ihre Bemühungen zum Aufbau eines eigenen Wirtschaftsimperiums.
Wegen des Erdölpreisverfalls verlor Pertamina an Bedeutung, und die privaten
Unternehmer wurden als Steuerzahler immer wichtiger. Ausländische Investitionen
und Kreditvergaben waren für die Fortsetzung der Industrialisierung weiterhin
unerlässlich.
Zunächst sollen die Bedeutung ausländischer und staatlicher Betriebe sowie ausländischer
Investitionen und im Anschluss die Position der landwirtschaftlichen Betrie-
199 cukong (Hokkien-Begriff) = "Boss" oder "Master"; pejorativer Begriff für einen reichen indonesischen
Geschäftsmann chinesischer Herkunft, der Verbindungen zur politisch-administrativ-militärischen
Machtelite hat und ihr untergeordnet ist. Obwohl der Begriff in Indonesien seit einigen Jahren seltener
gebraucht wird, findet er hier (etwa in der Bedeutung von "crony") Verwendung.
200 Hier werden nur die großen Unternehmen behandelt, da die kleineren und mittleren bei den politischen
Kämpfen bedeutungslos waren. Auch wird keine systematische Unterscheidung von binnenmarkt- und
international orientierten Unternehmen vorgenommen (vgl. dazu Schubert/Tetzlaff/ Vennewald 1994,
83ff). Zum besseren Verständnis wird zwischen pribumi und nonpribumi unterschieden. Mit den nonpribumi,
die meistens die indonesische Staatsbürgerschaft haben, sind die Sinoindonesier oder chinesischstämmigen
Indonesier (oder kurz: die Chinesen) und die Ausländer gemeint. Zur einheimischen Bourgeoisie
zählen aber sowohl die pribumi (ähnlich auch die Verwendung von: asli = original, originär) als
auch die Sinoindonesier. Ausländer sind dann Japaner, Amerikaner, Deutsche usw. Der Begriff "einheimischer
Unternehmer" deckt sich also nicht mit "pribumi-Unternehmer". Es muss hinzugefügt werden,
dass die hier übernommene Einteilung in pribumi und nonpribumi willkürlich und bis heute ein Teil der
"[...] very familiar practice of Othering the ethnic Chinese [...]" ist (Heryanto 1998, 100).

150 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
be im Gefüge der indonesischen Volkswirtschaft kurz beleuchtet werden, um dann
die Rolle der Sinoindonesier und der pribumi-Unternehmer zu analysieren. Dabei
sollen auch einige Ausführungen zur Stellung der Sinoindonesier in der indonesischen
Gesellschaft, zur pribumi-Förderungspolitik, zu den von pribumi dominierten
Unternehmerverbänden und schließlich zur Familie Suharto, ihren Wirtschaftsimperien
und den bekanntesten Fällen von Nepotismus eingeschoben werden.
Die Bedeutung privater, staatlicher und ausländischer Unternehmen
In der Gelenkten Demokratie und den ersten Jahren der Neuen Ordnung führten
amerikanische Erdölgesellschaften die ausländischen Investoren an. Schon bald
wurden aber die Japaner zu den wichtigsten Handelspartnern und Investoren. Von
1967 bis 1996 hatten sie einen Anteil von 23% an den gesamten genehmigten Investitionen
im Nicht-Erdöl/Erdgas-Sektor, gefolgt von den Unternehmern aus Großbritannien
(17%), Hongkong (11%), Singapur (8%), Taiwan (7%) und den USA (7%).
Die meisten ausländischen Investitionen in den 90er Jahren flossen in den industriellen
Sektor, gefolgt vom Infrastrukturbereich (Elektrizität, Gas und Wasser), dem
Sektor Finanzen, Versicherungen, Immobilien etc. und dem Handels-, Restaurantund
Hotelsektor. In diesen Jahren nahm der Umfang solcher ausländischen Investitionen
sprunghaft zu (Siehe Tab. 3-5). 201 Dieses ausländische Kapital war von strategischer
Bedeutung. 1997 schrieb Lindblad:
"It constitutes a very small proportion of gross domestic capital formation, and consistently
stays far below approvals for domestic business investment. Still it fulfills a key
function in Indonesian economic growth on account of its high export propensity and use
of more sophisticated technology. In this regard a fundamental continuity can be identified
reaching back to the late colonial period." 202
Die Bedeutung dieses Kapitals wurde erst während der Asienkrise richtig deutlich.
Bis dahin war die indonesische Wirtschaft zwar auf ausländische Kapitalhilfen und
Investitionen angewiesen, trotzdem nahmen die ausländischen Unternehmen keine
beherrschende Stellung auf dem indonesischen Markt ein (vgl. Tab. 3-6). Ende der
80er Jahre besaßen einheimische Privatunternehmer 57% der Anteile an den in Indonesien
ansässigen Betrieben, Ausländer kamen auf 12%, und der staatliche Anteil
lag bei 31%. Nahm man den E/E-Sektor aus, kam man auf Besitzanteile von 71%,
5% bzw. 29% (Tab. 3-7). 203
201
1993 wurden Investitionen im Wert von 8,1 Mrd. US$ genehmigt, und in den drei Folgejahren waren
es 23,7 Mrd. US$, 39,9 Mrd. US$ und schließlich 29,9 Mrd. US$.
202
Lindblad 1997, 29.
203
Pangestu 1993, 261ff.

Die Großunternehmer 151
Tab. 3-5: Genehmigte Projekte und Investitionssummen (1967/68- 1995/96) (kumuliert)*
PMDN/einheim. Inv. PMA/ausl. Inv.
1967/68 Projekte 26 48
Investitionssumme 0,04 Bio. Rp. 0,47 Mrd. US$
1973/74 Projekte 1.064 369
Investitionssumme 1,2 Bio. Rp. 1,4 Mrd. US$
1978/79 Projekte 3.075 809
Investitionssumme 3,3 Bio. Rp. 6,7 Mrd. US$
1983/84 Projekte 4.302 987
Investitionssumme 14,4 Bio. Rp. 11,8 Mrd. US$
1988/89 Projekte 6.650 1.485
Investitionssumme 43,6 Bio. Rp. 18,3 Mrd. US$
1993/94 Projekte 10.618 3.208
Investitionssumme 244,0 Bio. Rp. 59,0 Mrd. US$
1995/96 Projekte 12.287 4.711
Investitionssumme 384,5 Bio. Rp. 130,9 Mrd. US$
*1 Bio. Rp. entsprachen Ende des Jahres 1996 etwa 400 Mio. US$.
Quelle: DPP Golkar 1997, 85f.
Seit 1975 ist im Industriesektor der staatliche Anteil gesunken (von 25,0% auf
11,1% 1993), während der Anteil der privaten einheimischen Unternehmen im gleichen
Zeitraum von 50,8% auf 64,4% gestiegen ist. Der Anteil der Ausländer hat sich
vornehmlich in Joint Ventures verlagert (Tab. 3-6).
Tab. 3-6: Besitzverhältnisse im Industriesektor in % (1975-93)
1975 1980 1985 1990 1993
Privater Besitz 50,8 54,3 57,5 62,9 64,4
Staatl. Besitz 25,0 14,9 19,5 14,3 11,1
Ausl. Besitz 10,2 5,3 1,3 2,4 1,4
Joint Ventures* 14,0 25,5 21,8 20,4 23,2
*fast ausschließlich zwischen Ausländern und Privatunternehmern
Quelle: Aswicahyono 1997, 20.
Die einheimischen Unternehmen dominierten die Bereiche Handel und Tourismus,
Dienstleistungen, Bauwesen, Landwirtschaft, Fischerei und Forstwesen. Die ausländischen
Investoren spielten eine wichtige Rolle bei der Kooperation mit staatlichen
Betrieben in der E/E-Exploration und -Förderung sowie in einigen Bereichen der
verarbeitenden Industrie (synthetische Fasern, Getränke, Plastik, Glas, Metalle,
Pharmazeutika, Pestizide etc.), wohingegen der staatliche Einfluss besonders groß
im E/E-Bereich, im Bankensektor, in einigen "strategischen" Industriezweigen
(Schiff- und Flugzeugbau, Herstellung von Rüstungsgütern, Telekommunikation,

152 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Stromerzeugung etc.) und bei der Produktion von Stahl und petrochemischen Erzeugnissen
war (Tab. 3-7). 204
Tab. 3-7: Schätzung des Besitzanteils privater einheimischer, ausländischer
und staatlicher Unternehmen Ende der 80er Jahre (in%)
Einheimisch
Privat
Ausländisch Staatlich Sektoranteil
Landwirtschaft 100 0 0 18
Fischerei, Forstw., Plantagen 80 5 15 3
E/E-Förderung 0 50 50 15
Bergbau 30 30 40 1
E/E-Verarbeitung 0 0 100 4
Industrielle Produktion 59 17 24 14
Baugewerbe 90 5 5 5
Gas, Wasser, Strom 0 0 100 1
Transport und Kommunikation 50 0 50 5
Handel und Tourismus 90 5 5 16
Banken und Finanzen 30 5 65 4
Verwaltung 0 0 100 8
Wohnungen 90 0 10 3
Andere Dienstleistungen 100 0 0 4
Gesamt 57 12 31
Außer Erdöl/Erdgas
Quelle: Hill 1996, 98.
71 5 25
Durch die forcierte Öffnungspolitik der 90er Jahre (u.a. durch die Verordnung PP
20) dürfte der Anteil der Ausländer und der indonesischen Privatunternehmer vor
allem in einigen Dienstleistungsbereichen (Banken, Versicherungen, Handel, ehemals
rein öffentliche Dienstleistungen etc.) wesentlich gestiegen sein. In diesem
Zeitraum erhöhten sich die genehmigten Investitionen indonesischer Betriebe von
39,5 Bio. Rp. 1993 auf 100,7 Bio. Rp. 1996 (vgl. zur kumulierten Investitionssumme
Tab. 3-5).
Trotz der seit Anfang der 80er Jahre gestiegenen Bedeutung der privaten Betriebe
nahmen die öffentlichen Unternehmen eine bedeutende, in vielen Bereichen sogar
beherrschende Stellung ein. Nimmt man die Macht der indonesischen Verwaltung
bei der Vergabe von Lizenzen, Aufträgen und Krediten, bei der Modernisierung der
Landwirtschaft, der Vermarktung von Agrarprodukten durch die nationale Logistikbehörde
Bulog und bei der Investitionskontrolle hinzu, wird die dominante Stellung
des Staatsapparates und der von ihm kontrollierten Betriebe deutlicher (vgl. dazu
204 Hill 1996, 165.

Die Großunternehmer 153
Abschnitt 3.6). 205 Allerdings galten staatliche Unternehmen wie Pertamina, PLN,
Telkom, Bulog, Garuda, Jasa Marga, PT Timah, das Habibie-Imperium u.a. als
ineffizient, so dass schon im Jahre 1989 Finanzminister Sumarlin eine Umstrukturierung
oder Privatisierung vieler der 189 Staatsunternehmen ankündigte. 1995 wurde
dann schon als das Jahr der Privatisierung bezeichnet, da - z.T. über die Börse von
Jakarta - Anteile von Telkom, dem staatlichen Stromversorgungsunternehmen PLN,
vom Zementhersteller Semen Gresik und von PT Jasa Marga, das Mautgebühren
eintreibt, angeboten wurden. 206
Großbauern und ihre Stellung im Herrschaftssystem
In den letzten Jahrzehnten ist es zu einem außergewöhnlichen Wandel in der Landwirtschaft
gekommen. Allerdings war damit nicht, wie seit den 70er Jahren immer
wieder angenommen wurde, die Entstehung einer Klasse von Großgrundbesitzern
als Folge der "Grünen Revolution" verbunden.
Von 1983 bis 1993 wuchs die Anzahl der bäuerlichen Betriebe von 15,9 Mio. auf
17,9 Mio. an, während die Agrarfläche von 16,7 auf 15,4 Mio. ha zurückging. Deshalb
schrumpfte die durchschnittliche Agrarfläche von 1,05 ha je Bauernfamilie auf
0,74 ha je Bauernfamilie. Es gab 1993 weniger bäuerliche Großbetriebe, die von
diesen bewirtschafteten Ländereien waren aber wesentlich größer als 1983, nämlich
11,9 ha 1993 im Gegensatz zu 8,11 ha 10 Jahre vorher. Gleichzeitig war die Durchschnittsfläche
der kleinen Betriebe 1993 auf 0,17 ha (1983: 0,26 ha) geschrumpft
(Tab. 3-8).
Tab. 3-8: Verteilung der Anbaufläche in Indonesien (1973-93) (nur Landbesitzer)
Anbaufläche Betriebe
in %
1973 1983 1993
Fläche
in %
durch-
schn.
Fläche
Betriebe
in %
Fläche
in %
durch-
schn.
Fläche
Betriebe
in %
Fläche
in %
durch-
schn.
Fläche.
< 0,50 ha 45,6 11,9 0,26 ha 40,8 10,2 0,26 ha 48,5 15,6 0,17 ha
0,50-1,99 ha 42,8 41,0 0,95 ha 44,9 40,3 0,94 ha 39,6 49,2 0,90 ha
2,00-4,99 ha 9,4 26,6 2,78 ha 11,9 30,9 2,72 ha 10,6 37,3 3,23 ha
> 5,00 ha 2,1 20,5 9,45 ha 2,4 18,6 8,11 ha 1,3 12,9 11,9 ha
Quelle: Sensus Pertanian 1993, Seri B1 (nach Suhendar 1997, 155).
205 In einigen Wirtschaftsbereichen waren staatliche Regulierungen besonders deutlich. Dazu gehörten
u.a. Teile der Forst- und Landwirtschaft (Gewürznelken, Sojabohnen, Orangen, Milch- und Mehlprodukte),
der Handel mit Stahl und Stahlprodukten, mit Plastikgütern und die Fertigung und der Verkauf von
Kraftfahrzeugen.
206 FEER 18.5.1995.

154 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Tab. 3-9: Verteilung des Landbesitzes in Indonesien (1993) (auch Landlose)
Anbaufläche Anzahl
Anteil
Anteil an ges.
Bauernfamilien Bauernfamilien Fläche
< 0,10 ha und Landlose 11,08 Mio. 43% -
0,10 - 0,49 ha 7,65 Mio. 27% 13%
0,50 - 0,99 ha 4,13 Mio. 14% 18%
> 1 ha 4,42 Mio. 16% 69%
Quelle: Sensus Pertanian 1993 (nach Suhendar 1997, 156).
1993 besaßen 1,3% der bäuerlichen Betriebe 12,9% der Anbaufläche, weitere 10,6%
verfügten über 37,3% der Gesamtanbaufläche (Tab. 3-8). Die Besitzunterschiede in
der Landwirtschaft waren also sehr viel größer, als es die Mythen von der harmonischen,
quasiegalitären Dorfgemeinschaft unterstellten und z.T. heute noch nahe
legen.
1993 hatten über 11 Mio. Familien, das waren 43% aller Bauernfamilien, kein Land
oder nur eine winzige Parzelle zur Verfügung (Tab. 3-9). Die nach Abzug aller Unkosten
und dem Eigenverbrauch verbleibenden Überschüsse sind selbst bei Kleinbauern
unbedeutend. 207 Bei den Großbauern hingegen ermöglichen sie die Investition
in neue Ländereien, in andere Wirtschaftsbereiche, in den Erwerb von Verwaltungsämtern
oder in die Ausbildung der Kinder. Ein Teil der Dorfbevölkerung konnte
deshalb wegen seiner politischen Macht und des ihm zur Verfügung stehenden Kapitals
zur nationalen, regimeloyalen Mittelklasse gerechnet werden. 208 Die großen
Landbesitzer gehörten trotz ihrer dominanten Stellung in den Dörfern aber nicht
unmittelbar zur nationalen Regimekoalition, sondern bildeten eine untergeordnetes
Segment dieser Koalition. Dennoch waren sie ein fester Bestandteil des Herrschaftssystems
und vertraten die Neue Ordnung in den Dörfern. Schließlich kooperierten
viele kepala desa und Bauern mit größeren Ländereien eng mit dem Militär und den
Golkar-Vertretern und unterhielten gute Beziehungen zu den Eliten auf höheren
Verwaltungsstufen.
Es ergab sich allerdings keine mit lateinamerikanischen oder philippinischen Mustern
der Landverteilung vergleichbare Latifundienstruktur und damit auch keine
mächtige Grundherrenlobby in Jakarta. Mackie fasst das präzise so zusammen:
"To talk of «landlords« in Indonesia is, with rare exceptions, a quite misleading use of
term. Tenancy, too, is curiously rare, while sharecropping, its alternative, is a complex
two-way type of transaction that cannot just be categorised as an instrument of class exploitation.
[...] We find in Indonesia almost nothing comparable to the patterns of large
land-holdings coupled with high tenancy rates that are characteristic of the Philippines
and Latin America." 209
207
Hüsken/White schreiben dazu: "If diversification is an accumulation strategy for rural elites, for the
landless and those with 'sub-subsistence' holdings it is a survival strategy to supplement inadequate ownfarm
or farm-wage incomes" (Hüsken/White 1992, 191).
208
Prodolliet 1996, 270.
209
Mackie 1990a, 75

Die Großunternehmer 155
Die wohlhabenderen Bauern profitierten zwar von der Regierungspolitik und unterstützten
sie als Staatsbeamte auch, sie traten aber in abhängiger Stellung in Kontakt
mit der Zentralverwaltung. Gleichzeitig lag die profitable Plantagenwirtschaft in den
Händen der städtischen Großunternehmer, also vor allem der Sinoindonesier.
Sinoindonesier in der Neuen Ordnung
Etwa 3-3,5% der Indonesier sind chinesischer Abstammung. Die meisten von ihnen
leben in Städten. Besonders hoch ist der Anteil von Sinoindonesiern210 in Teilen
Kalimantans, auf den Inseln Bangka und Belitung, in Jakarta, Surabaya und Medan.
211 Etwa 55% der heute in Indonesien lebenden sinoindonesischen Familien
kamen aus der Provinz Fujian, die meisten anderen aus Guangdong und einige von
der Insel Hainan. 212 Wichtig ist in diesem Zusammenhang die in Kap. 2 bereits angesprochene
Unterteilung in totok und peranakan. Die totok sind meist noch nicht sehr
lange in Indonesien und haben deshalb vieles von ihrer Ursprungskultur bewahrt.
Häufig sind sie Buddhisten, sprechen Chinesisch und beachten chinesische Bräuche
und Sitten. Zur Gruppe der totok gehören z.B. einige der erfolgreichsten Unternehmer
in Indonesien, nämlich Liem Sioe Liong, Mochtar Riady, The Ning King und
Eka Cipta Wijaya. 213 Die peranakan leben seit mehreren Generationen in Indonesien
und haben sich kulturell an ihre neue Heimat schon weitgehend angepasst. 214 Vor
allem jüngere Sinoindonesier distanzieren sich häufig von der totok-Kultur und
konvertieren zum Christentum. 215 In Wirklichkeit ist daher die Unterscheidung zwi-
210 Vgl. auch Mackie 1991, 84. Da erst in den letzten Jahrzehnten die meisten Chinesen in Indonesien die
indonesische Staatsbürgerschaft angenommen haben, ist es sinnvoll, für die Zeit bis etwa zum Beginn der
Neuen Ordnung von "Chinesen" und danach von "Sinoindonesiern" zu sprechen.
211 Nach Erlangung der Unabhängigkeit ergaben sich langwierige Schwierigkeiten bei der Regelung der
Staatsbürgerschaft, da sich China und Indonesien nicht einigen konnten. Zu jener Zeit hatte mehr als die
Hälfte der Chinesen keine indonesische Staatsbürgerschaft. Ein Abkommen mit der VR China in dieser
Frage trat erst mit fünfjähriger Verspätung im Jahre 1960 in Kraft und sah lediglich für vor 1949 Geborene
die Möglichkeit der Annahme der indonesischen Staatsbürgerschaft vor. In den späten 70er Jahren gab
es 1 Million Staatsbürger der VR China oder Staatenlose in Indonesien. 1987 waren es nur noch 273.000
(Suryadinata 1995, 108). Durch die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit der VR China
wurde die so genannte Naturalisierung der Chinesen noch einmal forciert. 1998 dürften um 90% der
Chinesen die indonesische Staatsbürgerschaft gehabt haben.
212 Vgl. Department of Foreign Affairs and Trade (Commonwealth of Australia) 1995, 22ff.
213 Department of Foreign Affairs and Trade (Commonwealth of Australia) 1995, 37.
214 Außerdem gibt es verschiedene so genannte Dialektgruppen, nämlich Kantonesen, Hokkien, Hakka,
Teochiu und Hainanesen. Die Dialekte unterscheiden sich z.T. so stark voneinander, dass eine Verständigung
zwischen den Angehörigen der Dialektgruppen nicht möglich ist. Die Unterschiede waren in der
Vergangenheit so groß, dass sich die Gruppen auch sozial und kulturell voneinander abgrenzten. Darüber
hinaus sind die Dialektgruppen wiederum in Subdialektgruppen aufgeteilt, die oftmals noch heute auf
bestimmte Tätigkeitsbereiche spezialisiert sind. Zum Beispiel waren die Fuzhou-Hokkien auf Coffee
Shops, die Henghua-Hokkien auf den Fahrradhandel (wie etwa Mochtar Riady) und die Taipu-Hakka auf
Pfandhäuser spezialisiert.
215 Tan 1991, 122. Die Konversion ist auch auf den Zwang zurückzuführen, einer der anerkannten Religionsgemeinschaften
anzugehören. Nach den Massakern 1965/66 galten die beiden christlichen Konfessionen
als geeignete Schutzschirme für viele Chinesen. Allein von 1966-68 stieg der Anteil der Christen
unter den Chinesen von 49% auf 64% (Rapp 1988, 51).

156 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
schen Chinesen und pribumi nicht so einfach vorzunehmen, wie es von der Regierung
der Neuen Ordnung suggeriert wurde. 216
Wer sich in dem wohl größten indonesischen Einkaufszentrum, dem Tunjungan-
Plaza in Surabaya, aufhält, wird überrascht feststellen, dass der Chinesenanteil jenem
in den Plazas Singapurs ähnelt. Vieles deutet darauf hin, dass diese Sinoindonesier
nicht nur die oberen Ränge der Großunternehmerschaft dominieren, sondern
dass sie auch in der Mittelklasse bei den Händlern und freien Professionals eine
bedeutende Rolle spielen. Trotz dieser allgemeinen Dominanz bildeten die großen
sinoindonesischen Konglomerate in der Neuen Ordnung zusammen keine Klasse
von Kapitalisten, die gemeinsam ihre wirtschaftlichen Interessen politisch umsetzen
konnten. Vielmehr waren die sinoindonesischen Tycoons Konkurrenten, die sich
gegenseitig mit Misstrauen beäugten. Sie waren in der Regel durch gute Kontakte
zur Präsidentenfamilie, zu führenden Bürokraten und Politikern oder zu Militäreinheiten
aufgestiegen.
Riggs 217 hat einmal für die Chinesen in Thailand den Begriff "Paria-Kapitalisten"
geprägt. Das sind Kapitalisten, die nicht wirklich in der Gesellschaft, in der sie ihre
Profite erwirtschaften, verwurzelt und als gleichberechtigte Staatsbürger anerkannt
sind. In Indonesiens neuer Ordnung war dieses Phänomen des Paria-Kapitalismus
noch stärker ausgeprägt, und es gab wohl weltweit kein Land, in dem wenige Hundert
Angehörige einer ethnischen Minderheit einen so großen Anteil an den wirtschaftlichen
Transaktionen hatten. Die Sinoindonesier waren Teil der Regimekoalition,
zugleich aber aufgrund ihrer Abstammung Ausgeschlossene. Goodfellow hat
diesen Zusammenhang so charakterisiert:
"While the Indonesian Chinese do constitute an 'entrepreneurial faction' of the contemporary
Indonesian ruling class, they are excluded on cultural grounds from the 'New Order
priyayi aliran' [...]. While in terms of objective analysis the Chinese are part of the ruling
class, from the culturally subjective perspective of the Javanese priyayi, they are not." 218
Die sonderbare Stellung der Paria-Kapitalisten machte die Stärke und die Schwäche
der Neuen Ordnung zugleich aus. Einerseits konnte die Regimekoalition wirtschaftliche
Gewinne abschöpfen, ohne die politische Konkurrenz der großen Konglomerate
zu fürchten. Andererseits brach die Neue Ordnung u.a. auch wegen der politischen
Abhängigkeit der sinoindonesischen Konglomerate zusammen.
Die Politik der Neuen Ordnung
In der Neuen Ordnung nahm das Regime eine ambivalente Haltung gegenüber den
Chinesen ein. Es schwankte zwischen einem populistischen Antisinismus und einer
216
Nur noch relativ wenige Sinoindonesier sprechen Chinesisch. In Java lebende Chinesen z.B. sprechen
Indonesisch und - vor allem außerhalb der Städte - häufig Javanisch. Seltsamerweise sind die Indonesischkenntnisse
der Sinoindonesier oft sogar besser als die der pribumi, die sehr viel häufiger zuerst ihre
Regionalsprache und dann Indonesisch als zweite Sprache erlernen.
217
Riggs 1966.
218
Goodfellow 1995, xvii.

Die Großunternehmer 157
strategischen Kooperation mit größeren chinesischen Geschäftsleuten, den cukong.
Die Chinesen wurden, solange sie sich nicht weitgehend kulturell assimilierten, nie
als wirkliche Indonesier, als pribumi, anerkannt. 219 Obwohl sie häufig die indonesische
Staatsbürgerschaft besaßen, hatten sie keine Chance, ins Militär, in die Bürokratie
oder in die Führungsspitze der Regierungspartei aufgenommen zu werden. 220
Diese Ausgrenzung führte seit 1965 dazu, dass die chinesische Sprache und Kultur
bis auf wenige Rudimente ausgemerzt wurde. Um eine Assimilation zu erreichen,
verbot die Regierung Baperki, die Interessenorganisationen der Chinesen. Die Regierung
veranlasste sogar, dass viele Sinoindonesier ihre chinesischen Namen durch
indonesische ersetzten. 221 Nur noch eine, zudem stark kontrollierte Zeitung in chinesischer
Schrift war zugelassen, und aus den Buchhandlungen verschwanden chinesischsprachige
Publikationen nach 1967 ausnahmslos. Außerdem wurden die chinesischen
Schulen nach und nach zur Schließung gezwungen. In der Amtssprache
verwendete man statt des neutralen "Tionghoa" das pejorative "Cina" (beide mit der
Bedeutung "chinesisch"). 222 Die Neue Ordnung machte ihren Einfluss sogar im religiösen
Bereich geltend: Der Konfuzianismus wurde nie zu den in den Pancasila
anerkannten monotheistischen Religionen gerechnet, so dass dem Bekenntnis zu
konfuzianischen Lehren oder religiösen Praktiken immer etwas Illegitimes anhaftete.
223 Die Diskriminierung ging so weit, dass sich zumindest in Jakarta in der Kennkarte
KTP kodierte Vermerke fanden, die anzeigten, ob jemand Sinoindonesier war
oder nicht. 224 Obwohl die Mehrheit der chinesischen Einwanderer die indonesische
219
Heryanto 1998. Bis heute gibt es zwei Konzepte, das Verhältnis zwischen den Sinoindonesiern und
den pribumi zu regeln. Die Anhänger eines multikulturellen Ansatzes, der in einem etwas verwirrenden
Sprachgebrauch in Indonesien auch als Ansatz der Integration bezeichnet wird, betrachten die Indonesier
chinesischer Herkunft als eine Ethnie unter vielen, die sich im Status nicht unterscheiden sollte von den
Javanern, Balinesen, Maduresen etc., die allesamt indonesische Staatsbürger und außerdem Angehörige
ihrer jeweiligen ethnischen Gruppe sind. Nach diesem Konzept, das vor 1965 von der Chinesenorganisation
Baperki vertreten wurde, wären die Indonesier chinesischer Herkunft auch pribumi. Die Anhänger
der Assimilation (pembauran oder "Vermischung"), der offiziell anerkannten Staatspolitik gegenüber den
"WNI" unter Suharto, strebten ein Aufgehen der Sinoindonesier in den regional dominanten Ethnien an.
So gab es schon 1966 eine MPRS-Resolution und später MPR-Entscheidungen über die Assimilation. Die
Sinoindonesier sollten ihre kulturelle und ethnische Identität nach und nach verlieren. In Wirklichkeit ist
eine solche Assimilation nicht praktikabel, da die Indonesier chinesischer Herkunft dann entweder in
andere ethnische Gruppen hineinwachsen müssten (um nach mehreren Generationen dann selbst z.B.
Javaner zu werden) und/oder "reine" Indonesier mit verleugneter chinesischer Herkunft werden müssten
(siehe auch das Hauptthema in: Tempo 24.8.1991).
220
Lediglich die PDI hatte in ihren Reihen einige Sinoindonesier, darunter die beiden Wirtschaftsexperten
Kwik Kian Gie und Laksamana Sukardi. In der PPP waren die Sinoindonesier schon deshalb nicht vertreten,
weil nur sehr wenige von ihnen Muslime waren.
221
Suryadinata 1988, 121ff; siehe auch Tan 1991, 116ff. Eine Zeit lang war die Telefonvermittlung sogar
angewiesen, Gespräche, die in chinesischer Sprache geführt wurden, zu unterbrechen.
222
Go 1987, 93. Cina wird von vielen Chinesen als abfälliger Begriff gewertet. 1966 war bei einem
Armeeseminar der Ausdruck Tionghoa (Chinese) von Cina ersetzt worden. Die VR China hieß von da an
Republik Rakyat Cina.
223
Seither gelten nur der Islam, der Katholizismus, der Protestantismus, der balinesische Hinduismus und
der Buddhismus als Religionen.
224
Tempo 24.8.1991, S. 34.

158 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Staatsbürgerschaft angenommen hatte, 225 war sie also rechtlich den pribumi, d.h. den
"Söhnen der Erde", den "indigenen" Indonesiern, nicht gleichgestellt. Es gab Verordnungen
wie die Keppres No. 14A/1980, denen zufolge Geschäftsleute, die zur
Gruppe der ökonomisch Schwachen (golongan ekonomi lemah) gehörten - das waren
per definitionem die pribumi - von den Behörden bevorzugt behandelt werden
mussten. Für die Regierung stellte sich diese ganze Politik der Diskriminierung als
ein Erfolg dar, denn es fand tatsächlich eine Anpassung der Sinoindonesier an die
indonesische Kultur statt. 226
Sinoindonesier als Sündenböcke
In den Massakern von 1965/66 kamen - anders als häufig angenommen - wahrscheinlich
nicht überproportional viele Chinesen ums Leben. 227 Trotzdem wäre es
falsch anzunehmen, dass sich in dieser Phase die Chinesen nicht in einer sehr
schwierigen und gefährlichen Lage befunden hätten. Schließlich machte die neue
Regimekoalition die PKI, die ihrerseits gute Beziehungen zur Volksrepublik China
unterhielt, für den Putschversuch verantwortlich. Daher gerieten die Sinoindonesier
in den Verdacht, eine "fünfte Kolonne" Pekings zu sein und mit der PKI geheim
zusammenzuarbeiten. 228 Die Sinoindonesier blieben die seit jeher angreifbare, kaum
geschützte Minderheit, die immer wieder auch die Rolle des Sündenbockes spielen
musste und von den Gruppen der Regimekoalition für ihre Zwecke missbraucht
wurde.
Während der gesamten Geschichte der Neuen Ordnung kam es immer wieder zu
antichinesischen Unruhen, so z.B. im August 1973 in Bandung, als mehrere Hunderte
Läden geplündert und zerstört wurden, oder im April 1980 in Ujung Pandang und
im November desselben Jahres in mehreren Städten Javas, wo wiederum Geschäfte
geplündert wurden. Solchen Unruhen gingen meist heftige Streitereien (oder auch
nur Gerüchte darüber) zwischen einzelnen Sinoindonesiern und pribumi voraus, und
die Militärs griffen nur dann ein, wenn es in ihrem Interesse lag. In den 90er Jahren,
225
Zu den langjährigen Verwicklungen bei der Regelung des Problems der Staatsbürgerschaft siehe:
Mackie/Coppel 1976, 9ff.
226
All diese schikanösen Maßnahmen wurden erst in den letzten Jahren z.T. wieder zurückgenommen.
Die rigiden Sprachbestimmungen wurden ein wenig gelockert, so dass z.B. im Touristikbereich auch
chinesische Zeichen wieder verwendet werden durften.
227
Die meisten Massaker ereigneten sich in Dörfern, aus denen die Chinesen bereits 1959 weitgehend
vertrieben worden waren, und richteten sich gegen die PKI und ihre Anhänger. Die PKI hatte Chinesen
nicht in die Führungspositionen der Partei gelassen, wahrscheinlich um nicht an Popularität zu verlieren.
In Aceh, Nordsumatra und Westkalimantan sowie in Ostjava waren die antichinesischen Aktionen der
Bevölkerung bzw. des Militärs am heftigsten. Die Angaben über die Zahl der getöteten Chinesen
schwanken sehr stark von 2.000 bis 300.000, allerdings wird am häufigsten von 20.000 Getöteten gesprochen
(Rapp 1988, 83). Es kam unzweifelhaft zu einigen antichinesischen Pogromen bis 1967, etwa im
April 1967 in Jakarta. In Medan wurden Tausende Chinesen zwangsrepatriiert. In Ostjava tat sich der
Chef des regionalen Militärkommandos, Sumitro, der in den 80er und 90er Jahren zu einem der unangenehmsten
Kritiker für Suharto wurde, durch besonderen Eifer hervor. Er verbot den Chinesen den Gebrauch
ihrer Sprache, die Ausübung ihrer Religion und jegliche wirtschaftliche Betätigung.
228
Die Sinoindonesier galten also sowohl als habgierige Kapitalisten wie auch als stramme Kommunisten.

Die Großunternehmer 159
als die Deregulierungs- und Modernisierungspolitik den Abstand zwischen Arm und
Reich in kurzer Zeit erkennbar vergrößerte, waren in den vielen Unruhen immer
wieder auch die Sinoindonesier als Symbole des cukong-Kapitalismus Zielscheiben
der urban poor (vgl. Abschnitt 4.8). So wurden die großen und kleinen chinesischstämmigen
Kaufleute Anfang 1998 für die Finanzkrise verantwortlich gemacht,
woraufhin Tausende, wenn nicht Zehntausende das Land verließen.
Ursachen des Erfolges
Trotz der beschriebenen Verordnungen und Diskriminierungen waren die Warganegara
(Staatsbürger) Indonesia Cina wegen ihrer Pariastellung im kolonialen und im
nachkolonialen System, wegen des engen Zusammenhaltes in Clans und wegen der
jahrhundertealten überregionalen Handelsbeziehungen ökonomisch weit überdurchschnittlich
erfolgreich. Gerade weil sie als ethnische und zumeist auch religiöse
Minderheit politisch einflusslos und sowohl im Militär als auch in der Zivilverwaltung
weit unterrepräsentiert waren, eigneten sie sich als Klienten der Machtelite. 229
Man sollte sich daher vor dem allzu schnellen Urteil hüten, dass die Sinoindonesier
ihre dominante Rolle in erster Linie irgendeiner besonderen naturgegebenen Begabung
oder kulturell-religiös verankerten Verhaltensdispositionen zu verdanken hätten.
Chinesen sind vielmehr wegen ihrer besonderen Stellung im Herrschaftssystem zum
Handel gezwungen. Ihre Ghettoisierung und soziale Marginalisierung ruft ein Belagerungs-
und Bedrohungsgefühl sowie ein Gefühl der Minderprivilegierung und
Minderwertigkeit hervor. Offensichtlich kann wirtschaftlicher (und wissenschaftlicher)
Erfolg zur Kompensation dieser Herabsetzungen beitragen. Mindestens ebenso
wichtige Gründe für den wirtschaftlichen Erfolg der Chinesen sind folgende:
- Die Paria-Position macht eine besonders große Disziplin erforderlich (Sparsamkeit,
Verlässlichkeit gegenüber Geschäftspartnern, Fleiß) und stärkt den Zusammenhalt
der Familien oder Clans230 .
- Die Randstellung erhöht zudem die Bereitschaft zum Risiko und zur Kollaboration
mit den Machthabern.
- Die Chinesen sind für diese Machthaber als Partner in nicht immer legalen Geschäften
interessant, weil sie politisch erpressbar sind.
- Internationale Beziehungen können von den Chinesen gut ausgenutzt werden.
Aufgrund der Migration der Südchinesen in viele Länder Ost- und Südostasiens gibt
es in fast jedes Land dieser Region familiale Kontakte. Das ermöglicht den Transfer
von Informationen, Arbeitskräften, Kapital und Gütern.
- Die einmal erreichte Position kann von den wohlhabenden Chinesen durch den
Zugang zu den besten Bildungsinstitutionen und die Pflege einer unternehmerischen
Haltung systematisch ausgebaut werden.
229 Mackie stellt allerdings die Frage, ob die Kooperation zwischen den Spitzen der Regimekoalition und
den cukong nicht auch einem historischen Zufall zuzuschreiben sei (Mackie 1991, 90).
230 Der Begriff Clan wird uneinheitlich verwendet. Gemeint sind Großfamilien, z.T. aber auch Dialektgruppen
oder Gruppen, deren Angehörige jeweils aus einem bestimmten Gebiet stammen.

160 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Neben diesen "strukturellen" Faktoren spielen aber bestimmte kulturell verankerte
Verhaltensdispositionen auch eine Rolle. Weggel spricht in Bezug auf die Auslandschinesen
vom Wertesystem des "Metakonfuzianismus", das mit der weltzugewandten,
pragmatischen Betonung von Arbeit und Leistung, lebenslangem Lernen, Risikobereitschaft,
Korporativität und Selbstdisziplin eine geeignete Wirtschaftsethik
darstelle. 231 Ähnlich wie bei der "Asian Values"-Debatte gilt aber auch hier, dass
Werte von interessierten Gruppen "nachgefragt" werden müssen, um aktualisiert
werden zu können, und die kapitalismusfreundlichen Werte gehören in der einen
oder anderen Form zum erweiterten Wertebestand jeder Kultur und können folglich,
wenn die strukturellen Voraussetzungen bestehen, überall das wirtschaftliche Handeln
prägen.
Entwicklung der Konglomerate
In Indonesien wird der Begriff "konglomerat" als Synonym für "Monopolist" oder
"Oligopolist" verwendet. Eigentlich ist ein Konglomerat per definitionem lediglich
eine Unternehmensgruppe, deren Einzelunternehmen wenig koordiniert in unterschiedlichen
wirtschaftlichen Bereichen tätig sind. In Indonesien werden aber häufig
auch diejenigen Großunternehmen zu den Konglomeraten gerechnet, die sehr stark
auf einen Bereich spezialisiert sind, wie die Zigarettenhersteller Gudang Garam,
Djarum, Bentoel und Sampoerna. 232
Die meisten cukong stiegen erst in den späten 60er Jahren auf. 233 Dabei hat es in den
ersten Jahren der Neuen Ordnung einige cukong gegeben, die inzwischen völlig in
Vergessenheit geraten sind oder stark an Bedeutung verloren haben. In der Liste, die
Robison zusammengestellt hat, tauchen aber schon die meisten jener Sinoindonesier
auf, die zumindest bis 1998 die Wirtschaft beherrschten, wenngleich die Informationen
noch Mitte der 80er Jahre sehr viel beschränkter zugänglich waren als heute. 234
Nach einer ersten Diversifizierungsphase in den frühen 70er Jahren, gab es Gelegenheit
zu einer zweiten Welle der Diversifizierung seit Mitte der 80er Jahre. 235 Zu
den großen Unternehmen, die erst in der Ölboom-Phase aufstiegen, gehörten z.B.
Gajah Tunggal, Maspion, Lippo, Kalbe Farma, die Wanandi-Gruppe u.a. Viele
Konglomerate konnten danach zusätzlich in exportorientierte Industrien und in den
deregulierten Bankensektor investieren.
231
Weggel 1994; ähnlich: Machetzki 1993, 24ff. Kritisch dazu: Tetzlaff 2000.
232
Sato 1994, 152 und 143.
233
Vgl. die Auflistung in: Mackie 1993b, 187f.
234
Vgl. Mackie 1993b, 178 und Robison 1986; u.a. Yap Swie Kie, Njoo Han Siang und Harjyanto Lim,
die zusammen mit Liem zu den vier größten cukong gezählt wurden.
235
Sato unterscheidet zwei Diversifizierungstypen, nämlich zum einen den cukong-Typ (also durch
Protektion einiger Regimekoalitionäre), zum anderen die Joint-Venture-Variante. Zum letztgenannten
Typ gehörte die Astra-Gruppe von William Suryajaya. Astra war durch die Zusammenarbeit mit vornehmlich
japanischen Firmen groß geworden, etwa mit Toyota, Honda, Sumitomo (Forstwirtschaft),
Komatsu und Fuji Xerox (Sato 1994, 128ff).

Die Großunternehmer 161
Trotz der Vielgestaltigkeit des Unternehmenssektors, lassen sich heute einige typische
Merkmale der sinoindonesischen Konglomerate in der Neuen Ordnung ausmachen:
- Sie sind von Männern aufgebaut worden, die relativ klein - meist als Händler -
begannen.
- Sie waren Familienunternehmen, und die Trennung von Management und Kapitalbesitz
war oft recht schwach.
- Sie beschäftigten in den oberen Management-Etagen überwiegend Sinoindonesier.
- Sie waren meist nicht auf wenige Produkte oder Handelsbereiche spezialisiert.
- Sie hatten meist keine sehr professionelle Führung und verfolgten meist keine
langfristigen Strategien.
Außerdem waren sie mehr oder weniger von politischer und militärischer Protektion
abhängig. Zu den Privilegien vieler großer, aber beileibe nicht aller sinoindonesischen
Unternehmer gehörten Importlizenzen, Investitionsbeschränkungen für Mitbewerber,
Vermarktungsmonopole und Konzessionen für die Produktion und/oder
Vermarktung ausländischer Produkte. Bis zur wirtschaftlichen Deregulierung konnten
die Regimekoalitionäre mit einfachen Mitteln Kapital- und Warenströme lenken,
Staatsaufträge und Kredite nach Gutdünken vergeben und sich jedes Mal einen stattlichen
Anteil sichern. Seit den späten 80er Jahren ergaben sich aber einige Veränderungen.
Suharto konnte sich etwas von den Sinoindonesiern emanzipieren, da Angehörige
seiner Familie Großunternehmer wurden. Gleichzeitig wurden auch die cukong
unabhängiger, und sie waren den Erpressungen seitens der Regimekoalition
nicht mehr so ungeschützt ausgeliefert:
"In recent years, interlinkages occured through cross-shareholdings and directorships,
joint ventures between conglomerates and family links such as marriage between the major
business families. [...] The interlinkages mean that if one conglomerate is adversely affected
during the transition, this will flow on to most other major conglomerates, so each
conglomerate has a vested interest to maintain all the others' interests. Future political
leaders therefore may be unlikely to challenge the economic position of the conglomerates
for fear of the widespread economic implications of such actions. In this way, the
conglomerates may be seen to a degree as having responded to possible future political
uncertainty by arraying themselves as if they are inter-dependent dominos." 236
Auch durch die Liberalisierung des Bankensektors ging die Abhängigkeit von staatlichen
Krediten deutlich zurück. Die Diversifikation, die Internationalisierung, die
Anstellung von Chinesen und - auf oberen Ebenen - von Familienangehörigen, die
Low-profile-Haltung in politischen Fragen, alles dies waren Strategien der Sinoindonesier,
um einen plötzlichen Kollaps ihrer Konglomerate zu verhindern.
1986 befanden sich von den 47 größten Unternehmensgruppen 39 in sinoindonesischer
Hand, von den 39 Konglomeratsführern waren nur 3 totok. 237 Nach einer Be-
236 Department of Foreign Affairs and Trade (Commonwealth of Australia) 1995, 42.
237 Sato 1994, 123.

162 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
rechnung von Christianto Wibisono erwirtschafteten die 10 größten Konglomerate
1988 15,2% des BIP. 1993 hatte sich dieser Betrag bereits auf 30% erhöht. 238 In
diesem Jahr waren von den 300 größten indonesischen Unternehmen 204 in der
Hand von Sinoindonesiern, 15 waren Joint Ventures zwischen Sinoindonesiern und
Indonesiern, und die restlichen 81 Konglomerate wurden von pribumi kontrolliert. 239
1996 waren die Relationen ähnlich (vgl. Schaubild 3-3).
Von den größten sinoindonesischen Unternehmern bauten besonders Liem und
"Bob" Hasan sehr enge Beziehungen zum Präsidenten auf. Liems Kontakte zu Suharto
reichten bis in die 50er Jahre zurück, "Bob" Hasan hatte seit Anfang der 80er
Jahre Suharto als seinen Patron gewinnen können. Bemerkenswert ist, dass diese
Symbiose zwischen politischen und wirtschaftlichen Machthabern in ähnlicher Form
auch außerhalb Jakartas anzutreffen war. 240
Fallstudien: Liem Sioe Liong und "Bob" Hasan
Liem Sioe Liong241 galt vor der Asienkrise als einer der reichsten Männer Südostasiens.
In einigen Auflistungen wurde er als die Nummer Zwei hinter dem Sultan
von Brunei geführt. Liem, dessen indonesischer Name Sudono Salim ist, verkörpert
beispielhaft den sinoindonesischen cukong, der aus kleinen Verhältnissen stammt
und in typischer Weise durch seine besonderen Kontakte zu den politischen Machthabern
seinen Weg nach oben machte. 242 Wie die Mehrzahl der Superreichen zeigte
er sich selten in der Öffentlichkeit und gab kaum Interviews. Als Chinese konnte er
sich ein zu offenherziges Auftreten in Indonesien ohnehin nicht erlauben.
238
Sebastian/Siregar 1996, 188.
239
Department of Foreign Affairs and Trade (Commonwealth of Australia) 1995, 41.
240
Vgl. etwa: ISAI 1997a.
241
Zu Liem Sioe Liong gibt es zahlreiche Darstellungen. Vgl. etwa: Mackie 1991, 93ff; Robison 1986,
296-315; Department of Foreign Affairs and Trade (Commonwealth of Australia) 1995, 49ff; Sato 1993;
Forum Keadilan 15.12.1997.
242
Typische Beispiele waren auch: Suryajaya, William (chinesischer Name: Tjia Kian Liong), geboren
1922 in Majalengka, Ostjava, peranakan, Christ, verkaufte Anfang der 40er Jahre Altpapier und landwirtschaftliche
Produkte, war 1947 bis 1949 zur beruflichen Fortbildung in den Niederlanden, seit Anfang der
50er Jahre im Import-/Exporthandel, mit PT Astra knüpfte er später Beziehungen zu Ibnu Sutowo, die
Hauptaktivitäten entfalteten die Holding-Gesellschaften P.T. Astra International und P.T. Multivest als
Teilhaber von Alleinvertretungen von Toyota, Daihatsu, Peugeot, Renault, Honda und Massey Ferguson
(Robison 1986, 290f). An die Konzessionen gelangte Suryajaya durch die Vermittlung von Ibnu Sutowo
und von Probosutejo, dem Halbbruder Suhartos. Die Bank Summa seines Sohnes Edward musste 1992
schließen. Um die Forderungen der Gläubiger begleichen zu können, musste William Suryajaya seine
Astra-Anteile, die inzwischen erheblich an Wert eingebüßt hatten, verkaufen. Die Astra-Übernahme
wurde von vielen als Beweis eines scharfen Wettbewerbes zwischen peranakan und totok betrachtet.
Pangestu, Prayogo: geboren in Westkalimantan als Phang Djun Phen, enger Vertrauter Suhartos, Barito
Pacific-Gruppe (Rang 15, Wert etwa 5 Bio. Rp.) und Beteiligung an Astra International (Rang 2), hielt
Lizenzen für über 6 Mio. Hektar Wald (Wert mit Maschinen 5-6 Mrd. US$) (Fauzi 1997, 105), außerdem
war er in den Bereichen Immobilien, Palmölplantagen, Raffinerien, Petrochemie, Banken etc. tätig, noch
in den späten 80er Jahren war er weitgehend unbekannt, Kooperation mit "Tutut" bei Zuckerplantage und
Papierfabrik, mit Bambang Kooperation bei Chandra-Asri-Projekt. Andere namhafte totok waren z.B.:
Mochtar Riady (Rang 5), Eka Cipta Wijaya (Rang 3), The Nin King (Rang 14), Suhargo Gondokusumo
(Rang 13), Tan Siong Kie (Rang 10) et al.

Die Großunternehmer 163
Liem Sioe Liong wurde 1916 im Dorf Niuzhai in Fuqing, Nordfujian, geboren und
gehört bei den Hokkien (50% der indonesischen Chinesen) zur Subdialektgruppe der
Fuzhou/Hokchia (oder: Hok-cia), d.h. zu einer Minderheit in der Minderheit. Er kam
1938 mittellos nach Mitteljava und arbeitete zwei Jahre bei seinem Onkel, einem
Kleinhändler. 243 In den 40er Jahren versorgte er nationalistische Guerilleros. Die
Beziehungen zu den Militärs hielt er in den 50er Jahren aufrecht. Er versorgte die
Diponegoro-Division in Semarang, bei der Suharto zunächst als Versorgungsoffizier
und später als Kommandeur tätig war. Gleichzeitig versuchte er sich in anderen
Bereichen. So baute er 1951 eine Seifenfabrik, 1954 die Bank Windu Kencana und
1957 die Bank Central Asia (BCA) auf. Außerdem war er in den Schmuggel von
Zucker und Gewürznelken verwickelt. Mitte der 60er besaß Liem ein mittelgroßes,
weitgehend unbekanntes Unternehmen. Sein Aufstieg begann 1968 mit einer Lizenz
für den Import von Gewürznelken. 1969 erhielt er ein Monopol über die Verarbeitung
des von Bulog importierten Weizens zu Weizenmehl. Liem machte große Gewinne
damit, dass er das Weizenmehl seiner Firma Bogasari zu einem weit überhöhten
Preis wieder an Bulog verkaufte. Von Beginn an musste er 26% der Profite aus
diesem Geschäft an die Stiftung von "Tien" Suharto, Yayasan Harapan Kita, und zur
Yayasan Dharma Putra von Kostrad überweisen. Die Kooperation zwischen ihm und
der Familie Suharto war so eng, dass sie sich gegenseitig in brenzligen Situationen
unterstützten.
Seit Mitte der 70er Jahre dominierte Liem die Zementproduktion mit Indocement,
weil der Staat feste Preise garantierte. 1983-85 weitete er die Produktion erheblich
aus, geriet danach aber in Schwierigkeiten, so dass die Regierung für 325 Mio. US$
35% der Anteile aufkaufte. Aus ähnlichen Gründen kaufte die Regierung seine Firma
Cold Roll Mill Indonesia (Liem hatte das Importmonopol für einige Stahlprodukte)
im Jahre 1989. Liem revanchierte sich 1990, als er zusammen mit Prayogo
der Bank Duta aushalf. Die Bank, die mehrheitlich im Besitz von drei Suharto-
Stiftungen war, hatte 420 Mio. US$ bei Währungsspekulationen verloren.
1996 war Liem der mit Abstand größte indonesische Unternehmer mit einem Umsatz
von über 53 Bio. Rp. (etwa 22 Mrd. US$). Die etwa 600 Unternehmen des
Konglomerates hatten einen Wert von ca. 43 Bio. Rp. Liem besaß außerhalb Indonesiens
Hotels in Singapur und Hongkong, Banken in den USA, Schuhfabriken und
Hotels in China und eine Computerfabrik in Australien. 244
Ein weitere Personifikation der neopatrimonialen Günstlingswirtschaft war Mohammad
("Bob") Hasan (chinesischer Name: The Kian Seng), der 1931 in Semarang
geborene Sohn eines Tabakhändlers. 245 In den frühen 50er Jahren studierte er kurze
Zeit in den Niederlanden, nach einigen Quellen wurde er eine Zeit lang auf eine
Schule in England geschickt. Sein Vater gab ihn dann seinem Bekannten, dem be-
243
Nach anderen Versionen arbeitete er mit seinem Bruder in Kudus als Kleinhändler.
244
Die erfolgreichsten Unternehmen wurden von seinen Partnern gemanagt: Mochtar Riady (Banken),
Ciputra (Immobilien), Eka Cipta Wijaya (Palmöl), Robert Kuok aus Malaysia (Weizenmehl) und Juhar
Sutanto (Zement).
245
Vgl. Forum Keadilan 21.9.1998, 14f. Hasan gehörte zu den wenigen Sinoindonesiern, die Muslime
waren.

164 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
rühmten General Gatot Subroto, in Obhut. Dort wurde Hasan zunächst von einigen
Offizieren betreut; er leistete Hilfsdienste für die Division. Er wurde dann inoffiziell
zum Adoptivsohn von Gatot Subroto. Schon in den 50er Jahren baute er geschäftliche
Kontakte zu Oberst Suharto auf. 246 Die sehr enge Beziehung zu ihm entstand
aber erst in der Neuen Ordnung. 247 Er kümmerte sich um die Geschäfte der Familie
Suharto, insbesondere um die Stiftungen wie Supersemar, Dharmais und Dakab.
Seit 1985 war er Vorsitzender der Vereinigung der Sperrholzunternehmer Apkindo
248 . Er konnte die Exportpreise und Quoten festsetzen und von den 115 Mitgliedern
Abgaben von 5-15 US$/m³ erzwingen. Hasan war in dieser Funktion einflussreicher
als der Forstminister. Die Praxis der Exportkontrolle wurde erst durch die
Intervention des IWF Anfang 1998 gestoppt. Zuletzt hatte "Bob" Hasan sechs Unternehmensgruppen.
Die Gruppe Bob Hasan (vorher Pasopati-Gruppe) hatte 120
Tochterunternehmen. An Nusamba (Nusantara Ampera Bhakti) war er zu 10% beteiligt.
Weitere 10% gehörten Sigit Haryoyudanto und 80% den Stiftungen Supersemar,
Dharmais und Dakab. Mit den Stiftungen Supersemar und Dharmais baute er
eine Pulpefabrik in Kalimantan für 1,3 Mrd. US$ (PT Kiani Lestari) und erhielt per
Präsidentendekret 93/1996 Zuschüsse aus dem ominösen Wiederaufforstungsfonds.
Hinzu kamen Beteiligungen an der Bank Umum Nasional und an der Grup Tugu
(zusammen mit Pertamina und der Yayasan Dana Pensiun Pertamina). Außerdem
gehörten ihm die Hasfarm- und die Kalimanis-Gruppe. Sein Nusamba-Unternehmen
hatte einen Wert von etwa 1 Mrd. US$ und war in verschiedenen Sektoren tätig
(Holz und Holzprodukte, Banken, Automobilproduktion, Luftfahrt, Reederei, Glas,
Ausrüstung für die Erdölförderung). Nach Angaben des Forbes-Magazins verfügte
er 1997 über ein Vermögen von etwa 3 Mrd. US$.
Wie eng die Beziehung zu Suharto war und wie wenig der Präsident die Asienkrise
begriffen hatte, zeigte im März 1998 die Ernennung von Hasan zum Industrie- und
Handelsminister, die bei der Weltbank, bei Teilen der Regimekoalition und bei der
prodemokratischen Bewegung auf völliges Unverständnis stieß. Schon im Mai gehörte
deshalb Hasan zu den Ministern, die von Habibie im neuen Kabinett nicht
mehr berücksichtigt wurden.
246 Die Adoption durch Gatot Subroto, der eine Zeit lang Diponegoro-Kommandeur und später Stellvertreter
des Armeekommandeurs A.H. Nasution war, ist in den Quellen nicht eindeutig geklärt.
247 Zu den geschäftlichen Beziehungen Hasan-Suharto schreibt Barr (1998, 3): "As regional commander,
Soeharto oversaw the establishment of several enterprises sponsored by the Diponegoro Division, including
at least two "foundations" (yayasan) which controlled the marketing and distribution of key commodities
in Central Java. Hasan played a key role in getting several of these businesses started. Beginning
in 1959, he orchestrated the formation of a series of joint ventures between the Diponegoro Division and
Chinese entrepreneurs based in Palembang to establish a shipping line, a warehouse firm, and several
trading and holding companies."
248 Asosiasi Panel Kayu Indonesia.

Die Großunternehmer 165
Die Haltung der Regimekoalition und der Öffentlichkeit zu den Sinoindonesiern in
den 90er Jahren
In den letzten Jahren gab es mehrmals politische Ereignisse, bei denen es um die
Rolle der Sinoindonesier ging. Als z.B. Eka Cipta Wijaya, einer der kapitalstärksten
sinoindonesischen Unternehmer des Landes, für seine Papierfabrik Indah Kiat 1992
mit der Genehmigung der Behörden einen aus China importierten Stromgenerator
von 1.000 Arbeitskräften aus der VR China installieren ließ, protestierte der als
"Nationalist" bekannte Ginanjar Kartasasmita gegen die seiner Meinung nach unpatriotische
Beschäftigung ausländischer Arbeiter. Schließlich mussten diese Arbeiter
Indonesien wieder verlassen. Solchen Auseinandersetzungen lag meist die Verdächtigung
zugrunde, dass die in Indonesien lebenden Unternehmer chinesischer Herkunft
versuchen würden, die Beziehungen zur nunmehr wirtschaftlich reformierten
Volksrepublik zu intensivieren. Die wachsenden Investitionen in China durch die
cukong wurden deshalb mit großem Argwohn betrachtet. Schließlich konnten diese
ihr Kapital nach und nach aus Indonesien abziehen und in ihre alte Heimat zurückkehren.
1997 kam es deswegen in Indonesien zu Diskussionen um die Firma Indofood,
eines der wichtigsten Unternehmen der Salim-Gruppe. Durch den Verkauf von
Instantnudeln beherrschte Liem ein bedeutendes Segment des Lebensmittelmarktes.
Indofood machte 1996 einen Gewinn von 200 Mio. US$ bei einem Aktienwert des
Unternehmens von 6 Mrd. US$. Im Juli 1997 verkündete Liem, er wolle die Anteilsmehrheit
an eine Firma in Singapur übertragen. Vor allem viele pribumi betrachteten
das als einen gegen die indonesischen Interessen gerichteten Vorstoß. Der
Vorwurf lautete, viele Chinesen, die ihre Konglomerate in Indonesien unter entscheidender
Mithilfe der Machtelite der Neuen Ordnung aufgebaut hätten, brächten
nun nach und nach ihre Besitztümer im Ausland in Sicherheit, weil sie befürchteten,
in der Post-Suharto-Ära unter politischen Druck zu geraten. 249
Diese beiden Vorfälle verdeutlichen, dass ein Teil der indonesischen Öffentlichkeit
sehr sensibel auf bestimmte Erscheinungsformen des Nepotismus und des cukong-
Kapitalismus reagierte. Diese Haltung war nicht neu, aber die öffentliche Diskussion
über die Rolle der sinoindonesischen Konglomerate hatte sich gewandelt.
So wurde in den frühen 80er Jahren die Tageszeitung Jurnal Ekuin verboten, weil
sie immer wieder kritische Beiträge über die Konglomerate enthielt. 1988 folgte das
Verbot von Sinar Harapan wegen eines Artikels über Monopole. Danach aber
brachte die Wiederbelebung der Börse in Jakarta als Nebenfolge eine größere Offenheit
in der Berichterstattung, da die Anleger nun genauere Informationen über die
börsennotierten Unternehmen benötigten. Seither, d.h. beginnend im Jahre 1988,
gehört das Wissen um die Größe und den Umsatz der größten Konglomerate zum
Allgemeinwissen der politisch Interessierten.
Vor allem die Verfilzung in der indonesischen Wirtschaft wurde in den 90er Jahren
von der einheimischen Presse zunehmend kritisiert. Das bekannteste Beispiel dafür
249 Lindblad 1997, 12. Liem verkaufte den 50,1%-Indofood-Anteil, der von der Liem-Firma Indofood
gehalten wurde. Trotzdem behielt er die Mehrheit an Indofood, das er wiederum an QAF in Singapur,
einem Brothersteller, der ihm selbst gehörte, verkaufte.

166 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
war der Bapindo-Skandal, über den über Jahre berichtet wurde. Ende 1989 hatte die
Golden Key-Gruppe von Eddy Tansil, einem Sinoindonesier, einen Kredit über 477
Mio. US$ (der mit Zinsen auf 650 Mio. US$ anwuchs) bei der staatlichen Bapindo-
Bank aufgenommen, um damit angeblich den Bau einer Kunstfaserfabrik in Westjava
zu finanzieren. Da Tansil das Geld für andere Zwecke verwendete und nicht in
der Lage war, den Kredit zurückzuzahlen, erwuchs daraus der größte Bankenskandal
in der Geschichte Indonesiens, in den mehrere hochrangige Regierungsvertreter
verwickelt waren. Wie in Indonesien allgemein üblich, bekam Tansil den Kredit nur,
weil einflussreiche Förderer halfen. "Tommy" Suharto beteiligte sich anfänglich an
dem Projekt und öffnete Tansil die Türen zu mehreren Bankdirektoren. Sudomo und
Sumarlin stellten Empfehlungsschreiben aus. Sudomo galt als einer der Hardliner
der Neuen Ordnung und war Kopkamtib-Kommandeur und dann Koordinierungsminister
für Sicherheit und Politik. J.B. Sumarlin war Finanzminister und Bapindo-
Chef, später bezeichnenderweise für die Antikorruptionsbehörde BPK zuständig.
Der Skandal wurde erst Anfang 1994 von dem Golkar-Abgeordneten A.A. Baramuli
an die Öffentlichkeit gebracht. Im Anschluss daran berichtete die Presse in allen
Einzelheiten über die Vorkommnisse und darüber, dass Sudomo und Sumarlin nicht
angeklagt, sondern weiterhin von der Machtelite in Jakarta gedeckt wurden. Immer
wieder wurde der Bapindo-Skandal zur Titelstory der auflagenstärksten politischen
Magazine gemacht. Der unter Druck geratene Sudomo zog es über einen längeren
Zeitraum vor, keinen Kommentar abzugeben. Die Ereignisse, die jedem Indonesier
in aller Klarheit die Schwächen des indonesischen Finanzsystems und der Rechtsprechung
aufzeigten, erreichten ihren traurigen Höhepunkt, als bekannt wurde, dass
Eddy Tansil, der zu einer 20-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden war, im Mai
1996 unerkannt aus dem Gefängnis fliehen konnte. 250
Außergewöhnlich an diesem Fall ist nicht nur die Tatsache, dass die Presse jahrelang
darüber berichten konnte, sondern auch, dass sie dabei offensichtlich mit guten
Informationen aus dem Finanzministerium und von der Generalstaatsanwaltschaft
versorgt wurde.
Solche Skandale brachten immer auch Teile der Regimekoalition in Bedrängnis,
zugleich verschaffte sie anderen interessierten Gruppen die Möglichkeit, Druck auf
die cukong auszuüben. Die Regimekoalition arbeitete zwar eng mit den cukong
zusammen, sie wusste aber auch, politisches Kapital aus der prekären Lage der Sinoindonesier
zu schlagen. Suhartos Halbbruder Probosutejo z.B. sprach sich häufig
für eine Stärkung der pribumi aus und tendierte auf diese Weise wie viele Nationalisten
dazu, indirekt die Sinoindonesier für die Minderprivilegierung der pribumi
verantwortlich zu machen. Suharto ließ ihn und andere Kritiker gewähren. Wie sehr
selbst die Industriekapitäne gegängelt wurden, lassen 1980 und 1995 durchgeführte
Pancasila-Indoktrinierungskurse erahnen, an dem die führenden Unternehmer des
250 Inside Indonesia June 1994, 2f; FEER 23.5.1996.

Die Großunternehmer 167
Landes teilnehmen mussten. 251 Suharto nutzte die Schwäche der Sinoindonesier 1990
sogar zu einer populären, wenngleich weitgehend im Symbolischen verbleibenden
Aktion, als er im März 31 führende Unternehmer auf seine Tapos-Ranch bat und sie
aufforderte, 25% der Aktienanteile an ihren Unternehmen an Genossenschaften
weiterzugeben. 252 Suharto verhielt sich bei dieser Gelegenheit den mächtigsten Industriebossen
des Landes gegenüber wie ein strenger, gütiger Vater und seine
Schützlinge nahmen ehrerbietig seine Anweisungen entgegen, denn gegen die immer
wieder gestellte Forderung, die Genossenschaften und andere pribumi-
Unternehmer zu fördern, konnten sie nicht aufbegehren.
Pribumi-Unternehmer
Die Auffassung, dass die Javaner selbst zum Handel ungeeignet seien oder dass es
ihnen am "Geist des Kapitalismus" fehle, lässt sich wohl kaum vertreten. 253 Jahrhundertelang
hatte schon vor dem Eintreffen der Niederländer im indonesischen Archipel
ein interkontinentaler Handel stattgefunden, an dem insbesondere die an den
Küsten lebenden Ethnien beteiligt waren. Selbst bei den priyayi waren Handelsberufe
durchaus nicht verpönt. Erst die Niederländer verdrängten die einheimischen
Händler aus den profitabelsten Bereichen, so dass sich eine pribumi-Bourgeoisie
nicht entwickeln konnte. Stattdessen besetzten chinesische Händler einige Sektoren
des Zwischenhandels und in der Industrie.
Die außergewöhnlich starke Stellung der Sinoindonesier stieß seit jeher in Indonesien
vielfach auf Widerspruch. Es gab kaum einen Indonesier nichtchinesischer
Abstammung, der die kleinen und großen cukong verteidigte. Stattdessen befürworteten
vor allem islamische Gruppen nationalistische pribumi-Förderpolitiken, die
eine lange Tradition in Indonesien haben. Dazu muss man wissen, dass die Beziehung
pribumi-nonpribumi oft als Beziehung zwischen Muslim und Nichtmuslim
gesehen wird, da nur etwa 1% der Sinoindonesier Muslime sind.
Es gab schon in den 50er Jahren einige pribumi-Unternehmer, die von Förderpolitiken
profitierten. Hasyim Ning, Eddy Kowara (Teknik Umum, 1996 Rang 103; vgl.
Schaubild 3-3), Sultan Hamengkubuwono (Duta Indonesia, Rang 75), Harlan Bekti,
Nahar Zahiruddin Tanjung, Machdi, Zainal Abidin (Tunggal, Rang 213) und Sudarpo
Sastrosatomo (Soedarpo, Rang 47) hatten durch gute Beziehungen zu einer der
politischen Parteien und/oder durch die Förderung durch das Benteng-System größere
Unternehmen aufbauen können. Hasyim Ning z.B. pflegte seine Kontakte zu PNIund
PSI-Politikern und arbeitete bereits in den 50er Jahren mit der Familie Bakrie,
Ibnu Sutowo u.a. zusammen. Sudarpo wurde als Bruder des PSI-Parlamentariers
Subadio Sastrosatomo, einem Freund von Sultan Hamengkubuwono, unterstützt. 254
251 1980 wurde auch die Prasetiya-Mulya-Stiftung der großen sinoindonesischen Konglomerate gegründet,
die später unter der Regie von Sofyan Wanandi die Vergabe der Aktienanteile an Genossenschaften
regelte. Die Stiftung war de facto eine Handelskammer der Sinoindonesier.
252 Somers-Heidhues 1996, 50f.
253 Vgl. auch Raillon 1994.
254 Robison 1986, 51ff.

168 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Diese pribumi-Unternehmer, die bereits vor 1965 - z.T. hervorgegangen aus der
Benteng-Förderpolitik - existiert hatten, unterscheiden sich von den Politikobürokraten
(Ibnu Sutowo, die Suhartos u.a.), die selbst im Staatsapparat arbeiten, und von
den Klienten der Politikobürokraten. 255 Unter anderem diese Unterschiede sollen im
Folgenden expliziert werden.
Pribumi-Förderung durch den Staat
Auch in der Neuen Ordnung gab es von vornherein verschiedene Gruppen, die pribumi-Unternehmer
fördern wollten, um den ausländischen und den sinoindonesischen
Einfluss zurückzudrängen. In den ersten Jahren waren es besonders einige
große Staatsunternehmen, die als Zentren für die Schaffung privater Unternehmen
fungierten. In ihrem Umkreis bildeten sich pribumi-Firmen als Lieferanten, Abnehmer
oder Subunternehmer (vgl. Abschnitt 3.6). Ein solches großes Staatsunternehmen
war der Erdölkonzern Pertamina unter der Führung des Suharto-Vertrauten
Ibnu Sutowo. 256
Pertamina bildete die Haupteinnahmequelle der Regimekoalition. Die Konzernleitung
war dem Präsidenten direkt verantwortlich und wurde weder vom Parlament
noch vom Finanz- oder dem Bergbau- und Energieminister kontrolliert. Ibnu Sutowo257
war ein enger Vertrauter des Präsidenten und gehörte in den ersten Jahren der
Neuen Ordnung zum "inner circle". Er war eine der schillerndsten Figuren in diesem
Zirkel. Er traf Entscheidungen sehr schnell und meist ohne Rücksprache. Mit dem
Anstieg der Erdölpreise entwickelte sich Pertamina zu einem Schlüsselbereich der
indonesischen Ökonomie, und Sutowo wurde zu einem der mächtigsten Industriekapitäne.
Mit seiner extravaganten und luxuriösen Lebensweise war er der Prototyp
des gesetzlosen Abenteuerkapitalisten und Machers, der auf unbürokratische Weise
in kürzester Zeit eine mächtige staatliche und pribumi-Industrie schaffen wollte.
Aber schon 1970 hatte eine nach öffentlichem Druck geschaffene Viererkommission,
die Korruptionsfälle untersuchen sollte, einen Bericht vorgelegt, in dem die
lückenhafte Buchführung und die fehlende Aufsicht über das Unternehmen offen
ausgesprochen wurde. Suharto reagierte auf die Vorwürfe nur sehr halbherzig.
Die Technokraten hatten jahrelang versucht, Sutowos Geschäftsgebaren zu kontrollieren
und konnten auch einige Male den Präsidenten dazu bewegen, per Dekret
ihren Geltungsbereich auszuweiten. So musste Ibnu Sutowo seit 1971 Kredite durch
den Finanzminister bestätigen lassen, was allerdings in der Praxis nicht geschah. 258
Erst 1975 offenbarte sich das Missmanagement Sutowos in aller Deutlichkeit. Bei
einem Schuldenstand von 10,5 Mrd. US$ musste er die Zahlungsunfähigkeit des mit
255 Robison 1986, 329ff.
256 McDonald 1980, Kap. 7; Bresnan 1993, 164ff; Robison 1986, 233ff.
257 Sutowo, Ibnu: geboren 1914 in Grobokan, Mitteljava, siebtes Kind von Raden Sastridirejo (ehemals
wedana und in der 13. Generation Nachfahre des Sultans Payang), arbeitete seit 1940 als Arzt, seit 1946
beim Militär in Palembang, Mayor tituler, 1957 Mitglied des Heeresstabes und PT Permina-Direktor,
Pertamina-Chef bis 1976, orthodoxer Muslim.
258 Winters 1996, 85ff.

Die Großunternehmer 169
40.000 Beschäftigten größten öffentlichen Unternehmens bekannt geben. Er hatte
zuvor den Tätigkeitsbereich Pertaminas so sehr ausgedehnt, dass er zuletzt für das
Krakatau-Stahlwerk, für das Industriegebiet Batam, für die Produktion von Düngemitteln
und petrochemischen Erzeugnissen, für den Unterhalt einer riesigen Tankerflotte
und von Tankstellen, Sportanlagen, Moscheen, Sozialeinrichtungen etc. verantwortlich
war. Zuletzt hatte er versucht, mit kurzfristigen Krediten das Schlimmste
zu verhindern, aber dadurch den Schuldenberg nur noch erhöht.
Sutowo hatte nur einen Teil der Pertamina-Gewinne als Steuern abgeführt. Den Rest
hatte er verwendet, um Militärs finanziell zu unterstützen und Günstlinge mit Aufträgen
und Lizenzen zu versorgen. Sein Sohn Ponco Sutowo gehörte bis 1998 zum
Golkar-Vorstand und zu den größten pribumi-Unternehmern in Indonesien. Die
Nugra-Santana-Gruppe (Rang 38) wurde 1996 noch unter dem Namen von Ibnu
Sutowo geführt.
Die pribumi-Förderung durch Ibnu Sutowo war in gewisser Weise seine Privatangelegenheit.
Aber erst Ende der 70er Jahre begann die Regierung mit einer systematischeren
Förderpolitik. Der Präsidentenerlass (Keppres) 14/1979 sollte so genannte
schwächere ökonomische Gruppen, womit de facto pribumi gemeint waren, unterstützen.
Das 1980 neu geschaffene "Tim 10" (durch den Präsidentenerlass Keppres
10/1980) wurde zu einer bedeutenden Machtbasis für die Nationalisten um Sudharmono.
Die meisten Mitglieder dieses Tim 10 kamen aus dem Staatssekretariat
(Sekneg). Der Erlass ermöglichte es dem Staatssekretariat unter Sudharmono, einen
erheblichen Einfluss auf den Umfang und die Art ausländischer Investitionen mithilfe
von Investitions-Prioritätenlisten zu nehmen: 259
"Team 10 controlled aspects of land acquisition for projects, granted permits for and oversaw
tenders [...] Over the next five years the team's power would be extended vertically
through the state apparatus and horizontally across the archipelago [...] At first Team 10
was charged with overseeing major purchases by ministries and nondepartmental government
bodies (called lembaga). But in July 1980 Suharto issued Presidential Decree 42,
extending the team's power to encompass all state companies - including the biggest of
all, Pertamina." 260
Die Ausweitung der Befugnisse auf Pertamina erhöhte die Macht des Tim 10 außerordentlich.
Durch das Dekret 14A/1980 war das Team nämlich ermächtigt, sämtliche
Aufträge der Regierung mit einem Volumen von über 500 Mio. Rp. (damals
800.000 US$) zu kontrollieren. 1984 wurde dieser Betrag sogar auf 200 Mio. Rp.,
und das ohne Ausschreibungsverfahren, herabgesetzt. Bis zu seiner Auflösung im
Jahre 1988 vergab das Team Aufträge im Umfang von 52 Billionen Rp., während im
259 Außerdem konnte das Sekneg mit einem Verbindungsbüro die Tätigkeit im Parlament und die Aktivitäten
der politischen Parteien verfolgen und beeinflussen. Das Sekneg war darüber hinaus wichtig bei der
Ausarbeitung von Gesetzestexten und hatte zusammen mit verschiedenen Justizministern und Generalstaatsanwälten
eine konsoliderte Machtstellung im Justizapparat.
260 Winters 1996, 131.

170 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
gleichen Zeitraum einheimische Privatinvestitionen 14,5 Billionen Rp. betrugen.
Ausländische Investitionen lagen sogar noch unter diesem Wert. 261
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, welche Möglichkeiten die Sudharmono-
Gruppe hatte, nicht nur sich selbst zu bereichern (wie die Unternehmen der Familien
Sudharmono und Kartasasmita belegen), sondern auch die Kinder Suhartos, die
Anfang der 80er Jahre als Geschäftsleute begannen, und einige andere pribumi-
Günstlinge zu versorgen. Das ganze System war aber nicht bloß eine Machtstrategie
Suhartos und der Sudharmono-Gruppe, sondern zugleich der von vielen ernst gemeinte
Versuch, eine einheimische, nichtsinoindonesische Bourgeoisie ins Leben zu
rufen. Darüber hinaus konnte Suharto einige finanzielle Mittel direkt für Banpres-
Programme abzweigen. 262 Mit schier unerschöpflichen Geldreserven baute die Sudharmono-Gruppe
mit der Rückendeckung durch den Präsidenten ein Netzwerk auf,
das bis weit in die Geschäftswelt hineinreichte und die seit 1983 erfolgende Umgestaltung
der Regierungspartei Golkar absicherte. Sudharmono wurde 1983 Golkar-
Vorsitzender und brachte einige der pribumi-Unternehmer mit in den Vorstand. Das
von Sudharmono gesponnene Beziehungsnetz dehnte sich auch auf den Unternehmerverband
Kadin aus, der eine Art Interessenorganisation der größeren pribumi-
Unternehmen war. Jeffrey Winters schreibt:
"[...] medium and smaller firms most frequently attached themselves to Team 10's largesse
by operating as subcontractors to the big players linked at the apex of the system to
Suharto, SEKNEG, Team 10, KADIN headquarters, and GOLKAR headquarters. In effect,
the patronage structure in the state was replicated in a parallel structure in the Indonesian
private sector." 263
Das Tim 10 wurde erst 1988 wieder aufgelöst, da durch den Verfall des Erdölpreises
und die Liberalisierung der indonesischen Wirtschaft dieses Projekt zu kostspielig
geworden war.
Viele dieser Unternehmer konnten - vermittelt durch das Tim 10 - Aufträge von
Pertamina ergattern, etwa im Tankergeschäft (wie Ponco Sutowo) oder im Röhrengeschäft
(wie die Bakries). Als besonders profitabel erwiesen sich auch die Aufträge
im Bausektor. Aber alles in allem war auch dieser Versuch, eine pribumi-
Bourgeoisie entstehen zu lassen, gescheitert. Der ungeheure Mitteleinsatz hatte
nämlich lediglich einigen pribumi-Unternehmen eine geeignete Basis zur Expansion
bereitgestellt - die Hegemonie der Sinoindonesier war aber ungebrochen.
Um es zu wiederholen: Der Unternehmensbereich in der Neuen Ordnung war wesentlich
geprägt von dem Gegensatz zwischen Sinoindonesiern und pribumi. Die
pribumi benötigten zumeist die Unterstützung durch den Staat, um eigene Unternehmen
aufbauen zu können. Und es gab nur wenige unter ihnen, die als "echte
261 Winters 1996, 134.
262 Banpres = Bantuan Presiden (Hilfe des Präsidenten); im Gegensatz zu Inpres-Mitteln (Instruksi Presiden
= Instruktion des Präsidenten), die erst durch Bappenas und das Finanzministerium - wenn auch
sicher nur routinemäßig - genehmigt werden mussten.
263 Winters 1996, 137.

Die Großunternehmer 171
Unternehmer" (wiraswasta sejati) galten, so z.B. Abdul Latief (Alatief Corp., Rang
68) und Fadel Muhammad (Gema dan Bukaka, Rang 84). Die meisten pribumi hatten
gute politische Kontakte (wie Fahmi Idris, Kodel-Gruppe, Rang 132) oder waren
anak-anak pejabat, also Sprösslinge der Angehörigen der Regimekoalition. Bei den
anak-anak pejabat denkt man in der Regel sofort an die notorischen Praktiken der
Familie Suharto. Allerdings sollte man bedenken, dass fast alle ehemaligen oder
noch aktiven Amtsinhaber ihre Nachkommenschaft mit Krediten, Aufträgen, Lizenzen
versorgten und gute Kontakte vermittelten. Sie taten das auch deshalb, weil sie -
zumindest den Gesetzen nach - keine Geschäfte machen durften, solange sie ein
Staatsamt innehatten.
Zu den größtenteils noch heute bedeutenden pribumi-Unternehmern, die als Klienten
der Politikobürokraten von staatlichen Aufträgen, die wie Geschenke verteilt wurden,
profitierten, gehörten z.B. Agus Kartasasmita (der jüngere Bruder von Ginanjar
mit seiner Firma PT Catur Yasa), Fadel Muhammad, Yusuf und Achmad Kalla
(Kalla-Gruppe, Rang 137) sowie die Bakrie-Brüder (Rang 17), Iman Taufik (PT
Guna Nusa, Rang 217) und Ponco Sutowo (PT Adiguna). Zu den Unternehmern, die
von Pertamina-Kontrakten profitierten, gehörten etwa Siswono Yudohusodo (Sohn
des ehemaligen stellvertretenden Gouverneurs von Jakarta; Bangun Tjipta-Gruppe,
Rang 74), Fahmi Idris, der Sukarno-Sohn Guntur und der Sohn von Yusuf Muda
Dalam, Teuku Syahrul. Andere bedeutende Unternehmer/innen waren z.B. Ria Prawiro,
die Tochter von Radius Prawiro, Hasyim Joyohadikusumo (Tirtamas/Era Persada,
Rang 46), der Sohn des ehemaligen Finanzministers Sumitro und Bruder des
Suharto-Schwiegersohnes Prabowo, Tarik Habibie (Hotels und Wohnungen) und
Sujatim A. Habibie (Timsco, Rang 76), Tantyo Sudharmono (Manggala, Rang 144)
sowie die Familie des ehemaligen Post- und Telekommunikationsministers Tahir.
Außerdem Chris Kanter, der Sohn von Generalleutnant E.Y. Kanter (ehemals
Opstib-Vorsitzender), der Sohn des Gouverneurs von Riau, Hary Priambodo Suripto,
sowie Donny Prasetya Satriadi, die älteste Tochter des Gouverneurs von Westkaliamantan.
264
Es ist schwierig einzuschätzen, wie viele der großen und mittelgroßen Unternehmen
in Indonesien in den Händen von cukong und anak-anak pejabat lagen und wie viele
von genuinen Unternehmern, also aufgrund einer besonderen Fähigkeit oder unabhängig
von staatlicher Hilfe, geführt wurden. Es dürften aber die vielfach protegierten
Geschäftsleute dominiert haben, so dass der Business-Sektor in Indonesien ins-
264 Pangaribuan 1996, 56 und Forum Keadilan (Edisi Khusus), April 1996: Siapa Saja Kelas Menengah
Indonesia; D&R 18.10.1997, 34f. Solche nepotistischen Netzwerke überzogen ganz Indonesien. In Surabaya
etwa verfügten Himawan Sukmanto, der Sohn von General R. Hartono, und Haris Basofi, der Sohn
des Gouverneurs von Ostjava, Basofi Sudirman, über größere Unternehmen (Laga Music Lounge und
Colour Pub) (Forum Keadilan 31.7.1995). Haris Basofi arbeitete außerdem mit Indra Sularso, dem Sohn
des ehemaligen Gouverneurs von Ostjava, zusammen. Zu den Habibies: Aditjondro 1998b. Idris, Fahmi:
Unternehmer, Kodel-Gruppe, 66er-Generation, HMI, seit Mai 1998 Arbeitsminister. Muhammad, Fadel:
geboren 1952 in Ternate, Molukken, Gema- und Bukaka-Gruppe, Ingenieur 1978 (ITB), Hipmi, Golkar,
gehört zur zweiten Unternehmergeneration. Bakrie, Aburizal: geboren 1946 in Jakarta, sein Vater war
schon in den 30er Jahren erfolgreicher Händler, Ingenieur 1973 (ITB), Vorsitzender des Dewan Mahasiswa,
Golkar, 1. Vorsitzender von Hipmi, seit 1994 1. Vorsitzender von Kadin, seit 1988 MPR.

172 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
gesamt mit den Begriffen "Korruption, Kollusion und Nepotismus" zu charakterisieren
war. Daraus folgte die außergewöhnliche Intransparenz, Unberechenbarkeit und
häufig auch Ineffizienz, die die Asienkrise in Indonesien katalysiert haben.
Kadin, Hippi, Hipmi
In Indonesien gab es einige Hundert Unternehmerorganisationen, an deren Spitze
die Indonesische Kammer für Handel und Industrie, Kadin265 , stand. Daneben gab es
die Unternehmensverbände in den einzelnen Produktionsbereichen, wie etwa Gakindo
im Baugewerbe, Apkindo in der Holzverarbeitung oder Ginsi als Verband der
Importeure. Nur relativ wenige Unternehmen gehörten Kadin an. Im Großraum
Jakarta waren es z.B. Mitte der 90er Jahre nur 12.000 der 200.000 Firmen, von denen
wiederum nur 3.500 ihre Beiträge bezahlten.
1968 wurde Kadin als Teil der korporatistischen Strategie auf Geheiß der Regierung
gegründet. 266 Bis 1979 waren die ersten Vorsitzenden Militärs wie General Isman
(Kosgoro) und General Sofyar (Yayasan Dharma Putra von Kostrad). Dann folgten
zwei bekannte pribumi-Unternehmer (Hasyim Ning und Sukamdani Gitosarjono)
und ein hoher Beamter (Sotion Arjanggi). Diese Führungswechsel spiegelten die
vorsichtige Entmilitarisierung und den stärkeren Einfluss der pribumi-Unternehmer
seit Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre wider. Die Wahl von Sotion Arjanggi für
die Jahre 1988-93 aber zeigte auch, dass selbst noch in Zeiten einer forcierten Öffnungspolitik
die Regierung die Kontrolle über Kadin wahren konnte. 267
Seit der Gründung wurde Kadin Schritt für Schritt zur offiziellen Unternehmervertretung
durch Erwähnung in den GBHN (1983) und schließlich mit der Anerkennung
durch das Parlament (1987) aufgewertet. Kadin hatte zahlreiche, oft schwache
Vertretungen in den Regionen und nahm so genannte Aspirationsgruppen wie Hippi
und Hipmi, dazu einige unbedeutende wie Hiksi oder Kukmi, auf. 268 Hippi war der
Verband der einheimischen Unternehmer, der vom Halbbruder Suhartos, Probosutejo,
gesponsort wurde und als ein pribumi-Sprachrohr galt. Probosutejo nutzte einerseits
die Verwandtschaft zum Präsidenten exzessiv aus und kritisierte andererseits in
populistischer Manier genau diejenigen cukong, mit denen er und sein Hauptpatron
eng zusammenarbeiteten.
Kadin und Hippi hatten sich mehrfach für ein Kartellgesetz ausgesprochen, um die
Macht der Konglomerate schrittweise zu brechen. Einige pribumi forderten sogar
die Einführung einer "New Economic Policy" wie in Malaysia, wo über Jahrzehnte
nach den Unruhen von 1969 die Malaien (die dort bumiputera genannt werden) per
265
Kamar Dagang dan Industri; eine kurze Darstellung der Entwicklung bis 1990 in: MacIntyre 1991, 41-
56.
266
Allerdings hatte es schon in der Gelenkten Demokratie solche korporatistischen Strukturen mit dem
Nationalen Unternehmerrat Bamunas seit 1964 und den Unternehmensföderationen GPS und OPS gegeben.
267
Zu den bekanntesten pribumi-Unternehmern bei Kadin gehörten u.a. noch Aburizal Bakrie, Iman
Taufik, Agus Kartasasmita, Dewi Motik Pramono, Arnold Baramuli, Ponco Sutowo und Fahmi Idris.
268
Hiksi ist die Organisation der Kleinunternehmer und Kukmi die der kleinen und mittleren Unternehmer.
Zum Folgenden: MacIntyre 1991, 48ff.

Die Großunternehmer 173
Gesetz positiv diskriminiert wurden und so ihre wirtschaftliche Position gegenüber
den Sinomalaysiern verbessern konnten. Solche Forderungen stießen insbesondere
in muslimischen Kreisen, etwa bei ICMI und Muhammadiyah, auf große Sympathie.
Wichtiger als Hippi war der Verband der jungen Unternehmer Hipmi, der Anfang
der 70er Jahre von Abdul Latief 269 , Aburizal Bakrie, Tanri Abeng, Ponco Sutowo
u.a. gegründet worden war und z.T. sehr offen eine stärkere Berücksichtigung von
pribumi-Interessen forderte. Hipmi wurde von vielen als Organisation betrachtet, die
in erster Linie die Interessen eines kleinen Zirkels von Sprösslingen der Regimekoalitionäre
(organisasi anak-anak pejabat) vertrat. 270
Obwohl Liem Sioe Liong als Financier von Kadin sehr wichtig war, zeigten er und
die meisten sinoindonesischen Unternehmer kaum ein Interesse daran, sich aktiv an
der Lobbyarbeit von Kadin zu beteiligen. Zum einen konnten sie nämlich in persönlichen
Beziehungen zu den Machthabern sehr viel schneller ihre geschäftlichen
Wünsche artikulieren und verwirklichen. Zum anderen standen sie in einem Interessengegensatz
zu den pribumi, der eine Zusammenarbeit erschwerte und teilweise
unmöglich machte.
Außer den genannten Organisationen waren in Kadin über 200 der 350 Branchenverbände
(das sind die Zahlen für die 80er Jahre) vertreten und in verschiedenen
Sektionen zusammengefasst. MacIntyre hat in einer ausführlichen Studie gezeigt,
dass gerade diese Verbände auf politische Entscheidungsprozesse einwirken konnten
und nennt als Beispiele die Interessenvertretung der pharmazeutischen und der Textilindustrie.
Diese beiden Verbände agierten weitgehend unabhängig von staatlichen
Einflüssen. MacIntyre kommt zu folgenden Schlüssen:
Und:
"They did not function to limit or exclude the demands of their membership. Precisely the
opposite: they served to facilitate and enhance the capacity of their constituents to achieve
vital input to the policy process." 271
"Indonesia seems to be in the process of evolving from an exclusionary to a more inclusionary
style of corporatism. Though, unquestionably, the state remains pre-eminent in
269 Latief, Abdul: geboren 1940 in Banda Aceh, Indonesian Business Leadership Academy 1963, Gründer
und 1. Vorsitzender von Hipmi 1972/73, Vorsitzender von Kadin 1979-82, Chef der Sarinah Jaya-
Gruppe, Arbeitsminister 1993-98, März bis Mai 1998 Minister für Tourismus, Kunst und Kultur.
270 Vgl. über die nationale Munas-Konferenz: Tiras 1.6.1995. Zu den neuen pribumi-Unternehmern, die in
Hipmi organisiert waren, gehörten etwa Siswono Yudhohusodo, Fahmi Idris, Ponco Sutowo, Suryadharma
Tahir, Teuku Syahrul und der Sukarno-Sohn Guntur. Diese Gruppe profitierte vor allem von Aufträgen
Pertaminas. Der Hipmi-Vorsitzende Bambang Atmanto Wiyogo (1995-98) ist der Sohn des früheren
Gouverneurs von DKI Jakarta, und der ehemalige Hipmi-Vorsitzende Bambang Riyadi Sugomo (Kresna,
Rang 78 und Kanindo, Rang 130) gelangte als Sohn des ehemaligen Bakin-Leiters Yoga Sugomo in die
Führungsposition. Einige anak-anak pejabat waren auch im 45-köpfigen Golkar-Vorstand vertreten
(Bambang Riyadi Sugomo, Ponco Sutowo, Tantyo Sudharmono). Außerdem saßen die pribumi Fadel
Muhammad und Fahmi Idris in diesem Gremium.
271 MacIntyre 1991, 245.

174 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Indonesian politics, some of the corporatist structures which previously obstructed demand-making
are now being turned around by their client groups." 272
Trotz dieses Einflusses auf einige Gesetzesvorhaben bleibt festzuhalten, dass Kadin
an der Gesetzgebung kaum beteiligt war und nicht als aktive Lobbyorganisation
fungierte. Die mangelnde Beteiligung lag an der ökonomischen Schwäche der einheimischen
Unternehmen, aber auch an der in Indonesien noch tief verwurzelten
Skepsis oder gar Antipathie gegenüber unternehmerischem Handeln. Kadin war
deshalb eher ein staatliches Kontrollorgan und eine Interessenorganisation der an
staatlicher Protektion und Pfründenvergabe interessierten großen pribumi-Unternehmer.
273 Die Kleinunternehmer und die Genossenschaftsvertreter waren demgegenüber
kaum in den Führungsgremien vertreten.
Wie die anderen korporatistisch beherrschten Berufsorganisationen konnten sich die
Unternehmerverbände nie wirklich aus dem staatlichen Würgegriff befreien. Die
Regierung hat sogar häufig die Wahlen in diesen verschiedenen Unternehmerverbänden
direkt beeinflusst. Bei den Kadin-Wahlen war in der Regel der mehr oder
weniger offen ausgesprochene Wille des Präsidenten ausschlaggebend. Bei einer
Hipmi-Vorsitzendenwahl wurde z.B. der Wahlausgang präjudiziert durch ein demonstratives
Abendessen des Präsidentensohnes mit dem von Suharto vorgesehenen
Kandidaten. 274
Erst in den 90er Jahren waren dann auch die Unternehmensverbände etwas selbständiger
geworden, ohne dass allerdings davon gesprochen werden kann, dass diese
Unternehmer die Demokratisierung gefördert hätten oder auch nur nennenswert die
Regimekoalition in Verlegenheit gebracht hätten durch aggressivere Forderungen an
die Politiker. Zumindest wurde im Januar 1994 etwas überraschend der prominente
pribumi-Unternehmer Aburizal Bakri Kadin-Vorsitzender. Er konnte sich bei der
Wahl gegen den Suharto-Halbbruder Probosutejo, der vor allem als Fürsprecher von
kleineren Unternehmern auftrat, und gegen den Regierungskandidaten A.R. Ramly,
den früheren Botschafter in den USA und Kommissarischen Präsidenten von PT
Astra Internasional, durchsetzen. 275 Aburizal Bakrie, der immerhin zwei Minister
hinter sich wusste, war der erste Kadin-Vorsitzende, der nicht einfach "von oben"
ernannt wurde, wie etwa sein Vorgänger Sotion Arjanggi, der ebenso wie der Generalsekretär
Ibnu Sujono aus der Bürokratie gekommen war. 276 Unter anderem durch
272
MacIntyre 1991, 246f.
273
Vgl. Samego 1994, 151ff. So wurde ein Gesetzentwurf zur Unterstützung der Kleinunternehmen von
Kadin nicht unterstützt.
274
MacIntyre 1991, 63.
275
Ramly, der von den Ministern Murdiono (Sekneg), Subiakto Cakrawerdaya (Genossenschaften, T.
Ariwibowo (Industrie), Yogie S. Memet (Innenressort) und Siswono Yudohusodo (Transmigration und
Siedlung) unterstützt wurde, scheiterte bereits an den Wahlstatuten, die vorsahen, dass die Kandidaten
zumindest zur Direktion eines Unternehmens gehören mussten. A.R. Ramly gründete später zusammen
mit Sukamdani Sahid Gitosarjono eine Art Gegenorganisation zu Kadin, nämlich das Kooperationsforum
der Unternehmervereinigungen FKAP (Forum Kerjasama Asosiasi-asosiasi Pengusaha).
276
Bakrie war von mehreren bekannten pribumi-Unternehmern wie Arnold Baramuli (als Vertreter der
älteren pribumi-Generation), Fahmi Idris, Agus Kartasasmita (als Vertreter der mittleren Generation),

Die Großunternehmer 175
den Einfluss der Presse wurden die Wahlen offen und nicht, wie ursprünglich geplant,
unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt. 277 Trotzdem bleibt festzuhalten,
dass die pribumi-Unternehmer weit davon entfernt blieben, genuine Unternehmerinteressen
zu formulieren und diejenigen, die den Staatsapparat besetzten, zu
Reformen zu zwingen.
Die Suhartos als Unternehmer
Weil die Geschäfte der Suhartos sehr aufschlussreich für ein vertieftes Verständnis
der Neuen Ordnung sind, sollen sie hier etwas ausführlicher behandelt werden. Das
gilt besonders für die drei größten Skandale in den 90er Jahren, die sich um das
Gewürznelkenmonopol, das "Nationale Auto" und die vermeintlichen Goldfunde im
Busang-Fall drehten.
Die außergewöhnliche militärisch-bürokratisch-politische Macht Suhartos wurde
bereits dargestellt. Auch im ökonomischen Bereich zeichneten sich die typischen
Nebenfolgen des Neopatrimonialismus im Laufe der Jahre immer klarer ab. Gerade
in den letzten Jahren der Neuen Ordnung waren es die notorischen Geschäfte des
Präsidenten und seiner Familie, die die Propaganda von der Demokrasi Pancasila,
von harmonischen Pancasila-Arbeitsbeziehungen, vom negara kekeluargaan usw.
als hohles Gerede entlarvten. Selbst die verstocktesten Ideologen konnten nur mühsam
erklären, warum in einem Familienstaat ausgerechnet die Präsidentenfamilie ein
Milliardenvermögen aufhäufen konnte. Im Juli 1997 schätzte die Zeitschrift Forbes
das Vermögen Suhartos sogar auf 16 Mrd. US$. Bis heute gibt es allerdings nur
grobe Schätzungen seines gesamten Vermögens, von dem ein großer Teil auf ausländischen
Konten angelegt sein wird.
Bis Anfang der 80er Jahre waren die wichtigsten Unternehmen im Besitz der Familie
Suharto diejenigen, die von Sudwikatmono und Probosutejo verwaltet wurden,
sowie die Stiftungen, die vor allem "Tien" Suharto führte. 278 Aber schon Mitte der
80er Jahre stellte Robison fest, dass die Suhartos sowohl "Politikobürokraten" als
auch Kapitalisten geworden seien. Die Familie Suharto drang in dieser Zeit in Wirtschaftsbereiche
vor, die vorher u.a. von den Militärs besetzt worden waren, wie der
Handel mit Tropenhölzern. Die neu entstehenden lukrativen Geldquellen in den
Bereichen Chemie, Telekommunikation, Mautstraßen, Finanzdienstleistungen, Automobilindustrie
etc. wurden von den Suhartos, jedoch kaum von ABRI, ausgebeutet.
Anfänglich versuchte Suharto, seine Raffgier zu verbergen: Eine wichtige Einnahmequelle
für ihn waren deshalb mehrere offiziell nicht gewinnorientierte Stif-
Hasyim Ning, Awaluddin Jamin und Adi Tahir (dem Hipmi-Vorsitzenden) offen unterstützt worden (vgl.
Samego 1994, 153ff und Forum Keadilan 18.8.1994).
277 Zu der neuen Kadin-Führung gehörten von 1994 bis 1999 u.a. Iman Taufik (Hippi), Agus Kartasasmita
(Vorsitzender der Vereinigung der Privatunternehmer Indonesien Gapensi) und Adi Putra Taher (1.
Vorsitzender von Hipmi). Vor allem brachte Bakrie mehrere Hipmi-Vertreter in Kadin-Führungspositionen.
Bakrie zählte zu seinen wichtigsten Aufgaben, die sinoindonesischen Unternehmer dazu zu
bewegen, sich bei Kadin zu engagieren, um die Interessen der Unternehmer effektiver vertreten zu können.
278 Vgl. Robison 1986, 343ff.

176 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
tungen (Yayasan). 279 Die Supersemar-Stiftung z.B. gewährte Stipendien, die Dakab-
Stiftung finanzierte den Bau von Moscheen und Kirchen. Im Besitz der Dharmais-
Stiftung, die sich wie die anderen z.T. aus Zwangsbeiträgen der indonesischen Beamten
finanzierte, befand sich u.a. ein Krankenhaus. 1995 kam die Stiftung Dana
Sejahtera Mandiri hinzu, die zur Armutsbekämpfung Beiträge der Konglomerate
einforderte. 280 Seine Frau "Tien" Suharto verfügte bis zu ihrem Tode über die Stiftungen
Harapan Kita, Kartika Chandra und Dana Gotong Royong Kemanusiaan,
Suharto selbst kontrollierte Dakab (Dana Abadi Karya Bakti), Dharmais (Dharma
Bhakti Sosial), Amal Bhakti Muslim Indonesia, Surat Perintah 11 Maret (Supersemar),
Trikora, Dwikora usw. Der eigentliche Zweck dieser yayasan war es, den
Präsidenten in verdeckter Form mit profitträchtigen Unternehmen auszustatten. 281
Dakab, Dharmais und Supersemar beherrschten u.a. verschiedene Banken 282 sowie
eine Reihe anderer Unternehmen in unterschiedlichen Industrie- und Dienstleistungsbranchen,
darunter auch PT Nusantara Ampera Bakti (Nusamba), ein Konglomerat,
an dem die drei Stiftungen zusammen zu 80%, "Bob" Hasan zu 10% und
Sigit Haryoyudanto ebenfalls zu 10% beteiligt waren. Nusamba war 1996 in der
Liste der umsatzstärksten indonesischen Unternehmen auf Rang 11 und besaß u.a.
20% der Anteile von Sempati Airlines, das von "Tommy" Suharto beherrscht wurde,
und 45% von Mandala Airlines, einem Unternehmen von Sigit Haryoyudanto.
Schließlich war Nusamba an Astra beteiligt, dem größten Automobilhersteller und
zweitgrößten indonesischen Unternehmen 1996.
Da Suharto nicht nur diese Stiftungen kontrollierte, sondern zudem Gelder aus staatlichen
Unternehmen abziehen konnte, gehörte er zu den größten Unternehmern des
Landes. Es gibt Informationen darüber, dass er am Import und Export von Erdölprodukten
bzw. Rohöl ca. 30 Jahre lang täglich etwa 1 Million US$ verdiente. 283 Neben
Liem Sioe Liong ist Suharto also einer der reichsten Männer Südostasiens.
In den 80er Jahren gab der Präsident seinen Kindern die Möglichkeit, unternehmerisch
tätig zu werden. Bambang hatte 1982 mit einigen Schulkameraden und mit
seinem Schwager Indra Rukmana die Bimantara-Gruppe gegründet. Wie bei vielen
anderen aufsteigenden pribumi-Unternehmern begünstigten Pertamina-Kontrakte in
der Anfangsphase die Ausweitung seines Unternehmens. Bambangs Bimantara-
Gruppe stieg bis 1996 zum sechstgrößten Unternehmen in Indonesien mit einem
Umsatz von über 4,2 Billionen Rp. auf. Das Konglomerat gliederte sich in sieben
279 Die Stiftungen Dakab, Dharmais und Supersemar besaßen Anteile von Indocement, dem Unternehmen
von Liem Sioe Liong, an dessen Bogasari-Unternehmen wiederum Harapan Kita beteiligt war. Die Stiftung
Purna Bhakti Pertiwi hatte einen 22%-Anteil an PT Citra Marga Nusaphala Persada, einem Unternehmen
von Siti Hardiyanti Rukmana ("Tutut"), das Mautstraßen baute. Die wichtigste Aufgabe der
Stiftung Dakab war es, Golkar mit finanziellen Mitteln zu versorgen. Harapan Kita und Trikora kontrollierten
neben PT Bogasari Fluor Mills die Bank Windu Kencana, PT Hanurata (Rang 106), PT Kartika
Chandra u.a.
280 TB April 1996, 9.
281 Zum Folgenden: Suara Independen Agustus 1997, 5ff; Forum Keadilan 24.2.1997, 106f.
282 Die Bank Duta (Rang 44), die Bank Umum Nasional und die Bank Muamalat Indonesia.
283 So jedenfalls Laksamana Sukardi (Interview am 7.10.1997 in Jakarta).

Die Großunternehmer 177
Bereiche, nämlich Medien (u.a. RCTI) 284 , Telekommunikation (mit einem 45%-
Anteil am Palapa-Satelliten), Infrastruktur (u.a. Pipelines), Transport und Automobile
(z.B. in Zusammenarbeit mit Ford, Hyundai und Kawasaki), Chemie (etwa bei PT
Chandra Asri zusammen mit Prayogo Pangestu), Hotels und Immobilien sowie Finanzdienstleistungen.
285 1984 hatten Bambang, sein älterer Bruder Sigit Haryoyudanto
und der Cousin Suhartos, Sudwikatmono, ein Monopol für den Import von
Rohstoffen für die Plastikproduktion bekommen. Sigit und "Tutut" waren außerdem
seit 1974 an der Bank Central Asia von Liem Sioe Liong beteiligt. Sigits Arseto-
Gruppe und seine Panutan-Gruppe hatten 1996 einen Umsatz von zusammen über 1
Bio. Rp. und wurden in der Liste der umsatzstärksten indonesischen Unternehmen
auf Rang 81 bzw. 104 geführt.
Suhartos älteste Tochter "Tutut" war zuletzt die politisch einflussreichste der Kinder
Suhartos und sollte eigentlich 1998 die neue Golkar-Vorsitzende werden. Von dieser
Position aus hätte sie eventuell, d.h. mit der Zustimmung des Militärs, die Nachfolgerin
ihres Vaters im Präsidentenamt werden können. "Tutut" gründete 1983 zusammen
mit ihrem Mann und ihren beiden jüngeren Schwestern die Citra-Lamtoro-
Gung-Gruppe. 286 1996 war dieses Konglomerat mit einem Umsatz von knapp 1 Billion
Rp. auf Rang 45 der umsatzstärksten indonesischen Unternehmen. 287 Zu ihren
Projekten zählte u.a. eine 20.000 ha-Zuckerplantage in Ost-Timor und die Beteiligung
an dem Tripeldecker-Verkehrsprojekt in Jakarta. Die eigentliche Basis der
Citra-Lamtoro-Gruppe aber waren hochprofitable Mautstraßen, die sie in den letzten
Jahren sogar in Malaysia und den Philippinen bauen ließ.
1984 folgte Hutomo Mandala Putra ("Tommy") seinen Geschwistern in die Geschäftswelt
mit der Gründung seiner Humpuss-Gruppe. Auch er bekam günstige
Pertamina-Kontrakte, nämlich für die Vermarktung eines Teils des in Indonesien
geförderten Rohöls und zweier petrochemischer Produkte. 1996 erzielte er mit seiner
Humpuss-Gruppe einen Umsatz von über 2,3 Billionen Rp. Damit nahm das
Konglomerat in der Rangliste der größten Unternehmen den 18. Platz ein. "Tommy"
verkörperte den Typ des aggressiven, arroganten Jungunternehmers, der seine Beziehungen
mit allen Mitteln ausnutzte. Sein Monopol für den Handel mit Gewürz-
284
Das erste Mal in der Geschichte der Neuen Ordnung weigerte sich Suharto im Jahre 1997, ein schon
sieben Monate zuvor vom Parlament verabschiedetes Gesetz zu unterzeichnen. Suharto setzte sich für
eine Verlängerung der Lizenzen für Rundfunkanbieter von 5 auf 10 Jahre, für die landesweite Ausstrahlung
der Sendungen und für Werbung im staatlichen Fernsehsender TVRI ein. Offensichtlich konnten
"Tutut" und Bambang Suharto ihren Vater, der den Gesetzesentwurf schon gebilligt hatte, umstimmen.
"Tutut" besaß das TPI (Televisi Pendidikan Indonesia), Bambang das RCTI (Rajawali Citra Televisi
Indonesia) und Teile von Indosiar Visual Mandiri, seine Frau Halimah Trihatmojo Teile von SCTV
(Surya Citra Televisi) (FEER 4.9.1997).
285
Vgl. Tiras 1.6.1995, 22ff und besonders: Swasembada August 1995.
286
Swasembada 18.6.1997.
287
FEER 9.4.1998. Zu den wichtigsten Unternehmen zählten Citra Flour Mills Nusantara, Citra Permatasakti
Persada (städtische Entwicklung), Citra Transport Nusantara (Taxiunternehmen), Daya Tata Matra
(Transport, Handel, Management), Tanjung Enim Pulp & Paper, Gula Putih Mataram (Zucker), Musi
Hutan Persada (Forstwirtschaft) sowie Citra Marga Nusaphala Persada (Mautstraßen; börsennotiertes
Unternehmen mit 1996 225 Mrd. Rp. Einnahmen). Außerdem besaß "Tutut" einen 16%-Anteil an der
Bank Central Asia von Liem Sioe Liong und die Mehrheit beim Televisi Pendidikan Indonesia.

178 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
nelken und sein Mobnas-Projekt zählten in den 90er Jahren zu den spektakulärsten
Nepotismusfällen, die in den Massenmedien diskutiert wurden.
Zwei weitere sehr bekannte Geschäftsleute der Familie Suharto waren der Cousin
des Präsidenten, Sudwikatmono, der durch ein Importmonopol für Filme reich wurde,
288 und Suhartos Halbbruder Probosutejo, der sich in den 70er Jahren das Importmonopol
für Gewürznelken mit Liem geteilt hatte und 1996 mit Mercu Buana (73.
Platz) eines der größten Unternehmen besaß. Sudwikatmono war u.a. an einigen
Unternehmen von Liem beteiligt und hatte wichtige Funktionen bei den Liem-
Unternehmen Waringin, Indocement und Bogasari inne. Probosutejo hatte schon
Anfang der 60er Jahre den Handel mit Irian Jaya unter dem Schutz von Kostrad
monopolisiert und konnte nach 1965 sein Business-Imperium Stück für Stück ausbauen.
289
Die Familie Suharto konnte nicht nur von staatlichen Krediten, die häufig eher
Geldgeschenken glichen, und Vergünstigungen, die faktisch Lizenzen zum Gelddrucken
waren, profitieren, sondern auch von der Möglichkeit, mit den cukong zusammenzuarbeiten.
Beispiele für die Zusammenarbeit von Sinoindonesiern mit pribumi
waren neben der Kooperation der Familie Suharto mit Liem, "Bob" Hasan u.a. die
Joint Ventures zwischen Ibnu Sutowo und William Suryajaya, das Unternehmen
P.T. Pembangunan Jaya und die Kooperation Sudarpos mit einigen Chinesen. Prayogo
Pangestu arbeitete mit "Tutut" zusammen bei der Errichtung einer Zuckerrohrplantage
in Sulawesi sowie einer Papierfabrik in Sumatra und war zusammen mit
Bambang an dem Petrochemiekomplex Chandra Asri beteiligt. Er finanzierte die
Publikation der Autobiographie Suhartos und rettete mit 220 Mio. US$ die 1990 in
Schwierigkeiten geratene Bank Duta des Präsidenten. Quasi im Gegenzug stellte die
staatliche Bank Bumi Daya Prayogo Kredite zur Verfügung. 290
All diese Kooperationen standen unter der Obhut der Regimekoalition. Die Firma
PT Chandra Asri z.B. hatte 1995 in Westjava die Produktion von Polyolefinen aufgenommen.
Die Produktionsanlagen von PT Chandra Asri, die einen Wert von 2
Mrd. US$ hatten, waren im Besitz von Bambang Trihatmojo, Sudwikatmono, Prayogo
Pangestu, Henry Pribadi und einigen Japanern. Die Firma wurde aber als
100%ige Auslandsinvestition deklariert und konnte so einige Vergünstigungen für
sich in Anspruch nehmen. 291 Es gab längere Auseinandersetzungen zwischen Mar'ie
Muhammad und der Firma, die außerdem eine Importsteuer von 40% für Olefine
288
Subentra-Gruppe, Rang 49, außerdem Jababeka, Rang 80, Dwi Golden Graha, Rang 112, Dwi Investindo,
Rang 175, und zusammen mit Eka Cipta und Ciputra das Unternehmen Bumi Serpong Damai,
Rang 188.
289
Kleinere Unternehmen waren außerdem im Besitz von Siti Hediati Hariyadi ("Titiek"), der mit dem
designierten ABRI-Kommandeur Prabowo verheirateten Tochter (Datam/Maharani-Gruppe, Rang 126),
von Siti Hutami Endang Adyningsih ("Mamik") (Wert ebenfalls ca. 100 Mio. US$), von Hasyim Joyohadikusumo
(Eka Persada-Gruppe, 100 Mio. US$) und von Ari Sigit, dem Sohn von Sigit Haryoyudanto.
Ari Sigit hatte ein Vermarktungsmonopol für ein Düngemittel und soll in den Handel mit Ecstasy-Pillen
verwickelt gewesen sein.
290
Schwarz 1994, 140f.
291
TB April 1996, 8; Hill 1992, 16ff.

Die Großunternehmer 179
gefordert hatte, um auf diese Weise mit den eigenen relativ teuren Produkten auf
dem indonesischen Markt konkurrenzfähig zu werden. Suharto gewährte schließlich
eine 20%ige Importsteuer. Dies war das typische Muster aus Nepotismus und neopatrimonialem
Wirtschaften.
Beispiele des Nepotismus: BPPC, Busang, Mobnas
Bedenkt man, dass einige der sinoindonesischen cukong quasi wie Familienangehörige
behandelt wurden - zuletzt vor allem "Bob" Hasan -, wird die außergewöhnliche
Stellung dieser Großfamilie in der indonesischen Ökonomie deutlich. Während
allerdings der Aufbau der sinoindonesischen Konglomerate mit einiger Mühe noch
als rationale Strategie zur Förderung international wettbewerbsfähiger, chaebolähnlicher
Konzerne legitimiert werden konnte, 292 überschritten die Geschäftsaktivitäten
der Kinder Suhartos selbst für die geduldigeren Indonesier am Ende jedes Maß.
Jeder auch nur einigermaßen informierte Indonesier konnte zahlreiche Beispiel für
die blühende Vetternwirtschaft auflisten.
Besonders eklatant waren die windigen Geschäfte des jüngsten Suharto-Sohnes. Mit
seiner Gesellschaft BPPC293 bekam "Tommy" 1990 das Monopol für den Kauf und
Weiterverkauf von Gewürznelken, die in Indonesien bei der kretek-Zigarettenproduktion
Verwendung finden. Die jahrelangen Konflikte um dieses Monopol sind
ein Modellfall für die negativen Folgen der Vetternwirtschaft. 294
"Tommy" wollte die Gewürznelken zu einem festen Preis von den Bauern kaufen
und sie dann mit einem Gewinn von bis zu 100 Mio. US$ pro Jahr an die kretek-
Hersteller weiterverkaufen. Obwohl die Zigarettenproduzenten Gudang Garam,
Djarum, Bentoel und Sampoerna diese Monopolbildung zu unterbinden suchten,
konnte er mit der Unterstützung seines Vaters mit seinem aus wirtschaftlicher Sicht
unsinnigen Projekt nach einem entsprechenden Bescheid des Handelsministers beginnen.
1991 bekam er zusätzlich Kredite in Höhe von insgesamt 350 Mio. US$ von
der Zentralbank. Wegen der chaotischen Marktregulierung kam es zu einem völligen
Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Das Überangebot bei BPPC wollte
"Tommy" Suharto dann Anfang 1992 dadurch bekämpfen, dass die Gewürznelkenanbauer
die Hälfte ihrer Erträge vernichten sollten. Der Konflikt mit den sinoindonesischen
kretek-Produzenten und den Gewürznelkenanbauern zog sich über
Jahre hin. "Tommy" Suharto musste sogar die Kontrolle über BPPC z.T. an Kooperativen
abgeben, und noch 1998 war die missglückte Marktregulierung Gegenstand
der Verhandlungen mit dem IWF.
292
Bis zuletzt meldeten sich Ideologen der Neuen Ordnung zu Wort, die selbst die korruptesten Geschäftspraktiken
der Suhartos damit rechtfertigten, dass nur eine solche positive Diskriminierung die
Schaffung großer pribumi-Unternehmer bewirken könne. Die Kinder Suhartos selbst besaßen die Unverfrorenheit,
in Interviews die vermeintlichen Nachteile ihres hohen Bekanntheitsgrades hervorzuheben.
293
Badan Penyangga dan Pemasaran Cengkeh = Behörde für die Stützung und die Vermarktung von
Gewürznelken.
294
Schwarz 1994, 153ff.

180 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Das wohl stärkste Symbol des Nepotismus aber war das Nationale Auto (Mobil
Nasional oder Mobnas), das mit einem verstörenden Sinn für Ironie von den Herstellern
"Timor" genannt wurde. 295 Im Februar 1996 verkündete Kia Motors aus Südkorea
und die von "Tommy" Suharto kontrollierte Humpuss-Gruppe den Plan, gemeinsam
von Kia entwickelte Automobile zu produzieren. Timor Putra Nasional sollte
mit Kia - zunächst in Südkorea - gemeinsam einen Wagen herstellen. Der indonesische
Produktionsanteil ("local content") sollte nach drei Jahren 60% erreichen.
45.000 Autos konnten nach diesen Bestimmungen zollfrei nach Indonesien importiert
werden, obwohl normalerweise Gebühren von 125% des Importwertes anfallen.
Neben diesen von Anfang an sehr umstrittenen Vergünstigungen bekam Timor Putra
Nasional im August 1997 Kredite über 690 Millionen US$ (von vier Staatsbanken
und 12 Privatbanken) für den geplanten Bau von Produktionsstätten im westjavanischen
Cikampek, nachdem Timor Putra Nasional schon 600 Mio. US$ und Kia 40
Mio. US$ investiert hatten. Außerdem wurden im Juni die Behörden angehalten, bei
Neukäufen das Mobil Nasional zu wählen. Grundsätzlich gab es in Indonesien viele
Befürworter einer solchen Politik. 296 Man wollte kurz vor der weiteren Handelsliberalisierung,
die durch die APEC- und AFTA-Vereinbarungen in den folgenden
Jahren eingeleitet werden musste, industriepolitische Fakten schaffen: Eine schon
begonnene Automobilproduktion wäre von den handelspolitischen Vereinbarungen
nämlich u.U. nicht mehr betroffen gewesen. 297
Obwohl die Wirtschaftsnationalisten solche politischen Maßnahmen grundsätzlich
unterstützten, stießen sie sich an der Art und Weise, wie diese Politik implementiert
wurde. Die Querelen um die eklatante Privilegierung des Suharto-Sohnes gewannen
noch dadurch an Schärfe, dass sich auch der Bruder "Tommys", Bambang Trihatmojo,
weil er von seinem Vater nicht berücksichtigt worden war, zu den Kritikern
zählte, und schon bald zeigte sich, dass die indonesische Regierung sehr viel mehr
Schwierigkeiten bekam, als sie erwartet hatte. Zum einen ging der Timor-Verkauf
seit August 1996 nur sehr schleppend voran. 298 Zum anderen kündigte die japanische
Regierung im März 1997 an, sich an die Welthandelsorganisation zu wenden, weil
Indonesien gegen GATT-Bestimmungen verstoßen hatte. Die Japaner reagierten so
entschlossen, weil Firmen wie Toyota, Honda und Mitsubishi über 80% des Marktes
beherrschten. Es gab bis dahin nur ein einziges Joint Venture (der Kijang von Astra
und Toyota), bei dem der lokale Produktionsanteil von 50% relativ hoch war.
295
Tempo Interaktif 6.3., 8.6. und 7.9.1996; Kingsbury 1998, 209ff. Kingsbury meint, "Timor" stehe in
Indonesien auch für Abenteurertum und Wildnis.
296
So auch der PDI-Spitzenpolitiker Budi Harjono (vom Suryadi-Flügel) (Interview am 4.11.1997 in
Jakarta).
297
Ian Chalmers kommt zu dem Fazit: "Despite dozens of decrees over three decades urging more local
production, manufacturers were still far from producing a local car. Even Astra's best selling van, the
Kijang, had achieved little more than 50% local content. Most sedans had less than 25%" (Inside Indonesia
Okt.-Dez. 1998, 25).
298
Lindblad 1997, 28 und Feridhanusetyawan 1997, 25f. In den ersten Monaten wurden statt der erhofften
4.000 Fahrzeuge pro Monat nur etwa jeweils 2.000 verkauft, und bis zum Juli 1997 wurden von den
bereits gelieferten 39.000 Fahrzeugen nur 16.000 abgesetzt.

Die Großunternehmer 181
Der Automobilmarkt war in Indonesien besonders durch hohe Zölle geschützt.
Trotzdem blieb der erhoffte Aufbau einer eigenen Industrie aus. Statt, wie immer
wieder von der Weltbank gefordert, den Markt zu öffnen und Importzölle abzuschaffen,
versuchte die Regierung Suharto in typisch patrimonialer Manier, mit einem
staatlichen Kraftakt - ohne geeignete Zulieferbetriebe und abhängig vom südkoreanischen
Partner - das Mobnas aus dem Boden zu stampfen.
Die Rivalitäten innerhalb der Familie - wie im Mobnas-Fall zwischen "Tommy" und
Bambang Trihatmojo - zeigten sich auch in einem anderen Fall, der 1997 in Indonesien
für Schlagzeilen sorgte. 299 Der Fall Busang gilt sogar als einer der größten
Skandale in der Geschichte des Bergbaus. 300 Im Osten der Insel Borneo, in der Provinz
Ostkalimantan, waren angeblich riesige Goldvorkommen im Wert von 20 Mrd.
US$, manche sprachen sogar von 60 Mrd. US$, entdeckt worden. Die kanadische
Firma Bre-X gehörte zu den kleineren Bergbauunternehmen, die immer wieder
Rohstoffvorkommen entdeckten, selbst aber kaum in der Lage waren, diese Vorkommen
auch abzubauen. Deshalb hatten sich sofort nach dem vermeintlichen Fund
einige große Gesellschaften wie etwa Barrick Gold um ein Joint-Venture-
Abkommen mit Bre-X bemüht. Da die Schürfrechte von der indonesischen Regierung
nach Verhandlungen mit den beteiligten ausländischen Unternehmen vergeben
wurden, war es für diese wichtig, Geschäftsbeziehungen zu indonesischen Konglomeraten
- oftmals solchen der Familie Suharto - aufzubauen. Barrick wandte sich
also an Airlangga Hartarto, den Sohn des Koordinierungsministers für Produktion
und Distribution, der wiederum eine Verbindung zu "Tutut" herstellte, die im Falle
eines Joint Ventures zur Barrick-Partnerin werden sollte. Bre-X war an einer Zusammenarbeit
mit Barrick nicht interessiert, suchte deshalb ebenfalls einheimische
Partner und fand den Suharto-Sohn Sigit, der einen 10%-Anteil und eine Beratungsgebühr
von 40 Mio. US$ erhalten sollte. Im Januar 1997 entschied das Bergbau- und
Energieministerium unter IB Sujana, das Projektes unter Barrick (67,5%), Bre-X
(22.5%) und der indonesischen Regierung (10%) aufzuteilen. Etwa zur gleichen Zeit
entschied jedoch Suharto, dass Freeport McMoRan Copper and Gold - unterstützt
vom Suharto-Vertrauten und Großunternehmer "Bob" Hasan - einen 15%-Anteil
bekommen sollte, Bre-X 45% und die indonesischen Bre-X-Partner 30%. "Bob"
Hasan übernahm bei diesem Geschäft den Großteil der indonesischen Anteile.
Aufschlussreich an diesem Fall waren insbesondere zwei Sachverhalte. Der vermeintliche
Jahrhundertfund stellte sich sehr bald als Schwindel heraus, und die Aktien
der kanadischen Firma Bre-X fielen von 170 C$ im Februar 1997 auf 8,5 Kanadische
Cents drei Monate später. Offensichtlich war es möglich gewesen, zahlreiche
Bergbaufirmen und die politischen und wirtschaftlichen Machthaber in Jakarta mit
einfachsten Mitteln hinters Licht zu führen. Außerdem zeigte sich wieder einmal,
299
Wegen der Konkurrenz innerhalb der Familie kursierten 1997 Gerüchte in Jakarta, denen zufolge es zu
einer Schießerei in der Familie Suharto gekommen sei, bei der "Tien" Suharto versehentlich getötet
worden sein soll.
300
Van Zorge 1997, 30f; Basyaib, H./Ali-Fauzi, I. (Hg.) 1997, Kap. 5; Tempo Interaktif 30.11.1996;
Gatra 5.4.1997.

182 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
wie schamlos Pfründen zwischen ausländischen Unternehmen, den cukong und den
anak-anak pejabat aufgeteilt wurden. Hohe Beamte oder Angestellte der staatlichen
Unternehmen, die sich im Umgang mit den Suhartos nicht kooperativ genug zeigten,
mussten mit ihrer Versetzung rechnen. 301
Schaubild 3-2: Spektakuläre Begünstigungen für cronies in den 90er Jahren
Rechtsgrundlage Projekt Begünstigungen Nutznießer
Keppres 93/96 Papierfabrik PT Kiani Steuerbefreiung und Gelder aus
Wiederaufforstungsfonds
"Bob" Hasan
Keppres 42/94 IPTN Gelder aus Wiederaufforstungsfonds
Habibie
Inpres 2/96 Mobil Nasional Erleichterungen bei Import- und "Tommy"
Luxussteuer
Suharto
Keppres 20/92 u. Anordn. BPPC Vermarktungsmonopol "Tommy"
132/94 Handelsmin.
Suharto
Keppres 14/95 Gas Natuna alleinige Aufsicht Habibie
Keppres 92/96 YDSM Zwangsabgaben von größeren
Unternehmen
Suharto
Anordnung 088 A/88 des
Gouv. v. Westkalimantan
Anordnung
BSS/828/III/97 des Sozialmin.
Vermarktung v. Zitrusfrüchten
Anordnung 521/94 des Vermarktung v. alkoh.
Ind.- u. Handelsmin. und Getränken durch PT
Anordn. des Gouv. v. Bali Arbamas Multi Invesco
Forum Keadilan 29.6.1998, 82.
Vermarktungsmonopol "Tommy"
Suharto
Sticker für SEA GAMES Verkauf Bambang Trihatmojo
Vermarktungsmonopol Ari Sigit Haryojudanto
Dies waren nur einige der spektakulärsten Nepotismusfälle auf höchster Ebene (vgl.
zusätzlich Schaubild 3-2). Die anak-anak pejabat fanden sich in jedem Dorf, in dem
der kepala desa über die Vergabe von Krediten, Konzessionen und öffentlichen
Aufträgen bestimmte.
Schaubild 3-3 gibt einen Überblick über einige der umsatzstärksten indonesischen
Unternehmen im Jahr 1996, also zu einem Zeitpunkt, als die Asienkrise noch nicht
begonnen hatte. Die Rangfolge hatte sich seit den späten 80er Jahren nicht wesentlich
verändert. Allerdings waren die führenden cukong in den letzten Jahren immer
beherrschender geworden. Die meisten der unten aufgeführten Unternehmer (die
Sinoindonesier unter ihnen haben häufig indonesische Namen angenommen) sind
zuvor im Text erwähnt worden.
301 Schwarz (1994, 149) nennt Mohammad Suparno von Garuda, Cacuk Sudariyanto von der staatlichen
Telefongesellschaft, Ishadi, den TVRI-Direktor, und Ermansyah Yamin, den PLN-Chef.

Die Großunternehmer 183
Schaubild 3-3: Eine Auswahl der umsatzstärksten indonesischen Unternehmen (1996)
Rang Name der
Unternehmensgruppe
1 Salim Fam. Liem Sioe
Liong
2 Astra International
Haupteigner Haupttätigkeitsbereiche
Delta Mustika,
Nusamba & Publik
3 Sinar Mas Fam. Eka Cipta
Wijaya
4 Gudang
Garam
Fam. Rahman
Halim
5 Lippo Fam. Mochtar
Riady
6 Bimantara Bambang Trihatmojo,
Indra Rukmana
7 Gajah
Tunggal
Fam. Syamsul
Nursalim
Zement, Finanzdienstl.,Automobile,
Nahrungsmittel
Automobile, Plantagen
Agroind., Papier,
Finanzdienstl.
Umsatz
1996
(Bio.
Rp.)
Wert
1996
(Bio.
Rp.)
Anzahl
der
Unternehmen
Anzahl
Arbeitskräfte
53,1 43,1 600 210.000
20,2 23,7 125 51.000
20,2 41,1 200 5.000
Zigaretten 9,4 6,0 39 3.000
Finanzdienstl.,
Immobilien
Handel, Immobilien,
Industrie
Reifen, Immobilien,
Finanzdienstl.
8 Ongko Kaharuddin Ongko Immobilien,
Finanzdienstl.
9 Djarum Robert B. Hartono, Zigaretten, Finanz-
Michael B. Hartono dienstl.
10 Rodamas Fam. Tan Siong
Kie
11 Nusamba "Bob" Hasan Holzindustrie,
Plantagen
12 Kalbe F. Bing Haryanto,
Benyamin Setiawan
13 Dharmala Suhargo Gondokusumo
14 Argo
Manunggal
15 Barito Pacific
9,0 21,1 70 10.860
4,3 4,0 50 7.830
4,2 36,3 80 6.900
4,2 12,9 55 4.000
4,0 2,9 25 1.200
Chemie, Glas 4,0 5,9 40 2.600
Pharmazie, Immobilien,
Banken
Agroind., Immob.,
Finanzdienstl.
3,9 6,7 90 4.100
3,7 36,8 60 1.600
3,4 8,5 130 1.200
Fam. The Nin King Textilien 3,4 2,1 54 22.000
Prayogo Pangestu Holzindustrie 2,9 5,0 92 34.750
16 Maspion Alim Husein Haushaltswaren 2,5 1,8 35 11.000
17 Bakrie Fam. Bakrie Stahlindustrie,
Plantagen
18 Humpuss Hutomo Mandala
Putra ("Tommy")
Erdöl, Transport,
Automobile
2,4 8,4 76 7.800
2,3 2,1 40 1.080
19 Danamon Usman Admajaya Finanzdienstl. 2,3 28,4 33 5.200

184 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
20 Cipta Cakra
Murdaya
Murdaya Widyawimarta
Poo
Elektriz., elektr.
Güter
30 Gemala Fam. Wanandi Chemie, Komponenten
für Automobilind.
36 Harapan
Motor
38 Nugra Santana
2,3 1,2 32 25.000
1,6 12,3 22 k.A.
Hendra Raharja Automobilind. 1,3 11,2 27 7.100
H. Ibnu Sutowo Hotels, Schiffe 1,2 0,7 8 6.400
40 Zeta Corp. Johannes Koco Infrastruktur,
Handel
44 Bank Duta Yay. Dharmais,
Supersemar, Dakab
45 Citra Lamtoro
Gung
46 Tirtamas/Era
Persada
Siti Hardiyanti
Indra Rukmana
("Tutut")
Hashim Joyohadikusumo
47 Soedarpo Sudarpo Sastrosatomo
49 Subentra Benny Suherman,
Sudwikatmono
68 Alatief
Corp.
73 Mercu Buana
74 Bangun
Tjipta
75 Duta Indonesia
Finanzdienstl.,
Banken
Baugewerbe, Handel,
Mautstraßen,
TV
Finanzdienstl.,
Immobilien, Petrochemie
Schifffahrt, Pharmazie,
Handel
Film & Kino,
Petrochemie
1,2 0,5 19 26.000
1,0 3,1 50 730
1,0 4,7 55 2.090
1,0 1,6 40 75.000
1,0 2,4 14 1.600
1,0 0,2 22 4.970
Abdul Latief Billigwaren 0,7 1,2 35 2.050
H. Probosutejo Handel, Viehzucht 0,7 0,4 38 7.000
Siswono Yudohusodo,
Fatchur
Rochman
Sri Sultan Hamengkubuwono
X.
76 Timsco Sujatim Abdurahman
Habibie
78 Kresna Bambang Riyadi
Yoga Sugama
80 Jababeka Sudwikatmono,
Ismail Sofyan
Immobilien 0,7 0,6 k.A. k.A.
Hotels, Zuckerfabrik,
Finanzdienstl.
0,6 0,4 38 6.000
Maklerei 0,6 0,9 64 k.A.
Agroindustrie 0,6 0,9 11 960
Immobilien,
Industrie
0,6 3,1 12 1.900
81 Arseto Sigit Harjoyudanto Chemie 0,6 0,4 19 5.500
84 Gema und
Bukaka
103 Teknik
Umum
Fadel Muhammad Schwergüter,
Chemie
Eddy Kowara
Adiwinata
106 Hanurata Yayasan Harapan
Kita
112 Dwi Golden
Graha
0,6 0,4 6 3.210
Handel 0,5 0,6 48 4.900
Handel,
Holzindustrie
Sudwikatmono Billigwaren,
Finanzdienstl.
0,4 0,3 8 2.110
0,4 1,8 23 1.200

Die Großunternehmer 185
126 Datam/
Maharani
Siti Hediyati H.
Prabowo
132 Kodel Fahmi Idris,
Sugeng Saryadi
Banken, raffin.
Erdöl
Handel, Finanzdienstl.
137 Kalla H. Kalla Immobilien, Schifffahrt
144 Manggala Tantyo A.P Sudharmono
152 Gunung
Agung
164 Femina Fam. Sutan Takdir
Alisyahbana
175 Dwi Investindo
0,4 0,4 23 4.700
0,3 0,2 24 5.100
0,3 0,2 28 2.400
Handel, Maklerei 0,3 0,3 78 21.000
Kosgoro Handel 0,3 0,8 18 4.700
Fam. Sudwikatmono
188 BSD Eka Cipta, Sudwikatmono,
Ciputra
197 Citra Sari
Makmur
Arnie Arifin, Candra
Basuki
217 Guna Nusa Triwidodo, Imam
Taufik
Verlag und
Druckerei
Tourismus, Immobilien
0,2 0,1 17 3.700
0,2 0,1 7 2.100
Immobilien 0,2 0,1 8 2.250
Finanzdienstl.,
Telekommunik.
1 Bio. Rp. entsprachen Ende 1996 etwa 400 Mio. US$
Quelle: Warta Ekonomi 24/11/1997.
0,2 0,2 7 800
Schwergüter 0,2 0,1 23 4.900
Schlussbemerkung: Unternehmer in der Neuen Ordnung
In der Fachdiskussion sind zwei Positionen zu unterscheiden. Yoshihara Kunio302 z.B. vertrat Ende der 80er Jahre die Ansicht, dass der Kapitalismus in Indonesien
keine Wurzeln geschlagen habe und die führenden Unternehmer des Landes so abhängig
von den Machthabern seien, dass es sich lediglich um einen "Ersatz-
Kapitalismus" (mit der Bedeutung von "unwirklich", "scheinbar") handele. Richard
Robison hingegen versucht mit seinem Buch "The Rise of Capital" zu zeigen, dass
in Indonesien Ende der 70er Jahre eine einheimische Bourgeoisie entstanden sei. 303
Auch Raillon304 nimmt wie Robison an, dass indonesische Unternehmer, sowohl die
Chinesen als auch die pribumi, eine größere Autonomie erreicht haben.
Tatsächlich wäre es zu einfach, von einem bloßen "Ersatz-Kapitalismus" zu sprechen,
da die Konglomerate sich derart diversifiziert und internationalisiert hatten,
dass sie nicht mehr einfach - etwa auf Weisung eines verärgerten Präsidenten unter
302 Vgl. Yoshihara 1988.
303 Winters (1988) hat in einer sehr instruktiven Kritik dieses Buches genau diesen Ansatz in Frage gestellt.
Er hält die Dissertation von Robison aus dem Jahre 1977 für besser, weil dort die Abhängigkeit der
Unternehmer, insbesondere der pribumi, von Politikobürokraten in den Vordergrund gerückt wurde. An
"The Rise of Capital" kritisiert er u.a. die unklare quantitative Bestimmung der - vermeintlichen - pribumi-Bourgeoisie,
die Unterstellung einer konsistenten staatlichen Strategie zur Bildung einer pribumi-
Bourgeoisie und die daraus folgende unangemessene Darstellung der Staatsunternehmen Bulog und
Pertamina als Motoren dieser Industrialisierung.
304 Vgl. Raillon 1994.

186 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Vorenthaltung von Staatskrediten und öffentlichen Aufträgen - aus der Welt geschafft
werden konnten. Vor allem Mitte der 80er Jahre waren die Privatunternehmer
so mächtig geworden, dass die These von Yoshihara nur noch bedingt, d.h. für
einige Wirtschaftsbereiche, gültig war. Besonders die großen Unternehmensgruppen
hatten zuletzt ein hohes Maß an Professionalität gewonnen und konnten auch in
anderen Ländern bestehen. Das heißt, dass die cukong und die anak-anak pejabat im
politischen Krisenfall nach Singapur, Hongkong oder in die Volksrepublik China
gehen konnten, um Teile ihres Konglomerats von dort aus weiterzuführen.
Der die Großunternehmerschaft in Indonesiens Neuer Ordnung prägende Gegensatz
war der zwischen pribumi und nonpribumi, also zwischen den "genuinen", "eingeborenen"
Indonesiern und den Sinoindonesiern. Die ausländischen Investoren waren
vor allem in den ersten Jahren bis Anfang der 70er Jahre und dann wieder seit Mitte
der 80er Jahre einflussreich. Diese Aussagen gelten für den industriellen und den
Dienstleistungsbereich sowie für den Abbau natürlicher Rohstoffe. Die landwirtschaftliche
Produktion befand sich - mit Ausnahme des profitablen Plantagensektors
- in den Händen der pribumi. Aber selbst die Großbauern waren auf höchster politischer
und wirtschaftlicher Ebene relativ unbedeutend. Sie gehörten allerdings in den
Dörfern zu den politisch-administrativen Eliten und waren deshalb strategisch wichtig
für das Herrschaftssystem "Neue Ordnung".
Die chinesischstämmigen Indonesier unterscheiden sich von den chinesischen Minderheiten
etwa in Thailand oder den Philippinen dadurch, dass sie noch wenig in die
Gesellschaft der Einheimischen integriert sind. Sie wurden zu Beginn der Neuen
Ordnung von den anderen Regimekoalitionären privilegiert, weil sie politisch leicht
beherrschbar waren, Zugang zu internationalen Unternehmens- und Finanzverbindungen
hatten, sich die erforderlichen unternehmerischen Fähigkeiten bereits angeeignet
hatten und oftmals bereits über eine nicht unerhebliche Kapitalbasis verfügten.
Als Paria-Unternehmer wurden die Sinoindonesier kooptiert und stiegen kontinuierlich
zur dominanten und sehr konservativen Fraktion innerhalb der strategischen
Gruppe der Großunternehmer auf. Selbst die exzessiven Fördermaßnahmen
für pribumi durch Ibnu Sutowo, dann durch Sudharmono und durch Suharto (für
seine eigene Familie), vermochten die herausragende Position der cukong nicht zu
schwächen. Durch die Liberalisierung seit Mitte der 80er Jahre konnten diese Sinoindonesier
(häufig in Joint Ventures) ihre Position sogar noch ausbauen, während
der staatliche Sektor durch Privatisierungsmaßnahmen und durch den Verfall des
Erdölpreises an Boden verlor. Suharto jedoch schuf sich neue Patronagemöglichkeiten
durch die Expansion seines weit verzweigten Familienimperiums. Er konnte
wegen der Sensibilität der politisch interessierten Mittelklasse ein solches Wirtschaftsimperium
nur sehr vorsichtig aufbauen und bediente sich deshalb häufig der
Rechtsform der Stiftung. Über die Art und das Ausmaß seines Zugriffes auf staatliche
Ressourcen konnte bis zuletzt nur spekuliert werden. Jedenfalls ist Suharto
nicht, wie seine Kinder, selbst zu einem aktiven Geschäftsmann geworden. Er ließ
sich von einigen Sinoindonesiern beraten, die z.T. seine Geschäfte führten oder -
wie etwa "Bob" Hasan, Liem Sioe Liong und Prayogo Pangestu - auch unternehme-

Die Großunternehmer 187
risch mit dem Präsidenten und seiner Familie kooperierten. Seit Anfang/Mitte der
80er Jahre stießen auch Suhartos Kinder in die Geschäftswelt vor und bauten innerhalb
weniger Jahre einige der größten indonesischen Konglomerate auf (1996 lag
Bimantara auf Rang 6, Humpuss auf Rang 18 und Citra Lamtoro auf Rang 45). Die
Regimekoalition rechtfertigte diese Praktiken damit, dass eine starke pribumi-
Unternehmerschaft aufgebaut werden sollte. In den letzten Jahren der Neuen Ordnung
hat aber diese nepotistische Strategie erheblich zum Machtverfall beigetragen.
305 Die indonesische Öffentlichkeit war vor allem in den 90er Jahren gut informiert
über die Vetternwirtschaft und die Skandale, in die die Familie Suharto verwickelt
war. Die BPPC-, die Mobnas- und Busang-Skandale - um nur die bekanntesten
zu nennen - wurden auch von Teilen der Regimekoalition nur widerwillig geduldet.
Suharto, der sich immer bemüht hatte, bescheiden zu wirken, konnte sich zuletzt
offenbar gegen seine eigenen Kinder - vor allem gegen "Tommy" - nicht mehr zur
Wehr setzen.
Durch die pribumi-Förderung entstanden einige neue indonesische Großunternehmer
("genuine" Unternehmer und anak anak pejabat), die durch ihre Zugehörigkeit
zu Golkar und/oder zu den verschiedenen Unternehmerverbänden wie Kadin, Hippi
oder Hipmi wichtige Kontakte knüpfen konnten. Zwar kam es hin und wieder zu
Spannungen zwischen pribumi und nonpribumi, aber insgesamt kooperierten diese
Unternehmer recht eng miteinander. Vor allem bei industriellen Großprojekten arbeiteten
Sinoindonesier und pribumi, deren Kapital ihre guten Beziehungen waren,
häufig zusammen.
Die pribumi zeigten sich an der Stabilität des politischen Regimes ebenso interessiert
wie die Sinoindonesier. Die meisten Konglomerate mussten eine Demokratisierung
fürchten, da sie damit rechnen mussten, entweder ihre guten Beziehungen zu
verlieren oder - wie die Sinoindonesier - aufgrund ihrer Position im indonesischen
Herrschaftssystem der Verfolgung durch antichinesische Gruppen ausgesetzt zu
werden. Es gab lediglich einige pribumi-Unternehmer wie Aburizal Bakrie, Fadel
Muhammad oder Fahmi Idris, die zwar auch durch koneksi groß geworden waren,
die aber über ein gewisses Ansehen verfügten. Sie wurden vor allem von nationalistischen
Muslimen geachtet und konnten eine Öffnung des politischen Systems unterstützen,
ohne mit einer Zerschlagung ihrer Unternehmen rechnen zu müssen. Bei
Golkar und zuletzt auch bei Kadin spielten sie aktive Rollen, erkannten aber die
politischen Spielregeln der Neuen Ordnung grundsätzlich an.
305 In seiner Autobiographie sah er sich deshalb genötigt zu schreiben: "None of my children has been
pampered. Not one. [...] On the contrary, they take a low profile and do not feel or act as if they are
children of a President. Instead, they are actually self-effacing, and I can see that they feel it is difficult
being the President's child" (Soeharto 1991, 195).

188 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
3.5 Die Militärs
Das Militär der Neuen Ordnung beabsichtigte in Indonesien niemals, seine Doppelfunktion
aufzugeben, und gehörte daher zu den etwa 10% der Militärregime, die von
Nordlinger zu den "ruler-type praetorian"-Regimes gerechnet werden. 306 Es blieb
kaum ein gesellschaftlicher Bereich, in dem ABRI nicht in irgendeiner Form agierte.
Soldaten konnten in Arbeitskämpfe unmittelbar eingreifen, und sie konnten oppositionelle
Bewegungen offen bekämpfen, ohne dass es dazu irgendwelcher Ausnahmegesetze
bedurft hätte. 307 Insgesamt ruhte die Militärherrschaft auf drei Säulen:
- Aufgrund ihrer Doppelfunktion (eigentlich: Mehrfachfunktion) wurden Soldaten in
den Staatsunternehmen, in den Parlamenten, in der Regierungspartei Golkar und in
sämtlichen Bereichen der Verwaltung eingesetzt. Militärs waren auch in zahllosen
anderen Organisationen tätig, so dass z.B. selbst die großen Sportverbände von
Generälen geführt wurden.
- Eine weitere wesentliche Stütze der Militärherrschaft war die einzigartige territoriale
Organisation. ABRI war in ganz Indonesien und auf allen Ebenen präsent. Es
gab nicht einen Dorfvorsteher oder bupati, nicht einen Unternehmer oder lokalen
Politiker, der nicht auf die gute Zusammenarbeit mit den jeweiligen lokalen Militärs
angewiesen war.
- Die dritte Säule der Militärherrschaft waren die Geheimdienste und die Elitetruppen
wie Kopassus. Kopassus war für die "dirty jobs" zuständig und wurde zur Bekämpfung
von regionalistischen Bewegungen und von Oppositionellen generell
eingesetzt. Die Geheimdienste, die für das Orba-Regimes von großer Bedeutung
waren, hatten auch die Aufgabe, die Machtelite selbst und also auch ABRI-Offiziere
zu kontrollieren.
In diesem Kapitel soll zunächst die allgemeine Entwicklung und Struktur ABRIs
vorgestellt werden. Anschließend wird das Militär in seinen zivilen Funktionen
analysiert. Nach einer kurzen Darstellung der Geheimdienste und Elitetruppen geht
es um die für diese Untersuchung besonders aufschlussreichen Entwicklungen in
den 90er Jahren, vor allem hinsichtlich innerer Fraktionierungen bei ABRI und der
Haltung führender Generäle zur Demokratisierung.
Umgestaltung der Streitkräfte von 1965 bis Anfang der 90er Jahre
Die besondere Entwicklung in Indonesien, d.h. der von einer populären Guerilla-
Armee geführte Unabhängigkeitskampf, schuf die Voraussetzung für die Entstehung
der Doppelfunktion des Militärs. 308 Aus dieser Zeit rührt der Dualismus zwischen
306
Nordlinger 1977, 26.
307
Lowry bemerkt einleuchtend, dass eine Guerilla-Armee auch mit Reservisten und Milizen aufgebaut
werden könnte (Lowry 1996, 92ff).
308
"Das System der 'Wehrkreise' brachte autonome militärische Einheiten in Verantwortung für Verteidigungsgebiete,
in denen sie alle Ebenen der rudimentären Versorgung und Verwaltung von kämpfender

Die Militärs 189
den Militärs und den Zivilisten, insbesondere den Politikern. Nach Erlangung der
vollen nationalen Unabhängigkeit setzten sich Tendenzen der Dezentralisierung, der
Ausbildung bapakistischer Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen
und der partiellen wirtschaftlichen Selbstversorgung in der Armee fort. Als 1957 das
Kriegsrecht ausgerufen wurde und zwei Jahre später Sukarno auf Anraten der Militärführung
die Gelenkte Demokratie einführte, dehnten die Streitkräfte ihren Einfluss
in der Verwaltung und in den zentralen politischen Führungsorganen erheblich
aus. Die wirtschaftliche Krise Anfang der 60er Jahre, die außenpolitische Isolierung
und die Spannungen mit der PKI führten schließlich im Oktober 1965 zur Machtübernahme
einer Militärfraktion um Suharto, die in den folgenden Monaten in ihren
eigenen Reihen die Anhänger Sukarnos ausschaltete.
Es gehört zu den heute schwer nachvollziehbaren geschichtlichen Tatsachen, dass
Suharto und seine Generäle 1965/66 auch häufig von jenen Studenten und Freiberuflern
unterstützt wurden, die später zu seinen schärfsten Kritikern gehörten (wie etwa
Marsillam Simanjuntak, Gunawan Muhamad oder Arief Budiman). In jener Zeit
knüpften sich an die - wirtschafts- und außenpolitisch gesehen - westlich orientierten
Militärs große Hoffnungen der kleinen indonesischen Mittelklasse, die die populistisch-aggressive
Außenpolitik und die chaotische Wirtschaftspolitik Sukarnos satt
hatten. Das Militär wurde als eine Organisation betrachtet, die aufgrund ihrer Geschlossenheit
und der Disziplin ihrer Mitglieder eine von oben initiierte Modernisierung
ganz im Sinne der Technokraten steuern konnte.
Suharto übernahm am 10.10.1965 die Leitung des neueingerichteten "Kommandos
zur Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung", Kopkamtib 309 , wurde am 16.10.
Heereskommandeur und erhielt am 11.3.1966 vom unter Druck gesetzten und nur
noch de jure amtierenden Präsidenten Sukarno weit reichende Vollmachten. Er
schuf sich einen loyalen Generalstab, mit dessen Hilfe er 1966/67 die Streitkräfte
von kommunistischen, sukarnoistischen und militant antisukarnoistischen Kräften
"säuberte". Seine engsten Berater hatten seit langem mit ihm zusammengearbeitet.
Sujono Humardani 310 , Yoga Sugama und Ali Murtopo 311 hatten in der Diponegoro-
Division unter ihm gedient, und Murtopo war sein Opsus-Leiter in Kostrad gewesen.
Truppe und ziviler Bevölkerung übernahmen und darüber eine erste Form von regionaler Militäradministration
entwickelte" (Wandelt 1992, 117).
309 Komando Pemulihan Keamanan dan Ketertiban.
310 Humardani, Sujono: geboren 1919 in Solo, Mitteljava, Finance School Fort Benjamin Harrison, in der
Diponegoro-Division unter Suharto für finanzielle Angelegenheiten zuständig, Aspri und Opsus, gründete
zusammen mit Ali Murtopo das CSIS, persönlicher Berater von Suharto (auch als dukun in kebatinan-
Fragen), 1975-86 Irjenbang (Generalsekretär für Entwicklung), 1978 im Vorstand von Golkar.
311 Murtopo, Ali: geboren 1923 in Blora, Mitteljava, aus einer verarmten priyayi-Familie (Vater handelte
mit Batikstoffen), kebatinan-Anhänger, Diponegoro-Division, 1957 im Stab für politische Angelegenheiten,
Irian-Kampagne, Kostrad, Geheimverhandlungen mit Malaysia, an Massakern in Mitteljava beteiligt,
Mitglied von Aspri und Opsus-Leiter, stellvertretender Bakin-Leiter, verantwortlich für Irian Jaya-
Referendum, für Parteienreorganisation, für die Manipulation der Wahlen 1971, gründete mit Sujono
Humardani das CSIS, Ausschreitungen bei Malari-Affäre wahrscheinlich von ihm inszeniert, 1978-83
Informationsminister, gestorben 1984. Zur Murtopo-Gruppe gehörten u.a. mehrere CSIS-Mitarbeiter,
Ibnu Sutowo, Murdani, Daud Yusuf und A.R. Suhud.

190 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Yoga Sugama wurde von Suharto im März 1965 nach Jakarta geholt. Benny Murdani
312 und Sudomo 313 waren am Irian-Jaya-Feldzug beteiligt gewesen, und mit Alamsyah
hatte er zusammen im Hauptquartier des Heeres gearbeitet.
Neben der Luftwaffe war die Diponegoro-Division am stärksten von den "Säuberungen"
betroffen, denn dort wurden allein 1.500 Soldaten unehrenhaft entlassen. 314
Hochrangige Offiziere wie Ajie (Siliwangi-Kommandeur), Suryosumpeno (Diponegoro-Kommandeur)
und Mokoginta (Interregional-Kommandeur in Sumatra) mussten
sich mit gut bezahlten, aber unwichtigen Posten zufrieden geben oder wurden
vom Dienst suspendiert. Extreme Sukarno-Gegner wie Dharsono (Siliwangi-
Kommandeur), Kemal Idris 315 (Kostrad-Kommandeur) und Sarwo Edhie (Kommandeur
einer Elitefallschirmjägereinheit) erwiesen sich zunächst als hilfreich bei der
"Entsukarnoisierung" der Streitkräfte und bei der Niedermetzelung der – oftmals
vermeintlichen - Kommunisten. Als sie aber über das Ziel hinaus schossen und anfingen,
unabhängig von den Weisungen Suhartos zu handeln, wurden auch sie versetzt.
316
1969 waren nahezu alle bedeutenden Kommandeursposten von Suharto-Anhängern
besetzt, so dass die personellen Veränderungen zu diesem Zeitpunkt durch institutionelle
Reformen abgesichert werden konnten. Sie führten zu einer Herabstufung
der Kommandeure der Teilstreitkräfte zu Stabschefs. Ihre Verantwortung für
Kampftruppen wurde dem Verteidigungsminister übergeben, und die einzelnen
Hauptquartiere verloren ihre politischen Funktionen. Damit konzentrierte sich die
militärische Macht im Verteidigungsministerium Hankam 317 . Es beaufsichtigte seit
1969 direkt die 6 Kowilhan 318 , die die kämpfenden Truppen befehligten, wohingegen
312 Murdani, Benny (eigentlich: Leonardus Benjamin Murdani): geboren 1932 in Cepu, Mitteljava, Katholik,
Vater Eisenbahnmechaniker (oder "railway official": Vatikiotis 1993, 80), deutsch-javanische Mutter,
schon mit 13 in Studenteneinheiten, beendete SMA 1957, spricht Englisch und Niederländisch, P3AD in
Bandung, Fallschirmspringer, 1962 Teilnahme an Irian-Kampagne, gehörte zur "Brückengeneration"
(Militärakademie in Magelang), Fort Benning, 1967-71 Verbindungsoffizier in Kuala Lumpur, seit 1974
bei Kopkamtib, 1974-83 Asisten Intelijen Hankam, Generalkonsul in Südkorea, 1975 wichtige Rolle bei
Ost-Timor-Annexion, seit 1977 Kommandeur von Pusintel bzw. Bais und seit 1978 stellvertretender
Leiter von Bakin, 1983-88 ABRI-Kommandeur, verantwortlich u.a. für "Petrus" und für Tanjung-Priok-
Massaker, 1988-93 Verteidigungsminister, "Geheimdienstzar".
313 Sudomo: geboren 1926 in Malang, Ostjava, Admiral, 1962 Stellvertreter Suhartos in der Irian-
Kampagne, 1966-68 Generalinspekteur der Marine, 1969-73 Marinestabschef, 1973/74 stellvertretender
Kopkamtib-Kommandeur, 1974-78 Kopkamtib-Stabschef, Kopkamtib-Kommandeur und stellvertretender
Kommandeur der Streitkräfte (1978-83), 1983-88 Arbeitsminister, DPA, verwickelt in den Bapindo-
Skandal.
314 Crouch 1978, 232.
315 Wibowo, Sarwo Edhie: geboren 1925 in Purworejo, Mitteljava, Vater Pfandhausleiter, Peta, seit 1945
Diponegoro, 1962-67 RPKAD, maßgeblich an der Niederschlagung des Putschversuches und an den
Metzeleien in Mitteljava beteiligt, 1967-70 Kommandeur in Nordsumatra und Irian Jaya, Akabri-
Gouverneur (1970-73), Botschafter in Südkorea, Generalinspektor im Außenministerium (1978-83), BP7
seit 1984, verließ 1988 (vielleicht aus Protest) das Parlament, gestorben 1989, galt als "Falke" und als
nicht korrupt.
316 Crouch 1978, 234ff.
317 [Departemen] Pertahanan dan Keamanan = [Ministerium für] Verteidigung und Sicherheit.
318 Komando Wilayah Pertahanan = Wehrbereichskommando.

Die Militärs 191
die 17 Kodam 319 zu Einheiten mit lediglich administrativen Befugnissen gemacht
wurden. 320
Bis Anfang der 80er Jahre war der Verteidigungsminister also der wichtigste Militär
in Indonesien. Als aber nach einem Präsidentenerlass 1982 die Funktionen von Hankam
und die des Kommandeurs der Streitkräfte getrennt wurden, bedeutete das für
das Ministerium eine Degradierung zu einer militärisch und politisch weit weniger
mächtigen Verwaltungsbehörde. Der Kommandeur der Streitkräfte 321 hingegen wurde
dadurch zum Oberbefehlshaber befördert. Er war als Assistent des Präsidenten
nur diesem untergeordnet. 322
In der ersten Hälfte des Jahres 1983 wurden fast 100 hohe Militärs in den Ruhestand
versetzt. Dieser schwierige Übergang vollzog sich unter der Ägide des in diesem
Jahr neu ernannten ABRI-Kommandeurs Benny Murdani. Seine Ernennung war für
viele völlig überraschend gekommen, weil er niemals größere Truppeneinheiten
unter seinem Kommando gehabt hatte und zuletzt lediglich als Geheimdienstchef
gearbeitet hatte. Murdani, der das volle Vertrauen des Präsidenten genoss, konnte
bei dieser Gelegenheit seine eigenen Leute in strategisch wichtigen Positionen platzieren.
Der Übergang von der 45er-Generation zu einer, die ihre Ausbildung an den Militärakademien
und nicht im Kampf gegen die Niederländer gemacht hatte, wurde von
vielen als neue Phase der Neuen Ordnung gesehen. Zum Teil erwartete man einen
neuen Stil dieser professionell ausgebildeten Offiziere und eine Lockerung der dwifungsi.
Im Nachhinein betrachtet, waren diese Erwartungen falsch, denn die nachrückende
Offiziersgeneration war in vielerlei Hinsicht noch konservativer als ihre
Vorgänger. Bis 1998 kam es niemals zu nennenswertem Widerstand gegen die Suharto-Herrschaft,
und auch die Hoffnung auf eine Bildung einer Reformgruppe bei
ABRI erfüllte sich nicht. Das hing mit der außergewöhnlichen Machtposition Mur-
319 Komando Daerah Militer = Regionales Militärkommando.
320 Indonesia 23/1977, 175f. Die im Folgenden zitierten Beiträge aus der Zeitschrift Indonesia wurden
von B.R.O'G. Anderson bzw. den Herausgebern jeweils als "Current Data on the Indonesian Military
Elite" veröffentlicht und sind im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt.
321 Pangab = Panglima ABRI.
322 Die drei wichtigsten Positionen bei ABRI wurden in der Neuen Ordnung folgendermaßen besetzt:
ABRI-Kommandeure: 6/62-3/67 Nasution; 3/67-3/73 Suharto; 3/67-4/78 Maraden Panggabean; 4/78-3/83
Andi Muhammad Yusuf; 3/83-2/88 L.B. Murdani; 2/88-3/93 Try Sutrisno; 3/93-6/93 Edi Sudrajat; 6/93-
2/98 Feisal Tanjung; seit februar 1998 Wiranto (seit März 1998 Verteidigungsminister und ABRI-
Kommandeur). Kopkamtib-Kommandeure: 10/65-11/69 Suharto; 11/69-3/73 Maraden Panggabean; 3/73-
1/74 Sumitro; 1/74-4/78 Suharto; 4/74-3/83 Sudomo; 3/83-9/88 L.B. Murdani. Heeresstabschefs (Kasad):
1.10.-16.10.1965 Pranoto; 10/65-5/67 Suharto; 5/67-12/69 Maraden Panggabean; 12/69-4/73 Umar
Wirahadikusumah; 4/73-4/74 Surono Reksodimejo; 4/74-1/78 Makmun Murod; 1/78-4/80 R. Widodo;
4/80-3/83 S. Poniman; 3/83-6/86 Rudini; 6/86-2/88 Try Sutrisno; 2/88-3/93 Edi Sudrajat; 3/93-2/95
Wismoyo Arismunandar; 2/95-6/97 R. Hartono; 6/97-2/98 Wiranto; seit Februar 1998 Subagyo Hadi
Siswoyo. Die 9 wichtigsten Positionen waren in dieser Reihenfolge (siehe: Indonesia 56/93, 124): Kommandeur
der Streitkräfte, Stabschef des Heeres, Kostrad-Kommandeur, Kodam-10-Kommandeur (Jakarta),
Kodam-3-Kommandeur (Westjava), Polizeichef, Kommandeur der Sondereinsatztruppen Kopassus,
Bakin-Leiter, Kodam-4-Kommandeur (Mitteljava). Die Position des ABRI-Stabschefs (Kasum oder
Kepala Staf Umum) war dagegen relativ unbedeutend. Es fehlt die sehr wichtige Position des Kassospol.

192 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
danis zusammen. Er machte sich den Offizierskorps weitgehend gefügig und bestimmte
über die Besetzung wichtiger Positionen im Militär.
Im Juli 1985 wurden die 16 Kodam zu 10 zusammengelegt und die inzwischen 4
Kowilhan, die die Arbeit der Kodam koordinieren sollten, aufgelöst, da sie offensichtlich
vorrangig als gut bezahlte, aber im Grunde funktionslose Pfründen für
einen Teil des riesigen Offizierkorps gedient hatten. 323 Die wichtigsten Eliteeinheiten
wurden direkt dem Kommandeur der Streitkräfte unterstellt. 324 Die 476.400 ABRI-
Angehörigen verteilten sich 1995 auf die Polizei (180.000), die Marine (42.000), die
Luftwaffe (19.400) und das Heer (235.000). 325 Das Heer bestand aus 10 Kodam und
39 Korem, die wiederum in 271 Kodim 326 und 3.818 Koramil 327 eingeteilt waren. Auf
der untersten Ebene arbeiteten 16.000 babinsa 328 , i.d.R. Unteroffiziere mit Portepée,
in den 64.765 Dörfern mit den Dorfvorstehern zusammen. Von den 235.000 Armeesoldaten
waren ca. 150.000 bei den Territorialtruppen, 27.000 bei Kostrad und 3.500
bei Kopassus (1996: 5.000) sowie 55.000 in anderen Einheiten (Ausbildung, Logistik).
329 Jenkins beschreibt das dichte Kontrollnetz, das die Territorialtruppen ausgelegt
hatten:
"The panglima (commander) of each regional military command (Kodam) presides over
not merely a regular operational force but a "territorial" organization which is considered
of at least equal importance. This territorial structure, which is seen in its most developed
form on Java, corresponds broadly with the various tiers of the civilian administration of
the Department of Home Affairs and forms a parallel "shadow government" which is intimately
involved in nonmilitary functions." 330
323 Indonesia 40/1985, 131ff; Haseman 1986. Da die ältere Generation zu diesem Zeitpunkt ohnehin
ausschied und nicht so viele Offiziere nachrückten, konnte man auf diese Weise die quantitative Relation
zwischen Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften etwas korrigieren. Das Verhältnis Offiziere -
Unteroffiziere - Mannschaften liegt normalerweise bei 1 : 3 : 5. In Indonesien war jedoch der Anteil der
Offiziere seit der Unabhängigkeit sehr hoch, so dass das o.g. Verhältnis 1984 bei 1 : 1,37 : 3 und nach
den Reformen immerhin noch bei 1 : 2,62 : 3,74 lag (Indonesia 40/1985, 139). 1991 gab es in der Armee
nur noch 150 Generäle, während es noch 1983 300 Generäle gewesen waren (Indonesia 53/92, 97).
324 Die Machtbasis des Kommandeurs der Streitkräfte erweiterte sich, da er - i.d.R. ein Angehöriger des
Heeres - die Marine und die Luftwaffe noch stärker kontrollieren konnte: "These reforms have at least
two political implications. On the one hand, they further reduce the status and autonomy of both Navy
and Air Force, whose inner structures now more resemble those of the Department of Defense and Security
and the Police than that of the Army. Their functions, too, are to be largely administrative and technical
in character. Neither service will any longer have regional command levels that in any way parallel or
rival the Army's Kodam and Korem" (Indonesia 40/1985, 136).
325 Nach Bresnan (1993, 104ff) dienten 1970 in den Streitkräften (außer der Polizei) noch 358.000 Mann.
Nach Emmerson (1988, 113) ist die Zahl der Soldaten (also ohne Polizei) von 500.000 (1966) auf
247.000 (1977) gefallen und dann wieder auf 281.000 (1986) gestiegen.
326 Komando Distrik Militer = Distrikt-Militärkommando.
327 Komando Rayon Militer = Subdistrikt-Militärkommando.
328 Bintara pembina desa.
329 Lowry 1996, 229ff.
330 Jenkins 1984, 43.

Die Militärs 193
Schaubild 3-4: Verwaltungsebenen und parallele Militärverwaltung
Verwaltungsebenen Leiter der Exekutive Leiter der Kommandantur
Präsident
Zentralverwaltung Minister; Innenmin. zuständig f. Kommandeur der Streitkräfte
Gesamtverw.
Provinz Gouverneur (Gubernur) Kodam- und Korem-Kommandeur
Distrikt Distriktleiter (Bupati/Walikota) Kodim-Kommandeur
Subdistrikt Subdistriktleiter (Camat) Koramil-Kommandeur (z.T. für
mehrere Subdistrikte zuständig)
Dorf Dorfoberhaupt (Kepala Desa) Babinsa (zuständig für mehrere
Dörfer)
Nachbarschaftsvereinigungen
(RW/RT)
kepala RW und kepala RT
Quelle: Lowry 1996, 60.
Das flächendeckende Netz von territorialen Truppen wurde ergänzt durch eine umfangreiche
Zivilverteidigung, durch Studenteneinheiten (die häufig unbeliebten
Resimen Mahasiswa, Menwa) und - kontrolliert durch die Polizei - durch halbzivile
Sicherheitskräfte (Satpams) und das Nachbarschafts-Sicherheitssystem Siskamling.
Es gab außerdem zwei Veteranenorganisationen, nämlich LVRI (Veteranen der
Revolution) mit 843.000 und Pepabri mit 428.000 Mitgliedern. Ein beträchtlicher
Anteil von Offizieren kam gemäß der dwifungsi-Doktrin auch in zivilen Bereichen
zum Einsatz.
Die indonesischen Streitkräfte in zivilen Funktionen
In Militärdiktaturen beherrschen die Streitkräfte nichtmilitärische Bereiche. In Indonesien
wurde diese Überschreitung der angestammten Kompetenzen mit der dwifungsi-Doktrin
legitimiert und sogar legalisiert. In den meisten Militärdiktaturen
verstehen sich die Streitkräfte als Retter in der Not, die für einen bestimmten Zeitabschnitt
das Kommando über die gesamte Gesellschaft übernehmen. In Indonesien
hingegen war die Übernahme ziviler Posten durch Militärs ein fester Bestandteil des
politischen Systems und angeblich der nationalen Kultur und sollte nach dem Willen
der Regimekoalition noch Jahrzehnte Bestand haben. 1967 waren 25.000 Soldaten in
eigentlich nichtmilitärischen, so genannten Kekaryaan-Positionen eingesetzt, 1980
waren es noch 20.000, und 1995 ging diese Zahl im Zuge einer vorsichtigen Demilitarisierung
auf 14.000 zurück. 331 Da diese Durchdringung der gesamten Gesellschaft
das Rückgrat des Orba-Regimes bildete, wird sie hier detailliert beschrieben.
331 FEER 18.5.1995. Ein gutes Jahr vorher fanden sich in derselben Zeitschrift etwas andere Zahlen:
Danach besetzten 1967 25.000 Offiziere kekaryaan-Positionen, 1986 waren es 13.000 und 1992 nur noch
etwa 9.500 (FEER 28.4.1994).

194 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Das Militär in der Verwaltung
In den Bereichen, die für die ökonomische Modernisierung relevant sind, hatten die
Technokraten einige Freiräume. 332 Sie dominierten in den Ressorts, in denen die
Finanz- und Wirtschaftspolitik bestimmt wurde. Die nationalistisch orientierten
High-Tech-Anhänger ("Technologen") um Habibie hingegen beherrschten das Industrie-
sowie das Forschungs- und Technologieministerium. Beide Gruppierungen
standen jedoch im Schatten der Militärs, die sämtliche Verwaltungsebenen und -
bereiche durchdrangen. Die - oft pensionierten - karyawan-Offiziere in den obersten
Rängen der Zentralexekutive, die fast ausschließlich Generäle waren, befanden sich
vor allem in jenen Stellungen, die eine besondere Nähe zum Präsidenten auszeichnete,
und in Verwaltungsbereichen, die bedeutend für die Herrschaftsausübung, d.h.
bei der Durchdringung auch der unteren Ebenen der Administration, waren. Im
Verteidigungsministerium waren erwartungsgemäß fast alle höheren Beamten Soldaten,
so dass dieses Ministerium als Auffangbecken für pensionierte Offiziere galt.
Im Innenministerium, dessen umfangreiche Befehlsgewalt sich bis hinunter zu den
Dörfern erstreckte, wurde der Militäranteil in Spitzenpositionen von 29% (1966) auf
71% (1971) und 89% (1981) ausgeweitet (vgl. Tab. 3-10).
Ende der 70er Jahre waren die Hälfte der Minister und zwei Drittel der Gouverneure,
78% der Generaldirektoren, 84% der Staatssekretäre und etwa jeder zweite Botschafter
Militärs. 333 Von den 163 höchsten Regierungsämtern wurden 1986 allein 67,
also 41%, von Offizieren besetzt. Dazu zählten u.a. 16 der 25 Personen im näheren
Umfeld Suhartos (davon 3 der 10 Staatsminister, 2 der 3 Koordinierungsminister
und 8 der 9 Funktionäre im Staatssekretariat), 8 von 21 Fachministern, 14 von 21
Generalsekretären, 14 von 21 Generalinspektoren und 14 von 71 Generaldirektoren.
334
Seit Ende der 80er Jahre aber vollzog sich in der Zivilverwaltung eine leichte Entmilitarisierung.
Seit 1991 wurden Minister-, Botschafter- und Gouverneursposten zunehmend
von Zivilisten besetzt. 335 1995 stellte das Militär nur noch 13 der 77 Botschafter
und 10 der 42 Minister (vgl. Tab. 3-11), von denen zudem drei (Murdiono,
Susilo Sudarman und Ginanjar Kartasasmita) im Stabsdienst und einer (Tarmizi
Taher) im Sanitätsdienst tätig gewesen waren. Im siebten Entwicklungskabinett
1998 gehörten zu den kampferprobten Militärs nur noch Feisal Tanjung (Koordinierungsminister
für Politik und Sicherheit), Hartono (Inneres), Wiranto (Verteidigung)
und Hendropriyono (Transmigration).
332 Emmerson 1983, 1229ff.
333 Vatikiotis 1993, 71.
334 MacDougall 1986, 3f.
335 FEER 21.10.1993.

Die Militärs 195
Tab. 3-10: Besetzung der wichtigsten Positionen der Zentralverwaltung durch Militärs
1966 1971 1981 1986
Fachminister 44% 22% 47% 38%
Gen.sekretäre 55% 41% 89% 67%
Gen.inspektoren - 73% 65% 67%
Gen.direktoren 36% 36% 35% 20%
Quelle: MacDougall 1986, 3ff.
Tab. 3-11: Anteil der Militärs in verschiedenen zivilen Bereichen
1973 1995
Minister (bzw. mit Ministerrang) 34% (8 von 23) 24% (10 von 42)
Gouverneure 70% 40% (11 von 27)
Botschafter
Quelle: Hartono 1996, 137.
44% 17% (13 von 77)
Tab. 3-12: Zusammensetzung der Kabinette
Entwicklungskabinett ABRI Zivilisten Minister insges.
I (1968-73) 8 (34%) 15 (66%) 23
II (1973-78) 6 (24%) 19 (76%) 25
III (1978-83) 15 (45%) 18 (55%) 33
IV (1983-88) 17 (42%) 23 (58%) 40
V (1988-93) 14 (34%) 27 (66%) 41
VI (1993-98)
Quelle: Tiras 4.5.1995, 64.
10 (24%) 32 (76%) 41
Diese Tendenz der Demilitarisierung war auch für die vielen Provinzgouverneure
und die Verwaltungschefs der unteren Ebenen (bupati, camat, lurah) gültig. 1971
beispielsweise gehörten 22 von 26 und 1980 19 von 27, 1995 aber nur noch 11 von
27 Provinzgouverneuren dem Militär an. 336
Die politische Gewaltenteilung wurde in der Neuen Ordnung zusätzlich durch die
Einrichtung von Gremien unterlaufen, in denen Militärs, Verwalter, Polizisten und
Staatsanwälte zusammentrafen. Das waren zum einen die 1967 eingerichteten regio-
336 Aufschlussreich sind auch die Zahlen für die staatliche Verwaltung auf Kabupaten- bzw. Kotamadya-
Ebene, das ist die Verwaltung unterhalb der Provinzebene. Die meisten Verwaltungschefs (Bupati bzw.
Walikota) waren 1994 Zivilisten. Von den 228 Leitungspositionen auf der Distriktebene wurden in Indonesien
127 von Zivilisten und 101 von Militärs besetzt, wobei das leichte Übergewicht der Zivilisten sich
auch in den einzelnen Provinzen zahlenmäßig so ausdrückte (Sugiono 1996). Dieses Muster dürfte sich
auf den unteren Verwaltungsebenen in ähnlicher Weise wiederholt haben. Nicht selten wechselte ein
pensionierter Kommandeur auf den Parallelposten in der Zivilverwaltung, oder auf der untersten Verwaltungsebene
wurde aus einem babinsa ein Dorfvorsteher.

196 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
nalen Führungsräte Muspida auf Provinz- und Distriktebene (bzw. Muspika auf
Subdistriktebene) und die Mitte der 80er Jahre eingerichteten regelmäßigen Treffen
zwischen Oberstem Richter, Justizminister, Generalstaatsanwalt und Polizeichef auf
nationaler Ebene, Mahkehjapol. 337 In den Regionen waren diese Gremien mit dem
entsprechenden regionalen Führungspersonal als tritunggal ("Dreieinheit") bekannt.
In den Gremien wurden politische Entscheidungen, die insbesondere im Bereich der
inneren Sicherheit relevant waren, koordiniert. Außerdem arbeiteten für soziale und
politische Angelegenheiten (sospol) zuständige Offiziere als "politische Kommissare"
in der Provinz- und Distriktverwaltung. Im Innenministerium waren sie mit einem
eigenen Direktorat vertreten. Die Stäbe für soziopolitische Aufgaben waren
sehr wichtig und wurden von Offizieren besetzt, die die Fähigkeit hatten, die Doktrinen
des Militärs in der Öffentlichkeit überzeugend zu verteidigen. Der Kassospol,
ein Drei-Sterne-General, war zuständig für die Soldaten in zivilen Positionen und für
das politische Krisenmanagement.
ABRI und Golkar, ABRI als Parlamentsfraktion
Golkar fungierte stets als Arena der herrschenden Gruppen in Indonesien. In den
ersten Jahren war das Militär der eindeutig dominierende Teil Golkars, wobei die
Murtopo-Gruppe über den größten Einfluss verfügte. Ende der 70er Jahre distanzierte
sich ABRI etwas von Golkar. ABRI-Kommandeur Mohammad Yusuf interpretierte
die Rolle des Militärs etwas anders: ABRI sollte über den Parteien stehen und
sich folglich in den Wahlen von 1982 neutral verhalten. Suharto reagierte darauf mit
aller Schärfe in der Pekanbaru-Rede 1980, in der er die bedingungslose Loyalität
ABRIs forderte. Einerseits wollte Suharto, dass ABRI sich eindeutig hinter Golkar
stellte, andererseits förderte er aber gerade die graduelle Emanzipierung der Staatspartei
in den 80er Jahren mit dem Parteivorsitzenden Sudharmono. Diese Taktik
setzte er mithilfe des ersten zivilen Vorsitzenden Harmoko und mit der Platzierung
der eigenen Familie im Parteivorstand (1993) fort.
1988-93 gehörten von den 188 Golkar-Vorsitzenden in den Distrikten 138 zur "Großen
ABRI-Familie, 50 waren Zivilisten. 1993-98 lag die Relation bei 146 zu 42. Am
stärksten war das Militär in Java (in Ostjava übernahm ABRI 1988-93 z.B. alle 24
Vorsitzposten), Lampung und Nordsulawesi (1993-98 alle 7), während in Nordsumatra,
Westsumatra und Zentralsulawesi die Zivilisten etwa genauso viele Vorsitzende
stellten. In Riau waren von 7 Vorsitzenden sogar 6 Zivilisten. 338 Neben diesen
in Golkar vertretenen Militärs gab es noch diejenigen ABRI-Parlamentarier, die
direkt für die ABRI-Fraktion arbeiteten. Da Soldaten an den allgemeinen Wahlen
nicht teilnehmen durften, gelangten - sozusagen als Ausgleich für diese Benachteiligung
- hohe Offiziere (i.d.R. Generäle) direkt ins Parlament. Im DPR saßen in den
ersten Legislaturperioden 75, dann 100 und zuletzt wiederum 75 ABRI-Abgeordnete.
1982 bis 1987 waren so z.B. 118 Abgeordnete Militärs, darunter 75 in der
337 Vgl. Bourchier 1996, 185f; Muspida = Musyawarah Pimpinan Daerah; Muspika = Musyawarah Pimpinan
Kecamatan; Mahkehjapol = Mahkamah Agung, Kehakiman, Kejaksaan Agung, Kepolisian.
338 Sugiono 1996.

Die Militärs 197
ABRI- und 43 in der Golkar-Fraktion. Außerdem übernahmen in den MPR-Arbeitsgremien,
die die Beschlüsse des Volkskongresses vorbereiteten, häufig hohe Generäle
den Vorsitz, so etwa 1997/98 Wiranto, Hartono und Yudhoyono. ABRI konnte
mit dieser breiten Präsenz frühzeitig auf möglichen Widerstand gegen Gesetzespläne
oder Widerstand allgemeiner Art reagieren.
Die Streitkräfte als Unternehmer
Überraschenderweise war der offizielle Verteidigungsetat in Indonesien relativ niedrig.
Seit 1980 wurde für Verteidigungszwecke jährlich weniger als 3% des BIP und
kaum mehr als 10% des gesamten Etats zur Verfügung gestellt (vgl. Tab. 3-13). 339
Zwar stiegen in den frühen 80er Jahren und in den Jahren 1988 bis 1996 die Verteidigungsausgaben
signifikant an (vgl. Tab. 3-14), 340 aber im internationalen Vergleich
gehörte Indonesien zu den Ländern mit relativ kleinem Verteidigungsetat. Das ergab
sich aus dem Vorrang der Guerillastrategie und dem weitgehenden Verzicht auf
High-Tech-Waffen, 341 außerdem einfach daraus, dass ein großer Teil der ABRI-
Einnahmen in keiner Statistik verzeichnet war.
Tab. 3-13: Anteil der Militärausgaben an den Staatsausgaben
1969/70 1972/73 1975/76 1978/79 1981/82 1983/84
25,4% 22,5% 16,8% 14,6% 12,6% 11,4%
Quelle: Kuntjoro-Jakti/Simatupang 1987, 120.
Tab. 3-14: Verteidigungsausgaben in Mrd. US$ (1980-1998)
1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998
2,01 2,51 2,41 2,16 1,88 2,15 2,35 2,50 2,77 2,77
Quelle: SIPRI 1990, 193; SIPRI 1999, 286.
Die indonesischen Streitkräfte wurden nämlich nur zum Teil aus dem Haushalt des
Verteidigungsministeriums finanziert. Schon vor 1965 waren die Streitkräfte in
zahlreiche, nicht immer legale Geschäfte verwickelt, wie das Eintreiben von Zöllen
und Sonderabgaben, den Schmuggel und die Bereitstellung von Transportkapazitä-
339 Lowry 1996, 23f.
340 In Wirklichkeit sind die Statistiken nicht so einfach interpretierbar. Nach Zahlen des International
Institute for Strategic Studies und des UNDP wurden 1996 4,6 Mrd. US$ für Verteidigungszwecke ausgegeben;
das entsprach 2,1% des BIP und Pro-Kopf-Ausgaben von 23 US$ (International Institute for
Strategic Studies 1998 und UNDP 1998, 170f). Die Unterscheidung zwischen den im Budget vorgesehenen
und den realen Verteidigungsausgaben (etwa unter Einbeziehung der Verluste staatlicher Rüstungsunternehmen)
ist unklar.
341 Indonesien machte keine Anstalten, trotz des angekündigten Baus von Atomkraftwerken, eigene
Atomwaffen herzustellen. Auch die Produktion von biologischen und chemischen Waffen ist nicht bekannt.

198 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
ten. Einige Finek 342 -Offiziere wie etwa Sujono, Sofyar und Alamsyah, waren speziell
für diese außeretatmäßige Truppenfinanzierung zuständig. Dabei ergaben sich bereits
enge Beziehungen zu Liem Sioe Liong, "Bob" Hasan u.a. Mit der Verstaatlichung
niederländischer Unternehmen (1958) weiteten die Militärs ihren wirtschaftlichen
Spielraum noch aus.
In den ersten Jahren der Neuen Ordnung beschafften sich die Truppen schätzungsweise
60-70% ihrer Gesamteinnahmen selbständig. Auch in den letzten Jahren der
Neuen Ordnung wurde ein erheblicher Teil der finanziellen Mittel widerrechtlich
oder mittels der vom Militär kontrollierten Staatsbetriebe erworben. 343 Die Offiziere
brauchten allein schon deshalb größere Einnahmen, weil sie sich nur durch informelle
Zahlungen die Loyalität ihrer Untergebenen dauerhaft sichern konnten. Außerdem
benötigten aufstiegswillige Offiziere zur Finanzierung der Lehrgänge (und wohl
auch zur Bestechung von Vorgesetzten, die über Beförderungen zu entscheiden
hatten) gewaltige Geldsummen.
Dabei erwiesen sich die Erdölgesellschaft Pertamina und die für den Handel mit
einigen landwirtschaftlichen Gütern (Reis, Sojabohnen etc.) beauftragte Logistikbehörde
Bulog 344 als besonders einträgliche Einnahmequellen. Ibnu Sutowo etwa konnte
bis 1975 als Pertamina-Chef über Milliardenbeträge verfügen, ohne die Rechnungsführung
offen legen und sich vor dem Parlament verantworten zu müssen.
Zwar führte er einen Teil der Unternehmensgewinne an die Zentralregierung ab,
aber er nutzte sein Amt vor allem, um neue Handelsgesellschaften zu gründen, Vertraute
mit günstigen Aufträgen und Stellungen zu versorgen und das Militär finanziell
zu unterstützen. Die Siliwangi-Division übernahm z.B. mit ihrem Unternehmen
Propelat einige Geschäftstätigkeiten Pertaminas in Westjava.
Daneben finanzierten sich viele Einheiten direkt mit Hilfe staatlicher Konzessionen,
wie etwa Kostrad, das die Alleinvertretung für Volkswagen übernahm, und die Hankam-Holdinggesellschaft
Tri Usaha Bhakti, die eine Lizenz zum Holzeinschlag in
Kalimantan erhielt. Die Streitkräfte versorgten sich somit durch truppeneigene Handelsgesellschaften,
durch Staatsbetriebe und durch Kooperativen der Teilstreitkräfte
(Inkopad, Inkopal, Inkopau und Inkopak). Außerdem wurden die höheren Offiziere
mit Managementposten betraut oder gründeten eigene Handelsunternehmen, die
dank billiger Staatskredite und günstiger Staatsaufträge florierten. Sie kooperierten
mit chinesischen Geschäftsleuten und mit dem Finanzimperium der Suharto-
Familie. Bulog beispielsweise stattete den von Liem Sioe Liong und von Sudwikatmono,
dem Halbbruder des Präsidenten, kontrollierten Weizenmehlhersteller Bogasari
mit Lizenzen aus. Frau Suharto leitete Stiftungen wie Yayasan Harapan Kita
342
Finek = Finansiil ekonomi = Sektion des Heeresstabes für finanzielle und ökonomische Angelegenheiten.
343
Robison 1986, 262; MacDonald 1980, 114ff.
344
Ende der 60er Jahre bekam Bulog Staatskredite mit einem Zinssatz, der deutlich unter dem für Bankeinlagen
lag, so dass einige Funktionäre das Geld Gewinn bringend anlegten (Crouch 1978, 278).

Die Militärs 199
und wie Yayasan Dharma Putra, 345 die wiederum von Kostrad dominiert wurden.
Diese unternehmerischen Tätigkeiten hielten die Militärs durchaus für legitim:
"For the army leaders, the provision of contracts, credit, and licenses […] was normal
business practice. To them the term "corruption" covered activities of a quite different sort
carried on typically by low-level officials behind the backs of their colleagues, such as
embezzling funds or misusing government property." 346
Über die Beschaffung der Finanzmittel sind nur spärliche Informationen erhältlich.
Trotzdem zeichneten sich Trends ab, die auf eine ökonomische Schwächung der
Streitkräfte hinweisen. Robison schreibt:
"By the late 1970's, however, the 'wild west' situation was beginning to alter with the decline
in the timber market and the successful moves by technocrats to restrict unprocessed
log exports and force procedures into sawmilling, plywood manufacture, pulp and paper."
347
Die ökonomischen Transaktionen des Militärs wurden nicht nur in diesen Bereichen
etwas stärker reguliert, zumal mit den Zentralisierungsmaßnahmen nach 1969 die
regionalen Kommandeure weniger selbständig agieren konnten. Nach dem Pertamina-Skandal
1975 wurde die bedeutendste Einnahmequelle der Armee stärker von
den Technokraten beaufsichtigt. Außerdem trieb Habibie seit 1978 der Aufbau einer
eigenen Industrie für militärische Güter voran. So wurden der Flugzeug- und Schiffbau
Anfang der 80er Jahre der Kontrolle der Streitkräfte entzogen. In dieser Zeit
entstand auch der Dauerkonflikt zwischen Habibie und den Militärs um die Beschaffung
militärischer Güter, die in der Kriegsschiffaffäre (1994) gipfelte.
Infolge dieser Umstrukturierungen büßten die militäreigenen Unternehmen in den
80er Jahren ihre ökonomische Machtstellung ein. Suharto kam eine solche Machtschwächung
in der Phase des Generationenwechsels in den Streitkräften durchaus
gelegen:
"Thereafter, Suharto kept a tight rein on ABRI, including paring the defence budget to
minimal levels, requiring cabinet secretariat consent to capital purchases over RP 500 million
($US 250000), thus squeezing commissions going to ABRI, emasculating ABRI
business ventures not already hijacked, exercising more care in the selection, promotion
and rotation of senior officers, and ostracising or sidelining officers deemed too independent
or ineffective in their political tasks." 348
ABRI reagierte u.a. mit einer Rationalisierung der wirtschaftlichen Tätigkeiten.
Immer mehr Offiziere wurden im Ausland zu MBAs ausgebildet. 349 Die Streitkräfte
drangen verstärkt in den privaten Sektor vor, und in der Folge kam es vermehrt zur
Bildung von Joint Ventures mit den cukong bzw. den Präsidentenkindern. PT Sem-
345
Frau Suharto "bat" einheimische Unternehmer um "Spenden", die allerdings nur zu einem geringen
Teil für wohltätige Zwecke ausgegeben wurden.
346
Crouch 1978, 294.
347
Robison 1986, 257.
348
Lowry 1996, 211.
349
1997 sollen etwa 100 Offiziere einen MBA-Grad und über 1.000 den des M.A. gehabt haben.

200 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
pati war ein solches Gemeinschaftsunternehmen zwischen der Armee (40%) und
"Tommy" Suharto (25%) sowie "Bob" Hasan (35%). 350 "Bob" Hasan arbeitete außerdem
mit dem Militär bei der Produktion von Bauholz zusammen. 351
Die zuletzt bedeutendste Unternehmensgruppe war die Stiftung des ABRI-Hauptquartiers
YKEP 352 (deren Patron Suharto war). YKEP wurde 1996 als Mehrheitseigner
der Artha-Graha-Gruppe mit einem Jahresumsatz von 377 Mrd. Rp. an 122.
Stelle der größten indonesischen Unternehmen geführt. 353
Um einen Eindruck von dem riesigen Geflecht von Unternehmen zu geben, sei an
dieser Stelle eine Auflistung aus der Far Eastern Economic Review 354 eingefügt:
- Armee: Inkopad (Westin Hotel); Kartika Eka Paksi-Stiftung (Danayasa Artatama:
Immobilien mit Tomy Winata; Bank Artha Graha mit Tomy Winata; Sempati Air
mit "Tommy" Suharto und "Bob" Hasan; International Timber Corp. of Indonesia
mit Bambang Trihatmojo und "Bob" Hasan); Tri Usaha Bhakti-Stiftung (22 Unternehmen,
darunter Asuransi Cigna Indo),
- Marine: Inkopal (Petrochemieindustrie in Surabaya); Bhumyamca-Stiftung (Admiral
Lines, Yala Trading für den Import von Fahrzeugen, Bank Bahari, Bhumyamca
Film),
- Luftwaffe: Inkopau; Adi Upaya-Stiftung (Bank Angkasa, Aerokarto Indo, Dirgantara
Air Service, Angkasa Puri und Cardig),
- Polizei: Inkopol; Bhayangkara-Stiftung (Asuransi Bhakti Bhayangkara; Versicherung);
Brata Bhakti-Stiftung,
- Kopassus: Kogame Propindo (Immobilien); Tribuana I (Fähre Java-Sumatra);
Forstwirtschaft; Methanolhandel,
- Verteidigungsministerium: Bank Yudha Bhakti; Asagri (Versicherung). 355
ABRI hatte also ein umfangreiches Unternehmengeflecht geschaffen. Dennoch
beherrschten die Streitkräfte die indonesische Ökonomie nicht: Sie kontrollierten -
nach allem, was man weiß - nur einen geringen Prozentsatz der großen Betriebe.
Allerdings nutzten einzelne Offiziere ihre Machtposition und ihre Gewaltmittel in
sehr viel direkterer Form aus, indem sie besonders in den Außenregionen lokale
350
Sempati wiederum arbeitete mit IPTN in der PT Batam Aircraft Maintenance zusammen. Die Marine
war beteiligt am Bintan Beach International Resort, am Pulau Bayan Marina Club und bei Betrieben in
der Fischverarbeitung (Lowry 1996, 136).
351
Die PT International Timber Corporation gehörte zu 51% der Armee, zu 35% Bob Hasan und zu 14%
Bambang Suharto.
352
Yayasan Kartika Eka Paksi.
353
Ihre Truba-Gruppe nahm Rang 161 ein. Anfang der 90er Jahre gehörte zu ihren wichtigeren Einnahmequellen
der Sudirman Central Business District in Jakarta, bei dem sich YKEP an den über 3 Mrd.
US$ Investitionskosten beteiligte. YKEP hatte 26 Unternehmen unter sich, 22 davon befanden sich
wiederum unter dem Dach von PT Tri Usaha Bakti, die in verschiedenen Projekten mit Unternehmen der
Suharto-Familie und den cukong kooperierte (Susanto/Supriatma 1995, 93ff). Als angeblich wohltätige
Stiftung genoss YKEP Steuerbefreiung. Eines der einträglichsten Unternehmen war der Bauholzhersteller
PT ITCI, das seit 1989 jährlich etwa 10 Mrd. Rp. eingebracht haben soll.
354
FEER 5.2.1998.
355
Nach dem Sturz Suhartos erschienen zwei Bücher in indonesischer Sprache, in denen die Geschäfte
ABRIs recht ausführlich dokumentiert werden. Siehe: Samego et al. 1998 und Iswandi 1998.

Die Militärs 201
Netzwerke schufen. 356 Als Beispiele seien nur die Zusammenarbeit in West-Papua
(Irian Jaya) mit den Betreibern der Freeport-McMoRan-Mine und die berüchtigten
Aktivitäten in Ost-Timor genannt. Es ist bekannt, dass ABRI mit den ausländischen
Bergbauunternehmen in West-Papua u.a. in der Abwehr von OPM-Rebellen zusammenarbeitete.
In solchen Außenregionen waren selbst die schwachen Kontrollen
durch die Presse und durch oppositionelle Gruppen weitgehend außer Kraft gesetzt,
so dass anarchische Exklaven entstehen konnten. 357 In ähnlich ungezügelter Form
konnten die Streitkräfte im besetzten Ost-Timor operieren. Kurz nach der Invasion
1975 hatte ein Sinoindonesier mit der Unterstützung von Benny Murdani, Dading
Kalbuadi und Sahala Rajagukguk (die beiden Letztgenannten waren berüchtigte
Militärkommandeure in Ost-Timor) PT Denok Hernandes International gegründet.
Das Unternehmen beherrschte den Handel mit Kaffee, Sandelholz, Marmor und
Zucker. 1989 wurde PT Denok Teil von PT Batara Indra, einer vom Militär kontrollierten,
recht diversifizierten Unternehmensgruppe. Das Militär besaß u.a. wegen
dieser Geschäfte ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Bürgerkriegszustandes
in Ost-Timor. 358
Die ABRI-Geschäfte waren häufig undurchsichtig und am Rande der ohnehin fragwürdigen
Legalität. Insgesamt lassen sich folgende Finanzierungsquellen unterscheiden:
- regulärer Sold: je höher der Dienstgrad, desto unbedeutender wurden diese offiziellen
Zahlungen;
- Einnahmen aus Unternehmertätigkeit (Managementpositionen oder Gewinne von
Militärunternehmen);
- Schutzgelder vom Kleinstunternehmer bis hin zu den größten Konglomeraten 359 ;
- Tausch von Lizenzen, Konzessionen und Staatskrediten gegen Geld oder Unternehmensbeteiligungen;
- Bezahlungen für Sicherheitskräfte in den Fabriken oder für Gewalttaten (etwa an
Gewerkschaftern) und
- Einnahmen aus sonstigen illegalen Tätigkeiten: Prostitution, Drogenhandel,
Schmuggel.
All diese Einnahmen kamen auch den unteren Dienstgraden zugute. Viele Militärs,
die in den Ruhestand versetzt wurden, erhielten von ihren Vorgesetzten eine ihren
Leistungen entsprechende Abfindung. Vor allem die hohen und höchsten Offiziere
bekamen dann Lizenzen, Konzessionen und öffentliche Aufträge, die sich sehr leicht
zu Geld machen ließen. 360 Damit wurde die Loyalität schon während der Dienstzeit,
aber auch danach gewährleistet. Offiziere, die nach Beendigung ihrer Dienstzeit
356
Indonesia 53/1992, 98.
357
TB Okt. 1995, 1ff.
358
Cox/Carey 1995, 45. 1995 wurde die Kaffee-Produktion auf amerikanischen Druck neu geordnet, so
dass Denok sein Monopol für die Vermarktung verlor (FEER 18.2.1999).
359
So war in der Jakarta Post einmal zu lesen, dass McDonald's der Polizei von Jakarta einige schwere
Motorräder "geschenkt" habe.
360
Benny Murdani hat einmal in einem Interview diese Praktiken sehr offen beschrieben.

202 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
anfingen, ABRI und deren Doppelfunktion zu kritisieren, konnten damit rechnen,
dass sie und ihre Familien wirtschaftlich "kaltgestellt" wurden. 361
Die Tatsache, dass die Selbstfinanzierung der Streitkräfte so undurchsichtig und in
der Bevölkerung so verhasst war, stärkte den Zusammenhalt in der Armee. Denn
fast jeder Soldat war nach einiger Zeit in dieses System der Korruption und Erpressung
verwickelt.
Die Geheimdienste und ihre Position im Herrschaftsgefüge der Neuen Ordnung
In Indonesien gab es einen weit verzweigten Geheimdienstapparat, der vielfältige
Aufgaben erfüllte. Der Autoritarismus der Neuen Ordnung wurde von Kopkamtib,
Opsus, Bakin und Bais genauso geprägt wie von den anderen, genuin militärischen
Einheiten. Der Geheimdienst entwickelte sich zu einer Art Staat im Staate. Gerade
die Geheimdienstzaren Ali Murtopo und als sein unmittelbarer Nachfolger Benny
Murdani bauten sich Machtzentren auf, die für Außenstehende undurchdringlich und
geheimnisvoll waren und mit denen andere Gruppen in der Regimekoalition bekämpft
werden konnten.
Zu den Aufgaben der verschiedenen Geheimdienste gehörten die Sammlung von
Informationen über die Tätigkeiten von Oppositionellen, aber auch der verschiedenen
Massenorganisationen, die Festnahme und das Verhör (oftmals auch die Folter)
von Regimegegnern sowie die Durchführung von Operationen zum Sturz von Oppositionellen
und zur Zersetzung regimekritischer Gruppen. Außerdem manipulierten
die Geheimdienste Gerichtsprozesse und politische Wahlen. In vielen Fällen waren
sie auch an der Inszenierung von Demonstrationen und Ausschreitungen beteiligt. 362
Mit seinem Terror und mit der permanenten Einschüchterung schuf der Geheimdienst
eine Atmosphäre der Furcht und des Misstrauens. Jeder, der sich in irgendeiner
Form kritisch zu politischen Fragen äußerte, musste mit Verhaftung, Folterung
und Verurteilung in Schauprozessen rechnen. 363
361 Ein verheirateter Oberstleutnant mit drei Kindern, der nicht in Ost-Timor oder in West-Papua eingesetzt
wurde, bekam 1994 ca. 640.000 Rp. im Monat (Lowry 1996, 123). Rechnet man jedoch die inoffiziellen
Zahlungen und die verschiedenen Vergünstigungen für ABRI-Angehörige hinzu, so konnte ein
mittlerer Offizier ein typisches indonesisches Mittelklasseleben führen. Schließlich konnte ein solcher
Offizier auch nach seiner Pensionierung damit rechnen, dass er entweder mithilfe günstiger Kredite und
Aufträge ein eigenes Unternehmen gründen oder als Aufsichtsperson in einem Unternehmen tätig werden
konnte.
362 Immer wieder ausführlich beschrieben in den Berichten verschiedener Menschenrechtsorganisationen.
363 Das traf auch für im Ausland lebende Indonesier und für Ausländer, die sich gelegentlich in Indonesien
aufhielten, zu. Also auch für Wissenschaftler, die angehalten waren, nicht zu negativ über das politische
System Indonesiens zu schreiben.

Die Militärs 203
Kopkamtib und Bakorstanas
Bis 1988 war Kopkamtib364 , das "Kommando zur Wiederherstellung von Sicherheit
und Ordnung", eine übermächtige Einrichtung. Ihre Befehlsgewalten waren nicht
genau definiert, da sie unter einem De-facto-Kriegsrecht agierte.
Kopkamtib wurde am 10.10.1965 von Suharto errichtet, nachdem dieser von Sukarno
den Befehl bekommen hatte, "Ordnung und Sicherheit" wiederherzustellen. Im
Dezember erweiterte der Präsident den Auftrag: Das Kommando sollte zusätzlich
durch militärische und nichtmilitärische Operationen die Autorität und Integrität der
Regierung wiederherstellen. Im März 1969 schließlich dehnte Suharto die Aufgaben
auf die Bekämpfung aller subversiven Tätigkeiten bis hinunter zu den unteren Verwaltungsebenen
aus. 365 Kopkamtib war also eine Institution, die in einer Ausnahmesituation
entstanden war, dennoch aber jahrzehntelang bestehen bleiben konnte, da
die Ideologen der Neuen Ordnung weiterhin an der Annahme festhielten, dass die
PKI und ihre Anhänger eine ständige Bedrohung sein würden. Eine der wesentlichen
Aufgaben von Kopkamtib bestand in der Verhaftung und Inhaftierung von Hunderttausenden
wirklicher oder vermeintlicher Kommunisten nach dem Putschversuch.
Die Inhaftierten wurden über Jahre ohne offizielle Anklage und ohne jemals vor ein
Gericht gestellt zu werden, festgehalten. 366
In den folgenden Jahren war die Einheit an der Überwachung der Wahlen und der
Presseorgane, an der Niederschlagung der Studentenbewegung und an der Bekämpfung
von Separatisten, kommunistischen Rebellen und allen erdenklichen Oppositionellen
beteiligt. 1983-85 wurde Kopkamtib sogar bei der Ermordung von mehreren
Tausend mutmaßlich Kriminellen in mehreren Städten eingesetzt. 367 Diese zentral
geplanten und als "mysteriöse Erschießungen", Petrus368 , bekannt gewordenen,
ungesetzlichen Gewaltakte richteten sich gegen gali369 , das sind Gruppen junger,
städtischer Krimineller. 370 Zum Teil wurden die Leichen zur Abschreckung einfach
auf die Straße geworfen. Die Durchführung der auf nationaler Ebene vom militärischen
Geheimdienst Bais zusammen mit der Polizei geplanten Erschießungen oblag
auf regionaler Ebene den Kodam-Kommandeuren und den regionalen Polizeichefs.
371
364
Komando Pemulihan Keamanan dan Ketertiban.
365
Thoolen (Hg.) 1987, 67f.
366
Die letzten 30.000 Häftlinge wurden - vor allem auf amerikanischen Druck - zwischen 1977 und 1979
freigelassen. Die Gefangenen wurden je nach dem Grad der Involvierung in den Putschversuch in drei
Kategorien eingeteilt (A, B und C). Diejenigen, die indirekt involviert waren (Kategorie B) wurden in
eine Gefangenenkolonie auf die weit entfernt liegende Insel Buru verfrachtet. All diese ehemaligen
politischen Gefangenen ("eks-Tapol") waren bis zum Ende der Neuen Ordnung zahlreichen Pressionen
ausgesetzt. So wurden vielen von ihnen Grundrechte aberkannt (Freizügigkeit, Wahlrecht, freie Berufswahl
etc.).
367
Siehe: Bourchier 1990.
368
Penembak misterius.
369
Gabungan anak-anak liar = "Gangs wilder Kinder".
370
Bourchier 1990, 179.
371
Bourchier 1990, 187. Eine gewisse Unklarheit und Unsicherheit entstand in der Bevölkerung, weil die
Führungsspitze in Jakarta zwar erklärte, dass es sich um Konflikte zwischen Gangs handelte, mit denen

204 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Das Kommando bediente sich der territorialen Truppen für die verschiedenen undercover-Aktionen.
Kopkamtib-Angehörige konnten Verhaftungen vornehmen,
Verhöre durchführen und Oppositionelle einsperren, ohne dabei an irgendwelche
Rechtsbestimmungen gebunden zu sein. Die Kodam-Kommandeure fungierten zugleich
als regionale Kopkamtib-Beauftragte 372 , deren Geheimdienstassistenten 373
gleichzeitig auch Kopkamtib-Assistenten 374 waren.
Da Ende der 80er Jahre die Gefahr einer kommunistischen Erhebung, die die Existenz
Kopkamtibs wesentlich begründete, auch nach Meinung vieler Generäle nicht
mehr gegeben war, aber vor allem als Teil der De-Benny-isasi-Strategie Suhartos
wurde dieses Kommando 1988 aufgelöst und durch Bakorstanas 375 , die "Koordinationsbehörde
für die Konsolidierung der Nationalen Stabilität", ersetzt. Bakorstanas
wurde dem Präsidenten direkt unterstellt und sollte als offiziell lediglich zivile Institution
angeblich nur Beratungsfunktionen erfüllen. 376 In der Zentrale (und in ähnlicher
Zusammensetzung in den Regionalbüros) arbeiteten die Chefs der Teilstreitkräfte,
Mitarbeiter des Generalstaatsanwalts sowie Vertreter des Geheimdienstes
Bakin und vom ABRI-Stab für soziopolitische Angelegenheiten zusammen. 377 So
wie zuvor Kopkamtib half Bakorstanas z.B. dem Arbeitsminister bei der Niederschlagung
von Streiks und dem Informationsminister bei der Einschüchterung sowie
Kontrolle von Journalisten. 378 Bakorstanas ging also ähnlich repressiv vor wie Kopkamtib,
wurde aber unmittelbar vom Präsidenten beaufsichtigt.
Opsus, Bakin, Bais, BIA, preman und Kopassus
In den ersten Jahren der Neuen Ordnung erwies sich Opsus unter der Leitung von
Ali Murtopo als eine wichtige Organisation für "Sonderoperationen" (Operasi Khusus).
379 Opsus war schon Anfang der 60er Jahre von großer Bedeutung bei der Wie-
das Militär nichts zu tun habe, Murdani aber einräumen musste, dass gleichzeitig militärische Operationen
gegen Kriminelle durchgeführt worden seien. Später gab Suharto in seiner Autobiographie offen zu,
dass die Erschießungen von der Regierung veranlasst worden waren. Die Petrus-Morde waren eventuell
ein Mittel, um bis in den Untergrund reichende Geheimdienstgeflechte zu zerschlagen (Vatikiotis 1993,
76).
372
Laksusda = pelaksana khusus daerah.
373
Asintel = Asisten intelijen.
374
Asintel Laksusda.
375
Badan Koordinasi Bantuan Pemantapan Stabilitas Nasional. Unter Murdani fand seit 1983 eine Professionalisierung
der Geheimdienste statt. Während Murtopo - insbesondere mit seinem Opsus-Apparat -
eher patrimoniale Strukturen der Personalisierung und Unberechenbarkeit gefördert hatte, forcierte Murdani
eine stärkere Integration von Kopkamtib und Bais in die hierarchische und stärker regulierte Militärstruktur,
wobei er selbst weiterhin die unumstrittene Nummer 1 blieb.
376
Lowry 1996, 61.
377
Vgl. van de Kok/van Langenberg 1989, 159f. Dazu Haseman: "Unlike Kopkamtib, the new agency
did not have a separate staff, but instead relied upon the operational chain of command for national
security matters [...]. The key organizations in the revised Bakorstanas system were the ten army Kodams
and the two intelligence agencies [...] Bakorstanas relied on the regular staffs of those organizations for
its manpower” (Haseman 1993, 335).
378
Vgl. Tanter 1990, 253ff.
379
Zur Murtopo-Gruppe siehe: Bourchier 1997, 187ff; Sundhaussen 1978, 64f.

Die Militärs 205
derherstellung normaler Beziehungen zu Malaysia. Zusammen mit Bakin bildete
Opsus das Zentrum des Geheimdienstapparates der Murtopo-Gruppe. Es wurde bei
der Annektierung von Irian Jaya, bei der Umstrukturierung der politischen Parteien,
beim "Management" der ersten Nationalen Wahlen (1971) und schließlich im Jahre
1975 bei der Ost-Timor-Invasion eingesetzt. Opsus verfügte über ein ausgedehntes
Netz von Unternehmen und sponserte das CSIS, dessen wichtigste Mitarbeiter eng
mit Murtopo zusammenarbeiteten. In dieser Phase der Neuen Ordnung wurden die
Geheimdienste noch für die Umstrukturierung des politischen Systems gebraucht,
während sie später vor allem die schon formierte Ordnung abzusichern hatten.
Murtopo war als Opsus-Chef gleichzeitig stellvertretender Leiter von Bakin 380 , dem
Nationalen Geheimdienst. Diese direkt dem Präsidenten unterstellte Geheimdienstorganisation,
die bis zum Aufbau von Bais 381 zusammen mit Opsus "black operations"
durchführte, galt als zivile Organisation, wurde aber in Wirklichkeit von Militärs
geführt. Bakin wurde 1968 gegründet und stand 1974 bis 1989 unter der Führung
des Suharto-Vertrauten Yoga Sugama. In den 80er Jahren musste Bakin unter
dem Einfluss von Murdani einige Kompetenzen für inländische Operationen an Bais
abgeben.
Nach dem Tode Ali Murtopos wurde Opsus 1984 aufgelöst, und der Strategische
Geheimdienst Bais füllte das Machtvakuum aus. Bais war ein 1983 von Benny Murdani
gegründeter, ihm als Kommandeur der Streitkräfte unterstellter Geheimdienst,
der eng mit dem ABRI-Stab, Bakin, Kopkamtib, dem Generaldirektor für soziopolitische
Angelegenheiten im Innenministerium und dem Generalstaatsanwalt zusammenarbeitete.
Bais stand an der Spitze der Geheimdienste der Teilstreitkräfte, wurde
bis zu den Kodim von Assistenten, darunter von den zuständigen Koramil-
Offizieren und in den Dörfern von den babinsa und dem zivilen Verteidigungspersonal
(Hansip) 382 vertreten. Tanter beschreibt die dichte Kontrolle, die mithilfe dieses
Apparates bis in die Dörfer hinein ausgeübt werden konnte:
"When this structure is further linked to the local Civil Defence [Hansip] personnel on the
streets, and the village-based organisation and the nation-wide system of rukun warga,
rukun tetangga and rukun kampung (neighbourhood associations in towns and villages),
an extraordinarily close mesh of control is in place [...]." 383
1994 wurde Bais durch BIA 384 abgelöst. BIA wurde dem Stabschef der Streitkräfte
unterstellt und beschäftigte sich mit der Sammlung von Informationen auch über
ausländische Organisationen. Suharto erreichte mit dieser institutionellen Neuordnung
eine Machtschwächung der Murdani-Gruppe.
Dieses hochkomplexe, für den ausländischen Beobachter wie für die meisten Indonesier
verwirrende Institutionengeflecht wurde noch undurchsichtiger durch die Zu-
380 Badan Koordinasi Intelijen Negara.
381 Badan Intelijen Strategis.
382 Pertahanan sipil.
383 Tanter 1990, 225.
384 Badan Intelijen ABRI = ABRI-Geheimdienst.

206 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
sammenarbeit mit Kriminellen und durch die quasigeheimdienstlichen Tätigkeiten
von "regulären" Truppen.
In Indonesiens Neuer Ordnung verschwammen die Grenzen, die in westlichen Ländern
relativ deutlich Staat und Gesellschaft, Legalität und Illegalität sowie Legislative,
Jurisdiktion und Exekutive voneinander trennen. Der Geheimdienst agierte nicht
nur undercover, sondern auch ohne rechtlich kontrollierbar zu sein. Das organisierte
Verbrechen in den indonesischen Städten kooperierte mit dem Militär, zu dem auch
die Polizei als eine der vier Teilstreitkräfte gehörte, oder war mit dem Militär identisch.
Der Begriff preman z.B. bezeichnete ursprünglich den Soldaten in Zivilkleidung,
später wurde diese Bedeutung jedoch zusehends verdrängt. 385 Zuletzt verstand
man darunter i.d.R. Gangster, die Märkte, Busbahnhöfe, Bordelle, Spielhallen etc.
kontrollierten und dabei oft stille Koalitionen mit den örtlichen Militärmachthabern
eingingen. Diese preman wurden immer wieder auch bei Maßnahmen zur Einschüchterung
und Ermordung von Oppositionellen engagiert, wenn der Einsatz von
Soldaten unpassend zu sein schien. Die Erstürmung der PDI-Parteizentrale am
27.7.1996 fand unter Teilnahme von preman und ihren Leuten statt. 386 Diese Form
von politischem "Premanismus" wurde u.a. auch von der Golkar-Jugendorganisation
Pemuda Pancasila betrieben. 387
Mit den gedungenen Kriminellen arbeitete auch das Sondereinsatzkommando Kopassus
388 , in dem u.a. Edi Sudrajat, Feisal Tanjung, Wismoyo Arismunandar und
Prabowo gedient haben. Kopassus war zwar offiziell kein Geheimdienst, hat aber im
Rahmen des counterinsurgency-Konzeptes ähnliche operative Aufgaben übernommen.
389 Das Kommando war von Beginn an in die Kämpfe und die geheimdienstlichen
Operationen in Ost-Timor involviert. Die Einheit beteiligte sich an der Ermordung
von Fretilin-Führer Lobato und an der Gefangennahme von Gusmão sowie an
den brutalen Aktionen gegen die Befreiungsbewegung in Aceh in den Jahren 1976-
78 und vor allem 1989-91. In Ost-Timor vermengten sich geheimdienstliche und
militärische Aktionen besonders deutlich. Bais und dann BIA sowie Kopassus beteiligten
sich an verschiedenen Operationen, ohne dass selbst die regulären Truppen in
Ost-Timor immer informiert gewesen waren. Es spricht einiges dafür, dass die Einsätze
nicht immer zwischen dem zentralen und dem regionalen Kommando sowie
zwischen den territorialen und den Sondertruppen bzw. Geheimdiensten abgesprochen
waren. 390
385
Inside Indonesia Jan.-März 1998, 4f.
386
Ein Beispiel der unvergleichlichen Ironie von Gewaltherrschaften ist der Fall des preman Seno Bella
Eymus, der im Mai 1997 im Namen seiner 49 Mitstreiter den PDI-Vorsitzenden Suryadi verklagte. Er
verlangte die Auszahlung der von Suryadi versprochenen 200 Mio. Rp. für die Erstürmung der PDI-
Parteizentrale. Das Gericht nahm den Fall an, entschied aber letztlich gegen den Kläger (Inside Indonesia
Jan.-März 1998, 4f).
387
Vgl. dazu: Ryter 1998.
388
Komando Pasukan Khusus.
389
Vgl. Wandelt (1999, 32): "[...] counterinsurgency warfare [...] ist ein totaler Krieg, der den Feind
verdeckt überall in der Bevölkerung vermutet."
390
Lowry 1996, 160f und Kammen 1999. Möglicherweise hat Oberstleutnant Prabowo Subianto, der
Schwiegersohn Suhartos, die Aktion durchführen lassen, um die in der Ost-Timor-Frage auf Diplomatie

Die Militärs 207
Der Geheimdienstapparat und seit den 90er Jahren zunehmend Eliteeinheiten wie
Kopassus dehnten den Willkür- oder Maßnahmenstaat à la Fraenkel 391 in sämtliche
gesellschaftlichen Bereiche hinein aus. Im Regelfall ließen sich auf diese Weise in
effizienter Form Oppositionelle bekämpfen, es konnten aber auch kaum kontrollierbare
Subzentren entstehen. Die Aktionen von Prabowo Subianto im Jahre 1998
zeigten das.
Faktionen innerhalb ABRIs: die Entwicklung bis Ende der 80er Jahre
In der indonesischen Armee dominierten nach Erlangung der Unabhängigkeit die
Offiziere der so genannten 45er-Generation, die sich im Kampf gegen die niederländischen
Kolonialherren bewährt hatten und schon in relativ jungen Jahren in verantwortungsvolle
Positionen gelangt waren. 1983 wurde ein erheblicher Teil dieser
Generation durch Offiziere abgelöst, die Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre
an Akademien ausgebildet worden waren. Vom Dezember 1982 bis zum Mai 1983
wurden insgesamt über 120 Generäle ausgetauscht, darunter der gesamte Generalstab
des Heeres, alle 16 Kodam-Kommandeure, 3 der 4 Kowilhan-Kommandeure, 4
Kostrad-Generäle sowie die Kommandeure der Militärakademien, Stabsschulen und
Ausbildungszentren. 392 Die "Brückengeneration" (generasi jembatan), das waren die
1950-59 zu Offizieren ernannten Akademieabsolventen (z.B. Murdani und Rudini),
rückte vor allem ins Verteidigungsministerium vor. Die junge Generation (generasi
muda), das sind die Absolventen der mitteljavanischen Magelang-Militärakademie
(ab 1966: Akabri393 ), stieß seit 1960 zu dem Offizierskorps und stellte nach 1982/83
die meisten Kodam-Kommandeure. 394
Schon zu Beginn der Neuen Ordnung bemühte sich Suharto, die drei wichtigsten
javanischen Divisionen Siliwangi, Diponegoro und Brawijaya bei der Besetzung von
Führungspositionen gleichermaßen zu berücksichtigen. 395 Seit Anfang der 80er Jahre
und Annäherung setzende Militärfraktion auszubooten. Das Massaker wurde von Soldaten begangen, die
wahrscheinlich nicht in Ost-Timor stationiert waren, sondern extra eingeflogen wurden. Außerdem gab es
keinen unmittelbaren Anlass - keine Notwehrsituation und keine Krawalle - der die Aktion, folgt man der
Logik des indonesischen Militärs, verständlich gemacht hätte. Eventuell hat Suharto sogar den gesamten
Ablauf, von den Erschießungen bis zur Blamage der Militärführung durch die Untersuchungsergebnisse,
inszeniert.
391 Im Gegensatz zum einigermaßen berechenbaren "Normenstaat" (Fraenkel 1974). Der normenstaatliche
Bereich war sehr klein, weil selbst der im Dritten Reich vor Willkürmaßnahmen relativ geschützte Bereich
des Handels- und Privatrechts durch die allgegenwärtige Korruption ausgehöhlt wurde.
392 Haseman 1986, 891ff.
393 Akademi Angkatan Bersenjata Republik Indonesia.
394 Dabei zeigte sich, dass vor allem die an dem P3AD (Pusat Pendidikan Perwira Angkatan Darat =
Offiziersausbildungszentrum des Heeres) in Bandung geschulten Kadetten, aber auch die Absolventen der
niederländischen Militärakademie von Breda und der von Magelang (Absolventen ab 1960) bei der
Ämterneubesetzung im Vorteil waren. Die ehemaligen Schüler der Akademie von Yogyakarta (1945-49)
hingegen gingen leer aus. In den 50er Jahren waren bis auf einen Jahrgang in Breda und wenigen Soldaten
beim P3AD keine Offiziere ausgebildet worden (Indonesia 36/83, 101ff).
395 1978 hatten jeweils 23%, 15,5% bzw. 13% der höheren Offiziere Verbindungen zu diesen Divisionen
(1982: 24%, 14%, 14%) (Indonesia 33/1982, 130).

208 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
wurden Bindungen an Divisionen im Zuge des Generationenwechsels zusehends
von Loyalitäten gegenüber der jeweiligen Abschlussklasse der Militärakademie in
Magelang ersetzt. Zum Beispiel waren die Klassen 1-3 (1960-62) am stärksten mit
Murdani verbunden, während die Klasse 4 (1963) informell von Heeresstabschef
Wismoyo angeführt wurde. 396 Die Klassen 1 und 2 setzten sich vor allem an Militärschulen
und im Stabsdienst durch, die Klassen 3 und 6 dominierten die Kodam, und
die Klasse 4 war in den Eliteeinheiten stark vertreten, während die Klasse 5 unterrepräsentiert
war. 397 Dennoch stellten die Siliwangi- und die Brawijaya-Division noch
immer viele Kommandeure auf den Außeninseln, während die Diponegoro-Offiziere
weiterhin besonders stark im Zentrum, also im Verteidigungsministerium und im
Hauptquartier, vertreten waren. Auf den Außeninseln taten nur sehr selten Einheimische
(putra-putra daerah) in führender Position Dienst. Insbesondere in den unruhigen
(rawan) Gebieten wie Irian Jaya, Ost-Timor, Aceh und Lampung kommandierten
fast ausschließlich Javaner.
Die Kriterien für eine erfolgreiche Laufbahn wandelten sich seit dem Bestehen der
indonesischen Armee. Die 45er-Generation definierte sich über den Kampf und
identifizierte sich, da in der Revolutionsphase die Bindung an die Region besonders
wichtig war, sehr stark mit der eigenen Einheit (Siliwangi, Diponegoro, Brawijaya,
Bukit Barisan etc.). Die junge Generation hingegen musste sich vor allem an den
Akademien bewähren, wenngleich ein Einsatz bei der Eliteeinheit Kopassus für die
militärische Karriere sehr hilfreich war. Die neue Generation seit Anfang der 80er
Jahre hatte zudem einen anderen sozialen und Erfahrungshintergrund als die Generationen
zuvor:
"Most came from middle-class backgrounds, although farmers as well as the wealthy urban
class were well represented too. Sons of ABRI personnel made up a large number, but
far less than a majority, of Akabri classes." 398
Der Konflikt zwischen den politisierten, kampferprobten Unabhängigkeitskämpfern
und den professionell ausgebildeten, nur z.T. in Ost-Timor eingesetzten Akademieabsolventen
war seit Ende der 80er Jahre nicht mehr von Bedeutung.
Neben den innermilitärischen Konflikten, die sich aus der internen funktionalen
Differenzierung und aus der Generationenfolge ergaben, kam es zu Auseinandersetzungen
aufgrund unterschiedlicher Interpretationen der militärischen Doktrin. Bei
der Malari-Affäre 1974 war es der beschriebene Konflikt zwischen der Sumitro- und
396 Die Karrierechancen der Akabri-Absolventen verschlechterten sich. Die Angehörigen der Klasse 3
wurden mit durchschnittlich 45,7 Jahren Korem-Kommandeure, die der Klasse 7 aber erst mit durchschnittlich
48,2 Jahren. Die Tatsache, dass allein 73% der Klasse 3 zu Generälen oder Obersten aufstiegen,
lässt erahnen, wie stark die Identifikation mit dem Militär gewesen sein muss (Indonesia 56/93,
121).
397 Indonesia 53/1992, 95. Wie sehr man in der militärischen Führung die Bindungen der Klassenkameraden
beachtet, verdeutlicht die Besetzung des nach dem Dili-Massakers 1991 eingesetzten 9-köpfigen
Gremiums, das die Vorfälle zu untersuchen hatte. Keines der Mitglieder gehörte zur Abschlussklasse des
hauptverantwortlichen Kodam-9-Kommandeurs Panjaitan (Indonesia 53/1992, 99).
398 Haseman 1993, 311.

Die Militärs 209
der Murtopo-Gruppe. Auch Ende der 70er Jahre bildeten sich zwei Strömungen in
der Armee mit jeweils unterschiedlichen, wenngleich keinesfalls diametral entgegengesetzten
Politikauffassungen. Die einen waren der Meinung, dass ABRI über
den politischen Gruppen stehen solle, die anderen unter der Führung von Suharto
meinten, ABRI solle Teil der "Großen Golkar-Familie" bleiben. Suharto reagierte
auf die Kritik der "Abweichler" mit der Ersetzung des gemäßigt kritischen Widodo
durch den loyalen und wenig charismatischen Poniman und mit der Ablösung von
Yusuf 399 durch Benny Murdani im Jahre 1983.
ABRI in den 90er Jahren
Ende der 80er Jahre kam es zum Konflikt zwischen Murdani und Suharto. Murdani
weigerte sich, Suhartos Kinder bei ihren Geschäften zu unterstützen. 400 1987 soll er
sogar insgeheim die PDI im Wahlkampf unterstützt haben, und nach 1988 ermutigte
er eine ABRI-Reformgruppe im Parlament, die keterbukaan-Debatte zu beleben
(vgl. Abschnitt 4.3). 401 Im Februar 1988 wurde er vor Ablauf der normalen Amtszeit
als ABRI-Kommandeur von seinem Amt entbunden und erst einige Wochen später
auf die relativ unbedeutende Position des Verteidigungsministers abgeschoben. 402
Suharto wollte ABRI auch von den Murdani-nahen Offizieren "reinigen". Diese
Strategie, die man inoffiziell als "De-Benny-isasi" bezeichnete, wurde durch eine
Umstrukturierung der Geheimdienste begleitet: Kopkamtib wurde im Jahre 1988
durch das Suharto nun direkt unterstellte Bakorstanas und Bais wenige Jahre später
durch BIA ersetzt. Und seit 1988 stiegen Feisal Tanjung403 , Hartono404 , Sofyan Effendi,
Syarwan Hamid u.a. auf, nachdem Try Sutrisno405 Murdani als ABRI-
Kommandeur abgelöst hatte.
399
Yusuf, Mohammad: geboren 1928 in Bone Selatan, Südsulawesi, Makassarese, Sohn eines Rajas,
orthodoxer Muslim, 1959-65 Kodam-Kommandeur in Südsulawesi (1961/62 war Suhartos Mandala-
Kommando in Makassar stationiert), 1966 einer der drei Supersemar-Generäle, 1966 unter Sukarno
Minister für Basisindustrien, 1966-78 Industrieminister, 1978-83 Verteidigungsminister/Pangab, forderte
Ende der 70er Jahre, dass ABRI über der Politik bzw. den Parteien stehen solle, 1983-93 BPK- Vorsitzender.
400
Said 1998, 540.
401
Es gibt zahlreiche andere Beispiele dafür, dass Militärs Oppositionelle unterstützten. Im Konflikt um
den Bau des Kedung-Ombo-Staudammes (vgl. Abschnitt 4.7) soll ein Abgesandter von Benny Murdani
den protestierenden Studenten Geld geboten haben. Außerdem haben Militärs in diesem Fall, aber auch
bei anderen Gelegenheiten die Demonstrierenden gewähren lassen (Aditjondro 1998, 44; Aspinall 1995).
402
Einiges deutet darauf hin, dass der Konflikt auch dadurch ausgelöst wurde, dass einige Monopole im
Transportbereich oder in der Forstwirtschaft an cukong oder an die Suharto-Familie gingen (Aspinall
1995, 23).
403
Tanjung, Feisal: geboren 1939 in Tarutung, Nordsumatra, AMN 1961, 1962-71 RPKAD, Murdani-
Gruppe, 1985-88 Kommandeur des Kodam Tanjungpura, Chef der Seskoad (1988-92), 1992 Heeresstabschef,
Kommandeur von ABRI Mai 1993 bis Februar 1998.
404
Hartono: geboren 1941 in Pameksan, Madura, AMN 1962, Fort Leavenworth 1976, Adjutant von
Suharto, später Lemhannas-Gouverneur.
405
Sutrisno, Try: geboren 1935 in Surabaya, pesantren-Hintergrund, Sohn eines kleinen Beamten, Ingenieur
1960 (Militär-Ingenieursakademie), 1974-78 Adjutant von Suharto, 1978/79 Udayana-Stabschef,
Kommandeur in Sumatra und in Jakarta, stellvertretender Heeresstabschef 1985, Stabschef 1987, März

210 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Der Machtkampf zwischen dem Präsidenten und den Militärs trieb hin und wieder
seltsame Blüten: Zu denken ist an die Bloßstellung Sudharmonos bei der Vizepräsidentenwahl
1988, an die Kampagne gegen Sudharmono im Anschluss an diese Wahl
und an die ausgerechnet von Murdani geförderte keterbukaan-Debatte seit 1989. Im
Gegenzug stellte Suharto im November 1990 die dwifungsi ein wenig - und wie
immer in indirekter Form - in Frage, als er darauf verwies, dass ABRI die Gesellschaft
eher patriarchal führen solle (er bezog sich auf das schon angesprochene tut
wuri handayani-Konzept). 406 Und im Anschluss an das Dili-Massaker (1991) ließ
Suharto mehrere, allenfalls indirekt involvierte Murdani-nahe Offiziere von Militärgerichten
verurteilen - ein in der Neuen Ordnung einmaliger Vorgang, der von vielen
als Versuch gedeutet wurde, Murdani bloßzustellen. Dieser Vorgang zeigte auch,
dass Suharto sich nicht mehr bedingungslos hinter ABRI stellte.
ABRI hielt sich daraufhin bei den Wahlen 1992 zurück und ließ es sogar zu, dass
sich Generäle a.D. auf die Seite der PDI schlugen. Außerdem setzte das Militär -
nachdem Harsudiono Hartas die Nominierung in ganz unüblicher Form schon im
Vorfeld bekannt gegeben hatte - im Jahre 1993 Try Sutrisno als neuen Vizepräsidenten
durch.
Anfang der 90er Jahre war das Verhältnis von Suharto zu ABRI also auf eine neue
Grundlage gestellt. Crouch schreibt:
"The gap between Soeharto and his generals now means that one can hardly speak of Indonesia
as being ruled by a military regime. The government is no longer dominated by
the military as an institution although the armed forces of course continue to wield substantial
influence and remain the regime's principal backer. But the government and the
military are now distinct entities in a way that they were not a decade ago. While retired
military officers are still prominent in the government, they serve less as representatives
of ABRI than as appointees of Soeharto." 407
Außerdem gab es nun vermehrt Unstimmigkeiten im Offizierskorps. Das Dili-
Massaker war der "[...] turning point in officer sensibility [...]" 408 , und die indonesische
Armee musste vorsichtiger bei der Repression oppositioneller Bewegungen
vorgehen:
"Force majeure, lethal weapons and shoot-to-kill orders were replaced by attempts at persuasion,
rubber bullets, tear gas and other non-lethal weapons designed for crowd control."
409
1988 bis Februar 1992 ABRI-Kommandeur, 1993 bis 1998 Vizepräsident. Nach dem Dili-Massaker gab
er uneinsichtige und ungeschickte Erklärungen ("diese rohen Leute mussten erschossen werden") ab. Er
galt als wenig diplomatisch und ungeeignet für höhere politische Ämter. Er verfügte über keine starke
Machtbasis im Militär, da er weder Infantrist, Geheimdienstler noch Angehöriger der Eliteeinheiten
gewesen war.
406
Zum Machtkampf zwischen ABRI und Suharto und zu Fragen der ABRI-Ideologie in den 90er Jahren:
Honna 1999.
407
Crouch 192, 54.
408
Liddle 1999, 106.
409
Liddle 1999, 107.

Die Militärs 211
Gleichzeitig forderte Suharto aber weiterhin ein entschlossenes Eingreifen. Der sich
abzeichnende Dualismus ABRI-Suharto, der u.a. zur ICMI-Gründung führte 410 , lässt
sich auch an den neuen Strategien ablesen, mit denen Suharto die ABRI-Führung
unter Kontrolle bringen wollte. In den 90er Jahren:
a) setzte er immer mehr auf Verwandte und auf ehemalige persönliche Adjutanten,
b) erhöhte er die "Umschlaggeschwindigkeit" bei höheren Offizieren wesentlich,
und
c) förderte er eine "Santrinisierung" der ABRI-Führung.
Zu a) Wismoyo Arismunandar 411 war 1966-68 Kommandeur der Präsidentengarde
und danach Adjutant Suhartos. Obwohl er nicht als glänzender Offizier aufgefallen
war, konnte er eine Blitzkarriere machen, vor allem wohl, weil er die jüngere
Schwester von Frau "Tien" Suharto geheiratet hatte. Wismoyo wurde bereits 1993
Heeresstabschef, also die Nummer 2 in der Militärhierarchie. 1995 wurde er aber
überraschend wegen kritischer Äußerungen in diesem Amt abgelöst und danach mit
unbedeutenden Aufgaben in einem nationalen Sportverband abgespeist. 412
Ein anderer Verwandter Suhartos, der in kurzer Zeit in höchste Ämter aufsteigen
konnte, war sein Schwiegersohn Prabowo Subianto, der lange als wahrscheinlicher
Kandidat für das Amt des ABRI-Kommandeurs galt. Prabowo ist ein Sohn von Prof.
Sumitro Joyohadikusumo, einem der prominentesten Ökonomen der Neuen Ordnung,
der zur Gruppe der Technokraten gerechnet wird. Prabowo wuchs in Malaysia,
Großbritannien und den USA auf und spricht mehrere Sprachen. 1974 schloss er
die Militärakademie AMN ab. Zu vielen anderen Absolventen dieses Jahrganges soll
er ein dichtes Netzwerk von Beziehungen geknüpft haben. 413 Er wurde u.a. in den
USA und in Deutschland (GSG 9) weiter ausgebildet und hatte in seiner Heimat
viele "dirty jobs" zu übernehmen. 414 Er kam in Aceh und viele Jahre in Ost-Timor
zum Einsatz, soll drei Fretilin-Führer (Nicolao Lobato, Guido Soares und Somoxta)
überwältigt haben und am Dili-Massaker beteiligt gewesen sein. In Ost-Timor soll er
zudem selbst an Folterungen teilgenommen und Gefangenen eigenhändig die Knochen
gebrochen haben. 415 Als Kommandeur von Kopassus war er mitverantwortlich
410
Ramage meinte sogar eine scharfe Polarisierung zwischen ABRI und ICMI erkennen zu können. Viele
hohe Offiziere nahmen ICMI als Gefahr für die politische Stabilität in Indonesien und für ihre eigene
Machtstellung wahr (Ramage 1995, 139).
411
Arismunandar, Wismoyo: geboren in Bondowoso, Mitteljava, niederer javanischer Adel, AMN 1963,
Seskoad Bandung, Kommandeur in Mitteljava, Irian Jaya sowie Bali (inkl. Ost-Timor), Kostrad-
Kommandeur 1990.
412
Wismoyo hatte gesagt, dass er für den Rücktritt Suhartos stimmen werde, wenn das Volk es wünsche.
Außerdem war ihm sein eigenwilliges Verhalten vorgehalten worden. So sollen seine Anhänger zum
Zeichen ihrer Gefolgschaft ihre Armbanduhren rechts getragen haben.
413
Siehe: Current Data on the Indonesian Military Elite: October 1, 1995-December 31, 1997; in: Indonesia
65/1998, S.179-194.
414
Das allerdings war eher ein Hinweis darauf, dass Suharto ihn nicht zu mächtig werden lassen wollte.
415 Cox/Carey 1995, 49.

212 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
u.a. für den Crackdown am 27. Juli 416 und für eine Geiselbefreiung in Irian Jaya.
Seine Karriere wurde auch dadurch gefördert, dass er eigenes Geld für Militäroperationen
einsetzen konnte. 417 1998 wurde er Kommandeur von Kostrad, bevor ihn
Habibie (und wohl auch Wiranto) entmachteten. Wäre Suharto noch - wie es vielleicht
von ihm beabsichtigt war - zwei bis drei Jahre im Amt geblieben, hätte Prabowo
als ABRI-Kommandeur seinen Rückzug absichern können.
Suharto konnte sich aber nicht ausschließlich auf Verwandte verlassen. Früher rekrutierte
er Offiziere, die er selbst seit langem gekannt hatte. In den 80er und 90er
Jahren setzte er immer mehr auf ehemalige persönliche Adjutanten, die ihre bedingungslose
Loyalität bewiesen hatten. Ein Adjutant des Präsidenten konnte, wenn er
sich bewährt hatte, mit einer schnellen Karriere rechnen. Er wurde nicht nur mit dem
Innenleben des Palastes vertraut gemacht, sondern nahm an Treffen mit Ministern
und Präsidentenberatern teil und wurde so auf höhere Aufgaben vorbereitet. Als
Beispiele seien genannt: Wiranto, Dibyo Widodo, Try Sutrisno, Hartono und der
1996 gefeuerte Suyono.
Zu b) Während Mitte der 80er Jahre Kodam-Kommandeure ihre Position noch
durchschnittlich 2 1/2 Jahre innehatten, schmolz diese Amtszeit Mitte der 90er Jahre
auf 16 Monate zusammen. 418 In einigen Fällen wurden Kodam-Kommandeure schon
nach wenigen Monaten versetzt, obwohl sie sich gerade erst mit ihrer neuen Funktion
vertraut gemacht hatten. Eine Ursache für diese erhöhte "Umschlaggeschwindigkeit"
höherer Offiziere lag in der hohen Anzahl von Absolventen der Militärakademie
insbesondere von 1970 bis 1975 (durchschnittlich jährlich weit über 300). 419
Im April und August 1993, im Januar und August 1994, fünfmal im Jahre 1995 und
sechsmal im Jahre 1996, ebenfalls mehrfach in den Jahren 1997 und 1998 wurden
groß angelegte Umbesetzungen in den Streitkräften vorgenommen. Die nachrückenden
höchsten Offiziere hatten die Militärakademie in den frühen 70er Jahren verlassen,
waren fast ohne Ausnahme einige Jahre im Umfeld des Präsidenten tätig gewesen
und hatten in dieser Zeit ihre unbedingte Loyalität unter Beweis gestellt. Der
dauernde und selbst für den interessierten Beobachter verwirrende ständige Wechsel
der Führungspositionen verhinderte die Entstehung von mächtigen Seilschaften in
den Streitkräften. Eine Murtopo- oder Murdani-Gruppe konnte sich in den 90er
Jahren nicht mehr bilden. Suharto konnte sogar den Heeresstabschef (Kasad) und
den ABRI-Kommandeur bei Bedarf auswechseln. Unter anderem deshalb vertritt
416 Verantwortlich für den Jakarta-Crackdown im Juli 1996 waren Kopassus-Kommandeur Prabowo und
der Militärkommandeur von Jakarta Sutiyoso. Andere führende Militärs sind offensichtlich von Suharto
umgangen worden. Generalstabschef Suyono wurde später in den Ruhestand versetzt (TB Okt. 1996).
417 Sein Bruder Hashim und seine Frau Siti Hediyati waren Großunternehmer.
418 Eine ähnliche Entwicklung gab es bei Korem-Kommandeuren. Vgl.: The Editors: ”The Indonesian
Military in the Mid-1990s: Political Manoeuvering or Structural Change?”, in: Indonesia 63, 1997; S.92-
105.
419 Ibidem, 94.

Die Militärs 213
Salim Said 420 die Ansicht, dass die Streitkräfte bis zuletzt seiner Befehlsgewalt nahezu
uneingeschränkt unterstanden.
Zu c) In den letzten Jahren der Neuen Ordnung war eine santrinisasi, also eine
Stärkung der strenggläubigen Muslime, in den Streitkräften zu beobachten. Zuvor,
bis weit in die 80er Jahre hinein, bediente sich Suharto häufig christlicher Offiziere
wie Panggabean, Sudomo 421 oder Benny Murdani. In dieser Zeit waren die Beziehungen
zwischen den Muslimen und dem Militär angespannt. Das Christentum galt
nicht nur als die Religion der verhassten cukong, sondern auch vieler Falken im
Militär, und die meisten islamischen Offiziere betrachteten sich wie z.B. Ali Murtopo
als abangan.
Der Aufstieg der santri, die Islamisierung des Militärs, wurde von einigen Experten
als Ausgangspunkt eines Gegensatzes im Militär gedeutet, nämlich zwischen ABRIhijau
(den "grünen", den strenggläubigen Offizieren, benannt nach der Farbe des
Islam) und ABRI-merah putih (den "rot-weißen", den nationalistischen oder an der
Pancasila orientierten Offizieren, benannt nach den Farben der indonesischen Fahne).
Feisal Tanjung und Hartono (aber auch Try Sutrisno und Syarwan Hamid) repräsentierten
die golongan hijau (die "grüne Gruppe"), während Edi Sudrajat 422 und
andere (etwa Wismoyo) die golongan merah putih (die "rot-weiße Gruppe") bildeten.
Feisal Tanjung, der bis zum Februar 1998 ABRI-Kommandeur blieb und dann
von Wiranto abgelöst wurde, war mit Habibie befreundet, galt als strenggläubiger
Muslim, aber zugleich nicht als military politician, sondern als effizienzbedachter
Stabsoffizier. Er war seit März und wiederum seit Mai 1998 Koordinierungsminister
für Politik und Sicherheit. Er soll erst seit einigen Jahren orthodoxer Muslim gewesen
sein 423 und war deshalb auch hin und wieder zur merah putih-Gruppe gezählt
worden. Hartono wurde im Jahre 1995 Heeresstabschef und löste in dieser Funktion
Wismoyo Arismunandar ab. Auch Hartono galt als strenggläubiger Muslim. 1997
wurde er überraschend mitten in der Legislaturperiode zum Informationsminister
ernannt (bis März 1998), trat wenig später ICMI bei und war 1997/98 zudem Vorsitzender
eines MPR-Arbeitsgremiums. Im März 1998 amtierte er für zwei Monate als
Innenminister. Aufgrund seiner Nähe zu "Tutut" zählte man ihn 1997/98 zu den
mächtigsten Personen in Indonesien. 424
Spekulationen über diese internen Fraktionierungen wurden von den ABRI-Spitzen
regelmäßig als unbegründet zurückgewiesen. Sie waren aber nicht aus der Luft ge-
420
Said 1998.
421
Sudomo war im August 1997 zum Islam konvertiert, nachdem er zuvor mehr als drei Jahrzehnte als
Christ Karriere gemacht hatte.
422
Sudrajat, Edi: geboren 1938 in Jambi, Sundanese, AMN 1960, Einsatz in Ost-Timor, Kopassandha,
1993 ABRI-Kommandeur, 1993 zwei Monate lang gleichzeitig Heeresstabschef, Verteidigungsminister
(1993-98), enge Beziehung zu Murdani, kritische Haltung zu ICMI, forderte 1990 vorsichtig politische
Öffnung, unterstützte angeblich indirekt 1994 Abdurrahman Wahid bei NU-Kongress.
423
Liddle 1995, 216.
424
1996 z.B. sagte er, dass jedes ABRI-Mitglied Golkar-Kader und an die Anweisungen "Mbak Tututs"
gebunden sei. 1994 versuchte er im Gegensatz zu Offizieren, die Edi Sudrajat und Murdiono nahe standen,
A. Wahid aus dem Amt zu drängen.

214 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
griffen, wenn man bedenkt, dass bei der Regelung der Nachfolgefrage diejenigen,
die auf Habibie setzten, die Nähe zu den hohen Offizieren des ABRI hijau-Flügels
suchten.
Diese Anmerkungen sollen andeutungsweise zeigen, wie komplex sich die Beziehungen
zwischen einzelnen Personen an der Spitze der Regimekoalition gestalteten.
Bei den meisten hohen Offizieren war eine eindeutige Zuordnung zu bestimmten
Klientelnetzwerken kaum möglich. Außerdem war die Loyalität zu Suharto stärker
als die Loyalität zu allen anderen Personen. Deshalb gab es keine deutlich voneinander
abgegrenzten Faktionen oder Fraktionen in den Streitkräften. Vielmehr handelte
es sich um ein selbst für die beteiligten Akteure letztlich unentwirrbares Knäuel
von persönlichen Bindungen zu höherrangigen Offizieren und anderen Angehörigen
der Regimekoalition, zu bestimmten Truppeneinheiten und zu den jeweiligen
Jahrgangsklassen. Unterschiedliche religiöse und politische Auffassungen ergaben
sich z.T. durch die Zugehörigkeit zu bestimmten Klientelnetzwerken (bei Bedarf
konnte man z.B. seine Religiosität stärker herausstellen), z.T. dürften aber auch
schon vorhandene Auffassungen den Zugang zu solchen Netzwerken erleichtert
haben. Es war nicht immer klar, wann es sich bei solchen Konflikten um ideologische,
taktische und auf Patron-Klient-Beziehungen bezogene Auseinandersetzungen
oder um den Konflikt zwischen Geheimdienstlern, Stabsoffizieren und Kommandeuren
von Kampftruppen handelte.
Der Gegensatz zwischen ABRI-hijau und ABRI-merah-putih war also nicht primär
ein religiöser Gegensatz, sondern ein Machtkampf zwischen verschiedenen Patron-
Klient-Netzwerken in der Regimekoalition. Bob Lowry hat die Interessenunterschiede
zwischen einzelnen Gruppen im Militär so zusammengefasst:
"The Indonesian officer corps is sometimes defined according to patronage links, divisional
allegiances, military classes, professional orientation, religious affiliations, and
ethnicity. None of these, in themselves, are of much utility because interests and loyalties
change with time and circumstance." 425
Und er fährt fort:
"Rather than explore these imponderables, differences of interest can be explored in relation
to concrete issues like the succession and political transition. The officer corps both
active and retired is split on the succession issue." 426
Lowry ist in dieser Einschätzung zuzustimmen. Die Konflikte in der Armee beruhten
weniger auf unterschiedlichen Politikauffassungen als auf dem Kampf um die
Gunst Suhartos und die einträglichsten Pfründen. Die Akabri-Absolventen kamen
zuletzt meistens aus der Mittel- und Oberklasse, hatten u.U. in Ost-Timor, Aceh
425 Bob Lowry in: Inside Indonesia Jan.-März 1998, 7.
426 Ebenda.

Die Militärs 215
oder Irian Jaya gekämpft und waren in der Regel sehr gut ausgebildet. 427 Über dieses
Offizierskorps gibt es nur relativ wenige Informationen. Man kann lediglich mutmaßen,
dass vieler dieser Offiziere nur aufgrund guter Beziehungen und/oder durch
Bestechung einen der begehrten Plätze an der Militärakademie erhielten. Die weitere
Beförderung hing ebenfalls wesentlich von entsprechenden Zahlungen und von
Beziehungen zu höheren Offizieren ab. Abweichungen von der politischen Linie
oder vom militärischen Verhaltenskodex wurden mit Nichtbeförderung bestraft.
Daraus lässt sich schließen, dass die hohen Offiziere - anders als etwa die Mannschaften
- die politischen Doktrinen der Neuen Ordnung mit einer gewissen Überzeugung
vertraten.
Anders als noch in den 80er Jahren definierte sich ABRI zusehends auch als Demokratisierer
und versuchte auf diese Weise, den Kritikern den Wind aus den Segeln zu
nehmen. Mit "Demokratie" war aber auch in der Armee die indonesische Pancasila-
Variante gemeint. Die junge Akabri-Generation machte nie klare Aussagen darüber,
welche einzelnen Maßnahmen auf dem Wege der Demokratisierung durchzuführen
wären. Es blieb bei vagen Andeutungen wie "Stärkung des Parlamentes und der
Parteien" oder "Steigerung der Professionalität". Inhaltlich war den Äußerungen der
hohen Offiziere also wenig zu entnehmen, gewandelt hatte sich aber deren Auftreten
und Haltung zu oppositionellen Gruppen. Die bekanntesten Generäle in den letzten
Jahren der Neuen Ordnung hatten nicht nur verschiedene Militärakademien, z.T.
auch im Ausland, durchlaufen, sondern zusätzlich akademische Grade als Studenten
mit Sonderstatus an den staatlichen Universitäten oder in Einjahreskursen an amerikanischen
Hochschulen erworben. Hohe Offiziere wie Susilo Bambang
Yudhoyono 428 , Makarim, Agum Gumelar, Hendropriyono 429 , Yunus Yosfiah 430 etc.
galten als aufgeschlossene Professionals, die mit wissenschaftlichen Denkweisen
vertraut waren und ihrerseits das Gespräch mit Intellektuellen suchten. 431 Im Gegensatz
dazu galten die Generäle der 45er-Generation als eher borniert, denn sie orien-
427 1994 bewarben sich 20.000 Indonesier um die 1.000 Akabri-Stellen. Unter denjenigen, die letztlich
von Akabri aufgenommen wurden, gehörten 5% zur Oberklasse, 35% zur oberen Mittelklasse und 60%
zur unteren Mittelklasse (Lowry 1996, 116 und 252).
428 Yudhoyono, Susilo Bambang: Schwiegersohn von Sarwo Edhie, Akabri 1973, Kostrad, Fort Benning
1976, Einsatz in Ost-Timor, MBA an der Webster Universität, Einsatz in Bosnien, Pangdam Sriwijaya,
seit 1998 Kassospol. Mehrere reformorientierte ABRI-Offiziere sind Sprösslinge ehemaliger Generäle. So
Agus Wijoyo, der Sohn von GM Sutoyo, der zu den sechs ermordeten Generälen beim Putschversuch
1965 gehörte, und Agus Wirahadikusumah, der Schwiegersohn des früheren Vizepräsidenten Umar
Wirahadikusumah.
429 Hendropriyono, Abdullah Mahmud: AMN 1967, verschiedene Positionen bei Kopassus, Einsatz in
Ost-Timor, Direktor des Direktorats A und später D bei Bais, als Korem-Kommandeur mutmaßlich
verantwortlich für das Massaker in Lampung ("Butcher of Lampung"), MBA in Manila, SH von der
Militärrechtsakademie, Kodam-Kommandeur in Jakarta (1993), 1994 versetzt (vielleicht wegen der
Demonstrationen von Ost-Timoresen), strenggläubiger Muslim, Nähe zu Try Sutrisno und zu Bambang
Trihatmojo, soll Megawati bei ihrer Wahl 1993 geholfen haben, seit März 1998 und wiederum seit Mai
1998 Minister für Transmigration.
430 Yosfiah, Yunus: 1965 AMN (Klasse 6), leitete 1975 eine Aktion in Ost-Timor bei der fünf australische
Journalisten umkamen, Kassospol (Suharto stimmte dieser Besetzung nur mit Verzögerung zu), ab Mai
1998 Informationsminister, eher ABRI-merah-putih.
431 Zu diesem neuen Offizierstypus: Gatra 25.11.1995.

216 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
tierten sich an wenig reflektierten Doktrinen der inneren Sicherheit und waren wohl
eher geneigt, jeglicher Form der Opposition repressiv zu begegnen. 432 Skeptiker
verwiesen allerdings auf die Rücksichtslosigkeit, mit der viele der o.g. Generäle, die
in Aceh, Irian Jaya oder Ost-Timor zum Einsatz gekommen waren, Befehle ausgeführt
oder erteilt hatten.
Das Offizierskorps war weitgehend geschlossen in der prinzipiellen Bewertung der
Neuen Ordnung. Die bis zu einem bestimmten Grad unterschiedlichen Haltungen
zur spezifischen dwifungsi-Implementierung führten ebenso wie die religiösen Unterschiede
zu keiner tiefreichenden Spaltung dieses Korps. Trotzdem gab es in den
Streitkräften erkennbar unterschiedliche Auffassungen über die Rolle des Militärs,
insbesondere über die Beziehung zu Golkar. 433 So entstand z.B. - von Edi Sudrajat
ausdrücklich begrüßt - Mitte der 90er Jahre eine "Stiftung für die Harmonie Nationaler
Brüderschaft", YKPK. 434 Zu ihr gehörten 68 ABRI-merah-putih nahe stehende
Persönlichkeiten, darunter ehemalige hohe Offiziere wie der Murdani-nahe Bambang
Triantoro, Kharis Suhud, Samsuddin (der in der keterbukaan-Debatte auf sich
aufmerksam gemacht hatte), Hasyim Wahid (der Bruder von Abdurrahman Wahid),
der angesehene, Megawati-nahe Ökonom Kwik Kian Gie, aber auch Golkar-
Mitglieder wie Jacob Tobing, Anton Pryatno, Didiet Haryadi und Agus Tagor, die
von Harmoko aus ihren Positionen in Golkar verdrängt worden waren. 435 YKPK
hatte kein elaboriertes Programm, sondern wollte in erster Linie zum Ausdruck
bringen, dass die Machtverschiebungen innerhalb des Militärs und die Vereinnahmung
Golkars durch die ABRI-Führung nicht ohne weiteres akzeptiert wurden.
YKPK war sowohl in der Programmatik als auch in der Zusammensetzung mit der
Petisi-50-Gruppe vergleichbar. Einige Mitglieder (Bambang Triantoro, Kharis Suhud,
Suprapto, Sunarso Jayusman, Samsuddin) standen auch hinter der "Petisi
Keprihatinan 1 Juli" (der "Petition der Besorgnis" vom 1. Juli 1996). Die Petition,
die auch Abdurrahman Wahid unterschrieb, richtete sich gegen die moralische Dekadenz,
gegen den Machtmissbrauch und die Korruption der Regimekoalition. Die
Unterzeichner hatten ursprünglich vor, eine Million Unterschriften zu sammeln,
dieses Ziel wurde allerdings nie erreicht. Suharto reagierte sofort auf die politische
Erklärung - er sagte, sie verdiene keine Beachtung.
432 Hendropriyono und Agum Gumelar sollen sogar die Wahl Megawatis zur PDI-Parteivorsitzenden
unterstützt haben. Inwieweit dies allerdings von einer raffinierten Machterhaltungsstrategie inspiriert
wurde, ist kaum zu beurteilen. Nachdem die beiden für kurze Zeit auf eher unbedeutende Positionen
abgeschoben worden waren, was von einigen Beobachtern als Bestrafung angesehen wurde, gehörten sie
zuletzt wieder zu den aussichtsreichsten Kandidaten für die höchsten ABRI-Ämter.
433 Jenkins (1984, 30f) spricht von "pragmatists" und einer "principled group".
434 Yayasan Kerukunan Persaudaraan Kebangsaan. YKPK wies einige Ähnlichkeiten zu der im Juli 1995
gegründeten PCPP (Persatuan Cendekiawan Pembangunan Pancasila = Intellektuellenvereinigung für die
Entwicklung der Pancasila) auf. Die Gründung von ICKI (Ikatan Cendekiawan Kebangsaan Indonesia)
schlug fehl, weil Suharto sich nicht einverstanden erklärte. ICKI war zuvor vom Innenminister Yogie S.
Memet, vom Verteidigungsminister sowie von Alamsyah Ratu Perwiranegara unterstützt worden und war
eine Art Gegenorganisation zu ICMI (Tiras 2.11.1995).
435 Honna 1999, 105f.

Die Militärs 217
Die unterschiedlichen Lösungsansätze ließen sich in der Nachfolgefrage zuletzt
nicht mehr miteinander vereinbaren. Vieles deutet darauf hin, dass in der Endphase
der Neuen Ordnung zwei Faktionen in den Streitkräften immer heftiger aneinander
gerieten, nämlich eine Gruppe um Wiranto und eine um Prabowo. Das ABRI-
Hauptquartier wurde in dieser Phase von Wiranto und seiner Clique beherrscht,
während Prabowo Kopassus und Kostrad und mit Hilfe von Syafrie Syamsuddin das
Kodam-Kommando von Groß-Jakarta kontrollierte.
Wiranto 436 , der auch in Ost-Timor zum Einsatz gekommen war, diente 1989 bis 1993
als Adjutant Suhartos. Die weiteren Stationen waren das Kommando über das sehr
wichtige Kodam in Jakarta (1994) und über Kostrad (1996). Im Juni 1997 wurde er
Kasad und im Februar 1998 Kommandeur der Streitkräfte. Seit dem März 1998 war
er Verteidigungsminister und ABRI-Kommandeur in Personalunion. Wiranto galt
als sehr loyal Suharto gegenüber, z.T. wurde er aber auch zu ABRI merah-putih
gerechnet. Im Mai 1998 schlug er sich auf die Seite der Suharto-Gegner. Wie angespannt
die Lage in den Streitkräften war, wird dadurch verdeutlicht, dass eine der
ersten Amtshandlungen des neuen Präsidenten Habibie die Absetzung Prabowos war
(siehe Kap. 5 und 6).
Zusammenfassung
In den ersten Jahren nach dem Machtwechsel wurde das Militär zentralisiert, dem
Oberbefehl Suhartos unterstellt und systematisch auf allen Verwaltungsebenen, in
der von ABRI gegründeten Staatspartei Golkar und in den Staatsbetrieben eingesetzt.
Ein umfangreicher, militärisch kontrollierter Geheimdienstapparat schüchterte
Opponenten ein. Trotzdem war ABRI kein hoch rationalisierter bürokratischer Apparat,
sondern eher eine schwer durchschaubare Ansammlung von Cliquen, die
größtenteils nicht aus dem offiziellen Haushalt bezahlt wurden.
Bis Ende der 80er Jahre kam es kaum einmal zu innermilitärischen Auseinandersetzungen.
Lediglich die in mehreren Stufen durchgeführte Entmachtung Murdanis
führte zu kleineren Konflikten. Selbst die Offiziere in den 90er Jahren, von denen
sich einige Beobachter eine begrenzte Reformbereitschaft erhofften, erwiesen sich
als berechenbar und konservativ. Suharto beherrschte ABRI offensichtlich auch in
der Post-Murdani-Ära.
Zusammenfassend lassen sich seit Ende der 80er Jahre folgende Veränderungen in
den Streitkräften konstatieren:
- Seit 1988 verfolgte Suharto die Strategie des De-Benny-isasi, also der Entmachtung
des Murdani-Zirkels.
- Durch den weltpolitischen und den sozialen und ökonomischen Wandel sowie
durch die Entstehung einer breit gefächerten Demokratiebewegung in Indonesien
erlitt ABRI in den 90er Jahren einen Glaubwürdigkeitsverlust.
436 Er wurde 1947 in Yogyakarta geboren, schloss 1968 die AMN ab und war lange bei Kostrad.

218 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
- Es ist seit etwa Mitte der 90er Jahre zu einer Islamisierung der ABRI-Führung
gekommen, die dann in den Jahren 1997/98 u.a. mit der Ernennung Wirantos wieder
etwas abgeschwächt wurde;
- Durch diese Islamisierung entwickelte sich ein in seiner Bedeutung schwer einschätzbarer,
wohl eher schwacher Gegensatz zwischen ABRI-hijau und ABRImerah-putih.
- Durch die kurzen Amtszeiten in den Führungspositionen ist die Cliquenbildung
untergraben und die Abhängigkeit von Suharto erhöht worden.
- Durch die Förderung von ehemaligen persönlichen Adjutanten und von engen
Verwandten (erst Wismoyo Arismunandar, dann Prabowo) versuchte Suharto, sich
loyale Cliquen in der ABRI-Führung aufzubauen.
- Prabowo scheint in den letzten Jahren nur noch schwer kontrollierbar gewesen zu
sein, und eine Prabowo-Gruppe scheint eine gewisse Selbständigkeit erlangt zu
haben.
- Die neuen Führungskräfte waren im Gegensatz zu vielen ihrer Vorgänger häufig
sehr gut ausgebildet und mit ausgereifteren politikwissenschaftlichen Konzepten
vertraut. Einige von ihnen zeigten sich für die Demokratiebestrebungen der Opposition
empfänglich, ohne dass allerdings die prodemokratische Bewegung durch höhere
Offiziere in nennenswertem Maße gefördert wurde. Vor allem das ungeschickte
und brutale Vorgehen bei den Publikationsverboten, bei der Absetzung von Megawati
und beim "Sabtu Kelabu" dürften die Zweifel dieser Offiziere noch verstärkt
haben.
- Die Kritik vieler Generäle a.D. an der dwifungsi-Implementierung und am Machtmissbrauch
dürfte ebenfalls einen Eindruck auf die reformbereiten Offiziere gemacht
haben.
- Die Doppelfunktion der Streitkräfte wurde in den 90er Jahren zunehmend in Frage
gestellt, und eine von Suharto in Auftrag gegebene LIPI-Studie 437 legte sogar einen
schrittweisen Rückzug ABRIs nahe.
- Auch faktisch wurde ABRI immer weniger in nichtmilitärischen Funktionen eingesetzt.
Eine wichtige Ursache dafür waren die Komplexitätssteigerungen im ökonomischen
und im Verwaltungssektor.
Obwohl ABRI die wohl konservativste strategische Gruppe in der Neuen Ordnung
war und selbst die sehr gut ausgebildeten Offiziere der 90er Jahre die bestimmenden
militärischen Doktrinen nachbeteten, waren einige von ihnen augenscheinlich in der
Lage, unter dem Druck der Asienkrise Suharto die bis dahin unbedingte Unterstützung
zu entziehen und den Weg für Reformen freizumachen.
437 Gatra 8.3.1997.

Die Bürokraten 219
3.6 Die Bürokraten
Die Verwaltung in Indonesien eignete sich - neben dem Territorialapparat ABRIs -
hervorragend, um die gesamte indonesische Gesellschaft bis in das abgelegenste
Dorf hinein zu durchdringen. Vier Millionen meist loyale Staatsdiener erfüllten mit
großer Hingabe die ihnen aufgegebenen Funktionen. Sie propagierten die Ideologien
der Neuen Ordnung und sorgten für die Durchsetzung der Gesetze und der staatlichen
Projekte.
Im Gegensatz zum zentralisierten und straff organisierten Militär war die Bürokratie
aber sehr viel stärker differenziert und dezentralisiert. Sie gliederte sich in mehr oder
weniger unabhängige Behörden, Staatsunternehmen, und in Verwaltungsbereiche,
die von Ministerien in Jakarta geführt wurden. Außerdem gab es einen deutlichen
Gegensatz zwischen den Militärs in kekaryaan-Positionen und den zivilen Bürokraten.
Im Folgenden sollen mehrere Fragen beantwortet werden:
- Wie wurde die Verwaltung nach 1965 umgestaltet?
- Wie sah die Verwaltung außerhalb Jakartas aus, und wie äußerte sich die Herrschaft
der Neuen Ordnung auf den unteren Verwaltungsebenen?
- Wie stark war der Zentralismus ausgeprägt?
- Wie finanzierte sich die Bürokratie?
- Wie setzten sich die Kabinette zusammen (Militärs, Technokraten, Nationalisten),
und wie entwickelten sich die Gruppen der Technokraten und der Nationalisten?
- Welche Position nahmen die führenden Bürokraten in der Regimekoalition ein?
Die Umgestaltung des Verwaltungsapparates in den ersten Jahren
Die Beamten gehörten in Indonesien von Beginn an zu jener strategischen Gruppe,
die nach Erlangung der Unabhängigkeit aufgrund ihrer privilegierten Position im
Staatsapparat und wegen der fehlenden Konkurrenz durch Unternehmer und zivilgesellschaftliche
Gruppen, ihre Machtbasis kontinuierlich ausbauen konnte. 438
Im parlamentarischen System und in der Gelenkten Demokratie war aufgrund der
zentrifugalen Tendenzen, der unsicheren finanziellen Situation und der Politisierung
der Administration eine langfristig angelegte, im Zentrum konzipierte Entwicklungspolitik
nicht möglich. Erst nach 1965 setzte ein Prozess der Zentralisierung,
der Depolitisierung und der Militarisierung des Verwaltungsapparates ein. In gewisser
Weise war das auch eine Rückkehr zu vergangen geglaubten Herrschaftsstrukturen
und Verhaltensmustern. Heather Sutherland schreibt:
438 Dazu Robison:"Nor have the state officials been cast in the Meiji or Bismarckian model, as
a corps of officials very much subordinated to legal-rational constraints and frameworks along
the lines of the Weberian model of rational bureaucratic authority. Instead, they have emerged
in a social vacuum as a discrete political stratum and, in many cases, are the appropriators of
the state apparatus" (Robison 1996, 81).

220 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
"Indeed, given the great changes of the last few decades in Java, it is surprising how many
similarities remain between Pangreh Praja traits and contemporary administrative characteristics.
Officials again served to maintain popular political obedience; Councils were again
subordinate to men appointed by the centre - a uniformed Beamtenstaat in the making." 439
Diese Rückkehr zum "Beamtenstaat" kolonialer Prägung vollzog sich in mehreren
Schritten. Zunächst entließen die neuen Machthaber bis 1968 23.500 öffentlich Bedienstete,
die als Sympathisanten der Putschisten eingestuft wurden oder einfach als
politisch unbequem galten. 1966 war bereits das Korps der Angestellten des Innenministeriums,
Kokarmendagri 440 , gegründet worden, das bald auch Beamte aus anderen
Ressorts aufnahm und kurz vor den Wahlen 800.000 Mitglieder hatte. Die
Staatsbediensteten wurden aus den Parteien gedrängt und im November 1971 in
einem zu Golkar gehörenden Korps (Korpri 441 ) zusammengefasst. Sie waren somit
zusammen mit ihren nächsten Angehörigen unmittelbar an die Regierungspartei
gebunden. Korpris Vorstand bestand aus dem Innenminister, dem Staatssekretär und
den Abteilungsleitern, von denen viele Militärs waren. Außerdem waren die Verwaltungschefs
der verschiedenen Gebietskörperschaften gleichzeitig Korpri-Vorsitzende.
442
1970 - kurz vor den ersten Wahlen - verpflichtete Innenminister Amir Machmud in
einem Dekret seine Untergebenen zur uneingeschränkten Loyalität (monoloyalitas)
zur Regierung und damit indirekt zur Regierungspartei Golkar. Die öffentlich Bediensteten
durften faktisch weder einer anderen Partei angehören noch sich in Wahlen
gegen Golkar entscheiden. Außerdem wurden in allen wichtigen Verwaltungsbereichen
Offiziere platziert. Nachdem Anfang der 70er Jahre die Depolitisierung und
Militarisierung weitgehend abgeschlossen war, wurden mit dem Gesetz 5/1974 die
Funktionen und Kompetenzen der einzelnen Verwaltungsbereiche und -ebenen genauer
definiert. Die Herrschaft jenseits Jakartas konnte somit gefestigt werden.
Die Herrschaft an der Peripherie, insbesondere in den Dörfern
1995/96 gab es unterhalb der Zentralregierung in Jakarta auf der ersten Stufe der
Regionalverwaltung (Daerah tingkat 1, Dati 1) 27 Provinzen 443 und auf der zweiten
Stufe (Dati 2) 243 Distrikte (kabupaten) sowie 55 Städte ("municipalities" oder
kotamadya), die jeweils eigene Parlamente mit de facto nur beratender Funktion
(DPRD bzw. DPRD Tingkat 2) 444 , Entwicklungsplanungsämter (Bappeda 445 Tingkat
1 bzw. 2) und Entwicklungs- sowie Finanzbehörden hatten. Die unteren Verwal-
439
Sutherland 1979, 159.
440
Korps Karyawan Pemerintahan Dalam Negeri.
441
Korps Karyawan Pegawai Republik Indonesia, Beamtenkorps der Republik Indonesien.
442
Emmerson 1978, 107.
443
Unter ihnen befinden sich zwei Sonderregionen (Aceh und Yogyakarta) sowie die Spezialregion
Groß-Jakarta.
444
DPRD = Dewan Perwakilan Rakyat Daerah. Darüber hinaus gab es 16 "administrative
municipalities" und 35 "administrative cities".
445
Bappeda = Badan Perencanaan Pembangunan Daerah.

Die Bürokraten 221
tungsebenen umfassten 3.841 Subdistrikte (kecamatan) und 64.367 Dörfer (desa)
und Stadtteile ("urban villages" oder kelurahan) (vgl. Schaubild 3-5). 446
Schaubild 3-5: Ebenen der Verwaltung
Verwaltungsebene Repräsentationsorgan
Exekutivchef Verwaltungseinheiten
Zentrale MPR und DPR Präsident Ministerien und
Behörden
Planungsorganisation
Bappenas
Provinz DPRD I Gouverneur Kanwil und dinas Bappeda I
Distrikt: Regentschaften
und
Städte (kabupaten/kotamadya)
Subdistrikt
(kecamatan)
Dorf (desa) bzw.
Stadtbezirk
(kelurahan)
Quelle: Rohdewohld 1995, 33.
DPRD II bupati bzw. walikota
Kandep und dinas Bappeda II
- camat dinas (UDKP)
(LMD) kepala desa (gewählt)
bzw. lurah
(ernannt)
dinas LKMD
In der Verwaltung arbeiteten 1996 4,06 Millionen Personen (vgl. Tabelle 3-15),
davon 2,65 Mio. Männer und 1,41 Mio. Frauen. Zur Unterstützung der staatlichen
Entwicklungsbemühungen war seit Ende der 60er Jahre auch eine Ausweitung des
Verwaltungsapparates notwendig geworden. Im Bereich Erziehung und Kultur erhöhte
sich z.B. die Anzahl der Beschäftigten, das sind vor allem Lehrer, von
447.000 (1974) auf 1,94 Mio. (1992). 447 Etwa 780.000 der Beamten hatten einen
Hochschul- und 2,5 Mio. einen SMTA- (Senior-High-School-) Abschluss. Der weit
überwiegende Teil wurde von der Zentralregierung bezahlt. Die Personalstärke hatte
sich also seit 1974 (1,67 Mio.) verzweieinhalbfacht. Zählt man noch die nur zeitweilig
Beschäftigten und das Militär hinzu, so erhöhte sich die Zahl noch einmal erheblich.
Während 1975 noch über die Hälfte in der Laufbahngruppe 1 (die meisten ohne
Primarschulabschluss) und über 40% in der Laufbahngruppe 2 (die meisten ohne
446
Department of Information 1997, 50f; zur Verwaltung: Kano 1992, 378ff; MacAndrews
1986, 21ff.
447
Logsdon 1992, 232ff; Rohdewohld 1995, 141. Besonders starke Zuwächse gab es im
Handels- und im Bergbauministerium, gefolgt vom Innen-, vom Informations- und vom Gesundheitsministerium.
Im Verteidigungs- und im Religionsministerium, bei denen in den
ersten Jahren der Neuen Ordnung die meisten Beschäftigten registriert waren, kam es hingegen
zu keiner nennenswerten Veränderung. 1974 arbeiteten im Religionsministerium
182.000, 1984 196.000 und 1992 212.000 Personen. 1992 arbeiteten außerdem für das Gesundheitsministerium
266.000 und für den Innenminister 175.000 Personen. 1988 waren 2,0%
der indonesischen Bevölkerung im öffentlichen Dienst beschäftigt. Das waren jedoch im
Vergleich mit Malaysia (1985: 4,5%), Thailand (1986: 2,9%) und den Philippinen (1983:
3,2%) noch wenig (Alexander/Booth 1992, 295).

222 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
akademischen Titel) eingeordnet waren, wurden 1994 nur noch 1/8 in Gruppe 1,
dafür 2/3 in Gruppe 2 geführt. Die Höherqualifizierten in Gruppe 3 hatten im gleichen
Jahr bereits einen Anteil von 21% (1975: 4,2%), während die Angehörigen der
Laufbahngruppe 4 (mit Universitätsabschluss) nur 1% (1975: 0,4%) des Gesamtpersonals
ausmachten. 448
Der Anteil der Beamten an der Gesamtbevölkerung war, verglichen mit anderen
Ländern, relativ gering, betrachtet man aber den Arbeitseifer dieser Beamten, lässt
sich in vielen Bereichen eine Überbesetzung konstatieren. 449 Dennoch dürfte die von
Evers/Schiel 450 konstatierte Ämtervermehrung zu Zwecken der Kooptierung und
Pfründenverteilung, die Parkinsonsche Bürokratisierung, in den letzten Jahren unbedeutender
geworden sein.
Tabelle 3-15: Verwaltungsbeschäftigte in Indonesien von 1920-1996
Anzahl Beschäftigte
in Tausend
Anteil an Gesamtbev.
in 1/1000
1920 82 1,6
1930 111* 1,8
1940 82 1,1
1950 304 3,7
1960 393* 4,1
1970 515 4,4
1980 2 047 13,9
1990 3 771 21,0
1993 4 009 21,8
1996 4 060** -
*Nach Ricklefs (1981, 227): 1930: 145.000; 1960: 807.000.
**Davon in DKI Jakarta 1996 allein 382.000 und im übrigen Java mehr als 1,7 Millionen
(Biro Pusat Statistik 1997c, 82).
Quelle: Evers 1994a, 266; Rohdewohld 1995, 94; BPS 1997c.
Die Zentralregierung war auf allen Ebenen unmittelbar präsent, da sie die meisten
Staatsbediensteten bezahlte und den gesamten Planungs- und Implementierungsprozess
kontrollierte. So befanden sich auf den Dati 1 und 2 neben den Ämtern der
Regionalverwaltung (dinas) solche der Zentrale (kanwil). Die Abgrenzung der Funktionen
dieser Ämter war nicht eindeutig, zumal sich die Stäbe oftmals personell
448 Alexander/Booth 1992, 294.
449 Darwin (1996, 234) zitiert Studien, wonach sich von den 350.000 Beamten in der Sonderregion
Jakarta 78% während der Arbeitszeit mit Zeitunglesen, Kreuzworträtsellösen etc.
beschäftigten.
450 Evers/Schiel 1988.

Die Bürokraten 223
überschnitten und einzelne Beamte unterschiedliche Anweisungen erhalten konnten.
451
Die vom Präsidenten ernannten Provinzgouverneure erstatteten dem Innenminister
regelmäßig Bericht. Sie waren als Verwaltungschefs in ihrer Provinz tätig, zugleich
jedoch waren sie Abgesandte der Zentrale und konnten von den Parlamenten in
ihren Regionen nicht kontrolliert werden. Diese Gouverneure sowie die Verwaltungschefs
der darunter liegenden Distrikte und Subdistrikte gehörten häufig der
"Großen ABRI-Familie" an. Es gibt zwar keine umfassenden Studien über diese
Verwaltungschefs, dennoch lässt sich feststellen, dass es fast ohne Ausnahme Kandidaten
der in Jakarta bzw. in den Regionen dominierenden Machtgruppierungen
waren, die ihre Position in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Spitzenunternehmern
und unterstützt von den jeweils führenden Politikern, Bürokraten und Militärs zur
ökonomischen Selbstbereicherung nutzten. Eine der wenigen ausführlich dokumentierten
Fälle war der des Bupati von Bantul, Oberst Sri Roso Sudarmo, der seine
Wiederwahl durch Bestechung sichern wollte und schließlich wahrscheinlich den
Journalisten "Udin" ermorden ließ. 452 Auch die Fallstudien über verschiedene Unruhen
geben einen Einblick in die Kooperation der lokalen Eliten. 453 Gerade in den
letzten Jahren der Neuen Ordnung gab es häufiger Auseinandersetzungen um die
Besetzung der höchsten Verwaltungsposten in den Regionen. Sugiono 454 nennt als
Beispiele nach 1993 Kutai, Ponorogo, Tegal, Medan, Tanah Toraja und Indragiri.
Auf der Provinzebene konnte sich hin und wieder jemand durchsetzen, der wie in
West-Nusa-Tenggara und Zentralkalimantan Unterstützung in seiner Provinz bekam,
dann aber von Jakarta nicht gutgeheißen wurde. Zum Teil spiegelten sich die Cliquenkämpfe
in Jakarta in einem Tauziehen in den Provinzen wieder, wie bei der
Besetzung des Gouverneursposten in Nordsumatra, wo die Habibie-Gruppe einen
anderen Kandidaten als ABRI protegierte.
Etwas mehr ist über die Ämterbesetzung und die Herrschaftsstruktur in den Dörfern
bekannt. Da zuletzt immer noch über 60% der Bevölkerung in Dörfern lebte, ist ein
Verständnis der Orba-Herrschaft im ländlichen Raum sehr wichtig. Aufgrund der
immensen regionalen Unterschiede soll hier lediglich ein mehr oder weniger typisches
javanisches Dorf vorgestellt werden. In anderen Landesteilen ergaben sich
häufig Abweichungen von dieser Herrschaftsstruktur, wegen der unterschiedlichen
Ressourcenbasis, eines anderen Durchschnittseinkommens, kultureller Unterschiede
und aufgrund der jeweils besonderen Zusammensetzung der lokalen strategischen
und konfliktfähigen Gruppen.
Mit dem Dorfverwaltungsgesetz 5/1979 waren die desa zu selbstverantwortlichen
Einheiten erklärt worden, in Wahrheit war aber das Dorfoberhaupt (kepala desa)
seither noch stärker in die administrative Hierarchie eingebunden. Es wurde zwar
von der Dorfbevölkerung gewählt, musste aber vom bupati (dem kabupaten-Chef),
der zusammen mit dem camat (dem kecamatan-Chef) auf den Wahlvorgang Einfluss
451 Morfit 1986, 60.
452 Vgl. dazu: AJI/FORUM-ASIA/ISAI 1997b.
453 YLBHI 1997b und ISAI 1997a.
454 Sugiono 1996, 362ff.

224 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
nehmen konnte, bestätigt werden. Außerdem war der Dorfsozialrat LSD 455 per Präsidentendekret
(Inpres 28/1980) vom Dorfrat LMD 456 ersetzt worden:
"Given that the LMD is supposed to realise 'democracy' in local government, it is more than
ironic that aside from the kepala desa, its members are not elected and have indefinite terms
of appointment. It is the kepala desa who nominates the members of the LMD in consultation
with 'prominent persons' in the village [...]. Since the kepala desa appoints the LMD and is in
turn nominated by it [...], the two are clearly not intended to be independent representatives of
the public interest." 457
Der LMD sollte von der in verschiedene Ausschüsse (Sicherheit und öffentliche
Ordnung, Kooperativen, Religion und Kultur etc.) gegliederten LKMD 458 (Wohlfahrtsorganisation
der Dorfgemeinschaft), dessen Mitglieder gewählt wurden, beraten
werden. Obwohl das Innenministerium vorgab, mit der LKMD eine an der Basis
ansetzende Planung zu ermöglichen, hatte dieses Gremium keine Entscheidungsbefugnis.
Die Ablösung des LSD hatte das ohnehin eingeschränkte Mitspracherecht
der Dorfbevölkerung noch weiter ausgehöhlt. 459
Die eigentliche Herrschaftsspitze in den Dörfern bestand aus drei Personen: Dem
Vertreter ABRIs, also dem Babinsa, dem Vertreter der Polizei, dem Bimmas, und
dem Dorfvorsteher, die zusammen als tritunggal oder muspida fungierten. 460 Die
Dorffunktionäre wurden vom muspida nominiert, vom LMD ernannt und schließlich
auf der kecamatan-Ebene zugelassen. 461
Mithilfe von Massenorganisationen konnte das Orba-Regime eine fast lückenlose
Kontrolle garantieren. In einem von Antlöv 462 untersuchten westjavanischen Dorf
("Sariendah") beispielsweise gab es allein 178 Funktionäre in 18 Organisationen:
den Babinsa und den Bimmas, 8 pamong desa, Mitglieder von LKMD (12), LMD
(7), MU (4), PKK (10), KUD (4), Hansip (7), Karang Taruna (6), Himpunan Wanita
Karya (4), MKGR (3), AMPI (4), AM Siliwangi (3), Korpri (7), Dharma Wanita (3),
Majelis Dakwah Islam (7), Pepabri (3), SPSI (5), PGRI (3) sowie die kepala dusun,
kepala Rukun Warga und kepala Rukun Tetangga. Das 6.800-Einwohner-Dorf bestand
aus 2 dusun (relativ eigenständige Dorfeinheiten), 12 kampung (Dorfbezirke)
mit je eigener Moschee und eigenen Läden und 30 Nachbarschaften. Zu Golkar
gehörten in dem Dorf allein 49 Funktionäre in 10 Organisationen. Die Unterorganisationen
von Golkar (MKGR, AMPI, AM Siliwangi) hatten zusammen 1.250 Mitglieder,
darunter waren allerdings viele Mehrfachmitgliedschaften. Die in der Zeit
455
Lembaga Sosial Desa.
456
Lembaga Musyarawah Desa.
457
Warren 1990, 6.
458
Lembaga Ketahanan Masyarakat Desa.
459
Das ist die Ansicht von Warren (1990) und Schulte-Nordholt (1985). Im Gegensatz dazu
spricht Bundschuh (1988, 95) davon, dass - zumindest in dem von ihr untersuchten Gebiet -
"die kommunale Selbstverwaltung entscheidend gestärkt" worden sei.
460
Babinsa = Bintara Pembina Desa (i.d.R. ein Unteroffizier mit Portepee); Bimmas =
Bimbingan Masyarakat Desa.
461
Antlöv 1995, 56f.
462
Antlöv 1995, 50ff.

Die Bürokraten 225
der japanischen Besatzung ins Leben gerufenen Ämter von Vorstehern in den dusun,
kampung und in den Nachbarschaften (die kepala dusun, kepala RW und kepala RT)
vervollständigten die staatliche Kontrolle auf den untersten Ebenen.
Zwar wurde der kepala desa noch frei gewählt, es wurden aber - nach einem Vorauswahlverfahren
in der Hauptstadt des Subdistriktes - nur solche Kandidaten zugelassen,
die zweifelsfrei als loyal einzustufen waren. 463 Bei der Wahl selbst mussten
von den Kandidaten erhebliche Geldmittel eingesetzt werden, um einflussreiche
Mittelsmänner als Wahlkämpfer zu gewinnen und um jederzeit kleinere Gaben verteilen,
Feste und Wettbewerbe sponsern und - nach gewonnener Wahl - die versprochenen
Projekte durchführen zu können. 464 Die Wahl war somit zumindest teilweise
ein ökonomischer Tausch: Der kepala desa-Kandidat musste mindestens ein paar
Millionen Rupiah (manchmal bis zu 90 Mio.) einsetzen, um später einmal die Möglichkeit
zu bekommen, mithilfe neu gewonnener Befehlsgewalt ein Vielfaches davon
wieder zu erwirtschaften. Unterlegene kepala-desa-Kandidaten hingegen wurden
nicht selten in den Ruin getrieben.
Hüsken 465 meint, dass in den letzten Jahren der Neuen Ordnung der Posten des
kepala desa insbesondere von Personen aus der unteren Mittelklasse angestrebt
wurde, weil sich für die alte Dorfelite wegen der Ablösung des Dienstlandes durch
feste Gehälter und wegen der strikteren Kontrolle durch die Behörden auf Subdistrikt-Ebene
die Investition in das Amt nicht mehr lohnte. Diese alten Familien konnten
ihre Machtstellung wahren, indem sie die neuen kepala desa finanziell durch
Bezahlung der Wahlkampagne von sich abhängig machten oder indem sie das noch
verbliebene Dienstland pachteten.
Die neuen kepala desa fühlten sich oftmals weniger an die traditionellen Normen
der Rücksichtnahme auf ökonomisch Schwache und des sanften, kaum merklichen
Autoritarismus gebunden als ihre Vorgänger:
"Authority is no longer concealed. The «gentle hints» have been replaced by a much more
authoritarian and crude rule. Opposition is not allowed and power is visible. Leaders have, in
short, turned into officials, shifting both power foundation and leadership style." 466
Die meisten Wohlhabenden im Dorf übernahmen Funktionen in der Verwaltung und
konnten daher Subventionen, Kredite der Volksbanken und Konzessionen ohne
Schwierigkeiten bekommen. Sie besaßen Ländereien, die sie verpachten oder von
Lohnarbeitern bestellen ließen. Außerdem fächerten sie ihre ökonomische Basis
durch den Kauf von Minibussen, Läden, kleinen Produktionsbetrieben etc. auf.
463
Das Gesetz aus dem Jahre 1979 sah eigentlich eine Ernennung der kepala desa vor, aber
eine vollständige Implementierung dieser Bestimmungen erwies sich als zu kostspielig, vor
allem aber als schwer durchsetzbar gegenüber einer Bevölkerung, die gerade diese Wahlen als
wichtiges Element des noch verbliebenen Demokratierestes ansah.
464
Antlöv 1995, 182ff; Hüsken 1994.
465
Hüsken 1994.
466
Antlöv 1994, 92.

226 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Reichtum und Macht wurden unverblümter demonstriert und gebraucht. 467 Vielleicht
führte gerade das zu einer schleichenden Erosion der Legitimationsbasis der Zentralregierung,
da die lokalen Notabeln mit Golkar und letztlich mit Jakarta identifiziert
wurden.
Alles in allem war der Staat mit wenigen Beamten, zahlreichen, nicht offiziell entlohnten
Mitarbeitern sowie einem ganzen Netz von (halb)offiziellen Organisationen,
die dem Militär oder der Regierungspartei Golkar nahe standen oder sogar Teil von
ihnen waren, so präsent, dass der autoritative Charakter der Neuen Ordnung hier
zuweilen totalitäre Züge annahm. 468 Diese außergewöhnliche Präsenz erklärt auch
den großen Wahlerfolg Golkars gerade in den Dörfern. Die Offiziellen des Dorfes
gehörten fast ohne Ausnahme Golkar an, und sie verfügten über zahlreiche Mittel,
die Wahlentscheidungen der Dorfbewohner zu beeinflussen. Personen, die sich
offen für eine der beiden anderen Parteien einsetzten, mussten mit Nachteilen rechnen,
sei es bei der Ausstellung von Empfehlungsschreiben, sei es bei der Beteiligung
an Entwicklungsprojekten. Notorische Kritiker konnten so zur Raison gebracht
werden.
Die meisten indonesischen Dörfer entsprachen also nicht dem Bild der abgeschiedenen,
fast autarken Gemeinschaften. Sie unterschieden sich kulturell nicht so fundamental
von den Städten. Vielmehr waren die Dörfer - abgesehen von entlegenen
Gebieten auf den Außeninseln - ökonomisch und politisch weitgehend integriert.
Die Dorfbevölkerung hatte fast keine Gelegenheit, ihre Unzufriedenheit zu artikulieren,
da nahezu sämtliche Massenorganisationen direkt oder indirekt vom Regime
kontrolliert wurden. Eine der wenigen Angebote einer zumindest symbolischen
Infragestellung der Neuen Ordnung blieb aber der Islam. Zwar war in vielen Dörfern
die Herrschaft des kepala desa keine reine Willkürherrschaft, da er auf die Zustimmung
seiner Klientel weiterhin bis zu einem gewissen Grad angewiesen war, 469 aber
die "Weapons of the Weak", deren Schlagkraft Scott 470 schon in Bezug auf ein malaysisches
Dorf skeptisch eingeschätzt hatte, waren in Indonesien in der Neuen Ordnung
so stumpf wie zu kolonialen Zeiten.
467 "[...] the rural elite is not so much a pure capitalist class but privileged clients (anak mas,
'favourite children') of the state, whose opportunities to accumulate and rule depend on their
crucial links with higher authorities [...]", Antlöv 1995, 6f.
468 Die ständige Kontrolle, Indoktrinierung und feierliche Staatsvergötzung kann aber, was die
intendierten Wirkungen betrifft, leicht in ihr Gegenteil umschlagen. Wenn durch den - bisher
kaum erforschten - Einfluss der Massenmedien und wegen des Zuganges zu alternativen
Informationsquellen die Hohlheit der Machtsymbolik erkannt wird, kann das zuvor gefestigte
Kontrollsystem zu einer Quelle der Empörung und des Widerstandes werden.
469 Vgl. etwa Cederroth 1994, 24ff. Cederroth beschreibt die Wahl eines PDI-Mannes, der zu
Golkar wechseln musste, danach in verschiedene Skandale verwickelt war und den Oppositionsgeist
einiger Dorfbewohner weckte.
470 Scott 1985.

Die Bürokraten 227
"State Ibuism"
Die Ausführungen über die Neue Ordnung wären unvollständig, wenn nicht auch
die systematische Unterordnung der indonesischen Frauen erwähnt würde. Gerade in
der Verwaltung lassen sich die patriarchalischen Strukturen gut beobachten. Nur
sehr wenige Frauen schafften den Aufstieg in die höchsten Verwaltungsämter, und
die Ministerinnen waren häufig als Ehefrauen von Generälen nach oben gelangt. In
Indonesiens Neuer Ordnung war die Rolle der Frau als fürsorgliche Hausfrau und
Mutter ("Ibu") staatlich festgelegt. Julia Suryakusuma definierte diese Unterordnung
als "State Ibuism":
"State Ibuism defines women as appendages and companions to their husbands, as procreators
of the nation, as mothers and educators of children, as housekeepers, and as members of
Indonesian society - in that order. [...] It derives from the most oppressive aspects of both
bourgeois 'housewifization' and Priyayi (white-collar Javanese) Ibuism." 471
Obwohl Frauen in Indonesien im informellen Sektor - etwa als Händlerinnen - oder
als Fabrikarbeiterinnen tätig sind und obwohl bekanntermaßen z.B. in den javanischen
Familien in Finanzfragen die Frauen häufig das Sagen haben, propagierte der
Staat die angesprochene Ideologie der Abhängigkeit und Unterwürfigkeit. Diese
wurde besonders deutlich formuliert und umgesetzt von den staatlichen Frauenorganisationen
Dharma Wanita und Dharma Pertiwi, in denen die Ehefrauen der Staatsbeamten
bzw. der Militärs in derselben hierarchischen Ordnung wie ihre Ehemänner
in der Verwaltung bzw. bei ABRI organisiert waren. 472 Im Arbeitsprogramm von
Dharma Wanita hieß es z.B., dass es die Hauptpflicht der Ehefrau als einer treuen
Begleiterin sei, den Ehemann bei der Ausübung seiner Berufspflichten durch Bereitung
einer harmonischen Atmosphäre zu unterstützen und ein gegen die Pancasila
gerichtetes Verhalten zu vermeiden. 473 Auf der untersten Verwaltungsebene - in den
desa und kelurahan - fanden sich die einzelnen Zweige der nationalen Familienwohlfahrtsorganisation
PKK: 474
"Their meetings and programs stress such urban middle-class values as the two-child family,
the importance of the mother being at home to care for her children, 'western' dress and cosmetics,
and baking of foods such as bread and cakes. Little attention is paid to the necessities
of earning an income, a familiar responsibility to most women in both urban and rural lowerincome
households." 475
Die PKK war damit eine Art "[...] Appendix von Dharma Wanita auf Dorfebene." 476
471
Suryakusuma 1997, 101.
472
Zu den bekanntesten Indonesierinnen zählen einige Unternehmerinnen in der Mode- und
Kosmetikbranche, einige Sängerinnen und Schauspielerinnen, aber nur sehr wenige Politikerinnen,
die zudem oftmals ihre Position wie im Falle Megawatis oder "Tututs" ihrem Vater
oder, wie im Falle einiger Ministerinnen und Parlamentarierinnen, ihren Ehemännern zu
verdanken haben bzw. hatten. Auch die großen islamischen Organisationen sowie die großen
Unternehmen werden eindeutig von Männern beherrscht.
473
Suryakusuma 1997, 99.
474
Pembinaan Kesejahteraan Keluarga.
475
Guiness 1994, 283.
476
Gerke 1992, 305.

228 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Die Finanzverfassung und der Zentralismus
Den Zentralismus verdeutlicht am besten die Analyse der Finanzverfassung Indonesiens
und insbesondere die der Finanzierung der Lokalverwaltung. Die Gebietskörperschaften
konnten nur über solche Mittel selbständig verfügen, die sie selbst erwirtschaftet
hatten, so dass die jeweilige Haushaltsaufstellung i.d.R. bis ins Detail
vorgegeben war. Die Zentrale plante den Großteil der Entwicklungsprojekte und
überwachte deren Durchführung: 477
"In general, fairly detailed specifications and guidelines for budget documents, as well as
implementation plans, are established in Jakarta, with provincial and kabupaten agencies left
with the responsibility of filling in the blanks." 478
Das Gefühl, von Java und vor allem von der Machtelite in Jakarta beherrscht und
ausgebeutet zu werden, war in einigen rohstoffreichen Regionen (wie in Aceh oder
in Irian Jaya) stark ausgeprägt. 479 Auf der Provinzebene (Dati 1) standen 1987 zusammen
nur 3,24 Bio. Rp. zur Verfügung, also etwa 1/8 des Budgets der Zentralregierung.
1975 waren es ebenfalls nur 16% gewesen. Die ohnehin schon schwache
Finanzaustattung bestand größtenteils aus Zuwendungen von der Zentrale (1987: ca.
3/4), die überwiegend für Löhne und Gehälter ausgegeben wurden (1987: ca. 3/5). 480
Sämtliche Gebietskörperschaften konnten 1975/76 44,0% ihrer Einnahmen selbst
erwirtschaften, aber Ende der 80er Jahre waren es nur noch etwa 1/3 der Gesamteinnahmen
(vgl. Tabelle 3-16). Auf der Distriktebene (Dati 2) ergab sich eine ähnliche
Abhängigkeit von der Zentralregierung. 1989/90 und 1993/94 kamen 66,7% bzw.
70,9% der Einnahmen sämtlicher kabupaten und kotamadya von den jeweiligen
Provinzen und vor allem aus Jakarta (vgl. Tabelle 3-17). In den desa und kelurahan
hingegen wurden nur etwa 25% der geschätzten Gesamteinnahmen von 4,38 Bio.
Rp. (1988) von den höheren Verwaltungsebenen bereitgestellt. Außerdem konnten
über 3/5 des jeweiligen Budgets für Entwicklungszwecke (Gebäude, Straßen, religiöse
Einrichtungen etc.) ausgegeben werden. Damit war die finanzielle Unabhängigkeit
auf der untersten Verwaltungsstufe relativ groß. 481 Außerdem gab es Subdistrikte,
Distrikte und Provinzen, die etwas unabhängiger waren. 1993/94 konnten z.B.
13 Provinzen 50-70% ihrer Einnahmen selbständig erwirtschaften.
Tabelle 3-16: Einnahmequellen sämtlicher Gebietskörperschaften in %
1975/76 1983/84 1988/89
477
Das konnte sogar so weit gehen, dass lokale Behörden über Straßenbaumaßnahmen in
ihrem Verwaltungsbezirk nicht unterrichtet waren.
478
Morfit 1986, 61.
479
Sparringa 1997, 212ff.
480
Kano 1992, 388f.
481
Kano 1992, 392ff.

Die Bürokraten 229
Eigene Einnahmen
Steuern 43,0 26,5 33,2
Kredite 1,0 0,9 0,7
Gesamt 44,0 27,4 33,9
Zuwendungen von der Zentralregierung
Allgemeine Inpres-Programme 14,5 12,2 10,9
Spezifische Inpres-Programme 8,3 18,4 6,4
Ständige Zuweisungen 35,4 41,9 48,9
Quelle: Rohdewohld 1995, 78.
Tabelle 3-17: Einnahmen sämtlicher indonesischer Distrikte (Dati II) 1989/90 und
1993/94 (gerundet)
1989/90 in Mrd. Rp. in % 1993/94 in Mrd. Rp. in %
Eigene Einnahmen 478 15,9 945 11,2
Anteile an versch. Steuern 427 14,2 1.115 13,8
Gelder aus den Provinzen und aus
Jakarta
2.012 66,7 5.956 70,9
Kredite 27 0,9 52 0,6
Rückstellungen des Vorjahres 71 2,4 336 4,0
Gesamteinnahmen
Quelle: Ndouk 1996, 172.
3.014 100 8.404 100
Merkmale der Verwaltungsarbeit
Das Hauptmerkmal der Verwaltungsarbeit aber war, dass es zur Überschneidung
öffentlicher und privater Interessen kam. Die Privatisierung des Staatsapparates lässt
sich gut an der Bezahlung der Beamten ablesen. Es gab zwar feste, überwiegend in
Geld gezahlte Gehälter 482 , aber sie machten nur einen Teil des Gesamteinkommens
aus. Daneben gab es, nicht selten über amtsinterne Pools verteilte, unregelmäßige
Zusatzverdienste wie Reisespesen, Projekthonorare, Gebühren für Konzessionen etc.
Auch bei Verkehrskontrollen, beim Ausstellen von Führerscheinen oder Pässen und
bei der Zollabfertigung waren offiziös festgelegte Summen zu entrichten, so dass
über die tatsächlichen Einkommensverhältnisse keine verlässlichen Angaben zu
machen sind.
Für einige öffentliche Güter hatte sich also ein eigener Markt herausgebildet, 483 der
durchaus als legitim anerkannt wurde, sofern die inoffiziellen Regeln nicht verletzt
482 Hinzu kamen Reisdeputate, die in den ersten Jahren der Neuen Ordnung gut die Hälfte,
Ende der 70er Jahre aber nur noch 1/6 des regulären Einkommens ausmachten (Gray 1979,
87).
483 Gray 1979, 101ff. Eine ausreichende Bezahlung der Staatsbediensteten hätte die öffentlichen
Haushalte überlastet. Außerdem führte die Abhängigkeit von Zusatzeinnahmen dazu,

230 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
wurden. 484 Wenn Behörden als Käufer, Verkäufer, Projektfinanzierer oder Kreditgeber
auftraten, ergaben sich zwischen ihnen und privaten Unternehmern leicht Patronageverhältnisse.
Diese Art von Bestechung begann erst jenseits der systematisierten
sekundären Entlohnung, wenngleich die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität
fließend waren und Disziplinarverfahren nur äußerst selten eingeleitet wurden.
Eigennützige Motive bestimmten mehr oder weniger die Tätigkeiten der gesamten
Verwaltung. Der Beamte entschied also oftmals "mit Ansehen der Person". Er war
nicht in eine "unpersönliche" Hierarchie eingebunden: Es herrschten persönliche
Loyalitätsbeziehungen vor, die sich in typischen Kommunikationsformen und in der
Isoliertheit der Verwaltungsbereiche widerspiegelten:
"This is predominantly oral, with day-to-day decision making based mainly on oral discussion
and only formally finalized, if required, in a letter. Finally, the bureaucracy remains relatively
isolated from other sectors of Indonesian society, as civil servants are rarely moved between
departments or, as in many countries, seconded outside government to obtain wider experience."
485
Trotz der überwiegend mündlichen Verständigung gab es eine Unzahl von DPR-
Gesetzen, Erlassen und Instruktionen des Präsidenten, von ministeriellen Anordnungen
und Anweisungen und von verwaltungsinternen Regelungen. Dieses inkonsistente
Normensystem verhinderte eine Verstetigung und größere Durchsichtigkeit der
Verwaltungsarbeit. 486 Der Regelungswirrwarr war gerade eine Folge der Zersplitterung
des Verwaltungsapparates in semiautonome und semiautarke Bereiche. Die
Entscheidungskompetenzen und die Finanzierungsmöglichkeiten waren zwar in
Jakarta konzentriert, aber die Zentralisierung erlaubte gerade auf den unteren Ebenen
eine gewisse Autonomisierung. 487
dass die Ausweitung des Personals in Grenzen gehalten werden konnte, da dieses ein Interesse
an einer Beschränkung der Konkurrentenzahl hatte.
484 Allerdings gab es zwischen den verschiedenen Verwaltungsbereichen beträchtliche Unterschiede.
Es gab "nasse" (basah) Behörden wie z.B. in der Bau- oder Finanzverwaltung, in
denen die Zusatzeinkommen besonders hoch waren, so dass es zu einer Konkurrenz mit den
"trockenen" Ämtern kam.
485 MacAndrews 1986b, 31.
486 Thoolen (Hg.) 1987, 58: "It can be concluded, that the legal system is extremely complicated
because of its history and the enormous vagueness of the laws, which leave extraordinary
discretion to government authorities."
487 Die z.T. schwache Implementierungsfähigkeit der indonesischen Verwaltung wurde deshalb
durch mehrere Faktoren verursacht: Die Beamten konnten von der Öffentlichkeit nicht
wirksam kontrolliert werden; in der Beziehung zwischen Vorgesetzten und Untergebenen
wurden Konflikte und offene Diskussionen vermieden; die sehr starke Zentralisierung der
Entscheidungsbefugnisse, bei der die Eigenverantwortung der unteren Verwaltungsebenen
bzw. von Untergebenen oder gar der Bevölkerung nicht vorgesehen war, führten zu Fehleinschätzungen
und Planungsfehlern (Warwick 1987, 42ff; Devas 1989, 35ff; Mudrajad 1993,
347ff).

Die Bürokraten 231
Ministerialverwaltung
Die Führung der Bürokratie war keine so geschlossene strategische Gruppe wie die
Führung des Militärs. Wichtige Bereiche der Bürokratie wurden von ABRI beherrscht
(etwa das Koordinierungsministerium für Politik und Sicherheit und die
Ressorts für Inneres und für Verteidigung). Der verbleibende, z.T. mit ABRI konkurrierende
Teil war seinerseits gegliedert nach Ministerien bzw. anderen Behörden
und Staatsunternehmen, nach Faktionen (Technokraten versus Nationalisten) und
nach Zentrum und Peripherie.
Die Bürokratie war der größte Arbeitgeber im Land, kontrollierte die Implementierung
verschiedener Politiken (in den Ressorts für Finanzen, Handel und Industrie
etc.), z.T. auch die Planung für die jeweils nächste Legislaturperiode (etwa durch
Bappenas). Durch die Staatsbetriebe und staatlichen Banken, durch Aufsichtsbehörden
und verschiedene Ministerien konnten Teile der Bürokratie die Wirtschaftspolitik
wesentlich mitgestalten. Dabei waren die Staatsminister mit besonderen Aufgaben
betraute Assistenten des Präsidenten. 488 Zu ihnen gehörten auch der Generalstaatsanwalt,
der Kommandeur der Streitkräfte, der Gouverneur der Zentralbank und
der Vorsitzende der Nationalen Entwicklungsplanungsbehörde. Die Koordinierungsminister
sollten jeweils die Tätigkeiten mehrerer Fachminister aufeinander
abstimmen. Einzelne Minister (etwa in den Ressorts Forschung und Technologie,
Bildung, Äußeres, Justiz, Information, Landwirtschaft, Arbeit, Religion etc.) konnten
auch einen erheblichen Einfluss auf die politischen Kämpfe zwischen den strategischen
Gruppen und zwischen diesen und der Opposition ausüben. 489 Der Bildungsminister
z.B. hatte die Aufsicht über die Schulen und Universitäten, der Arbeitsminister
setzte sich mit den streikenden Arbeitern auseinander, der Informationsminister
beaufsichtigte die Presse, und der Justizminister konnte auf die - nicht
unabhängigen - Richter und Staatsanwälte einwirken.
Eine Analyse der Zusammensetzung der Kabinette beleuchtet den Einfluss der verschiedenen
Teile der Regimekoalition auf die Spitze der Bürokratie. Mas'oed und
Arfani 490 haben das Kabinett von 1993 bis 1998 untersucht und aufschlussreiche
Differenzierungen eingeführt. Dabei ist zu bedenken, dass die Zusammensetzung
des Kabinetts vermutlich auch z.T. den Aufbau der höheren Bürokratie insgesamt
widerspiegelte. Im Kabinett waren regelmäßig einige Golkar-Politiker vertreten, die
sich in den der Partei als Unterbau dienenden Organisationen hochgearbeitet hatten.
1993 waren das im Einzelnen Hayono Isman von Kosgoro, Mien Sugandhi von
MKGR und Utoyo Usman von Soksi. Von den drei jalur ("Spuren") waren es u.a.
Akbar Tanjung und Sarwono (beide Schützlinge Sudharmonos) sowie Inten Suweno
488 Die Minister waren i.d.R. überdurchschnittlich gut ausgebildet. So hatten z.B. von 37
Ministern im sechsten Entwicklungskabinett (1993-98) allein 28 einen akademischen Titel
(1983: 26 von 41) (Indonesia 55/1993, 167-176 und 35/1983, 37-52).
489 MacDougall 1986, 6. Mitunter konnten zivile Fachminister ihre beschränkten Handlungsmöglichkeiten
nutzen, um ihre Machtbasis auszuweiten. Auf diese Weise konnte Harmoko als
Informationsminister allein in der Zeit von 1981 bis 1986 den Anteil der Militärs von 57% auf
29% senken.
490 Mas'oed/Arfani 1994.

232 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
als genuine Golkar-Politiker (jalur G oder Golkar), aus der Bürokratie (jalur B oder
Birokrasi) die Habibie-Schützlinge Wardiman, Haryanto Dhanutirto, "Billy" Yudono
sowie der relativ unabhängige Ginanjar, von ABRI (jalur ABRI) Yogie S. Memed,
Susilo Sudarman, I.B. Sujana und T.B. Silalahi.
Darüber hinaus gelangten viele als Karrierepolitiker wie Ali Alatas, Harmoko,
Yogie S. Memed und Edi Sudrajat bzw. als Karrierebürokraten wie Mar'ie Muhammad,
Haryono Suyono, Subiakto Cakrawerdaya, Yoop Ave oder Sanyoto S. oder als
Studentenführer von 1966 wie Akbar Tanjung, Siswono Yudohusodo und (wiederum)
Mar'ie Muhammad ins Kabinett. 491 Genannt sind damit nur die wichtigsten
Rekrutierungswege. Bei den einzelnen Ministern war die Anhäufung verschiedener
Mitgliedschaften und Qualifikationen und die Zugehörigkeit zu bestimmten Patronagenetzwerken
von Bedeutung.
Das Kabinett traf sich nur etwa einmal im Jahr. Die wichtigsten Treffen - von jeweils
mehreren Ministern – fanden in den Bereichen Ökonomie, Politik und Soziales
statt. Dazu MacIntyre:
"The President will always attend the economic and political gatherings, but rarely those for
social affairs. Even at this limited sessions, however, serious debate is very uncommon. Instead,
discussion usually takes the form of presentations 'before' the President. Priority is
given to avoiding the appearance of disharmony in the presence of Suharto [...]" 492
Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die einzelnen Minister hochgradig vom Präsidenten
abhängig waren. Einige Schlüsselministerien wurden zudem durch das
Militär beherrscht (vgl. Abschnitt 3.5). Allerdings waren auf der obersten Ebene der
Bürokratie Machtkämpfe zwischen Klientelnetzwerken (oder gar Allianzen) auszumachen,
die sich schon wegen ihrer ausgereifteren Programmatik etwas emanzipieren
konnten. Damit sind die Auseinandersetzungen zwischen Nationalisten (bzw.
Interventionisten) und Technokraten angesprochen.
Die Technokraten oder: die Berkeley-Mafia und Wijoyonomics
Robison 493 unterschied 1986 den Freihandelsansatz der Technokraten, die von den
Vereinigten Staaten, ausländischen Unternehmern, dem IWF und der Weltbank
unterstützt wurden, vom Nationalismus der Opsus/CSIS-Gruppe. Deren japanische
Partner waren offensichtlich vorrangig an staatlich geförderten Projekten unter japanischer
Beteiligung interessiert. Daneben gab es noch die liberalen Reformer insbesondere
aus der Mittelklasse, die stärker an Konzepten der Grundbedürfnisbefriedigung
und sozialer Gerechtigkeit orientiert waren, und schließlich die Nationalisten
der Kleinbourgeoisie, die für sich Förderprogramme reklamierten und möglichst alle
Großunternehmer aus bestimmten Sektoren ausgeschlossen sehen wollten. Mackie
491 Mas'oed/Arfani 1994, 336ff.
492 MacIntyre 1991, 30.
493 Robison 1986, Kap. 5.

Die Bürokraten 233
und MacIntyre 494 unterscheiden zwischen Anhängern eines freien Marktes und Interventionisten
(im Gegensatz zu den "old-style economic nationalists" mit ihrem
Misstrauen gegenüber dem Markt und ausländischen Investoren). Neben diesen
beiden Lagern (Technokraten und Nationalisten) gab es viele Beamte, die rein opportunistisch
ihre Eigeninteressen verfolgten, ohne sich an langfristigen wirtschaftspolitischen
Strategien zu orientieren.
Die Technokraten: ihre Geschichte und ihre Machtzentren
1962 wurde an der Heereskommando- und Stabsschule in Bandung das Curriculum
erweitert, so dass auch Ökonomen an dieser Anstalt lehrten. Daraus ergab sich 1965
eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Militär und den Technokraten. Die Technokraten
bekamen schon frühzeitig das Etikett "Berkeley-Mafia" angeheftet, womit
ihre meist US-amerikanische Hochschulausbildung und ihre Anlehnung an westliche
Institutionen und Konzepte beschrieben wurde. In Berkeley hatten Ali Wardhana,
J.B. Sumarlin, Emil Salim, Mohammad Sadli, Wijoyo Nitisastro und Saleh Afiff
promoviert. 495 Außerdem wurden zu dieser Gruppe noch Radius Prawiro, Subroto
und Sumitro Joyohadikusumo sowie in den 90er Jahren u.a. Mar'ie Muhammad und
Adrianus Mooy gerechnet. 496
494 Mackie/MacIntyre 1994, 35ff; Schwarz unterscheidet drei die Wirtschaftspolitik bestimmende
Gruppen, nämlich die Ökonomen/Technokraten, die Nationalisten und die cronies
(Schwarz 1994, 52ff).
495 Ali Wardhana: geboren 1928 im mitteljavanischen Solo, hatte 1962 in Berkeley promoviert,
war 1967-83 Dekan an der UI, 1968-83 Finanzminister, 1983-88 Minister für die Koordination
von Ökonomie, Finanzen und Industrie und seit 1993 persönlicher Berater von Suharto.
Sumarlin, Johannes Baptist: geboren 1932 in Nglegok, Blitar, Ostjava, Schulzeit in
Yogyakarta, Ökonomiestudium an der UI und in Berkeley (M.A. 1960), seit 1960 Dozent,
Promotion 1968 in Pittsburg, Katholik, 1973-83 stellvertretender Vorsitzender von Bappenas,
1973-83 Minister für die Reform der Verwaltung und Opstib-Vorsitzender, seit 1979 Professor
an der UI, seit 1983 Bappenas-Vorsitzender und Minister für Entwicklungsplanung, 1988-
93 Finanzminister, seit 1993 Vorsitzender des BPK. Salim, Emil: geboren 1930 in Lahat
(Südsumatra), Ökonom, Promotion 1964 in Berkeley, unterrichtete an Seskoad und UI, seit
1966 im Beraterteam des Präsidenten, 1971-73 stellvertretender Vorsitzender von Bappenas,
1973-78 Verkehrsminister, 1978-83 Staatsminister für die Aufsicht über Umwelt und Entwicklung,
1983-93 Umweltminister, 1998 überraschend als Alternative zu Suharto wieder ins
Gespräch gebracht. Sadli, Mohammad: geboren 1922, Ökonom, Ingenieurstudium an UGM
und MIT, Studium der Wirtschaftswiss. in Berkeley und an der Harvard-Universität, dort
1964 Promotion, seit 1963 Professor für Ökonomie an der UI, Arbeitsminister (1971-73),
Bergbauminister (1973-78), Bapindo-Berater. Afiff, Saleh: geboren 1930 in Cirebon, 1959 UI,
MBA in Berkeley 1961, Dissertation in Agrarökonomie an der Oregon State University 1967,
verschiedene Tätigkeiten bei Bappenas, 1978-83 Assistent des Menko Ekuin, ab 1983 Minister
für die Effizienzsteigerung des Staatsapparates und stellvertretender Vorsitzender von
Bappenas unter Wijoyo, 1988-93 Minister für Nationale Planung und Vorsitzender von
Bappenas, 1993-98 Koordinierungsminister für Ökonomie, Finanzen und Industrie (Menko
Ekuin).
496 Prawiro, Radius: geboren 1928 in Yogyakarta, Protestant, Ökonomiestudium in Rotterdam
und Jakarta, Gouverneur der Bank Indonesia (1966-73), seit 1968 im Wirtschaftsexperten-

234 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Wijoyo Nitisastro war neben Ali Wardhana der führende Kopf dieser Gruppe, so
dass ihr wirtschaftspolitischer Ansatz auch als Wijoyonomics - im Gegensatz zur
Habibienomics - bezeichnet wurde. 497 Wijoyos Biographie ist typisch für viele Angehörige
dieser Gruppe. Er wurde 1927 im ostjavanischen Malang geboren, promovierte
1961 in Berkeley, war 1961 bis 1968 Dekan, seit 1964 Ökonomieprofessor an
der UI und außerdem Anfang der 60er Jahre Dozent bei Seskoad und Lemhannas.
Von 1967 bis 1971 und von 1973 bis 1983 arbeitete er als Bappenas-Direktor, von
1971 bis 1973 als Staatsminister für nationale Entwicklungsplanung und von 1973
bis 1983 als Minister für die Koordinierung von Ökonomie, Finanzen und Industrie.
Seit 1983 war er Berater vom Bappenas und ab 1993 persönlicher Berater von Suharto.
1998, auf dem Höhepunkt der Asienkrise, machte Suharto ihn zum Leiter
eines "Aufsichtsrates für wirtschaftliche und finanzielle Stabilität" (DPKEK). Wijoyo
hatte wie Wardhana über 30 Jahre lang, also während der gesamten Neuen
Ordnung, wichtige offizielle oder inoffizielle Positionen inne und bestimmte die
Wirtschafts- und Finanzpolitik Indonesiens in dieser Zeit maßgeblich mit.
Am Anfang der Neuen Ordnung konstituierten diese Technokraten einen kleinen
Zirkel. Die insbesondere für damalige indonesische Verhältnisse weit überdurchschnittlich
gut ausgebildeten Fachleute wurden von der Regimekoalition für die
wirtschafts- und finanzpolitische Feinsteuerung gebraucht. Die Technokraten machten
eine winzige Elite unter den eher traditionalistisch orientierten Bürokraten aus
und hatten schon deshalb kaum die Möglichkeit, ihre Vorstellungen von Effizienz
und Rationalität wirksam in allen Politikbereichen und bis in die untersten Verwaltungsebenen
durchzusetzen. 498 Sie waren diejenigen, die aus westlicher Sicht die
entwickeltsten wissenschaftlichen Konzepte vertraten und am wenigsten an ihren
eigenen ökonomischen Interessen - wie die cronies - oder an den wirtschaftlichen
Interessen eines bestimmten Klientels - wie die Nationalisten - orientiert waren. Die
team von Suharto, Handelsminister (1973-1978), Minister für Handel und Kooperativen
(1978-83), Finanzminister (1983-88), Minister für die Koordination von Finanzen und Industrie
(1988-93), 1998 Leiter eines Teams, das über die Schulden des privaten Sektors mit den
Gläubigern verhandelte. Subroto: geboren 1928 in Solo, Mitteljava, Dissertation an der UI
1958 (zuvor in Montreal an der McGill University), Professor an der UI, Spri Ekonomi, 1971-
73 Minister für Arbeit, Transmigration und Kooperativen, 1978-88 Minister für Bergbau und
Energie. Joyohadikusumo, Sumitro: geboren 1917 in Kebumen, Mitteljava, Sohn des Gründers
der Bank Negara Indonesia, Studium an der Sorbonne bis 1938 und in Rotterdam bis
1942 (dort 1942 Promotion), Berater des Premierministers 1946, PSI-Mitglied, verschiedene
Ministerien in den 50er Jahren, seit 1951 Professor an der UI, 1957 Teilnahme an PRRI,
danach Flucht nach Singapur, Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der UI, Consultant
in Malaysia, Hongkong, Thailand, Frankreich und der Schweiz, eigene Firma
(Indoconsult), Zusammenarbeit mit der Ford-Foundation bei der Ausbildung von Ökonomen,
1968-73 Handelsminister, 1973-78 Forschungsminister, Vater von Prabowo Subianto. Muhammad,
Mar'ie: geboren 1939 in Surabaya, arabischer Abstammung, HMI-Aktivist 1966,
Abschluss an der UI im Jahre 1969 (Buchführung), seit 1970 im Finanzmininisterium, Direktor
für Staatsunternehmen, 1993-98 Finanzminister.
497 Vgl. Salim 1998, 65.
498 Vgl. Bresnan 1993, 72ff.

Die Bürokraten 235
Technokraten lehnten den "free-fighting capitalism", der in Indonesien durch den
niederländischen Kolonialismus in Verruf geraten war, ebenso wie den Etatismus
der Sukarno-Ära ab. Selbst das Wort kapitalisme hatte in Indonesien einen sehr
schlechten Klang, so dass sie es vorzogen, die soziale Komponente ihres Ansatzes
im Sinne einer Ekonomi Pancasila hervorzuheben. Sie vertrauten am ehesten auf
marktwirtschaftliche Mechanismen, vertraten am ehesten eine liberale Handels- und
Investitionspolitik und nahmen eine positive Haltung zu Investitionen ausländischer
Betriebe ein. Dennoch waren sie keine Marktradikalen in der Nachfolge etwa der
Chicagoer Schule. 499 Eher vertraten sie einen Ansatz, der im Sinne eines policy-mix
interventionistische und marktorientierte Elemente aufnahm. Es verband sie eine
ausgeprägte Skepsis gegenüber den kostspieligen Experimenten von Habibie und
den zentral gesteuerten Pro-pribumi-Politiken von Sudharmono, Ginanjar u.a. Außerdem
glaubten sie an einen "starken Staat", der die innere Sicherheit garantiert und
als Planungs- und Entwicklungsinstanz fungiert. Insofern traf sich in der Neuen
Ordnung ihr Elitismus mit dem Autoritarismus des Militärs. 500
Die Technokraten unterhielten in der Neuen Ordnung innerhalb der Bürokratie die
engsten Kontakte zu den westlichen Unternehmen und den mächtigsten internationalen
Organisationen (Weltbank, IWF, IGGI). Ihre Macht gründete auf ihrem großen
Fachwissen und auf dem Vertrauen, das das ausländische Kapital in sie setzte. Wenn
Technokraten ausgebootet wurden, reagierten die genannten Organisationen mit
großer Nervosität und warnten die Regierung vor einem aus ihrer Sicht abenteuerlichen
nationalistischen Kurs. Vielleicht hat Suharto deshalb gerade bei den Technokraten
auf ein hohes Maß an Kontinuität gesetzt. Einige der führenden Figuren waren
somit seit 1965 bis zum Zusammenbruch des Suharto-Herrschaftssystems in
zentralen Positionen, während Suharto sonst - vor allem bei Militärs - sehr darauf
achtete, dass ständig neue Führungskräfte rekrutiert wurden, um so die Bildung von
autonomen Machtzentren zu verhindern. Die Macht der Technokraten beruhte nicht
so sehr auf ihren realen Entscheidungsmöglichkeiten in der Bürokratie, sondern war
von der strategischen Bedeutung ausländischer Investitionen und guter Beziehungen
vor allem zu den Vereinigten Staaten abgeleitet. Sie vertraten äußere Mächte und
konnten selbst kaum auf die Besetzung von Posten oder gar auf die Innenpolitik
einwirken. Auch kontrollierten sie weder direkt noch indirekt allzu viel ökonomisches
Kapital.
Zu ihren Machtbasen zählte bis in die 90er Jahre Bappenas, die Nationale Entwicklungsplanungsbehörde,
die auch Ableger in den Provinzen und den Distrikten hat-
499 Vgl. Chalmers 1997, 28f.
500 Zu dem technokratischen approach zählte tendenziell auch eine Abneigung gegen den
informellen Sektor, der als rückständig und unproduktiv galt. So wurden in Jakarta die becak
(Fahrradrikschas) mit aller Brutalität aus dem Verkehr gezogen, weil sie die Straßen blockierten
und nicht dem Bild einer blühenden südostasiatischen Metropole entsprachen. Ebenso
mussten die vielen Klein- und Kleinsthändler an den Straßenrändern immer mit den Schikanen
von Polizei und Militär rechnen.

236 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
te. 501 Außerdem waren sie häufig in wichtigen Kabinettspositionen vertreten, vor
allem als Handels- und als Finanzminister oder als Koordinierungsminister für die
wirtschaftspolitisch relevanten Ressorts.
Phasen der Entwicklung
Das Auf und Ab der Gruppe spiegelt sich in der bereits skizzierten ökonomischen
Entwicklung der Neuen Ordnung wider:
- in der ersten Phase waren sie als Sanierer der heruntergekommenen Wirtschaft von
entscheidender Bedeutung.
- Seit Anfang der 70er Jahre verloren sie etwas an Boden, und
- von 1974 bis Anfang/Mitte der 80er konnten sie nur Teilbereiche der Verwaltung
kontrollieren.
- Erst mit der Liberalisierung seit etwa Mitte der 80er Jahre wurden sie zunehmend
in Entscheidungsprozesse eingebunden.
In den ersten Jahren war an eine aktiv-interventionistische Politik nicht zu denken,
so dass die Technokraten die Finanz- und Wirtschaftspolitik in Absprache mit ausländischen
Investoren sowie der Weltbank und dem Weltwährungsfonds bestimmten.
502 Die in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen unbedarften Militärs vertrauten
dieser "Berkeley-Mafia" die Konsolidierung der indonesischen Wirtschaft an,
d.h. die Inflationsbekämpfung, die Umschuldung und die Sanierung des Staatshaushaltes.
503 Die Technokraten zählten zwar zu den Beratern in Schlüsselpositionen, die
eigentliche Machtzentrale waren aber die Aspri-"Finanzgeneräle".
Seit Anfang der 70er entbrannte ein Machtkampf zwischen den Technokraten und
Ibnu Sutowo, der wie erwähnt als Direktor von Pertamina bürokratische Regularien
meist außer Acht ließ und sich in eigener Regie ein Imperium aus Unternehmen
aufbaute. Er verfügte über umfangreiche Geldmittel und hatte die Möglichkeit, Aufträge
an andere Unternehmer zu vergeben. Auf diese Weise baute er sich ein weit
verzweigtes Beziehungsnetz von Günstlingen auf.
Nach der Malari-Affäre wurden die erwähnten nationalistischen Maßnahmen ergriffen.
Alle ausländischen Investitionen mussten vom Januar 1974 an als Joint Ventures
getätigt werden. Die Ausländer mussten angeben, wie die Unternehmensanteile
im Laufe der Jahre in indonesische Hand kommen sollten. Außerdem waren sie
verpflichtet, vermehrt Indonesier einzustellen. Die bis dahin gültigen Vergünstigungen
wie Steuerbefreiungen und Importerleichterungen sollten allmählich reduziert
werden. Zu einigen Wirtschaftssektoren wurde den Ausländern außerdem der Zugang
erschwert. In Wirklichkeit waren die neuen Bestimmungen nicht so gravierend
für die multinationalen Konzerne, wie sie auf den ersten Blick aussahen. Die pribumi-Unternehmer
waren viel zu kapitalschwach, um systematisch Anteile - selbst zu
vergünstigten Bedingungen - aufkaufen zu können. Außerdem konnten viele Be-
501 "The functions of BAPPENAS include the preparation of national development plans, the
harmonisation of sectoral and regional plans with the national plan and the preparation of the
draft annual budget. BAPPENAS is also the main government organisation responsible for
policies regarding foreign aid" (Rohdewohld 1996, 48).
502 Dazu ausführlich: Winters 1996.
503 Vgl. zu ähnlichen Einteilungen Hill 1994; Robison 1986, 131ff.

Die Bürokraten 237
stimmungen wegen der Schwäche der Bürokratie, d.h. wegen ihrer Korrumpierbarkeit
und mangelnden Aufsichtskompetenz, umgangen werden. Dennoch gingen die
ausländischen Investitionen in den nächsten Jahren - insbesondere seit 1976 - zurück.
Erst 1987 war die nationalistische Phase insoweit wieder beendet, als der Umfang
ausländischer Investitionen wieder steil anstieg.
Die Technokraten verloren mit den neuen Gesetzen an Einfluss. Zwar konnten sie
mit dem Niedergang Ibnu Sutowos, der zur Murtopo-Gruppe gerechnet werden
konnte, einen Erfolg verbuchen, aber bis in die 80er Jahre hinein waren sie nicht
mehr die zentralen Gestalter der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Regulierung
ausländischer Investitionen nutzte vor allem den Nationalisten in der Bürokratie. Je
mehr Hindernisse die indonesische Bürokratie aufbaute, desto mehr Möglichkeiten
boten sich ihnen, Gelder abzuzweigen. Da die Bestimmungen oftmals unklar definiert
waren, erfanden vor allem auf den Außeninseln die Behörden eine Unzahl von
Zusatzzahlungen. Dabei konnten sie allerdings nur bis zur Schmerzgrenze der Ausländer
gehen.
Die Technokraten bekamen keine Unterstützung durch das Militär oder durch indonesische
Unternehmer, denn weder die cukong noch die pribumi und die Staatsbetriebe
waren an einer mehr oder weniger neoliberalen Politik interessiert. Die Sudharmono-Gruppe
entwickelte eine nationalistische Entwicklungsstrategie, weil sie
sich einerseits gegen die mit cukong kooperierende Murtopo-Gruppe richtete und
weil ihr andererseits an einer Regulierung der einheimischen Ökonomie gelegen
war. Sie setzte deshalb auf die Förderung der einheimischen, der pribumi-
Unternehmer. Die Murtopo-Gruppe war stark in den Staatsbetrieben vertreten und
kooperierte eng mit Chinesen und Japanern. Diese Gruppe verfügte selbst über ein
immenses Kapital und hatte zudem Rückhalt beim Geheimdienst und beim Militär.
Sie wollte einerseits eine graduelle Abschottung des eigenen Marktes, andererseits
war eine pribumi-Förderung für sie von geringem Stellenwert. Suharto konnte zwischen
diesen Gruppen lavieren. Er benötigte die Technokraten, um bei Bedarf ausländisches
Kapital ins Land holen und um die Effizienz staatlicher Behörden und
Betriebe steigern zu können. Als z.B. Ibnu Sutowo seine Kompetenzen weit überschritt,
durften die Technokraten intervenieren. 504
Die Technokraten waren bei niedrigen Erdölpreisen stark und bei hohen Erdölpreisen
schwach. Immer wenn die Regierung viele Gelder zu verteilen hatte und der
Druck von den ausländischen Investoren und Kreditgebern nicht so stark war, konnten
die Nationalisten und die cronies leichter ihre Interessen durchsetzen. In Krisensituationen,
wie unmittelbar nach der Machtübernahme durch Suharto und nach der
Pertamina-Affäre, aber insbesondere nach dem dramatischen Verfall der Energierohstoffpreise
Anfang der 80er Jahre, waren die Technokraten als Krisenmanager
504 Suharto benötigte außerdem die Murtopo-Gruppe, um verdeckt Finanzmittel erhalten und
verteilen sowie um politische Geheimoperationen durchführen lassen zu können. Die
Sudharmono-Gruppe hätte die Manipulierung der Parteien und der Wahlen nicht leisten können,
sie war für Suharto aber wichtig, um ein Gegengewicht gegen die anderen Gruppen und
das Kabinett zu haben, vor allem aber, um die einheimischen Gruppen beschwichtigen zu
können, die - insbesondere 1973/74 - eine prononciertere Rolle der pribumi forderten.

238 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
gefragt. Die Öffnung und Liberalisierung der indonesischen Ökonomie seit Mitte
der 80er Jahre führte zu einer Ausweitung ihres Kompetenzbereiches, weil das Ausland
an einer berechenbaren und auf Deregulierung setzenden Politik interessiert
war. Der technokratische Ansatz bestand zum einen im Abbau von Monopolen, also
einer Machtschwächung der cronies, in einer Schwächung der Staatsbetriebe und
einer Öffnung für ausländische Unternehmen, zum anderen in der Durchsetzung
einer größeren Haushaltsdisziplin bei gleichzeitig steigenden Steuereinnahmen.
Bis Mitte der 80er kam es noch zu einem Mix aus nationalistischen und Deregulierungsmaßnahmen.
Seitdem spielten die Technokraten eine bedeutendere Rolle, und
die Öffnungs- und Liberalisierungspolitik wurde (aus heutiger Sicht überhastet) bis
1997 fortgesetzt.
Interventionistisch orientierte Nationalisten
In Indonesien vertraten die Nationalisten oder Interventionisten eine Strategie, nach
der unter staatlicher Führung und unter staatlichem Schutz (daher: "nationalistisch")
eigene Industrien geschaffen werden sollten. Ian Chalmers schreibt über den "[...]
'statist-nationalist' stream of thought":
"It is nationalist because this stream invariably justifies economic initiatives in terms of the
struggle to build national strength. It is statist because its central components are notions of
unity and hierarchy, providing an essential role for a corporatist state intervening to marshal
social forces around the development effort. This stream of thought resonates with the organicist
tradition in Indonesian thinking, and harks back to the notion of pembangunan as one
component in the struggle for building national sovereignty." 505
In Indonesien ist der Gedanke der Planbarkeit ökonomischer Prozesse noch tief
verwurzelt. Deshalb werden alle fünf Jahre neue Entwicklungspläne (Repelita) ausgearbeitet,
wobei fünf solcher Pläne zu einem 25-Jahres-Plan zusammengefasst sind.
1994, nach dem Ende des ersten 25-Jahres-Planes, war theoretisch die take-off-Phase
angebrochen. Die große Bedeutung der Planung und des Expertentums an höchster
Stelle hatte zur Folge, dass ungewöhnlich viele Fachleute, besonders aus den Ingenieurswissenschaften,
in den Kabinetten vertreten waren. 506
Die Nationalisten bestanden, vereinfacht gesagt, aus den Bürokraten, die ein spezifisches
Verwaltungswissen (wie Sudharmono 507 , Murdiono 508 u.a.) angesammelt
505 Chalmers 1997, 27
506 Da in Indonesien Seilschaften sehr wichtig sind, schlossen sich z.B. auch Angehörige
bestimmter Universitäten formell oder informell zusammen. Ein gutes Beispiel für diese
Praxis war die Alumni-Vereinigung des Technologieinstitutes Bandung (ITB), der wohl
renommiertesten Technischen Universität des Landes. 1997 waren im Kabinett 11 Ingenieure
vom ITB vertreten, und der prominenteste von ihnen war Habibie selbst. Bei dem Treffen der
Alumni-Vereinigung 1997 war sogar Suharto anwesend (Jakarta Post, 6.12.1997).
507 Sudharmono: geboren 1927 in Gresik, Ostjava, kebatinan-Anhänger, Generalleutnant,
wahrscheinlich in laskar-Einheit, Militär-Rechtsakademie, seit 1957 Militäranklagevertreter,
seit 1966 Kabinettssekretär, seit 1967 zuständig für allgemeine Angelegenheiten im Spri,
Chef des Staatssekretariats seit 1972, Mensesneg (Staatssekretär mit Ministerrang) 1978 bis
1988, zu unterschiedlichen Zeiten gleichzeitig in verschiedenen Funktionen: persönlicher
Sekretär Suhartos für allgemeine Angelegenheiten, BPK-Sekretär, Minister für administrative

Die Bürokraten 239
hatten, und aus den Ingenieuren wie Habibie 509 , Hartarto 510 u.a., die im Staatsapparat
ihr Fachwissen vor allem dann als Machtressource einsetzen konnten, wenn der
Staat selbst Entwicklungsprojekte, möglichst unter Einschluss komplexer Ingenieursarbeiten,
vorantrieb. Ginanjar Kartasasmita 511 stand als Chemie-Ingenieur und
Sudharmono-Protegé zwischen diesen beiden Gruppen. Hartarto erstrebte eine
Importsubstitutionsindustrialisierung, die eine starke Verflechtung mit der Zulieferindustrie
einschloss, Habibie setzte hingegen auf "technological leapfrogging".
Machtzentren der Nationalisten und Phasen der Entwicklung
In den ersten Jahren der Neuen Ordnung waren die Nationalisten noch relativ
schwach, da die Förderung insbesondere ausländischer Investitionen und die Öffnung
des einheimischen Marktes im Vordergrund standen. Allerdings blieben zahl-
und finanzielle Angelegenheiten nichtministerieller Behörden, Sekretär der Behörde für wirtschaftliche
Stabilisierung, 1. Vorsitzender von Golkar (1983-88), Vizepräsident (1988-93),
Kopf der Sekneg-Gruppe, die vor allem 1980 bis1988 (nach Keppres 10 und 14A) sehr bedeutend
war; zu ihr gehörten außerdem u.a. Murdiono, Ginanjar Kartasasmita, Ali Said und
Ismael Saleh; nach 1988 Angriffe wegen vermeintlicher früherer Kontakte zu Kommunisten,
1990 weiterer Abstieg (Generalstaatsanwalt Sukarton stirbt, Justizminister Saleh hat Schwierigkeiten
wegen Konflikt in Ikadin, und der Minister für Kooperativen Arifin ist in Bankskandal
verstrickt) (vgl. Pangaribuan 1996).
508 Murdiono: geboren 1934 in Banyuwangi, GM, Ausbildung an staatlicher Verwaltungsakademie,
Sekretariat Negara (Sudharmono-Gruppe), Tim 10, wurde 1981 Kabinettssekretär,
1988 bis 1998 Mensesneg (Staatssekretär mit Ministerrang).
509 Habibie, Bacharuddin Yussuf ("Rudy"): geboren 1936 in Pare-Pare, Südsulawesi, Bugis-
Makassarese als Vater, priyayi-Mutter aus Yogyakarta (wird aber als Buginese wahrgenommen),
seit 50er Jahren Kontakt zu Suharto, kurze Zeit ITB (1954/55), Studium und Promotion
in Aachen, 1966-73 Leiter der Abteilung für Forschung und Konstruktion bei MBB in Hamburg,
zunächst bei Pertamina (Berater von Ibnu Sutowo und Leiter der Abteilung für fortgeschrittene
Technologie und Raumfahrt), war seit 1976 IPTN-Direktor, seit 1978 Forschungs-
und Technologieminister, seit 1978 Direktor von PT PAL und der Batam Industrial Development
Authority, seit 1983 Direktor PT PINDAD, seit 1989 Vorsitzender von BPIS und seit
Dezember 1990 ICMI-Vorsitzender, seit März 1998 Vizepräsident und vom Mai 1998 bis
zum Oktober 1999 Präsident (Indonesia 55, 1993; Tempo 10.10.1992). Über die Unternehmensgeflechte
der Habibie-Familie: Aditjondro 1998, 81ff.
510 Hartarto: geboren 1932 in Delanggu, Surakarta, Mitteljava, Chemieingenieur (ITB, dann
University of New South Wales, Australien), Direktorenposten im Generaldirektoriat der
chemischen Industrie, 1983-93 Industrieminister, 1993-98 Koordinierungsminister für Industrie
und Handel, seit 1995 Koordinierungsminister für Produktion und Distribution, seit März
und Mai 1998 Koordinierungsminister für Entwicklungsaufsicht und Verwaltungsreform.
511 Ginanjar Kartasasmita: geboren 1941 in Bandung, 1953-59 Katholische Eliteschule
Canisius, Studium in Bandung (ITB) und Tokio (1960-65), Ingenieur, Luftwaffenoffizier,
M.A. von Verwaltungshochschule, verschiedene Funktionen im Umfeld des Staatssekretariats,
1983-88 Juniorminister für die Förderung der Nutzung einheimischer Erzeugnisse und
BKPM-Vorsitzender, 1988-93 Bergbau- und Energieminister, seit 1993 Direktor von
Bappenas, galt als pribumi-Nationalist, Nähe zu Sudharmono und Habibie; seit März und Mai
1998 (bis Okt. 1999) Koordinierungsminister für Ökonomie und Entwicklungsaufsicht (verantwortlich
auch für die Verhandlungen mit dem IWF).

240 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
reiche Staatsunternehmen bestehen, und besonders Pertamina 512 wuchs zu einem
ersten Machtzentrum der Nationalisten heran. Bis 1975 wurde dieses Unternehmen
unter der Führung von Ibnu Sutowo zu einem "Staat im Staate". Mit schier unerschöpflichen
Geldmitteln förderte es pribumi-Unternehmer und baute eigene kleinere
Industrien auf. Ibnu Sutowo stand in enger Beziehung zur Opsus/CSIS-Gruppe,
die die neue nationalistische Strategie auch theoretisch zu untermauern versuchte. 513
Weitere Machtbasen der Nationalisten waren das Industrieministerium (Suhud,
Hartarto etc.), die Behörde für die Koordination von Kapitalinvestitionen
(BKPM) 514 , das Staatssekretariat Sekneg 515 und in den letzten Jahren der Neuen
Ordnung die nationale Entwicklungsplanungsbehörde, Bappenas 516 , unter Ginanjar
Kartasasmita. Die 1973 eingerichtete BKPM legte fest, welche Investitionsbereiche
für nationale Unternehmer reserviert werden sollten. Das Industrieministerium hatte
verschiedene Möglichkeiten, pribumi-Industrielle zu fördern, und das Staatssekretariat
mit dem "Tim 10" entschied seit 1980 über die Vergabe einer Vielzahl öffentlicher
Aufträge. Seit 1978 konnte Habibie mit seinem Imperium von strategischen
Industriebetrieben und durch den Zugang zu riesigen Summen einen erheblichen
Einfluss ausüben. Spätestens Ende der 80er Jahre war Habibie zur beherrschenden
Figur im Lager der Nationalisten geworden.
Nach der Malari-Affäre (1974) folgte wegen der stark angestiegenen Erdölpreise
und der nationalistischen Proteste auf die vor allem von den Technokraten bestimmte
freihändlerische Politik eine Phase des ökonomischen Nationalismus. Dabei wurden
einheimische Unternehmer mit staatlichen Krediten und durch die Vergabe von
Aufträgen für die großen Infrastruktur- und Industrialisierungsprojekte (Stahlindustrie,
Erdöl- und Erdgasindustrie, Bergbau etc.) gefördert. In diesen ersten Ölboomjahren
dürfte die Regimekoalition in Indonesien größere Reserven gebildet haben.
Da das Militär und der Suharto-Zirkel unmittelbar auf Pertamina-Gewinne zurückgreifen
konnten, wurde eine Stabilisierung des Systems politischer Herrschaft wesentlich
erleichtert. Man konnte ohne Mühe die verschiedenen strategischen Gruppen
am neuen Wohlstand beteiligen. Pertamina war - wie in Abschnitt 3.4 beschrieben
- das Zentrum eines Konglomerates von Unternehmen, und der geschäftige Ibnu
Sutowo konnte viele Milliarden US$ investieren und dabei vor allem pribumi-
Unternehmer fördern. Nationalistisch war seine Strategie, weil Pertamina der
Schlüssel zum Aufbau einer einheimischen Industrie werden sollte. Der Staatsbetrieb
wurde von Sutowo wie sein Eigentum behandelt, und Außenstehenden gelang
es nicht, die Organisationsstruktur und die verschiedenen Buchhaltungen zu durchschauen.
517 Diese erste Phase des ökonomischen Nationalismus war also eine Art
512
Perusahaan Tambang Minyak dan Gas Bumi Nasional = Nationales Erdöl- und Erdgasförderungsunternehmen.
513
Siehe dazu die Auszüge aus Texten von Ali Murtopo, Yusuf Panglaykim und Sujono
Humardani in: Chalmers/Hadiz (Hg.) (1997), Kap. 3.
514
Badan Koordinasi Penanaman Modal.
515
Sekretariat Negara.
516
Badan Perencanaan Pembangunan Nasional.
517
Nach Winters (1996, 91) wurde Sutowo Anfang 1976 nicht wegen der skandalösen Misswirtschaft
entlassen, sondern weil er zusammen mit Ferdinand Marcos nach einem Golfspiel
zu spät bei einer ASEAN-Schlussveranstaltung erschien.

Die Bürokraten 241
abenteuerkapitalistische Subventionsstrategie nach dem Gießkannenprinzip. Erst
nach diesem Skandal gelang es den Technokraten, den staatlichen Erdöl/Erdgas-
Sektor in ihren Kompetenzbereich zu bringen, 518 und die Bappenas setzte durch,
dass fortan staatliche Unternehmen nicht mehr selbständig Kredite im Ausland aufnehmen
durften.
Die zweite Phase der nationalistischen Wirtschaftspolitik setzte Ende der 70er Jahre
ein. Während in den ersten Jahren der Neuen Ordnung die Kabinette nicht so bedeutend
waren, da die Assistenten des Präsidenten in Aspri bzw. Spri die wichtigsten
Entscheidungen trafen, wurden mit zunehmendem Maße seit den 70er Jahren wichtige
Kompetenzbereiche an verschiedene Ministerien delegiert. 519
Ausgelöst durch eine engere Zusammenarbeit der OPEC-Länder und durch die Ereignisse
im Iran 1979, verdreifachte sich zwischen 1978 und 1981 der Ölpreis. Der
Anteil der frei zur Verfügung stehenden Gelder vervielfachte sich dadurch. Suharto
entschloss sich, ein Team einzusetzen, das über die Vergabe der vielen profitablen
staatlichen Entwicklungsprojekte entscheiden sollte. Vorher hatten solche Projekte
in einem nicht zentral koordinierten Mechanismus Bappenas und das Finanzministerium,
beides Bastionen der Technokraten, gemeinsam vergeben. Mit der Keppres
14/1979, vor allem mit der Keppres 10/1980 und der Einsetzung des Tim 10 unter
der Leitung von Sekneg-Chef Sudharmono wurden Aufträge im Gesamtvolumen
von 52 Billionen Rp. vergeben:
"The economic nationalists (particularly Sekneg and the Department of Industries)
wanted to ensure the continued development of import substitution industries, particularly
such upstream industries as cement, steel, pulp and factory machinery." 520
Die Sudharmono-Gruppe förderte pribumi-Unternehmer und nutzte einen Teil des
Geldes zur Umstrukturierung Golkars. Anfang der 80er Jahre dürfte die Machtstellung
der Nationalisten besonders stark gewesen sein. Im Vierten Entwicklungskabinett
521 (1983-88) wurde die Murtopo-Gruppe vollends entmachtet, während die
Sudharmono-Gruppe und die Technokraten ihre Stellung stabilisieren konnten. 522
518
Neuer Pertamina-Chef wurde GM Piet Haryono, der vorher im Finanzministerium eng mit
den Technokraten zusammengearbeitet hatte.
519
Die Zusammensetzung dieser Kabinette gibt Aufschluss über den Konflikt zwischen den
Technokraten und den Nationalisten (Pangaribuan 1996, 40). Im Dritten Entwicklungskabinett
(1978-83) war die Ali Murtopo-Gruppe mit Murtopo selbst als Informationsminister,
A.R. Suhud als Industrie- und Daud Yusuf als Erziehungs- und Kulturminister vertreten. Von
der Sudharmono-Gruppe war neben Sudharmono als Sekneg-Leiter Ali Said weiterhin Generalstaatsanwalt,
und Mujono war Justizminister. Die Technokraten hatten weiterhin einige der
für die Gestaltung der Wirtschafts- und Finanzpolitik wichtigsten Ministerien inne: Ali
Wardhana als Finanzminister, Wijoyo als Menko Ekuin und Bappenas-Leiter, Emil Salim als
Minister für Entwicklungsaufsicht und Umwelt, Sumarlin als Minister für die Aufsicht über
den Staatsapparat und Radius Prawiro als Handelsminister.
520
Pangaribuan 1996, 63.
521
Indonesia 35/83.
522
Ali Murtopo, Wijoyo Nitisastro und Mohammad Yusuf waren nicht mehr vertreten.
Stattdessen stieg die Sekneg-Gruppe auf: Sudharmono blieb Minister des Staatssekretariats,
Ali Said wurde Justizminister (und Ismael Saleh Generalstaatsanwalt), Murdiono Juniorminister
des Staatssekretariats und Ginanjar Kartasasmita UP3DN-Juniorminister (verantwortlich

242 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Aber schon mit dem erneuten Einbruch des Erdölpreises stieß diese Strategie einer
zentral gelenkten, stärker regulierten pribumi-Förderung an ihre Grenzen. Dazu
Pangaribuan:
"The ISI strategy supported by Sekneg […] and the Department of Industries to protect local
industries was faltering because domestically produced goods cost more than imported goods
and the oil revenues that had long supported the situation were no longer available. The 6
May Package (aus dem Jahre 1985, A.U.), known as Pakem, was beneficial to downstream
industries and detrimental to the kind of upstream, hi-tech industries supported by the nationalists."
523
Seit Mitte der 80er Jahre hatten es die Nationalisten im Zuge der ökonomischen
Liberalisierung schwieriger. Zu diesem Zeitpunkt standen dem Staat nicht nur weniger
Ressourcen zur Verfügung; auch die optimistischen Erwartungen einiger Nationalisten
hinsichtlich der Schaffung einer pribumi-Bourgeoisie erfüllten sich nicht.
Schließlich wurde das Tim 10 1988 per Präsidentendekret wieder aufgelöst, und die
zentralisierte Auftragsverteilung wurde wieder durch ein dezentralisierteres, undurchsichtigeres
System ersetzt, das insbesondere auch den Technokraten, die einige
Schlüsselministerien und Staatsunternehmen kontrollierten, zugute kam. Im Fünften
Entwicklungskabinett (1988-93) waren dann sowohl die Technokraten als auch die
Nationalisten sehr stark vertreten. 524
In den 90er Jahren dominierte zusehends eine nationalistische Politik der staatlichen
Entwicklung und Produktion von Hochtechnologieprodukten in strategisch wichtigen
Bereichen. Diese Strategie verband sich vor allem mit einem Namen – Habibie.
Habibienomics
Habibie machte als Flugzeugbauer bei MBB in Hamburg Karriere. Mitte der 70er
Jahre holte ihn Suharto, der ihn seit den 50er Jahren persönlich kannte, nach Indone-
für die Förderung einheimisch produzierter Güter). Benny Murdani wurde neuer ABRI-
Kommandeur und Poniman Minister für Verteidigung und Sicherheit. Die Technokraten
waren weiterhin stark vertreten mit Sumarlin als Bappenas-Vorsitzendem (im Ministerrang),
Ali Wardhana als Menko Ekuin, Radius Prawiro als Finanzminister, Rachmat Saleh als Handelsminister,
Arifin Siregar als Gouverneur der Bank Indonesia (ebenfalls im Ministerrang),
Saleh Afiff als Staatsminister für die Reform des Staatsapparates und stellvertretendem
Bappenas-Vorsitzendem sowie Emil Salim als Minister für Bevölkerung und Umwelt.
Außerdem saßen im Kabinett die Murtopo-Günstlinge Abdul Gafur (Jugend und Sport) und
Cosmas Batubara (Wohnungsbau) sowie die Suharto-nahen Habibie (Forschung und Technologie),
Bustanil Arifin (Kooperativen und Bulog-Vorsitzender) und Hartarto (Industrie)
(Pangaribuan 1996, 58f).
523 Pangaribuan 1996, 66.
524 Sudharmono war inzwischen Vizepräsident geworden. Von "seinen" Leuten wurde
Ginanjar Minister für Bergbau und Energie, Murdiono neuer Minister für das Staatssekretariat,
Sukarton Marmosujono Generalstaatsanwalt, Sarwono Kusumaatmaja Staatsminister für
die Reform des Staatsaparates und Siswono Yudhohusodo Wohnungsbauminister. Zu den
Technokraten rechnete man Radius Prawiro (Menko Ekuin), Sumarlin (Finanzen), Saleh Afiff
(Bappenas-Vorsitzender) und Adrianus Mooy (Gouverneur der Bank Indonesia) (Pangaribuan
1996, 74).

Die Bürokraten 243
sien, wo sein Ziehsohn 1976 IPTN 525 -Direktor und 1978 Forschungs- und Technologieminister
wurde. Dieses und die meisten seiner anderen vielen Ämter hatte er bis
zum März 1998, als er Vizepräsident wurde, inne. Zunächst hatte Habibie kurze Zeit
bei Pertamina als Berater von Ibnu Sutowo gearbeitet. Schon deshalb kann man ihn
als den Nachfolger Sutowos bei dem Projekt, mit staatlichen Industrien eine wettbewerbsfähige
und weitgehend unabhängige Volkswirtschaft aufzubauen, ansehen.
Habibie gehörte zu den wenigen Personen, die einen sehr engen Kontakt zu Suharto
hatten. Er wurde vom Präsidenten wie ein Sohn behandelt und hatte jederzeit Zugang
zum "Palast". Vieles spricht dafür, dass er selbst einer der größten Bewunderer
Suhartos war, denn er betonte immer wieder, dass er ständig vom Präsidenten, den
er sogar einmal ein "Supergenie" nannte, lerne. 526 Wegen der Nähe zu Suharto gelangte
er leicht an riesige Geldmittel, die oftmals auf verschlungenen Wegen seinen
Staatsbetrieben zugute kamen.
Habibie war schon seit Ende der 70er Jahre eine der schillerndsten Figuren in der
indonesischen Politik, der - zumindest bei seinen Anhängern - als ingenieurwissenschaftliches
Genie galt. Da er vor allem wegen seiner Leistungen auf dem Gebiet
des Flugzeugbaus und nicht wegen seiner Zugehörigkeit zu karrierefördernden politischen
Organisationen zum Forschungs- und Technologieminister wurde, haftete
ihm das Image des genialen Machers an, das nicht von den unmoralischen politischen
Alltagskämpfen befleckt war.
Habibie war Herr über eine Reihe so genannter strategischer Industrien. Die Managementbehörde
für Strategische Industrien BPIS 527 war zuständig für die zehn
Staatsbetriebe, die strategische Güter produzierten. Dazu gehörten u.a. IPTN (Flugzeugbau),
Krakatau Steel, PT PAL (Schiffbau) und PT Pindad (Munition und Waffen).
Die Behörde für Technologiebewertung und -anwendung BPPT 528 fungierte als
ingenieurwissenschaftliches Zentrum. IPTN – dort waren 1997 16.500 Arbeitnehmer
beschäftigt - produzierte in Lizenz kleine Flugzeuge, Flugzeugteile, Waffensysteme
und Helikopter. 1995 wurde das 70-sitzige Passagierflugzeug N-250 fertig gestellt.
Außerdem wurden bei IPTN kleine Passagierflugzeuge (CN-212 und CN-235) sowie
Helikopter (BO-105, Bell 412, Super Puma) gebaut. PT PAL baute für die Marine
Patrouillenboote. In der BPPT und in den Staatsbetrieben arbeiteten Tausende
von sehr gut ausgebildeten Facharbeitern und Ingenieuren, so dass Habibie gerade
bei diesem Teil der indonesischen Mittelklasse breite Unterstützung fand. Hefner
bemerkt dazu: 529
"Though his economic ideas have been criticized as elitist, wasteful, and, ultimately selfdefeating,
Habibie's impassioned discourses on technology and "value added" industry appeal
to the large number of middle-class Indonesians who fear that the low-wage, export-oriented
525
Industri Pesawat Terbang Nusantara = Flugzeugindustrie Nusantara.
526
FEER 29.1.1998.
527
Badan Pengelolaan Industri Strategis.
528
Badan Pengkajian dan Penerapan Teknologi.
529
Vgl. Bishry/Hidayat 1998. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte BPPT 2.058 Personen mit
einem Hochschulabschluss, davon 1.346 Ingenieure. Außerdem vergab BPPT seit 1985 über
3.300 Stipendien, darunter auch solche für Auslandsstudien.

244 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
industrialization favored by economic technocrats may provide low-paying employment for
the masses of the poor, but very little for the indigenous middle class." 530
All dies war Teil der Habibie-Strategie, mehrere technologische Stufen zu überspringen
und Indonesien in einigen High-Tech-Bereichen an die Weltspitze zu führen.
Nur auf diese Weise konnte Indonesien - nach Habibie - das nötige Know-how
erwerben. Für diesen Ansatz wurde bereits der Terminus “Habibienomics” geprägt:
Das heißt, langfristig sollte Indonesien von hohen Investitionen der Gegenwart profitieren
und sich nicht allein auf die komparativen Kostenvorteile in Billiglohnproduktionen
konzentrieren. 531 Dieser Ansatz wurde häufig von Anhängern eines freien
Marktes, vor allem von der Weltbank und dem IWF, aber auch von denjenigen, die
verstärkt auf eine aktive Politik der Armutsbekämpfung und der Förderung kleiner
und mittlerer Unternehmen setzten, kritisiert. Die “Habibienomics” beruhten nicht
auf einem wissenschaftlich überzeugenden Konzept. Eher hatte man den Eindruck,
dass der Egomane Habibie die einmal begonnenen Projekte zu Ende führen und "es
seinen Kritikern zeigen" wollte.
Habibie orientierte sich an asiatischen Modellen wie dem MITI in Japan und an den
chaebol in Südkorea, aber auch an der Airbus-Entwicklung in Europa. Dabei wurden
jeweils in enger Kooperation zwischen großen Betrieben und dem Staat High-
Tech-Produkte nach einer langen Planung und Entwicklung auf den Markt gebracht.
Allerdings ist kein Beispiel eines Entwicklungslandes bekannt, das mehrere technologische
Stufen überspringen konnte, um dann erfolgreich Hochtechnologieprodukte
zu vermarkten. Auch Habibie war nach einem Vierteljahrhundert den Nachweis
schuldig geblieben, dass er wettbewerbsfähige Produkte herstellen konnte und dass
im Zuge dieser Produktion die gewünschten Nebeneffekte (Schaffung einer komplexen
Zulieferindustrie, Ausbildung einer Vielzahl hoch qualifizierter Fachkräfte etc.)
zu vertretbaren Kosten eintraten. Der Flugzeugbauer IPTN schien eher eine riesige
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Ingenieure zu sein, die einige Milliarden US$
verschlang. 532 1993 kritisierte daher auch die Weltbank Habibie sehr offen und
sprach davon, dass "technological leapfrogging" in den meisten Fällen
kostenaufwändig und ineffizient gewesen sei. Im selben Jahr kritisierte sie den Flugzeughersteller
IPTN als Beispiel für mangelnde Produktivität. 533
Konflikte mit den Technokraten und dem Militär
Habibie profilierte sich seit den späten 80er Jahren immer deutlicher als eine der
mächtigsten Figuren in der indonesischen Politik. Mit dem ICMI-Vorsitz (1990) und
seiner wichtigen Position in der Regierungspartei Golkar mehrten sich aber auch die
530 Hefner 1993, 29.
531 Vgl. Habibie 1992, Rice 1998 und Chalmers/Hadiz (Hg.) (1997), Kap. 7; Habibie spricht
sehr abstrakt von vier sich überlappenden Phasen.
532 Sehr skeptisch zu IPTN: McKendrick 1992. Ihm zufolge bestanden kaum Beziehungen zu
anderen indonesischen Unternehmen, und die Kosten übertrafen den Nutzen bei weitem: "[...]
the economic spillovers have been negligible", McKendrick 1992, 64. 1995 sollen IPTN einen
Verlust von 186 Mrd. Rp. und PT PAL einen Verlust von 19 Mrd. Rp. gemacht haben (D&R
16.8.1997).
533 World Bank 1993, 313.

Die Bürokraten 245
Konflikte mit anderen Regimekoalitionären. Die Technokraten setzten sich gegen
die unablässigen Finanzforderungen Habibies mehrfach erfolgreich zur Wehr. Suharto
griff z.B. nicht ein, als 1995 Exportkredite durch den Finanzminister Mar'ie
Muhammad für das Passagierflugzeug N-250 nicht gewährt wurden oder als Habibie
seine Kapitalforderungen für BPPT zurückschrauben musste. Dafür erhielt Habibie
später 185 Mio. US$ aus dem Wiederaufforstungsetat nach der Intervention Suhartos.
1993 konstatierten MacIntyre und Syahrir einen zunehmenden Einfluss der BPPT,
die sich um Infrastrukturprojekte in den Bereichen Telekommunikation und Elektrizitätserzeugung
kümmerte und sich in verschiedene Regierungspolitiken wie bei der
Deregulierung des Automobilmarktes einmischte. 534 Das Sechste Entwicklungskabinett
(1993-98) untermauerte noch einmal die herausgehobene Stellung der Habibie-
Gruppe und schwächte die Technokraten. 535 Murdani, der in den Jahren zuvor als
Verteidigungsminister bereits erheblich an Macht eingebüßt hatte, musste das Kabinett
verlassen. Das Militär kontrollierte weiterhin Schlüsselpositionen (das Innenministerium
und die für Verteidigung und Sicherheit relevanten Ressorts), allerdings
war der Einfluss der Geheimdienstler deutlich zurückgegangen. Zum ersten Mal
waren ganz im Sinne der muslimischen Proportionalitätsanhänger nur 3 Christen im
Kabinett vertreten. Von den 43 Ministern waren 23 Neulinge, und viele von ihnen
stiegen aus der Ministerialbürokratie auf. Die Habibie-Gruppe, bestehend aus 3
BPPT-Mitarbeitern, ergatterte das Erziehungs-, das Transport- und (Tele-)Kommunikationsministerium
sowie das für Bevölkerung und Familienplanung (Wardiman
Joyonegoro, Haryanto Dhanutirto, Haryono Suyono). 536 Ginanjar Kartasasmita erhielt
den Vorsitz von Bappenas und war u.a. für die Aufsicht vieler Entwicklungsprojekte
zuständig.
Ginanjar war bekannt als jemand, der die pribumi-Unternehmer durch Protektionsmaßnahmen
stärken wollte. Ebenso wie der Koordinierungsminister für Handel und
Industrie, Hartarto, zählte er zu einem Flügel, der Habibie nahe stand, aber dennoch
mehr Nachdruck auf pemerataan, also Gleichverteilung, legte.
Die Technokraten erhielten das Koordinierungsministerium für Finanzen, das Finanzministerium
und den Chefsessel bei der Bank Indonesia. Wijoyo und Ali Wardhana,
die Technokraten aus der Frühphase der Neuen Ordnung, wurden nach heftiger
Kritik aus dem In- und Ausland an der reformgefährdenden Kabinettsbesetzung
wenige Wochen später zu Präsidentenberatern ernannt. Drei Technokraten wurden
zum Entsetzen der Marktliberalen aus dem Kabinett entlassen, nämlich der Koordinierungsminister
für Ökonomie, Radius Prawiro, der Gouverneur der Zentralbank,
Adrianus Mooy, und der Finanzminister Johannes Sumarlin. Sie wurden zwar durch
Saleh Afiff, Sudrajad Jiwandono und Mar'ie Muhammad ersetzt, da gleichzeitig aber
Ginanjar Bappenas-Vorsitzender wurde, verloren die Technokraten deutlich an Boden.
534 MacIntyre/Sjahrir 1993, 31.
535 Bastin, J./Schmit, L./Schulte Nordholt, N. 1993, 441ff.
536 Außerdem wurde der Bergbauminister Sujana zu diesem Flügel gerechnet. Das Koordinierungsministerium
für Ökonomie, Finanzen und Industrie, eines der Machtzentren der Technokraten,
wurde in zwei Ministerien aufgeteilt. Von diesen beiden ging ein Koordinierungsministerium
für Handel und Industrie an Hartarto.

246 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Eine andere Gruppe, die das Verhalten Habibies mit Sorge betrachtete, war ABRI.
Zum einen wegen der "sektiererischen" Muslimorganisation ICMI, zum anderen
weil Habibie für die Beschaffung von militärischem Gerät mitverantwortlich war
und häufig Alleingänge unternahm. Im November 1993 meinte GM Sembiring Meliala
in einem Interview 537 , dass Habibie und Harmoko ohne die Unterstützung
durch Suharto machtlos seien und dass Golkar ohne die Hilfe ABRIs Wahlen nicht
gewinnen könne. Damit brachte der General nur zum Ausdruck, dass Habibie inzwischen
so mächtig geworden war, dass ABRI sich nicht sicher sein konnte, den Präsidenten
in der Zeit nach Suharto aus ihren Reihen zu stellen.
Die Spannungen zwischen Habibie, ABRI und den Technokraten erreichten 1994
ihren Höhepunkt mit der Kriegsschiffaffäre, die in Indonesien Aufsehen erregte, die
Militärs und die Technokraten gegen Habibie aufbrachte und letztlich das Presseverbot
desselben Jahres ausgelöst haben dürfte. 538 Da Habibie für strategische Industrien
verantwortlich war, konnte er als Schiff- und Flugzeugbauer und mit einer
eigenen Munitionsfabrik auf die Beschaffungspolitik der Militärs einwirken und
gelegentlich selbst bestimmen, welche Produkte gekauft wurden.
Der Kauf von 39 NVA-Schiffen im Jahr 1994 schien zunächst sehr günstig für Indonesien
zu sein, da für die Schiffe selbst nur 12,7 Mio. US$ bezahlt werden sollten.
Allerdings wurden diese Kosten aufgebläht durch die Ausgaben für die Umrüstung
in der Bundesrepublik (über 300 Mio. US$), die Überführung nach Indonesien
(knapp 100 Mio. US$) und den weiteren Umbau in Indonesien in entsprechend renovierten
Werftanlagen (ca. 1/2 Mrd. US$). Finanzminister Mar'ie Muhammad
weigerte sich zunächst, das benötigte Geld zur Verfügung zu stellen. Das Militär,
das von den geheimen Verhandlungen mit der Bundesregierung nichts gewusst
hatte, fühlte sich hintergangen. Die Medien berichteten über Wochen in allen Einzelheiten
über den Fall, der für Habibie - aber auch für Suharto - sehr unangenehm
war. Unter anderem diese Presseberichterstattung führte dann im Juni 1994 zu den
Publikationsverboten für einige der umsatzstärksten Blätter, nämlich Tempo, DëTik
und Editor.
In den Folgejahren stabilisierte sich die Position der Habibie-Gruppe. Im Militär
stiegen Hartono und Feisal Tanjung auf, und ICMI sowie Golkar erwiesen sich als
wichtige Machtbastionen. Aber es gab weiterhin Attacken auf Habibie. Einige der
Minister, die zu seinen Gefolgsleuten gerechnet wurden, kamen in Bedrängnis. So
wurde Ende 1995 Handelsminister Satrio Budiarjo ("Billy") Yudono als erster Minister
in der Neuen Ordnung vorzeitig entlassen. Der offizielle Grund dafür war die
Zusammenlegung zweier Ministerien. In Wirklichkeit aber war es entweder seine
Erfolglosigkeit bei der Steigerung der Nicht-Erdgas-/Erdöl-Exporte, oder es waren
die Streitereien mit "Bob" Hasan. Ungefähr zur gleichen Zeit geriet Transportminister
Haryanto Dhanutirto unter Druck, als ein Geheimmemorandum vom Generalinspektor
für Entwicklung, Generalmajor a.D. Kentot Harsono, im Dezember 1995 an
die Öffentlichkeit gelangte. Darin wurden Unregelmäßigkeiten in den von Haryanto
beaufsichtigten Staatsunternehmen festgestellt. Haryanto - der wegen seiner Extravaganzen
den Spitznamen "Baron van Lembang" bekommen hatte - soll sich an
zahlreichen von ihm beaufsichtigten Projekten bereichert haben. Suharto forderte
537 DëTik 27.10.-2.11.1993; Sembiring wurde deshalb später "recalled".
538 Graf 1998, 358ff.

Die Bürokraten 247
Haryanto auf, "in sich zu gehen" und erklärte die Angelegenheit damit für beendet.
Die Berichterstattung über diese Affären diente dazu, die Machtstellung Habibies zu
untergraben. Ähnlich konnten auch 1997 die Streiks bei IPTN in Bandung interpretiert
werden. Letztlich setzte Suharto aber im März 1998 bei der Vizepräsidentenwahl
seinen Ziehsohn ohne erkennbaren Widerstand ABRIs durch.
Zusammenfassung
Die Bürokratie war neben dem Militär, das selbst auf sämtlichen Verwaltungsebenen
und in den meisten Ämtern präsent war, das Kernstück der Neuen Ordnung. Die
administrative Kontrolle der Bevölkerung reichte bis in den letzten Winkel des Landes
und erwies sich als erstaunlich effektiv. Das war eine Folge der hochgradigen
Zentralisierung, die sich an der indonesischen Finanzverfassung gut ablesen ließ.
Trotz dieser fest gefügten administrativen Herrschaft gab es an der Spitze eine recht
ausgeprägte Fraktionierung. Die führenden Bürokraten bildeten nämlich zusammen
keine homogene Gruppen mit übereinstimmenden Interessen. Die beiden wirtschaftspolitischen
Lager mit Basen in der Bürokratie, die Nationalisten (oder: Interventionisten)
und die Technokraten, unterschieden sich nicht nur in ihrer Programmatik,
sondern auch in ihrer Stellung im Herrschaftssystem und bezüglich ihrer
Machtressourcen. Der Konflikt zwischen diesen beiden Lagern hatte machtpolitische
Dimensionen. Das heißt, es ging nicht nur um den einzuschlagenden wirtschaftspolitischen
Kurs, sondern auch um die Position in der Regimekoalition, also
um die Strukturierung des machtpolitischen Systems. Schon Sudharmono war nicht
nur der Leiter des Tim 10, sondern seit 1983 Golkar-Vorsitzender und seit 1988
Vizepräsident. Seine Verfügung über umfangreiche Geldmittel hatte diesen Aufstieg
erleichtert. Die Sudharmono-Faktion, die wegen des fehlenden Rückhaltes bei den
Militärs und bei den Muslimen relativ schwach war, konnte eine Allianz aber allenfalls
in Ansätzen aufbauen.
Habibie hingegen konnte sein Imperium von Staatsunternehmen nutzen, um zum
Sprung ins High-Tech-Zeitalter anzusetzen und um seine weit reichenden politischen
Ambitionen zu verwirklichen. Da er Machtbasen bei ICMI und bei Golkar
hatte und von einigen orthodox-islamischen Generälen unterstützt wurde, lässt sich
seine die strategischen Gruppen übergreifende Gruppierung als Allianz bezeichnen.
Die Technokraten hatten im Gegensatz dazu niemals die Möglichkeit, in allerhöchste
politische Ämter aufzusteigen. Sie blieben eher im Hintergrund, tauchten in den
politischen Magazinen seltener auf, waren nicht sehr populär und verfügten kaum
über enge Beziehungen zu Militärs, zu Golkar-Spitzenpolitikern oder zu muslimischen
Führern. Sie waren eher Vertreter bestimmter ökonomischer Interessen, während
die Nationalisten über riesige Machtapparate verfügten.

248 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
3.7 Religiöse Führer zwischen Loyalität und begrenzter
Opposition
Schon die Niederländer vereitelten Versuche, den Islam mit politischen Inhalten zu
füllen. Der Orientalist C. Snouck Hurgronje, der im Auftrag der Kolonialherren
arbeitete, sprach sich für Toleranz gegenüber den Muslimen bei gleichzeitiger Verhinderung
politischer Tätigkeiten im Namen des Islam aus. Obwohl danach islamische
Führer in der nationalistischen Bewegung eine bedeutende Rolle spielten, wurden
den Muslimen in der Republik Indonesien keine Privilegien eingeräumt. Viele
Muslime fühlten sich in den folgenden Jahren wegen ihrer Religion sogar diskriminiert.
Von Natsir, der früher Masyumi-Vorsitzender und lange einer der führenden
islamischen Intellektuellen in Indonesien war, stammt z.B. der häufig zitierte Ausspruch,
die Muslime seien vom Staat wie "cats with ringworms" behandelt worden.
Und lange betrachtete man - im Anschluss an eine Formulierung des niederländischen
Indonesisten Wertheim - den indonesischen Islam als die Religion einer
Mehrheit mit Minderheitenstatus und die Muslime als Mehrheit mit der Mentalität
einer Minderheit.
In der Neuen Ordnung wurden durch die Pancasila mehrere monotheistische Religionen
als gleichberechtigt anerkannt. Es gibt Staaten, deren Rechtssystem auf islamischem
Recht, der Scharia, aufbauen und deren politische Gremien in ihrem Aufbau
und ihren Entscheidungsbefugnissen ausdrücklich von dieser Scharia abgeleitet
sind. Andere Staaten erheben den Islam zur Staatsreligion, sind aber fast vollständig
säkularisiert. Indonesien erkennt fünf monotheistische Religionen als Staatsreligionen
an und ist somit ein - allerdings de facto weitgehend säkularisierter - Sondertyp.
Da die Pancasila zur Legitimationsgrundlage des Staates gehörten, war die Neue
Ordnung zwar religiös legitimiert, aber diese Legitimation war sehr abstrakt und
konnte von einzelnen interessierten religiösen Gruppen nicht ohne weiteres in ihrem
Sinne umgedeutet werden. Wenn die Muslime z.B. eine stärkere Rolle ihrer Religion
in der Politik forderten, begaben sie sich leicht außerhalb der Pancasila und der
Verfassung von 1945. Unter anderem deshalb war die Haltung der meisten Muslime
zur staatlichen Gewalt in der Neuen Ordnung von einer hohen Ambivalenz geprägt.
Selbst diejenigen muslimischen Führer, die Suharto unterstützten, taten dies nicht so
bedingungslos wie die Spitzen des Militärs, die führenden Bürokraten und die meisten
Großunternehmer. Insofern wäre es eine grobe Vereinfachung, würde man den
Großteil der religiösen Spezialisten zur Regimekoalition rechnen. Nur einige religiöse
Führer versuchten, die ideologischen Prämissen der Neuen Ordnung mit einer
spezifischen Islaminterpretation zu vereinbaren.
Da die Muslime politisch unterschiedliche Strategien verfolgten, werden in diesem
Abschnitt die eher konservativen und systemkonformen Gruppen und Organisationen
behandelt, während ihre prodemokratischen Gegenspieler im Abschnitt über
freie Professionals, Politiker und religiöse Führer untersucht werden.

Religiöse Führer 249
Die verschiedenen Strömungen im indonesischen Islam
Santri, abangan und neo-santri
Heute werden etwa 90% der Indonesier in der Statistik als Muslime geführt. Davon
sind schätzungsweise 40-50% als orthodoxe Muslime, also als santri, und die übrigen
als synkretistische abangan einzustufen. Im Kapitel 2 wurde bereits der Gegensatz
zwischen santri, abangan und priyayi erläutert. Auch heute noch beziehen sich
viele Indonesisten auf diese von Geertz eingeführte Terminologie. Geertz hat im
Laufe der Jahre zwei unterschiedliche aliran-Definitionen verwendet und damit für
einige Verwirrung gesorgt. 539 In "Peddlers and Princes" 540 meinte Geertz mit aliran
Strömungen, die sich jeweils im Umkreis der vier größten politischen Parteien (PNI,
NU, PKI und Masyumi) bildeten. Die Strömungen bestanden aus den Parteiorganisationen
und den ihnen angeschlossenen Assoziationen von Bauern, Arbeitern,
Jugendlichen, Frauen etc. Zu jedem aliran gehörten also Personen aus unterschiedlichen
sozialen Klassen, die ähnliche politische Ziele anstrebten und eine
ähnliche, vor allem religiös definierte Weltanschauung hatten. In "The Religion of
Java" 541 jedoch hatte Geertz noch von den drei genannten aliran gesprochen, ohne
sich ausführlich mit deren parteipolitischen Präferenzen zu beschäftigen.
Zum Verständnis der indonesischen Politik der 50er Jahre ist die Geertzsche Terminologie
sehr hilfreich. Seit aber Geertz seine Untersuchung in den 50er Jahren
durchgeführt hat, ist es zu erheblichen Veränderungen im indonesischen Islam gekommen.
In der Neuen Ordnung existierten die aliran, die sich um die vier großen
Parteien gebildet hatten (also nach der "Peddlers and Princes"-Definition), nicht
mehr. Die Einteilung in abangan, santri und priyayi (nach: "The Religion of Java")
hat allerdings immer noch einen gewissen heuristischen Wert. Vor allem in religionssoziologischen
Analysen kann man auf die abangan-santri-Unterscheidung
kaum verzichten. Besonderes Augenmerk verdient dabei die größere soziale Mobilität
der santri in der Neuen Ordnung. Anwar bemerkt dazu:
"Die horizontale Mobilität zeigt sich als Diversifizierung der beruflichen Aktivitäten, während
die vertikale Mobilität als ein Aufstieg der santri-Rolle von der Unter- oder Mittelschicht
in höhere Schichten beschrieben werden kann, z.B. in den Staatssektor oder in die moderne
Geschäftswelt." 542
Anwar 543 beschreibt die Unterschiede zwischen den alten santri und den santri der
Gegenwart in einer einfachen Gegenüberstellung: Die santri lama (die alten santri)
hatten "romantische" Politikvorstellungen, interpretierten die religiöse Lehre tendenziell
skripturalistisch und waren stark primordial gebunden. Die neo-santri hingegen
haben einen pragmatischen Zugang zur Politik gefunden, sind kaum noch
skripturalistisch orientiert und kaum primordial gebunden.
539 Kahn 1982, 94ff.
540 Geertz 1963.
541 Geertz 1960.
542 Anwar 1995, 276; eigene Übersetzung.
543 Anwar 1995, 128.

250 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Diese neuartige neo-santri-Mittelklasse entstand zu einer Zeit, als die Chinesen ihre
ökonomische Vorherrschaft immer weiter ausbauen konnten. Die santri mussten
sich also auf eine möglichst gute Schul- und Hochschulausbildung stützen, um insbesondere
in der Verwaltung aufsteigen zu können. Diese veränderte Haltung vieler
santri, aber auch die Hinwendung vieler priyayi zum Islam bewirkten eine "Santrinisierung"
(santrinisai) der Verwaltung. Das Phänomen der islamisasi birokrasi hat
seit nunmehr zwei Jahrzehnten die früher sinnvolle Unterscheidung zwischen santri
und priyayi zwar noch nicht überflüssig werden lassen, aber die Grenzziehung wesentlich
erschwert.
Die pragmatische Haltung vieler neo-santri ergibt sich auch aus der z.T. antiislamischen
Politik der Neuen Ordnung. Ein Bekenntnis zu einem explizit politisch interpretierten
Islam war in der Suharto-Ära mit großen Risiken verbunden, da selbst
leiseste Sympathien für einen - in welcher Form auch immer - auf den Islam gegründeten
Staat die Stigmatisierung als ekstrem kanan ("rechtsextrem") oder als
anti-Pancasila einbringen konnte.
Gegenwärtige Interpretationen der islamischen Lehre: Traditionalisten,
Modernisten, Neomodernisten, Fundamentalisten,
Transformisten
Es lassen sich verschiedene Konfliktlinien im indonesischen Islam ausmachen, nämlich
zwischen: 544
- Modernisten und Traditionalisten sowie
- Substanzialisten und Skripturalisten.
Außerdem ist eine Unterscheidung in Bezug auf die politischen Strategien der Muslime
sinnvoll, also zwischen:
- Kritikern der Neuen Ordnung und politisch Konservativen sowie
- Muslimen, die den eher unpolitischen "kulturellen Ansatz" vertreten, und solchen,
die den Islam explizit auch als politische Religion betrachten (der "strukturelle Ansatz").
Darüber hinaus lassen sich die verschiedenen muslimischen Gruppen oder Muslime
hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft oder ihrer beruflichen Stellung unterscheiden.
So gibt es Muslime, die vorrangig im universitären Bereich oder bei Forschungsinstituten,
in der Verwaltung, als Unternehmer, als Angestellte im privaten Sektor oder
bei einer der vielen islamischen Organisationen beschäftigt sind. Schließlich gibt es
noch Politiker, ulama und kiai sowie NGO-Aktivisten.
Die NU gilt als die traditionalistische Gegenorganisation zur modernistischen
Muhammadiyah. Mit "Traditionalismus" ist eine Strömung gemeint, bei der die
(vermeintlich) seit jeher gültigen Islaminterpretationen der ulama - und damit auch
die althergebrachten islamischen Institutionen - anerkannt werden. In Indonesien
sind dies vor allem die mit der NU verbundenen kiai mit ihren Anhängern. Die kiai
und die anderen traditionalistischen ulama möchten ihre exklusiven Interpretations-
544 Karim 1995.

Religiöse Führer 251
rechte wahren. Die Modernisten hingegen wollen - wie einst die Lutheraner - zurück
zu den Ursprüngen, um auf diesem Weg den Islam zu erneuern. Sie sind stärker von
der westlichen Moderne geprägt und suchen Anschluss an den Westen, ohne die
eigene Kultur aufzugeben. Die Modernisten stammen sehr häufig aus der städtischen,
gebildeten Mittelklasse. Sie wollen die Vorherrschaft der traditionellen religiösen
Gelehrten, die meist in den Dörfern leben und als Erb- und Amtscharismatiker
von den Dorfbewohnern verehrt werden, durch eine Verwissenschaftlichung des
Islam brechen.
Neomodernisten wie Nurcholish Majid oder Abdurrahman Wahid fordern eine "Säkularisierung"
des Islam, d.h. einen Rückzug aus der Politik sowie eine kulturelle
Transformation der Gesellschaft durch eine "Revolution der Werte". 545 Die Neomodernisten
nehmen sowohl traditionalistische als auch modernistische Elemente in
diese neuartige, etwa Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre entstandene Lehre auf. 546
Sie trennen zwischen Weltlichem und Außerweltlichem und beschränken ihre Religion
auf den außerweltlichen Bereich, während sie sich in weltlichen Dingen auf die
menschliche Vernunft, d.h. auf den "gesunden Menschenverstand" und die Wissenschaft,
berufen. Neomodernisten interessieren sich für die Substanz der religiösen
Lehre und legen sie nicht buchstabengläubig aus (sie gelten deshalb als "Substanzialisten").
Sie sind daher i.d.R. auch toleranter anderen Religionsgemeinschaften gegenüber.
Die Trennung zwischen Weltlichem und Außerweltlichem ist nicht mit
einer unpolitischen Haltung verbunden, wohl aber mit der Vorstellung, dass politische
Probleme nicht unter Berufung auf den Koran gelöst werden sollten. Nurcholish
Majid 547 sprach in diesem Zusammenhang von Säkularisierung (sekularisasi):
Die Politik (und andere weltliche Bereiche) solle als irdische Angelegenheit betrachtet
werden, die irdische, säkulare Lösungen verlange. 548 So schreibt Hefner:
"Madjid accused his fellow Muslims of having "sacralized" profane institutions, such as, most
notably, Muslim political parties and the idea of an Islamic state (negara Islam). Noting, quite
correctly, that there is no Quranic injunction mandating an Islamic state, Madjid criticized
Indonesian Muslims for sanctifying an idea that was in fact man-made. Muslims [...] should
'secularize' this commitment while preserving Islam's lasting values." 549
545
Hefner 1993, 5ff; Zifirdaus 1990, 458ff.
546
Barton 1998, 436ff.
547
Nurcholish Majid bekam - ähnlich wie Abdurrahman Wahid - zunächst eine eher traditionelle
Ausbildung, nämlich in dem pesantren von Gontor in Ostjava. Er wechselte zum IAIN
in Jakarta (vgl. Barton 1995, 13ff). Von 1966 bis 1971 war er Vorsitzender der bedeutendsten
islamischen Studentenorganisation, HMI. Wirklich bekannt wurde er mit einer Rede, die er
am 3. Januar 1970 hielt. In "Die Notwendigkeit, das islamische Denken zu erneuern, und das
Problem der Integration der islamischen Gemeinschaft" ("Keharusan Pembaharuan Pemikiran
Islam dan Masalah Integrasi Ummat") stellte er seine neomodernistische Islaminterpretation
vor, die in dem berühmten Slogan "Islam Yes, Partai Islam No" gipfelte. In den 80er Jahren
erwarb er seinen Doktortitel an der University of Chicago bei dem international bekannten
pakistanischen Islamwissenschaftler Fazlur Rahman.
548
Vgl. Barton 1995, 17ff; Säkularisierung ist nicht zu verwechseln mit Säkularismus, den
Majid ablehnt.
549
Hefner 1993, 6.

252 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Viele Neomodernisten sind prodemokratisch orientiert und ausgesprochen liberal.
Sie verkörpern und propagieren einen Islam, der in Indonesien viele Anhänger gefunden
hat. Der Islam muss aus ihrer Sicht nicht nur den Bedingungen der Moderne,
sondern auch den spezifisch indonesischen Verhältnissen angepasst werden. Genau
hier kommen "traditionelle" Elemente ins Spiel. 550
Eine Radikalisierung des Neomodernismus stellt der Transformismus dar. Der
Transformismus ist ein radikalisierter Modernismus, da er sämtliche Lehrinhalte
substanzialistisch auffasst. 551 Im Gegensatz dazu fassen die wenigen fundamentalistischen
Muslime die islamische Lehre buchstabengetreu ("skripturalistisch") auf. 552
Dieser Skripturalismus gilt - in weniger radikalisierter Form - auch für viele Modernisten.
Gerade modernistische Organisationen sind in bestimmten Fragen (Glücksspiel,
Abtreibung etc.) besonders unnachgiebig.
Aus den genannten dogmatischen Unterschieden ergeben sich verschiedene politische
Strategien. Wie Abdillah 553 schreibt, neigen die Anhänger des "strukturellen
Ansatzes" - wie etwa Amien Rais - dazu, den Islam als allgemein verbindlich einzustufen.
Der Islam kann demnach als Richtlinie für eine entsprechend zu gestaltende
islamische Ökonomie, ein islamisches Rechtssystem, ein islamisches politisches
System etc. gelten. Die Anhänger des "kulturellen Ansatzes" wie Abdurrahman
Wahid oder Nurcholish Majid hingegen wollen den Islam auf den kulturellen Bereich
beschränken, d.h. letztlich auf den privaten Bereich oder auf die - unpolitisch
definierte - Gemeinschaft der Muslime. Diese aus westlicher Sicht sehr aufgeklärte
Haltung führte jedoch leicht zu einer eher abwartend-akkommodativen Haltung
gegenüber dem Regime. Sie hatten daher auch wenig Schwierigkeiten, die azas
tunggal-Bestimmungen anzuerkennen. Und auch der Rückzug der NU aus der PPP
(1984) erklärt sich aus dieser Haltung. Allerdings bedeutete die Beschränkung der
Religion nicht politische Abstinenz: Gerade Abdurrahman Wahid gehörte zu den
550 Der Neomodernismus ist nicht einfach ein radikaler, liberaler Substanzialismus, da er die
Bedeutung der "Klassiker" - anders als die Modernisten - sehr hoch einstuft: "This new type
was suggested by Fazlur Rahman and is supposed to show that in spite of its positive contribution
to the resurgence of Islam in modern time, Islamic modernism continues to display
certain weaknesses and shortcomings, among which are its lack of systematic and comprehensive
methodology to interpret the Qur'ân and the Sunna, and its neglect of the potentially
very rich traditional Islamic thought", Abdillah 1997, 16. Machttheoretisch interpretiert,
handelt es sich um den Versuch, den auf das religiöse Dogma und die Organisationsstrukturen
bezogenen Traditionalismus der NU bis zu einem gewissen Grad anzuerkennen, aber mit den
Mitteln des islamischen Modernismus und des westlichen Liberalismus einige dogmatische
und organisatorische Neuerungen einzuführen. Mit genau diesem Konzept gewann
Abdurrahman Wahid die Unterstützung vieler ulama und kiai sowie der "Jungtürken" der NU.
Insofern ist der Neomodernismus genauso wie der Modernismus in Wirklichkeit ein halbierter
Modernismus, da sowohl gewisse Dogmen als auch gewisse überkommene Herrschaftsstrukturen
anerkannt werden.
551 Vgl. etwa: Abdurrahman 1995.
552 Der Neomodernismus ist eine Art substanzialistischer Neotraditionalismus, der Revivalismus
oder Fundamentalismus eine Art skripturalistischer Pseudomodernismus und der Transformismus
ein substanzialistischer Modernismus.
553 Abdillah 1997, 187ff.

Religiöse Führer 253
einflussreichsten Kräften außerhalb des Regimes, der immer wieder direkt oder
indirekt in das politische Geschehen eingriff. Seine moderate Haltung erklärte aber
auch seine Ambivalenz in politischen Fragen: So gründete er zwar das Forum Demokrasi
und unterstützte Megawati Sukarnoputri, aber er begleitete auch die Tochter
Suhartos zu einer Wahlkampftour durch Teile Javas und pries sie als fähige Politikerin
und zukünftige Führerin ihres Landes.
Der Streit zwischen orthodoxen und moderaten Muslimen über die Errichtung eines
islamischen Staates (mit eingeschränkten Bürgerrechten und einer systematischen
Benachteiligung der nichtislamischen Bevölkerung) spielte in der Neuen Ordnung
keine wichtige Rolle mehr. Die Pancasila waren weitgehend anerkannt. Es ging
vielmehr darum, wie die Muslime ihre Interessen politisch am besten durchsetzen
konnten. In den letzten Jahren der Neuen Ordnung ließen sich bei den Muslimen
immer deutlicher Demokraten und Konservative unterscheiden.
Die Entwicklung des Islam in der Neuen Ordnung bis Ende der 80er
Jahre
Die Beziehung der Regimekoalition zu muslimischen Gruppen lässt sich in drei
Phasen einteilen:
- In der ersten Phase (von 1965 bis Ende der 60er Jahre) gehörten viele muslimische
Führer (Studenten, Professionals, ulama etc.) noch zur neu geschmiedeten Regimekoalition
(Phase der Kooperation).
- Danach, bis Ende der 80er Jahre, war diese Beziehung von einer großen Ambivalenz
gekennzeichnet: Einerseits gab es weiterhin viele Muslime, die als Mitglieder
der großen Muslimorganisationen (PPP, MUI usw.) das Regime unterstützten, andererseits
gab es - auch in den genannten Organisationen - einzelne Gruppierungen,
die die Regierungspolitik, vor allem die azas tunggal-Bestimmungen, bekämpften
oder zumindest kritisierten (Phase der Ambivalenz).
- In der dritten Phase (seit Ende der 80er Jahre) gab es zwar weiterhin diese ambivalente
Haltung, insgesamt wurden aber die muslimischen Gruppen stärker integriert.
Diese Integration und Anerkennung öffnete im Zuge einer allgemein liberaleren
Haltung des Staates zum Islam den Muslimen neue Spielräume (Phase der Integration
und Liberalisierung).
Das Militär verbündete sich 1965/66 zur Durchsetzung seiner Ziele mit der studentischen
Aktionsfront KAMI 554 und der überwiegend aus orthodoxen Muslimen bestehenden
Aktionsfront KAP-Gestapu 555 , die in Massenversammlungen und mit
großen Demonstrationen Sukarno und sein Kabinett zum Rücktritt aufforderten. Die
KAP-Gestapu wurde beispielsweise vom NU-Vize, Subchan ZE, angeführt. Und im
Ampera-Kabinett 1966 saßen mit Idham Chalid (Minister für soziale Wohlfahrt) und
Saifuddin Zuhri (Religionsminister) zwei prominente NU-Mitglieder.
Zu der frühen Regimekoalition zählten all jene islamischen Gruppen, die mit aller
Macht die PKI und die linken Sukarnoisten ausschalten wollten. An den Metzeleien
554
Kesatuan Aksi Mahasiswa Indonesia.
555
Komando Aksi Pengganyangan Gestapu = Aktionskommando zur Vernichtung der
Gestapu.

254 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
von 1965/66 waren u.a. viele Mittel- und Großbauern - häufig orthodoxe Muslime -
beteiligt. 556 Aber schon sehr bald nahmen Suharto sowie die mit ihm verbündeten
Teile des Militärs und der Bürokratie Abstand von jenen Gruppen, die die politische
Rolle des Islam ausweiten wollten. Zu letzteren gehörten etwa diejenigen, die die
1960 verbotene modernistische Masyumi unterstützt hatten.
Die Koalition aus Militärs, Beamten, Technokraten und antikommunistischen Intellektuellen
strebte überwiegend einen Ausschluss der santri aus der Führungsebene
der Neuen Ordnung an. Sowohl die Armee als auch die Bürokratie hatten nämlich
seit jeher in ihren Reihen relativ wenige orthodoxe Muslime. Deshalb wurde 1968
die so genannte Jakarta-Charta (Piagam Jakarta) nicht in die Präambel der Verfassung
aufgenommen. Sie hätte die indonesischen Muslime, zu denen auch die abangan
gerechnet wurden, verpflichtet, die Syariah, also das islamische Recht, zu praktizieren.
Die modernistischen Muslime wollten die 1960 noch von Sukarno verbotene Masyumi
neu gründen. Die Regimekoalition ließ jedoch nur die Gründung der Parmusi
(Partai Muslimin Indonesia) zu, in der die alten Masyumi-Spitzenpolitiker keine
Ämter übernehmen durften. 557 Im Kabinett von 1971 saß bereits kein bekannter
Vertreter einer der islamischen Parteien mehr. Selbst das Religionsministerium, das
vorher immer eine Bastion der NU gewesen war, ging von da an an "Neutrale". 1973
wurden schließlich Parmusi, die relativ loyale NU sowie Perti 558 und die PSII zur
PPP zwangsfusioniert.
Sehr viele Angehörige der Regimekoalition waren von der javanischen Weltanschauung
geprägt, also - wie Suharto - von einer Mischung aus islamischen, indischen
und javanischen Elementen der priyayi- und der abangan-Kultur. Diese Synkretisten
beteiligten an der Regimekoalition viele Christen, insbesondere Katholiken,
die ihre Machtbasis im Centre for Strategic and International Studies in Jakarta
hatten. Führende CSIS-Leute wie Yusuf Wanandi oder Harry Can Silalahi arbeiteten
eng mit Ali Murtopo zusammen und übernahmen in den ersten Jahren wichtige
Funktionen bei der Formulierung einzelner Politiken, etwa in der Außen- und Bildungspolitik
oder 1973 bei der Formulierung des bei den Muslimen sehr umstrittenen
Ehegesetzes. Außerdem halfen sie bei den generalstabsmäßig geplanten und
durchgeführten Manipulationen bei den ersten nationalen Wahlen sowie beim Aufbau
der Wahlkampfmaschine Golkar. Nach den ersten Wahlen von 1971, bei denen
die muslimischen Parteien wegen der Manipulationen schlecht abschnitten (Parmusi
z.B. mit nur 7,4%), und nach der erzwungenen Fusion zur PPP mehrte sich der Widerspruch
aus islamischen Kreisen, wenngleich nicht von einer organisierten Oppositionsbewegung
gesprochen werden konnte.
Im Juli 1973 richtete sich der Unmut der muslimischen Parlamentsabgeordneten
gegen einen Ehegesetzentwurf. In dem Entwurf wurde das Prinzip der Monogamie
und der Gleichstellung der Frau anerkannt. Ehen sollten dann rechtsgültig sein,
wenn sie von einem Standesbeamten anerkannt wurden. Es kam zu Demonstrationen
gegen diesen Entwurf, den viele Muslime als den Versuch der vorwiegend katholischen
Murtopo-Gruppe interpretierten, für Muslime wichtige Rechtsbereiche zu
556 Hindley 1970, 42.
557 Ward 1974, 128.
558 Pergerakan Tarbiyah Islam = Islamische Erziehungsbewegung.

Religiöse Führer 255
säkularisieren und den Islam so zu marginalisieren. Schließlich fand man aber einen
Kompromiss: Das Monogamie-Prinzip blieb weiterhin bestehen, eine Heirat war
aber auch dann anerkannt, wenn sie gemäß den Regeln der jeweiligen Religionsgemeinschaften
zustande gekommen war. 559
Trotz all dieser Spannungen verzichteten die Orba-Machthaber niemals darauf, viele
religiöse Spezialisten zu kooptieren. In einem Land mit zuletzt ca. 175 Millionen
Muslimen konnte die Regierung sich gegenüber den islamischen Gruppen nicht
neutral oder gleichgültig verhalten. Folglich musste die Regimekoalition versuchen,
bei politischen Wahlen eine islamische Partei aufzubieten, die die Proteste des muslimischen
arus bawah und der muslimischen Mittelklasse artikulieren konnte, ohne
aber dem Regime gefährlich zu werden. Das wurde mit der Schaffung der PPP erreicht.
Außerdem mussten zumindest die beiden großen islamischen Organisationen,
NU und Muhammadiyah, unter Kontrolle gebracht werden. Zu den kooptierten religiösen
Spezialisten bzw. islamischen Politikern zählten also sowohl die meisten
PPP-Politiker als auch Teile von NU und Muhammadiyah sowie Künstler und Prediger.
560
Seit den 70er Jahren kam es zu verschiedenen Veränderungen im indonesischen
Islam. Zu erwähnen ist eine Intellektualisierung durch die Schaffung staatlicher
Islamuniversitäten (IAIN) und durch die Ausbildung von Indonesiern im Ausland.
Viele der führenden islamischen Intellektuellen wie Nurcholish Majid, Amien Rais,
Fachry Ali, Bachtiar Effendy, Muhammad Hikam usw. haben im Ausland promoviert.
Parallel zu dieser Intellektualisierung kam es zu einer Entdogmatisierung.
Damit ist gemeint, dass die meisten Muslime von der Forderung Abstand nahmen,
einen Islamstaat oder einen Staat mit explizit islamischer Ausrichtung zu schaffen.
Da zugleich viele orthodoxe Muslime in den Staatsdienst wechselten, gab es einen
zusätzlichen Anreiz, die zuvor oftmals unerbittliche, antisäkularistische Haltung
abzuschwächen.
Mit dem schon beschriebenen Aufkommen neomodernistischer und transformistischer
Strömungen war außerdem eine Pluralisierung des Islam verbunden. In den
70er Jahren konnte man beispielsweise in Indonesien ein neuartiges Phänomen auftauchen
sehen, nämlich die so genannte Salman-Bewegung. Sie wandte sich sowohl
gegen den traditionalistischen als auch gegen den exklusivistischen modernistischen
Islam, konzentrierte sich auf staatliche Universitäten und kombinierte eine strikte
Beachtung der islamischen Verhaltensgebote (fünfmaliges tägliches Gebet, Fasten,
Almosenabgaben etc.) mit lockeren, "demokratischen" Umgangsformen. 561 Der
Prototyp dieser Bewegung war die Gruppe um das spätere ICMI-Mitglied
Imaduddin Abdulrahim an der Salman-Moschee des Institut Teknologi in Bandung.
Es kam also zu einer Santrinisierung des Islam in Indonesien, zugleich fächerte sich
der Islam weiter auf, so dass die alte Unterscheidung zwischen Traditionalisten und
Modernisten immer mehr von ihrer Erklärungskraft einbüßte.
559
Suryadinata 1989, 66ff.
560
In den 90er Jahren wurde z.B. der sehr populäre dangdut-Sänger Rhoma Irama Golkar-
Parlamentarier.
561
Hefner 1993, 13.

256 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Die islamische Partei PPP führte 1977 einen z.T. konfrontativen Wahlkampf und
hatte damit in einigen Regionen einen großen Erfolg. Nach den Wahlen des Jahres
1977 bemühte sich das Regime daher verstärkt um eine Kooptation islamischer
Führer. Schon für die Wahlen von 1971 hatte Golkar die "Vereinigung zur Verbesserung
der islamischen Ausbildung" GUPPI 562 als onderbouw für sich gewinnen
können. 1978 wurde GUPPI vom "Rat für Islamische Mission" MDI 563 , einer vom
Golkar-Vorsitzenden Murtono geschaffenen Organisation, zunächst ergänzt und
langsam abgelöst 564 . Beim Wahlkampf von 1982 wurden Veranstaltungen begonnen
und beendet mit der Rezitation von Versen aus dem Koran. 565 Doch noch bis weit in
die 80er Jahre hinein war das Verhältnis zwischen dem indonesischen Regime und
vielen muslimischen Gruppen getrübt. Noch Anfang der 80er Jahre sprach Ruth
McVey vom "Faith as the Outsider". 566 Islamische Jugendorganisationen waren
phasenweise Bastionen der Opposition. Der Höhepunkt der Konfrontation waren die
Jahre 1984 und 1985, als es als Folge der langanhaltenden Konflikte wegen der azas
tunggal-Bestimmungen zu dem Tanjung-Priok-Massaker und den anschließenden
Bombenanschlägen kam (vgl. Abschnitt 4.1). Tanjung Priok wurde zu einem Symbol
der Kollaboration der Christen (Benny Murdani ist Katholik) mit dem Suharto-
Regime, dessen wichtigste Vertreter entweder Anhänger der javanischen Mystik
oder Christen waren. Benny Murdani verkörperte die Brutalität und die Islamfeindschaft
des Regimes.
1984 war aber auch das Jahr, in dem die NU sich wieder auf ihre ursprüngliche
Rolle als rein religiöse und soziale Organisation beschränkte und sich aus der PPP
zurückzog. 567 Aus der Sicht des Regimes war dieser Rückzug eine sehr problematische
Entscheidung, da von diesem Zeitpunkt an viele Muslime nicht mehr so fest an
die PPP gebunden waren. Viele NU-Anhänger wandten sich der PDI oder Golkar zu,
und die PPP verlor sehr stark bei den Wahlen von 1987.
Die Annäherung zwischen der Regimekoalition und islamischen Gruppen
seit Ende der 80er Jahre
Diese politische Schwächung erleichterte es der Regimekoalition und vor allem dem
Präsidenten selbst, sich bestimmten islamischen Gruppen zu nähern und ihnen Kooptationsangebote
zu machen. Die Angebote richteten sich vor allem an die islamische
Mittelklasse, d.h. die zumeist in Städten lebenden Professionals sowie kleinen
und mittleren Unternehmer. Diese Mittelklasse war erst in den 80er Jahren größer
geworden und interpretierte die islamische Lehre neu.
562
Gabungan Usaha Perbaikan Pendidikan Islam.
563
Majelis Da'wah Islamiyyah.
564
Thaba 1996, 232f.
565
Thaba 1996, 324.
566
McVey 1983.
567
In Indonesien bekannt unter dem Motto: "Kembali ke Khittah 1926" ("Zurück zum Leitfaden
von 1926").

Religiöse Führer 257
Die Islamisierung der indonesischen Gesellschaft war aber ein klassenübergreifendes
Phänomen. 568 Es wurde mehr und regelmäßiger gebetet, die Moscheen waren an
den Freitagen gefüllt, man benutzte häufig arabische Ausdrücke, begrüßte sich in
dieser Sprache, und Gebetsnischen wurden in fast jedem Büro und jedem Geschäft
eingerichtet. 569 In allen gesellschaftlichen Schichten, sowohl in den Dörfern als auch
in den Städten, bekannten sich wesentlich mehr Muslime als in den Jahrzehnten
zuvor stolz zu ihrer Religion. Dabei handelte es sich einmal um eine Ideologie der
Opposition gegen Sinoindonesier und gegen die korrupten Politiker, Bürokraten und
Militärs, ein anderes Mal um die selbstbewusste Artikulation der Interessen einer
westlich orientierten, urbanen Mittelklasse, ein weiteres Mal um den konservativen,
traditionalistischen Aufruf zur Abkehr von der moralischen Verkommenheit des
okzidentalen Liberalismus und modernen Kapitalismus.
Zum Teil hatte diese Islamisierung innenpolitische Ursachen. Die so genannte Normalisierung
des Campus-Lebens (1978), die Schwächung der politischen Parteien,
insbesondere der islamischen, und die Durchsetzung der Pancasila als azas tunggal
(1985) bewirkten zwar eine Privatisierung der Religion, aber keine wirkliche Depolitisierung.
Der allgemeine Trend zur Rückbesinnung auf den Islam ist auch vor dem Hintergrund
globaler Veränderungen zu sehen. Die in vielen Ländern zu beobachtende
Repolitisierung des Islam ist eine Reaktion auf die - von vielen Muslimen so wahrgenommene
- globale Vorherrschaft der okzidentalen, christlich-jüdischen Kultur.
Der Islam ist deshalb in den 80er Jahren zunehmend zu einer gegen die Verwestlichung
gerichteten "Defensivkultur" geworden. 570
Das Regime reagierte also auf die Transformation der Rolle und der Interpretation
des Islam in Indonesien insgesamt und auf Veränderungen in der Regimekoalition
selbst. Wie schon beschrieben, kam es 1988 zu einer Verschärfung des Konfliktes
zwischen Suharto und einer Gruppe von Militärs um Murdani. Suharto versuchte,
ABRI zu schwächen und die Führung stärker unter seine Kontrolle zu bringen. Ein
Mittel dafür war seine Annäherung an islamische Gruppen. Dadurch änderte sich
das Verhältnis der Regimekoalition zum Islam und umgekehrt die Haltung vieler
Muslime zum Staat. Arief Budiman meint:
"It is obvious that, after 1988, the Muslim struggle has changed drastically. From a lower
class based movement, it has been transformed into a middle class one. From a movement
568 Hefner zitiert eine Studie von Stephen C. Headley, derzufolge z.B. in Gebieten Mitteljavas
nichtislamische, exorzistische Praktiken immer mehr aussterben und vom islamischen Glauben
ersetzt werden (Hefner 1993, 12).
569 In Indonesien gibt es Hunderte von Büchern über den Islam, sowohl über einzelne Aspekte
der Religionsausübung als auch über die verschiedenen Facetten des politischen Islam. In den
großen Buchläden sind ganze Abteilungen mit dieser Literatur angefüllt.
570 Vgl. Tibi 1991. In Indonesien sind die orthodoxen, konservativen Muslime i.d.R. antiwestlich
eingestellt. Diese Haltung bezieht sich besonders auf den vermeintlich unmoralischen
Lebenswandel, auf den angeblich besonders brutalen Kapitalismus und auf die "Gottlosigkeit"
in den westlichen Ländern. In Indonesien konnte islamische Orthodoxie auch ein Zeichen der
Opposition gegen das - zumindest teilweise "verwestlichte" - Suharto-Regime sein.

258 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
based outside the State, the Muslim struggle has become a struggle from within the State. It
involves less violence, and has become more sophisticated in its political techniques." 571
In den späten 80er Jahren begann der Präsident im Zuge dieser Annäherung an islamische
Gruppen damit, seine Reden mit einem "assalamulaikum" zu beginnen. Er
pilgerte nach Mekka und nannte sich seitdem "Muhammad Haji". Mit dieser Taktik
konnte er den Katholiken Murdani ins Abseits drängen, seinen Wunschnachfolger
Habibie mit einer eigenen Machtbasis - nämlich ICMI - ausstatten und zugleich
muslimische Gruppen kooptieren. 572
Die größere Bedeutung des Islam in Indonesien seit Mitte/Ende der 80er Jahre hat
nicht nur in der Hinwendung des Präsidenten zur santri-Variante des Islam, sondern
auch in verschiedenen gesetzlichen Veränderungen und politischen Maßnahmen 573
ihren Niederschlag gefunden. Im Einzelnen seien genannt:
- Die Regierungsausgaben für den Bau von Moscheen, für die Verbreitung der islamischen
Lehre und die finanzielle Unterstützung der staatlichen Islamuniversitäten
(IAIN) wurden deutlich erhöht.
- Ein neues Bildungsgesetz legte einen obligatorischen Religionsunterricht in den
staatlichen und privaten Bildungseinrichtungen fest.
- Die islamischen Gerichte wurden bei Fragen von Heirat, Scheidung und Erbschaft
gesetzlich gestärkt; außerdem wurde das islamische Recht systematisiert.
- Die Vereinigung islamischer Intellektueller ICMI wurde 1990 gegründet.
- Musliminnen durften seit 1990 in Schulen den jilbab tragen.
- Islamische Kulturfestivals wurden veranstaltet.
- Man errichtete eine Islambank (Bank Muamalat).
- Die Regierung reagierte auf die Proteste im Anschluss an die Monitor-Affäre
(s.u.).
- Die staatliche Lotterie SDSB wurde nach anhaltenden Protesten verboten.
- Es kam zu einer "Vergrünung" (penghijauan) der Militärführung, der Parlamente,
der Kabinette und des Golkar-Vorstandes. 574
571 Budiman 1994, 233.
572 Suharto änderte aber offensichtlich schon in den frühen 80er Jahren seine Haltung zum
Islam und zum javanischen Mystizismus: "[...] there is ample evidence that he began to
broaden his views beginning in the early 1980s. For example, around that time the president
hired a well-known Islamic preacher, Kyai Haji Qosim Nursekha, to train his family in Islamic
devotion. The president's interest in mysticism continued through this period, but it is
interesting to note that one of his most influential mystical counselors, H. Zahid Husein, is
said to have played a role in the 1980s in encouraging Javanese mystical sects to identify with
Islam and distance themselves from Christianity" (Hefner 1993, 32).
573 Thaba 1996, 278ff.
574 Diese "Vergrünung" lässt sich an der Zusammensetzung der letzten beiden Kabinette
ablesen. 1987-92 saßen im Kabinett Saleh Afiff, Azwar Anas, Akbar Tanjung, Arifin Siregar,
Sya'dillah Mursid, Syamsuddin Sumintapura, Hasrul Harahap, Syarifuddin Baharsyah und
Munawir Syadzali. 1993-98 waren es neben den vier Erstgenannten Mar'ie Muhammad,
Ahmad Latif, Tarmizi Taher und Ibrahim Hassan. Auch im MPR waren seit 1993 für Golkar
bekannte und geachtete islamische Führer bzw. Intellektuelle wie Ali Yafie, Yusuf Hasyim,
Maimun Zubair und Ilyas Rukhiat von NU, Azhar Basyir, Ismail Suny und A. Watik

Religiöse Führer 259
Es zeigte sich also sehr deutlich, dass Suharto offenbar eine Art stiller Koalition mit
Muslimgruppen eingehen wollte, um das Militär, das 1989 im Parlament die keterbukaan-Debatte
- wohl auf Betreiben Murdanis - eröffnet und forciert hatte, besser
kontrollieren zu können. Alles dies war Teil von Suhartos De-Bennyisasi-Strategie,
und Murdani wurde schließlich 1993 vollends entmachtet. Parallel dazu islamisierte
Suharto die Militärführung: Bis Anfang der 90er Jahre hatte er die santri aus den
höheren Rängen des Militärs noch ausgeschlossen, weil er den Aufstieg der Muslime
zu einer mächtigen politischen Gruppierung verhindern wollte; Feisal Tanjung
und Try Sutrisno waren dann die ersten orthodoxen Muslime, die in die höchsten
Militärränge vorstoßen konnten. Und dies sehr zum Wohlwollen der santri, die sich
so lange durch Christen von den Schaltstellen der Macht verdrängt gesehen hatten.
Spannungen als Folge der Islamisierungspolitik
Der Islam in Indonesien muss vor dem Hintergrund seiner Beziehung zum Christentum
betrachtet werden. Sparringa schreibt:
"Both the Muslims and Christians are trapped in the discourse of 'otherness', socially, economically,
and politically constructed by both Orientalism and Occidentalism." 575
Die Christen repräsentieren nach diesem ideologischen Konstrukt den (fremden)
Okzident. Und Muslime, die den Islam bewusst zu politischen Zwecken einsetzen
oder der wirklichen Überzeugung sind, dass die islamische Lehre unmittelbar auch
als politische Lehre zu verstehen ist, grenzen sich von den Christen bewusst ab. Das
Christentum - und besonders der Katholizismus - ist zudem häufig die Religion der
Indonesier chinesischer Abstammung, von denen weniger als 1% Muslime sind. Die
Sinoindonesier wiederum gelten bei unreflektierter Betrachtung als cukong, d.h. als
Unternehmer, die von ihren illegitimen Beziehungen zu Bürokraten und Militärs
profitieren.
Für viele Muslime war deshalb z.B. auch das CSIS ein besonderes Hassobjekt, da es
von katholischen, wirtschaftlich erfolgreichen Chinesen dominiert wurde, die zudem
von Ali Murtopo und dann Benny Murdani protegiert wurden. 576 Die Ressentiments
gegen die Katholiken steigerten sich mitunter zu Verschwörungstheorien, denen
zufolge der Staatsapparat, die großen Unternehmen und das Ausland über dunkle
Kanäle miteinander verbunden seien und den Islam bekämpften. 577 Benny Murdani
wurde nachgesagt, als Kommandeur Christen bevorzugt zu haben und insbesondere
beim Tanjung-Priok-Zwischenfall bewusst mit großer Brutalität gegen die Muslime
Pratiknya von Muhammadiyah, der MUI-Vorsitzende Hasan Basri, der HMI-Vorsitzende
Ferry Mursyidan Baldan, der Unternehmer Fadel Muhammad u.a. (Mas'oed/Arfani 1994,
328).
575
Sparringa 1997, 298.
576
Sparringa 1997, 248.
577
Dazu gehört auch der Vorwurf, dass viele Mitglieder der CSIS- und Opsus-Gruppe um Ali
Murtopo als Einmonatskader (kasbul oder kader sebulan) von einer katholischen, antikommunistischen
Organisation unter der Führung des ominösen Jopie Beek ausgebildet worden
seien.

260 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
vorgegangen zu sein. Die Antipathie entzündete sich auch an den missionarischen
Aktivitäten der Christen. Diese hatten nach den Massakern 1965 in jenen Dörfern, in
denen die PKI besonders stark gewesen war, sowie in den Gefängnissen missionieren
dürfen. Erst 1978 entschied der Religionsminister, missionarische Aktivitäten zu
verbieten, wenn die zu Bekehrenden bereits einer monotheistischen Religionsgemeinschaft
angehören. Vielen in dieser Zeit bekehrten Christen wurde insgeheim
unterstellt, aus Karrieregründen diese Religion gewählt zu haben.
Die seit jeher gespannten Beziehungen zu den religiösen Minderheiten führten in
den 90er Jahren zunehmend zu Konflikten. Einige Elemente der Islamisierungspolitik
stießen auf die Kritik von Christen und liberalen Muslimen, die sich auf die Pancasila
und die verfassungsrechtlich festgelegte Gleichbehandlung der fünf anerkannten
Religionen beriefen. Das Gesetz über das nationale Bildungssystem (2/1989)
beispielsweise, das den Pflichtunterricht in Religion an öffentlichen Bildungseinrichtungen
festlegte, wurde von Nichtmuslimen, aber auch von Neomodernisten wie
Abdurrahman Wahid attackiert. Wahid befürchtete, dass von dem Gesetz vor allem
Muslime profitieren würden und dass fundamentalistische Gruppen ihre Agitation
intensivieren könnten. Der bekannte Menschenrechtsaktivist Adnan Buyung Nasution
wandte sich gegen das neue Gesetz über religiöse Gerichte (7/1989), in dem die
Unabhängigkeit und Gleichrangigkeit islamischer Gerichte bestätigt wurde, das aber
deshalb zu Kollisionen mit dem säkularen Rechtssystem führen konnte. 578 Die
ICMI-Gründung rief - wie noch zu zeigen sein wird - lang anhaltende Kontroversen
über das vermeintliche Sektierertum einiger muslimischer Gruppen hervor. Wenige
Wochen vor der ICMI-Gründung hatte die Monitor-Affäre im Oktober 1990 die
indonesische Gesellschaft gespalten. Dabei ging es um eine Umfrage des populären
Magazins Monitor. 579 Bei der Umfrage nach den am meisten bewunderten Persönlichkeiten
landete der Prophet Muhammad nur auf dem elften Platz (hinter Suharto,
Habibie und dem Chefredakteur des Blattes), was bei weniger liberal und eher
skripturalistisch orientierten orthodoxen Muslimen zu heftigem Widerspruch führte.
Die bloße Gleichsetzung des Propheten mit weltlichen Personen wurde als zutiefst
beleidigend empfunden. Der katholische Chefredakteur Arswendo Atmowiloto
musste schließlich, obwohl er sich öffentlich in aller Form entschuldigt hatte, für
vier Jahre ins Gefängnis. Die Affäre offenbarte einmal mehr die große Sensibilität
eines Teils der Öffentlichkeit in religiösen Angelegenheiten, die gefährdete Stellung
nichtmuslimischer Gruppen (Monitor war Teil der Gramedia-Gruppe und galt deshalb
als katholisch), aber auch die Interpretationsunterschiede innerhalb der islamischen
Gemeinschaft. Während vor allem modernistische Kreise, also etwa auch
Amien Rais, Arswendo scharf angriffen, rief Abdurrahman Wahid zur Besonnenheit
auf, verwies auf die Meinungsfreiheit und erklärte, dass ein einfacher Boykott der
Zeitschrift als Zeichen des Protestes ausreichend gewesen wäre. In solchen Fällen
hielten sich prominente Christen zurück, weil in kürzester Zeit - wie in der Monitor-
578 Ramage 1995, 86f.
579 Ramage 1995, 87ff.

Religiöse Führer 261
Affäre - Demonstrationen mit islamistischen Untertönen teils spontan, teils aufgrund
kühler Planung organisiert werden konnten.
In einem anderen Fall gelang die Politisierung religiöser Fragen - als Teil einer langfristigen
Herrschaftsstrategie - nur sehr unvollkommen. Der javanische Mystiker
(dukun oder auch "Paranormale") und prominente Regierungskritiker Permadi wurde
1995 wegen angeblicher Blasphemie - er soll den Propheten Mohammad als
einen "Diktator" bezeichnet haben - verurteilt. 580 Permadi, der als Anhänger Sukarnos
und seiner Tochter Megawati galt, hatte im April 1994 bei einer Veranstaltung
an der Gajah-Mada-Universität in Yogyakarta verschiedene Regierungsmitglieder
scharf kritisiert und in seiner Funktion als kebatinan-Gelehrter einen Machtwechsel
für das Jahr 1996 prophezeit. Seine Äußerungen über den Propheten wurden damals
ohne Kommentar zur Kenntnis genommen, zumal er Muhammad als "guten Diktator"
beschrieben hatte. Erst etwa ein Jahr später brachte der orthodoxe Muslim und
Golkar-Abgeordnete Din Syamsuddin, nachdem er einen Mitschnitt der Veranstaltung
in Yogyakarta erhalten hatte, die Äußerungen Permadis an die Öffentlichkeit.
Hasan Basri (MUI) und Metareum (PPP) stimmten in den Chor der aufgebrachten
Muslime ein. Da allerdings der Prozess gegen Permadi nicht von Massendemonstrationen
gegen den Angeklagten begleitet war und sich einige Muslimführer und islamische
Organisationen gegen das Verhalten Syamsuddins aussprachen, dürfte der
Permadi-Fall als ein fehlgeschlagener Versuch der Massenmobilisierung von orthodox-islamischen
Teilen der Regimekoalition eingeschätzt werden. 581
In einem dritten, sehr bekannten Fall wäre die Islampolitik der Regierung fast zu
einem Bumerang geworden. Am 1. September 1995 demonstrierten 1.500 Studenten
in Yogyakarta gegen Informationsminister Harmoko, der einen für orthodoxe Muslime
fatalen Fehler begangen hatte: Er hatte nämlich bei einer wayang kulit-
Veranstaltung in Solo einen Koranvers (Al-Fatihah), den jeder Muslim täglich viele
Male beim Gebet aufsagt - vielleicht absichtlich in der Manier eines Puppenspielers
-, falsch rezitiert. Nach einer tränenreichen Entschuldigung im Fernsehen wurde ihm
von 18 führenden Muslimorganisationen vergeben.
Dass die staatlich initiierte und kontrollierte Stärkung des Islam auch machtpolitisch
motiviert war, lässt sich an der Außenpolitik jener Jahre gut ablesen. Zwar nahm die
Regierung Rücksicht auf die muslimischen Gruppen im eigenen Land, aber meistens
waren andere Interessen prioritär. Die indonesische Regierung musste sehr genau
darauf achten, die Muslime nicht zu verprellen, und zur gleichen Zeit jeglichen außenpolitischen
Radikalismus zu vermeiden. Ende des Jahres 1993 z.B., nach Unterzeichnung
des Friedensvertrages, kamen Arafat und Rabin nacheinander nach Jakarta.
Rabin wurde von Suharto in seiner Funktion als NAM-Vorsitzender empfangen.
Der Besuch war recht heikel und kam für viele Indonesier sehr überraschend, da
Indonesien keine diplomatischen Beziehungen zu Israel unterhielt (stattdessen hatte
die PLO im Jahre 1987 die Erlaubnis bekommen, eine Vertretung in Jakarta zu er-
580
Allerdings war die Strafe so bemessen, dass sie im Moment der Urteilsverkündung schon
als U-Haft abgesessen war.
581
FEER 24.8.1995.

262 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
richten). 582 Indonesien zeigte sich auch sehr vorsichtig bezüglich der irakischen
Invasion von Kuweit im August 1990 (schon wegen des eigenen Ost-Timor-
Problems). Es verurteilte die Invasion nicht, erkannte aber die UN-Resolution dennoch
an. Während des Krieges im ehemaligen Jugoslawien sträubte sich die Regierung,
Serbien als Aggressor zu bezeichnen. Und in der OIC (Organization of Islamic
Conference) besaß Indonesien einen Sonderstatus, da es sich selbst nicht als islamisches
Land begriff, sondern als eines, das auf den Pancasila aufbaute.
Muslimorganisationen: Dewan Dakwah, MUI, NU und Muhammadiyah
Fundamentalistische Organisationen hatten in der Neuen Ordnung keinen Massenanhang.
Es gab lediglich kleinere Organisationen wie das 1990 gegründete "Indonesische
Komitee für die Solidarität der islamischen Welt" KISDI 583 oder den Rat für
islamische Missionierung, Dewan Dakwah. Dewan Dakwah besaß juristisch die
Form einer Stiftung und musste sich deshalb nicht den azas tunggal-Bestimmungen
beugen. Der Rat ist besonders aktiv bei der Verbreitung des islamischen Glaubens
durch die Entsendung von Predigern und durch die Herausgabe verschiedener Publikationen,
darunter die häufig rezipierte Zeitschrift "Media Dakwah". Die Organisation
galt lange als regimekritisch, und die über viele Jahre dominierende Figur -
Mohammad Natsir - gehörte sogar zu den Unterzeichnern der Petisi 50. Seit etwa
1990 kam es aber zu einer Annäherung an die Regierung. 584
Neben solchen zumindest unbequemen Assoziationen gab es solche, die von der
Regimekoalition selbst aufgebaut worden waren und die der Kooptation wie ICMI
und der Mäßigung wie MUI dienten. Dieser Indonesische Ulama-Rat MUI (Majelis
Ulama Indonesia) wurde 1975 von der Regierung eingerichtet, um ihre Politiken
religiös besser absichern und legitimieren zu können. In Indonesien gibt es schließlich
nicht, wie in einigen arabischen Ländern, einen Zentralrat führender Muslime,
der für sämtliche Muslime verbindliche fatwa aussprechen könnte. Kennzeichnend
ist vielmehr eine gewisse Dezentralisierung in der Islaminterpretation. So kam es
auch zu Differenzen in der Koranauslegung mit dem Dewan Dakwah sowie mit der
NU und mit Muhammadiyah, da die verschiedenen indonesischen Muslimorganisationen
in vielen Fällen jeweils eigene fatwa publizierten.
Der MUI durfte sich satzungsgemäß nicht politisch betätigen. In der MUI-Führung
waren ex officio vier Minister vertreten, so dass es sich um eine quasistaatliche
Organisation handelte. In der Neuen Ordnung wirkte der MUI daher in erster Linie
als Instrument der Regierung. Van Bruinessen 585 nennt als Beispiel die Verteidigung
der nationalen Lotterie Porkas durch den Vorsitzenden des MUI-fatwa-Komitees,
Ibrahim Hosen, oder die Haltung zu verschiedenen Verhütungsmethoden im Rahmen
des Familienplanungsprogramms, die sich deutlich von den Positionen der NU
und Muhammadiyahs unterschied. Aber selbst die MUI war nicht völlig kontrollierbar.
So gab es auch eine fatwa über die gemeinsame Weihnachtsfeier von Christen
582 Suryadinata 1995, 160f.
583 Komite Indonesia untuk Solidaritas Dunia Islam.
584 Feillard 1995, 254ff.
585 Van Bruinessen 1996, 24; siehe auch: Tiras 3.8.1995.

Religiöse Führer 263
und Muslime, die zu Spannungen mit der Regierung und letztlich zum Rücktritt des
Vorsitzenden Buya Hamka führte. 586
Neben dieser regierungsnahen Organisation gab es zwei sehr große, traditionsreiche
und relativ unabhängige Muslimorganisationen, nämlich NU und Muhammadiyah.
Nahdatul Ulama ("Renaissance der ulama") wurde 1926 in Surabaya von K.H.
Hasyim Asyari als Reaktion auf die modernistische Muslimbewegung gegründet.
Anfänglich war die NU infolge der autoritären Kolonialherrschaft eher unpolitisch,
wurde aber in der Republik Indonesien zu einem Teil der Masyumi. 1952 zog sich
die NU unter der Führung von Wahid Hasyim aus dem Masyumi zurück und etablierte
sich selbst als politische Partei. Bei den Wahlen 1955 wurde sie sogar drittstärkste
Partei. Im Nasakom-Konzept Sukarnos war sie das religiöse Element. 1965
unterstützten viele NU-Mitglieder Suharto und beteiligten sich an der Vernichtung
der politischen Linken. Die NU-Jugendorganisation Ansor war an vorderster Stelle
an den Massakern beteiligt. Die NU schloss sich 1973 der PPP an, zog sich dann
aber 1984 wieder zurück, um sich als soziale und religiöse Organisation besser profilieren
zu können und nur noch indirekt politisch Einfluss zu nehmen. 587 Seit diesem
Jahr wird die NU in hohem Maße von dem Enkel des Gründers, nämlich von
Abdurrahman Wahid, geprägt, der als Liberaldemokrat und neomodernistischer
Muslim gilt. Die NU, die nach offiziellen Angaben ca. 30 Mio. Mitglieder haben
soll (manchmal ist auch von 40 Mio. Mitgliedern die Rede), hat ihre Basis im ländlichen
Bereich und dort vor allem in den islamischen Internaten, den pesantren, die
jeweils im Besitz eines meist hochangesehenen charismatischen Lehrers und Islamgelehrten,
des kiai, sind. Diese kiai sind es auch, die das Rückgrat der Riesenorganisation
NU bilden. 588
Als Interessenorganisation der islamischen Gelehrten, der ulama, gilt sie als eine
traditionalistische Organisation, in der charismatische Führer die jahrhundertealten
Überlieferungen wahren. Anders als bei der modernistischen Muhammadiyah gilt
bei der NU nicht ein Verfahren der Auslegung islamischer Lehren nach dem ijtihad-
oder istinbath-Prinzip. Die Gelehrten beziehen sich auf die kitab kuning, die Bücher,
in denen die bisherigen Deutungen in der Tradition der shafi'itischen Schule niedergelegt
sind. Die NU-Rechtsgelehrten geben ihre Rechtsurteile (fatwa) meistens in
Form eines einfachen "Ja" oder "Nein" ab, während die Modernisten ihre komplexen
Interpretationen meistens in Form längerer Aufsätze darlegen.
Muhammadiyah ("Anhänger Muhammads") ist eine 1912 von Kiai Haji Ahmad
Dahlan gegründete Muslimorganisation. K. H. Ahmad Dahlan war ein Moscheean-
586 Thaba 1996, 223.
587 Seit 1984 zog sich die NU wieder aus der Parteipolitik, ja aus der Politik überhaupt, zurück.
Das bedeutete, dass die PPP zwar weiterhin Mitglieder hatte, die aus der NU kamen und
dort weiterhin Funktionen wahrnahmen, dass aber die NU als Organisation unabhängig war.
Dem eigenen Anspruch nach handelte es sich jetzt lediglich um eine Organisation, zu deren
Zielen die Verbreitung des islamischen Glaubens sowie Wohlfahrtsaufgaben gehörten.
588 Wie bei den meisten indonesischen Organisationen sind solche Zahlenangaben nicht verlässlich.
Im Übrigen führt die hohe Mitgliederzahl die Selbstbezeichnung als ulama-
Organisation ad absurdum.

264 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
gestellter in Yogyakarta, der den von Muhammad Abduh, Ibn Taimiyya, Jamaluddin
al-Afghani und Rashid Rida geprägten modernistischen Islam verbreiten wollte.
Ähnlich wie in der frühen Neuzeit die Lutheraner, wollen die Modernisten zum
"reinen Text" vordringen und sich von den überkommenen Traditionen und religiösen
Interpretationen befreien. Muhammadiyah war in erster Linie eine Bewegung
zur Förderung der Wohlfahrt der Muslime und zur Verbesserung der Ausbildung
und war in der Frühphase vor allem eine Organisation städtischer Kaufleute. Seit
1945 unterstützte sie die modernistische Partei Masyumi, die 1960 verboten wurde
und sich in der Neuen Ordnung nicht rekonstituieren durfte.
Mit Muhammadiyah und den von ihr verwalteten Einrichtungen (u.a. 11.000 Bildungseinrichtungen,
darunter 114 Universitäten) sind heute ca. 28 Millionen Indonesier
verbunden. 589 Die Organisation hat ihre Basis vor allem in den Städten und
dort bei Beamten. Die Gegenüberstellung der traditionalistischen, konservativen NU
mit der modernistischen, urbanen Muhammadiyah ist aber insofern irreführend, als
es in der NU durchaus liberale Kräfte gibt - am prominentesten der Flügel um den
Vorsitzenden Abdurrahman Wahid -, die den Islam nichtskripturalistisch auslegen.
Und in vielen Fällen ist gerade der Modernismus der Muhammadiyah rigider, weil
der Koran und die Sunna z.T. skripturalistisch gedeutet werden. 590
1985 drehten sich die Auseinandersetzungen beim nationalen Treffen (Muktamar) in
Solo noch um die Frage, ob die Pancasila als alleinige Grundlage anerkannt werden
sollten. Und noch bis 1995 hielt die Organisation unter dem Vorsitzenden Azhar
Basyir, der sich mit politischen Einschätzungen weitgehend zurückhielt, an einer
Low-profile-Haltung fest. Erst dann setzte sich in Aceh Amien Rais durch, der den
liberal-modernistischen, oft westlich ausgebildeten und stärker politisierten Flügel
von Muhammadiyah repräsentierte. Der Wechsel von Azhar Basyir zu Rais markierte
den Übergang von eher traditionellen Führern zu Mittelklasse-Intellektuellen, die
akademische Titel tragen.
NU und Muhammadiyah waren, wie erwähnt, relativ unabhängig. Trotzdem bemühte
sich die Regimekoalition, islamische Führer zu kooptieren und deren religiöses
Charisma für politische Zwecke zu nutzen. Die Legitimationsfunktion muslimischer
Führer offenbarte sich sehr deutlich z.B. in so genannten "politischen Gebeten" (doa
politik), bei denen unter Beteiligung von ulama und Angehörigen islamischer Massenorganisationen
etwa für die Gesundheit des Präsidenten gebetet wurde, damit er
eine weitere Amtszeit tätig sein konnte. So wurde z.B. vor den Wahlen des Jahres
1992 ein solches politisches Gebet in Jakarta gesprochen, wobei der stellvertretende
NU-Vorsitzende Ali Yafie im Beisein des früheren Religionsministers Alamsyah
Ratu Perwiranegara, der Golkar-Politiker Ismail Hassan, Azwar Anas, Akbar
Tanjung und Suhardiman sowie von 3.000 gläubigen Muslimen die Zeremonie leitete.
591
589 Feillard (1995, 252) gibt für 1986 eine Zahl von 700.000 Mitgliedern an.
590 Anschaulich beschrieben bei: van Bruinessen 1994, Kap. 7 und 8.
591 Suryadinata 1997, 197.

Religiöse Führer 265
Ein anderes Beispiel ist die Instrumentalisierung islamischer Organisationen für
Attacken auf Oppositionelle. So traf sich Kassospol Syarwan Hamid, ein orthodoxer
Muslim, im Anschluss an den 27. Juli 1996 mit Vertretern verschiedener muslimischer
Organisationen (Pemuda Ansor, Angkatan Muda Islam Indonesia, Pemuda
Tarbiyah) und versicherte sich ihrer Unterstützung bei der Hexenjagd auf die vermeintlich
kommunistischen PRD-Mitglieder (vgl. Abschnitt 4.3.). In den nächsten
Tagen gaben Organisationen wie Pemuda Muhammadiyah, Himpunan Mahasiswa
Indonesia und der Majelis Ulama Indonesia Sympathierklärungen für den harten
Kurs ABRIs ab. Selbst der PPP-Vorsitzende Metareum erklärte seine volle Unterstützung.
592
Über viele Jahre waren sowohl NU als auch Muhammadiyah zwar immer wieder
unbequem für die Regimekoalition, aber oppositionelle Organisationen waren sie
keinesfalls. Sie waren aber so eigenständig und so wenig kooptierbar und für Regimezwecke
funktionalisierbar, dass die Gründung einer neuen Organisation erwogen
wurde.
ICMI
Die Gründung und die Reaktion einiger Kritiker
Den eigentlichen Wendepunkt in der Entwicklung des Verhältnisses Staat-Islam in
der Neuen Ordnung markierte die Gründung des "Verbandes Islamischer Intellektueller
Indonesiens" ICMI 593 im Dezember 1990. Die Gründung erfolgte auf einem
Symposium an der Brawijaya-Universität, das von Suharto eröffnet wurde. Zu den
Anwesenden gehörten u.a. der ABRI-Kommandeur Try Sutrisno, die Minister Emil
Salim, Azwar Anas, Harmoko, Mukti Ali, Rudini und Fuad Hasan sowie Sri Bintang
Pamungkas, Amien Rais, Nurcholish Majid, Dawam Raharjo und Emha Ainun Najib.
Von den 49 Gründungsmitgliedern waren 15 Ingenieure - das konnte als Ausdruck
der Dominanz Habibies gedeutet werden. Insgesamt 4 hatten einen S1-Grad
(BA), 2 einen S2-Grad (MA), 39 einen Doktor- und 4 einen Professorentitel. 594
Trotz dieser Ansammlung hoch qualifizierter santri wurde der Begriff "Intellektueller"
(cendekiawan) von ICMI sehr locker definiert. Habibie meinte einmal sogar,
dass jeder, der sich für einen Intellektuellen halte, ICMI beitreten könne. So konnte
die Mitgliederzahl bis 1997 auf 40.000 anwachsen.
Nach vielen indonesischen, vor allem ICMI-nahen Darstellungen übernahmen fünf
Studenten von der Universität in Malang die Initiative zur Gründung ICMIs. Nach
einem spontanen Einfall hätten sie - unter Mithilfe einiger prominenter Muslime -
dieses Projekt ins Rollen gebracht. In Wirklichkeit hatte es in den Jahren zuvor
592 Honna 1999, 102f.
593 Ikatan Cendekiawan Muslim Se-Indonesia; Tempo 15.12.1990.
594 Thaba 1996, 230f.

266 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
mehrfach Versuche gegeben, eine Organisation dieser Art ins Leben zu rufen. Und
vieles spricht dafür, dass Imaduddin der eigentliche Initiator der ICMI-Gründung
war. 595 Imaduddin trat, vermittelt durch die Studenten, an einige Minister mit der
Bitte heran, ihn bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Sehr bald erwies sich Habibie
als der geeignete Kandidat für dieses Unternehmen, weil er sich selbst bereits als
orthodoxer Muslim profiliert hatte und weil er am ehesten die Zustimmung von
Suharto bekommen konnte. Habibie nutzte ICMI als Anhängsel für seine aus verschiedenen
Organisationen bestehende technologische Machtbasis und rekrutierte
zahlreiche BPPT-Mitarbeiter.
Viele indonesische Muslime begrüßten die ICMI-Gründung euphorisch. Erstmals
hatten viele von ihnen das Gefühl, dass sie als Muslime nicht mehr zu einer diskriminierten
Gruppe gehörten. Es gab allerdings auch von Beginn an zahlreiche Kritiker
wie den Minister des Staatssekretariats Murdiono oder die Historiker Taufik
Abdullah und Deliar Nur, die der Organisation nicht beitraten. Neomodernisten wie
Johan Effendi und Abdurrahman Wahid bezeichneten ICMI sogar als "sektiererisch".
Diese wohl schärfste Form der Kritik äußerte 1994 auch der Minister und
Großunternehmer Siswono Yudohusodo. Besonders beunruhigt zeigte sich die Militärführung
(z.B. in der Person von Edi Sudrajat), die deutlich erkannte, dass mit der
ICMI-Gründung die Gewichte in der Regimekoalition verschoben wurden und dass
Suharto offenbar ein Bündnis mit Habibie und einigen islamischen Gruppen gegen
ABRI schmiedete. 596
Die Stärkung der orthodoxen Muslime durch die ICMI-Gründung sorgte auch bei
den nichtmuslimischen Minderheiten für eine gewisse Beunruhigung. Das Gefühl
der Bedrohung war vor dem Hintergrund der jahrzehntelangen Auseinandersetzungen
um die dasar negara, die Staatsgrundlage, verständlich. Spätestens seit den
Verhandlungen im Vorbereitungskomitee für die Ausarbeitung einer Verfassung im
Jahre 1945 hatte sich ein Konflikt von Pancasila-Nationalisten auf der einen Seite
und Islamstaatsanhängern auf der anderen Seite ergeben. A. Wahid 597 etwa sah daher
in ICMI eine Organisation, die die ohnehin schon gespannten Beziehungen zu
den religiösen Minderheiten durch eine skripturalistisch-modernistische Korandeutung
noch weiter verschlechterte. Die von den Nicht-santri deutlich wahrgenommene
Gefahr einer die Minderheiten diskriminierenden Islamisierung sei mit ICMI
größer geworden. Auch liberale Muslime wie Johan Effendi, Aswab Mahasin und
Nurcholish Majid teilten einige dieser Vorbehalte. Der eigentliche Zweck von ICMI
war es - so meinten einige Kritiker - zu einer islamischen Partei, einer Neo-
Masyumi, zu werden. Von den Nichtmuslimen in Indonesien wurde ICMI mit Argwohn
betrachtet, weil es einen Flügel in dieser Organisation gab, dessen Angehörige
offen von Kristenisasi 598 , also der übermäßigen Besetzung von Machtpositionen
595 Hefner 1993, 23.
596 Hefner 1993, 24 und Ramage 1995.
597 Wahid 1995.
598 Die kristenisasi-These hielten die Kritiker für unlogisch. Die Propagandisten der Idee einer
"proportionalen" Vertretung islamischer Gruppen würden stillschweigend von der Annahme
ausgehen, dass die knapp 90% Muslime in Indonesien orthodox seien und somit auch von

Religiöse Führer 267
durch Christen sprachen. Durch eine dem zahlenmäßigen Gewicht der Konfessionen
entsprechende, "proportionale" Ämterbesetzung sollte ihrer Meinung nach diese
Ungerechtigkeit beseitigt werden. Proporsional sei demnach eine Machtverteilung,
die den 87% der indonesischen Muslime eine entsprechende Zahl an herausgehobenen
Positionen verschaffe. Die strenggläubigen Muslime, die sonst oftmals Schwierigkeiten
mit den weniger orthodoxen Glaubensbrüdern hatten, zögerten, wenn es
um Fragen der Proportionalität ging, nicht, die Muslimgemeinschaft zahlenmäßig so
stark einzuschätzen.
Die Gründung ICMIs wurde also in unterschiedlicher Weise interpretiert:
- Für viele ausländische Beobachter, aber auch für viele indonesische ICMI-Kritiker
war die Gründung vor allem ein Teil der Machtstrategien Suhartos. Der Präsident
benutzte ICMI als Mittel, um ABRI (zunächst vor allem die Murdani-Fraktion) zu
schwächen und um Habibies Vizepräsidentschaft vorzubereiten. Außerdem wollte
das Regime prominente Muslime kooptieren und sie zum Schein partizipieren lassen.
Die Verschärfung interreligiöser Konflikte wurde - nach dieser Interpretation -
entweder billigend in Kauf genommen oder war sogar intendiert.
- Die ICMI-Selbstinterpretation lautete: Die Gründung war eine natürliche Reaktion
auf die jahrzehntelange Unterdrückung der Muslime, die jetzt einforderten, was
ihnen aufgrund ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung zustand. Suharto handelte
nicht strategisch, sondern als orthodoxer Muslim.
Aufgaben und Struktur von ICMI
ICMI besaß keine klar definierte Aufgabe und war ohne Unterstützung "von oben"
fast ohne Macht. Fragte man ICMI-Mitglieder nach den Aktivitäten und Aufgaben
ICMIs, erfuhr man einiges über karitative Projekte und über die Förderung kleiner
und mittlerer Unternehmer. 599 Es blieb jedoch unklar, warum nicht auch andere
Nichtregierungsorganisationen oder staatliche Stellen diese Aufgaben übernehmen
konnten.
ICMI war eine Art GONGO (Government Organized Non-Government Organization),
bei der die staatliche Bürokratie in der Person Habibies das letzte Wort hatte.
In Anlehnung an Schwarz und an Ramage 600 lassen sich in dieser GONGO drei
Gruppen unterscheiden:
- moderate muslimische Theologen und Intellektuelle,
orthodoxen Muslimen in den Führungsgremien vertreten werden sollten. In Wirklichkeit - so
argumentierte etwa Abdurrahman Wahid - waren nur etwa 40% der Indonesier orthodoxe
Muslime (Interview in: Tempo Interaktif 7.12.1996). So betrachtet, gab es die "proportionale"
Vertretung schon längst.
599 ICMI rief verschiedene Projekte ins Leben, etwa zur Bereitstellung von Kleinkrediten
(z.B. für pedagang kaki lima), zur Management- und technischen Hilfe, zur Vergabe von
Stipendien, zum Aufbau von Bibliotheken, Islamzentren etc. Hinzu kamen z.B. Aktivitäten in
den Bereichen "Menschenrechte" und "Umweltschutz".
600 Schwarz 1994, 177 und Ramage 1995, 76ff.

268 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
- politische Aktivisten, die sich bei ihren Tätigkeiten vornehmlich auf die islamische
Lehre stützten und
- Regierungsvertreter sowie "Technologen", die direkt unter Habibie arbeiteten.
Die moderaten Theologen und Intellektuellen waren in erster Linie als Interpreten
der islamischen Lehre bekannt geworden, wie etwa Nurcholish Majid oder Dawam
Raharjo. Die politischen Aktivisten kamen häufig, wie z.B. Amien Rais, aus der
modernistischen Muslimorganisation Muhammadiyah. Zu der Gruppe gehörten u.a.
Sri Bintang Pamungkas, Adi Sasono, Nasir Tamara, Din Syamsuddin, Imaduddin
Abdul Rahim, Lukman Harun, Amin Aziz und Watik Pratiknya. Die dritte Gruppe
bestand aus Ministern und hohen Beamten: Zu ihr gehörten u.a. Wardiman Joyonegoro,
Haryanto Dhanutirto, Azwar Anas, Harmoko, Saleh Afiff und Munawir Syadzali.
Da ICMI nicht hauptsächlich die islamische Lehre fortentwickeln wollte (wie etwa
die Vertreter der ersten Gruppe), und da die wesentliche Aufgabe der Regierungsvertreter
und "Technologen" die Kontrolle ICMIs und die Legitimierung der Regierungspolitik
war, wurde die zweite Gruppe als das "eigentliche" ICMI betrachtet:
Die politischen Aktivisten waren besonders kritisch (vokal), sie tauchten am häufigsten
in den Medien auf, und sie sorgten dafür, dass ICMI nicht vollständig von
der Regierungskoalition vereinnahmt wurde.
ICMI war also ein heterogen zusammengesetztes Forum, das u.a. der Kooptation
islamischer Führer und Intellektueller diente. Die Regierung wollte sich zusätzliche
Legitimation verschaffen und zugleich die regimekritischen Muslime disziplinieren.
601 Die Regierung hatte damit aber eine Bewegung in Gang gesetzt, die sie nicht
vollkommen beherrschen konnte. Die Gratwanderung zwischen Loyalität und Kritik,
die für ICMI nicht untypisch war, zeigte sich bereits in den Anfängen. Im Mai 1992
musste ein Menschenrechtsseminar (mit Princen, Todung Mulya Lubis, Aswab
Mahasin und Chris Siner) abgebrochen werden, weil angeblich keine behördliche
Genehmigung vorlag. ICMI war in solchen Fällen eine Art regierungskritische
NGO. Im Jahr 1995, bei der Mitgliederhauptversammlung (muktamar II), wurde Adi
Sasono Generalsekretär ICMIs. Sasono war als Studentenaktivist bekannt geworden
und hatte die Dependenztheorie in Indonesien verbreitet. 602 Er galt als NGO-
Aktivist, der mit einigen der wichtigsten Oppositionellen sympathisierte. 603 1997
601 So ist auch die Interpretation von Wessel (1996) und von van Bruinessen (1996).
602 Arief/Sasono 1981; Gatra 9.12.1995; Forum Keadilan 18.12.1995. Adi Sasono (Interview
am 15.10.1997) verwies darauf, dass viele kritische Intellektuelle für ICMI arbeiteten und
dass man mit Habibie über alles offen reden könne. Außerdem sei der Vorwurf der Sektiererei
verfehlt, da niemand einen Islamstaat wolle. Es gebe sogar eine Zusammenarbeit mit Angehörigen
anderer Religionsgemeinschaften.
603 Sasono, Adi: geboren 1943, Vorsitzender des Dewan Mahasiswa ITB, Ingenieur, 1975-77
Manager bei einer Elektronikfirma, gründete 1978 das Institut für Entwicklungsstudien LSP,
setzte sich in den frühen 80er Jahren für tapol ein, Vorsitzender von Cides, seit 1995 ICMI-
Generalsekretär, seit Mai 1998 im Habibie-Kabinett als Minister für Genossenschaften sowie
kleinere und mittlere Unternehmen. In einem Interview (15.10.1997 in Jakarta) zeigte sich

Religiöse Führer 269
wurde er als MPR-Kandidat vorgeschlagen, aber von Suharto abgelehnt. Auch Sri
Bintang Pamungkas, eine der prominentesten und entschlossensten Regimekritiker,
hat lange eine wichtige Position in der Organisation ausgeübt. Und 1997 wurde
Amien Rais, der Vorsitzende des Expertenrates 604 von ICMI, von Suharto gezwungen,
sich von dieser Position zurückzuziehen. Rais hatte die Busang-Affäre als Beispiel
des Nepotismus auf höchster Ebene zu einem öffentlichen Thema gemacht. 605
Doch trotz dieser kritischen Mitglieder galt ICMI vielen als elitär und wurde als
bloßes Karrieretrittbrett abgestempelt. Deshalb kam die ironische Wendung "Ikatan
Calon Menteri Indonesia" oder "Vereinigung der Ministerkandidaten Indonesien"
auf. Häufig wurde moniert, dass Habibie die alles überragende und alles bestimmende
Gestalt war. Es gab keine wirkliche Demokratie innerhalb der Organisation,
die auch finanziell von der Regierung abhängig war. Aufgrund dieser Nähe zur
Macht erwies sich ICMI in kritischen Augenblicken als ohnmächtig. Der sehr populäre
Künstler und Kolumnist Emha Ainun Najib etwa gab als Direktor des "Büros
für kulturelle Diskussionen" auf, weil er eine kleine Konferenz zu Kedung Ombo im
Mai 1991 nicht durchführen durfte.
Wie sehr ICMI zu einem Teil der Regimekoalition geworden war, zeigte sich u.a.
darin, dass im August 1993 Suharto, Try Sutrisno und Sudharmono zu "pelindung
pengurus" (Schirmherren) ernannt wurden. Kurz darauf besuchten 200 ICMI-
Funktionäre Feisal Tanjung in Cilangkap. Einige ICMI-Führungskader wurden 1993
MPR-Abgeordnete. Und die Habibie-nahen BPPT-Mitarbeiter Wardiman Joyonegoro,
Haryanto Dhanutirto und Satrio Budi Yudono wurden im selben Jahr zu Ministern
ernannt. 606
Der Präsident und seine Tochter “Tutut” zeigten sich verstört über die Kritik einiger
ICMI-Intellektueller und begannen deshalb 1993 damit, deren Einfluss in der Organisation
durch die Rekrutierung von Regierungsvertretern und durch Mittelkürzungen
zu schwächen. Gleichzeitig gingen sie daran, eine neue Allianz um einige orthodox-muslimische
Generäle (Hartono, Feisal Tanjung, Syarwan Hamid und Prabowo)
und einige Intellektuelle des Center for Policy and Development Studies
(CPDS), nämlich die Golkar-Politiker Din Syamsuddin und Amir Santoso, aufzubauen:
"Soeharto, having grown disenchanted with ICMI independents, had decided to move his
Islam policy away from exclusive reliance on Habibie and ICMI toward less public ‘Muslim’
actors. Soeharto now supported the ascendence of a regimist Muslim faction in Golkar
itself." 607
seine Aufgeschlossenheit für neomarxistische Theorien, mit der er gelegentlich Unmut bei
Militärs auslöste. Auch für die PUDI- und PRD-Aktivisten zeigte er große Sympathien. Sri
Bintang Pamungkas hatte er kurz zuvor im Cipinang-Gefängnis besucht.
604
Dewan Pakar.
605
Baysaib/Ali-Fauzi 1997.
606
Insgesamt waren 1997 17 Minister ICMI-Mitglieder.
607 Hefner 2000, 152.

270 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Das CPDS entwickelte sich in den folgenden Jahren - so jedenfalls sieht es Hefner -
zu einer weiteren Machtbastion. Allerdings arbeitete dieser Think Tank recht unauffällig
und dürfte allenfalls bei verschiedenen Kampagnen beteiligt gewesen sein.
Die ambivalente Haltung vieler ICMI-Mitglieder, vor allem der modernistischen
Intellektuellen, zeigte sich in der meist bedingungslosen Unterstützung der fragwürdigen,
Einkommensunterschiede eher verschärfenden Entwicklungsstrategie Habibies
und in dem z.T. zwiespältigen Verhältnis zu Suharto und zur Demokratisierung.
So hatten viele ICMI-Mitglieder Suharto für seine antiislamische Politik der frühen
und mittleren Phase der Neuen Ordnung vergeben und machten vorrangig kebatinan-Anhänger
wie Murtopo oder Christen wie Murdani, Sumarlin und Radius Prawiro
für diese Politik verantwortlich. 608 Die Forderung nach Demokratisierung dürfte
für einen schwer zu quantifizierenden Teil der ICMI-Mitglieder nur ein Vorwand
gewesen sein, um die Islamisierung zu beschleunigen. Das oft geforderte Mehrheitswahlrecht
wurde von einigen ebenfalls nur als ein Mittel betrachtet, um die
Position der Muslime zu verbessern. Dazu gehörte auch die immer wieder erhobene
Forderung nach einer Politik der positiven Diskriminierung von pribumi nach dem
malaysischen Modell.
ICMI stärkte innerhalb des indonesischen Islam vor allem die Modernisten und die,
die den Islam zu politischen Zwecken nutzen wollten. Dabei hatte die Organisation
Mitglieder, wie z.B. Sri Bintang und Aswab Mahasin, die die Proportionalitätsthese
nicht unumwunden teilten, sondern im Islam eher eine Lehre der sozialen Gerechtigkeit
und der Demokratie sahen. Andere wollten zuallererst die Position der Muslime
gegenüber den Christen stärken. Soziale Gerechtigkeit und Demokratie waren
für sie zweitrangig. Amien Rais setzte sich für eine gerechte und demokratische
Gesellschaft und gleichzeitig für eine politische, ökonomische und kulturelle Stärkung
der Muslime, also eine weit reichende Islamisierung der Gesellschaft ein.
608 Vgl. Ramage 1995, 105.

Politiker in der Neuen Ordnung 271
Abschließende Bemerkung
In den ersten Jahren nach 1965 gehörten große Teile der indonesischen muslimischen
Gruppen zur Regimekoalition. Danach standen viele Muslime in kritischer
Distanz zum Regime. Erst seit der Politik der Annäherung, in der Post-azas-tunggal-
Ära, insbesondere seit Ende der 80er Jahre, versöhnte sich der Großteil der indonesischen
Muslime wieder etwas mit der Regimekoalition. Die Muslime bildeten in ihrer
Gesamtheit aber weder eine strategische noch eine konfliktfähige Gruppe. Vielmehr
gab es bestimmte Segmente, die von der Regimekoalition kooptiert wurden und die
die Aufgabe hatten, Wählerstimmen zu beschaffen und die Orde-Baru-Herrschaft zu
legitimieren. Insoweit kann allenfalls davon gesprochen werden, dass einige Führer
der verschiedenen islamischen Organisationen eine sekundäre oder sekundierende
strategische Gruppe bildeten. Mackie und MacIntyre sprechen deshalb auch vom
Islam "[...] as a semi-organised but always potentially significant political force
[...]" 609 .
Andere islamische Organisationen oder Gruppen standen tendenziell der Opposition
näher. Allerdings gab es Organisationen wie ICMI, bei denen der ambivalente Charakter
des politischen Islam besonders augenfällig war, so dass darüber gestritten
wurde, ob ICMI als NGO oder als GONGO, als prodemokratisch oder als "sektiererisch"
und von Habibie und Suharto abhängig zu bezeichnen war. Anders als die
genannten Teile der Regimekoalition - Unternehmer, Militärs, Bürokraten - hatten
Muslime keinen nennenswerten Zugang zu staatlichen oder vom Staatsapparat kontrollierten
Ressourcen. Sie hatten also keine genuinen Machtressourcen. Lediglich
die Möglichkeit, die muslimische Bevölkerung zu mobilisieren, verschaffte ihnen
eine gewisse Macht. Die islamischen Führer konnten in Einzelfällen Demonstrationen
organisieren und dies als Drohpotenzial einsetzen. Insgesamt waren diese kooptierten
Muslime aber zu schwach, um als eigenständiger und bedeutender Teil der
Regimekoalition eingestuft zu werden.
3.8 Politiker in der Neuen Ordnung: Parteien, Golkar,
Parlamente und Wahlen
Für Suharto war es von Anfang an wichtig, seine Herrschaft dadurch zu legitimieren,
dass zumindest der Schein von Rechtsstaatlichkeit gewahrt wurde. Mit Rechtsstaatlichkeit
war in Indonesien keine Selbständigkeit der Jurisdiktion im Rahmen
eines Gewaltenteilungssystems gemeint, sondern lediglich die Tatsache, dass die
Arbeit der Parlamente und Parteien in einer - wie auch immer manipulierten - Verfassung
geregelt war.
Golkar war Teil eines Drei-Parteien-Systems, das den Machthabern als das Kernstück
ihrer Demokrasi Pancasila galt. Mithilfe von Golkar konnten die Potemkinschen
Dörfer des Parlamentarismus und der nationalen Wahlen aufgerichtet werden.
In Indonesien wurde so über Jahrzehnte ein pseudodemokratischer Diskurs erzeugt,
609 Mackie/MacIntyre 1994, 8.

272 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
bei dem es meist um Nichtigkeiten ging. Wochen- oder gar monatelang beschäftigte
man sich mit der Frage, ob Suharto wieder Präsident werden wollte. Die Medien
berichteten über alle erdenklichen Äußerungen von Regierungsmitgliedern und über
sämtliche zustimmenden oder andeutungsweise kritischen Bekundungen der verschiedenen
gesellschaftlichen Massenorganisationen oder einzelner Prominenter.
Die Parlamentsausschüsse berieten ausführlich alle möglichen Gesetze, um schließlich
in der Regel der Regierungsvorlage einstimmig und - ohne nennenswerte Veränderungen
vorzunehmen - zuzustimmen. Bei den Wahlkämpfen wurde Kritik meist
nur indirekt, wenn überhaupt, geäußert. Nach den Wahlen waren die PDI und die
PPP unzufrieden, weil es zu Manipulationen gekommen war, und plusterten sich
auf, indem sie damit drohten, die Wahlergebnisse nicht anzuerkennen - was sie
schließlich jedoch immer taten. Das alles war hochgradig ritualisiert. Dennoch war
ein großer Teil der Bevölkerung offenbar nicht in der Lage, diese Rituale zu durchschauen,
zumal es zumindest in der PDI und der PPP immer einige Personen gab,
die wirklich an fundamentalen Veränderungen interessiert waren.
Wie aber wurde dieses politische System geschaffen und wie entwickelte es sich?
Welche Funktion hatte die aus dem Boden gestampfte Regierungspartei Golkar, und
wie waren das Militär, die Bürokratie, muslimische Führer, Unternehmer usw. in ihr
repräsentiert? Wie kompetitiv waren die Wahlen, und welche Aktivitäten waren für
die Parlamente typisch? Wie spiegelten sich die gesellschaftlichen Wandlungen seit
Ende der 80er Jahre im Parlament und bei den Wahlen wider? Und schließlich:
Welche Position nahmen die Politiker innerhalb der Regimekoalition ein?
Zunächst sollen drei Phasen unterschieden werden:
- In der ersten Phase von 1965 bis 1975 wurde das politische System grundlegend
umgestaltet.
- Die zweite Phase bis etwa Mitte der 80er Jahre war geprägt von dem Gegensatz
zwischen der Regimekoalition, vertreten durch Golkar, und dem Islam, vertreten
durch die PPP. Sie endete mit der gesetzlichen Festschreibung der azas tunggal-
Bestimmungen und mit der Umstrukturierung und partiellen Demilitarisierung Golkars
unter Sudharmono (1983-88).
- In der dritten und letzten Phase intensivierten sich die Konflikte innerhalb des
Parteiensystems, und das Parlament wurde zumindest in der keterbukaan-Phase
(1988-91) aktiver. Ab 1993 entstanden in den bisher recht zahmen "Blockparteien"
fundamentaloppositionelle Gruppen um Megawati in der PDI und in sehr viel geringerem
Umfang um Sri Bintang Pamungkas in der PPP.
Die Umgestaltung des politischen Systems bis 1975
Die neuen Führungsgruppen seit 1965/66 strebten nach Reformen, waren sich aber
nicht über deren Reichweite einig. Die Radikalen oder Militanten, wie z.B. die hochrangigen
Offiziere Dharsono, Kemal Idris und Sarwo Edhie, forderten eine völlige
Umstrukturierung des Parteiensystems. Sie wollten ein Zweiparteiensystem errichten
oder sogar sämtliche Parteien verbieten und die anderen Organisationen strikt
unter die Kontrolle des Staates bringen. Im Gegensatz zu den Radikalen waren die

Politiker in der Neuen Ordnung 273
Moderaten, unter ihnen zahlreiche Politiker, Militärs und Intellektuelle sowie Suharto
selbst, daran interessiert, zumindest einige Parteien zuzulassen und regelmäßig
Wahlen abhalten zu lassen.
Diese (allerdings nur mit Bezug auf die Strukturierung des Parteiensystems) Moderaten
setzten sich durch und wandelten die PNI und die NU so um, dass von ihnen
keine wirkliche Opposition mehr zu erwarten war. Die modernistischen Muslime,
die zunächst gehofft hatten, den Masyumi neu gründen zu können, mussten sich zu
einer neuen Partei, der Parmusi 610 , zusammentun. Gleichwohl rechneten sich diese
Parteien bei mehr oder weniger kompetitiven Wahlen gute Chancen aus. Die Moderaten
wussten, dass sie ohne die Mitarbeit von Parteien und Parlamenten kein
stabiles politisches System errichten konnten. Deshalb gestalteten sie das parlamentarische,
das Wahl- und das Parteiensystem in mehreren Schritten um. Zu den Maßnahmen
zählten im Wesentlichen:
- das Verbot der PKI und linker Massenorganisationen,
- die Säuberungen im vorläufigen Volkskongress MPRS 611 und die Verabschiedung
u.a. des Wahl- und des Parteiengesetzes,
- die von Murtopo veranlassten Neubesetzungen in den Führungsgremien der Parteien,
- die Sicherung der Loyalität der Beamtenschaft (durch Korpri und das monoloyalitas-Prinizip),
- die Schaffung der vom Militär kontrollierten Wahlmaschine Golkar,
- das "Managing" der Wahlen im Jahre 1971 mithilfe des Militärs, der Verwaltung
sowie von Bapilu und LPU,
- die "Vereinfachung" des Parteiensystems (1973) und
- die Verabschiedung des Gesetzes über politische Parteien und Golkar (1975).
Die Führungsgruppe um Suharto versuchte von vornherein, den Machtwechsel weitgehend
verfassungsgemäß zu vollziehen und beließ den z.T. neu zusammengesetzten,
vorläufigen Volkskongress MPRS weiterhin als oberstes Staatsorgan. Der
MPRS beschloss bei seiner fünften Sitzung im Jahre 1968, 1971 Wahlen durchführen
zu lassen, 612 Er erklärte Suharto zum alleinigen Präsidenten (seit 1967 war er nur
geschäftsführender Präsident) und bestätigte den Fünfjahresentwicklungsplan für die
Periode von 1969 bis 1974.
Doch noch 1968 war den neuen Machthabern nicht ganz klar, wie die kommenden
Wahlen durchgeführt werden sollten. Die orthodoxen Muslime sollten zwar die
Möglichkeit bekommen, ihre Interessen zu artikulieren, sie sollten aber innenpolitisch
nicht zu einer oppositionellen Kraft werden. Vor allem musste eine Wahl-
610 Partai Muslimin Indonesia = Muslimpartei Indonesien.
611 Majelis Perwakilan Rakyat Sementara.
612 1966 hatte der vorläufige Volkskongress MPRS noch Wahlen für 1968 beschlossen. Wegen
der langwierigen Auseinandersetzungen um den Wahlgesetzentwurf und der Verzögerungstaktik
der Suharto-Koalition musste dieser Termin aber verlegt werden. Ein Wahlgesetzentwurf
aus dem Jahre 1967, der eine Mehrheitswahl mit Einzelkandidaten vorsah und
dem Militär in den einzelnen Regionen große Möglichkeiten der Manipulation eröffnet hätte,
wurde vom Parlament abgelehnt und letztlich von der Regierung zurückgenommen (Feith
1968, 91f).

274 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
kampfmaschine aufgebaut werden, die mit einer leicht verständlichen Programmatik
einen Großteil der Stimmen gewinnen konnte. Zu diesem Zweck reaktivierte die
neue Regierung eine Organisation, nämlich Sekber Golkar, die bereits vor dem
Putschversuch entstanden war.
Die Murtopo-Gruppe arbeitete mit dem im September 1970 geschaffenen "Leitungsgremium
für die allgemeinen Wahlen" Bapilu, das auch in den Provinzen
Zweigstellen aufbaute. 613 Mit der Unterstützung der Verwaltung, vor allem der
Wahlbehörde LPU 614 , und des Militärs konnten die Wahlen von 1971 im Sinne der
Regimekoalition über die Bühne gebracht werden. Danach folgten zwei weitere
Schritte, die die politische Kontrolle komplettierten, nämlich zum einen die "Vereinfachung"
des Parteiensystems (1973), zum anderen die Verabschiedung des Gesetzes
über politische Parteien und Golkar (1975). Diese Umstrukturierung des Parteiensystems
führte dazu, dass seit 1973 nur noch drei Parteien (wenn man Golkar
im Gegensatz zur offiziellen Doktrin als Partei einstuft) übrig blieben. Der Gesetzentwurf
über politische Parteien und Golkar wurde im Dezember 1974 vorgestellt
und im August 1975 verabschiedet. Diesem Entwurf lag das schon erwähnte
floating-mass-Konzept zugrunde. Ali Murtopo gilt als der Urheber dieses Konzeptes,
nach dem politische Parteien und Golkar Ortsverbände nicht in Dörfern und
Subdistrikten, sondern nur auf den darüber liegenden Verwaltungsebenen einrichten
durften. In den Dörfern und Subdistrikten sollten nur kommissarische Vertreter
arbeiten dürfen. Das Gesetz privilegierte die Regierungspartei Golkar, da in jedem
Dorf Dutzende von Verwaltungsbeamten, Militärs und Polizisten arbeiteten, die
verpflichtet waren, die Sache Golkars zu vertreten. Vor allem die höchsten Beamten
waren in der Regel Golkar-Leute. Die Landbevölkerung wurde als floating mass
(massa mengambang) eingestuft, weil sie - so die Regierung - politisch noch unreif
(masih bodoh) sei und die dauernde Präsenz von Parteien zu einer gefährlichen Politisierung
führen würde. Das Gesetz sah außerdem vor, dass Beamte in wichtigen
Positionen (z.B. Lehrer und Manager in Staatsbetrieben) einer Partei nur mit der
Erlaubnis des Vorgesetzten beitreten durften, und es gab dem Präsidenten das Recht,
Parteien aufzulösen. 615
Die Regierungspartei Golkar
An der Entwicklung und der inneren Struktur Golkars lässt sich die Auseinandersetzung
zwischen Militärs, Bürokraten und genuinen Politikern gut ablesen. Golkar
diente der Legitimation und fungierte zugleich als Forum oder als Arena der miteinander
konkurrierenden Gruppen der Regimekoalition. Golkar war keine hoch organisierte
Kaderpartei, sondern eine Wahlmaschine, die in einem hochkomplexen
Prozess Dutzende von Millionen Stimmen so kanalisieren konnte, dass sie stets über
60%, am Ende sogar über 70% der Gesamstimmenzahl verbuchen konnte.
613 Badan Pengendali Pemilihan Umum; Bourchier 1996, 192ff.
614 Lembaga Pemilihan Umum; die Behörde war auf allen Verwaltungsebenen vertreten und
u.a. für das "Screening" der Kandidaten zuständig, von denen auf nationaler Ebene etwa 1/5
abgelehnt wurde.
615 Suryadinata 1989, 69ff.

Politiker in der Neuen Ordnung 275
Neben der Legitimationsfunktion und der Aufgabe, den Scheinparlamentarismus
aufrechtzuerhalten, kontrollierte Golkar als Massenorganisation zahlreiche angeschlossene
"funktionale Gruppen". Die soziale Differenzierung machte die Einrichtung
einer Vielzahl vermittelnder Gremien erforderlich, um das ungebundene Protestpotenzial
zu bündeln und zu kontrollieren. Zwar hatte Golkar niemals den Organisationsgrad,
die Kohäsion und die Schlagkraft der kommunistischen Parteien im
etatistischen Sozialismus, aber Golkar konnte im Wahlkampf, bei der Verbreitung
von Propaganda oder bei der Ausführung "schmutziger Arbeiten" viele loyale Aktivisten
aufbieten.
Die Entwicklung Golkars von 1965 bis Anfang der 80er Jahre
Wie in Kap. 2 erwähnt, baute das Militär bereits in der Zeit der Gelenkten Demokratie
funktionale Gruppen (golongan karya oder "Golkar") auf und schuf für diese
1964 ein Gemeinsames Sekretariat (sekretariat bersama oder "sekber"). Bereits im
März 1966 begannen die Militärs unter der Führung einer bestimmten Sektion des
Generalstabes damit, die Sukarnoisten im Vorstand 616 von Sekber Golkar gegen
loyale Anhänger Suhartos auszutauschen. 617 Nach und nach wurde das Sekretariat zu
einer Organisation, die das Regierungsbündnis bei den kommenden Wahlen vertreten
sollte. Dafür musste zunächst die innere Struktur gefestigt werden. Im Oktober
1969 schlossen sich die 201 funktionalen Gruppen in sieben so genannten Kino's 618
zusammen. Das Militär, das 1969 acht der neun Mitglieder des Vorstandes stellte,
führte mit Sukowati und mit Darjatmo, dem Assistenten für soziopolitische Angelegenheiten
im Verteidigungsministerium, die Umgestaltungsmaßnahmen durch. 619
Ali Murtopo platzierte Ende der 60er Jahre im Sekber Golkar einige Intellektuelle
(Yusuf Wanandi, Harry Can Silalahi, Sumiskum, Murdopo, Cosmas Batubara, David
Napitupulu u.a.), die zusammen die "Aufbaubewegung" ("Gerakan Pembangunan")
bildeten. Zu diesem Zeitpunkt war Sekber Golkar eine noch relativ unbekannte
Regierungsorganisation, die bei regulären Wahlen chancenlos geblieben wäre.
Deshalb richtete der Suharto-Zirkel zur Durchführung der ersten Wahlen (1971) das
Bapilu, ein Team aus Geheimdienstlern, ehemaligen Studentenführern (die
Wanandis, Cosmas Batubara, Rachman Tolleng 620 , David Napitupulu), Intellektuellen
(Murdopo, Sumiskum, Daud Yusuf) und Geschäftsleuten (Njoo Han Siang)
unter der Leitung von Ali Murtopo ein. 621 Nachdem die Führungen der anderen
616
DPP = Dewan Pimpinan Pusat.
617
Der Golkar-Vorsitzende von 1966 bis 1973, Sukowati, sowie Amir Murtono kamen von
dieser Sektion. 1968 waren von den 18 Personen in der Golkar-Führung sechs Juristen, ebenfalls
sechs der 17 im Jahre 1971. Amir Murtono: Jurist, seit 1958 Vorsitzender von BKS-
BUMIL (Gremium der Kooperation mit Arbeitern), Heeresstab V bis 1969, 1969-74
Assospol, 1973-83 Golkar-Vorsitzender, danach im Beratergremium.
618
Kelompok Induk Organisasi.
619
Suryadinata 1989, 21ff.
620
Tolleng, der zur relativ liberalen "Tamblong-Gruppe" aus Bandung gehörte, wurde im
Jahre 1974 nach der Malari-Affäre aus der Partei ausgeschlossen und inhaftiert.
621
Suryadinata 1989, 27.

276 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Parteien ausgetauscht worden waren, der Innenminister den Staatsbediensteten den
Beitritt zu einer politischen Partei verboten und die Regierung deren uneingeschränkte
Loyalität (monoloyalitas) per Verordnung erzwungen hatte, errang Sekber
Golkar bei den Parlamentswahlen des Jahres 1971 62,8% der Stimmen. Das gemeinsame
Sekretariat hieß fortan nur noch Golkar und bekam festere Strukturen. 622
In der Regierungspartei trafen verschiedene Gruppen der Regimekoalition zusammen.
Im Wesentlichen waren das: die höheren Offiziere, die führenden Funktionäre
der funktionalen Gruppen (die man auch als genuine Berufspolitiker bezeichnen
könnte) und die Bürokraten. Lange dominierten die ABRI-Angehörigen: So auch
auf dem ersten Nationalkongress, der erst 1973 stattfand und bei dem die Hälfte der
Delegierten Militärs waren. 623 Zu dieser Zeit zeichnete sich eine Rivalität zwischen
einer Geheimdienstgruppe um Murtopo, der viele seiner Bapilu-Leute in den wichtigsten
Parteiämtern platzieren konnte, und einer Hankam-Gruppe um Sumitro, die
mit Amir Murtono seit 1973 den Parteivorsitzenden auf ihrer Seite hatte, deutlicher
ab. Golkar spiegelte also noch rein innermilitärische Gegensätze wider. Das vom
Innenminister kontrollierte Korps der Staatsbediensteten Korpri konnte keinen großen
Einfluss ausüben. Die eigentliche Entscheidungsbefugnis in der Regierungspartei
lag beim Aufsichtsrat (oder: Ältestenrat) 624 unter Suharto, mit General Panggabean
als Vorsitzendem und BG Saparjo als Generalsekretär. Das Militär (Murtopo,
Ibnu Sutowo, Daryatmo, Sudharmono) beherrschte diesen Aufsichtsrat eindeutig
und traf alle wichtigen Entscheidungen. Einige Jahre später, 1978, wurde der Aufsichtsrat
weiterhin von Militärs dominiert, aber Suharto war nicht mehr "oberster
Leiter oder Berater" (Pembina Utama, der höchste Verwaltungsrang), sondern selbst
Vorsitzender. Zu den beherrschenden Figuren zählten u.a. Militärs wie Panggabean,
Daryatmo, Machmud, Sudharmono, Murtopo und Alamsyah sowie einige der
"Technokraten" (Wijoyo, Mashuri, Radius Prawiro, Sumarlin). Letztlich behielt der
Staatspräsident bis zuletzt alle Fäden in der Hand. Er bestimmte die Zusammensetzung
des Vorstandes und konnte dessen Beschlüsse aufheben.
Golkar hatte sich 1971 als Wahlmaschine bewährt. In der Folge wurde die Regierungspartei
verstärkt auch als Kontrollinstrument in der Bürokratie eingesetzt. Als
Beleg dafür mag die Zusammensetzung des Kabinettes dienen. Im Kabinett 1971 bis
1977 waren nämlich nur vier der zwanzig Minister Parteimitglieder (Idham Khalid,
Mintareja, Frans Seda, Sunawar) gewesen. Bereits 1978 aber waren sämtliche 24
Minister und sechs Juniorminister Golkar-Mitglieder. Doch nicht nur die Kontrolle
der Bürokratie (die Beamten mussten sich "monoloyal" verhalten), auch die korporatistische
Einbindung von funktionalen Gruppen aller Art gemäß den beschriebenen
organizistischen Doktrinen konnte mit Golkar geleistet werden. In den 70er Jahren
wurde die Partei deshalb zu einer zentralisierten Organisation, die die vom Militär
622
Dabei ist zu berücksichtigen, dass es immer noch - in der Definition der Machthaber - ein
Zusammenschluss funktionaler Gruppen und keine Partei war.
623
Die Konferenz wurde von bewaffneten und mit Walkie-Talkies ausgestatteten Soldaten
überwacht (Reeve 1985, 327).
624
Dewan Pembina.

Politiker in der Neuen Ordnung 277
geschaffenen Massenorganisationen (ormas) und die früher an andere politische
Parteien gebundenen Organisationen integrierte. Bis 1978 wurden die Kino's zu
Sekretariaten, dann Abteilungen umgeformt, und Golkar-Kader kontrollierten die
Föderationen der Arbeiter (FBSI), Bauern (HKTI), Fischer (HNSI), Studenten
(KNPI), Frauen (Kowani) und Lehrer (PGRI). 625 Diese Verbände waren allerdings
kaum in der Golkar-Parlamentsfraktion, die vorrangig aus Beamten und Offizieren
bestand, repräsentiert.
Schon nach wenigen Jahren war es der Regimekoalition gelungen, eine effiziente
Regierungspartei zu schaffen. Allerdings schwächte sich schon bald die anfänglich
z.T. ernst gemeinte Unterstützung für Golkar ab. Reeve schreibt:
"Whereas in 1971 there had been considerable enthusiasm in élite circles for Golkar as an
alternative to the parties, by 1977 it appears to have been replaced by cynicism and disenchantment
[...]" 626
Golkar war zwar dauerhaft und überall präsent, nahm aber - außer in den Wahlkämpfen
- eine Low profile-Haltung ein. Von den inneren Auseinandersetzungen
erfuhr die Öffentlichkeit fast nichts. Trotzdem wurden die "funktionalen Gruppen"
von einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung unterstützt. Es gibt Schätzungen,
nach denen Golkar bis in die 90er Jahre hinein bei kompetitiven Wahlen mit 30-40%
der Stimmen hätte rechnen können. Aufgrund der zur Verfügung stehenden Repressionsmittel,
aber vor allem wegen der Möglichkeit, Arbeitsplätze, Lizenzen, Konzessionen,
Kredite usw. zu verteilen, konnte die Regierungspartei sich dauerhaft die
Loyalität auch vieler Personen aus der Mittel- und Unterklasse sichern.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Golkar die Vorherrschaft durch folgende
Maßnahmen sicherte:
- Gemäß der floating mass-Doktrin durften politische Parteien auf unteren Ebenen
der Verwaltung nicht vertreten sein. Gleichzeitig hatte Golkar indirekt in den angeschlossenen
Organisationen eine große und mächtige Repräsentanz auf diesen Ebenen.
- Die Beamten waren zwar nicht gezwungen, Golkar zu wählen und/oder in die
Partei einzutreten, aber ein erheblicher Druck machte den Einsatz für Golkar zur
Karrieresicherung zumindest ratsam.
- Eine Golkarmitgliedschaft und der Einsatz für diese Partei machte auch außerhalb
der Verwaltung Karrieren einfacher. In den Dörfern und Städten wurde Loyalität
durch staatliche Gelder.
- Gute Wahlergebnisse, d.h. hohe Prozentzahlen für Golkar, wurden mit Regierungsprojekten,
finanziellen Belohnungen, ja z.T. sogar mit Naturalien (etwa mit
Ochsen) entgolten.
625 Suryadinata 1989, 55.
626 Reeve 1985, 338.

278 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Reorganisation unter Sudharmono und Schwächung durch Wahono
Seit 1983 wurden die Militärs in Golkar einiger Machtmittel beraubt. Parteiämter
durften nicht mehr von aktiven Offizieren übernommen werden, 627 und die Aufsichtsräte
auf Provinz- und Distriktebene wurden nicht mehr automatisch von den
jeweils dort stationierten ABRI-Kommandeuren geleitet. Suharto, der versuchte,
eine Machtsteigerung der Militärs, die ihn noch 1977/78 stark unter Druck gesetzt
hatten, zu verhindern, förderte diese vorsichtige "Zivilisierung" Golkars.
Beim dritten nationalen Kongress der Regierungspartei im Oktober 1983 wurde die
Reorganisation durchgesetzt. Unter Sudharmono, der zugleich das Staatssekretariat
leitete und Kopf der Sekneg-Gruppe war, wurde Golkar zu einer Art Kaderpartei mit
individueller Mitgliedschaft. 628 Eine indirekte Mitgliedschaft über die angeschlossenen
Massenorganisationen gab es nicht mehr, und der Zusammenschluss der funktionalen
Gruppen konnte sich mehr und mehr zu einer politischen Partei herkömmlichen
Typs entwickeln. 629 Golkar bemühte sich seit 1983 verstärkt, die Zahl von
Mitgliedern und Kadern zu erhöhen. 1998 hatte die Partei schließlich nach eigenen
Angaben etwa 35 Millionen Mitglieder und über 10 Millionen Kader, die zumindest
einfache Pancasila-Kurse durchlaufen hatten.
Sudharmono machte sich daran, Golkar zu verjüngen und pribumi-Geschäftsleute zu
rekrutieren. Zur neuen Golkar-Generation, viele von ihnen waren Aktivisten der
Studentenbewegung von 1966 gewesen, gehörten Sarwono Kusumaatmaja 630 , Jakob
Tobing, Rahmat Witular und der erfolgreiche pribumi-Unternehmer Siswono
Yudhohusodo. Außerdem veranlasste Sudharmono die Aufnahme prominenter Muslime
wie Nurcholis Majid, Abdurrahman Wahid (NU-Vorsitzender), Ridwan Saidi
(vorher PPP) und Slamet Effendy Yusuf (Vorsitzender der NU-Jugendorganisation
Ansor) in die Parlamentsfraktion. Auch die Finanzierung Golkars war kein großes
Problem mehr: Mit der Dana Karya Bhakti-Stiftung (Yayasan Dakab), die vom
Sekneg kontrolliert wurde, konnte Sudharmono pribumi- und nonpribumi-
Unternehmer zu finanziellen Beiträgen bewegen. 631
Während bis Ende der 70er Jahre bei Konflikten zwischen dem militärischen und
dem zivilen Flügel der "großen Golkar-Familie" (ABRI, Golkar-Zivilisten und
Korpri) ABRI das letzte Wort hatte, weil die "funktionalen Gruppen" fast mit dem
Militär identisch waren, verselbständigten sich die Zivilisten innerhalb der Organisation
seitdem etwas. Sudharmono trieb den intraelitären Gegensatz zwischen einer
Gruppe von Militärs um Murdani und einem von Suharto geförderten, zumeist aus
Zivilisten oder Offizieren im Stabsdienst bestehenden Personenkreis auf die Spitze.
Die CSIS-Gruppe, die 1983 schon deutlich geschwächt war, wurde 1988 ganz aus
627 Allerdings wurde diese Bestimmung durch die gängige Praxis, Offiziere nur für die Legislaturperiode
von ihren militärischen Ämtern zu entbinden, ad absurdum geführt.
628 Van Dijk 1984, 146ff.
629 Dazu gehörte auch die Einführung von Mitgliedsbeiträgen im Jahre 1978.
630 Sarwono Kusumaatmaja: geboren 1943 in Jakarta, Ingenieur (ITB), 66er-Generation,
Generalsekretär von Golkar unter Sudharmono, 1971-88 Mitglied des DPR, 1988-93 Staatsminister
für die Effizienzsteigerung des Staatsapparates, danach Umweltminister bis 1998.
631 Vgl. Pangaribuan 1996, 60.

Politiker in der Neuen Ordnung 279
dem Vorstand entfernt. Im selben Jahr wurden sechs Vorstandsmitglieder Golkars
zu Ministern gemacht. Dabei wurden die Militärs zusehends geschwächt. Zuguterletzt
erhielt Sudharmono den Vizepräsidentenposten.
Die Spannungen waren so groß, dass 1988 mit der Ernennung Wahonos 632 zum
Parteivorsitzenden eine allgemeine, vom Militär betriebene Schwächung der Partei
einsetzte. 633 In dem Jahr konnte ABRI vor dem "Munas", dem nationalen Parteikongress,
19 der 27 Parteivorsitze in den Provinzen und die meisten in den Distrikten
erobern. Suharto, der seinen Kandidaten, Sudharmono, als Vizepräsidenten gegen
das Militär durchgesetzt hatte, musste für den Posten des Golkar-Vorsitzenden eine
Person finden, die ihm ergeben war und dennoch auch von den Militärs anerkannt
werden würde. Die Wahl fiel auf den 63-jährigen ehemaligen Gouverneur von Westjava,
Wahono. Nach der Zivilisierung Golkars durch die Ernennung Sudharmonos
konnte das Militär also 1988-93 mit Wahono wieder den eigenen Kandidaten durchsetzen
und Boden gutmachen.
Allerdings wurden Wahono gute Beziehungen zu Sudharmono und zu Benny
Murdani nachgesagt, so dass Suharto sich mehr und mehr auf Habibie verließ und
deshalb auch 1990 die Gründung von ICMI förderte. 634 Gleichzeitig wurde Golkar
immer mehr zu einer der wichtigen Organisationen bei der Bestimmung des Suharto-Nachfolgers.
Schließlich konnte der Golkar-Vorsitzende die Rekrutierung der
Minister, die Zusammensetzung der Parlamente, die Öffentlichkeitsarbeit der Regimekoalition
und die Wahl des Präsidenten beeinflussen. Suharto selbst benutzte
Golkar als Gegengewicht zu den Streitkräften und konnte seit ca. 1990 mit Habibie
und ICMI sowie seit 1993 mit Harmoko und "Tutut" eine Allianz aufbauen, die ihm
loyal ergeben war.
Golkar nach dem Parteikongress des Jahres 1993
Die 90er Jahre brachten eine Stärkung islamischer Gruppen, des Habibie-Zirkels
und der engsten Verwandten Suhartos, insbesondere seiner Tochter "Tutut". Parallel
dazu schwächte sich der Einfluss des Militärs ab. Für diese Machtschwächung gab
es einige deutliche Hinweise. Nicht nur, dass der Zivilist Habibie zu einer Schlüsselfigur
in der Regierungspartei wurde, 635 sondern vor allem, dass - für viele überraschend
- auch ein Zivilist Parteivorsitzender werden konnte, nämlich der Suharto-
632
Wahono: geboren 1925 in Tulungagung, Ostjava, SMA nicht beendet, Peta, bei Kostrad
unter Suharto, 1969/70 und 1972/73 Kostrad-Kommandeur, 1970-72 Brawijaya-
Kommandeur, 1974-77 stellvertretender Kommandeur des Heeres, ab 1983 Gouverneur von
Westjava, Golkar-Vorsitzender (1988-93).
633
Inside Indonesia Dez. 1988, 5f.
634
ISAI 1999, 12ff.
635
1993 entstand eine mächtige informelle Gruppe innerhalb Golkars, das "Tim Enam"
(Sechserteam), bestehend aus Habibie, Ginanjar, Feisal Tanjung, Haryanto Dhanutirto,
Harmoko und Akbar Tanjung, das zwar loyal gegenüber Suharto war, aber zunehmend in
Konflikt mit den Suharto-Kindern geriet. Bis 1998 übernahm Habibie die Rolle eines Koordinators
des Dewan Pembina, also des letztlich alles entscheidenden Aufsichtsrates (ISAI 1999,
17ff).

280 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
treue Informationsminister und Medienzar Harmoko 636 , der sich gegen Susilo Sudarman
und Utoyo Usman durchsetzte. Harmoko hatte seine Karriere als Journalist
begonnen (Merdeka, Angkatan Bersenjata), gründete 1970 das Revolverblatt Pos
Kota, war von 1973 bis 1983 1. Vorsitzender des korporatistisch eingebundenen
Journalistenverbandes PWI und von 1983 bis 1997 Informationsminister. Er verfügte
also weder im Militär noch in den Schlüsselbereichen der Bürokratie über eine
"Hausmacht".
Beim fünften nationalen Kongress im Oktober 1993 wurde - neben der Besetzung
des Parteivorsitzes - über weit reichende Veränderungen in der Machtfiguration der
Neuen Ordnung entschieden. Die neu bestimmten Parteifunktionäre entstammten
den alten Kino's, einer Gruppe um Habibie, oder waren anak-anak pejabat, also
Kinder der alten Funktionäre. Obwohl von den 2.000 Delegierten des Golkar-
Nationalkongresses fast 80% Militärs außer Dienst waren, die sich in den regionalen
Kongressen vorher hatten "wählen" lassen, wurden die neuen Führungspersonen von
einem siebenköpfigen, von Suharto ernannten Wahlkomitee bestimmt, das unter der
Führung von Habibie die ABRI-Fraktion in der Partei noch weiter schwächte. 637
"Tutut" wurde zu einer der acht stellvertretenden Vorsitzenden und Suhartos Sohn
Bambang Trihatmojo zum Schatzmeister ernannt. "Tommy" Suharto sorgte zusammen
mit anderen Unternehmern für die Finanzierung des Parteitages. Außerdem
bekamen acht enge Verwandte, meist Söhne von Angehörigen der Machtelite, Parteiposten.
Dazu gehörten u.a. Ponco Sutowo und Gunarijah Mochdi (Schwester von
Bappenas-Chef Ginanjar Kartasasmita) als stellvertretende Schatzmeister, Tantyo
Sudharmono und Herry Alamsyah als Vorsitzende des Golkar-Sozialausschusses,
Ais Anantama Said (Sohn des ehemaligen Generalstaatsanwalts Ali Said) und Bobby
Suhardiman (Sohn des Habibie-Assistenten) als Vorsitzende des Kunst- und
Kulturausschusses. Diese außergewöhnliche Ansammlung von anak-anak pejabat,
die sich sonst als Unternehmer profilierten, ging u.a. auf die Tätigkeit des "Kommunikationsforums
für die Söhne und Töchter Pensionierter Offiziere" FKPPI 638 zurück.
Das FKPPI hatte ein sehr kleines, unscheinbares Büro in Zentral-Jakarta und
verfügte über glänzende Verbindungen.
Zugleich spiegelte die Zusammensetzung des neuen Golkar-Vorstandes auch die
angesprochene "Vergrünung" oder Islamisierung wider: 12 der 45 Vorstandsmit-
636 Harmoko: geboren 1939 in Nganjuk, Ostjava. Er besaß mit seiner Familie Anfang des
Jahres 1995 Anteile an 31 Zeitungen sowie an den Fernsehsendern SCTV und ANTeve. Für
jede neue Lizenz mussten 250 Mio. Rp. bezahlt oder Anteile vergeben werden. Einige Zeitungen
wie Bisnis Indonesia und Indonesian Business Weekly sollen ihre Publikationslizenzen
erst bekommen haben, nachdem sie Harmoko jeweils einen Aktienanteil von 20% unentgeltlich
überlassen hatten. Der nicht unpopuläre Harmoko, der sich als "Bung" titulieren lässt,
verkörpert für viele Kritiker der Neuen Ordnung den scheinheiligen Speichellecker
schlechthin (TB April 1995, 14ff). Im Mai 1998 führte er überraschend jene Parlamentarier
an, die den Rücktritt Suhartos forderten.
637 FEER 4.11.1993 und 25.11.1993; Inside Indonesia Dez. 1993, 2ff. Zu den anderen Mitgliedern
des Gremiums gehörten u.a. die Habibie-Klienten Haryanto Dhanutirto (IPTN),
Ismael Hassan (ICMI) und Prof. Agussalim Mokodompit.
638 Forum Komunikasi Putra-Putri Purnawirawan Indonesia.

Politiker in der Neuen Ordnung 281
glieder waren "Haji" bzw. "Hajjah", und zu ICMI gehörten u.a. Ismael Hasan,
Kafrawi Ridwan, Marwah Daud Ibrahim, Din Syamsuddin und die pribumi-
Unternehmer Fahmi Idris und Fadel Muhammad. 639 Im Vorstand verblieben nur
noch drei pensionierte Militärs, nämlich Ary Marjono, der Generalsekretär, Mochtar
und Abdul Gafur, der aber mit ABRI kaum noch in Verbindung gebracht wurde.
Während auf nationaler Ebene also eine Demilitarisierung stattfand, konnte ABRI
auf den unteren Ebenen die Kontrolle aufrechterhalten. 640
Die zahlreichen Neubesetzungen und die Aufnahme von Vertretern nichtmilitärischer
Interessengruppen verstärkte die Bildung von Faktionen innerhalb Golkars:
etwa um Habibie und Harmoko (mit Unterstützung von einigen ICMI-Mitgliedern
wie Marwah Daud Ibrahim, Din Syamsuddin, Djimly Assidiqie usw. und von Feisal
Tanjung), um "Tutut" (mit Unterstützung von Hartono, Bobby Suhardiman, Aulia
Rahman, Mustahid Astari u.a.) oder Bambang (mit Unterstützung von Try Sutrisno,
Edi Sudrajat, Indra Bambang Utoyo und Ponco Sutowo). Diese Gruppierungen
waren sehr schwach entwickelte Allianzen.
Daneben gab es - vor allem in den frühen 90er Jahren - eine Gruppe von Reformern,
die sich glaubwürdig für eine Öffnung einsetzte. 641 Dazu zählten etwa Sarwono
Kusumaatmaja, der ehemalige Generalsekretär und Minister, Marzuki Darusman,
der 1993 KomnasHAM-Mitglied wurde, oder der 1995 aus dem Parlament abberufene
Bambang Warih Kusumo. Aber in den letzten drei Jahren vor dem Sturz Suhartos
waren selbst gemäßigte Reformbemühungen nicht mehr auszumachen. Es gab
lediglich Golkar-Parlamentarier, die wie Din Syamsuddin eine begrenzte Demokratisierung
über einen sehr langen Zeitraum befürworteten. Ebenso wie Theo
Sambuaga oder Marwah Daud Ibrahim hielt er strikt am Drei-Parteien-System und
an der Doppelfunktion der Armee fest. Er befürwortete eine stärkere Selbständigkeit
Golkars und eine größere Eigenständigkeit des Parlamentes, ohne aber den Grundkonsens
der Regimekoalition aufzugeben. 642
Die Wahl Harmokos war auch eine Reaktion auf die Wahl von Try Sutrisno zum
Vizepräsidenten einige Monate vorher. Suharto wollte offenbar ein Gegengewicht
zum Militär schaffen. Mithilfe der vielen Millionen Kader, umfangreicher finanzieller
Mittel und der Verfügung über wichtige Bereiche der Medienindustrie (z.B.
durch die Suharto-Kinder, durch Harmoko, Agung Laksono u.a.) hatte Golkar in den
90er Jahren einen Machtapparat aufgebaut, der zwar bei weitem nicht an das Militär
heranreichen konnte, aber wichtig war bei der Regelung der Nachfolge Suhartos.
639 Thaba 1996, 301.
640 Suryadinata 1997, 199.
641 Ramage 1995, 175ff.
642 Interviews mit den Golkar-Vorstandsmitgliedern Din Syamsuddin und Theo Sambuaga
(am 10.11.1997) sowie Marwah Daud Ibrahim (am 12.11. 1997) in Jakarta. Im Vergleich zu
ihnen wesentlich konservativer waren etwa Lukman Harun oder Burhan D. Magenda (Interviews
am 12.11. bzw. am 29.10.1997 in Jakarta).

282 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Die PPP
Die modernistischen Muslime hofften zunächst noch, den 1960 von Sukarno verbotenen
Masyumi wieder ins Leben rufen zu können, erhielten hierzu aber nicht die
Erlaubnis des Staatspräsidenten und seiner Verbündeten. Stattdessen wurde die
Parmusi (Partai Muslimin Indonesia) gegründet, in der viele Angehörige der "Generation
von 1966", die noch immer über gute Kontakte zu den Militärs verfügten, mit
Posten belohnt wurden. 643 Die alten Masyumi-Amtsträger waren der Machtelite so
suspekt, dass sie keine Führungsaufgaben in der Parmusi übernehmen durften. Nach
einer Intervention des Staatssekretärs Alamsyah auf der Konferenz vom November
1968 wurde deshalb der ehemalige Masyumi-Spitzenfunktionär Mohammad Rum
nicht zum Parteivorsitzenden gewählt. Im November 1970 ernannte Suharto sogar
per Dekret H.M. Mintareja zum neuen Vorsitzenden.
Während bei der Perti 644 und bei der PSII ebenfalls personelle Veränderungen oktroyiert
wurden, war in der NU, die sich bereits vor 1965 an unterschiedliche politische
Konstellationen angepasst hatte, keine fundamentale Wandlung nötig gewesen.
645 1973 kam es zur Zwangsvereinigung dieser vier Parteien zur PPP, die als
"Vereinigte Entwicklungspartei" zwar nominell keine islamische Organisation war,
aber sich selbst als eine solche definierte und von den Wählern auch als eine solche
begriffen wurde. 646 Die Fusion erwies sich für die PPP nicht unbedingt als Schwächung.
Zum Teil konnten sogar jene Kräfte gebündelt werden, die bei den Wahlen
von 1971 noch gegeneinander gekämpft hatten.
Obwohl schon vor den Wahlen von 1971 deutlich geworden war, dass das Militärregime
orthodox islamische Kräfte politisch nicht beteiligen wollte und eine Beschränkung
des Islam auf den soziokulturellen Bereich beabsichtigte, gelang es der
PPP, bis zu den Wahlen von 1982 als erkennbare Opposition aufzutreten und sich
als islamische Partei zu profilieren. Die Wahlen von 1977 erschienen geradezu als
ein Zweikampf zwischen der Regierung und dem Islam, auch wenn die PPP aufgrund
der begrenzten Kompetitivität keine wirkliche Siegeschance hatte. 647
Da die NU 1971 von den islamischen Parteien mit Abstand die meisten Stimmen
erhalten hatte, 648 stellte sie auch die meisten Abgeordneten und den Vorsitzenden
des Syuro-Rates, der über religiöse Angelegenheiten entschied und dem Exekutivrat
übergeordnet war. In dieser Zeit war die PPP noch weitgehend geeint in der - wenngleich
sehr gemäßigten - Opposition gegen Golkar, so z.B. beim Widerstand gegen
einen Ehegesetzentwurf. Nach 1977 jedoch kam es zunehmend zu Spannungen
zwischen der NU und den Parmusi-Politikern, etwa bei den Beschlüssen über die
643
Ward 1974, 128.
644
Pergerakan Tarbiyah Islam = Islamische Erziehungsbewegung.
645
Nasir 1990, 12f.
646
Die vier islamischen Parteien wurden als Massenorganisationen Teile der PPP. Parmusi
wurde zur MI (Muslimin Indonesia), die NU zur Jam'iyyah NU, aus der PSII wurde die SI,
und die Perti behielt ihren Namen.
647
Liddle 1978b, 129.
648
NU 18,7%; Parmusi 5,4%; PSII 2,4%; Perti 0,7%.

Politiker in der Neuen Ordnung 283
Pancasila-Kurse P4, bei der Aufnahme von Glaubensströmungen 649 in die GBHN 650 ,
bei der Haltung zur Petisi-50-Gruppe und bei der Verabschiedung eines neuen
Wahlgesetzes im Jahr 1980. 651 Aber erst, als der PPP-Vorsitzende John Naro bei der
eigenmächtigen Aufstellung der Kandidatenliste für die Wahlen von 1982 die NU zu
wenig berücksichtigte, kam es zum Bruch und schließlich 1984 zum Austritt der NU
aus der PPP. 652 Die Konflikte zwischen der NU und MI (Muslimin Indonesia, früher
Parmusi) wurden danach mehr und mehr abgelöst von den Auseinandersetzungen
zwischen einem Naro- und einem Sudarji-Flügel, die aber nicht von fundamentalen
ideologischen Gegensätzen motiviert waren.
Naro hatte 1977 als noch Unbekannter den Parteivorsitz von Mintareja bekommen.
Aber erst nachdem 1980 der Vorsitzende des Syuro-Rates, Kiai Bisri, gestorben war,
konnte er, unterstützt von den Militärs, seine Machtposition ausbauen. Bis zu seiner
Abwahl 1989 kontrollierte er die PPP weitgehend allein. Auf dem ersten nationalen
PPP-Kongress 1984, der also erst elf Jahre nach Gründung der Partei stattfand, bestimmte
er die Zusammensetzung des Kongresskomitees ebenso eigenmächtig wie
drei Jahre später die Kandidaten für die bevorstehenden Wahlen. 653 Erst auf dem
zweiten PPP-Kongress (1989) wurde der wegen seiner Kandidatur für das Amt des
Vizepräsidenten (1988) inzwischen in Ungnade gefallene Naro von Metareum abgelöst.
Innenminister Rudini hatte als eine Art "politischer Aufseher" (pembina politik)
des von den Vertretern der Regionen gewählten Zentralkomitees die führende Rolle
im Entscheidungsprozess inne.
Die politische Führung der Neuen Ordnung hatte sich nach den Wahlen von 1977
und einer Phase gesteigerter innnermilitärischer Auseinandersetzungen und außerparlamentarischer
Opposition veranlasst gesehen, eine veränderte Strategie zu verfolgen.
Zum einen bemühte sie sich, mit einer islamfreundlicheren Politik diese
oppositionellen Kräfte zu integrieren, zum anderen versuchte sie, die PPP zu spalten
und ihrer Identität als politische Sammelbewegung des Islam zu berauben. Das 1982
angekündigte und 1985 vom Parlament verabschiedete Gesetz über die Aufnahme
der Pancasila als einzige Grundlage (azas tunggal) und die - seit den Wahlen von
1987 - erzwungene Aufgabe des ka'bah-Parteisymbols machten aus der PPP für ihre
Anhänger eine weitgehend säkularisierte Partei. Die PPP war also eine von den
Suharto-Leuten kreierte und von ihnen abhängige Organisation. Der indonesische
Sozialwissenschaftler Syamsuddin Haris fasst diese staatliche Hegemonie folgendermaßen
zusammen:
649
Aliran-aliran kepercayaan.
650
Diese Glaubensströmungen, insbesondere die mystische javanische kebatinan-Bewegung,
gehörten - zumindest nach Meinung der orthodoxen Muslime - nicht zu den in den Pancasila
gemeinten Religionen (Wandelt 1989, 161ff).
651
Haris 1990b, 210f. Die NU-Parlamentarier zeigten sich weniger kompromissbereit. Sie
nahmen an Parlamentssitzungen nicht teil, oder sie verließen bei Abstimmungen demonstrativ
den Plenarsaal.
652
Haris 1990b, 220f.
653
Haris 1990a, 42ff.

284 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
"The state and its instruments had become the only source of legitimacy. Not only did it
determine the raison d'être of the party, but it also arranged the funding [...], the permits (to
'smooth the way' for party activities), the support, and the 'blessing'. Even the party's ideology
had originated in the state." 654
Die Islamisierungspolitik seit Ende der 80er Jahre hätte der PPP eigentlich helfen
müssen, aber bei den Wahlen schnitt die Partei nicht besonders gut ab. Wahrscheinlich
fühlten sich viele Indonesier mehr als zuvor zur "vergrünten" Regierungspartei
hingezogen. Ein weiterer Grund dürfte der neue, farblose PPP-Vorsitzende Metareum
gewesen sein.
Die PPP sorgte weiterhin eher durch interne Querelen für Aufmerksamkeit. Im Jahre
1994 gab es heftige Auseinandersetzungen um den Parteivorsitz. Wieder kam der
Gegensatz zwischen der MI und der NU zum Tragen. Führende NU-Vertreter wollten
den Parteivorsitz ergattern und einigten sich auf Matori Abdul Jalil als ihren
Kandidaten. 655 Die ulama versuchten, vom Präsidenten Unterstützung zu bekommen,
wurden von ihm aber nicht empfangen, weil er angeblich zu beschäftigt war.
Als Syarwan Hamid einige Wochen später öffentlich Ismael Hasan Metareum lobte,
war jedem Beobachter klar, dass dieser der vom Präsidenten "abgesegnete" Kandidat
war. Zwar trat mit Sri Bintang Pamungkas auch erstmals ein Kandidat auf, der als
radikaler Demokrat die konservative Haltung der Partei grundsätzlich in Frage stellte.
Ihm wurden aber niemals wirkliche Chancen eingeräumt. Beim PPP-Kongress,
der weitgehend hinter verschlossenen Türen stattfand und von 2.000 Militärs "bewacht"
wurde, wurde Metareum - wie erwartet - durch ein siebenköpfiges Gremium
zum neuen Parteivorsitzenden gewählt.
Die PPP blieb bis 1998 konservativ und stimmte im März für die Wiederwahl Suhartos.
656
Die PDI bis 1993
Bis 1965/66 gab es in der PNI noch einen linken Flügel um Ali Sastroamijoyo, der
ähnlich wie Sukarno radikal-nationalistisch und antiwestlich orientiert war und dabei
Berührungspunkte mit der PKI aufwies. 657 Nach dem Machtwechsel begann im
Militär und in der Verwaltung die "Säuberung" von Sukarno-Anhängern, und in der
PNI setzte sich, unterstützt durch die Armee, der rechte Flügel um Osa Maliki durch.
1970 wurde dann der Suharto-Vertraute Hadisubeno zum Parteivorsitzenden gemacht.
Die PNI hatte wegen dieser Interventionen schon bei den Wahlen von 1971
Schwierigkeiten, ihre Position im neu entstandenen politischen System zu definieren.
Sie konnte nicht mehr als Verkörperung der nationalistischen Kräfte antreten
654 Haris 1990a, 47.
655 Vgl. van Dijk 1996, 115ff.
656 Das war auch der Eindruck aus verschiedenen Interviews mit Tosari Wijaya (Generalsekretär),
Dja'far Siddiq, Yusuf Syakir und Ali Hardi Kiaidemak (am 11.11. und 27.11.1997
in Jakarta). Wesentlich kritischer, aber ebenfalls sehr pragmatisch und abwartend war A.M.
Saefuddin (ebenfalls am 11.11. in Jakarta), der im Mai 1998 im Habibie-Kabinett Minister für
Nahrungsmittel, Pharmazeutika und Gartenbau wurde.
657 Ward 1974, 135f.

Politiker in der Neuen Ordnung 285
und zwischen den verfeindeten Militärs, den orthodoxen Muslimen und den Kommunisten
vermitteln. 658 Außerdem war sie nicht mehr die Präsidentenpartei, die
unmittelbar im politischen Zentrum wirkte. Sie verlor daher ihren wichtigsten Einflussbereich,
nämlich die pamong praja, die vor allem als lurah oder kepala desa
einen großen Teil der javanischen abangan-Bevölkerung an sich binden konnten.
Die demokratische Partei ging 1973 aus einer Zwangsfusion der PNI, der Parkindo
(Partai Kristen Indonesia), der katholischen Partei (Partai Katolik), von IPKI 659 und
von Murba (Proletarische Partei) hervor. 660 Die PDI übernahm überwiegend das
Personal und die Organisationsstrukturen der PNI. Die erzwungene Parteienfusion
sollte eigentlich zur Entstehung zweier schwacher, sich gegenseitig bekämpfender
Oppositionsparteien führen. Aber nur die PDI konnte entscheidend geschwächt
werden, da sie nicht - wie die islamische PPP - über eine in der Gesellschaft tief
verwurzelte, gemeinsame Ideologie verfügte. 661 Erst die Konflikte in der PPP Anfang
der 80er Jahre führte zu einem Bedeutungsgewinn der Demokratischen Partei.
Sie hatte zwar den Marhaenismus, eine von Sukarno entwickelte, den prototypischen
"kleinen Mann" in den Mittelpunkt stellende Lehre, offiziell aufgegeben, präsentierte
sich aber noch immer als die Interessenvertretung der Minderprivilegierten. Sukarno
wurde als strahlender Nationalheld dargestellt. 662 Sukarno-Kinder wie Guntur,
Guruh, Rachmawati und Megawati wurden aufgrund der Popularität ihres Vaters zu
Aushängeschildern bei Wahlkämpfen.
Die PDI war wegen des Parteiengesetzes von 1975 auf der untersten Ebene nur
durch Kommissare vertreten und hatte deshalb kaum Kontakt zur potentiellen Wählerschaft.
Sie konnte weithin sichtbar nur während des Wahlkampfes in den Großstädten
in Massenversammlungen auftreten. Die lockere Beziehung zwischen der
Parteispitze und den untergeordneten Gremien wurde durch die ständigen Interventionen
der Regimekoalition weiter beeinträchtigt.
658
Ward 1974, 155.
659
Ikatan Pejuang Kemerdekaan Indonesia = Vereinigung der Kämpfer für die Unabhängigkeit
Indonesiens.
660
IPKI war eine kleine nationalistische, im Jahre 1952 von der Armee gegründete Partei.
Murba hatte bei den Wahlen von 1955 und von 1971 wie IPKI schwach abgeschnitten, vertrat
eine Art gemäßigten, auf indonesische Verhältnisse abgestimmten "Nationalkommunismus"
und konnte deshalb in der Neuen Ordnung nicht weiter existieren. Zur Entwicklung der PDI:
Zulkifli 1996.
661
Kaisiepo 1982.
662
Das Konzept des Marhaenismus gründet auf der Überzeugung Sukarnos, dass die marxistische
Klassentheorie auf indonesische Verhältnisse nicht anwendbar sei. Sie drückt den Versuch
Sukarnos aus, die bestehenden sozialen Ungleichheiten in der Gemeinschaft der Indonesier,
also ohne Klassenkampf, zu lösen. Sukarno strebte eine Volksgemeinschaft an, und die
Interessen der einzelnen gesellschaftlichen Gruppen sollten korporatistisch gebündelt werden.
Deshalb waren in der Gelenkten Demokratie über ein Drittel der MPRS-Mitglieder Repräsentanten
funktionaler Gruppen. Für Sukarno gab es weder Klassen- noch fundamentale ideologische
Unterschiede in der indonesischen Gesellschaft. Die Regierung schätzte diese populistische
Sukarno-Verehrung als Gefahr ein, so dass bei Wahlkampfveranstaltungen keine Bilder
des alten Staatspräsidenten zu sehen sein durften.

286 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Die nach Loyalitätskriterien ausgewählten Parlamentarier und Führungsleute waren
in aller Regel willige Erfüllungsgehilfen, die nur hin und wieder gegen die Spielregeln
der Neuen Ordnung verstießen, wenn sie über Wahlmanipulationen und die
allgemeine Korruption klagten oder vorsichtig eine Ausweitung der Rechte des
Parlaments anmahnten. Die ständigen Flügelkämpfe in der Partei waren das Ergebnis
von Postenjägerei und persönlichen Antipathien: Bei den von Haris 663 aufgelisteten
elf größeren innerparteilichen Konflikten bis Ende der 80er Jahre ging es niemals
um fundamentale politische Meinungsverschiedenheiten. Zudem griff die Regierung
immer wieder in die Cliquenkämpfe ein. Als sich beispielsweise die Parteidelegierten
1987 nicht auf eine neue Führung einigen konnten, setzte die Regierung
kurzerhand mehrere weitgehend unbekannte Politiker in diese Ämter ein. 664 Als im
selben Jahr Uneinigkeit über die Amtsdauer einiger PDI-Parlamentarier herrschte,
bat die Parteiführung den Innenminister Suparjo Rustam sogar ausdrücklich um
Vermittlung. 665
Die Abhängigkeit der PDI von der Regierung äußerte sich in fast allen ihren Aktivitäten,
wie etwa bei der Finanzierung von Parteikongressen. Diese Kongresse wurden
vom Militär überwacht, und hinter den Kulissen nahm es auf alle wichtigen Entscheidungen
maßgeblichen Einfluss. Im Juli 1993 akzeptierte es die Wahl des inzwischen
in Ungnade gefallenen Suryadi zum Parteivorsitzenden nicht. Als sich jedoch
die Delegierten im Dezember auf einem außerordentlichen Kongress für Megawati
als neue Vorsitzende aussprachen, erkannte das Militär dieses Votum schließlich an,
um größere Spannungen zu vermeiden. 666
Die PDI war bis 1993 nicht in der Lage, die Rolle einer Opposition zu spielen. Sie
definierte sich selbst als eine Partei, die versuchte, die Interessen der "kleinen Leute"
zu artikulieren und hin und wieder die erzwungene Harmonie in den Parlamenten
ein wenig zu stören. Beispielsweise protestierten die PDI-Parlamentarier gegen die
offiziell verkündeten Wahlergebnisse, oder sie unterbreiteten Vorschläge für eine
Veränderung des Wahlgesetzes oder für eine Beschränkung der Amtszeit Suhartos.
667 Diese Art von "Ruhestörung" wurde von den Printmedien dankbar aufgenommen,
doch da die Partei letztlich immer klein beigab, waren die radikalreformerischen
Kräfte in Indonesien eher enttäuscht und schlossen sich bei Wahlen lieber
der Golput-Gruppe der Nichtwähler an.
Die Parlamente
Es gab gemäß der Verfassung von 1945 sechs Staatsorgane, nämlich den Volkskongress
MPR, den Präsidenten, das Abgeordnetenhaus DPR, das (weitgehend unbe-
663 Haris 1989, 261f.
664 Van de Kok/van Langenberg 1988, 164f.
665 Van de Kok 1988, 165.
666 FEER 16.12.1993 und 13.1.1994. Der Parlamentarier Generalmajor Sembiring Meliala
hatte schon im Oktober dem Präsidenten damit gedroht, dass ABRI bei den Wahlen 1997 die
PDI unterstützen könne (Inside Indonesia März 1994, 2ff). Die weiteren Entwicklungen in der
PDI werden in Abschnitt 4.3 behandelt.
667 Zulkifli 1996, 78.

Politiker in der Neuen Ordnung 287
deutende) Oberste Beratergremium DPA, den Rechnungshof BPK und den Obersten
Gerichtshof. 668
Das Abgeordnetenhaus DPR bestand seit 1987 aus 500 Mitgliedern (vorher 460),
von denen 1997 425 (1987 und 1992: 400) in nationalen Wahlen bestimmt wurden.
75 (bzw. 1987 und 1992: 100) waren Vertreter ABRIs. 669 Die Parlamentarier gehörten
also zu den Fraktionen von Golkar, der PDI, der PPP und von ABRI (vgl. Tabelle
3-19). Das DPR hatte u.a. das Interpellations-, das Befragungs- und das Enquêterecht
sowie die Möglichkeit, Gesetze einzubringen und zu verändern. Bezeichnenderweise
hat es von diesen Rechten mit wenigen Ausnahmen keinen Gebrauch gemacht.
Im Volkskongress MPR trafen sich alle fünf Jahre 1.000 Abgeordnete (bis
1987: 920), das waren die 500 DPR-Parlamentarier sowie 253 Parteienvertreter, 147
Gesandte aus den Provinzen und 100 Repräsentanten von Berufsgruppen. Zu ihren
Aufgaben gehörten die Wahl des Präsidenten und des Vizepräsidenten, der Beschluss
etwaiger Verfassungsänderungen und die Abstimmung über die Allgemeinen
Richtlinien der Staatspolitik, GBHN. 670 Insgesamt wurden zuletzt fast 60% der
MPR-Abgeordneten nicht durch - ohnehin manipulierte - Wahlen bestimmt. Der
Präsident war allein diesem Parlament verantwortlich. Die Wahl Suhartos erfolgte
nach der Frage durch den MPR-Vorsitzenden durch ein lang gedehntes "setuju"
("einverstanden") der Parlamentarier, nicht durch Stimmenabgabe und -auszählung.
Die GBHN wurden von der staatlichen Bürokratie erarbeitet und dann in hochkarätig
besetzten Arbeitsgremien des MPR festgelegt. Sie waren zwar wenig detailliert,
trotzdem kam es immer wieder zu leichten Konflikten zwischen den Fraktionen
wegen einzelner Formulierungen. 671
Außerdem gab es auf Provinz- und auf Distriktebene eigene Parlamente (DPRD I
und DPRD II), die stärker noch als die nationalen Parlamente bloße Schaustücke
waren. Viele Parlamentarier auf diesen Ebenen waren zudem schlecht ausgebildet
und von der komplexen Parlamentsarbeit überfordert.
Die Kandidaten, die zuvor hinsichtlich ihrer Loyalität in einem "Litsus" 672 -
Verfahren überprüft wurden, gelangten nach einem Verhältniswahlsystem 673 über
668
Department of Information 1997, 43ff.
669
Seit 1988 waren von diesen 100 sämtliche von ABRI. Ihre Anzahl wurde zuletzt wieder
auf 75 reduziert.
670
Das waren die 500 DPR-Abgeordneten, ergänzt durch 500 vom Präsidenten ernannte
Personen (201 Angehörige der Parteien, 149 Vertreter der Provinzen, 100 Vertreter von Berufsgruppen
und 50 Vertreter von ABRI).
671
Vor allem dieser Volkskongress MPR war eine Stätte des Nepotismus. Auf der vorläufigen
Kandidatenliste für das Parlament standen 1997 u.a.: vier Kinder, ein Cousin, ein Halbbruder
und eine Schwiegertochter von Suharto, der Bruder, die Ehefrau und der Schwiegersohn von
Innenminister Yogie S.M., die Ehefrau und der Bruder von Harmoko, ein Sohn und zwei
Brüder von Ginanjar Kartasasmita, die Ehefrauen vom Kassospol, allein fünf Ehefrauen von
Provinzgouverneuren, aber auch die Ehefrau sowie zwei Neffen des PDI-Vorsitzenden
Suryadi usw. Insgesamt waren es fast 50 enge Verwandte von Angehörigen der politischen
Elite (D&R 1.2.1997).
672
Penelitian Khusus = Besondere Überprüfung.

288 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Wahllisten in die Parlamente. Die DPR/MPR-Kandidaten wurden von Suharto von
der Liste gestrichen, wenn sie ihm zu illoyal zu sein schienen.
Im Parlament arbeiteten überwiegend Professionals, hochrangige Zivilbeamte und
Offiziere. Daneben gab es einige Berufspolitiker, die kaum in ihren ursprünglich
einmal ausgeübten Beruf zurückkehren konnten. Bei Golkar waren vorrangig Bürokraten
und Militärs tätig, wobei die Offiziere aber, wie erwähnt, seit den 80er Jahren
zumindest auf nationaler Ebene an Einfluss verloren hatten (vgl. Tabelle 3-18). In
den 90er Jahren kamen viele anak-anak pejabat hinzu, die häufig pribumi-
Unternehmer waren. Außerdem hatte sich bei Golkar seit den 80er Jahren der Anteil
an Professionals deutlich erhöht. Bei der PPP und der PDI waren keine Offiziere
vertreten, dafür aber einige Beamte bei der PPP, von denen viele aus dem Religionsministerium
gekommen sein dürften. In diesen Parteien überwogen Professionals
und (bei der PPP) Unternehmer.
Tabelle 3-18: Berufe der DPR-Abgeordneten vor ihrem Eintritt ins Parlament (1982-87)
PPP PDI Golkar ABRI Gesamt
Professionals 38 10 88 - 136
ABRI - - 43 75 118
Staatsverwaltung 18 4 77 - 99
Staatsbetriebe 2 1 9 - 12
Unternehmer 24 3 15 - 42
Politiker 12 4 35 - 51
Unbekannt - 2 - - 2
Quelle: Sanit 1992, 10.
Tabelle 3-19: Sitzverteilung im DPR seit 1971
1971-77* 1977-82 1982-87 1987-92 1992-97 1997-99
Sitze In % Sitze In % Sitze In % Sitze In % Sitze In % Sitze In %
PPP 94 20,4 99 21,5 94 20,4 63 12,6 62 12,4 89 17,8
PDI 30 6,5 29 6,3 24 5,2 38 7,6 56 11,2 11 2,2
Golkar 236 51,3 232 50,4 242 52,6 299 59,8 282 56,4 325 65,0
ABRI 75 16,3 75 16,3 75 16,3 100 20,0 100 20,0 75 15,0
Gesamt 460 100 460 100 460 100 500 100 500 100 500 100
Anfänglich wurden 25 der 385 nicht zu ABRI gehörenden Parlamentarier nicht gewählt,
sondern ernannt.
*Nach Addition der Sitze der 1973 vereinigten Parteien
Quelle: Sanit 1992, 11; Kristiadi/Legowo/Harjanto (Hg.) 1997, 176.
673 In einer öffentlich diskutierten LIPI-Studie wurde einige Jahre vor dem Untergang der
Neuen Ordnung die Einführung eines Mehrheitswahlsystems mit Direktkandidaten empfohlen.

Politiker in der Neuen Ordnung 289
Im DPR fanden keine Debatten statt. Das traf erst recht auf den Volkskongress MPR
zu, der nur zu Akklamationszwecken zusammentrat. Weil die Mitbestimmungsmöglichkeiten
so eingeschränkt waren, ließ sich nach Adam Malik, dem ehemaligen
Vizepräsidenten, die Haupttätigkeit der Abgeordneten mit den Worten daftar (sich
eintragen), duduk (sitzen), dengar (zuhören), diam (schweigen) und duit (Geld einstecken)
beschreiben. Zwar fanden die meisten Beratungen über Gesetzestexte hinter
verschlossenen Türen statt, und in den meisten Ausschusssitzungen trug eine übermächtige
Bürokratie ihre Gesetzesvorschläge in Erwartung einer einmütigen Zustimmung
vor, aber besonders seit den späten 80er Jahren regte sich in einigen Fällen
im Zuge der keterbukaan-Debatte Widerspruch, und das auch oder gerade bei
der Armee- und der Golkar-Fraktion. In den 11 DPR-Ausschüssen ging es manchmal
recht lebhaft zu. In einigen Anhörungen mussten sich Minister unbequeme
Fragen gefallen lassen, wie etwa im Zusammenhang mit verschiedenen Wirtschaftsskandalen
(z.B. Bapindo) oder wie im Falle von Informationsminister Harmoko
nach den Presseverboten im Jahr 1994. Die DPR-Ausschüsse, deren Arbeit von der
Presse sehr genau verfolgt wurde, boten daher in bescheidenen Ansätzen bereits ein
Modell für einen wirklichen, demokratischen Parlamentarismus. Die Presse konnte
nämlich Informationen so auswählen, dass politische Entscheidungen in wichtigen
Details beeinflusst werden konnten.
Zu den strittigen, in aller Regel von der Regierung eingebrachten Gesetzentwürfen
gehörte z.B. derjenige über die Neuregelung der Ehe zwischen Muslimen. 674
1967/68 zog die Regierung den ersten Entwurf, der auf den heftigen Widerstand der
islamischen Parteien gestoßen war, wieder zurück, legte aber 1973 einen neuen
Entwurf vor. Die PPP-Fraktion, die von dem nichtchristlichen Teil der PDI unterstützt
wurde, lehnte das Gesetz ab, weil mit dem Monogamieprinzip die Frauen
ihren Ehemännern förmlich gleichgestellt werden sollten und die Eheschließung im
Beisein eines Standesbeamten zu erfolgen hatte. Als sich die Lage zuzuspitzen drohte,
da außerhalb des Parlamentsgebäudes islamische Jugendgruppen demonstrierten,
entschloss sich die ABRI-Führung um Sumitro, ohne Absprache mit der Golkar-
Fraktion, mit den Gesetzesgegnern einen Kompromiss zu schließen. In der endgültigen
Fassung entfiel die Bestimmung über die standesamtliche Prozedur, so dass
dieser Kompromiss zumindest als ein Teilerfolg der PPP-Fraktion zu werten war.
Die Verhandlungen über das bereits erwähnte Gesetz zu den politischen Parteien
und Golkar, das im Dezember 1974 eingereicht wurde, zogen sich bis zum August
1975 hin. 675 Auch hier kam es letztlich zu Kompromissen. Die Parteien durften
nämlich auch in den Dörfern jeweils einen komisaris benennen, so dass die floating
mass-Konzeption der Regierung nicht ganz so strikt verwirklicht wurde, wie es
ursprünglich vorgesehen war. Auch die Bestimmung, dass Staatsbedienstete nur mit
dem schriftlichen Einverständnis ihrer Vorgesetzten einer politischen Partei und
Golkar beitreten durften, wurde etwas abgeschwächt. Dieses Gebot galt nun nicht
674 Suryadinata 1987, 37ff.
675 Suryadinata 1987, 41f.

290 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
mehr für Funktionsträger in untergeordneten Positionen außerhalb des Verteidigungsministeriums.
In den 80er Jahren offenbarten sich hin und wieder - etwa bei Abstimmungen - Uneinigkeiten.
1980/81 verbanden sich mehrfach außerparlamentarische Oppositionelle
informell mit einigen Parlamentariern. Im Februar 1980 z.B. fand eine Abstimmung
darüber statt, ob der Erziehungsminister Daud Yusuf seine repressive Politik der
"Normalisierung des Campus-Lebens" vor dem Parlament begründen müsse. Der
Antrag wurde zwar mit 279 zu 101 Stimmen abgelehnt, aber allein die Existenz von
Gegenstimmen war etwas für indonesische Verhältnisse Außergewöhnliches. 676 Im
März 1980 blieben 50 NU-Mitglieder der Abstimmung über ein neues Wahlgesetz
fern. Im Vormonat hatten 26 prominente islamische Gelehrte, ehemalige Politiker
und Militärs a.D. in einer an das Parlament gerichteten Petition "ehrliche" allgemeine
Wahlen gefordert, waren aber von der Regierung ignoriert worden. 677 Im Juli
1981 schließlich wandten sich 19 Parlamentarier, von denen zwei der PDI und die
restlichen der PPP angehörten, in einem offenen Brief an Suharto und baten ihn, auf
die im Mai 1980 eingereichte regierungskritische Petisi 50 (Petition der 50) zu antworten,
wurden allerdings mit dem Verweis auf den Inhalt zweier alter Suharto-
Reden abgespeist.
Den größten Widerstand der PDI und der PPP forderten jedoch mehrere Gesetzesentwürfe
heraus, die die Regierung dem Parlament im Juni 1984 vorlegte. 678 Die
Diskussionen über das Verbot bestimmter Parteisymbole, besonders aber die über
die Festschreibung der Pancasila als "einzige Grundlage" (azas tunggal) der Statuten
von Parteien und Massenorganisationen, wurden heftig geführt, ohne dass aber in
diesen Fällen die Fraktionen von ABRI und Golkar auf Änderungsvorschläge eingingen.
Die PPP musste nach Verabschiedung der Gesetze auf die Ka'bah als Parteisymbol
verzichten und büßte mit der Pancasila-Regelung ihre Identität als islamische
Partei noch weiter ein. In ähnlicher Weise waren religiöse und soziale Massenorganisationen,
darunter z.B. die NU und Muhammadiyah, betroffen. Ende Mai
1985 stimmten nach einer fast zweimonatigen Debatte die 249 anwesenden DPR-
Abgeordneten für das ormas-Gesetz. Offensichtlich war die politische Führung der
Neuen Ordnung zu diesem Zeitpunkt stark genug, die Parteien, die Massenorganisationen
und die Ausschreitungen in Tanjung Priok niederzuhalten.
Das Parlament gewann nur dann an Eigenständigkeit, wenn es außerparlamentarisch
Unterstützung bekam. Solche Auseinandersetzungen gab es auch Ende der 80er
Jahre wegen des Gesetzes über religiöse Gerichte. Sogar Golkar war uneins in der
Bewertung dieses Gesetzes. Auch in diesem Fall kam es also zu einer Spaltung
zwischen islamischen und nichtislamischen bzw. säkular orientierten Gruppen, nicht
aber zu Debatten wegen grundlegend politischer oder Verfassungsfragen.
Ein besonders augenfälliger Hinweis auf die in Ansätzen selbstbewusster gewordenen
Parlamentarier war die in den 90er Jahren häufiger angewandte Praxis der Abberufung.
Vor allem kritische Parlamentarier mussten ihre Stühle im Parlament
676 Thoolen (Hg.) 1987, 83.
677 Bresnan 1993, 205.
678 Suryadinata 1987, 46ff.

Politiker in der Neuen Ordnung 291
räumen, d.h., sie wurden recalled. 679 1988 musste Ibrahim Saleh von der ABRI-
Fraktion gehen, nachdem er in der MPR-Sitzung die Wahl des neuen Vizepräsidenten
durch seinen ungewöhnlichen Auftritt in Frage gestellt hatte. Sri Bintang Pamungkas
wurde 1995 bekanntestes Opfer. Wegen seiner Kritik an der Pancasila-
Interpretation der Regierung und an der Doppelfunktion von ABRI, aber auch wegen
eines Zusammenstoßes mit Finanzminister Mar'ie Muhammad bei einer Sitzung
eines Parlamentsausschusses, bei der er vorzeitig aus Protest den Saal verlassen
hatte, wurde er mit Unterstützung der PPP-Fraktion hinausgeworfen. 680 Von der
Golkar-Fraktion war 1995 Bambang Warih Kusuma betroffen, der mehrere Minister,
darunter Habibie, kritisiert hatte. Von der ABRI-Fraktion, bei der es offiziell nur
"vorzeitige Ablösungen" gab, mussten 11, darunter zwei sehr prominente Parlamentarier,
im Februar 1994 das Parlament verlassen: Zum einen war es das spätere
KomnasHAM-Mitglied Samsuddin, zum anderen Raja Kami Sembiring Meliala, der
sehr offen die Abhängigkeit Habibies von Suharto angesprochen hatte. Samsuddin
war seit 1989 einer der Promotoren der keterbukaan-Debatte (siehe Abschnitt 4.3)
gewesen und hatte das Verhalten der Streitkräfte in Irian Jaya kritisiert. 1997
schließlich wurde Generalmajor Theo Syafei recalled, weil er vor Studenten die
Golput-Praxis als legal bezeichnet hatte.
Daneben gab es andere kritische Parlamentsabgeordnete wie etwa die Brigadegeneralin
Rukmini, die - neben Samsuddin - 1987-92 in der ABRI-Fraktion die prominenteste
Befürworterin einer politischen Öffnung war. Bei Golkar taten sich u.a.
Tajuddin Nur Said, Muhammad Iskandar Manji und A.A. Baramuli hervor. Der
pribumi-Großunternehmer Baramuli (Poleko-Gruppe) deckte überraschend - aus
welchen Gründen auch immer - den Bapindo-Skandal in einem Parlamentsausschuss
auf.
Wahlen im politischen System der Neuen Ordnung
Innenminister Amir Machmud hatte seine Untergebenen zur monoloyalitas, zur
uneingeschränkten Loyalität zum Staat und damit zu Golkar verpflichtet. In dem
Kokarmendagri, dem Korps der Bediensteten des Innenministeriums, und der Nachfolgeorganisation
Korpri waren sie indirekt zu Mitgliedern Golkars geworden. Damit
wurden hilfreiche Wahlkämpfer auf allen Verwaltungsebenen gewonnen. Vor
allem die kepala desa konnten als lokale Autoritäten die von ihnen abhängige Dorfbevölkerung
für Golkar gewinnen. 681 Dennoch war die Übermacht Golkars nicht
679
Vgl. D&R 16.8.1997, 24f und Forum Keadilan: Edisi Khusus "Parlemen Kita Sepanjang
Sejarah" Agustus 1997, 94f.
680
Vgl. Pijar Indonesia 1997³, Kap. 3.
681
Tjan Silalahi 1977, 18ff. Fast jeder Dorfbewohner war in Patron-Klient-Beziehungen
eingebunden. Viele machten ihre Wahlentscheidungen von den Wünschen ihres Patrons
abhängig: "Since it is a matter of little importance to him who wins or loses, his decision to
heed the advice given is based largely on accumulated feelings of respect or owing a debt of
gratitude to his patron benefactor" (Tjan Silalahi 1977, 19). Diese Interpretation des CSIS-
Mitarbeiters ist allerdings sehr einseitig und berücksichtigt nicht den enormen politischen und
ökonomischen Zwang zur Loyalitätsbekundung.

292 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
einfach das Ergebnis von autoritärer Kontrolle und Gewaltanwendung, da die partai
pemerintah, die Regierungspartei, für den autoritätsgläubigen Teil der Bevölkerung
eine besondere Anziehungskraft besaß.
Golkar hatte wegen ihres hohen Organisationsgrades und der ihr zur Verfügung
stehenden Mittel der direkten und indirekten Einflussnahme einen uneinholbaren
Vorsprung gegenüber den anderen Parteien (zu den Wahlergebnissen seit 1971: vgl.
Tabelle 3-20). Golkar-Kader wurden mobilisiert, um jeweils eine große Stimmenzahl
für die Partei zu gewinnen. Die erfolgreichsten Dörfer oder Stadtbezirke wurden
mit Geld oder mit Regierungsprojekten (Stromversorgung, Straßenbau, Errichtung
von Schulen etc.) belohnt. 682 Wenn umgekehrt in einem Wahlbezirk Golkar
unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielte, führte das zu einer Bestrafung durch die
Behörden auf den verschiedenen Verwaltungsstufen. Verwaltungschefs und Militärkommandeure
setzten daher ihre gesamte Energie ein, um besonders erfolgreich zu
sein.
Bis 1997 wurden auf nationaler Ebene - und gleichzeitig auf der Provinz- und der
Distriktebene - sechsmal Wahlen abgehalten, aus denen jeweils die Regierungspartei
als eindeutige Siegerin hervorging. Da die von den Parteiführungen eingereichten
Kandidatenlisten geprüft wurden, die PPP und die PDI keine grundsätzlich von der
Ideologie der Neuen Ordnung abweichenden Programme entwickeln und vorstellen
durften und da selbst die vorher einzureichenden Wahlkampfreden zensiert wurden,
boten sich dem Wähler nur begrenzte Entscheidungsmöglichkeiten. Die Manipulationen
bei der Stimmenabgabe und -auszählung trugen ebenfalls zu diesen eindeutigen
Wahlergebnissen bei. In einigen Fällen übertraf die Zahl der ausgezählten
Stimmen die der registrierten Wähler. 683 Studenten und Staatsbedienstete, die in der
Universität bzw. im Amtsgebäude wählten, mussten damit rechnen, dass ihre
Stimmzettel "gezinkt" waren. In den Dörfern Javas und besonders in denen der Außeninseln
konnten die kepala desa, die an guten Wahlergebnissen wegen der finanziellen
Abhängigkeit von der Zentralverwaltung interessiert waren, mit Drohungen
und materiellen Anreizen die Anhänger der PDI und der PPP beeinflussen. In den
größeren Städten und in der islamischen "Hochburg" Aceh im Norden Sumatras
allerdings waren diese Manipulationsmöglichkeiten schon aufgrund der Präsenz in-
und ausländischer Journalisten erheblich eingeschränkt, so dass die PPP in Aceh und
Jakarta zeitweise Golkar überflügeln konnte. 684
Zwar wurden die Wahlen von vielen Indonesiern als Legitimationsinstrument angesehen,
aber die Parteiumzüge während des Wahlkampfes boten den Regierungsgegnern
die Möglichkeit, ihren Unmut öffentlich zu zeigen. Dabei zogen meist junge
Leute in den Farben ihrer Partei auf kleinen LKWs und Motorrädern mit lautem
Gejohle, aufgedrehten Motoren und langanhaltendem Hupen durch die Straßen und
wurden begeistert von der umstehenden Bevölkerung angefeuert. Die Regierungs-
682 Siehe die Beispiele in: Antlöv 1995, 170ff.
683 Bei den Wahlen im Juni 1999 gestand ein Beamter in Ujung Pandang mir gegenüber freimütig,
dass er bei den letzten Wahlen, also im Jahre 1997, insgesamt viermal seine Stimme
abgegeben habe.
684 Inside Indonesia August 1987 3ff; Liddle 1978b.

Politiker in der Neuen Ordnung 293
partei hatte in der Regel auch hier Vorteile, weil sie es sich leisten konnte, einen
erheblichen Teil ihrer Wahlkämpfer entweder mit kostenlosen T-Shirts und ein paar
Tausend Rupiah einzuspannen oder die vielen, ihr angeschlossenen Massenorganisationen
zu aktivieren.
Eine Analyse der Themenauswahl, der allgemeinen politischen Stimmungslage in
den Monaten während der Wahlkampagnen sowie der Wahlergebnisse selbst liefert
einige wichtige Informationen (vgl. Tabelle 3-6). Die hochgradig manipulierten
Wahlen des Jahres 1971 führten - für viele etwas überraschend - zu einem außerordentlich
hohen Wahlsieg Golkars. Die PNI erzielte enttäuschende 6,9%, lediglich
die NU konnte mit 18,7% an die Ergebnisse des Jahres 1955 anknüpfen. Erst in den
folgenden Wahlkämpfen kam es regelmäßig zu Ausschreitungen. Besonders die
Wahlen von 1977 verliefen nicht ohne Spannungen. 1977/78 war schließlich das
Jahr der größten studentischen Demonstrationen seit 1965/66. Außerdem gab es
Konflikte innerhalb der Regimekoalition. Die PPP, die sich als einzige islamische
Partei darstellte, erhielt schließlich 29,3% der Stimmen. Auch 1982 spielte der Gegensatz
zwischen Golkar und der PPP die wesentliche Rolle bei den Wahlkämpfen.
Am 18. März kam es sogar zum Lapangan-Banteng-Vorfall, einem blutigen Zusammenstoß
zwischen Golkar- und PPP-Anhängern. Die Wahlen von 1987 und von
1992 verliefen demgegenüber ruhiger, da Golkar unter Sudharmono professioneller
war und den Einfluss der Militärs etwas eindämmen konnte. Außerdem war die PPP
nach dem Rückzug der NU geschwächt, so dass sich die kontrollierte und eher symbolische
Opposition gleichmäßiger auf zwei Parteien - die PPP und die PDI - verteilte.
Die Wahlen Ende Mai 1997 schließlich erwiesen sich als die gewaltsamsten in der
Neuen Ordnung. 685 Neben den "üblichen" Unfällen bei den karnevalesken Umzügen
kam es heftigen Zusammenstößen, die zu einer Vielzahl von Todesfällen führten.
Allein 273 Personen starben infolge von Verkehrsunfällen während der oft chaotischen
Umzüge. Bei einem Feuer in einem Einkaufszentrum in Banjarmasin (Südkalimantan)
kamen weitere 123 Menschen ums Leben. Insgesamt ereigneten sich 20
größere Zwischenfälle. In Madura mussten die Wahlen wegen einiger Unregelmäßigkeiten
wiederholt werden. Die zum ersten Mal die Wahlen beobachtende unabhängige
Nichtregierungsorganisation KIPP konnte die verschiedenen Manipulationen
lediglich kommentieren und Berichte vorlegen. 686
Die PDI hatte 1992 ihre Hochburgen in Jakarta (22,8%), Mitteljava, Yogyakarta,
West- und Ostkalimantan (jeweils über 20%) sowie in Bali (19,7%). 1997 erzielte
sie in diesen Provinzen bis auf Westkalimantan (15,1%) wegen der Ausschaltung
685
Vgl. Eklöf 1997; Fenner/Dürste 1998, 44ff und Bird 1998, 168ff; Tempo Interaktif 15.2.,
24.3. und 12.4.1997.
686
Schon vor den Wahlen hatte es monatelange Auseinandersetzungen zwischen Golkar und
der PPP in Mitteljava wegen der kuningisasi-Politik Golkars gegeben. Schon im August 1995,
anlässlich des 50. Unabhängigkeitstages, wurden in Mitteljava Zäune, Bäume und Amtsgebäude
gelb angestrichen. Diese kuningisasi (etwa: "Vergelbung") sollte die Loyalität gegenüber
der Regierungspartei Golkar symbolisieren. Noch zwei Jahre später, während des Wahlkampfes,
waren ganze Häuserreihen gelb bemalt. PPP-Mitglieder strichen daraufhin in nächtlichen
Aktionen viele Flächen grün (TB Okt. 1995; Tempo Interaktif 18.1.1997).

294 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
des Megawati-Flügels seit Mitte 1996 niederschmetternde Ergebnisse um 3%. Die
PPP war besonders stark in Aceh (1992 und 1997 jeweils über 30%) sowie in Ostjava,
Jakarta und Yogyakarta (ebenfalls 1997 jeweils über 30%). Golkar hatte ihre
Hochburgen in Westsumatra, Jambi, Bengkulu, Lampung, Bali, Ost-Nusa-Tenggara,
Süd-, Nord- und Südostsulawesi (1997 jeweils über 90%, in Südostsulawesi sogar
97,2%). Anders war die Situation z.B. in Jakarta, weil dort die primordialen Bindungen
schwächer ausgeprägt, die Wähler insgesamt aufgeklärter und Wahlmanipulationen
schwerer vorzunehmen waren. 687 Der Golput-Anteil (wobei diese Stimmen
als ungültig gewertet wurden und somit nicht in das Gesamtergebnis eingingen) lag
1997 bei 9,4%. Am höchsten war der Anteil in Ost-Timor (13,3%), in Ostkalimantan
(16,6%) und in Yogyakarta (15,1%). 688
Die Ergebnisse zeigen recht deutlich, dass es immense regionale Unterschiede gab,
so dass die Wahlen zwar nicht kompetitiv waren, aber eine begrenzte Indikatorfunktion
hatten. An den Ergebnissen ließen sich nämlich gewisse gesellschaftliche
Wandlungen und aktuelle Stimmungen ablesen. Auf den unteren Verwaltungsebenen
konnte mit der Wählerstimme sogar in begrenzter Form die jeweilige politischadministrative
Elite, die an Rekordergebnissen interessiert war, unter Druck gesetzt
werden.
Tabelle 3-20: Ergebnisse der Parlamentswahlen 1971-1997 in Prozent 689
1971* 1977 1982 1987 1992 1997
Golkar 62,8 62,1 64,2 73,2 68,1 74,5
PPP 27,1 29,3 28,0 16,0 17,0 22,4
PDI 10,1 8,6 7,9 10,9 14,9 3,1
* Wahlergebnisse nach Addition der Ergebnisse der später vereinigten Parteien: PPP (NU
18,7%; Parmusi 5,4%; PSII 2,4%; Perti 0,7%); PDI (PNI 6,9%; Parkindo 1,3%; Partai Murba
0,1%; IPKI 0,6%; Partai Katolik 1,1%)
Quelle: Mackie/MacIntyre 1994, 12; Eklöf 1997.
687 Liddle 1978b, 132.
688 Kristiadi/Legowo/Harjanto (Hg.) 1997, 164-69.
689 Eine Gruppe von Protestwählern, die "Weiße Gruppe" (Golput = Golongan putih), gab
leere Stimmzettel ab. Der Anteil der ungültigen Stimmen, zu denen auch die Golput-Stimmen
zählten, lag bei 8,3% (1971), bei 10,4% (1977), bei 8,6% (1982) und bei 8,7% (1987) (Inside
Indonesia Juni 1992, 5).

Politiker in der Neuen Ordnung 295
Schaubild 3-6: Die sechs allgemeinen Wahlen in der Neuen Ordnung: Besonderheiten
1971 1977 1982 1987 1992 1997
Murtopo- Heftige Aus- Weitgehend Golkar ist unter Die PDI ist Sehr angespannte
Gruppe hat einandersetzun ruhiger Wahl- Sudharmono recht erfolg- Atmosphäre; die PDI
Führungskader gen zw. Golkar kampf (mit relativ gereich mit Me- schneidet sehr schlecht
der Parteien und der PPP; Ausnahme des schlossen und gawati als ab wg. der Entmach-
ausgetauscht die Bürokratie Lapangan- professioneller; Kandidatin; tung Megawatis; lose
und Bapilu und ABRI Benteng- ABRI unter- ABRI hält sich Mega-Bintang-Allianz;
sowie LPU nehmen erhebZwischenfalstützt Golkar zurück; Golkar viele Todesopfer (u.a.
eingerichtet; lichen Einfluss les);Regime- kaum; die PPP ist unter Wa- Banjarmasin-
Bürokratie und auf die Wahlen. koalition muss verliert viele honoschwä- Unruhen); Kasad
ABRI unter-
weniger als im Stimmen wegen cher. Hartono unterstützt
stützen Golkar
Jahre 1977 der Neutralität
Golkar (insbesondere
finanziell sowie
durch systematischeEinschüchterung,
mit Gewalt und
durch Wahlfälschungen.
manipulieren. der NU.
"Tutut") sehr offen.
Abschließende Bemerkung
Golkar bestand aus zahlreichen Unterorganisationen für Frauen, für Jugendliche, für
verschiedene Berufsgruppen etc. und war in jedem Dorf mit Dutzenden von Funktionären
in allen Gesellschaftsbereichen vertreten. Die Regierungspartei konnte mit
ihrem Heer von Kadern, mithilfe der Bürokratie und unterstützt durch das Militär
Wahlen manipulieren und den Schein des Parlamentarismus aufrechterhalten.
Trotzdem war sie keine alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringende Staatspartei.
Am Anfang wurde Golkar noch eindeutig vom Militär - besonders von der
Murtopo-Gruppe - dominiert. Später - nach erfolgter Stabilisierung der Neuen Ordnung
- kam es zu einer allmählichen Stärkung der zivilen Kräfte bzw. der
Sudharmono-Gruppe. In dieser Phase zeichnete sich deutlich ab, dass Golkar zu
einer Kaderpartei mit fester Mitgliedschaft und einer erhöhten Schlagkraft gemacht
werden sollte. Da sie nie als vollständige Partei, sondern als eine Ansammlung funktionaler
Gruppen konzipiert worden war, konnte sie nie wirklich eine Identität als
Staatspartei gewinnen. Das wäre auch auf den Widerstand der Militärs gestoßen, die
Golkar als Legitimierungs- und Kontrollinstrument sowie als Wahlmaschine benötigten.
Die Militärs mussten nach dem Aufstieg Sudharmonos und während der
langsamen Demilitarisierung der Kabinette und der Regierungspartei fürchten, dass
Suharto Golkar zunehmend zu einer eigenen, militärunabhängigen Machtbasis ausbaut.
Suharto war ebenfalls nie an einer starken Regierungspartei interessiert, da eine
solche außer Kontrolle geraten konnte. Zu schwach durfte Golkar aber nicht sein, da
sonst die Manipulations-, Kontroll- und Legitimationsfunktion nicht zu erfüllen
gewesen wäre. Suhartos Hauptaufgabe war es also, einen geeigneten Mittelweg zu
finden. Dabei veränderte sich die Strategie im Laufe der Jahrzehnte: Sollte in den

296 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
ersten Jahren unter dem Management der Murtopo-Gruppe ein korporatistischer
Schirm aufgespannt werden, so kam in den 80er Jahren unter Sudharmono die
Durchsetzung der azas tunggal-Politik hinzu. Golkar sollte nun eigenständiger werden,
auch um so ein stärkeres Gegengewicht zu ABRI zu schaffen. Allerdings wurde
Golkar noch weitgehend vom Militär beherrscht, so dass nicht von einer Spaltung,
sondern höchstens von leichten Rissen in der Regimekoalition gesprochen werden
konnte. Der Übergang zur Habibie-Gruppe trat dann beim Kongress 1993 zu Tage.
Habibie war der eigentliche Manager dieses Parteitages, und der neue Parteivorsitzende
Harmoko war als Zivilist und ICMI-Mitglied der geeignete Mann, um ihm
den Weg in das Amt des Vizepräsidenten zu ebnen.
Gerade im Falle Golkars war es immer außergewöhnlich schwierig, Informationen
über parteiinterne Fraktionierungen zu bekommen. Anders als bei der PDI und der
PPP, bei denen alle nur denkbaren Formen von Streitigkeiten öffentlich ausgetragen
wurden, bot Golkar bis zuletzt fast immer ein Bild der inneren Geschlossenheit.
Die Parteien, die Wahlen und die Parlamente waren wichtig zur Feinsteuerung des
Herrschaftssystems. Einerseits konnten die PDI und die PPP in beschränktem Maß
vor allem in Zeiten des Wahlkampfes die Wut und Enttäuschung vieler Indonesier
vage artikulieren, andererseits stabilisierten sie aber die Neue Ordnung, die sie nicht
grundsätzlich in Frage stellten. Ohne die PDI (zumindest bis 1993) und die PPP
hätte die Regimekoalition die Wahlen nicht durchführen und keine Parlamente zusammenstellen
können. Dieses Theaterspiel von Parlamentarismus und Rechtsstaatlichkeit
wurde so geschickt in Szene gesetzt, dass sogar demokratieerprobte Ausländer
darauf hereinfallen konnten. Zwar wusste jeder Indonesier, dass die Neue Ordnung
keine richtige Demokratie war, trotzdem glaubten viele, dass die Pancasila-
Demokratie etwas Besonderes sei, das mit lateinamerikanischen Militärdiktaturen
kaum etwas gemein habe. Die Fassade wirkte so echt, weil es ja durchaus Elemente
der Diskussion, der parlamentarischen Auseinandersetzung und der Kompetitivität
bei Wahlen gab. Das Parlament war seit Ende der 80er Jahre sogar etwas aktiver
geworden. Das zeigte sich zum einen am Widerstand einzelner Abgeordneter, zum
anderen in der keterbukaan-Debatte, die überraschenderweise vor allem von ABRI-
Parlamentariern angestoßen wurde. Darüber hinaus wurden im Parlament in den
letzten Jahren wesentlich mehr Delegationen, die Beschwerden vorbrachten, empfangen
690 und vermehrt Demonstrationen auf dem Parlamentsgelände zugelassen.
Doch weiterhin machte das Parlament von den ihm zugesprochenen Rechten (u.a.
Initiativ-, Interpellations- und Enquêterecht) fast keinen Gebrauch. Und weiterhin
690 D&R 16.8.1997, 20. Während 1990-92 nur durchschnittlich etwa 2.000 Personen pro Jahr
ihre Beschwerden und Bitten vorbrachten, waren es 1993-95 durchschnittlich knapp 7.000
und 1996 knapp 15.000. Dabei ging es meist um Land- und Arbeitskonflikte. 1997/98 kamen
- noch lange vor den Studentenprotesten seit dem Februar 1998 - mehrmals in der Woche
kleinere Gruppen (mit bis zu einigen Hundert Teilnehmern) meist jugendlicher Demonstranten
auf das Parlamentsgelände, z.T. auch in das Parlamentsgebäude, und forderten u.a. eine
Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten und politische Liberalisierungen.

Zur Regimekoalition der Neuen Ordnung 297
wurden die vom Präsidenten eingebrachten Gesetzentwürfe i.d.R. ohne Veränderungen
"abgestempelt".
Insgesamt gab es nur wenige genuine Politiker, die nicht vorrangig als Militärs,
Bürokraten, Professionals oder (pribumi-)Unternehmer bekannt waren. Das Feld der
Politik war daher eher eine Arena für die verschiedenen Gruppen der Regimekoalition,
die hier Politikwechsel und personalpolitische Entscheidungen - etwa bei der
Besetzung höchster Staatsämter - vorbereiten konnten. Die Hauptaufgabe der im
politischen Feld tätigen Personen war aber die Absicherung der Orba-Herrschaft
durch die Verschleierung der wahren Vorgänge. Ähnlich wie bei bestimmten islamischen
Führern bildeten die konservativen Politiker eine sekundäre strategische
Gruppe, die kaum eigenständig war und wenige eigene Machtressourcen aufbieten
konnte.
3.9 Einige abschließende Bemerkungen zur Regimekoalition
der Neuen Ordnung
Die strategischen Gruppen der Neuen Ordnung
Die vorgestellten strategischen Gruppen waren unterschiedlich strukturiert. ABRI
war in sich relativ deutlich hierarchisiert und zentralisiert, wenngleich sich mit den
Geheimdiensten und den Elitetruppen, den verschiedenen Generationen und Jahrgangsklassen
sowie mit den ABRI-hijau- und den ABRI-merah-putih-Offizieren
Untergruppen bildeten. Diese allerdings gefährdeten die Handlungsfähigkeit der
gesamten strategischen Gruppe nicht.
In der Verwaltung, in der einige Bereiche vom Militär deutlich dominiert wurden,
war ein Gegensatz zwischen Technokraten und Nationalisten (nicht etwa zwischen
Konservativen und Reformern) augenfällig. Hinzu kam die Aufteilung in Ressorts,
die eine enge Kooperation der Spitzenbürokraten zumindest erschwerte. Die Bürokraten
stützten sich zwar auf die grundlegenden Doktrinen der Neuen Ordnung
(Pembangunan, Demokrasi Pancasila etc.), die Untergruppen jedoch, also die Technokraten
und die Nationalisten, hatten jeweils eigene Entwicklungskonzepte. Sie
konnten zwar selbst keine Repressionsmittel einsetzen, aber sie verfügten über Konzessionen,
Regierungsaufträge, Kredite und Kapital.
Die großen Unternehmer bildeten einen weiteren Stützpfeiler der Neuen Ordnung.
In keinem anderen Land hatte und hat eine ethnische Minderheit eine solche ökonomische
Macht. Und trotzdem waren die Sinoindonesier in der Neuen Ordnung
politisch machtlos. Die größten sinoindonesischen Unternehmer gehörten zwar zur
Regimekoalition, aber sie wurden von ABRI und der Bürokratie kontrolliert. Zwar
konnten sie durch Strategien der Diversifizierung und Internationalisierung sowie
durch die Kooperation mit pribumi-Unternehmern eine gewisse Selbständigkeit
erlangen, aber auf die Besetzung von Spitzenpositionen im Militär und in der Verwaltung
oder gar bei der Wahl des Präsidenten hatten sie keinen Einfluss. In ihrer
prekären Lage konnten sie sich öffentlich nicht zu Wort melden. Vielmehr mussten

298 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
sie - vor allem in den letzten Jahren - jederzeit mit antichinesischen Unruhen rechnen,
die z.T. bewusst ausgelöst wurden. Sie traten nicht als geschlossene Gruppe
auf, sondern konkurrierten gegeneinander. Als wirtschaftlich Herrschende in politisch
beherrschter Position hatten sie eher eine Dienerfunktion für die Streitkräfte
und die Bürokraten.
Die Regimekoalition war also trotz der Vorherrschaft von Suharto und von ABRI in
sich differenziert und gewann ihre Stabilität durch Verschachtelung und durch den
Austausch unterschiedlicher Machtressourcen. Zu Letzteren zählten der Besitz oder
die unmittelbare Kontrolle von Produktionsmitteln (private bzw. staatliche Unternehmen)
sowie die Verfügung über Legitimations- oder über Repressions- und Kontrollmittel
(vgl. Schaubild 3-7). Mit "Verschachtelung" ist gemeint, dass die strategischen
Gruppen in unterschiedlichem Maße voneinander abhängig waren und z.T. in
Sektoren vorstießen, in denen jeweils andere strategischen Gruppen dominierten.
Das Militär durchdrang einige Ressorts und alle Ebenen der Verwaltung, die Unternehmer
arbeiteten eng mit den Militärs und den Bürokraten zusammen, die wiederum
selbst staatliche und z.T. private Unternehmen kontrollierten. Eine Hierarchisierung
der strategischen Gruppen ist insoweit zu konstatieren, als das Militär die anderen
Gruppen durchdrang und kontrollierte, während es selbst lediglich vom Präsidenten
als Oberkommandeur und oberstem Patron beherrscht wurde.
Indonesiens Neue Ordnung war kein totalitäres Regime mit nur einer (Staats)partei,
einer vollkommen kontrollierten Presse und Wirtschaft. 691 Vielmehr gab es trotz der
weit reichenden und intensiven Kontrolle durch die Geheimdienste und die Doppelstruktur
der Verwaltung Enklaven, in denen Meinungsunterschiede artikuliert wurden.
Die Parteien PDI und PPP konnten in Wahlkämpfen z.B. Stimmungen aufnehmen
und moderat Kritik üben. Bei einigen Gesetzesvorhaben erwirkten sie zumindest
Kompromisse. Trotzdem werden die PDI bis 1993 (und danach die Suryadi-
PDI), die PPP und die meisten religiösen Organisationen in dieser Arbeit zur Regimekoalition
gerechnet. Allerdings befanden sie sich - wie auch Golkar - in einer
ergänzenden, sekundären oder sekundierenden Stellung. Die Regierungspartei gehörte
zwar eindeutig zur Regimekoalition, nur war Golkar eher eine Arena für ABRI
und Teile der Bürokratie, während die genuinen Politiker (also oft Vertreter der
funktionalen Gruppen) Golkar für ihre Karriere nutzten, aber keine mächtigen Interessenvertreter
waren.
Die Frage bleibt, ob nicht einzelne Organisationen und Parteien wie die PDI, die
PPP bzw. Golkar oder NU, Muhammadiyah, ICMI etc. als eigene strategische
Gruppen aufgefasst werden können. Da aber die Parteien bzw. die religiösen Organisationen
im politischen bzw. religiösen Bereich (mit jeweils eigener Funktionslo-
691 Linz 1975 und 1991. Allerdings hatten die Ideologen der Neuen Ordnung eine Staatsdoktrin
mit umfassendem Erklärungsanspruch ausgearbeitet. Diese Doktrin ist nicht vergleichbar
mit der "Mentalität" von der Linz im Zusammenhang mit autoritären Regimen spricht. Sie ist
aber insofern nicht totalitär, als sie nicht - wie in der Definition von C.J. Friedrich und Z.
Brzezinski - gegen "feindliche" Klassen oder Rassen gerichtet ist. Vgl.: Nohlen (Hg.) (1995):
Stichwort "Totalitarismus/Totalitarismustheorie".

Zur Regimekoalition der Neuen Ordnung 299
gik) agierten, über jeweils ähnliche Machtressourcen verfügten und ähnliche Strategien
anwandten, ist es sinnvoll, von der - sekundären - strategischen Gruppe der
Politiker und der der religiösen Führer (Intellektuelle, kiai und ulama) zu sprechen
(wobei natürlich auch religiöse Führer Politiker werden konnten). Einige islamische
Gruppen hatten immer ein ambivalentes Verhältnis zur Neuen Ordnung und konnten
jederzeit Teile der Bevölkerung im Namen der islamischen Lehre gegen die Regierungspolitik
mobilisieren. Dennoch verhielten sich die wichtigsten religiösen Organisationen
im Großen und Ganzen loyal.
Klientelistische Netzwerke, Allianzen und strategische Gruppen
Wie lässt sich die Herrschaftsstruktur mit den bereits in Abschnitt 1.2 eingeführten
Begriffen beschreiben? Es ist zunächst die außergewöhnliche Rolle Suhartos zu
berücksichtigen. Suharto war zwar nicht einfach ein Willkürherrscher, der nach
Belieben handeln konnte, dennoch prägte er das Herrschaftssystem nachhaltig. Von
ihm waren die Führer der strategischen Gruppen abhängig, und er stand an der Spitze
von Patron-Klient-Netzwerken. Nach einigen Jahren - seit etwa 1968 - war Suharto
"Erster unter Gleichen", und das eigentliche Machtzentrum der Neuen Ordnung
waren die Stäbe von Assistenten im Umfeld des Präsidentenpalastes. Die Neue
Ordnung bestand aber nicht nur aus Patron-Klient-Beziehungen zu Generälen, cukong,
Bürokraten, Spitzenpolitikern etc., die wiederum eigene Netzwerke bis in die
letzten Winkel des Landes aufbauten. Es gab schließlich administrative Apparate,
Parteien, Organisationen und große Unternehmen, die quer zu diesen vertikalen
Bindungen standen. Ein General war eben nicht nur dem Präsidenten ergeben, sondern
er vertrat zugleich die Interessen ABRIs, die manchmal mit denen Suhartos
oder anderer Gruppen kollidierten.
Die strategischen Gruppen der höheren Offiziere und der höheren Beamten - von
denen viele Klienten Suhartos waren - formierten sich bereits nach wenigen Jahren
(zu den strategischen Gruppen vgl. Schaubild 3-7). Die religiösen Führer waren bis
Ende der 80er Jahre relativ schwach, und auch die Regierungspartei Golkar begann
erst relativ spät – in den frühen 80er Jahren -, eine eigenständigere Rolle zu spielen.
Selbst die Unternehmer emanzipierten sich erst später. Die ersten etwa 20 Jahre der
Neuen Ordnung dominierten die vom Militär kontrollierten Staatsbetriebe - insbesondere
Pertamina - die indonesische Wirtschaft. Die cukong waren häufig unmittelbar
von Patronen im Militär und in der Verwaltung abhängig, und die pribumi-
Unternehmer waren noch dabei, sich größere Konglomerate aufzubauen. Einige
strategische Gruppen hatten sich also erst etwa Mitte der 80er Jahre stärker ausdifferenziert.
Damit nahmen auch die Rivalitäten zwischen den strategischen Gruppen
zu. Die Übernahme des Golkar-Vorsitzes durch einen Zivilisten (1993), die Konflikte
zwischen Militärs und Zivilisten um die Besetzung des Vizepräsidentenposten
(1988 und 1993), die Auseinandersetzungen zwischen Habibie und dem Militär in
den 90er Jahren: Das alles war erst möglich, nachdem sich einzelne strategische
Gruppen verselbständigt hatten und nicht mehr so sehr von Suharto und den Militärs
im Zaum gehalten wurden. Und erst nachdem sich die strategischen Gruppen formiert
hatten, bekamen die Allianzen eine größere Bedeutung.

300 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Der erste große Konflikt in der Regimekoalition, der in der Malari-Affäre (1974)
kulminierte, war kein Konflikt zwischen strategischen Gruppen, sondern zwischen
der Murtopo- und der Sumitro-Gruppe, die beide ihre Hauptstützpunkte im Militär
hatten. Sudharmono hatte seine Mitstreiter lediglich in der Bürokratie und bei Golkar,
und die führenden Militärs und/oder Geheimdienstchefs (Murtopo, Murdani)
hatten ihre Machtbasis fast ausschließlich bei ABRI.
Habibie hingegen hatte weit verzweigte Netzwerke in der Bürokratie, in der Regierungspartei
und bei verschiedenen muslimischen Organisationen (insbesondere bei
ICMI). Außerdem hielt er Kontakte zu zahlreichen Unternehmern (er selbst beherrschte
mehrere große Staatsunternehmen) und zu einigen orthodox-islamischen
Generälen aufrecht. Die gemeinsame Ideologie war ein vage formulierter Propribumi-Nationalismus,
der Elemente der Hochtechnologieförderung und der Stärkung
des Islam einschloss. Von einer solchen Allianz sollte aber erst dann gesprochen
werden, wenn Angehörige einer strategischen Gruppe Mitstreiter bei mehreren
anderen strategischen Gruppen finden und eigene politische Ziele definieren können.
Die Allianzen konstituieren sich also auf der Basis eines gemeinsamen Programms
("Stärkung des Islam" oder "Förderung der pribumi"), z.T. überwiegen bei den Allianzpartnern
aber die Machterweiterungsinteressen. Die Übergänge zwischen Patron-
Klient-Netzwerken, Allianzen und strategischen Gruppen sind mitunter fließend.
Meistens haben Allianzen - wie die unter der Führung von Habibie - ihren Stützpunkt
bei einer strategischen Gruppe. Und die Beziehungen der an der Allianz Beteiligten
sind z.T. hierarchisiert und entsprechen dem Patron-Klient-Muster (wenngleich
eine starke Tendenz zur Egalität besteht). Allerdings waren solche Allianzen
in der Neuen Ordnung i.d.R. sehr fragil und kurzlebig, weil Suharto geschickt den
Aufbau solcher Bündnisse verhinderte und die verschiedenen Gruppen, Klienten und
Allianzpartner gegeneinander ausspielte. Die Allianzen waren nicht institutionalisiert,
und die Loyalität zum Präsidenten war stets größer als die Bindung zu Gleichgesinnten.
In den letzten Jahren der Neuen Ordnung wurden solche Allianzen wichtiger. Und in
den ersten Monaten des Jahres 1998 war die Lage u.a. deshalb so unübersichtlich,
weil nicht nur die strategischen Gruppen, sondern auch verschiedene Allianzen als
Akteure auftraten. Dabei gerieten viele Personen in Interessenkonflikte, weil sie in
Patron-Klient-Netzwerke eingebunden waren. Wiranto z.B. war bis zum 20. Mai ein
loyaler Klient Suhartos, zugleich vertrat er die Interessen ABRIs. Mit der zunehmenden
Polarisierung zwischen der Wiranto- und Prabowo-Gruppe wurde die Lage
noch unübersichtlicher.
Viele Akteure haben sich abwartend verhalten, weil sie in ein Geflecht von Beziehungen
verstrickt waren, und weil die verschiedenen Loyalitäten inkompatibel waren.
Selbst für Insider waren die Beziehungsnetze in den letzten Jahren der Neuen
Ordnung schwer zu durchschauen. Häufig war unklar, zu welchem Netzwerk oder
zu welcher Allianz einzelne Personen gehörten. So gab es bei ABRI mehrere nationalistische
Reformer, denen gute Beziehungen zu Megawati nachgesagt wurden und
die mit Benny Murdani, Edi Sudrajat, dem CSIS, Bambang Suharto und Abdurrahman
Wahid in Verbindung gebracht wurden. Murdani hatte zwar keine Amtsfunktion
mehr inne, er galt vielen aber noch als "graue Eminenz" mit großem Einfluss im

Zur Regimekoalition der Neuen Ordnung 301
Militär. Wahid wiederum näherte sich 1997 "Tutut", die wiederum in Hartono und
in ihrem Vater mächtige Fürsprecher hatte. Hartono wiederum wurde 1997 ICMI-
Mitglied. Diese Organisation wiederum stand in einer engen Beziehung zu den
Netzwerken, die sich Habibie aufgebaut hatte.
Viele Personen wechselten die Seiten oder nahmen - gewollt oder ungewollt - eine
ambivalente Position in dieser Herrschaftsfiguration ein. Suhartos Schwiegersohn
Prabowo z.B. wurde eine Zeit lang zu ABRI-merah-putih gerechnet, schlug sich
aber spätestens 1998 auf die Seite der militanten Muslime. 692 Diese Ambivalenzen
zeigen, dass die einzig dauerhaften Bindungen jene waren, die sich aus der Zugehörigkeit
zu den strategischen Gruppen ergaben.
Die lange Blockierung der Demokratisierung war auf das Vorherrschen von klientelistischen
Netzwerken zurückzuführen, mit denen Allianzbildungen und der Aufbau
von Machtsubzentren effektiv unterbunden werden konnten. Lange war also die
Macht zerstreut und dennoch unter der Kontrolle des obersten Patrimonialherren.
Die erwähnte Ausdifferenzierung strategischer Gruppen schwächte aber den obersten
Patrimonialherren Suharto und verschärfte die Konflikte in der Regimekoalition.
Aus einer Ansammlung von Patron-Klient-Beziehungen war am Ende der Neuen
Ordnung ein komplexes Geflecht von klientelistischen Netzwerken, Allianzen
und strategischen Gruppen geworden, das nur noch mit Mühe von Suharto zusammengehalten
werden konnte.
Während die programmatischen Unterschiede bis in die späten 80er Jahre auf solche
zwischen Technokraten und Nationalisten sowie zwischen hardliners und softliners
beschränkt waren, ergaben sich mit der graduellen Emanzipation des politischen
Islam neue Auseinandersetzungen zwischen den "Islamisierern" und den "Pancasila-
Nationalisten". Es entwickelte sich allerdings erst in den letzten Tagen der Neuen
Ordnung ein ausgeprägter und politisch folgenreicher Gegensatz zwischen Reformern
und am Status quo Orientierten (siehe Kap. 5 und 7).
Formen des Machtkampfes in der Regimekoalition
Obwohl die Regimekoalition über drei Jahrzehnte sehr stabil war und es selten intraelitäre
Konflikte gab, ist nicht zu verkennen, dass die verschiedenen strategischen
Gruppen um die Bewahrung bzw. Ausweitung ihres jeweiligen Machtbereiches
kämpften. Teilweise befehdeten sich verschiedene Patron-Klient-Netzwerke oder
schwache Allianzen, wie etwa die Murtopo- und die Sumitro-Gruppe in der Malari-
Affäre (1974). In den 80er Jahren waren die Auseinandersetzungen zwischen der
Sudharmono-Gruppe und ABRI augenfällig. Seit etwa 1988 mobilisierte die
Murdani-Gruppe im Militär verschiedene Anhänger, um Suharto und seine Günstlinge
in ein schlechtes Licht zu rücken. Die Militärs wehrten sich auch gegen die
zunehmende "Zivilisierung" und Islamisierung. In den 90er Jahren richteten sich
viele Generäle gegen Habibie und seine Unterstützer.
692 Vgl. dazu: Kingsbury 1998, 232ff.

302 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Bei all diesen Auseinandersetzungen wandten die beteiligten Gruppen verschiedene
Strategien an. Dazu gehörten - neben den üblichen personellen Umbesetzungen und
institutionellen Umstrukturierungen - z.B.:
- Die Mobilisierung und Unterstützung von Demonstranten: etwa von muslimischen
Gruppen, Studenten und verarmten Slum-Bewohnern.
- Die Lancierung von Medienkampagnen: gegen Sukarno oder gegen die vermeintliche,
latente Gefahr des Kommunismus (bersih lingkungan).
- Öffentliche Diskussionen über keterbukaan, vor allem aber über suksesi.
- Die Tätigkeit von Geheimdiensten, von militärischen Sondereinheiten wie Kopassus
und/oder von preman.
- Die öffentliche Beschimpfung und Einschüchterung: etwa durch Ibrahim Saleh bei
der Vizepräsidentenwahl 1988 oder durch Suharto selbst (in Form von vieldeutigen
Äußerungen).
So gipfelten die Versuche zur Schwächung Sudharmonos in einer Kampagne gegen
den Kommunismus und in der Forderung nach einem "sauberen Umfeld" (bersih
lingkungan), die indirekt gegen den Golkar-Vorsitzenden gerichtet war. Dieser wiederum
hatte die Berichterstattung über den Prozess gegen den früheren Siliwangi-
Kommandeur Dharsono, der wegen der vermeintlichen Mitwirkung an den Ausschreitungen
in Tanjung Priok (1984) angeklagt wurde, so gesteuert, dass in erster
Linie Murdani und das Militär diskreditiert wurden. 693 Des probaten Mittels der
gezielten Beeinflussung der allgemeinen politischen Stimmung durch Massenmedien
bedienten sich auch der Informationsminister und der Sicherheitsapparat, die
die Auswahl der zu behandelnden Themen bestimmten und eine unbequeme Berichterstattung
jederzeit unterbinden konnten. Es war gerade dann, wenn Spannungen
zwischen den Führungsgruppen zunahmen, damit zu rechnen, dass Artikel, die
sich kritisch mit bestimmten Elitefraktionen befassten, die Zensurschranke passieren
durften.
Diese Formen des Machtkampfes waren recht harmlos verglichen mit Kampagnen,
bei denen Teile der Opposition, also Studenten, führende Intellektuelle, Arbeiter
etc., mobilisiert wurden, um den politischen Gegner zu schwächen. Die Malari-
Affäre konnte sich nur deshalb so ausweiten, weil Kopkamtib-Chef Sumitro die
Demonstranten seiner Unterstützung versicherte. Der Gegenspieler Sumitros, Murtopo,
soll seinerseits durch den Einsatz von agents provocateurs die gewaltbereiten
Demonstranten so angestachelt haben, dass Sumitro nicht mehr Herr der Lage war
und letztlich aus seinem Amt scheiden musste.
Ein jüngeres Beispiel ist das Dili-Massaker (1991) in Ost-Timor, bei dem mehrere
Hundert Demonstranten ohne Vorwarnung erschossen wurden. In diesem Fall
scheint das Massaker - wiederum indirekt - gegen den Kommandeur Warouw, der
selbst keinen Befehl zum Waffeneinsatz gegeben hatte, gerichtet gewesen sein.
Warouw, der in seiner Amtszeit gegen lokale mafiaähnliche Verbände, zu denen
auch einige seiner Untergebenen gehörten, vorgegangen war, wurde als Verantwortlicher
von seinem Posten entfernt. 694 Viele Aktionen des Militärs erscheinen vor
693 Crouch 1988, 164.
694 Indonesia 53/1992, 98ff.

Zur Regimekoalition der Neuen Ordnung 303
diesem Hintergrund als Teil dieser Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Cliquen.
Erosionserscheinungen seit Ende der 80er Jahre
Die ökonomischen und soziostrukturellen Umbrüche insbesondere seit Mitte der
80er Jahre schlugen sich u.a. im Bedeutungszuwachs religiöser Ideen und Organisationen
sowie in der schleichenden Erosion der Orba-Legitimation nieder. In der
Regimekoalition wirkten sich diese komplexen Prozesse seit etwa 1988, also in der
ersten Transitionsphase, folgendermaßen aus:
- Die Regierung - d.h. insbesondere Suharto und die Habibie-Allianz - ermöglichte
einigen muslimischen Gruppen eine gemäßigte Partizipation und schwächte den
ABRI-Einfluss in der Regierungspartei Golkar deutlich.
- Suharto selbst isolierte sich immer mehr von ABRI und von der Regimekoalition
insgesamt und verlor trotzdem (oder: deshalb) etwas von seiner Macht. Vor allem in
den letzten Jahren der Neuen Ordnung geriet er zusehends in die Kritik.
- Durch die wirtschaftspolitischen Reformen verschärfte sich in einigen Bereichen
die soziale Ungleichheit. Vor allem veränderte sich die Wahrnehmung dieser Ungleichheit.
Die großen sinoindonesischen Unternehmen, die Unternehmen der Suharto-Familie
und das gesamte System der Korruption und der Vetternwirtschaft
wurden zu einem Dauerthema in den Medien.
- ABRI verlor durch das Dili-Massaker (1991), aber vor allem durch den Niedergang
des Antikommunismus immer mehr an Ansehen. Insgesamt war ABRI seit
1988 - beginnend mit der langsamen Ausschaltung der Murdani-Gruppe - geschwächt.
Unter anderem diese Prozesse führten dazu, dass die Regimekoalition immer stärker
unter Druck geriet. Die Streitkräfte und die Bürokratie reagierten aber in der Regel
nur defensiv auf die Demokratisierungsforderungen der Opposition. Arief Budiman
sprach deshalb von einer bloß reaktiven "loan democracy":
"The State is strong, and it allows people to criticise. However, when the State thinks that the
criticism has gone too far, this 'democracy' will be stopped." 695
Die stetigen Beteuerungen von Angehörigen der Regimekoalition, demokratisasi
und reformasi voranzutreiben, waren deshalb in den meisten Fällen unglaubwürdig.
Wie sich die Opposition insbesondere seit den späten 80er Jahren entwickelte und
wie die Regimekoalition darauf reagierte, wird im folgenden Kapitel ausführlich
untersucht.
695 Budiman 1994, 234.

304 Regimekoalition und kooptierte Organisationen
Schaubild 3-7: Stärke, Struktur und Legitimation der herrschenden, strategischen
Gruppen
Hohe Beamte Hohe Offiziere Groß-
religiöse Führer Spitzenpolitiker
und Minister
unternehmer
Zahl 100-200 in Jakarta; Mehrere Hundert, Mehrere Hundert, Einige Dutzend in Wenige Dutzend
besonders Tausende auf allen die kontinuierlich davon 80% Jakarta; Hunderte in Jakarta; Hun-
mächtiger Verwaltungsstufen ausgetauscht und Sinoindonesier; in den Provinzen derte in den
Personen
verrentet aber Vorherr-
Provinzen
wurden schaft weniger,
riesiger Konglomerate
Fraktionen Nationalisten versus Teilstreitkräfte; Starker Gegensatz Traditionalisten, Bürokraten,
bzw. Technokraten, Jahrgangsklassen zwischen Modernisten und Militärs und
Unter- Militärs versus der Militär- Sinoindonesiern Neomodernisten; "genuine" Politigliede-
Zivilisten; Zentrum akademie; Elite- und pribumi- NU, Muhammaker; Golkar als
rungen versus Peripherie; versus Territorial- Unternehmern; diyah, MUI, Hegemon in
Ressorts, Staatsbetruppen;ABRI- Suhartos als ICMI etc. einem wenig
triebe und Oberbemerah- putih Fraktion der
kompetitiven
hörden
versus ABRI- pribumi
Drei-Parteienhijau
System
Wichtigste Fach- und Amts- Gewaltmittel; Kapital; unter- Charisma; Mono- Verfügung über
Machtreswissen; Kontrolle Informationen; nehmerischespol der Interpreta- Pfründe, Lizensourcen
von Lizenzen, militärisches Wissen tion der religiösen zen,Konzessio- Konzessionen, Wissen
Lehre; religiöses nen und Kredite;
Staatskrediten,
Wissen; Mög- polit. Wissen;
Staatsunternehmen
lichkeit zur Möglichkeit zur
Mobilisierung des Mobilisierung des
Massenanhangs Massenanhangs
Legitima- "Pembangunan" Dwifungsi Sinoindonesier Islamische Lehre "Demokrasi
tion
sind fast ohne
Legitimation; bei
pribumi: Aufbau
nationaler Bourgeoisie
Pancasila"
Hauptauf- Steuerung des Garantie von Versorgung der Legitimierung der Legitimierung der
gaben wirtschaftlichen "Stabilität und Regimekoalition Neuen Ordnung; Neuen Ordnung;
Aufbaus bzw. Sicherheit" mit materiellen Kontrolle der Aufbau einer
Entwicklung einer
Ressourcen muslimischen Demokratiefassa-
einheimischen
Bevölkerung de
Industrie; zahlreiche
Verwaltungsaufgaben
Stellung in Zunehmende E- Mächtigste Sinoindonesier Sekundäre strate- Golkar zunächst
der Remanzipation von strategische sind politisch, gische Gruppe; von ABRI begime
ABRI; weitgehend Gruppe, die Teile militärisch und in seit 1990 mit herrscht, unter
koalition von Suharto abhän- der Verwaltung der Verwaltung ICMI stärker Sudharmono,
und Begig; zuletzt Natio- und der Parla- schwach; prekäre integriert (als dann unter Harziehung
zu nalisten unter mentekontrollier- Lage; einige Vehikel für moko/ Habibie
Suharto Habibie sehr stark te; Führung von cukong direkt von Habibie und von ABRI unab-
Suharto abhängig Protektion abhän- Suharto); einige hängiger; immer
gig; wegen Organisationen in von Suharto
Diversifizierung ambivalenter kontrolliert;
und Internationa- Position PPP und PDI in
lisierungunab- ambivalenter
hängiger; pribumi
Position; PDI seit

Zur Regimekoalition der Neuen Ordnung 305
Zahl der
Reformer
u. Haltung
zu politischerLiberalisierung
Ein Teil für begrenzte
Reformen;
Experten hatten
ggfs. Vorteile bei
politischer Reform
Wenige für
begrenzte Reformen;
dwifungsi
grundsätzlich
nicht in Frage
gestellt; ABRI
konnte von
Liberalisierung
kaum profitieren
ohne größeren
Einfluss
Sehr wenige
(einige "genuine"
pribumi- Unternehmer);
vor
allem Sinoindonesier
mussten Wandel
fürchten
Abwartend,
ambivalent; aber
nur wenige
mussten Demokratisierung
fürchten
1993 emanzipierter
Einige "genuine"
Politiker für
begrenzte Reformen;
die meisten
verloren durch
Demokratisierung
ihre Pfründe

4. Die Entwicklung und Struktur oppositioneller
Gruppen
4.1 Die Opposition in Indonesien bis Ende der 80er Jahre
"In fact, I am pleased if there is opposition, provided it is loyal opposition. [...] In the
Pancasila democratic system, there is no place for the opposition in the Western sense of
the term. In our democratic system we adhere to the principle of musyawarah, or deliberation,
to reach mufakat, or a consensus of the people" (Soeharto 1991, 298).
Mit "loyaler Opposition" meinte Suharto PDI- und PPP-Politiker, die im Parlament
nur dasaßen, Journalisten, die vorgestanzte Fragen stellten, und Studenten, die sich
von Demonstrationen fern hielten. Ansonsten galt in der Neuen Ordnung jede Form
der politischen Gegnerschaft als subversiv und als Verstoß gegen die Pancasila.
Oppositionelle wurden als Kommunisten, als anti-pancasilais, als Störer von Sicherheit
und Ordnung, als links- oder rechtsextrem usw. bezeichnet. Trotzdem
enstand seit Ende der 80er Jahre eine prodemokratische Bewegung, um die es in
diesem vierten Kapitel vornehmlich gehen wird.
Vorher gab es aber bereits bedeutenden Widerstand gegen die Neue Ordnung, der
sich in folgende Phasen einteilen lässt:
- In der ersten Phase 1965/66 waren Opposition und Regime noch nicht deutlich
voneinander zu unterscheiden. Die Sukarnoisten und Kommunisten wurden von den
neuen Machthabern zur Opposition erklärt und brutal niedergemetzelt.
- Die zweite Phase setzte etwa zu Beginn der 70er Jahre ein und endete mit der Malari-Affäre;
- Die dritte Phase stärkerer Aktivität der Opposition begann 1977/78 und führte zur
Entstehung von Fosko, LKB und Petisi 50.
- Ein weiterer Höhepunkt war dann der Widerstand gegen die 1982 angekündigten
und 1985 gesetzlich verankerten azas tunggal-Bestimmungen, darunter die Ereignisse
in Tanjung Priok 1984.
Zu den oppositionellen oder konfliktbereiten und konfliktfähigen Gruppen zählten
bis Ende der 80er Jahre im Wesentlichen Studenten, islamische Gruppierungen,
Professionals und einige ehemalige Angehörige der Regimekoalition. Hinzu kamen
bei Ausschreitungen die urban poor, die aber nur bedingt als Oppositionelle einzustufen
sind. Erst im Laufe der 80er Jahre erweiterte sich diese lockere Koalition, die
sich intern weiter ausdifferenzierte.
Im Folgenden soll zunächst der am Anfang der Neuen Ordnung stehende Kampf
zwischen zwei sozialen Bewegungen skizziert werden. Danach werden die Beschränkungen,
mit denen die Oppositionellen in Indonesien fertig werden mussten,
vorgestellt. Das waren die für politische Aktivisten so einschneidenden Bestimmungen
des Presse-, des Straf- und des Strafprozessrechtes. Im Anschluss wird die Ent-
306

Die Opposition bis Ende der 80er Jahre
faltung der Opposition von den frühen 70er Jahren bis zum Ende der 80er Jahre
beschrieben.
Die Ausschaltung der politischen Linken und die Massaker 1965/66
Die neue Regimekoalition bestand anfänglich, also in der Phase der Mobilmachung
gegen Sukarno und seine Anhänger sowie gegen die PKI und ihre Sympathisanten,
aus Studenten sowie aus Teilen der liberaldemokratischen und der konservativen
städtischen Mittelklasse, großen Teilen des Militärs und der Bürokratie sowie den
häufig orthodox-islamischen Groß- und Mittelbauern. Sie verband eine politisch
oder religiös begründete antikommunistische Haltung, die sich häufig aus einem
dumpfen Ressentiment speiste. Viele Anhänger der Orba-Regimekoalition waren
offenbar der Meinung, dass die Linke nicht nur politisch entmachtet, sondern "liquidiert"
werden müsse.
Für 1965/66 ist eine Unterscheidung in Regierung und Opposition noch nicht eindeutig
vorzunehmen, da es zu dieser Zeit zwei sich bekämpfende Bewegungen gab,
nämlich die angesprochene antisukarnoistische und antikommunistische einerseits
und eine gegen die sich formierende Neue Ordnung gerichtete andererseits. Diese
nun zu Oppositionellen Gestempelten waren es, die vom neuen Regime systematisch
ausgeschaltet oder gar vernichtet wurden.
Die Studenten, die 1965/66 maßgeblich an der schrittweisen Ablösung Sukarnos
beteiligt waren, organisierten sich in einer vom Militär, namentlich von Kemal Idris,
Sarwo Edhie und Widodo, unterstützten und vom damaligen Bildungsminister Generalmajor
Thayeb mitgegründeten Einheitsfront KAMI. 1 Die KAMI-Aktivisten
formulierten "Drei Forderungen des Volkes" (Tritura = Tri Tuntunan Rakyat): Das
waren die nach einem Verbot der PKI, nach einer Senkung der wichtigsten Verbrauchsgüterpreise
und nach dem Rücktritt der mit den Putschisten irgendwie in
Verbindung stehenden Minister, die im Übrigen noch in dem von Sukarno geführten
Kabinett saßen. Mit großen Demonstrationen, an denen sich bis zu einer Million
Menschen beteiligten, gelang es den gegen Sukarno eingestellten Studenten, den
Stimmungsumschwung zugunsten Suhartos mit zu erzeugen. Dabei wurden sie u.a.
von Aktivisten angeführt, die später mit hoch bezahlten Posten entlohnt wurden (die
Wanandis, David Napitupulu, Zamroni, Cosmas Batubara etc.). In der durch die
Tritura in einem Grundkonsens verbundenen aktiven Studentenschaft gab es verschiedene
Strömungen: so etwa eine säkular-modernistische, die sich für ein Politikkonzept
des Pluralismus und für eine Stärkung der Marktkräfte einsetzte, und eine
modernistisch-islamische, die durch die "Islamische Studentenvereinigung" HMI 2
repräsentiert wurde und die in der KAMI zahlenmäßig dominierte. Neben denjenigen
Intellektuellen, die von vornherein ein autoritär verfasstes System anstrebten,
1 Kesatuan Aksi Mahasiswa Indonesia = Aktionseinheit indonesischer Studenten. Deren ca. 10.000 Mitglieder
formierten sich nach dem Verbot durch Sukarno im Februar 1966 neu in der "Schüler-
Einheitsfront" KAPPI (Kesatuan Aksi Pemuda Pelajar Indonesia). Die Militärs garantierten den Demonstranten
Protektion und versprachen materielle Entschädigungen.
2 Himpunan Mahasiswa Islam.
307

308
Oppositionelle Gruppen
das eine schnelle ökonomische Modernisierung ermöglichen sollte, gab es andere,
die auf eine Abkehr von den Beschränkungen der Gelenkten Demokratie im politischen,
wissenschaftlichen und journalistischen Bereich hofften. Aber schon am
Ende des Jahres 1966 kündigten die Militärs die Koalition mit den Intellektuellen
auf, und die Studenten verschwanden mit der Losung kembali ke kampus ("zurück
zum Campus") aus der Öffentlichkeit.
Durch die Massaker und die Massenverhaftungen wurde ein großer Teil der linken
Opposition ausgelöscht oder langfristig mundtot gemacht. Mit Hilfe des neu installierten
Repressionsapparates wurde die Äußerung selbst gemäßigter Kritik wesentlich
erschwert.
Die Ermordung von mehreren Hunderttausend Kommunisten, vermeintlichen PKI-
Parteigängern und sonstigen, in irgendeiner Weise für irgendwelche Gruppen missliebigen
Personen ist vor dem Hintergrund der explosiven Atmosphäre am Ende des
Jahres 1965 erklärlich. Zum einen war eine antikommunistische Stimmung in dieser
Phase weit verbreitet, zum anderen dürften der Lubang-Buaya-Mythos 3 , die Schauprozesse
4 und die allgemein verbreitete Auffassung, dass die PKI einen Putschversuch
unternommen habe, die Bereitschaft zur gewaltsamen Lösung lange unterdrückter
Konflikte erhöht haben.
Die Massaker waren mit großer Wahrscheinlichkeit nur deshalb so brutal und forderten
so viele Opfer, weil das Militär z.T. selbst Hand anlegte und die Zivilbevölkerung
ausdrücklich zu den Bluttaten aufforderte und sie unterstützte. 5 Die Aktionen,
die trotz der vermuteten Stärke der PKI keinen bedeutenden Widerstand dieser
Partei hervorriefen, begannen schon einige Wochen nach dem 1. Oktober in Mittel-
3 Im Lubang Buaya, dem "Krokodilsloch", waren die Leichen der Generäle versenkt worden. Das Militär
hatte verbreiten lassen, dass von PKI-Chef Aidit angestachelte Gerwani-Mitglieder ihre Untaten in einer
Art sadomasochistischem Rausch begangen hätten. Dazu gehörten angeblich der laszive "Tanz der duftenden
Blumen", Entmannungen, das Ausstechen von Augen, sexuelle Obszönitäten etc. Interessanterweise
konnte sich dieser Mythos in der Bevölkerung und in der offiziellen Propaganda halten, obwohl
Suharto selbst am 12. Dezember 1965 die Journalisten wegen dieser Berichterstattung verurteilte. Spätestens
seit 1987 - nach der Publikation der Autopsieberichte - gilt die Armeepropaganda außerhalb Indonesiens
als widerlegt (Anderson 1987).
4 In mehreren Schauprozessen (1966) gegen den den PKI-Führer Nyono, den ehemaligen Außenminister
Subandrio, den ehemaligen Minister für Zentralbankangelegenheiten Yusuf Muda Dalam und den ehemaligen
Luftwaffenkommandeur Omar Dhani wurde vor den Militärgerichten die Version der Neuen Ordnung
durch systematische Einschüchterungen, Folterungen und die Manipulation von Beweismitteln und
Zeugen gestützt (Dahm 1978, 170f; Sundhaussen 1982, 245ff). Außerdem dienten diese Prozesse dazu,
Sukarnos Vorliebe für Prunk und Ausschweifungen bloßzustellen. Insbesondere im Yusuf-Muda-Dalam-
Prozess wurde das dekadente Luxusleben der Jakarta-Elite durchleuchtet. Yusuf soll nach Zeugenaussagen
ebenso wie Sukarno nach Belieben über große Geldsummen, die teilweise von Importeuren für
Vergünstigungen zu zahlen waren, verfügt haben. Der von vielen Indonesiern vergötterte Sukarno wurde
nach 1965 immer mehr zur tragischen Gestalt.
5 Bourchier (1996, 145) meint sogar, dass ohne die teils nur logistische, teils aktive Unterstützung und die
Anstachelung durch das Militär nur wenige Hundert Menschen umgebracht worden wären. Auch Young
(1990b), van Langenberg (1990b) und Robinson (1996) sehen in den Massakern keine spontanen Aktionen
der aufgebrachten Landbevölkerung, sondern größtenteils geplante und mit Berechnung durchgeführte
Morde.

Die Opposition bis Ende der 80er Jahre
java und breiteten sich dann in die anderen Teile Javas und nach Bali aus. In diesen
Gebieten war die Zahl der Opfer am größten. In Mittel- und Ostjava arbeitete die
Fallschirmjägereinheit RPKAD unter Sarwo Edhie mit Verbänden der NU-
Jugendorganisation Ansor zusammen. Ansor war vorher vom Militär in Kurzlehrgängen
ausgebildet worden. Die Massaker in Java z.B. wurden vom religiösen und
politischen Gegensatz zwischen santri und abangan mit bestimmt.
Aber auch auf den Außeninseln kam es zu Rache- und Vernichtungsfeldzügen in
sehr unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlichen Motiven und Hauptakteuren.
6 In einigen Gebieten spielten ethnische Konflikte (Nord-, Ost- und Südsumatra
sowie Westkalimantan) und religiöse Auseinandersetzungen (Bali, Java, Aceh etc.)
eine wichtige Rolle. In anderen Gebieten (z.B. nach einigen Quellen Madura, aber
auch Westjava) kam es nur vereinzelt zu Übergriffen, weil die PKI in diesen Gebieten
relativ schwach war.
Schon im März 1966 wurden die meisten Attacken eingestellt, einzelne Gemetzel
sind aber noch bis in das Jahr 1969 hinein belegt. Da sie nicht generalstabsmäßig
geplant waren, sind über die Ausmaße nur grobe Schätzungen möglich; die meisten
Autoren schätzen die Zahl der Opfer auf etwa 500.000. 7 Wenn man bedenkt, dass
insgesamt ca. 1,5 Millionen Indonesier wegen angeblicher Verbindungen zur
"Gestapu" oder zur PKI ins Gefängnis mussten, erscheint die geschätzte Opferzahl
nicht übertrieben. 8 Das Erstaunliche an den Massakern war, dass es so wenige Informationen
über sie gab und dass sie in der Neuen Ordnung totgeschwiegen, aber
auch von ausländischen Wissenschaftlern so selten zur Sprache gebracht wurden.
Cribb 9 weist darauf hin, dass die große Zahl von Tätern und Mitwissern und die
große Brutalität der Ermordungen den Aufbau der fest gefügten Diktatur erleichtern
konnten. Die Neue Ordnung wurde also durch die Massaker von Anfang an stabilisiert:
zum einen, weil die politische Linke weitgehend ausgelöscht oder in Gefängnisse
gesperrt wurde und weil allein der Verdacht, Beziehungen zur PKI gehabt zu
haben, jeden (selbst noch 1988 den Vizepräsidenten Sudharmono) jederzeit treffen
und symbolisch hinrichten konnte. Zum anderen, weil die Machtelite das Wissen um
die wirkliche Rolle der PKI und die eigentlichen Motive der Massaker teilte.
In den Jahren nach den Massakern wurden einige Gruppen, die bei der Durchsetzung
der Neuen Ordnung noch so wichtige Dienste geleistet hatten, an den Rand
gedrängt. Einige Studentenaktivisten wurden durch Golkar bzw. die Murtopo-
Gruppe kooptiert, andere eher liberaldemokratisch oder sozialdemokratisch orientierte
Studentenführer, die sich von der Machtübernahme Suhartos anderes erwartet
6 Vgl. Cribb 1990, Young 1990b.
7 Vgl. die Auflistung in: Cribb 1990, 12. Interessanterweise hat sogar der damalige Kopkamtib-
Kommandeur Sudomo im Juli 1976 eine Zahl von 450.000-500.000 angegeben. Im Laufe der Jahre hat
die geschätzte Anzahl durchschnittlich zugenommen. Einige Studentenaktivisten gehen heute sogar von
bis zu 1,5 Millionen Toten aus.
8 1965 soll es etwa 300.000 PKI-Kader und ca. 2 Mio. Parteimitglieder mit einer intensiveren Schulung
gegeben haben. Auch die Anzahl der ehemaligen Häftlinge ist geschätzt (Cribb 1990, 41f). Es gibt allerdings
auch andere Zahlen: nach Fealy (1995, 3) wurden 600.000 - 750.000 Menschen in den Jahren 1965
bis 1975 festgenommen.
9 Cribb 1990.
309

310
Oppositionelle Gruppen
hatten, versuchten, unabhängig zu bleiben. Auch die 1965/66 so wichtigen muslimischen
Gruppen wurden nach und nach ausgebootet.
Die Beschränkung des Handlungsspielraumes der Opposition:
Straf- und Presserecht
Neben dem bereits angesprochenen Überwachungsapparat, der aus Geheimdiensten
und korporatistischen Organisationen bestand und sich auf das Zusammenspiel von
Verwaltung, Militär und Massenorganisationen auf allen Verwaltungsebenen stützte,
hatte die Regimekoalition schon frühzeitig zwei hochwirksame Instrumente entwickelt,
um die Opposition zu kontrollieren: Nämlich ein z.T. aus der Kolonialzeit
stammendes Strafrecht und ein Presserecht, das dem Informationsminister die Möglichkeit
gab, Publikationsverbote auszusprechen.
Das Straf- und das Strafprozessrecht als politische Instrumente
Das Rechtssystem der Neuen Ordnung diente der Bekämpfung Oppositioneller. Es
gab de facto keine einklagbaren Rechte der Bevölkerung bei Auseinandersetzungen
mit Behörden, und die Justiz selbst konnte administrative Entscheidungen nicht auf
ihre Gesetzlichkeit hin prüfen. Verfassungsrechtliche Streitigkeiten waren ebenso
unbekannt. Das Strafprozessrecht sowie ergänzende Gesetze waren in wichtigen
Abschnitten so allgemein formuliert, dass die Position des Angeklagten und seines
Verteidigers insgesamt sehr schwach war. 10 Amnesty International fasst dies in einem
Bericht so zusammen:
"Politische Prozesse in Indonesien und Osttimor sollen eindeutig der Abschreckung dienen.
Diese Schlussfolgerung muss sich aufdrängen angesichts der oftmals extrem vage
formulierten Anklageschriften, der meist ungesicherten Beweislage und der drakonischen
Strafzumessungen. Sie werden darüber hinaus in der Absicht geführt, das Trugbild von
Indonesien als einem nach rechtsstaatlichen Grundsätzen regierten Land zu pflegen. Tatsächlich
jedoch mangelt es politischen Prozessen in jeder Hinsicht an Rechtsstaatlichkeit."
11
Aussagen wurden häufig unter Folter erzwungen. Das Kreuzverhör von Zeugen der
Staatsanwaltschaft war oft nicht möglich, und Zeugen wurden nicht zugelassen.
10 Es seien an dieser Stelle nur einige Merkmale des indonesischen Rechtssystem genannt: a) Justizbeamte
waren Mitglieder von Korpri und indirekt auf Golkar verpflichtet; b) Richter und Staatsanwälte waren
käuflich, und es war gängige Praxis in der Neuen Ordnung, durch Bestechung das gewünschte Urteil zu
kaufen; c) Richter und Staatsanwälte waren insbesondere in politischen Verfahren erheblichem Druck
durch die Machthaber ausgesetzt; d) die starke Stellung des Präsidenten und vieler Bürokraten äußerte
sich in Form von Präsidialdekreten (Keppres) und Verwaltungsverordnungen, die oftmals willkürlich
erlassen wurden; e) aufgrund der fehlenden Komplexität des indonesischen Rechtssystems und der beschleunigten
strukturellen Veränderungen der Ökonomie kam es zunehmend zu einer Inkompatibilität
von Rechtsnorm und gesellschaftlicher Wirklichkeit; f) es gab kaum Möglichkeiten der gerichtlichen
Nachprüfung; zwar wurden in den letzten Jahren der Neuen Ordnung Verwaltungsgerichte geschaffen, sie
waren aber besonders der Manipulation durch höhere Stellen ausgesetzt; ein Verfassungsgericht existierte
nicht.
11 Amnesty International 1994, 128.

Die Opposition bis Ende der 80er Jahre
Außerdem gab es Mängel bei der Beweisaufnahme und zahlreiche Einflussnahmen
durch Regierungs- und Militärbehörden.
In der Gelenkten Demokratie war die Justiz keine unabhängige Gewalt, sondern
nach einem Gesetz aus dem Jahre 1964 ein Instrument zur Vollendung der Revolution
gewesen. Präsident Sukarno hatte das Recht, in jeden Prozess unmittelbar einzugreifen.
12 Suharto hatte offiziell nicht mehr diese direkten Eingriffsmöglichkeiten,
doch die Richter und Staatsanwälte waren in Wirklichkeit keineswegs unabhängig.
Sie waren als Staatsbeamte und Korpri-Mitglieder an die Weisungen des Innenministers
gebunden und hatten die Politik der Regierung zu unterstützen. Außerdem
mussten sie dem Justizminister loyal ergeben sein. 13 Amtsrichter konnten jederzeit
versetzt werden und waren darüber hinaus aufgrund der niedrigen Gehälter bestechlich.
14 Sie arbeiteten in Strafprozessen eng mit den lokalen Vertretern der Polizei und
des Militärs zusammen.
Die 1981 erneuerte Strafprozessordnung KUHAP15 verbesserte die Stellung des
Angeklagten. Die neue KUHAP führte eine zeitliche Begrenzung der Untersuchungshaft,
das Prinzip der Unschuldsvermutung, das Recht auf Öffentlichkeit des
Verfahrens, die Strafverteidigung vom Moment der Verhaftung an und vor allem
Anhörungen im Vorverfahren ein. 16 Dennoch war die Willkür der Strafverfolgungsbehörden
bei Vernehmungen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen groß, zumal
der Laksusda, also der örtliche Verantwortliche des militärischen Geheimdienstes,
die Anklagevertretung mit allen Mitteln unterstützte. Das Antisubversionsgesetz, das
nicht in das Strafgesetzbuch aufgenommen war und dessen Verletzung sogar Todesstrafen
zur Folge haben konnte, war lange das Hauptinstrument zur Einschüchterung
und Aburteilung von Oppositionellen. 17 In ihm waren Bestimmungen nur vage ausgeführt,
so dass nahezu jeder Staatsbürger kriminalisiert werden konnte:
"They contain in fact a wide range of activities which it is considered could endanger not
only the security and authority of the state Pancasila ideology, but public and social order
for industry, production, and so on. Additionally, one can be punished for expressing
sympathy with an enemy of Indonesia or with a state which is not on friendly terms with
it." 18
Unter anderem bei den Prozessen gegen die Studenten Hariman Siregar, Theo L.
Sambuaga und Syahrir nach der Malari-Affäre, gegen Heri Akhmadi und Lukman
Hakim nach den Studentenprotesten (1977/78) und gegen Dharsono, A.M. Fatwa
12
Lev 1978, 50.
13
Orentlicher 1988, 131.
14
Über diese Bestechlichkeit wurde auch in den Massenmedien offen berichtet: vgl. Forum Keadilan
19.1.1995.
15
Kitab Undang-Undang Hukum Acara Pidana.
16
Orentlicher 1988, 134; Hart 1987, 169; Amnesty International 1994, 65ff; Lubis 1993, 109ff.
17
"Zentrale Vorschriften der Strafprozessordnung, die den Schutz der Rechte inhaftierter Personen garantieren,
finden auf Gefangene, die der «Subversion» verdächtig sind, keine Anwendung", Amnesty International
1994, 62.
18
Hart 1987, 198.
311

312
Oppositionelle Gruppen
und einige islamische Prediger nach den Tanjung-Priok-Ereignissen wurden solche
Subversionsvorwürfe erhoben.
Eine nur selten angewendete Bestimmung des Strafgesetzbuches schließlich war der
aus der Kolonialzeit stammende Haatzai-Artikel. Nach ihm wurden Personen angeklagt,
die öffentlich Äußerungen über die Regierung oder über ethnische bzw. religiöse
Gruppierungen machten und dabei "Gefühle der Feindschaft" erzeugten, also
"Hass säten". 19 Der indonesische Schriftsteller Rendra wurde beispielsweise 1978,
nachdem er im Jakartaer Kulturzentrum Taman Ismail Marzuki Gedichte vorgetragen
hatte, aufgrund dieses Artikels mehrere Monate inhaftiert, ohne am Ende verurteilt
zu werden. In den 90er Jahren wurde diese strafgesetzliche Bestimmung wieder
häufiger angewandt, etwa gegen Nuku Sulaiman, der Sticker mit den Präsidenten
beleidigenden Slogans verteilt hatte, und gegen 21 Studenten, die 1993 vor dem
DPR für die Freilassung Nukus demonstriert hatten. 20
Statt des Antisubversionsgesetzes wurden in den 90er Jahren zunehmend auch andere
Paragraphen des Strafgesetzbuches zur politischen Verfolgung Oppositioneller
instrumentalisiert, wie die Paragraphen über "Präsidentenbeleidigung" (Sri Bintang
Pamungkas) 21 , "Aufrührerei" (M. Pakpahan) und "Störung der nationalen Sicherheit"
(Xanana Gusmão).
Die Kontrolle der Medien
Die Presse der Neuen Ordnung konnte freizügiger berichten als die Presse in den
meisten anderen südostasiatischen Ländern. Diese relative Offenheit hatte aber wenig
mit wirklicher Pressefreiheit zu tun. Die Unterdrückung freier Meinungsäußerungen
betraf die einheimische und die ausländische Presse. 22 Zwar war in der Verfassung
von 1945 die Pressefreiheit festgeschrieben worden, sie wurde aber in der
Neuen Ordnung als eine "verantwortliche Freiheit" interpretiert. Das heißt, dass
auch die indonesischen Journalisten zur Propagierung und Verwirklichung der Pancasila,
also zur uneingeschränkten Loyalität der Regierung gegenüber, verpflichtet
waren.
Seit dem Oktober 1958 mussten Tageszeitungen und Magazine eine Publikationslizenz
erwerben. Außerdem wurden in dem MPRS-Edikt No. 11/1959 die Massenmedien
verpflichtet, die Regierungspolitik zu unterstützen. Seit 1961 konnte die Publikationslizenz
nur erworben werden, wenn die betreffende Tageszeitung oder das
betreffende Magazin einer legalen politischen Partei oder Massenorganisation ange-
19 Hart 1987, 201; Amnesty International 1994, 62f.
20 Siehe: Indonesian Human Rights Forum 9/1995, 9ff.
21 Siehe Forum Keadilan 29.6.1998, 27. Seit 1971 gab es insgesamt dreißig Fälle. Unter den Angeklagten
befanden sich überwiegend Studenten (allein 1979 14 Studenten), mehrere Journalisten (Ashadi Siregar,
Tri Agus von Kabar dari Pijar und zuletzt der Redaktionsleiter von D&R, Margiono, wegen des Titelbildes),
zwei Parlamentsabgeordnete (Sri Bintang und Aberson M. Sihaloho), ein General (M. Yasin, der
sich 1980 entschuldigte und deshalb nicht verklagt wurde) und sogar ein LKW-Fahrer, der eine Karikatur
des Präsidenten in seinem LKW hängen hatte.
22 Verschiedentlich wurden ausländische Publikationen in Indonesien verboten. Einigen ausländischen
Journalisten verweigerten die Behörden eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.

Die Opposition bis Ende der 80er Jahre
hörte. 23 Diese Maßnahme setzte Sukarno durch, weil er die Presse als ein Instrument
der Revolution betrachtete. Ebenso wie das Militär duldete er keine Kritik an der
Gelenkten Demokratie. Im Februar und März 1965, also lange vor dem Putschversuch,
wurden deshalb in Indonesien 29 Periodika verboten.
Nach dem Putschversuch setzte eine regelrechte Jagd auf alle linken Journalisten
ein. Dabei wurden 46 der 163 Zeitungen verboten, mehrere Hundert Journalisten
entlassen und viele verhaftet. In der Neuen Ordnung waren die Massenmedien weiterhin
gehalten, loyal bzw. "verantwortungsvoll" zu berichten. Kopkamtib hatte die
inoffizielle SARA-Regel (auch: MISS SARA) verbindlich gemacht, nach der Berichte,
die Spannungen zwischen Ethnien (Suku), Religionen (Agama), Rassen (Ras)
und zwischen Gruppen bzw. Klassen (Antar golongan) auslösen konnten, verboten
waren. Um von vornherein sicherzustellen, dass die privaten Verlage 24 die vorgegebenen
Grenzen nicht überschritten, unterhielten das Informationsministerium, die
Generalstaatsanwaltschaft, das Staatssekretariat, das Militär und die Polizei ständigen
Kontakt mit den verantwortlichen Verlegern und Redakteuren. 25 Ihnen wurden
in informellen Treffen oder telefonisch in Gestalt einer so genannten "Telefonkultur"
(Budaya Telepon) Instruktionen gegeben. So wurden z.B. bei den "mysteriösen
Erschießungen" und bei der "Petition der 50" Nachrichtensperren verhängt, und bei
dem Tanjung-Priok-Vorfall (1984) leitete Benny Murdani eine offizielle Version an
die Presseorgane weiter. 26
Mit der SIUPP-Regelung 27 konnten nicht nur einzelne Publikationen verboten werden;
es konnte der ganze Verlag zur Verantwortung gezogen werden. 28 Der Informationsminister,
der offiziell mit einem Presserat zusammenarbeitete, hatte seit 1984
sogar die Möglichkeit, ohne gerichtlichen Beschluss jedem Blatt die Publikationserlaubnis
zu entziehen. 29 Der Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt war also hochgradig
reguliert. Sowohl die Zahl der Lizenzen als auch die Inhalte wurden staatlich festgelegt
bzw. kontrolliert. Mit der Lizenz wurde der Umfang, das Fachgebiet und die
Zusammensetzung der Redaktion festgeschrieben. 30 Bei Veränderungen musste eine
neue Lizenz beantragt werden.
Die Zensur betraf nicht nur Zeitungen und Zeitschriften, sondern auch wissenschaftliche
Publikationen und Belletristik, wie etwa das Werk des bekanntesten indonesi-
23
Thoolen [Hg.] 1987, 97.
24
Zwar gab es mehrere große regierungsnahe Tageszeitungen, wie Berita Yudha, Suara Karya und Angkatan
Bersenjata, aber die meisten Publikationen wurden von privaten Verlagen, oft sinoindonesischen,
herausgebracht.
25
Lubis 1993, 265ff. Zur Kontrolle der Presse: Yasuo Hanasaki 1998, 37ff.
26
Orentlicher 1988, 224.
27
SIT = Surat Izin Terbit, seit 1982 SIUPP = Surat Izin Usaha Penerbitan Pers.
28
Inside Indonesia März 1992, 14.
29
Einer der Pressezaren Indonesiens, Surya Paloh, versuchte 1993 den Obersten Gerichtshof zu einer
Revision dieser Bestimmung zu veranlassen, scheiterte aber wie erwartet. Im Presserat waren ab 1994
mehrere Militärs, darunter der Kommodore a.D. Emir Mangaweang als Generalsekretär des Informationsministeriums,
GM Sukarno von der Generalstaatsanwaltschaft und BG Sutoyo, der Generaldirektor
für soziopolitische Angelegenheiten im Innenministerium (Lowry 1996, 208f).
30
Im Laufe der Zeit kam es dann oft zu Abweichungen vom ursprünglich festgelegten Fachgebiet. Das
Rechtsmagazin Forum Keadilan z.B. berichtete fast ausschließlich über Politik.
313

314
Oppositionelle Gruppen
schen Schriftstellers, Pramudya Ananta Tur, oder Aufführungen von Rendra oder
des Teater Koma. Schon in den 70er Jahren zeichnete sich wegen der dauernden
Zensur eine Depolitisierung der Literatur und der bildenden Künste ab:
"Absent is the intent of direct engagement in social and political processes. The literary
and artistic images of the early 1960s, depictions in realistic mode of the sufferings and
preoccupations of the rakyat - the ordinary people-disappear, along with their authors'
sense of participation in social debate and political struggle." 31
Die ersten Jahre der Neuen Ordnung bis zur Malari-Affäre (1974) waren noch durch
eine relative Offenheit in der Presseberichterstattung geprägt. 32 Erst danach wurde
die Politik des Informationsministeriums restriktiver. Unmittelbar nach der Malari-
Affäre wurden eine Zeitschrift und elf Tageszeitungen verboten (darunter die sehr
erfolgreichen und kritischen Blätter von Studentenaktivisten wie Harian KAMI und
Mahasiswa Indonesia), von denen fünf ihr Erscheinen ganz einstellen mussten. 33
Anfang 1978, also nach dem hitzigen Wahlkampf und vor der umstrittenen Wiederwahl
Suhartos, mussten sieben Tageszeitungen schließen und durften erst nach
schriftlichen Loyalitätserklärungen ihrer Herausgeber wieder erscheinen. 34 Im Jahre
1986 musste Sinar Harapan, die drittgrößte Tageszeitung, nach Diskussionen über
eine Begrenzung der Amtsdauer des Präsidenten und Berichten über die Rupiah-
Abwertung, ihr Erscheinen einstellen, konnte aber unter einem anderen Namen (Suara
Pembaruan) neu herausgebracht werden. 35 1990 wurde Sinar Pembaruan zeitweise
die Lizenz entzogen, weil sie über die Misshandlung von Gefangenen berichtet
hatte. 36 Im Juni 1994 schließlich ließ Harmoko in einem Rundumschlag Tempo,
DëTik und Editor aus dem Verkehr ziehen.
31 Hatley 1994, 225. Zur Zensur: Lubis 1993, 253ff. Pramudya Ananta Tur wurde 1925 in Jetis, Blora,
Mitteljava, geboren. 1947-49 befand er sich in niederländischer Gefangenschaft. Danach war er Redakteur
beim Verlag Balai Pustaka (1950/51) und hielt sich kurze Zeit in den Niederlanden auf (1953/54).
Als Mitglied der später verbotenen Künstlerorganisation Lekra galt er als Anhänger des Sozialistischen
Realismus. 1965-79 war er Gefangener auf der Insel Buru und schrieb dort einige seiner bedeutendsten
Romane. Danach lebte er in Jakarta in Stadtarrest. In der Neuen Ordnung waren seine Werke verboten.
Rendra studierte in den USA und gründete nach seiner Rückkehr 1967 in Yogyakarta eine Theatergruppe,
die u.a. Adaptationen westlich-klassischer Stücke ausarbeitete. Er hatte insgesamt 7 Jahre Aufführungsverbot.
Seine Stücke handelten wie "Suku Naga" von Landkonfiszierungen in einem alten Königreich
oder wie "Sekda" von hohen, korrupten Beamten (Hatley 1994, 226ff). Das Teater Koma unter Riantiarno
trat gleichfalls mit politisch-satirischen Theaterstücken auf, etwa im Taman Ismail Marzuki mit Suksesi.
32 Ausführlich dazu: Abar 1995.
33 Der Herausgeber von Indonesia Raya, Mochtar Lubis, wurde 2 1/2 Monate inhaftiert. Lubis, der schon
unter Sukarno im Gefängnis gesessen hatte und bis heute zu den bekanntesten Schriftstellern und Journalisten
Indonesiens gehört, hatte mehrfach über Korruptionsskandale berichtet.
34 Thoolen (Hg.) 1987, 104f.
35 FEER 30.10.1986; Orentlicher 1988, 216ff.
36 Der Umfang der Tageszeitungen war ohnehin schon auf zwölf Seiten, wovon 35% für Werbezwecke
genutzt werden durften, beschränkt, um auf diese Weise die finanzielle Basis der Verlage zu schwächen.
Festgesetzte Seitenzahlen, Seitengrößen und Anzeigenanteile gab es auch für Zeitschriften (Thoolen
(Hg.) 1987, 103).

Die Opposition bis Ende der 80er Jahre
Sudomo versprach im Jahr 1990, dass Drucklizenzen nicht mehr aufgehoben werden
würden, widerrief diese Aussage aber bereits im November desselben Jahres. Harmoko
hatte zwischenzeitlich zugestimmt, allerdings mit dem Zusatz, dass die Rücknahme
von Publikationslizenzen weiterhin erwogen werden müsse. In den letzten
Jahren wurde die Diskussion um eine Lockerung der Pressegesetze bis ins Parlament
hineingetragen, und es konnte Anfang der 90er Jahre sehr viel offener berichtet
werden als noch einige Jahre zuvor. So konnten sich interessierte Indonesier recht
genau über das Dili-Massaker, die Kriegsschiffaffäre, die Publikationsverbote, die
Auseinandersetzungen in der PDI und den "Sabtu Kelabu" informieren. Die Berichterstattung
zum Massaker in Tanjung Priok oder zu den "mysteriösen Erschießungen"
etwa zur gleichen Zeit tauchten in den Zeitungen und Zeitschriften jener Tage
fast nicht oder nur mit sehr eingeschränktem Informationsgehalt auf.
Die Opposition bis Ende der 80er Jahre
Die Studentenproteste Anfang der 70er Jahre und die Malari-Affäre
Seit 1970 mehrten sich Proteste, die z.T. von denen ausgingen, die die Neue Ordnung
am Anfang noch unterstützt hatten. 37 Dazu zählten Proteste im Zusammenhang
mit der Antikorruptionsbewegung38 , die Golput-Bewegung39 und in den Jahren
1971/72 Demonstrationen gegen das Taman-Mini-Projekt. Die "Anti-Mini-
Kampagne" Anfang 1972 wendete sich gegen die Errichtung eines Freizeitparkes, in
dem Indonesien im Kleinformat nachgebildet werden sollte. Der für dieses Projekt
verantwortlichen Frau Suharto wurde die Verschwendung öffentlicher Gelder vorgeworfen.
40 1973 folgten die langwierigen parlamentarischen und außerparlamentarischen
Auseinandersetzungen wegen der Ehegesetze. In jenem Jahr entstand eine
Studentenbewegung, die gegen Korruption, Machtmissbrauch, Preiserhöhungen und
den übermäßigen Zufluss ausländischen Kapitals protestierte.
Die Demokratisierung in Thailand im Oktober 1973 machte einen nachhaltigen
Eindruck auf die indonesischen Studenten. Außerdem ermunterte Kopkamtib-
Kommandeur Sumitro sie zu ihren Protestaktionen. Er machte im November 1973
seine Tour durch mehrere indonesische Universitäten und sprach etwas abstrakt
davon, dass die Kommunikation mit den Studenten verbessert werden solle und dass
ein "neuer Führungsstil" erforderlich sei, der mit Beginn des neuen Fünfjahresplanes
37
Vgl. Raillon 1984, Kap. 3 und Abar 1995, 171ff.
38
In einem im Juli 1970 gegründeten "Komite Anti Korupsi" ging es um die Veröffentlichung eines
Kommissionsberichtes über Korruption.
39
Golput = Golongan Putih (Weiße Gruppe), d.h. diejenigen, die bei den Wahlen aus Zeichen des Protestes
einen leeren oder ungültigen Stimmzettel abgeben. Initiiert von einem der Symbole der Demokratiebewegung,
Arief Budiman. Budiman, Arief: 1941, Sinoindonesier, S1 in Psychologie (UI), Soziologe,
Unterzeichner eines gegen den sozialistischen Realismus gerichteten Manifestes (Manikebu), 66er-
Generation, Anfang der 70er Jahre in der Studentenbewegung, Dissertation 1981 in Harvard über die
politische Entwicklung in Chile Anfang der 70er Jahre, Dozent an der Universitas Kristen Satyawacana in
Salatiga, dort entlassen, jetzt Professor in Australien.
40
Fremerey 1978, 51ff.
315

316
Oppositionelle Gruppen
gepflegt werden solle. Im September desselben Jahres hatte die Sumitro-Gruppe
eine Demonstration muslimischer Studenten im Parlamentsgebäude gegen die von
der Murtopo-Gruppe betriebene Änderung des Ehegesetzes geduldet. 41 Am 24. Oktober
verlasen UI-Studenten auf dem Heldenfriedhof eine Resolution gegen die
Korruption, die Preissteigerungen, den Machtmissbrauch insbesondere durch die
Assistenten des Präsidenten und die unzureichende politische Repräsentation des
Volkes. Ende des Jahres kam es zu weiteren Protesten, und im Januar 1974 formulierten
die Studenten ihre "drei Forderungen des Volkes", Tritura '74, also die Auflösung
des Aspri, Preissenkungen und die Ausrottung der Korruption. In dieser Zeit
richteten sich die Angriffe besonders auf die Aspri-Gruppe, die cukong und die als
durch und durch korrupt geltende Frau des Präsidenten.
Diese eher gemäßigte Kritik wurde nicht von einer hoch organisierten, anspruchsvoll
argumentierenden Studentenbewegung vorgetragen, sondern von angehenden
Akademikern, die ihren Protest mit dem Verweis auf ihre überlieferte Rolle als einer
angesehenen, zu moralischer Kritik berufenen Elite legitimierten. Die politisch aktiven
Studenten verstanden sich überwiegend als eine moralische Instanz, die bei
Fehlentwicklungen als Korrektiv zu fungieren habe.
Am 12. Januar hatte schließlich Suharto sogar mit ca. 100 Studenten eine Unterredung
gehabt und wie erwartet versprochen, ihre Forderungen ernst zu nehmen. Dieser
letzte Vermittlungsversuch wurde von den Studenten aber als Täuschungsmanöver
betrachtet.
Der eigentliche Auslöser der Unruhen Anfang 1974 war der Staatsbesuch des japanischen
Premierministers Kakuei Tanaka. Tanakas Besuche in Bangkok und Kuala
Lumpur zuvor waren bereits von Studentendemonstrationen begleitet gewesen. 42 Am
15. Januar kam es dann in Jakarta zu den größten Unruhen seit Bestehen der Neuen
Ordnung. Tausende von Studenten beteiligten sich an Protestmärschen. Nachmittags
begannen die Brandstiftungen, Zerstörungen und Plünderungen in verschiedenen
Teilen Jakartas durch bis zu 100.000 Protestierende. Sie richteten sich direkt gegen
Symbole der japanischen Wirtschaftsmacht (etwa die Astra-Toyota-Ausstellungsräume)
und gegen die japanische Delegation, die sich im President Hotel aufhielt.
Das Einkaufszentrum in Pasar Senen, in dem vor allem ausländische Waren an die
kaufkräftige Mittel- und Oberklasse verkauft werden, wurde geplündert und ging in
Flammen auf. Insgesamt wurden über 1.000 meist japanische Autos und 144 Gebäude
beschädigt oder zerstört. Das Militär erschoss 13 Menschen. Außerdem gab
es zahlreiche Verletzte und - nach Kopkamtib-Angaben - 883 Festnahmen. Regierungskritische
Studenten und Intellektuelle, aber auch ein Teil der verarmten Bevölkerung
Jakartas, also Arbeiter, becak-Fahrer, Kleinhändler und Arbeitslose, waren in
die Ereignisse verwickelt.
41 Southwood/Flanagan 1983, 181ff.
42 Deshalb gibt es auch die These, dass innerjapanische Konflikte diesen merkwürdig gehäuft auftretenden
Protesten zugrunde gelegen haben könnten.

Die Opposition bis Ende der 80er Jahre
Schon ab dem 16. Januar wurden mehrere Zeitschriften und Zeitungen verboten.
Außerdem nutzte das Militär die Gelegenheit, insgesamt 45 missliebige Oppositionelle
wegen angeblicher Verwicklung in den Malari-Vorfall zu verhaften. 43
Obwohl die Studentenbewegung so brutal niedergeschlagen wurde, konnten die
Studenten zumindest einen Teil ihrer Ziele verwirklichen. Am 28. Januar gab Suharto
nämlich die Auflösung des Aspri und Veränderungen in der Investitionsgesetzgebung
bekannt. Außerdem wurden die höheren Beamten und Offiziere angehalten,
zukünftig auf ostentativen Konsum zu verzichten. Deshalb durften z.B. Luxusautos
für einige Zeit nicht mehr importiert werden.
Insgesamt war die Reaktion Suhartos jedoch eine große Enttäuschung für die indonesische
Opposition. Das Jahr 1974 war insofern ein Wendepunkt, als die letzten
kritischen Periodika vom Markt verschwanden und die ohnehin schon harsche Kontrolle
in allen Gesellschaftsbereichen noch rigider wurde.
Offiziell wurden "verbotene politische Parteien", also Masyumi und die PSI, für die
Ausschreitungen verantwortlich gemacht. Nach der Aspri-Version der Ereignisse
allerdings waren die Studentendemonstrationen von der Sumitro-Gruppe gesteuert
worden. Sumitro wollte demnach die Proteste auf die japanische Verbindung der
Aspri-Gruppe lenken und so von der eigenen Verbindung zu den Technokraten, den
USA, zur IGGI und der Weltbank ablenken. In Wirklichkeit war die Murtopo-
Gruppe mit großer Wahrscheinlichkeit für die Eskalation der Ereignisse verantwortlich.
Insofern waren diese erste Oppositionsbewegung in der Neuen Ordnung und
insbesondere die Malari-Vorfälle zu einem Teil eine Schöpfung interessierter Cliquen
in der Regimekoalition.
Die Spannungen der Jahre 1977/78, die Studentenbewegung und die Gründung von
Fosko, LKB und Petisi 50
Nach der Zurückdrängung der Sumitro-Gruppe im Anschluss an den Malari-
Zwischenfall regte sich 1977 in der Armee erneut Widerstand gegen den Machtmissbrauch
durch Suharto und seine Paladine. Die Pertamina-Affäre hatte jedem
deutlich vor Augen geführt, wie ineffizient und jeglicher Aufsicht entzogen einige
Generäle arbeiteten. Ibnu Sutowo galt als das Paradebeispiel des selbstherrlichen
und korrupten Manager-Generals, der für seine umfassenden Aktivitäten nie geeignet
gewesen war.
Der Widerstand gegen Suharto und seine Günstlinge konzentrierte sich auf die Monate
zwischen den Parlamentswahlen im Mai 1977 und der Präsidentenwahl im
März 1978 und wurde von Studenten und von Angehörigen der Machtelite getragen.
44 Ähnlich wie 1973/74 waren es wieder Studenten, die den aktivsten Teil der
43 Unter ihnen waren der ehemalige PSI-Chef Subadio Sastrosatomo, der ehemalige Sukarno-Berater
Sarbini Sumowinata, der Dozent Dorojatun Kuncoroyakti, die Journalisten Mochtar Lubis und Rahman
Tolleng, die Studentenführer Syahrir und Hariman Siregar sowie die Menschenrechtler Adnan Buyung
Nasution, H.J.C. Princen und Yap Thiam Hien. Der vielleicht bekannteste und angesehenste Intellektuelle
jener Zeit, Sujatmoko, wurde als einer der Hauptverantwortlichen angesehen und durfte keine Auslandsreisen
mehr unternehmen. Die meisten Festgenommenen wurden erst im Mai 1976 wieder freigelassen.
44 Van der Kroef 1984, 213ff.
317

318
Oppositionelle Gruppen
Oppositionsbewegung bildeten. Aber 1977/78 entstand erstmals in der Neuen Ordnung
eine weitgehend unabhängige Studentenbewegung. 45 Sie schlug den früheren
Gouverneur von Jakarta, Ali Sadikin, für das Präsidentenamt vor, besetzte am 14.
September das DPR-Gebäude, um ein "Interimsparlament" zu konstituieren und
karikierte in Theateraufführungen die Machtelite. 46 Die elaborierteste Kritik dieser
Bewegung wurde von der Studentenvertretung des Instituts für Technologie in Bandung
in einem Weißbuch veröffentlicht. 47 In einer Erklärung, die bewusst von dem
offiziellen, respektvollen Tonfall abwich, forderten sie den Präsidenten auf, sein
Amt niederzulegen. Nach einer Darstellung der institutionalisierten Machtkonzentration,
der Korruption und der überaus ungleichen Einkommensverteilung kamen sie
zu dem Schluss, dass nur die Abkehr vom konsumorientierten Lebensstil und von
der "Kultur der Korruption" sowie eine Änderung der gesamten Entwicklungsstrategie
zu einer gerechteren Gesellschaft führen könne. Die Bewegung war auf Java, vor
allem auf die beiden staatlichen Universitäten in Jakarta (UI = Universitas Indonesia)
und Bandung (ITB = Institut Teknologi Bandung) konzentriert und sammelte
sich weniger um die überregionalen, offiziell anerkannten Studentenorganisationen
(HMI, PMKRI usw.) als um die universitären Studentenvertretungen (dewan mahasiswa).
Sie kritisierte zwar die Beziehung zwischen cukong, Militärs und Bürokraten
und die willkürliche Machtausübung der Elite, war aber zu einer umfassenden Analyse
des Herrschaftssystems nicht in der Lage:
"Despite increasing frustration through the seventies, student protest was marked by a
level of reluctance or hesitancy in criticisms of the New Order and its leadership. The regime
was rarely portrayed as misconceived or corrupt from the beginning. Rather it was
argued that it had betrayed its initial ideals and democratic promise. Thus, underlying
much of the student criticism of the seventies was an attempt to understand the shortcomings
of the New Order state as the product of a process of degeneration." 48
Auf die erstarkte Opposition reagierte die Regierung am 20.1.1978 mit der "Normalisierung
des Campus-Lebens" NKK 49 . Sie löste die Studentenvertretungen auf und
ersetzte sie durch "Gremien für die Koordinierung studentischer Angelegenheiten" 50 ,
die fortan von den Universitätsleitungen ernannt wurden. Von den 600 verhafteten
Studenten, die gegen diese Maßnahmen demonstriert hatten, wurden im Jahre 1979
34 zu Gefängnisstrafen bis zu zwei Jahren verurteilt. 51 Im selben Jahr besetzten sogar
kurzzeitig Militärs das ITB in Bandung.
45
Arief Budiman vertrat diese Auffassung in einem Interview mit Inside Indonesia, Dezember 1988, 2ff.
46
Van der Kroef 1984, 212ff.
47
Student Council of the Institute of Technology, Bandung 1978. Vgl. auch die Verteidigungsrede von
Heri Akhmadi (1981).
48
Aspinall 1993, 6; vgl. auch Robison 1986, 128: "They have only begun to make structural analyses
recently, i.e. to realise that the problems they sought to address were not the consequence of the moral
turpitude of the political leaders but a product of factors integral to the structure of the system itself."
49
Normalisasi Kehidupan Kampus.
50
BKK = Badan Koordinasi Kemahasiswaan.
51 Southwood/Flanagan 1983, 189f.

Die Opposition bis Ende der 80er Jahre
Die Kritik wurde jedoch nicht nur von den Studenten und von Politikern geäußert,
sondern kam auch von Seiten des Militärs. Alamsyah Ratu Perwiranegara 52 , der
stellvertretende Vorsitzende des obersten Beratergremiums DPA, der einmal zu den
engsten Beratern Suhartos aus den Reihen des Militärs gehört hatte, äußerte im November
1977 Verständnis für die demonstrierenden Studenten. Er verwies auf die
prekäre ökonomische Lage, insbesondere auf die deutlich erkennbaren Einkommens-
und Besitzunterschiede. Das DPA war zwar im alltäglichen politischen Entscheidungsprozess
bedeutungslos, seine Mitglieder genossen aber ein recht hohes
Prestige und konnten sich jederzeit Gehör verschaffen. Ebenfalls im November 1977
klagte der pensionierte General Nasution vor 20.000 Menschen über eine korrupte
und egoistische Machtelite sowie über den Verlust des Nationalstolzes in den Reihen
von ABRI. 53 Surono (damals stellvertretender Kommandeur der Streitkräfte)
forderte dazu auf, die dwifungsi-Doktrin zu überdenken, und ASEAN-Sekretär
Dharsono meinte Mitte Januar 1978, dass die Neue Ordnung von ihren ursprünglichen
Prinzipien abgekommen sei und die Streitkräfte wieder mehr auf das Volk
hören sollten.
Zur selben Zeit gab es Meldungen über einige Militärs, die mit dem Führungsstil
Suhartos und mit der nationalen Entwicklungsstrategie unzufrieden waren. Mitte
Dezember 1977 traf sich deswegen Suharto für zwei Tage mit 25 Generälen. Auf der
anschließenden Pressekonferenz wurde ein - trügerisches - Bild der Einheit und
Geschlossenheit vermittelt.
In dieser Lage bildeten sich die beiden regimekritischen Gruppen Fosko und LKB. 54
Das "Studien- und Kommunikationsforum" Fosko 55 wurde Ende 1977 gegründet und
1979 von der Armeeführung offiziell anerkannt. Es bestand aus pensionierten Offizieren
und richtete sich auch in erster Linie an die Angehörigen von ABRI. Das
Forum, dem u.a. Dharsono, Mohammad Yasin (ehemaliger Kommandeur in Ostjava
und stellvertretender Armeestabschef) und Mokoginta (ehemals Kommandeur der
Stabs- und Kommandoschule in Bandung) angehörten, versuchte, öffentliche Debatten
über die Rolle des Militärs anzuregen und befürwortete einen zumindest partiellen
Rückzug ABRIs aus der Politik. Die regierungsnahen Kritiker dieses Gesprächskreises
bezeichneten ihn als barisan sakit hati, als "Brigade der Enttäuschten", die
den Verlust ihrer vormals herausragenden Positionen nicht hätten verwinden können.
Wichtiger als Fosko aber war der Bund für Verfassungsbewusstsein LKB 56 , dem
neben pensionierten Militärs und Politikern auch einige Studenten und Geschäftsleute
angehörten. Zu den Mitgliedern des Bundes gehörten neben prominenten Generä-
52
Alamsyah Ratu Perwiranegara: geboren 1925 in Kotabumi, Lampung, ab 1966 Spri-Koordinator,
danach bis 1972 Chef des Staatssekretariats, zeitweise zugleich Setdalopbang, 1972-74 Botschafter in den
Niederlanden, 1975-78 DPA, 1978-83 Religionsminister, danach Koordinierungsminister für Volkswohlfahrt.
53
Cayrac-Blanchard 1993, 16f; Bresnan 1993, 199ff.
54
Vgl. Jenkins 1984, Kap. 4; Bresnan 1993, Kap. 8; van der Kroef 1984, 222ff.
55
Forum Studi dan Komunikasi.
56
Lembaga Kesadaran Berkonstitusi; Vatikiotis 1993, 78f.
319

320
Oppositionelle Gruppen
len wie Dharsono, dem ehemaligen Stabschef des Heeres und der Streitkräfte A.H.
Nasution und dem früheren Polizeichef Hugeng der Exvizepräsident Muhammad
Hatta sowie der frühere Gouverneur von Jakarta, Marinegeneral a.D. Ali Sadikin. 57
Der LKB vertrat ähnliche Ziele wie Fosko. Er unterstützte Bestrebungen nach einer
Entmilitarisierung von Verwaltung und Politik und nach einer vorsichtigen Demokratisierung.
LKB-Leute gehörten auch zu einer Gruppe von 26 Petenten, die im Februar 1980,
als im DPR über ein neues Wahlgesetz debattiert wurde, faire und demokratische
Wahlen forderten, und zu der bekannten Petisi-50-Gruppe, die das Parlament bat,
auf zwei Reden Suhartos, die dieser im März und April 1980 in Pekanbaru und Ciyantung
gehalten hatte, einzugehen. 58 In den Reden auf einer Kommandeurstagung
57 Van der Kroef 1984, 222ff.
58 Jenkins 1984, 157ff. Dharsono, H.R.: Kommandeur der Siliwangi-Division, stark antikommunistisch
orientiert, 1969 erste Kritik an Suharto wegen der Anzahl der Parteien, Botschafter in Thailand und in
Kambodscha, ASEAN-Generalsekretär, in dieser Position 1978 wegen Forderungen nach politischer
Neutralität ABRIs und der Weigerung, diese Äußerungen zurückzunehmen, entlassen, 1985 wurde er
wegen Subversion angeklagt aufgrund seiner Teilnahme an Treffen von Petisi 50 und der Unterschrift
unter das White Paper, ihm wurde vorgeworfen, durch Äußerungen die BCA-Bombenanschläge bewirkt
zu haben, zu 10, dann 7 Jahren verurteilt und 1990 entlassen, Mitglied des FPKR. Fatwa, Andi Mapetahang:
seit 1976 mehrfach inhaftiert (1978 wegen Kritik an kebatinan-Politik), 1985 nach Tanjung-Priok-
Auseinandersetzungen wegen Schriften, Reden und White Paper zu 18 Jahren Haft verurteilt, 1993 entlassen,
danach Annäherung an das Regime. Nasution, Abdul Haris: geboren 1918 in Kotanopan, Südtapanuli,
Nordsumatra, Bataker, orthodoxer Muslim, 1938-40 Lehrer, ausgebildet an der niederländischen
Militärakademie in Bandung, deshalb später einer der Professionalisierer in der Armee, Offizier in der
Kolonialarmee, Kommandeur einer Barisan Pelopor-Abteilung (nicht Peta), ab 1945 TKR/TKI, Siliwangi-Kommandeur
(1946-48), beteiligt an der Niederschlagung der Putschversuche im Juli 1946 und September
1948, dann Java-Kommandeur, Heeresstabschef in den Jahren 1949-52 (entlassen wegen der
Affäre vom 17. Oktober) und 1955-62, hatte den Ruf des Korruptionsbekämpfers, schlug 1957 die Einführung
des Kriegsrechtes vor, für "Mittleren Weg" (in Wirklichkeit eher für "saubere" Militärdiktatur),
unterstützte den Aufbau von Badan Kerja Sama (Gremien für die Zusammenarbeit zwischen dem Militär
und zivilen Organisationen), 1962 Stabschef der Streitkräfte (so von Sukarno abgeschoben), 1962/63 und
1965 Stellvertretender Kommandeur des Koti, 1956-66 Minister für nationale Sicherheit und Koordinierungsminister
für Politik und Sicherheit, MPRS-Vorsitzender (1966-72), von Suharto ins Abseits gedrängt,
war empört über die Stürmung der Universitäten im Jahre 1978, kritisierte immer wieder die
dwifungsi-Interpretation der Neuen Ordnung; erst 1993 wieder Treffen mit Suharto, 1997 zusammen mit
Suharto und Sudirman (posthum) zum 5-Sterne-General befördert, begrüßte die Aktionen der Studenten
1998. Natsir, Muhammad: geboren 1908, Persatuan Islam, mehrere Jahre Masyumi-Vorsitzender, Premierminister
(1950/51), unterzeichnete 1980 die Petisi 50, gestorben 1993, nicht zu verwechseln mit M.
Nasir oder Natsir, einem Prediger in Tanjung Priok. Muhammad Natsir war lange der bedeutendste
Modernist im indonesischen Islam. Sadikin, Ali: geboren 1927 in Sumedang, Westjava, Sundanese, GLt
bei der Marine, seit 1954 verschiedene Funktionen als Ausbilder und im Marineministerium, Gouverneur
von Jakarta (1966 bis 1977), Anhänger Sukarnos, war bis 1998 einer der bekanntesten und geachtetsten
Kritiker der Neuen Ordnung. Sanusi: Ingenieur, Muhammadiyah und Masyumi, Minister für Textilien
und Heimindustrie 1966-68, 1971-77 DPR, Petisi 50, 1984 festgenommen und zu 19 Jahren Haft verurteilt
wegen der Finanzierung des Bombenattentates auf die BCA, 1986 neue Anklage wegen versuchten
Präsidentenmordes und Umsturzversuch. Hatta, Mohammad: geboren 1902 in Westsumatra, Ökonomiestudium
in Rotterdam (1923-32), Vorsitzender von Perhimpunan Indonesia, gründete mit Syahrir Pendidikan
Nasional Indonesia, Premierminister von Januar 1948 bis September 1950, entmachtete die Linke,
führte republikanische Delegation bei Konferenz am Runden Tisch an, wandte sich zusehends von Sukarno
ab, bis 1956 Vizepräsident, gegen Irian-Feldzug, "problem-solver" im Sinne von Feith, Berater von
Suharto, konnte aber nicht eine Partai Demokrasi Islam Indonesia gründen, Befürworter von Genossen-

Die Opposition bis Ende der 80er Jahre
bzw. vor einer Eliteeinheit hatte der Präsident die dwifungsi-Doktrin und die Pancasila
aggressiv gegen andere Ideologien verteidigt und damit indirekt allen Kritikern
gedroht. 59 Die Petisi-50-Gruppe, zu der neben Nasution, Sadikin, Hugeng und Hatta
auch Muhammad Yasin 60 , Mokoginta, die ehemaligen PNI-Führer Slamet Bratanata
und Abdul Majid, die ehemaligen Premierminister Syafruddin Prawiranegara 61 und
Burhanuddin Harahap sowie die prominenten Muslime Anwar Haryono, Mohammed
Natsir und A.M. Fatwa gehörten, äußerte in einem Schreiben vom 5. Mai 1980
ihre Besorgnis über die einseitige Interpretation der Pancasila durch Suharto. Suharto
würde die Bevölkerung polarisieren und sich selbst als die Personifizierung der
Pancasila betrachten. Kritik übten sie auch an der Forderung des Präsidenten an die
Armee, nicht über den gesellschaftlichen Gruppen zu stehen, sondern sich auf die
Seite der Regierung und Golkars zu stellen. 62
Die Petisi-50-Gruppe war viele Jahre die am meisten beachtete und für die Regierung
unbequemste Oppositionsgruppe, weil in ihr viele hoch angesehene ehemalige
Spitzenpolitiker und Militärs eine sehr weit reichende Kritik formulierten. Suharto
wusste sehr genau von der Gefährlichkeit dieser Gruppe, gegen die er nicht mit den
sonst üblichen Mitteln vorgehen konnte. Den Presseorganen wurde verboten, über
die Gruppe zu berichten, und die Unterzeichner der Petition bekamen für ihre Unternehmen
keine weiteren Lizenzen, Aufträge und Kredite. Außerdem durften sie
das Land nicht mehr verlassen.
Unterdessen blieben Petitionen weiterhin ein wichtiges legales Mittel, um die anhaltende
Kritik an der Neuen Ordnung auszudrücken. Im August 1981 wurden zwei
solcher Eingaben von 69 bzw. 360 Personen gemacht, unter ihnen viele der Petisi-
50-Gruppe, die sich in sehr allgemeiner Form für Rechtsstaatlichkeit, Volkssouveränität
und eine "saubere" Regierung aussprachen. 63
Der Widerstand islamischer Gruppen und der Tanjung-Priok-Zwischenfall
Einen anderen permanenten Unruheherd bildeten islamische Gruppen unterschiedlicher
Provenienz, die die Neue Ordnung aus unterschiedlichen Gründen bekämpften.
schaften, unterzeichnete 1973 ein Manifest gegen die Dominanz ausländischer Unternehmer, 1976 war er
in die Sawito-Affäre verwickelt, gestorben 1980, war lange der zweitbekannteste Indonesier nach Sukarno
und gilt bis heute als ein früher Repräsentant der liberaldemokratischen Strömung in Indonesien.
59 Es handelte sich wohl auch um einen versteckten Angriff gegen die PPP-Abgeordneten, die bei der
Abstimmung über das Wahlgesetz nicht anwesend waren.
60 Yasin, der ehemalige Kommandeur der Brawijaya-Division, kritisierte Suharto persönlich als einen
Scheinheiligen, wurde daraufhin vom Generalstaatsanwalt angeklagt und entschuldigte sich schließlich
im März 1981 beim Präsidenten und "beim indonesischen Volk" (van der Kroef 1984, 227ff).
61 Syafruddin Prawiranegara: 1911-89, Jurist, arbeitete in der Finanzverwaltung unter den Niederländern,
den Japanern und für die Republik, Masyumi-Modernist, wurde im Dezember 1948 Premierminister der
Exilregierung (Pemerintah Darurat RI) in Sumatra, Finanzminister unter Hatta und Natsir, 1951-58
Gouverneur der Bank Indonesia, gegen die Benteng-Politik, 1958 PRRI-Premierminister, 1961-65 inhaftiert
trotz Amnestie.
62 Inside Indonesia April 1987, 8ff; Thoolen (ed.) 1987, 38. Die Petisi-50-Gruppe hatte informelle Kontakte
zu einigen Parlamentariern, vor allem solchen der PDI und der PPP, geknüpft. 19 Angehörige des
Parlamentes baten den Präsidenten dann auch im Juli 1981, zu der Petition Stellung zu beziehen.
63 Van der Kroef 1984, 230f; Bresnan 1993, 206ff.
321

322
Oppositionelle Gruppen
Die militanten islamischen Gruppen, die sich für die Errichtung eines Islamstaates
einsetzten, wurden vom Militär als rechtsextrem (ekstrim kanan) eingestuft und
unnachgiebig verfolgt.
In Indonesien hatte es schon zu Zeiten der parlamentarischen und der Gelenkten
Demokratie die Darul-Islam-("Haus-des-Islam")Bewegung gegeben. Das war eine
von S.M. Kartosuwiryo in Westjava angeführte Guerillagruppe, die einige Monate
nach dem Rückzug der Siliwangi-Division im Anschluss an das Renville-Abkommen
vom 7.8.1949 den Negara Islam Indonesia (Islamischen Staat Indonesien)
in Westjava ausgerufen hatte. Später schlossen sich die Rebellen in Aceh unter Daud
Beureu'eh, diejenigen in Südsulawesi unter Kahar Muzakkar und diejenigen unter
Ibnu Hajar in Banjarmasin dem Darul Islam an. Erst 1962 war die Bewegung mit
dem Tode Kartosuwiryos am Ende.
Auch in der Neuen Ordnung gab es islamistischen Widerstand, dessen Umfang
jedoch nur sehr schwer zu quantifizieren ist. Einige der islamistischen Bewegungen
dürften Erfindungen der Regimekoalition gewesen sein. Vor den Wahlen des Jahres
1977 und im Jahre 1981 wurden Mitglieder eines Komando Jihad verhaftet, über das
wenig berichtet wurde und dessen Existenz zweifelhaft war. Das Kommando soll
z.B. im Jahre 1981 - angeführt von dem 1985 hingerichteten Imran Muhammad Zein
- ein Garuda-Flugzeug nach Thailand entführt und im selben Jahr eine Polizeidienststelle
in der Nähe von Bandung angegriffen haben. Nach 1977 sollen mindestens
700 angebliche Komando-Jihad-Mitglieder verhaftet worden sein. 64
Bis zum Ende der Neuen Ordnung gab es immer wieder Verhaftungswellen. Zwischen
1985 und 1987 sind z.B. mehr als 150 Muslime zu Gefängnisstrafen verurteilt
worden. In den Jahren 1989/90 kam es wiederum in verschiedenen indonesischen
Städten, u.a. in der Provinz Lampung, zu solch einer strafrechtlichen Verfolgung. 65
Muslimgruppierungen, die in den Augen der Militärs einen Islamstaat errichten
wollten und/oder als GPK die Sicherheit störten, wurden mit aller Härte verfolgt,
ohne dass das in größerem Umfang in den Medien zur Sprache gebracht worden
wäre. Allein im Großraum Jakarta wurden in den Jahren 1993-95 wiederum 428
Personen verhaftet. 66
Neben diesem radikalen, islamistischen Widerstand spielten aber auch die legalen
islamischen Organisationen schon in den 70er Jahren z.T. die Rolle einer gemäßigten
Opposition. Aspinall schreibt dazu:
"Precisely because Islam was not merely a political movement, it was able to maintain its
coherence as a political force. And so, by the late 1970s, it appeared that Islam was developing
as the most vocal and resilient voice of opposition, as evidenced by the dispute over
the 1973 Marriage Bill, the energetic United Development Party (PPP) election campaign
of 1977, the 1978 NU walk out from the People's Consultative Assembly (MPR), and
even the social protest dakwah music of singers like Rhoma Irama." 67
64 King 1987, 8.
65 Außerdem wurden zwischen 1949 und 1992 517 religiöse Gruppen und Sekten verboten.
66 TB April 1996, 16.
67 Aspinall 1996, 221.

Die Opposition bis Ende der 80er Jahre
Auch in den 80er Jahren waren es islamische Gruppierungen, die die Regimekoalition
herausforderten. Im August 1982 nämlich begann Suharto ernsthaft damit, seinen
azas tunggal-Plan Schritt für Schritt umzusetzen. Im Mai 1984 war der Gesetzentwurf
über soziale Organisationen schließlich ausgearbeitet. Die Organisationen
sollten die Pancasila als alleinige Grundlage anerkennen. Sie konnten von der Regierung
aufgelöst werden, sobald sie die Sicherheit und öffentliche Ordnung störten.
Der Widerstand islamischer Gruppen richtete sich gegen diesen Versuch, die Pancasila
als "einzige Grundlage" (azas tunggal) in den Statuten von Massenorganisationen
(also Studentenorganisationen, religiösen Organisationen etc.) zu verankern.
Die Reaktionen auf die geplanten gesetzlichen Regelungen waren z.T. sehr heftig.
Der prominente Muslimführer Syarifruddin Prawiranegara, der in den 50er Jahren
einer der bekanntesten Politiker gewesen war, wandte sich im Juli 1983 in einem
viel beachteten Brief persönlich an Suharto und brachte darin die Befürchtungen
vieler Muslime zum Ausdruck. Er meinte, dass durch die angestrebten Regelungen
der Islam als soziale und politische Bewegung vernichtet werden solle. Auch die
Petisi-50-Gruppe erneuerte ihre Kritik an der einseitigen Pancasila-Auslegung des
Regimes, und die PPP fürchtete ihre Identität als islamische Partei zu verlieren. Sie
konnte letztlich die Verabschiedung des Gesetzes aber nicht verhindern und änderte
wie die meisten Organisationen ihre Satzung. Einige muslimische Studentenorganisationen
jedoch weigerten sich schlicht, die neuen Bestimmungen anzuerkennen. 68
Das bedeutendste Ereignis in dieser Auseinandersetzung war der Zwischenfall im
Jakartaer Hafengebiet und Armenviertel Tanjung Priok am 12. September 1984, der
mehrere Anschläge und spektakuläre Prozesse gegen einige angeblich mitverantwortliche
Regimekritiker auslöste. 69 Bei dem Vorfall verbanden sich radikalislamische
Motive mit Gefühlen der Unzufriedenheit über die Regierungspolitik. In
den Moscheen von Tanjung Priok hatten sich islamische Gelehrte wie M. Nasir
(oder Natsir) und Laienprediger wie Amir Biki und Abdul Qadir Jaelani bei ihren
Predigten gegen die ihrer Meinung nach antiislamische und sozial ungerechte Politik
der Neuen Ordnung ausgesprochen. Die Regierung betrachtete die sozialreformerischen
Aktivitäten mit Argwohn. In dieser explosiven Atmosphäre hatten am 8. September
zwei Unteroffiziere das Sa'adah-Gebetshaus mit Schuhen betreten und dort
aufgehängte Plakate mit Abwasser unleserlich gemacht. Als am 12. September
1.500 Muslime die Entlassung von vier Jugendlichen, die zwei Tage zuvor im Zusammenhang
mit der Aktion der babinsa verhaftet worden waren, aus Polizeigewahrsam
forderten, feuerten die Militärs in die Menge. Dabei kamen mindestens 63
Menschen um und über 100 wurden verletzt. 70 Die verantwortlichen Militärs - unter
ihnen insbesondere Benny Murdani - sprachen davon, dass sie von der Demonstration
überrascht worden seien und dass deshalb schwer bewaffnete Militäreinheiten
68
In der größten dieser Organisationen, HMI, kam es sogar zur Abspaltung einer Gegenorganisation
(HMI-MPO).
69
Vgl. Bresnan 1993, Kap. 9; Orentlicher 1988, 91ff; Inside Indonesia März 1985, 4ff.
70
Nach dem Sturz Suhartos ermittelte KomnasHAM 33 Todesfälle; die Identität von 14 Opfern blieb
ungeklärt. Bei den Unruhen verbrannten außerdem eine achtköpfige chinesische Familie und ihr Hausangestellter
(Jakarta Post 22.3.2001).
323

324
Oppositionelle Gruppen
eingesetzt werden mussten. Viele Kritiker hingegen meinten, dass die unverhältnismäßige
Brutalität mehr oder weniger beabsichtigt gewesen sein muss. Das Ziel sei
es demnach gewesen, den regierungskritischen Muslimen eine Lektion zu erteilen
und die angestrebten azas tunggal-Bestimmungen notfalls mit Gewalt durchzusetzen.
Von den ca. 200 Festgenommenen wurden über 100 angeklagt. Zu den wegen Subversion
zu langen Haftstrafen Verurteilten zählten u.a. die Petisi-50-Mitglieder
Dharsono und A.M. Fatwa, aber auch mehrere islamische Prediger. 71 In den Monaten
davor und danach wurden Bombenanschläge und Brandstiftungen verübt, von
denen u.a. die monumentale buddhistische Stupa von Borobudur, die ein Symbol des
javanischen Patrimonialismus ist, Zweigstellen der Bank Central Asia, die zu dem
Konzern Liem Sioe Liongs gehören, ein Einkaufszentrum und ein großes Munitionslager
der Marine betroffen waren.
Aus der Petisi-50-Gruppe selbst hatte sich vorher bereits ein Arbeitsteam herausgeschält,
das einen kohärenteren Forderungskatalog formulierte. Dazu gehörten freie
Wahlen und die Durchsetzung der Vereinigungsfreiheit sowie die Abschaffung des
nicht verfassungsgemäßen Kopkamtib, des Subversionsgesetzes von 1963 und der
Korruption. Das Arbeitsteam war immer wieder in die politischen Auseinandersetzungen
auf nationaler Ebene, z.B. um die azas tunggal-Bestimmungen, involviert.
Einen Höhepunkt erreichten die Spannungen zwischen der Regierung und 16 Mitgliedern
der Gruppe, als diese im Anschluss an die Ausschreitungen in Tanjung
Priok im September 1984 eine von der offiziellen Version abweichende Darstellung
der Ereignisse (das "White Paper" oder "Lembaran Putih") veröffentlichte 72 und als
später Dharsono und A.M. Fatwa wegen aufrührerischer bzw. subversiver Tätigkeiten
verurteilt wurden. 73
Die Tanjung-Priok-Ereignisse, die Bombenanschläge und die Prozesse im Anschluss
daran bestimmten die politische Stimmungslage jener Jahre. Bis Ende der 80er Jahre
erwies sich die Regimekoalition aber als so stark, dass die Opposition keine nennenswerten
Organisationen aufbauen oder spektakuläre Aktionen durchführen konnte.
Der heftigste Angriff auf die Suharto-Familie erfolgte noch im Februar 1987, als
sich die Petisi-50-Gruppe mit einem Brief an das Parlament wandte und mehrere
außergewöhnlich kritische Fragen zum Verhalten der Ehefrau Suhartos formulierte. 74
71
Orentlicher 1988, 95ff.
72
Thoolen [ed.] 1987, 92f.
73
Inside Indonesia März 1985, 4ff. Auszüge aus der Verteidigung Dharsonos finden sich in: Inside
Indonesia Mai 1986, 6ff.
74
Widergegeben bei Lane (1991, 46): "[...] was Ibu Tien a secret Catholic? Did Ibu Tien keep a woman
dukun (witchdoctor) in Solo? Was a foundation set up by Ibu Tien just a front to squeeze money out of
banks for her children? Was Ibu Tien in charge of business commissions when Suharto was Commander
of the Diponegoro division and Liem Sioe Liong his supplier? Did Ibu Tien have a sexual relationship
with the Deputy Governor of Jakarta, Eddie M. Nalapraya, and is that why he has been able to keep his
position while Ibu Tien has made sure others who have had affairs are dismissed? Was the murder of the
hostess, Ditje, organised by Ibu Tien's oldest daughter, Siti Harjati Astuti and the son-in-law of the head
of state and agreed by Ibu Tien?"

Die Opposition bis Ende der 80er Jahre
Unter anderem diesen Brief fasste Suharto als persönliche Beleidigung auf. Deshalb
auch wandte er sich mit scharfen Worten gegen diese Gruppe in seiner Autobiographie.
Auch wenn die Opposition in Indonesien 1980 bis 1988 relativ schwach war, konnten
sich doch einige konfliktfähige Gruppen sammeln. Der NGO-Sektor erlebte
einen deutlichen Aufschwung, und eine neue Studentenbewegung begann sich zu
formieren.
4.2 Die Demokratiebewegung seit Ende der 80er Jahre:
internationale Einflüsse, Demokratiediskurs,
Entwicklungsphasen
Als im Mai 1998 beinahe täglich die Fernsehbilder aus Indonesien Deutschland
erreichten, äußerten sich viele Journalisten skeptisch zu den Chancen einer Demokratisierung.
Sie begründeten diese Einschätzung damit, dass in den über drei Jahrzehnten
unter Suharto die Opposition unterdrückt worden sei und es deshalb keine
starken prodemokratischen Kräfte gebe. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass
diese These nicht richtig war. Zwar wurde die Opposition bis 1998 weiterhin unterdrückt,
aber seit einigen Jahren hatte es deutlich sichtbare, einschneidende Veränderungen
gegeben.
Bis weit in die 80er Jahre hinein war der Widerstand gegen die Neue Ordnung für
die Regimekoalition kaum spürbar gewesen. Es gab nur vereinzelte Proteste, die in
der Regel die politische Ordnung nicht gänzlich in Frage stellten und die nur von
einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung aktiv unterstützt wurden. Ende der 80er
Jahre allerdings kam es zu einem Bruch, und viele konfliktfähige Gruppen wurden
deutlich aktiver und mächtiger.
Außenpolitische Einflüsse auf die Demokratisierung
Zwar gibt es keinen Beweis für einen entscheidenden Einfluss der CIA auf die
Machtergreifung der Militärs um Suharto, 75 zumindest aber dürfte die amerikanische
Regierung mit einiger Erleichterung auf die Vorkommnisse in Indonesien reagiert
haben. Während die Regimekoalition um Suharto bald nach dem 1. Oktober 1965
die Beziehungen zu Malaysia und zu den westlichen Staaten wieder normalisierte,
fror sie die diplomatischen Beziehungen zur Volksrepublik China ein und wahrte
eine wohl abgemessene Distanz zu sämtlichen Ostblock-Staaten.
Zu Zeiten des Kalten Krieges waren die "Eliminierung" der PKI und dann die wirtschaftliche
Öffnung des Landes für ausländische Investoren hochwillkommen. In
jenen Tagen dominierte ein modernisierungstheoretischer Ansatz à la Huntington
75 Darüber wird in einer neueren indonesischsprachigen Publikation spekuliert: ISAI 1996. Im Mai 1990
trat die Journalistin Kathy Kadane mit einer Story im San Francisco Examiner hervor, in der sie behauptete,
die CIA habe das indonesische Militär nach dem 1. Oktober 1965 mit Todeslisten von Kommunisten
versorgt.
325

326
Oppositionelle Gruppen
und Pye, der im Militär die einzige wirklich moderne Institution in vielen Ländern
der Dritten Welt sah und daher eine Führungsrolle dieses strikt hierarchisierten und
enttraditionalisierten Apparates befürwortete.
Zwar nahmen die Wirtschaftspartnerländer immer eine kritische Haltung in Menschenrechtsfragen
ein, letztlich prägte aber die "realpolitisch" angeratene Kooperation
mit dem rohstoffreichen und antikommunistischen Indonesien ihre Außenpolitik.
Diese weitgehend reibungslosen Beziehungen wurden lediglich durch das Ost-
Timor-Problem - zumindest nach dem Dili-Massaker - ein wenig gestört. Grundsätzlich
hatten die westlichen Demokratien aber keine großen Probleme mit der indonesischen
Ost-Timor-Politik. Ford und Kissinger, die sich noch einen Tag vor der
Invasion in Jakarta aufgehalten haben, sollen ihren Segen zum Truppenaufmarsch
gegeben haben. 76 Portugal verhielt sich während des Putsches und des Gegenangriffes
der Fretilin trotz der noch in Ost-Timor stationierten Truppen passiv. Australien
und die USA ließen auch in den folgenden Jahren erkennen, dass sie nicht daran
interessiert waren, in diesen Konflikt hineingezogen zu werden. Der australische
Premierminister machte schon 1976 in Jakarta Äußerungen, die von der indonesischen
Regierung als Anerkennung der Invasion gedeutet wurden.
Die Amerikaner waren an einem weiteren, womöglich sozialistischen Unruheherd in
Südostasien nicht interessiert und wollten sich weiterhin die Durchfahrtsmöglichkeiten
für ihre U-Boote in Indonesien sichern. Außerdem war Indonesien ein wichtiger
Abnehmer für Waffen aller Art, und insbesondere Australien wollte die wichtigen
wirtschaftlichen Beziehungen zu Indonesien nicht gefährden und hatte u.a. die reichen
Erdölvorkommen in der Tiefsee zwischen Ost-Timor und Australien im Visier.
Ein "Timor Gap Agreement" zwischen Indonesien und Australien wurde im Dezember
1989 unterzeichnet. Danach durften die beiden Staaten ein bestimmtes erdölreiches
Gebiet erforschen und ausbeuten, und verpflichteten sich, die geförderten Rohstoffe
gleichmäßig aufzuteilen.
Die westlichen Industrieländer und Japan waren vor allem mit der Pflege der wirtschaftlichen
Kontakte mit Indonesien beschäftigt und waren als Investoren und als
Kreditgeber von existenzsichernder Bedeutung für das Land. Erst die Menschenrechtspolitik
der Carter-Regierung Ende der 70er Jahre zwang die indonesische
Regierung zu einigen Zugeständnissen. So ließ sie den Großteil der über 100.000
politischen Gefangenen, darunter auch die Häftlinge auf der berüchtigten Gefangeneninsel
Buru, frei.
Die Perestroika-Politik und die Demokratisierung in Osteuropa haben aber in den
90er Jahren auch die Außenpolitik der westlichen Mächte verändert: Vor allem die
Clinton-Regierung, aber auch einige europäische Regierungen verlangen seither von
ihren Wirtschaftspartnerländern in der Dritten Welt verstärkt die Einhaltung der
Menschenrechte und "good governance". Erst in den letzten Jahren des Suharto-
Regimes verstärkte sich daher der außenpolitische Druck. Beispiele dafür waren
u.a.:
76 Schwarz 1994, 204.

Demokratiebewegung
- Die Reaktionen auf das Dili-Massaker (1991). Die Niederlande sowie Kanada und
Dänemark kündigten nach dem Vorfall an, ihre Entwicklungshilfe einzustellen. Da
sich allerdings die anderen Industrieländer nicht anschlossen, nahm Indonesien eine
"nationalistische" und konfrontative Haltung ein, löste die IGGI auf und ersetzte sie
durch die CGI. Gleichzeitig erklärte die indonesische Regierung, keine niederländische
Entwicklungshilfe mehr annehmen zu wollen und brachte damit zugleich diejenigen
indonesischen NGOs (wie etwa YLBHI) in Bedrängnis, die auf niederländische
Hilfe dringend angewiesen waren. De facto wurde die Entwicklungshilfe aber
weiter gezahlt.
- Die Auseinandersetzungen um die von NGOs organisierten Konferenzen über
Menschenrechtsfragen in Thailand und über Ost-Timor in Manila. Indonesien hatte
den philippinischen Präsidenten Ramos aufgefordert, die Konferenz in Manila nicht
stattfinden zu lassen. Ramos erlaubte zwar die Konferenz, verweigerte aber einigen
Ausländern die Einreise. 77
- Die GSP 78 -Politik der Amerikaner: Seit 1993 drohte die US-amerikanische Regierung
damit, Indonesien wegen des unzureichenden Schutzes von Arbeitnehmerinteressen
von der Liste jener Staaten zu nehmen, die ihre Exportgüter zu vergünstigten
Bedingungen in die USA einführen durften. 79
- Australische Reaktionen auf die Besetzung des Botschafterpostens durch den wegen
seines Einsatzes in Ost-Timor diskreditierten GLt Mantiri.
- Die Entscheidung des amerikanischen Kongresses, das International Military Education
and Training-Programm über 2,3 Mio. US$ zu stoppen.
- Die Obstruktion des Verkaufes jordanischer F5-Kampfflugzeuge an Indonesien
durch die US-Regierung im Jahre 1995.
- Die US-amerikanische Weigerung nach dem 27. Juli 1996, F-16-Kampfflugzeuge
an Indonesien zu liefern.
- Die portugiesische Ost-Timor-Politik in den 90er Jahren, darunter die Klage gegen
den Timor-Gap-Vertrag und die Blockade eines Kooperationsvertrages der EU mit
der ASEAN.
- Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Bischof Belo und Ramos-Horta im
Jahre 1996 (eine von außenpolitischen Erwägungen zumindest beeinflusste Entscheidung).
All diese Maßnahmen verfehlten ihre Wirkung nicht. Die große wirtschaftliche und
militärische Abhängigkeit Indonesiens veranlasste die Regierung zu einigen moderaten
Reformschritten. Dazu gehörte z.B. die Öffnung einiger Teile Ost-Timors für
Besucher (1988), die keterbukaan-Politik, die Einsetzung der Untersuchungskommission
nach dem Dili-Massaker und die Einsetzung der Menschenrechtskommission
KomnasHAM (1993). Insgesamt blieb aber der außenpolitische Druck auf das
77 Heinz/Pfennig 1996, 356.
78 General System of Preferences.
79 Darüber hinaus haben internationale Organisationen wie die ICFTU 79 die staatliche Gewerkschaft SPSI
kritisiert und sie aufgefordert, die internationalen Standards einzuhalten. Die SPSI wurde international als
Gewerkschaft nicht anerkannt (Hadiz 1993, 188f).
327

328
Oppositionelle Gruppen
Suharto-Regime sehr gering. Man kann sogar sagen, dass die engen politischen und
vor allem wirtschaftlichen Kontakte zur Legitimierung der Neuen Ordnung erheblich
beigetragen haben. Die Regierungen Japans, Australiens, der USA und der europäischen
Staaten verhielten sich also eher zurückhaltend, wenn es um Menschenrechtsverletzungen
in Indonesien und um die Unterstützung der Demokratiebewegung
ging. Helmut Kohl z.B. ging mit seinem Freund Suharto zum Hochseefischen
und besuchte ihn noch im Juli 1996 in Bad Oeynhausen, wo der Präsident zu einem
medizinischen Check-up war. Indonesien gehörte zu jenen autoritären Staaten, die
nicht sanktioniert, sondern mit Waffen versorgt wurden. 80
Auch Lauth81 konstatiert, dass die Demokratieförderungspolitik unter Clinton einen
hohen Stellenwert hatte, dass aber "das Prinzip des double standard nicht gänzlich
abgeschafft" wurde. Und Chomsky schreibt über die Haltung der USA:
"To sustain his power and violence, the White House has repeatedly evaded congressional
restrictions on military aid and training: Jimmy Carter in 1978, Bill Clinton in 1993 and
1998. The Clinton Administration also suspended review of Indonesia's appalling labor
practices while praising Jakarta for bringing them «into closer conformity with international
standards.»" 82
Während also die direkte staatliche Demokratieförderung allenfalls mit halber Kraft
vorangetrieben wurde, wurden auf der nichtstaatlichen Ebene und in internationalen
Organisationen spürbarer Druck ausgeübt. 83 In den nächsten Abschnitten sollte deutlich
werden, dass die Ausbreitung regierungskritischer NGOs, die Öffnung Ost-
Timors und die Entwicklungen nach dem Dili-Massaker, die Errichtung einer nationalen
Menschenrechtskommission etc. auch auf die Zusammenarbeit von indonesischen
und ausländischen Nichtregierungsorganisationen mit internationalen Organisationen
zurückzuführen ist.
Demonstrations- und Diffusionseffekte
Neben den ambivalent zu bewertenden zwischenstaatlichen, diplomatischen Einflüssen
sind einige allgemeinere, globale Entwicklungen zu nennen, die die Demokratisierung
seit Ende der 80er Jahre gefördert haben. So haben die Liberalisierung in
den Staaten Osteuropas und die damit einhergehende Entschärfung des Ost-West-
Konfliktes den Antikommunismus als herrschaftslegitimierende Ideologie unglaubwürdig
gemacht. Die indonesischen Militärs beschworen zwar auch in den 90er
Jahren immer wieder die Gefahr des Kommunismus herauf, stießen damit aber immer
mehr auf das Unverständnis der Bevölkerung. Mit dem Staatsbesuch in der
Sowjetunion im September 1989 und vor allem mit der Annäherung an China, das
80 Vgl. Betz 1996, 207. Indonesien stellte in Lizenz MBB-Hubschrauber her und erhielt u.a. in einem
bereits erwähnten spektakulären Deal Kriegsschiffe aus NVA-Beständen. Außerdem wurden über viele
Jahre führende Polizei- und Militäroffiziere - unter ihnen Prabowo Subianto bei der GSG 9 - ausgebildet.
81 Lauth 1996, 169.
82 Chomsky 1998, 1; vgl. auch: Winters 1999, 41ff und 107ff.
83 “Transnational networks and the United Nations were the most important and consistent socializing
agents in Indonesia. During the 1980s they created a dialogue between NGOs and governmental agencies
and, in the 1990s, set the path for the establishment of Komnas-HAM” (Jetschke 1999, 166).

Demokratiebewegung
zuvor als Hauptfeind der Neuen Ordnung gesehen wurde, entkräftete die Machtelite
selbst ihre antikommunistische Doktrin.
Die dritte Welle der Demokratisierung seit Mitte der 70er Jahre führte auch in Indonesien
zu Demonstrationseffekten. 84 Vor allem die Demokratisierung in Osteuropa,
der Fall der Mauer, die erfolgreiche politische Liberalisierung in Taiwan und Südkorea,
die Demokratiebewegung in der VR China (1989) und in Burma um Aung San
Suu Kyi, die zumindest partielle Demokratisierung in den südostasiatischen Ländern
Thailand und den Philippinen (mit der Vertreibung des Kleptokraten Marcos) wurden
in Indonesien mit großem Interesse, oft auch mit großer Sympathie verfolgt. Die
durch eine relativ offene Presse gut aufgeklärte Öffentlichkeit hatte damit Modelle
für eine Demokratisierung im eigenen Lande. Die Berichterstattung war deshalb so
verhältnismäßig kritisch, weil im Zuge der Globalisierung 85 , also der Intensivierung
und über die Staatsgrenzen reichenden Erweiterung ökonomischer, kultureller und
politischer Beziehungen, die Nachfrage nach möglichst unabhängig recherchierten
und aufbereiteten Informationen gestiegen war. In erster Linie ist dabei an Tageszeitungen
und politische Magazine zu denken. Da diese Blätter wegen der immensen
Kommerzialisierung in einem scharfen Wettbewerb standen, berichteten sie vor
allem in den 90er Jahren immer kritischer. 86 Seit einigen Jahren stand außerdem mit
dem Internet erstmals ein nicht zensiertes Massenmedium zur Verfügung. Alle
denkbaren Informationen konnten ohne Zeitverzug und fast unkontrolliert um den
Erdball geschickt werden. 87 Das Internet bot, anders als das Fernsehen, die Möglichkeit,
sich selbst jene Informationen zu beschaffen, die in autoritären Regimen den
Bürgern sonst systematisch vorenthalten werden. Dadurch wurden Indoktrinierungskampagnen
zumindest für einen Teil der Gesellschaft faktisch außer Kraft gesetzt.
Die Strategie einer exportorientierten Industrialisierung hat nicht nur die indonesische
Ökonomie, sondern die Gesellschaft insgesamt stärker in globale Netzwerke
84 Diese Demonstrationseffekte - die sich nicht nur auf den politischen Bereich beziehen - sind in ihrer
Wirkung schwer einzuschätzen. Die Verwestlichung umfasst nämlich so disparate Phänomene wie amerikanische
soap operas, westliche Popmusik, den Tourismus, den Austausch von Wissenschaftlern und die
Übersetzung von belletristischen Werken und von wissenschaftlichen Texten. Vor allem in den letzten
10-20 Jahren haben sich die städtische Lebensweise und die damit verbundenen Wertmuster und Verhaltensformen
- u.a. durch die Globalisierungseinflüsse - erheblich gewandelt. Foulcher schreibt: "From
habits and attitudes which question traditional values, through imagery which promotes a redefinition of
sexuality and the family, to fashions in popular music, food and clothing, urban Indonesian culture has
undergone extremely rapid change in a space of less than twenty years", Foulcher 1990, 302.
85 Im Gegensatz zur "Globalität", dem faktischen Bestehen des globalen Austauschs von Waren, Dienstleistungen,
Kapital und Ideen, und dem "Globalismus", der neoliberalen Ideologie der globalen Deregulierung
(vgl. Beck 1997).
86 Erst seit den späten 70er Jahren wurde das Fernsehen in Indonesien zu einem nationalen Massenmedium.
Das Fernsehen sendete - trotz der allgegenwärtigen Zensur - Bilder über Unruhen und informierte
z.B. in den ersten Monaten des Jahres 1998 das Publikum über die Studentendemonstrationen. Insgesamt
war das Fernsehen aber das Medium, das am wenigsten zur politischen Bildung beitrug.
87 Anders als beim Telefonieren können Millionen zeitgleich auf große Informationsmengen zugreifen
(wie beim Starr-Report im September 1998). Entscheidend ist nicht nur die reale Möglichkeit des Datenzugriffs,
sondern auch das Bewusstsein, dass eine "Informationsdemokratie" technisch möglich ist.
329

330
Oppositionelle Gruppen
integriert. 88 In den Städten wird dadurch die Ausbreitung einer "metropolitan superculture"
89 forciert. Große Teile der städtischen Mittel- und Oberklasse erlernen
Fremdsprachen, erwerben Importwaren und orientieren sich an westlichen Lebensstilen.
Inwieweit dadurch eine Demokratisierung gefördert wird, ist fraglich. Zumindest
werden damit aber die Voraussetzungen für eine "Diffusion" demokratischer
Ideen günstiger. 90
Der Diskurs über Demokratie und Demokratisierung in Indonesien in den 90er
Jahren
Als Folge der weltweiten Demokratisierungswelle intensivierte sich auch die politische
Diskussion in Indonesien. Die konservativen Apologeten hielten weiterhin an
einem integralistischen, organizistischen Konzept der Pancasila-Demokratie oder an
einem technokratischen Elite- und Ordnungsansatz fest, die gemäßigten Reformer
sprachen etwas nebulös von einer - noch durchzusetzenden - beschränkten Demokratie.
Der Diskurs war für Außenstehende recht unübersichtlich, da islamische
Konzepte mit säkularen und javanisch-populistischen oder javanisch-organizistischen
Interpretationen und Denkmustern konkurrierten und der Begriff "Demokratie"
zu den schillerndsten in der öffentlichen Debatte geworden war. 91
Zwar hatte die Opposition in Indonesien schon in den 70er und 80er Jahren die Korruption,
die Vetternwirtschaft, den Machtmissbrauch, Aspri bzw. Spri, Kopkamtib
u.a. kritisiert und war dabei so radikal, dass sie die Neue Ordnung insgesamt in
Frage stellte. Doch der Begriff "Demokratisasi" war in jener Zeit nur selten aufgetaucht.
Offensichtlich war der Begriff "Demokratie" durch das Regime erfolgreich
unter dem Etikett "Demokrasi Pancasila" monopolisiert worden. Seit Ende der
80er/Anfang der 90er Jahre jedoch war die Demokratisierungsthematik so geläufig,
dass selbst die Regimekoalition gezwungen war, defensiv an diesen Debatten teilzunehmen.
Der Demokratiediskurs in Indonesien war von westlichen, liberaldemokratischen
Modellen bestimmt. Dass die ökonomische Entwicklung und damit die Entstehung
einer breiten Mittelklasse - über die Arbeiterklasse wurde in der von Professionals
dominierten Diskussion wenig gesprochen - tendenziell die Ausbildung eines komplexeren
Politikmodells und eine politische Liberalisierung erforderlich machte,
wurde von kaum jemandem ernsthaft in Zweifel gezogen. Nur gewährte dieses Argument
genügend Spielraum, um auch eine fast unveränderte Fortsetzung der bishe-
88
In den letzten Jahren wurde dieser Prozess durch die AFTA- und die APEC-Regelungen noch einmal
beschleunigt.
89
Geertz 1963, 35f.
90
Uhlin 1995.
91
Die Arbeiten in Indonesien befassen sich u.a. mit den Ursprüngen und den ersten Erfahrungen mit der
Demokratie (Haris 1994), mit dem Zusammenhang zwischen Verfassung und Demokratie in Indonesien
(Mahfud 1993) und allgemein mit unterschiedlichen Einflussfaktoren (Arfani 1996, Taher 1994, Fatah
1994, Hikam 1996). Insgesamt erschienen in den 90er Jahren Tausende von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln
und Dutzende von Monographien über die schon ablaufende oder noch zu erwartende Demokratisierung
in Indonesien. Fast immer waren die impliziten Forderungen sehr moderat formuliert.

Demokratiebewegung
rigen Politik zu fordern. Konservative, wie z.B. der UGM-Politologieprofessor Afan
Gaffar, sprachen, im Anschluss an T.J. Pempel, von einer ungewöhnlichen ("uncommon")
oder einer begrenzten Demokratie und dachten dabei an die Führung
durch eine hegemoniale Partei wie die LDP in Japan oder die PRD in Mexiko. 92 In
Indonesien sollte diese Rolle von Golkar übernommen werden, wobei demokratischere
Wahlen zugelassen sowie die Presse-, Versammlungs- und Organisationsfreiheit
ausgedehnt werden sollten. Unklar blieb dabei allerdings, wie genau die
Veränderungen aussehen sollten, denn an wirkliche, freie Wahlen und an die Zulassung
wirklicher Oppositionsparteien wie der PRD oder PUDI war dabei nicht gedacht.
Diese defensive Beschreibung der Demokratisierungsmöglichkeiten berief
sich auf westliche Politologen wie Huntington, die sich aufgrund der vermeintlich
überzogenen Erwartungen der bisher vom Entscheidungsprozess Ausgeschlossenen
und wegen der noch schwachen Institutionalisierung der Machtbeziehungen gegen
eine vorschnelle Demokratisierung aussprachen. Die umfangreiche Gruppe von
konservativen Reformern, die zwar Elemente des Autoritarismus abschwächen, aber
die Neue Ordnung nicht fundamental verändern wollten, werden hier nicht zu den
"Demokraten" gezählt.
In den 90er Jahren spielten kommunistische Doktrinen - trotz anders lautender Beteuerungen
der Regimekoalition - keine Rolle mehr. Selbst die PRD gebärdete sich
zwar sehr radikal und bezeichnete sich als sozialistisch, distanzierte sich aber - nicht
aus taktischen Gründen - vom Kommunismus. Auch der radikale Nationalismus, der
früher von Sukarno und seinen Anhängern verkörpert wurde, war in den 90er Jahren
in seiner außenpolitischen, wenn auch nicht in seiner wirtschaftspolitischen Dimension
einflusslos, denn niemand in Indonesien dachte ernsthaft daran, ausländische
Betriebe zu verstaatlichen oder eine aggressive Außenpolitik zu befürworten. Der
javanische Traditionalismus, in den 90er Jahren weiterhin ein Teil des Ideologienarrangements
der Regimekoalition, hatte sich ebenso wie der Islam als politische
Weltanschauung und Bewegung in seinem Kern gewandelt. Es gab kaum noch Muslime,
die die Errichtung eines Islamstaates erstrebten. Insgesamt war der Islam in
Indonesien liberaler, weitgehend enttraditionalisiert und stärker von den Bedürfnissen
der neuen Mittelklasse geprägt.
Sparringa 93 hat einige Motive benannt und einige der zentralen Begriffe aufgelistet,
um orthodoxe und heterodoxe Diskursstile zu unterscheiden. Die Oppositionellen
rückten ihm zufolge bei der Bewertung der Wirtschaftspolitik die ungleichgewichtige
und sozial ungerechte Entwicklung in den Vordergrund. Die Orthodoxen betrachteten
die sozialen Ungleichheiten als im Wesentlichen unvermeidbar und verwiesen
auf langfristig wirksame trickle down-Effekte. Bei der Einschätzung der nationalen
92 Interviews mit Afan Gaffar (Yogyakarta, 5.8.1997) und Din Syamsuddin (Jakarta, 10.11.1997), der
ähnlich argumentierte. Afan Gaffar berief sich ausdrücklich auch auf die Politikkonzepte des späteren
Kassospol Susilo Bambang Yudhoyono.
93 Sparringa 1997, 310ff.
331

332
Oppositionelle Gruppen
Einheit sprachen viele Oppositionelle von der javanischen Hegemonie und forderten
eine stärkere Dezentralisierung und die Zulassung einer multikulturellen Vielfalt.
Die Orthodoxen hingegen erachteten die Einheit und Geschlossenheit als eine bedeutende
Errungenschaft und warnten vor den Gefahren einer Lockerung der Kontrolle
durch Jakarta und vor einer ethnisch-kulturellen Aufsplitterung. Die Oppositionellen
definierten Demokratie als universales Wertesystem. Die Demokrasi
Pancasila lehnten sie ab. Die Orthodoxen hingegen verwiesen auf den partikularistischen
Gehalt der indonesischen Demokratie, auf das Familienprinzip, auf die wichtige
Rolle eines starken Staates und auf die fehlende Reife eines großen Teils der
Bevölkerung. Und während die Oppositionellen forderten, dass das Militär sich
zurück in die Kasernen begebe, beriefen sich die Orthodoxen auf die historischen
Sonderbedingungen in Indonesien und auf die Rolle ABRIs als Beschützer des Volkes
und der nationalen Einheit. 94
Solche unterschiedlichen Konzepte und Begriffsdefinitionen waren typisch für die
verschiedenen Strömungen im indonesischen Politikdiskurs. Eldridge 95 unterscheidet
in seiner Studie über den indonesischen NGO-Bereich drei Demokratiebegriffe.
Zum einen gibt es seiner Meinung nach ein "westliches" Demokratieverständnis, das
Rechtsstaatlichkeit und Repräsentativität betont. Zum anderen finden sich zwei
Varianten eines spezifisch indonesischen Demokratieverständnisses. Eine gemäßigtere
Form bezieht sich auf die Pancasila. In ihr kommt ein Unbehagen am "westlichen"
Individualismus und Liberalismus zum Ausdruck, der von vielen Indonesiern
als überzogen und als unvereinbar mit den einheimischen Kulturen gesehen wird.
Die radikalere Variante dieses indonesischen Demokratieverständnisses nimmt den
Begriff der Volkssouveränität (kedaulatan rakyat) auf und betont die Bedeutung
sozialrevolutionärer Bewegungen unter Beteiligung des Volkes.
Uhlin 96 führt eine etwas andere Klassifikation ein. Er teilt die «'conventional' democracy
discourses» in den Marxismus, den linken Populismus, die Sozialdemokratie,
den Liberalismus, den Konservatismus und den Feminismus ein und hebt diese
Diskurse vom politischen Islam ab, bei dem er drei Typen unterscheidet, nämlich
den Modernismus, den Neomodernismus und den Transformismus.
Hier sollen fünf prodemokratische Strömungen unterschieden werden, nämlich:
- eine radikaldemokratische,
- eine liberaldemokratische,
- eine sukarnoistische,
- eine islamisch-modernistische und
- eine islamisch-traditionalistische Strömung. 97
94
Die Orthodoxen gingen von einer Entwicklungstheorie als dem Kern ihres Denkens aus. Dann folgten
mit abnehmender Bedeutung die Vorstellungen von nationaler Einheit, von der Pancasila-Demokratie und
von dwifungsi. Allerdings waren kaum Militärs, sondern überwiegend Akademiker befragt worden.
95
Eldridge 1995, 20ff.
96
Uhlin 1995, 126ff.
97
Diese Auflistung ist nicht frei von einer gewissen Kategorisierungswillkür. So könnte man auch eine
Strömung von Christdemokraten hinzurechnen. Diese werden aber hier nicht gesondert behandelt, sondern
als Unterströmungen zu den vier genannten Strömungen hinzugezählt. Man vergleiche diese Analy-

Demokratiebewegung
Die Hauptforderungen der prodemokratischen Kräfte waren die Abschaffung der
dwifungsi und die Einführung einer parlamentarischen Demokratie. Radikaldemokratische
Vorstellungen waren typisch für einen Teil der Studentenschaft und einige
kleinere, oft von Studenten gegründete NGOs. Ihre Radikalität zeigte sich in ihrer
Risikobereitschaft - viele von ihnen kamen ins Gefängnis - und z.T. in weit reichenden
linkssozialdemokratischen Forderungen nach einem Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik.
Viele von ihnen waren entweder nicht sehr religiös oder trennten
strikt zwischen Politik und Religion. 98 Die Liberaldemokraten waren häufig bereits
etablierte Professionals (Hochschuldozenten, Mitarbeiter größerer NGOs, einige
PDI- und PPP-Parlamentarier etc.), die die Rechtsstaats- und Menschenrechtsdebatte
bestimmten und bereit waren, in begrenzter Form auch mit Teilen der Regimekoalition
zusammenzuarbeiten. 99 Die Sukarnoisten bezogen sich sehr stark auf das Erbe
Sukarnos, also auf populistische, linkssozialdemokratische, z.T. fast messianistische
Ideen. Die Sukarnoisten hatten ihre Basis in der PDI, und ihre neue Führerin war seit
Ende 1993 Megawati. 100 Die drei genannten Gruppierungen waren tendenziell säkular
orientiert, was nicht bedeutet, dass religiöse Konzepte für sie gänzlich unerheblich
waren. Es ist erst dann sinnvoll, ausdrücklich von islamischen politischen Strömungen
zu sprechen, wenn die religiöse Lehre die politischen Doktrinen wesentlich
begründet und/oder wenn die Mitgliedschaft in religiösen Organisationen das politische
Handeln bestimmt. In dem Moment, in dem der Islam zum alleinigen und vorrangigen
Begründungskonzept für das politische Handeln wird, entsteht ein eigenes
politisches Ideensystem und eine eigene politische Strategie. Es soll an dieser Stelle
zwischen zwei islamdemokratischen Strömungen unterschieden werden: nämlich
den modernistischen Islamdemokraten, die an einem gemäßigten Totalitätsanspruch,
wonach die islamische Lehre alles Wissen bereits einschließt, festhielten und den
Traditionalisten. Zwischen den beiden letztgenannten Strömungen waren die Neomodernisten
zu verorten (wie Abdurrahman Wahid oder Nurcholish Majid), während
die Transformisten aufgrund ihrer Radikalität bereits den drei säkularen Strömungen
zuzurechnen waren (vgl. Abschnitt 3.7). 101
sen mit den von Feith beschriebenen Strömungen des javanischen Traditionalismus, demokratischen
Sozialismus, radikalen Nationalismus, Kommunismus und Islam (in einer NU-abangan-Variante und
einer Masyumi-santri-Variante).
98
Interviews mit Saleh Abdullah (Generalsekretär von PUDI), Budiman Sudjatmiko (PRD-Vorsitzender),
HJC Princen (LPHAM) und "Coki" Naipospos (Pijar) am 10.10., 13.10. und 3.10.1997 bzw. am 9.1.1998
in Jakarta.
99
Interviews 1997 in Jakarta mit Franz Magnis Suseno (10.5.), Rustam Ibrahim, E. Shobirin Nadj (20.5.),
Christianto Wibisono (23.5.), Daniel Dhakidae (27.5.), Asmara Nababan (28.5.), Mochtar Pabottingi
(11.7. in Singapur), Todung Mulya Lubis (28.5.), Loebby Loqman (26.11.), Mochtar Buchori (12.12.) et
al.
100
Interviews in Jakarta mit Alex Litaay, Sabam Sirait (jeweils am 19.1.1998), Aberson M. Sihaloho
(1.10.1997) u.a.
101
Insofern können A. Wahid u.a. in die Kategorie der Liberaldemokraten eingeordnet werden. Die
islamischen Transformisten sind häufig Radikaldemokraten.
333

334
Oppositionelle Gruppen
Die Opposition von 1988 bis 1998: Phasen der Entwicklung
Auch wenn es schwierig sein dürfte, die Entwicklung der Demokratiebewegung seit
circa 1988 in deutlich voneinander unterscheidbare Phasen einzuteilen, liegt eine
Untergliederung in fünf kurze Zeitabschnitte nahe. In der Anfangsphase von etwa
1988 bis 1993 verstärkte sich die Spannung zwischen Suharto und den ihn direkt
unterstützenden Teilen der Regimekoalition und dem Militär um Murdani und den
reformwilligen Teilen der Regimekoalition. Im März 1988 war es zu dem vermutlich
von der Gruppe um Murdani in Szene gesetzten Temperamentsausbruch von
Ibrahim Saleh bei der MPR-Sitzung gekommen, während der der neue Vizepräsident
bestimmt worden war. Einige Wochen zuvor hatte Suharto Murdani als ABRI-
Kommandeur ablösen lassen. Mit diesen beiden Ereignissen war der offene Bruch
zwischen Suharto und seinem langjährigen Geheimdienstzar besiegelt worden. Interessanterweise
konnte dieser Riss in der Regimekoalition die keterbukaan-Debatte
im Parlament (1989-91) wenn nicht auslösen, so doch zumindest fördern. In diese
erste kurze Phase fielen auch das faktische Ende des Ost-West-Konfliktes, die Annäherung
an China und damit die Aushöhlung der antikommunistischen Grundhaltung
des Regimes.
Während das Militär seit dem Juni 1988 noch die bersih lingkungan-Kampagne
gegen Sudharmono startete, begann Suharto seine Islamisierungspolitik mit den
Gesetzen über islamische Gerichte und über religiöse Erziehung (1988/89). Der
Konflikt um den Kedung-Ombo-Staudamm zeigte 1989 bereits, dass es neuartige,
bedeutende Koalitionen zwischen Bauern, NGOs und Studenten gab, die breiten
Rückhalt in der Bevölkerung fanden, und die zu einer ernsthaften Bedrohung für das
Regime werden konnte. Zugleich intensivierte sich 1989/90 die öffentliche suksesi-
Debatte, einer raffinierten, weil legalen und legitimen Form der Kritik am Präsidenten,
die u.a. von Sumitro ausgelöst und in einer Petition 58 prominenter Indonesier
vom August 1990 aufgenommen worden war.
Nach dieser Phase der Öffnung, die "von oben" mit angestoßen worden war und die
sich sowohl in den Debatten der Machteliten als auch an der Basis widerspiegelte,
bildeten sich 1990/91 erste bedeutende zivilgesellschaftliche Organisationen: So
etwa Setiakawan (1990) und der SBSI (April 1992) sowie das Forum Demokrasi
(1991). Gleichzeitig setzte sich die Islamisierung fort. 1990 war es zur Monitor-
Affäre gekommen, im selben Jahr durfte Habibie mit ICMI eine Muslimorganisation
gründen, die sich unabhängig gab, aber in Wirklichkeit weitgehend unter seiner
Kontrolle und letztlich der Suhartos blieb. Das Dili-Massaker im November 1991
bedeutete einen Prestigeverlust für das Militär, das sich die Ermittlungen einer Untersuchungskommission
gefallen lassen musste, und brachte Indonesien auch international
in die Kritik. Indonesien musste mit kleinen Reformen reagieren, um die
nationale und internationale Kritik zu besänftigen, und schuf daher im Juli 1993
KomnasHAM.
Die zweite Phase setzte mit der Wahl Megawatis zur Vorsitzenden der PDI im Dezember
1993 auf dem außerordentlichen Kongress in Surabaya ein. Damit hatte die
Demokratiebewegung am Ende des Jahres 1993 drei wichtige Foren, nämlich einen

Demokratiebewegung
lockeren Zusammenschluss führender Intellektueller unter der Leitung des bedeutendsten
islamischen Führers des Landes, eine demokratische Partei mit Massenanhang
unter dem Vorsitz der charismatischen Tochter des alten Volkshelden Sukarno
und eine unabhängige Gewerkschaft, die das Potenzial zur Mobilisierung von mehreren
Millionen Industriearbeitern besaß. Die beiden weiteren Höhepunkte dieser
Phase waren die Publikationsverbote im Juni 1994 und der "Sabtu Kelabu" im Juli
1996. In dieser Zeit wurden die SBSI und ihre Führer zunehmend kriminalisiert und
kaltgestellt, so dass es zwar weiterhin zu einer Unzahl von Streiks kam, die Regimekoalition
aber kaum mehr die Entstehung einer Arbeiterbewegung mit zentralisierter
Führung fürchten musste. Vor allem der Jakarta Crackdown sollte mit der PDI um
Megawati, mit einigen illoyalen NGOs und dem radikalen Teil der Studentenbewegung
Schluss machen. Nach der Gründung von KIPP, PUDI, MARI und der PRD
hatte die Opposition Mitte 1996 aus Sicht des Regimes bedrohliche Ausmaße angenommen,
zumal wenn man bedenkt, dass an der Spitze von NU, Muhammadiyah
und der PDI Personen standen, die uneingeschränkt als prodemokratisch bezeichnet
werden konnten. Der "Sabtu Kelabu" war dann der letzte große Höhepunkt.
Die dritte Phase bis zum Februar 1998 war geprägt von der Abwesenheit einiger
charismatischer Personen, die die Demokratiebewegung für viele Indonesier so
glaubwürdig vertreten hatten. Megawati durfte an den Wahlen nicht teilnehmen und
konnte nur versuchen, die Rechtmäßigkeit ihrer Wahl zur Vorsitzenden gerichtlich
bestätigt zu bekommen. Sie wandte sich hin und wieder an ihre Anhänger und bat
um weitere Unterstützung. Sri Bintang Pamungkas, Muchtar Pakpahan, Budiman
Sudjatmiko u.a. saßen in Untersuchungshaft und waren zumindest bis zur Präsidentenwahl
1998 aus dem Verkehr gezogen. Abdurrahman Wahid zog sich - für viele
unverständlich - etwas zurück und suchte 1997 sogar die Nähe zur Suharto-Tochter
"Tutut". Dafür konnte Amien Rais, seit 1995 Muhammadiyah-Vorsitzender, stärker
in den Vordergrund rücken und bis 1998 zum mächtigsten und mutigsten Regimekritiker
werden.
Es gab seit dem "Sabtu Kelabu" keine Organisation der Opposition mehr, die in
kurzer Zeit Millionen Anhänger hätte mobilisieren können. Dafür gab es eine kaum
übersehbare Vielfalt von Institutionen, Bündnissen und Protestformen, über die in
den Medien ausführlich berichtet wurde und die insbesondere die internationale
Presse mehr interessierte als parlamentarische Scheindebatten oder regierungsamtliche
Erklärungen. Bis Anfang 1998 herrschte in Indonesien eine Friedhofsruhe, und
auf dem Papier existierte die Opposition nicht oder nicht mehr, aber als Idee und als
untergründig fortbestehendes Potenzial war die prodemokratische Bewegung weiterhin
präsent.
Die Opposition war seit dem "Sabtu Kelabu" orientierungs- und führungslos. Vielleicht
mehrten sich auch deshalb die Unruhen, die auch Barometer der allgemeinen
politischen Lage und Gradmesser des Verhältnisses Regimekoalition/Opposition
waren.
In der vierten Phase vom Februar 1998 bis Mitte Mai 1998 kam es zu den sich immer
stärker ausweitenden Studentenprotesten. Erst in der fünften Phase bis zum
Rücktritt Suhartos am 21. Mai zerfiel die Regimekoalition (siehe Kap. 5).
335

336
Oppositionelle Gruppen
In den folgenden Abschnitten soll die Entfaltung der prodemokratischen Bewegung
insbesondere mit Beginn der ersten Transitionsphase um 1988 geschildert und analysiert
werden. Soweit es für diese Analyse notwendig erschien, wurden auch die
Entwicklungen vor 1988, soweit sie in der bisherigen Beschreibung nicht berücksichtigt
wurden, in die Darstellung aufgenommen.
4.3 Freie Professionals, Politiker sowie religiöse Führer und ihre
jeweiligen Organisationen
Bis Ende der 80er Jahre war die Opposition in Indonesien recht schwach. Es gab
noch keine unabhängigen Gewerkschaften oder Parteien. Mitte der 80er Jahre gehörten
zu den prominentesten Oppositionellen - abgesehen von einigen Ost-Timoresen -
die Angehörigen der Petisi-50-Gruppe und einige NGO-Aktivisten (etwa von LBH),
daneben noch einige Künstler. Die politischen Parteien und die religiösen Organisationen
waren wie die Berufsverbände noch sehr zurückhaltend. Der Widerstand
muslimischer Gruppen war nach Tanjung Priok langsam zum Erliegen gekommen.
In den 90er Jahren sollte sich diese Situation grundlegend ändern. Im Folgenden
wird versucht, teils chronologisch, teils geordnet nach Gruppen und Organisationen
vorzugehen. Die Entwicklungen lassen sich in mehrere, oben bereits beschriebene
Phasen gliedern, die insgesamt einen Prozess der Radikalisierung und der Diversifizierung
kennzeichnen:
- Phase 1 von 1988/89 bis 1993: Es entstanden Risse in der Regimekoalition, und
aufgrund verschiedener Ursachen begann die keterbukaan-Phase; erste Diskussionsforen
bildeten sich, die Presse berichtete immer offener, und die gesamte prodemokratische
Bewegung schuf sich zunehmend neue Spielräume.
- Phase 2 von Ende 1993 bis Juli 1996: Mit der Übernahme des PDI-Vorsitzes durch
Megawati war eine entscheidende Wende eingeleitet worden; es traten dann parteiähnliche
Organisationen (PNI Baru, Masyumi Baru etc.) und schließlich neue Parteien
(PRD und PUDI) auf.
- Phase 3 von Juli 1996 bis Februar 1998: Die Führung der Opposition ging wegen
der Repression nach dem "Sabtu Kelabu" auf einzelne Personen wie Megawati und
Amien Rais über.
- Phase 4 von Februar 1998 bis Mitte Mai 1998: Es formierte sich eine vor allem
gegen den Präsidenten gerichtete reformorientierte Studentenbewegung.
- Phase 5 von Mitte Mai bis zum Rücktritt Suhartos (zu den Phasen 4 und 5: Kapitel
5).
Neben jenen oppositionellen oder konfliktfähigen Gruppen, deren soziale Basis
relativ deutlich auszumachen ist, gibt es einen Teil der Opposition, der über viele
unterschiedliche Organisationen verstreut ist und zu der etwas diffus zusammengesetzten
Gruppe der Professionals zu rechnen ist. Es gibt Professionals, die als staatsabhängige
Technokraten die Regimekoalition aktiv unterstützen und selbst bis in die

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
Machtelite vorgedrungen sind. Zur Opposition aber zählen häufig unabhängige,
ungesicherte Professionals, zumal solche, die im Westen ausgebildet wurden. 102
Während Studenten oder Arbeiter in für sie jeweils typischen Organisationen typische
Protestaktionen planen und durchführen, sind die Wissenschaftler, Künstler,
Anwälte, Journalisten, Ingenieure, Manager, Ärzte etc., die aufgrund ihres Konfliktpotenzials
hier von Interesse sind, über viele Assoziationen verteilt. Einige arbeiten -
wie bereits erwähnt - in den vielen NGOs. Andere organisieren sich in Berufsverbänden,
in religiösen Vereinigungen, in Parteien und parteiähnlichen Assoziationen
sowie in Diskussionszirkeln oder Aktionsbündnissen mit besonderer Agenda (z.B.
Komitees zur Wahlbeobachtung).
Aufgrund der korporatistischen Strategie der indonesischen Regierung waren die
Berufsverbände für die Demokratiebewegung unbedeutend. Die Unternehmerverbände
Kadin, Hippi, Hipmi usw. setzten sich für die Interessen der pribumi-
Unternehmer ein und wirkten z.T. auch auf die Gesetzgebung ein, insgesamt waren
diesen Verbände aber recht schwach. Ähnlich war es bei den Vereinigungen der
Ärzte, Lehrer, Anwälte etc., die jeweils in staatlich kontrollierten Organisationen
zwangsvereint worden waren und keinen Einfluss in der Demokratiebewegung hatten.
Auch die meisten Manager und hohen Angestellten standen der Demokratiebewegung
fremd gegenüber. 103
In diesem Abschnitt sollen die wichtigsten dieser Vereinigungen, soweit sie zur
Opposition in Indonesien gerechnet werden konnten, vorgestellt werden. Die NGOs
im engeren Sinne, die nicht immer trennscharf von diesen zu unterscheiden sind,
werden im nächsten Abschnitt behandelt.
Statistische Daten zu den Professionals
Die verfügbaren Statistiken über die Einkommens- und Vermögensverteilung in
Indonesien sind i.d.R. ohne größere Aussagekraft. Es ist lediglich bekannt, dass
102 Vgl. Schubert/Tetzlaff/Vennewald 1994, 90ff.
103 Wie sehr sich der private Sektor ausgedehnt hat und wie sehr er an Ansehen gewonnen hat, zeigt der
Trend, dass Höherqualifizierte immer mehr die Arbeit in privaten Unternehmen dem Staatsdienst vorziehen.
Vor 20 oder 30 Jahren dagegen war für die meisten Indonesier, insbesondere für die pribumi, eine
Verbeamtung erstrebenswerter, zumal neben dem garantierten Einkommen das mit diesem Beruf verbundene
Ansehen sehr hoch war. Inzwischen sind die Gehälter in der Privatwirtschaft jedoch um ein Vielfaches
gestiegen. Schon Anfang der 90er Jahre verdienten die führenden Manager um eine Milliarde Rp.
pro Jahr, das waren ca. 500.000 US$. Die Nachfrage nach hoch qualifiziertem Managementpersonal ist
erst seit Mitte der 80er Jahre stark angestiegen. So wurde erst 1988 das erste MBA-Programm an staatlichen
Universitäten angeboten. 1967 war allerdings schon ein privates Institut mit entsprechenden Programmen,
nämlich das LPPM (seit 1985 IPPM), von dem Jesuitenpriester und Ökonomen Kadarman
gegründet worden. 1982 kam das Institut Manajemen Prasetiya Mulya hinzu, zu dessen Förderern einige
der sinoindonesischen Tycoons gehörten (Liem Sioe Liong, William Suryajaya, The Ning King, Sofyan
Wanandi u.a.). Das 1984 eröffnete Institut Pengembangan Manajemen Indonesia hingegen stützte sich
auf pribumi wie etwa Suswanto Sudomo, Bustanil Arifin, Sumitro Joyohadikusumo, Tanri Abeng und
Aburizal Bakrie (Vgl. Habir 1993, 165ff). In Hochglanzmagazinen wie Swasembada oder Eksekutif
stellte sich diese Gruppe der modebewussten Golfer mit MBA selbst dar. Einige der bestbezahlten Manager
wie Tanri Abeng (der 1998 Minister wurde), Johannes Koco, Robby Johan u.a. gehörten zu den
bekanntesten Indonesiern, über die auch häufig in den politischen Magazinen berichtet wurde.
337

338
Oppositionelle Gruppen
1993 3 Mio. Indonesier mehr als 20.000 US$ pro Jahr und 30 Mio. mehr als 1.500
US$ pro Jahr verdient haben sollen. 104 Auch ist es sehr schwierig, statistische Daten
über die Professionals in Indonesien zu erhalten. 1996 hatten von den offiziell registrierten
85,7 Mio. Arbeitskräften knapp 3 Mio. einen Hochschulabschluss (1990: 1,5
Mio.), hinzu kamen 13,3 Mio. (1990: 7,7 Mio.) mit einem SMTA-(Senior-High-
School-) Abschluss (vgl. Tab. 4-1). In der Verwaltung hatten von den 4,06 Mio.
Beschäftigten etwa 780.000 einen Hochschulabschluss und 2,5 Mio. einen SMTA-
Abschluss.
Tabelle 4-1: Bildungsniveau der Beschäftigten (1990 und 1996) in Mio.
1990 1996
ohne Schulbildung 11,3 8,5
kein Grundschulabschluss 20,2 17,3
Grundschule (SD) 28,0 32,9
SMTP (Junior High School) 7,3 10,7
SMTA (Senior High School) 7,7 13,3
Diploma I/II 0,3 0,5
Diploma III 0,6 1,0
Universitätsabschluss 0,6 1,5
gesamt 75,9 85,7
Quelle: Statistik Indonesia 1997c, 72f.
Die Statistiken weichen z.T. etwas voneinander ab, da die Beschäftigungsfelder
nicht immer einheitlich definiert sind. Deutlich wird aber der fundamentale Wandel
im Dienstleistungssektor. Obwohl die Anzahl der Arbeitskräfte von 1990 bis 1996
um fast 10 Millionen zunahm, arbeiteten 1996 4,2 Millionen Erwerbspersonen weniger
im primären Sektor (vgl. Tab. 4-2). Nach BPS-Zahlen arbeiteten 1990 0,2%
und 1996 bereits 0,7% als Führungskräfte. Der Anteil der in dieser Publikation nicht
deutlich definierten Gruppen der "professional, technical and related workers" erhöhte
sich von 3,7 auf 4,0%. Da der Frauenanteil hier erheblich höher ist, dürften
auch weniger qualifizierte Tätigkeiten eingeschlossen sein, zumal der Stadt-Land-
Unterschied nicht so groß ist. Da sämtliche Zahlenangaben nicht nach Gehaltsgruppen
oder Qualifikationsniveaus unterschieden sind, lassen sich nur sehr allgemeine
Schlüsse ziehen:
- Das Bildungsniveau ist vor allem in den 90er Jahren stark gestiegen.
- In den letzten Jahrzehnten ist es zu einer deutlichen Tertiarisierung gekommen, die
sich in den 90er Jahren noch weiter beschleunigt hat.
- Vor allem Führungs- und Bürokräfte ("clerical workers") haben anteilsmäßig deutlich
zugelegt (in Jakarta gab es 1996 allein 21,3% Bürokräfte).
104 Anggoro 1996, 189.

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
- Insbesondere in den großen Städten gibt es ein riesiges Heer von Beschäftigten in
verschiedenen Dienstleistungssektoren und einen quantitativ schwer bestimmbaren
Anteil von Professionals. 105
Tab. 4-2: Prozentualer Anteil der Beschäftigten nach Beschäftigungsfeldern in den
Jahren 1980, 1990 und 1996
Beschäftigungsfeld 1980 1990 1996 1996 1996 1996 1996
(Stadt, (Stadt, (Dorf, (DKI
Männer) Frauen) gesamt) Jakarta)
Professionals, Techniker etc. 2,9 3,7 4,0 4,5 8,7 3,0 5,5
Führungskräfte 0,1 0,2 0,7 1,6 0,7 0,4 1,8
Bürokräfte 3,5 5,0 5,7 14,3 10,7 2,2 21,3
Handel ("sales workers") 13,0 14,4 16,0 21,2 35,7 11,2 26,4
Dienstleistungen 4,3 4,2 4,0 6,2 12,9 1,9 13,9
Primärer Sektor 56,2 50,2 46,0 10,8 8,6 62,9 1,2
Prod., Transp., schwere Arbeit#
19,1 22,2 23,0 39,6 22,0 18,0 28,9
andere 0,7 0,1 0,8 1,8 0,7 0,5 1,1
Industriearbeiter (tenaga produksi) 8,5%, Transportarbeiter 2,8%, Schwerarbeiter (pekerja
kasar), z.B. auf dem Bau, 11,7%
Industriearbeiter 10,8%, Transportarbeiter 6,2%, Schwerarbeiter 22,3%
Industriearbeiter 16,5%, Transportarbeiter 2,3%, Schwerarbeiter 3,3%
# nichtselbständige Handarbeit außerhalb des primären Sektors
Quellen: Tjiptoherijanto 1997, 161; BPS 1997d (Susenas), 30 und 164ff (für 1996).
Diese etwas vagen statistischen Daten sind in den letzten Jahren durch einige Umfragen
ergänzt worden, bei denen es vor allem um die politische Haltung der Mittelklasse
ging. In diesen Analysen ist mit der Mittelklasse ("kelas menengah") fast
ausschließlich das Heer von sehr gut ausgebildeten, meist in den größeren Städten
lebenden Professionals gemeint. In einer Kompas-Studie wurde das Verhalten dieser
Mittelklasse mit den Worten "High Thinking - Low Risks" umschrieben. 106 Danach
bestand grundsätzlich eine Bereitschaft zu politischen Reformen im Allgemeinen
und zur zumindest schrittweisen Demokratisierung. Aber aufgrund der Abhängigkeiten
von Vorgesetzten, staatlichen Krediten und Konzessionen war nach dieser
Studie die Risikobereitschaft minimiert. Verschiedene andere Umfragen brachten
reformfreundliche Stimmungen in der Mittelklasse ans Tageslicht: So etwa eine der
Zeitschrift Forum Keadilan 107 , die Großstadtbewohner befragte, die einen Hochschulabschluss
hatten oder zumindest eine Zeit lang eine Hochschule besuchten.
Damit war ein Sample gewählt worden, das - wenn auch nur bedingt repräsentativ -
105 Außerdem gibt es bei den einzelnen Beschäftigungsfeldern einige auffällige regionale Besonderheiten.
Besonders viele Professionals, Techniker etc. sind in Nordsulawesi registriert (10,5%), viele Führungskräfte
("administrative and managerial workers") in Jambi (3,9%) und sehr viele Bürokräfte ("clerical
workers") ausgerechnet in Ost-Timor (26,3%).
106 So Daniel Dhakidae (Interview am 27.5.1997); Kompas 30.9.1996.
107 Forum Keadilan: Edisi Khusus Lima Puluh Tahun Indonesia Merdeka, August 1995, 44ff.
339

340
Oppositionelle Gruppen
Aufschluss über die politischen Vorstellungen der Professionals geben konnte. Prodemokratische
Haltungen ergaben sich auch aus einer Umfrage von Gatra. 108 Bei
aller Vorsicht, mit der solche Umfragen interpretiert werden müssen, zeigten sie
doch immer wieder, dass die indonesische Mittelklasse (in diesem Fall wurden 814
Studenten und junge Akademiker befragt) überwiegend unzufrieden mit der Neuen
Ordnung war. Etwa ein Drittel der Befragten war sogar für einen drastischen politischen
Wandel.
Im Folgenden soll die Entwicklung des fast ausschließlich von Professionals getragenen
Mittelklassewiderstandes kursorisch nachgezeichnet werden. Dabei stehen
Organisationen unterschiedlicher Art, aber auch einzelne wichtige Ereignisse im
Vordergrund.
Die erste Phase von 1988/89 bis 1993
Keterbukaan
Keterbukaan bedeutet Offenheit. Ende der 80er Jahre gelangte dieses Wort in das
gängige politische Vokabular Indonesiens. Zum einen verbarg sich hinter der regierungsamtlichen
Verwendung des Begriffs der Versuch Suhartos, die Terminologie
der Opposition für sich zu nutzen und präventiv den Demokratiediskurs in neue, für
ihn ungefährliche Bahnen zu lenken. Zum anderen war diese neue Debatte eine
Folge des zunehmenden Konfliktes zwischen Suharto und Benny Murdani und ihrer
jeweiligen Klientelgruppen. 109 Im August 1990 sprach Suharto ausdrücklich davon,
dass unterschiedliche Ansichten toleriert werden sollten. Während diese Rede von
den meisten Indonesiern als erstaunlich, wenngleich insgesamt unglaubwürdig bezeichnet
wurde, wurden ähnliche Äußerungen des Heereskommandeurs Edi Sudrajat
als ehrlicher eingeschätzt. Im Dezember 1989 sagte er auf einem Treffen von Offizieren
in Magelang, dass die Bevölkerung besser ausgebildet sei als zuvor und deshalb
offener diskutieren wolle. Der "mit dem Fuß stampfende, Vater-weiß-es-ambesten-Führungsstil"
müsse der Vergangenheit angehören. 110
Nach den Ereignissen 1974 und 1977-80 zeichnete sich also Ende der 80er Jahre
wieder eine Zunahme der Spannungen zwischen der ABRI-Führung und dem Präsidenten
ab. Deshalb ging Suharto seit etwa 1990 dazu über, ehemalige persönliche
Adjutanten in höchste Militärämter zu berufen und dabei die Empfehlungen aus dem
Hauptquartier weitgehend zu ignorieren. 111
Die Rolle von Generälen a.D. und ehemaligen Spitzenpolitikern
Im DPR waren es ausgerechnet einige Angehörige der ABRI-Fraktion, die die keterbukaan-Debatte
belebten. In der Parlamentskommission, die sich mit politischen
und sozialen Angelegenheiten befasst, veranlasste der Vorsitzende, GM Samsuddin,
108 Gatra 31.5.1997.
109 Vgl. Lane 1991.
110 Vatikiotis 1993, 88.
111 Vatikiotis 1993, 90.

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
der einige Jahre später zum Menschenrechtskomitee gehörte, Hearings zu diesem
und verwandten Themen. Samsuddin und Polizeioberst Rukmini, eine der wenigen
Frauen in der ABRI-Fraktion, sprachen sich selbst mehrfach offen für Reformen
aus. 112 Rukmini hatte z.B. Mitte 1989 davon gesprochen, dass die Presse nur noch
aus "Regierungsbulletins" bestehe.
Samsuddin lud den 1975 nach der Malari-Affäre aus dem Amt geschiedenen Sumitro
113 zu einem Hearing ein. Sumitro gehörte zu jenen ehemaligen Militärangehörigen,
die sich nach der Beendigung ihrer aktiven Laufbahn mehr oder weniger von
Suharto und dem Regime distanzierten. Während Fosko, LKB und die Petisi-50-
Gruppe einige radikale Exmilitärs (vor allem Ali Sadikin) in ihren Reihen hatten,
waren die meisten anderen Kritiker, die ehemals zu ABRI gehört hatten, eher moderat.
Zu den vielen Generälen i.R., die sich nach ihrer Pensionierung - und nachdem
sie ökonomisch versorgt worden waren - gemäßigt kritisch zu Wort meldeten,
gehörten etwa Sayidiman Suryohadiprojo, Hasnan Habib und Rudini. In unzähligen,
ermüdenden Aufsätzen versuchten sie zu verdeutlichen, dass die dwifungsi an sich
bewahrenswert sei, dass nur die Implementierung verbessert werden müsse. Insbesondere
solle das Militär damit beginnen, sich langsam aus bestimmten Gesellschaftsbereichen
zurückzuziehen.
Die kritischeren alten Generäle waren für die Regimekoalition deshalb so gefährlich,
weil sie über ein umfangreiches Geheimwissen verfügten. Sumitro z.B. konnte immer
damit drohen, "auszupacken". Da er jahrelang die Nummer 2 in der Machthierarchie
gewesen war, wusste er von den Machenschaften der Suharto-Familie und der
Militärführung.
1989 hatte Sumitro bereits in einem FEER-Artikel weit reichende, wenngleich nicht
wirklich radikale Reformen gefordert. Gestützt auf sein Drohpotenzial, breitete er
seine Reformvorstellungen vor der Parlamentskommission detailliert aus. 114 Er
machte sich stark für ein System unabhängiger Parteien, für Wahlen mit Kandidaten
in den Distrikten (d.h. ein Mehrheitswahlsystem ohne Listenkandidaten), für eine
"Atmosphäre der Offenheit", für die Verantwortlichkeit der Minister vor dem DPR
und dafür, dass die MPR-Mitglieder die Wahl zwischen mehreren Präsidentschaftskandidaten
mit jeweils eigenem Programm bekommen sollten. Sumitro dürfte damit
das Reformkonzept eines nicht unerheblichen Teils der Militärführung, aber vor
allem vieler Politiker und Bürokraten wiedergegeben haben. Die wesentlichen Institutionen
der Neuen Ordnung - und damit die eigenen Machtpositionen - sollten
unangetastet bleiben. Durch eine stärkere Kontrolle "von unten" sollten zugleich
112 1994 wurden Samsuddin und Sembiring, ebenfalls ein ABRI-Parlamentarier, der kein Blatt vor den
Mund nahm, durch Nachrücker ersetzt. Rukmini musste 1992 ausscheiden. Die offizielle, wenngleich
nicht ehrliche Begründung war, dass die beiden ihr Pensionsalter erreicht hätten.
113 Sumitro: geboren 1927 in Probolinggo, Ostjava, Kopkamtib-Kommandeur und Stellvertreter des
ABRI-Kommandeurs 1971-75, nahm im Anschluss an die Malari-Affäre den Posten des Botschafters in
den USA nicht an, rechnete in seiner Autobiographie mit Panggabean ab, begrüßte das Forum Demokrasi,
hielt aber das Dili-Massaker für gerechtfertigt.
114 Lane 1991, 35.
341

342
Oppositionelle Gruppen
aber die Auswüchse der Vetternwirtschaft und der Militärherrschaft beseitigt werden.
Ähnliche Forderungen erhoben im August 1990 58 prominente Indonesier. In einer
an das DPR und den MPR gerichteten Petition sprachen sich die Unterzeichner, die
z.T. zu den Petisi-50-Leuten gehörten, für die Aufhebung von Bestimmungen und
Institutionen aus, die nach ihrer Auffassung gegen die Verfassung verstießen. Sie
wollten eine stärker an den Interessen des Volkes orientierte Entwicklungsstrategie,
eine Beseitigung der Untertanenmentalität und den Rücktritt Suhartos am Ende der
Legislaturperiode. 115 Vor allem die Forderung an Suharto, nicht wieder zu kandidieren,
musste von ihm als Majestätsbeleidigung empfunden werden.
Die ehemaligen Angehörigen der Regimekoalition (Sadikin, Sumitro, Nasution etc.)
können nicht zu den Mittelklasse-Professionals gerechnet werden, sondern zu den
aufgestiegenen neo-priyayi der 45er-Generation. Sie gehörten zu den wenigen Insidern,
die sich vom Regime mehr (Sadikin) oder weniger (Sumitro, Nasution) distanzierten.
Ansonsten erwies sich die Regimekoalition als sehr stabil. Es ist kein Fall
bekannt, dass ein Großunternehmer, ein amtierender Minister oder General oder ein
Golkar-Spitzenpolitiker die Neue Ordnung grundsätzlich in Frage gestellt hätte.
Umso wichtiger war die Funktion von Sadikin, Sumitro, Nasution u.a., deren Kritik
von der Regimekoalition nicht einfach ignoriert werden konnte. Die Opposition
wurde von diesen national geachteten Generälen a.D. legitimiert. 116
Neben diesen Generälen a.D. wendeten sich auch einige prominente und hoch angesehene
Expolitiker gegen Suharto und die gängige dwifungsi-Interpretation. Am
bekanntesten unter ihnen waren die schon erwähnten Hatta und Natsir. Der ehemalige
Vizepräsident Mohammad Hatta verkörperte seit jeher die liberale parlamentarische
Demokratie. Er war Mitte der 50er Jahre aus Protest gegen die autoritären Tendenzen
der damaligen Zeit von seinem Amt zurückgetreten. Mohammad Natsir,
auch ein Petisi-50-Unterzeichner, war für viele modernistische Muslime ein Vorbild.
Natsir war 1950/51 für Masyumi Premierminister und eine der führenden Figuren
dieser Partei bis zu deren Verbot (1960) gewesen.
Hatta und Natsir sind anders als die erwähnten Generäle a.D. niemals Angehörige
der Regimekoalition unter Suharto gewesen. Insgesamt blieb der Widerspruch von
den ehemaligen und noch amtierenden Mitstreitern Suhartos gering, schon weil die
meisten von ihnen um den Verlust ihrer geschäftlichen Kontakte fürchten mussten.
Diskussionsforen: Das Forum Demokrasi, FPKR und Petisi 50
In der Phase Anfang der 90er Jahre bot sich das erste Mal in der Neuen Ordnung die
Möglichkeit, unabhängige Organisationen zu gründen, in denen sich Intellektuelle
zu Diskussionen zusammenfinden konnten. Im April 1991 trat das Forum Demokra-
115 Wessel 1992, 327.
116 Abdul Haris Nasution, der wohl angesehenste Veteran in der Ära der Neuen Ordnung, hatte seine
Unzufriedenheit mit der Implementierung der dwifungsi häufig zum Ausdruck gebracht und auch von
Demokratie und Offenheit gesprochen. Letztlich ließ er sich aber 1997 mit großem Pomp zusammen mit
Suharto zum Fünf-Sterne-General befördern und verschaffte dem Präsidenten zusätzliches “symbolisches
Kapital”.

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
si zusammen. Das war merkwürdigerweise das erste Diskussionsforum von prominenten
Intellektuellen, die nicht wie die Petisi-50-Mitglieder zuvor selbst einmal zur
Regimekoalition gehört hatten. Zum Forum Demokrasi gehörten 45 der führenden
indonesischen Intellektuellen. Abdurrahman Wahid war die alle anderen Mitglieder
an Bedeutung weit überragende Führungsfigur in dieser Diskussionsgruppe. 117 Viele
Beobachter sahen das Forum als eine Antwort auf die ICMI-Gründung wenige Monate
zuvor. ICMI war schließlich von Anfang an von Wahid als eine sektiererische,
von der Regierung kontrollierte Organisation kritisiert worden. Wahid dachte an
einige intolerante Muslime, die Indonesien in einer für die nichtislamischen Minderheiten
nachteiligen Weise islamisieren wollten. Im Oktober 1990 hatte zudem die
Monitor-Affäre in aller Deutlichkeit die Verletzlichkeit eines Teils der indonesischen
Muslime offenbart. Daneben wurden die Aufführungsverbote für W.S. Rendra
und für die "Opera Kecoa", ein kritisches Theaterstück, sowie die Auseinandersetzungen
um die Anwaltsvereinigung Ikadin als Gründe genannt.
Im Forum waren Intellektuelle mit unterschiedlichem ethnischen und religiösen
Hintergrund versammelt, die Ramage 118 als "säkulare Nationalisten" bezeichnet. Für
diese säkularen Nationalisten ist mit religiösen Überzeugungen kein vollständiges
Weltbild konstruierbar. Für sie muss die Nation über primordialen Bindungen stehen.
Das Forum hatte, wie so viele Organisationen in der Neuen Ordnung, eher die
Funktion, Zeichen zu setzen bzw. auf einer rein symbolischen Ebene politisch Einfluss
zu nehmen. Die Öffentlichkeit erfuhr wenig über das, was sich im Forum Demokrasi
abspielte, und ob - und wenn ja, welche - Beschlüsse gefasst wurden. Nach
eigener Definition war es keine politische Organisation und sollte keinesfalls die
Keimzelle einer politischen Partei sein. Anders als die Petisi-50-Gruppe wollte es
sich nicht in die Politik einmischen, es wollte nicht wie ICMI eine Massenbasis
aufbauen, sondern sich auf Gespräche unter politisch Interessierten beschränken.
Mit dieser Selbstdefinition und mit der ausdrücklichen Anerkennung der Pancasila
sollte möglichen Repressionen aus dem Wege gegangen werden. 119 Trotzdem wurden
Treffen des Forums immer wieder vom Militär verboten oder aufgelöst, und auf
Wahid wurde intensiv Druck ausgeübt, um ihn dazu zu bringen, es zu verlassen.
117 Vgl. Ramage 1995, 158ff und Tempo, 13.4.1991. Zu den Mitgliedern zählten u.a. A. Gaffar Rahman,
Sucipto Wirosarjono (ICMI), Aswab Mahasin (LP3ES), Daniel Dhakidae (Kompas), Manuel Kaisiepo, T.
Mulya Lubis (LBH), A. Rahman Tolleng, Arief Budiman, Romo Mangunwijaya, Franz Magnis-Suseno,
Aristides Katoppo, Chris Siner Keytimu (Petisi 50), Johan Effendi (Beamter im Religionsministerium).
1991 wurden einige neue Diskussions- bzw. Aktionsgruppen gegründet, wie die Alliande (Alliansi Nasional
Demokrasi = Nationale Demokratische Allianz), die AKSI (Alliansi Kekuatan Demokrasi Se-
Indonesia = Allindonesische Allianz Demokratischer Stärke) und die Liga für die Wiederherstellung der
Demokratie (Liga Pemulihan Demokrasi) (King 1992, 159). In der Liga waren u.a. Sunardi, Eggi Sujana
(ICMI) und Hamid Husein (Setiakawan) (Tempo, 13.4.1991). Die Liga für die Wiederherstellung der
Demokratie wurde von dem LBH-Aktivisten H.J. Princen angeführt. Nur Alliande - eine Anspielung auf
Allende - und AKSI (Aktion) forderten radikale Veränderungen. Die genannten Gruppen sind allerdings
danach kaum in Erscheinung getreten.
118 Ramage 1995.
119 1992 erklärte das Innenministerium, es werde das Forum tolerieren, solange es sich nicht mit praktisch-politischen
Fragen beschäftige und nicht in Konkurrenz zu den bestehenden politischen Organisationen
trete.
343

344
Oppositionelle Gruppen
Das Forum Demokrasi rückte in den letzten Jahren in den Hintergrund, weil andere
Organisationen der prodemokratischen Opposition inzwischen sehr viel mehr Aufmerksamkeit
auf sich zogen, und weil Abdurrahman Wahid sich im Wahlkampf
1997 auf die Seite der Suharto-Tochter "Tutut" gestellt hatte. Dieses Verhalten wurde
von vielen Mitgliedern des Forums scharf kritisiert. 120
Ein Beispiel für neu entstandene, moderat oppositionelle, elitäre Vereinigungen war
das im August 1991 gegründete "Forum für die Vervollkommnung der Volkssouveränität"
FPKR. 121 Zu den Mitgliedern zählten u.a. GLt Dharsono, der jahrelang wegen
seiner angeblichen Verwicklung in die Bombenanschläge nach dem Tanjung-
Priok-Vorfall im Gefängnis gesessen hatte und im September 1990 vorzeitig entlassen
worden war, der hochangesehene Historiker Deliar Nur und Abdul Majid, der
einstmals zu den Führungskräften der PNI gezählt hatte. Das FPKR wollte die Ersetzung
der Militärherrschaft durch eine zivile, auf der Basis der Souveränität des
Volkes bestimmte Regierung, kritisierte die Geschäftsaktivitäten der Suharto-
Familie und sprach sich bei den Wahlen 1992 für die Golput-Gruppe, also für einen
Boykott, aus. Das FPKR erinnerte in seinen Zielsetzungen an die Petisi-50-Gruppe,
zumal Dharsono selbst einmal zu dieser Gruppe gehört hatte.
Die Arbeitsgruppe der Petisi-50-Gruppe 122 blieb bis zum Rücktritt Suhartos weiter
aktiv, veröffentlichte kleinere, im Selbstverlag herausgebrachte Schriften und wandte
sich immer wieder mit Memoranden an die Parlamentarier. 123 Diese lockere Vereinigung
war in den 80er Jahren die bekannteste oppositionelle Gruppe in Indonesien.
Suharto hatte den Gruppenmitgliedern, die ihm 1980 vorgeworfen hatten, die
Pancasila und ihre Interpretation zu monopolisieren, nie verziehen. Viele überraschte
deshalb die Rehabilitation von führenden Petisi-50-Leuten im Jahre 1993. Habibie
lud nämlich, zweifellos nach Rücksprache mit Suharto, Ali Sadikin und andere Petisi-50-Mitglieder
zu Besichtigungen der unter seiner Aufsicht befindlichen staatlichen
Unternehmen PAL (Schiffbau) und IPTN (Flugzeugbau). Kurz danach besuchten
der Kommandeur der Streitkräfte, Feisal Tanjung, und der Verteidigungsminister,
Edi Sudrajat, im Krankenhaus A.H. Nasution, der 11 Tage später - am 24. Juli -
sogar vom Präsidenten in dessen Palast kurz empfangen wurde. Das Militär hob das
Auslandsreiseverbot für die Mitglieder von Petisi 50 auf, und Hugeng sowie Dharsono
durften sich auf Staatskosten im Ausland medizinisch behandeln lassen. 124
Diese Geste Habibies war deshalb so bedeutsam, weil etwa Ali Sadikin einer der
Hauptgegner, wenn nicht Todfeinde, Suhartos seit spätestens 1980 war. Die Rehabi-
120 Interview mit Todung Mulya Lubis in Jakarta am 28.5.1997.
121 Forum Pemurnian Kedaulatan Rakyat; vgl. Uhlin 1995, 100f.
122 In den letzten Jahren gehörten zu dieser Arbeitsgruppe, die sich regelmäßig traf, Ali Sadikin, der
informelle Anführer, Azis Saleh, Hugeng Iman Santoso, S.K. Trimurti, H.M. Sanusi, M. Rajab Ranggasoli,
Wahdiat Sukardi, Chris Siner Keytimu und bis 1997 A.M. Fatwa, der sich dann aus der Gruppe zurückzog.
123 Vgl. zum Thema Demokratisierung: Kelompok Kerja Petisi Limapuluh 1995.
124 Crouch 1994, 129ff; Inside Indonesia September 1993, 2ff. Das Reiseverbot war unter dem Kürzel
cekal bekannt (cegah dan tangkal, verbieten und verhindern).

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
litation war ein deutliches Zeichen für die gestiegene Kompromissbereitschaft der
Regimekoalition. Das zeigte sich auch bei der Haltung zu verschiedenen muslimischen
Gruppen und zu den Protesten gegen die Verkehrsgesetze und die Staatslotterie
SDSB. Auch gegenüber einigen Muslimen, die wegen einer angeblichen Beteiligung
an den Tanjung-Priok-Ereignissen und dem Bombenanschlag auf die Bank
Central Asia inhaftiert worden waren, wurde diese Strategie der Wiederannäherung
verfolgt. Der seinerzeit zu 18 Jahren Haft verurteilte A.M. Fatwa beispielsweise kam
im Juli 1993, nach nur acht Jahren Gefängnis, wieder frei. 125
Es war allerdings keine systematisch betriebene Öffnungspolitik, sondern ein widersprüchliches
Hin und Her zwischen Repression und taktischer Liberalisierung. Ein
Beispiel dafür war die Gründung von KomnasHAM.
Die Nationale Menschenrechtskommission KomnasHAM
Im Juni 1993 wurde durch das Präsidentendekret 50 die Nationale Menschenrechtskommission
KomnasHAM ins Leben gerufen. Suharto reagierte damit auf die zunehmende
amerikanische Kritik. Kurz vorher hatte nämlich die Regierung Clinton
mit einer Aufhebung von Handelspräferenzen für Indonesien gedroht, falls es nicht
zu Verbesserungen im Arbeitsrecht kommen sollte. 1992 hatte der Kongress der
Vereinigten Staaten bereits die Militärhilfe für Indonesien eingeschränkt. Nach dem
Dili-Massaker war der Druck aus dem Ausland so hoch gewesen wie nie zuvor in
der Neuen Ordnung. Schon damals hatte Suharto der Einberufung einer Untersuchungskommission
(KPN) zugestimmt.
Das Dekret vom Juni 1993 wurde dann eine Woche vor der Wiener Menschenrechtskonferenz
verkündet und war ein Teil der Strategie, die ausländischen Kritiker
zu besänftigen. KomnasHAM sollte die Menschenrechtssituation in Indonesien
ständig begutachten, das Bewusstsein der Bevölkerung für Menschenrechtsfragen
schärfen und mit internationalen Organisationen kooperieren. Viele Oppositionelle
äußerten sich skeptisch, oft sogar ausgesprochen pessimistisch zu dem Komitee.
KomnasHAM hatte keine verbrieften Rechte. Es durfte zwar beobachten und Empfehlungen
aussprechen, es konnte jedoch seine Untersuchungen nicht ohne zahlreiche
Auflagen durch die Sicherheitskräfte durchführen. Einige prominente Menschenrechtler
in Indonesien verweigerten daher auch die Mitarbeit, weil sie nicht als
Feigenblatt der Regierung dienen wollten.
Zwar wurde der ehemalige Justizminister und Generalstaatsanwalt Ali Said, von
dem keine kritischen Äußerungen zu erwarten waren, Vorsitzender der Kommission,
aber im Laufe der folgenden Jahre übernahmen viele ausgewiesene, relativ unabhängige
Wissenschaftler und NGO-Aktivisten Funktionen bei KomnasHAM. 126
Deren Aufgaben waren von Anfang an nur vage definiert. Die Mitglieder wurden
125 Crouch 1994, 130.
126 Inside Indonesia Sep. 1994, 9f; Human Rights Watch Asia 1994, 122ff. Schon zu Beginn z.B. der
liberale und prodemokratische muslimische Intellektuelle Nurcholish Majid, die Generalin Rukmini, die
als Parlamentarierin die keterbukaan-Debatte mit angestoßen hatte, der ebenfalls liberale NGO-Aktivist
Asmara Nababan (dessen Bruder der aus dem Amt gestoßene HKBP-Bischof ist) oder die weitgehend
unabhängigen Juraprofessoren Sutandyo Wignyosubroto und Sri Sumantri.
345

346
Oppositionelle Gruppen
direkt vom Präsidenten ernannt, und die finanzielle Unabhängigkeit war nicht gewährleistet.
Dennoch erwies sich die Errichtung von KomnasHAM als ein wichtiger
Schritt auf dem Weg der Demokratisierung. Es zeigte sich sehr schnell, dass solche
Organisationen dazu tendieren, ihren Aufgabenbereich auszuweiten und zu versuchen,
Anerkennung auch oder gerade bei den Menschenrechtsaktivisten zu bekommen.
KomnasHAM war deshalb sehr viel kritischer und effizienter als viele Oppositionelle
es erwartet hatten, wenngleich der Einfluss auf die Realpolitik (d.h. auf die
Gesetzgebung und vor allem auf das Handeln von ABRI) gering war, denn gerade in
den letzten Jahren der Neuen Ordnung kam es zu einigen der eklatantesten Menschenrechtsverletzungen.
Vom Dezember 1993 bis zum Dezember 1997 beschäftigte sich die Kommission mit
7.723 Anzeigen, von denen zuletzt knapp 5.000 bearbeitet waren. 127 Darunter waren
einige Fälle, die in ganz Indonesien bekannt waren, wie der Mord an Marsinah, das
Liquisa-Massaker in Ost-Timor oder die Ereignisse vom 27. Juli. Im Marsinah-Fall
veröffentlichte die Kommission am 4.4.1994 einen Bericht, der auf heftige Kritik
von Staatssekretär Murdiono und Gouverneur Basofi Sudirman stieß. Im Liquisa-
Fall (sechs Menschen waren in Ost-Timor im Januar 1995 von Soldaten erschossen
worden) bezeichnete KomnasHAM die Erschießung der unbewaffneten Zivilisten
als rechtswidrig und als schwere Menschenrechtsverletzung, scheute aber davor
zurück, Aussagen über die allgemeine Legitimität solcher Militäraktionen gegen
vermeintliche Fretilin-Angehörige zu machen. 128 In der Erklärung zum "Sabtu Kelabu"
und zum Angriff auf die PDI-Zentrale war zu lesen:
"This represented the continuation of a sequence of earlier events related to the creation of
an open conflict in the body of the PDI in which the government/authorities involved
themselves excessively and one-sidedly and out of proportion to their function as political
stewards and security forces." 129
In all diesen Fällen konnte KomnasHAM als eine Institution arbeiten, die weitgehend
verlässlich Informationen sammelte und detaillierte und aufschlussreiche Berichte
veröffentlichte, aus denen dann die nationale Presse zitieren konnte. Insgesamt
hat KomnasHAM zwar auf die Regierungspolitik kaum einwirken können,
dennoch setzte sie unhintergehbare Standards in der öffentlichen Diskussion.
Die Phase von 1993 bis 1996
Ab 1993 kam Bewegung in die festgefahrenen politischen Machtkämpfe. Mit der
freien Wahl Megawatis zur PDI-Vorsitzenden begann ein neuer Abschnitt in der
ersten Transitionsphase. Jetzt begann die Opposition nämlich, die Vorherrschaft in
einer offiziell anerkannten politischen Partei zu übernehmen.
127 Forum Keadilan 29.12.1997.
128 FEER 16.3.1995.
129 AJI/FORUM-ASIA/ISAI 1997a, 72.

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
Die PDI bis 1996
Auf dem 3. Kongress der PDI im Jahre 1986 wurden Suryadi 130 zum 1. Vorsitzenden
und Nico Daryanti zum Generalsekretär gewählt. Diese beiden Kandidaten entsprachen
durchaus den Vorstellungen der Regimekoalition. Gleichzeitig kamen viele
junge Professionals in den Vorstand. 131 Daryanto, der in den USA studiert hatte,
arbeitete vorher als Direktor bei PT Pacific Chemical Indonesia. B.N. Marbun, der
u.a. in Deutschland studiert hatte, war bei einem Managementinstitut beschäftigt,
und Sugeng Saryadi hatte einen Führungsposten bei der Kodel-Gruppe. Sukowaluyo
war Leiter eines Krankenhauses, und Marcel Beding sowie Titi Juliasih arbeiteten
als Journalisten für Kompas bzw. Mutiara. Laksamana Sukardi und Kwik Kian Gie
galten als ausgewiesene Wirtschaftsfachleute; und Mangara Siahaan sowie der bekannte
Filmschauspieler Sophan Sophiaan, der Sohn des PNI-Politikers Manai Sophiaan,
gehörten zur Gruppe der parteipolitisch engagierten Künstler.
Außerdem gelang es Suryadi überraschend, Megawati 132 und Guruh, die als Kinder
Sukarnos hohes Ansehen vor allem bei der Unterklasse besaßen, als Zugpferde in
den Wahlkämpfen zu gewinnen. Megawati und Guruh belebten den Mythos des fast
göttlichen "Großen Führers der Revolution", der als die Verkörperung einer dem
Volk dienenden Politik galt. 133 Zwar beteuerten die PDI-Führer, dass Sukarno auch
Fehler gemacht habe, eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Gelenkten Demokratie
und den autoritären Zügen des populistischen früheren Präsidenten fand allerdings
nicht statt. 134
130 Suryadi: geboren in Ponorogo 1939, SMA und UGM Yogyakarta (Internationale Beziehungen), seit
1966 Mitglied DPR, 1966-76 Präsidium GMNI, 1974-78 Gründer und Vorsitzender von KNPI, 1985
Beratergremium Kadin, 1. Vorsitzender der PDI von 1986-1993 und von 1996-1998.
131 Zulkifli 1996, 74ff.
132 Megawati Sukarnoputri: geboren 1947 in Yogyakarta, Tochter von Sukarno und Fatmawati, 1965
GMNI Bandung, nicht beendete Studien in Bandung 1967 (Universitas Pajajaran, Landwirtschaft) und an
der UI in Jakarta (1970-72 Psychologie), seit 1987 auf Initiative Suryadis im Parlament (vgl. McIntyre
1997).
133 1992 erklärte Guruh mitten im Wahlkampf sogar, dass er bereit sei, Suharto zu ersetzen.
134 Interviews mit Sabam Sirat und Alex Litaay am 19.1.1998 und mit Aberson M. Sihaloho am 1.10.1997
jeweils in Jakarta. Sukarno wandte sich gegen die "50% + 1-Demokratie" und wollte stattdessen einen
allgemeinen Konsens (mufakat) nach einer ausgiebigen Diskussion (musyawarah). Die traditionelle
Entscheidungsfindung in den vorkolonialen Dörfern diente - ungeachtet der arabischen Ursprünge der
Begriffe - in diesem Modell als Vorbild. Sukarno hatte ein ambivalentes Verhältnis zur Demokratie, zur
Rolle des Volkes und zu seiner eigenen Funktion. Er sah sich selbst als denjenigen, der wie kein Zweiter
im Dienst des Volkes wirkte. Er wollte keine wirkliche Beteiligung der marhaens am politischen Entscheidungsprozess.
Eher sollten die Indonesier durch weise, uneigennützige Persönlichkeiten geführt
werden. Nicht Diskurs und Überzeugung standen im Vordergrund, sondern emotionale Erweckung und
unbegründete Zustimmung. Technokratische Vorstellungen des muddling through und all die Feinheiten
des politischen Handwerks - etwa in den Bereichen Wirtschafts- und Finanzpolitik - waren Sukarno
völlig fremd. Schon die immer wieder verwendeten Begriffe "Volk" (rakyat) oder "Nation" (bangsa)
gaukelten eine Gemeinschaft vor, die es nur in Ansätzen gab. Wenn Sukarno vom Volk sprach, zählte er
sich offenbar selbst nicht eindeutig dazu. Sukarno ließ Parteien verbieten (PSI und Masyumi), erhob seine
unausgegorenen Doktrinen zu Staatsideologien, schränkte die Pressefreiheit erheblich ein, ließ Oppositionelle
inhaftieren und wetterte selbst gegen westliche Popmusik. Er war sehr stark vom javanischen Erbe
und anders als etwa Hatta, Syahrir, Syarifuddin u.a. wenig von westlichen politischen Ideen geprägt.
Zwar bezog er sich immer wieder auf europäische und amerikanische Theoretiker, letztlich war er aber
347

348
Oppositionelle Gruppen
1987 bildete sich die Kelompok (Gruppe) 17, das waren 17 PDI-Parlamentarier, die
sich aus nichtigem Anlass 135 gegen Suryadi und Daryanto wandten. Bei einer Vorstandssitzung
wurden acht von ihnen aus der Partei ausgeschlossen, der Konflikt
schwelte aber noch einige Jahre weiter. Diese Auseinandersetzungen hatten weniger
mit den von der Partei vertretenen politischen Inhalten als mit persönlichen Streitigkeiten
und dem Kampf um Pfründen zu tun. Die Kelompok 17 wurde dabei offenbar
von Teilen der Regimekoalition unterstützt, die innerparteiliche Konflikte schürte,
um einen größeren Einfluss gewinnen zu können.
Die Kelompok 17 gründete 1992 sogar einen vorläufigen Parteivorstand unter Ahmad
Subagyo und M.B. Samosir, da sie meinten, Suryadi hätte gegen die Parteistatuten,
die eine fünfjährige Amtszeit vorsähen, verstoßen. Suryadi fiel in dieser Zeit
bei der Regierung - vor allem wohl beim Präsidenten - in Ungnade, weil er das Gewürznelken-Handelsmonopol
von "Tommy" Suharto anprangerte und mehrfach eine
Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten forderte. 1992 erkannte die Suryadi-PDI-
Fraktion zunächst die Wahlergebnisse nicht an und ließ sich dann viel Zeit bei der
Nominierung von Suharto für das Präsidentenamt.
Im Juli 1993 fand dann der vierte Kongress der PDI in Medan statt. 136 Auf dem Parteitag
wurde Suryadi wieder zum Parteivorsitzenden gewählt, obwohl Feisal Tanjung
zuvor klar gemacht hatte, dass die Regierung Suryadi in diesem Amt nicht
dulden würde. Der Kongress endete damit, dass die Subagyo-Gruppe mit Unterstützung
des Sicherheitsapparates und des Innenministers die Versammlungsräume
besetzte, so dass sämtliche Entscheidungen dieses Parteitages von der Regierung für
nichtig erklärt wurden. Ein Interimsparteivorstand unter Latief Pudjosakti wurde
vom Innenminister damit beauftragt, einen Sonderparteitag in Surabaya vorzubereiten.
Im August wurden bei einem Treffen 23 caretakers bestimmt, von denen keiner
zum Suryadi-Flügel gehörte.
Erst in dieser Phase tauchte die Idee auf, Megawati zur neuen Parteivorsitzenden zu
küren. Im September 1993 forderten 70 der 305 PDI-Regionalverbände Megawati
öffentlich auf, sich zur Wahl zu stellen. Dies war sicher auch eine Trotzreaktion auf
die vom Sicherheitsapparat initiierte Zurückdrängung Suryadis. Im Juli nämlich
hatte Megawati noch nicht zu den Kandidaten gehört, außerdem war sie beim Medan-Kongress
noch nicht öffentlich hervorgetreten.
Anfang Dezember 1993 fand der "Kongres Luar Biasa" (Sonderparteitag) in Surabaya
statt. Der Interimsparteivorstand versuchte, eine Direktwahl zu verhindern und
schlug deshalb vor, das formatur- oder musyawarah-Wahlsystem (also die Abstimmung
per Akklamation) anzuwenden, was jedoch von der großen Mehrheit der anwesenden
PDI-Mitglieder abgelehnt wurde. Wie wichtig die Regierung diesen Sonderparteitag
nahm, zeigte die Anwesenheit des Innenministers Yogie S. Memed
der Überzeugung, dass deren Ideen den indonesischen Verhältnissen angepasst werden müssten. Er war
somit ein früher Vertreter des Konzeptes "indonesischer Werte": Indonesien hat danach eine ganz eigene
Kultur, die ganz besondere Formen der politischen Auseinandersetzung erfordere.
135 Der Vorwurf lautete, dass der Suryadi-Flügel eigenmächtig einen Entwurf zur Änderung einiger
Passagen in den GBHN eingebracht habe.
136 ISAI 1997², 2ff; McIntyre 1997, 8ff.

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
sowie die Tatsache, dass der Sospol-Apparat nur 200 Meter vom Geschehen entfernt
ein Büro eingerichtet hatte. 137 Trotz verschiedener Einflussnahmen durch die Sicherheitskräfte
und der Versuche des Caretaker-Parteivorstandes, die Wahl in bestimmte
Bahnen zu lenken, 138 konnte die allgemeine Stimmung nicht umgekehrt werden. Die
große Mehrheit der anwesenden PDI-Politiker (256 der 305 PDI-Regionalverbände)
war gewillt, zum ersten Mal in der Geschichte der Neuen Ordnung in freier Wahl für
eine Person zu stimmen, die von der Regimekoalition nicht akzeptiert wurde. 139 Weil
sie die Wahl Budi Harjonos nicht durchsetzen konnte, stimmte die Regierung der
Wahl Megawatis dann unter der Voraussetzung zu, dass es zu einem Kompromiss
bei der Besetzung des neuen Parteivorstandes käme. Als Megawati dieses Angebot
ablehnte, wurde um Mitternacht - ohne dass es zu Wahlen gekommen war - der
Parteitag vom Militär mit der Begründung aufgelöst, dass die Lizenz für die Versammlung
abgelaufen sei. 140 Da es in Indonesien keine Versammlungsfreiheit gab
und auch solche Treffen vorher genehmigt werden mussten, hätte der Parteitag in
dem festgelegten Zeitrahmen zu Ende geführt werden müssen. Der Harjono-Flügel
hatte vorher durch verschiedene Taktiken für die Verzögerung gesorgt. Megawati
erklärte sich zur neuen Parteivorsitzenden unter Verweis auf die de facto vorhandene
große Unterstützung durch die Mehrheit der anwesenden stimmberechtigten
Parteimitglieder.
Aber erst am 13. Dezember fand dann ein kleiner Kongress in Jakarta statt, bei dem
Megawati wirklich zur neuen Vorsitzenden gewählt wurde. Zwei hochrangige Militärs,
Agum Gumelar von Bais und der Kodam-Kommandeur Hendropriyono, unterstützten
in ihren jeweiligen Funktionen Megawati und wurden wahrscheinlich deshalb
1994 auf relativ unbedeutende Posten versetzt. Auch in diesem Fall dürften
Spannungen innerhalb ABRIs eine Rolle gespielt haben. ABRI hatte schon öfter die
PDI gegen Golkar unterstützt, um auf diese Weise Druck auf die zivilen Teile der
Regimekoalition auszuüben. 141 Megawati bekam aber im letzten Moment auch die
Legitimation durch die Präsidentenfamilie. Am 15. Dezember wurde sie von "Tutut"
zu einem kurzen, jedoch Aufsehen erregenden Gespräch empfangen, und wenige
Tage später sprach sich auch der Suharto-Sohn Bambang Trihatmojo für ihre Wahl
aus, wohl um eine Eskalation zu verhindern. 142 Bambang meinte, dass es besser sei,
Megawati als Parteivorsitzende zu tolerieren als dauernde Proteste des arus bawah
137 ISAI 1997², 8.
138 Am zweiten Tag wurde die Presse, die überwiegend auf der Seite Megawatis gestanden hatte, ausgeschlossen.
Die caretakers, die sich in den Pausen mit Regierungsbeamten zurückzogen, kamen während
der Debatten mit den alten Methoden nicht mehr durch: "Old tricks like turning off microphones on the
floor, looking away from raised hands, turning a deaf ear to the 'No's', and abruptly hammering the table
in decision - all were met with loud choruses of disapproval", Inside Indonesia March 1994, 3.
139 Die Sospol-Sektionen des Militärs unterstützten Budi Harjono, nachdem die Sospol-Direktoren in den
27 Provinzen entsprechende Instruktionen aus Jakarta erhalten hatten. Die Militärs versuchten, die Parteimitglieder,
die für Megawati stimmen wollten, durch Einschüchterung oder durch Geldzahlungen zu
beeinflussen.
140 Inside Indonesia March 1994, 2ff.
141 McIntyre 1997, 13.
142 FEER 13.1.1994.
349

350
Oppositionelle Gruppen
zu riskieren. Diese pragmatische Haltung teilten zu der Zeit viele Angehörige der
Regimekoalition.
Da die erneuerte PDI erst 1997 wieder an Wahlen teilnehmen würde, hatte die Regimekoalition
noch genügend Zeit, Megawati aus ihrer neu errungenen Position zu
verdrängen. Im Parlament und in der Öffentlichkeit trat sie in dieser Phase nicht in
besonderem Maße hervor, sondern hielt sich bescheiden im Hintergrund. Die PDI-
Fraktion im Parlament konnte die Regierungspolitik kritisieren und Alternativvorschläge
unterbreiten, allerdings hatte sie sich vorrangig mit den Kampagnen des
Militärs zu beschäftigen.
Nach 1993 hatten sich nämlich die Militärs verschiedener Mittel zum Sturz Megawatis
bedient: Sie veranlassten die Gründung einer rivalisierenden Faktion unter
Yusuf Merukh, sie entführten den Generalsekretär Alex Litaay 143 , und sie schürten
Auseinandersetzungen in der PDI Ostjavas. Außerdem wurden seit Anfang 1995
300-400 PDI-Mitglieder beschuldigt, Kommunisten zu sein oder in irgendeiner
Form Beziehungen zu Kommunisten gehabt zu haben. 144 Am schlimmsten traf es den
PDI-Vorsitzenden Westjavas, Jajang Kurniadi, dem zuerst eine Gruppe innerhalb
der PDI, dann der Sicherheitsapparat vorwarfen, den Putschversuch 1965 durch ein
Schreiben an den Revolutionsrat unterstützt zu haben. Kassospol Hartono bestätigte
diese Vorwürfe unter Berufung auf Untersuchungsergebnisse von Bakorstanas. 145
Ostjava war eine der wichtigsten Hochburgen der PDI. Obwohl Sucipto dort mit
deutlicher Mehrheit den Vorsitz der PDI erringen konnte, unterstützte der Gouverneur
von Ostjava, Basofi Sudirman, aufgrund einer kleinen Unregelmäßigkeit bei
der Stimmenauszählung den regierungsnahen Gegenkandidaten Latief Pujasakti. 146
Der Konflikt in Ostjava zog sich sehr lange hin und beschäftigte die Medien. Die
Militärkampagnen hatten aber nicht den erwünschten Erfolg, da die Unterstützung
für Megawati im Laufe der Jahre eher noch zunahm. Im Oktober 1995 wurde sie
von 7 PDI-Regionalverbänden aufgefordert, für das Präsidentenamt zu kandidieren.
Megawati widersprach dieser Aufforderung nicht.
Die politischen Strategen von ABRI ließen schließlich einen weiteren Parteitag
einberufen, um Megawati loszuwerden. Im Juni 1996 wurde sie offiziell als Parteivorsitzende
von Suryadi, der noch 1993 vom Regime aus dem Amt gedrängt worden
war, auf dem PDI-Kongress in Medan abgelöst. Dieser Parteitag ist vom Megawati-
Flügel der PDI bis heute nicht anerkannt worden, da er als groß angelegte Manipulation
des Militärs und des Suryadi-Flügels angesehen wird. 147
Schon am 2.6. bestellte Informationsminister Harmoko einige Chefredakteure zu
sich, und forderte, über den Medan-Kongress im Sinne der Regierung zu berichten.
143 Litaay (Interview am 19.1.1998) war mehrere Tage von Geheimdienstlern entführt worden, die versuchten,
ihn aus dem Megawati-Lager zu locken. Litaay war gezwungen worden, über diese Entführung
nicht zu sprechen, was Anlass zu verschiedenen Spekulationen gab.
144 ISAI 1997², Kap. 2. Ein solcher Verdacht traf sogar den Ehemann von Megawati.
145 Vgl. Bastaman 1995, 22ff.
146 ISAI 1997², Kap. 3.
147 ISAI 1997², 54ff.

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
Wie sehr das Erbe Suhartos noch immer auf der Neuen Ordnung lastete, lässt sich an
der Aufforderung an die Journalisten, nicht mehr den Namen "Megawati Sukarnoputri"
zu verwenden, sondern nur noch "Megawati Taufik Kiemas" zu schreiben,
ablesen. 148 Vor dem Kongress in Medan übte zudem der Territorialapparat des Militärs
Druck auf die regionalen PDI-Zweigstellen aus, damit diese Erklärungen, dass
ein außerordentlicher Parteitag abgehalten werden sollte, unterschrieben. Gleichzeitig
wurde Fatimah Achmad in Gesprächen mit ihren entfernten Verwandten Feisal
Tanjung und Wohnungsminister Akbar Tanjung zur Vorsitzenden des bevorstehenden
Kongresses bestimmt. Feisal Tanjung, Kassospol Syarwan Hamid u.a. erklärten
öffentlich die Bereitschaft ABRIs, den Suryadi-Flügel zu unterstützen und die
Durchführung des Kongresses zu sichern. 149 Fatimah Achmad hatte somit die Unterstützung
von 215 der 305 PDI-Regionalverbände 150 und außerdem von 16 der 27
Mitglieder des PDI-Vorstandes. Diese 16 Politiker hatte Megawati als Preis für ihre
Anerkennung als Parteichefin 1993 in den Vorstand aufnehmen müssen.
Auf dem Kongress, der vom Militär genauestens überwacht wurde, erschienen überwiegend
regierungstreue PDI-Politiker. Letztlich wurde - unter den Augen von Innenminister
Yogie S.M. und von ABRI-Kommandeur Feisal Tanjung - Suryadi
einstimmig zum Parteivorsitzenden gewählt. 151
Quasiparteien und PUDI
In dieser Phase von Ende 1993 bis zum "Sabtu Kelabu" war die Demokratiebewegung
in Indonesien noch relativ zuversichtlich, auch wenn die neue PDI nicht, wie
von vielen erhofft, zu einem Zentrum der Opposition werden konnte. Parallel ablaufende
Prozesse wurden aber katalysiert. So wurden parteiähnliche Assoziationen
Ende 1995 neu gegründet. 152 Dazu gehörte die PNI, die nun allerdings nicht offiziell
als "Partai", sondern als "Persatuan Nasional Indonesia" auftrat, d.h. als "Vereinigung".
Mit dieser Wortwahl sollte ein Verbot verhindert werden. Die "Neue PNI"
(PNI Baru) wurde von Nonya Supeni geleitet, die schon unter Sukarno als Botschafterin
tätig gewesen war. 153 Die PNI Baru bestand vorwiegend aus alten PNI-
Politikern, die dem Suharto-Regime kritisch gegenüberstanden und mit dieser Neu-
148 YLBHI 1997, 7.
149 Verteidigungsminister Edi Sudrajat und der Minister im Staatssekretariat Murdiono äußerten zurückhaltend
Bedenken hinsichtlich des Vorgehens ABRIs. Das KomnasHAM und Exinnenminister Rudini
stellten die Rechtmäßigkeit des Kongresses grundsätzlich in Frage (ISAI 1997², 59f).
150 Die Erklärungen der 215 regionalen Organisationen waren häufig gefälscht, erzwungen, erkauft oder
nicht satzungsgemäß durch Parteikonferenzen genehmigt worden. Deshalb konnte das Anwälteteam von
Megawati in vielen Fällen später erfolgreich gegen solche Erklärungen klagen.
151 Sofyan Wanandi (CSIS) und Adi Sasono (Cides) sollen maßgeblich an der Durchführung dieses
Parteitages beteiligt gewesen sein. Sofyan Wanandi, der sich bei Suharto wieder ins Gespräch bringen
wollte, soll zur Finanzierung 270.000 US$ zur Verfügung gestellt haben (Hefner 2000, 183).
152 Gatra 4.11.1995 und Forum Keadilan 20.11.1995.
153 Vgl. TB Dez 1995, 15f; Forum Keadilan 20.11.1995. Sie stand in einem guten Verhältnis zu anderen
Regimekritikern. Ein Treffen im Januar 1998 zwischen A. Rais und Megawati, an dem eigentlich auch A.
Wahid teilnehmen sollte, um über die Möglichkeiten eines Nationalen Dialogs zu sprechen, fand in dem
Haus Supenis statt. Auch danach bemühte sie sich zusammen mit Sabam Sirait um ein solches Treffen.
351

352
Oppositionelle Gruppen
gründung die wahren Gehalte der Verfassung von 1945 verwirklichen wollten. Nonya
Supeni gehörte zu den PNI-Politikern, die die Fusion von 1973 und die damit
verbundene Auflösung der PNI nie anerkannten. Supeni stand Sabam Sirait nahe,
der ebenfalls im Jahre 1995 zum Vorsitzenden der neu gegründeten Parkindo (nun
Partisipasi Kristen Indonesia, also "Partizipation der indonesischen Christen") wurde.
Sirait gehörte zu den PDI-"Kämpfern", die seit Jahrzehnten versuchten, durch
zähe Reformarbeit die Neue Ordnung mit legalen Mitteln zu verändern.
Der schon 1960 von Sukarno verbotene modernistisch-islamische Masyumi wurde
ebenfalls 1995 rekonstituiert als Masyumi Baru. Die prominenteste Figur in dieser
politischen Vereinigung war Ridwan Saidi, ehemals HMI- und KNPI-Vorsitzender
und später Parlamentsabgeordneter für die PPP. Auch wenn diese Quasi-Parteien
nur sehr wenige Mitglieder hatten und an Wahlen nicht teilnehmen durften, unterstrich
ihre Existenz die Illegitimität des Drei-Parteien-Systems unter der Hegemonie
Golkars.
Diese Quasiparteien waren die Vorläufer der ersten Oppositionspartei in der Neuen
Ordnung. Am 29.5.1996 wurde die "Vereinigte Demokratiepartei Indonesiens",
PUDI 154 , gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten u.a. H.M. Sanusi, Subadio,
H.J.C. Princen, Julius Usman, Beathor Suryadi und Saleh Abdullah. Die Partei
formulierte in ihrem Programm die politischen Minimalforderungen der Demokratiebewegung
in Indonesien, nämlich: Durchführung freier Wahlen, Garantie der
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und Beendigung der ABRI-Doppelfunktion.
PUDI war als ein Symbol gegen das Regime gedacht und konnte bis zum
Mai 1998 niemals effektiv arbeiten. 155 Der Vorsitzende dieser Partei war der zu dieser
Zeit wohl bekannteste Kritiker der Neuen Ordnung, Sri Bintang Pamungkas. 156
Sri Bintang hatte 1964-71 am Institut Teknologi in Bandung studiert und war danach
Dozent an der UI im Fachbereich Maschinenbau geworden. 1977-84 hielt er sich in
den USA auf und promovierte an der Iowa State University. Als Ökonom und Ingenieur
kritisierte er die unausgewogene Wirtschaftspolitik der Neuen Ordnung. Sri
Bintang setzte sich für eine sozial gerechtere Wirtschaftsordnung ein und sah in
ICMI, zu deren Gründern er gehörte, ein für liberale Muslime geeignetes politisches
Instrument. 1992 ließ er sich von der PPP als Wahlkämpfer anwerben und machte
bei dieser Gelegenheit und bis 1995 als PPP-Abgeordneter im nationalen Parlament
durch seine kritischen Äußerungen auf sich aufmerksam. 1994 versuchte Sri Bintang
noch, Vorsitzender der PPP zu werden, er hatte aber gegen die konservative Parteimehrheit
nie eine wirkliche Chance. 157
Die PUDI-Gründung war auch eine Reaktion auf den Dogmatismus der PPP unter
Metareum und die Maßnahmen gegen Sri Bintang im Jahre 1995. Im April 1995
kam es nämlich bei einem mehrtägigen Deutschlandbesuch Suhartos zu mehreren
154 Partai Uni Demokrasi Indonesia.
155 So in einem Interview der PUDI-Generalsekretär und NGO-Aktivist Saleh Abdullah (10.10.1997).
156 Tempo Interaktif 13.4. und 1.6.1996.
157 Vgl. van Dijk 1996, 115ff.

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
Demonstrationen in Hannover (dort fungierte Indonesien als "Partnerland" bei der
Messe), Bonn, Düsseldorf und Dresden. Ein Teil des Besuchsprogramms musste
sogar kurzfristig abgesagt werden. Suharto war vor allem in Ostdeutschland unerwünscht,
was er später auf das kommunistische Erbe zurückführte. Wismar lehnte
einen Besuch Suhartos offiziell ab, in Dresden durfte er sich nicht ins Goldene Buch
eintragen. Dort, in Dresden, fanden am 5. April auch die heftigsten Demonstrationen
statt. Als Suharto und seine Begleiter auf dem Weg zum Hilton waren, gelang es den
Demonstranten, den Bus, in dem sich die indonesische Delegation befand, aufzuhalten
und etwa 15 Minuten lang hin und her zu rütteln. Das war das erste Mal, dass ein
Staatsbesuch Suhartos zu einem Fiasko wurde, und die indonesische Presse berichtete
zunächst nicht über diese Schmach. Aber acht Tage nach den Protesten geriet der
ansonsten javanisch-gleichmütige Staatspräsident aus der Fassung und bezeichnete
bei einer Pressekonferenz die Demonstranten erregt als "Verrückte". 158 Erst danach
wurde der "Dresden-Vorfall" zu einem publizistischen Dauerthema. 159 Letztlich
führten die Proteste zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Sri Bintang Pamungkas,
die Studentin Yeni Rosa Damayanti und den Journalisten und Essayisten
Gunawan Mohamad. 160 Da sich aber schnell herausstellte, dass die Drei der Rädelsführerschaft
nicht ohne allzu gewagte Tatsachenverdrehungen bezichtigt werden
konnten, konzentrierte sich die Strafverfolgung auf Sri Bintang Pamungkas, der bei
einer Veranstaltung an der Technischen Universität in Berlin Suharto angeblich
einen Diktator genannt hatte. Als er von seinem Deutschlandbesuch nach Indonesien
zurückkehrte, wurde er festgenommen. Sri Bintang, der inzwischen als Parlamentarier
"recalled" worden war, wurde nach einem politischen Prozess im Mai 1996 zu
34 Monaten Haft wegen Präsidentenbeleidigung verurteilt und war bis Ende Mai
1998 inhaftiert. 161 Nach seiner Verhaftung blieb er eines der Idole der Demokratiebewegung,
die PUDI aber konnte nur im Untergrund arbeiten und erfüllte eine weitestgehend
symbolische Funktion.
Aktionsbündnisse: KIPP, Oposisi Indonesia und MARI
Im März 1996 wurde das Unabhängige Wahlbeobachtungskomitee KIPP gegründet.
162 Schon 1992 hatte das BPHPR 163 des Menschenrechtsaktivisten H.J.C. Princen
158
Im Original: "Dan orang yang tidak rasionil, ya seperti orang gila, orang edan", Pijar Indonesia 1997³,
23f.
159
Pijar Indonesia 1997³, Kap. 1. Ins Schussfeuer gerieten auch mehrere NGOs - etwa Amnesty International,
IMBAS, Wolfspelz, Timor und kein Trupp und Watch Indonesia!. Habibie, der ansonsten eher
geneigt war, die Vorkommnisse herunterzuspielen, sprach sogar davon, dass die Demonstranten von
Amnesty International bezahlt worden seien, was ihm später eine Klage und eine Geldstrafe einbrachte.
Der Version von den gekauften Demonstranten wurde von vielen Indonesiern Glauben geschenkt (etwa
von Adi Sasono: Interview am 15.10.1997 in Jakarta).
160
Indonesien Information 3/1995, 3ff.
161
Forum Keadilan 24.3.1997, 104f. Über sämtliche Einzelheiten des Prozesses informiert: Pijar Indonesia
1997³.
162
Legowo 1996.
163
Badan Perlindungan Hak-Hak Politik Rakyat = Gremium für den Schutz der politischen Rechte des
Volkes, gegr. im April 1992.
353

354
Oppositionelle Gruppen
eine ähnliche Funktion zu erfüllen versucht. Das BPHPR war gewissermaßen der
Vorreiter von KIPP, welches jedoch sehr viel mehr Beachtung fand und eine breitere
Basis hatte. An der Spitze von KIPP standen der ehemalige Tempo-Herausgeber und
Kulturkritiker Gunawan Mohamad und der ehemalige LBH-Direktor Mulyana W.
Kusumah. Die Mitgliederliste des Komitees las sich wie ein "Who is Who" der indonesischen
Opposition. 164 Trotzdem war KIPP auch bei den Kritikern der Neuen
Ordnung nicht unumstritten, weil von vornherein abzusehen war, dass eine wirklich
unabhängige Wahlbeobachtung, wie sie vergleichbare Organisationen in den Philippinen
(Namfrel) und Thailand (PollWatch) erfolgreich durchgeführt hatten, nicht
möglich sein würde. KIPP konnte nicht erwarten, auch nur einen kleinen Teil der
über 250.000 Wahllokale effektiv zu beobachten, da das Militär und die Bürokratie
keine unabhängigen Personen an der Stimmenauszählung teilnehmen ließen. Die
Regierung machte von Anfang an klar, dass nur das offizielle Komitee zur Wahlbeaufsichtigung,
Panwaslak, mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet werden
würde und betrachtete KIPP als überflüssig oder gar als nicht verfassungsgemäß.
KIPP beharrte auf dem Standpunkt, dass es ein Recht zur aktiven Wahlbeobachtung
habe und bereitete demgemäß freiwillige Helfer vor.
Die etwa 2.000 KIPP-Aktivisten konnten schließlich bei den Wahlen 1997 nur
Stichproben vornehmen und auf die leicht erkennbaren und nachweisbaren Wahlmanipulationen
hinweisen. Anders als in den Philippinen, wo Namfrel 1986 die
Betrügereien durch Marcos eindeutig nachweisen konnte und dabei von internationalen
Organisationen unterstützt worden war, waren die Wahlen in Indonesien im
Grunde ein bloßes Ritual. Daraus ergab sich auch der Hauptvorwurf vieler Kritiker:
Warum sollte eine Wahl beobachtet werden, die der Opposition apriori keinerlei
Mitwirkungsmöglichkeiten gab? KIPP galt deshalb einigen Regierungskritikern als
eine Organisation, die tendenziell - ohne es zu wollen - die Neue Ordnung als legitim
anerkannte. 165 Das eigentliche Ziel von KIPP aber war es, eine breite Diskussion
über die Art und Weise, wie in Indonesien Wahlen durchgeführt wurden, zu entfachen
und das Bewusstsein der Bevölkerung für Wahlmanipulationen zu schärfen. 166
Und als breites Oppositionsbündnis spielte das Komitee eine wichtige Rolle in der
Demokratiebewegung.
Bereits einige Monate zuvor, am 28. Oktober 1995, am Jahrestag des Sumpah Pemuda,
des Schwurs der nationalistischen Jugend im Jahre 1928, war die "Oposisi
Indonesia" gegründet worden. 167 Beteiligt waren Pijar Indonesia, Aldera, SMID,
Majelis Penyelamat Kedaulatan Rakyat (MPKR), PRD, SBSI, PPBI, YLBHI und
164
Zu den weiteren Mitgliedern zählten so prominente prodemokratische Aktivisten wie Nurcholish
Majid, Ali Sadikin, Adnan Buyung Nasution, Muchtar Pakpahan, Permadi Satrio Wiwoho, Budiman
Sudjatmiko, Andi Arief, Arbi Sanit, Arief Budiman, H.J.C. Princen, Ridwan Saidi, Sri Bintang Pamungkas,
Lukman Sutrisno u.a. (Tempo Interaktif 16.3.1996).
165
So etwa der NGO-Aktivist Mansour Fakih oder der PUDI-Generalsekretär und NGO-Aktivist Saleh
Abdullah.
166
Interview mit Mulyana W. Kusumah am 14.5.1997 in Jakarta.
167
Pijar Indonesia 1997³, 225f

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
Walhi (siehe Abschnitt 4.4). Anwesend waren außerdem Princen, Oei Tjoe Tat
(Staatsminister unter Sukarno) und Chris Siner Keytimu von Petisi 50. Dieses locker
organisierte Oppositionsbündnis forderte Preissenkungen für Grundnahrungsmittel
und lebensnotwendige Güter, die Anwendung der Landreformgesetze, die Einführung
von Antimonopolgesetzen, die Abschaffung der fünf Gesetze über das politische
System 168 , die Aufgabe der Doppelfunktion durch das Militär, die Auflösung
des Geheimdienstes Bakorstanas und die Einberufung einer parlamentarischen Sondersitzung.
Die Oposisi Indonesia konnte zwar nicht als zentral geführtes, mächtiges
Bündnis aktiv werden, bedeutsam aber war die Tatsache, dass sich überhaupt eine so
breit gefächerte Opposition gebildet hatte. Das wiederholte sich in ähnlicher Form
am 26. Juni 1996, als 60 Repräsentanten von 30 Organisationen im YLBHI-
Gebäude in Jakarta eine Koalition zur Unterstützung der noch amtierenden PDI-
Vorsitzenden gründeten. Der "Indonesische Volksrat" MARI 169 bestand überwiegend
aus NGOs, aber auch aus Parteien, parteiähnlichen Organisationen und Gewerkschaften.
Das waren u.a. Masyumi Baru, SBSI, die PRD mit onderbouw, PUDI,
LPHAM, AJI, Parkindo, PNI Baru, YLBHI, Pijar Indonesia und PMII. 170 In einer
Erklärung forderte MARI Folgendes:
- Lohnerhöhungen für Arbeiter auf 7.000 Rp./Tag, für Regierungsangestellte und
ABRI-Mitglieder auf mindestens 600.000 Rp./Monat,
- Preiserhöhungen für landwirtschaftliche Produkte, Preisreduzierungen für lebensnotwendige
Güter und Dienstleistungen, eine Festsetzung des Wechselkurses auf
2.000 Rp. für 1 US$ und eine kostenlose Sekundarschulausbildung,
- eine Aufhebung der fünf Gesetze über das politische System von 1985, die Änderung
der Gesetze, die den Intentionen der Verfassung von 1945 widersprachen, und
die Schaffung einer gerechten und demokratischen Gesellschaft,
- ein Ende der Korruption, der Manipulation sowie der Vettern- und Monopolwirtschaft,
eine strenge Bestrafung der dafür Verantwortlichen und der “Betrüger der
Nation”.
Die Oposisi Indonesia und MARI waren die ersten großen oppositionellen Bündnisse
mit einer eindeutigen (wenngleich hinsichtlich der Wechselkurspolitik unrealistischen)
Programmatik, in der sich alle wichtigen prodemokratischen Organisationen
zusammengetan hatten (ihre Basis war somit breiter als etwa bei der YKPK; vgl.
Abschnitt 3.5). Es waren zwar in erster Linie symbolische Akte, da die Bündnisse
über keinerlei verbriefte Rechte verfügten, da aber ein erheblicher Teil der indonesischen
Unter- und Mittelklasse hinter ihnen stand, betrachtete das Regime sie als
wirkliche Bedrohung.
168 Das waren die Gesetze über politische Parteien, über allgemeine Wahlen, über Massenorganisationen,
über die Zusammensetzung und die Stellung der beiden Parlamente DPR und MPR sowie über Referenden.
169 Majelis Rakyat Indonesia.
170 AJI/FORUM-ASIA/ISAI 1997a, 152ff und 178ff.
355

356
Pembreidelan und die Gründung von AJI
Oppositionelle Gruppen
In Indonesien gab es trotz der Militärherrschaft eine relativ offene Presse. Obwohl
etwa in Malaysia die autoritäre Herrschaft durch die UMNO wesentlich gemäßigter
war und die Wahlen dort einen höheren Grad an Kompetitivität aufwiesen, war die
Zeitungs- und Zeitschriftenlektüre dort weitaus langweiliger. In Indonesien hingegen
gab es eine Zahl insbesondere von politischen Magazinen wie Forum
Keadilan, Gatra, Tiras, Ummat etc. (bis 1994 vor allem auch Tempo) und von
Tabloids wie Adil (bis 1994 auch DëTik), in denen über Unruhen, politische Skandale
und Korruptionsfälle berichtet wurde. Sicherlich hatte diese Berichterstattung
Grenzen. Artikel über sensitive Themen wie die Befreiungsbewegungen in Ost-
Timor und Aceh sowie offene Kritik an der Suharto-Familie oder an den Militärs
waren verboten, ohne dass dabei allerdings die Grenzen genau gesetzt gewesen
wären.
Die meisten dieser Magazine und Tabloids - und weniger auffällig einige Tageszeitungen
- berichteten besonders häufig und wohlwollend über die Opposition: So
konnte man sich über sämtliche Einzelheiten des Machtkampfes in der PDI informieren,
und Beiträge über populäre Figuren wie NU-Führer Abdurrahman Wahid
oder den Muhammadiyah-Vorsitzenden Amien Rais fanden sich in fast jeder Ausgabe
dieser Blätter. Wegen der allgegenwärtigen Gefahr, die Publikationslizenz zu
verlieren, waren die Stellungnahmen der Journalisten jedoch oftmals halbherzig oder
ambivalent.
Die Presse ließ sich in den 90er Jahren schwerer kontrollieren, weil die Redaktionen
über so viel Material verfügten, dass die Versuchung groß war, dieses dann auch zu
nutzen. Durch ihre Kontakte zu Menschenrechtsorganisationen, durch Internet-
Anschlüsse, aber auch wegen der zahlreichen Risse innerhalb der Regimekoalition,
durch die einzelne Informationen hindurchsickern konnten, wussten die Journalisten
mehr als in den 80er Jahren.
Die indonesische Regierung leitete keine Maßnahmen gegen den freien Datenaustausch
über das Internet ein. Sie hat sogar das Erscheinen einer Internet-Ausgabe der
verbotenen Zeitschrift Tempo, nämlich Tempo Interaktif, nicht unterbunden. Eine
Sammlung von Tempo Interaktif-Ausgaben war dann in Buchform frei erhältlich.
Durch das Internet waren Informationen über jüngste Ereignisse auch aus dem Ausland
zugänglich. Dadurch ließen sich Protestaktionen im nationalen Maßstab schneller
organisieren und Presseverbote leichter umgehen. Im Gegensatz zu vorher konnten
die maßgeblichen oppositionellen Gruppen - trotz Nachrichtensperre - verlässliche
Informationen erhalten.
Ein wichtiger Grund für die offenere Berichterstattung dürfte auch die enorme
Kommerzialisierung gewesen sein, zu der es in Indonesien in diesem Zeitraum kam,
was sich an den Verkaufsziffern und an den Werbeeinnahmen ablesen lässt. 1955
kamen insgesamt 457 verschiedene Zeitungen und Zeitschriften mit einer Gesamtauflage
von knapp 3,5 Mio. Exemplaren auf den Markt. Das heißt, auf etwa 24 Indonesier
kam damals eine Publikation. 1964 und dann wieder 1973 wurden etwa 5,5

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
Mio. Exemplare verkauft. 171 1995/96 schließlich gab es 292 Publikationen, die Gesamtauflage
der Tageszeitungen betrug über 4,7 Millionen Exemplare und die der
Wochenzeitschriften über 2,9 Millionen. 172 Während der Zeitungsmarkt sogar etwas
geschrumpft war, erzielten die großen Medienkonzerne ihre Gewinne vor allem auf
dem Zeitschriftenmarkt. Noch Anfang der 70er Jahre waren die Werbeeinnahmen
gering, und die Aufmachung der Magazine lag weit unterhalb internationaler Qualitätsstandards.
Anfang der 90er Jahre hatte sich das gründlich geändert. Allein von
1988 bis 1993 stiegen diese Einnahmen von 0,22 Bio. Rp. auf 0,56 Bio. Rp., obwohl
gleichzeitig mit der Einführung des Privatfernsehens der Fernsehwerbemarkt förmlich
explodierte.
Einige große Pressekonzerne dominierten die Szenerie, wie die (katholische) Kompas-Gramedia-,
die (protestantische) Sinar-Kasih-, die Tempo-Grafiti/Jawa-Pos- und
die Media-Indonesia/Surya Persindo-Gruppe. 173 Es gab aber auch einige Zeitungen
und Zeitschriften, die sich die Machthaber direkt angeeignet hatten. Hartono gehörten
50% von Forum Keadilan, der Suharto-Sohn Bambang Trihatmojo besaß Anteile
an Media Indonesia, und "Bob" Hasan hatte nach dem Presseverbot 1994 ein
Drittel der ehemaligen Tempo-Journalisten für das ähnlich aufgemachte Magazin
Gatra angeworben. Bambang Trihatmojo pflegte enge Beziehungen zu Surya Paloh,
einem ehemaligen KAPPI-, Golkar-, Hipmi- und FKPPI-Aktivisten, der in den 80er
Jahren die Media Indonesia/Surya Persindo-Gruppe aufgebaut hatte. Das Überraschende
war, dass selbst diese Blätter (Forum Keadilan, Gatra etc.) zwar z.T. sehr
einseitig berichteten, sich aber den Gesetzen des Marktes beugten und sehr an der
Enthüllung politischer Skandale interessiert waren. Hill fasst dies so zusammen:
"One of the lessons of Bimantara's association with the Surya Persindo empire and Surya
Paloh's challenge of the Minister of Information's right to ban papers may be that the
clammer for greater 'freedom of the press' and 'the rule of law' may not be spearheaded so
much by a middle-class demand for 'liberal democratic rights' for 'free speech'. Instead, it
may be that it is more attributable to pressures from within capitalist elements of the ruling
compact, precipitating if not its own downfall, then at least significant amelioration of
its more repressive aspects. While the interests of the State, politico-bureaucrats and political
powerholders are best served by a strongly controlled and docile press, capitalist
entrepreneurs [...] would benefit from increasing liberalisation of both press constraints
and entry into this restricted sector of the economy." 174
Anfang 1994 war die Presseberichterstattung so offen wie zuletzt zu Beginn der
Neuen Ordnung. Offensichtlich waren Teile der Regimekoalition wirklich zu einer
vorsichtigen Öffnung bereit. Im August 1990 erklärte der Koordinierungsminister
für Sicherheit und Politik Sudomo, die Beschränkung der Pressefreiheit solle der
Vergangenheit angehören. Das heißt, es sollte keine Zensur, keine Entziehung von
Publikationslizenzen und keine einschüchternden Telefonanrufe des Militärs mehr
171 Hill 1994, 28ff.
172 Department of Information 1997, 207.
173 Vgl. Hill 1994, Kap. 4.
174 Hill 1994, 158f.
357

358
Oppositionelle Gruppen
geben. 175 Diese Erklärung erwies sich, wie von vielen erwartet, schon kurz danach
als leeres Versprechen und wurde von Sudomo selbst sowie vom Informationsminister
Harmoko zurückgenommen. Die Tatsache aber, dass inmitten der keterbukaan-
Debatten eine solche liberale Politik offenbar in irgendeiner Form von Teilen der
Machtelite befürwortet wurde, dürfte die Journalisten weiter beflügelt haben. In
dieser Zeit konnte auch über Tabuthemen berichtet werden, wie über die Frage der
Präsidentennachfolge, Korruptionsfälle (die Geschäfte der Präsidentenfamilie, Monopole,
Bankenskandale etc.) und Machtkämpfe innerhalb der Regimekoalition (wie
zwischen ABRI-hijau und ABRI-merah-putih). Unablässig wurde über die kommenden
Präsidenten und Vizepräsidenten spekuliert, und allein schon die dauernde
Präsenz solcher Erörterungen stellte indirekt die Position Suhartos in Frage. Während
die seit jeher als Sprachrohr der Kritiker geltende Wochenzeitschrift Tempo
(1994 mit einer Auflage von 180.000 Exemplaren) weiterhin auch heikle Themen
behandelte, kam zusätzlich 1993 das Tabloid DëTik auf den Markt, das sehr hohe
Auflagen (ca. 400.000-500.000 Exemplare, nach anderen Angaben aber nur
200.000) wegen seines anspruchsvollen und kritischen Journalismus und wegen
seines relativ niedrigen Preises erzielen konnte. DëTik galt vielen in Indonesien als
Symbol eines neuen Journalismus, der wirtschaftlichen Erfolg und Kritikfähigkeit
kombinierten. DëTik veröffentlichte beispielsweise ein Interview mit Generalmajor
Sembiring Meliala, der die Spannungen zwischen Teilen des Militärs mit Habibie
deutlich zum Ausdruck brachte.
Dieses Interview, aber vor allem die Berichte über den umstrittenen Kauf von 39
NVA-Kriegsschiffen durch Habibie hatte am 21.6.1994 den für viele Indonesier
schockierenden Entzug der Publikationserlaubnis für Tempo, Editor und DëTik
durch Informationsminister Harmoko zur Folge. 176 Vorher war viel von der Demokratisierung
die Rede gewesen, und tatsächlich hatten die letzten Jahre - abgesehen
von dem Dili-Massaker - dauernd kleine Fortschritte gebracht. Der Rundumschlag
warf die Demokratiebewegung an einem Tag scheinbar um Jahre zurück. Am 27.
Juni kam es daher zu einer Demonstration von ca. 300 Studenten und Menschenrechtsaktivisten.
22 von ihnen wurden später zu einer - wohl eher symbolisch gemeinten
- Geldstrafe von 2.000 Rp. verurteilt. Am 5.7. und noch einmal am 4.8.
demonstrierten jeweils ca. 200 Journalisten vor dem Büro der quasistaatlichen Journalistenvereinigung
PWI. Aber die Reaktionen kamen nicht nur von den Journalisten
selbst, die zum ersten Mal in der Neuen Ordnung auf die Straße gingen, sondern
auch von anderen Oppositionsgruppen (Studenten, NGOs, Gewerkschaften, Parlamentarier,
Künstler etc.) in ganz Indonesien: 177
"For the first time in New Order Indonesia, the June 1994 bans provoked a long and continuous
series of protests across different islands of the archipelago. These included mass
demonstrations in the cities of Medan, Padang, Palembang, Bandarlampung (Sumatra),
Manado, Ujung Pandang (Sulawesi), Samarinda (Kalimantan), Kuta (Bali), Mataram
175 Human Rights Watch/Asia 1994, Kap. 1.
176 Vgl. Utami 1994.
177 Heryanto (1995, 144) berichtet von "freien Podien" in Salatiga und anderen Orten.

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
(Lombok), and Sampang (Madura), apart from those in Jakarta, Bandung, Yogyakarta,
Semarang, Salatiga, Solo, Jombang, Surabaya, Malang, and Jember (Java)." 178
Viele von ihnen schlossen sich zu einem lockeren Aktionsbündnis zusammen, das
sich selbst SIUPP, "Indonesische Solidarität für Pressefreiheit", nannte. 179 Am 7.8.
unterzeichneten 58 Journalisten 180 die Sirnagalih-Deklaration der gleichzeitig gegründeten
"Allianz unabhängiger Journalisten" AJI. 181 Die AJI-Gründung war so
bedeutend, weil mit ihr erstmals das Vertretungsmonopol der PWI durchbrochen
wurde. Die PWI wurde seit 1966 von der Regierung und dem Militär kontrolliert. In
den letzten Jahren fungierten der Vertraute des Informationsministers Harmoko,
Sofyan Lubis, als Vorsitzender und der Habibie-Vertraute Parni Hadi als Generalsekretär
der Organisation. Eine PWI-Mitgliedschaft dürfte in vielen Fällen eine
Karriere gefördert haben, allerdings konnte die Vereinigung keine totalitäre Kontrolle
ausüben. Die Regierung reagierte auf den Widerstand zwar mit der gewohnten
Härte 182 , aber z.T. auch mit einer sonst untypischen Zurückhaltung. Harmoko bot
neue Publikationslizenzen an, und AJI konnte weiterhin in einer Grauzone arbeiten
und publizieren. 183 Der Chef des Aufklärungszentrums von ABRI, Syarwan Hamid,
sprach sich sogar für einen Dialog mit den AJI-Journalisten aus. 184
Die meist relativ jungen AJI-Journalisten entstammten häufig der städtischen Mittelklasse,
waren sehr gut ausgebildet und zählten zu den in religiösen Fragen undogmatischen
Liberal- und Radikaldemokraten. Viele von ihnen gehörten einige
Jahre zuvor noch zur neu entstandenen Studentenbewegung. Diese Journalisten
tendierten zu einer kompromisslosen politischen Haltung, weil der journalistische
Bereich relativ unabhängig von staatlichen Einflüssen war und z.T. auch, weil investigativer
Journalismus prestigeträchtig und finanziell einträglich war. Aufgrund der
schnellen Expansion der Medienindustrie waren sehr viele junge Arbeitskräfte gefragt,
die sich also nicht über Jahre in einem versteinerten Apparat hocharbeiten
mussten und deshalb auch nicht ihre Kritikfähigkeit verloren hatten.
Widersprüche im Justizapparat
Eine solche Versteinerung war für die Justiz kennzeichnend. Junge Richter oder
Staatsanwälte hatten kaum eine Möglichkeit, gegen die Interessen der Regimekoalition
in Gerichtsprozessen zu entscheiden bzw. zu argumentieren. Auch innerhalb der
indonesischen Anwaltsvereinigung Peradin, bzw. ab 1985 Ikadin, gab es nur einen
178
Heryanto 1996, 248.
179
Solidaritas Indonesia untuk Pembebasan Pers.
180
Unter ihnen waren Gunawan Muhamad, Fikri Jufri, Aristides Katoppo, Arief Budiman und Eros Jarot.
181
AJI 1995.
182
Etwa gegen Ahmad Taufik, Eko Maryadi (beide AJI) und Tri Agus Susanto (Kabar dari Pijar), die
1995 wegen Beleidigung des Staates und des Präsidenten verurteilt wurden. Andere Journalisten, die zu
AJI gehörten (wie Ayu Utami oder Andreas Harsono), verloren ihre Stellungen.
183
AJI hatte bis zum Ende der Neuen Ordnung ein Büro in Jakarta, in dem sich die Mitglieder regelmäßig
trafen. Die Regimekoalition war entweder nicht gewillt oder nicht in der Lage, dieses Büro einfach mit
Waffengewalt zu schließen.
184
AJI 1995, 29.
359

360
Oppositionelle Gruppen
kleinen Zirkel von Personen, die sich offen für eine unabhängige Justiz einsetzten. 185
Die indonesische Justiz unterstand der starken Kontrolle durch den Justizminister.
Zwar war die Unabhängigkeit der Jurisdiktion grundsätzlich per Gesetz (14/1970)
anerkannt, aber mit dem bedeutenden Zusatz, dass es gesetzlich festgelegte Ausnahmen
gäbe und dass das Recht auf den Pancasila basiere.
In den letzten Jahren der Neuen Ordnung mehrten sich dennoch Anzeichen dafür,
dass die Judikative in Indonesien an Selbständigkeit gewann und Gerichtsprozesse
konnten bis zu einem gewissen, nicht voraussehbaren Grad, Wahrheiten ans Licht
bringen. 186 Der Widerspruch gegen den fest gefügten Justizapparat kam bezeichnenderweise
von der Spitze des Obersten Gerichtshofes.
Adi Andoyo Sucipto, Richter am Obersten Gerichtshof, erklärte im April 1996, er
habe dem Generalstaatsanwalt einige Monate vorher über die Korruption am Obersten
Gerichtshof geschrieben. 187 Dabei ging es um Zahlungen an oberste Richter im
Umfang von umgerechnet ca. 1 Mio. DM. Adi Andoyo hatte schon die Verurteilungen
im Marsinah-Fall aufgehoben und für die Freilassung von Muchtar Pakpahan
gesorgt, der nach den Medan-Unruhen als Anstifter festgenommen worden war. Der
Vorsitzende des Obersten Gerichtshof Suryono sandte einen Brief, der auch von fast
allen anderen Richtern dieses Gerichtes unterschrieben war, an Suharto und bat um
die Entlassung Adi Andoyos. Adi Andoyo, der in Indonesien zu einem Volkshelden
geworden war, bekam Unterstützung durch Studenten, von denen einige sogar mit
einem Hungerstreik begannen, und von vielen Juristen (u.a. von der Anwaltsvereinigung
Ikadin), die eine Entlassung Suryonos forderten und die allgegenwärtige Korruption
in indonesischen Gerichten zur Sprache brachten. Auch in diesem Fall berichtete
die einheimische Presse detailliert und überwiegend mit großer Sympathie
für Adi Andoyo.
Im September äußerte sich ein weiterer oberster Richter, Generalmajor i.R. Muhammad
Jaelani, in ähnlicher Form und kritisierte Suryono, weil dieser nicht, wie
von Jaelani gefordert, 10% der etwa 4.000 indonesischen Richter wegen Korruption
entlassen wollte. Suharto, der im Falle Adi Andoyos eigentlich hätte entscheiden
sollen, wartete einfach bis die Beteiligten ordnungsgemäß in Rente gingen. 188
Adi Andoyo hatte damit zum ersten Mal bestätigt, was die indonesische Öffentlichkeit
schon immer gewusst hatte: dass nämlich korruptive Praktiken auf sämtlichen
Ebenen des Justizapparates üblich waren. Nur hatte diesmal ein oberster Richter
selbst diese Vorwürfe verifiziert. Die Vorgänge waren typisch für die Endphase der
Neuen Ordnung, in der immer mehr Risse in der Regimekoalition auftraten. Diese
Risse konnten durch eine aufmerksame Öffentlichkeit Stück für Stück freigelegt
werden.
185
Lubis 1993, 96ff; Persatuan Advokat Indonesia bzw. Ikatan Advokat Indonesia, der seit 1985 einzigen
von der Regierung anerkannten Anwaltsvereinigung, der die anderen Anwaltsvereinigungen beizutreten
hatten.
186
TB Aug. 1996, 7f.
187
Tempo Interaktif 20.7.1996.
188
Inside Indonesia Jan.-März 1997, 22f; TB Aug. 1996, 7f.

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
Dass der Justizapparat keineswegs monolithisch aufgebaut war, ließ sich auch an
mehreren gerichtlichen Entscheidungen ablesen. So entschied das höchste Verwaltungsgericht
im Falle des Tempo-Verbotes durch Harmoko gegen den Informationsminister.
Gunawan Mohamad und 47 seiner Kollegen hatten im September
1994 eine Klage gegen das Tempo-Verbot eingereicht. Benjamin Mangundilaga
erklärte dann im Mai 1995 als Vorsitzender Richter am Zentralen Verwaltungsgericht
das vom Informationsminister Harmoko erlassene Publikationsverbot für die
Zeitschrift Tempo für unwirksam und bestätigte damit ein Urteil des Verwaltungsgerichtes
in Ost-Jakarta. Er bezog sich auf das Pressegesetz aus dem Jahre 1980, das
solche Verbote ausdrücklich ausschloss. Dies war ein Vorgang, der ohne Vorbild in
der Neuen Ordnung war, und Benjamin Mangundilaga muss bei seinem Urteil davon
ausgegangen sein, dass ein beträchtlicher Teil seiner Berufskollegen und der Juristen
in Indonesien seine Auffassung teilten und ein Teil der Regimekoalition ihn unterstützen
würde. Inwieweit der Maßnahmenstaat funktionierte, zeigte aber schließlich
die Revision des Urteils vom Obersten Gerichtshof im Juni 1996, bei der die Richter
die Aufhebung einer Publikationslizenz terminologisch von einem Publikationsverbot
unterschieden. 189
Weitere interessante Rechtsfälle folgten aus der Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit
im Jahre 1986 (PTUN 190 ). Zwar konnten die Richter weiterhin ohne
größere Schwierigkeiten die Anweisungen ihrer Vorgesetzten befolgen und gegen
die Kläger entscheiden, aber die Tatsache, dass sich Behörden vor einem Gericht
verantworten mussten, war eine wichtige Innovation des Rechtssystems. Im Mai
1995 z.B. verklagte die Umwelt-NGO Walhi den Generalsekretär des Bergbau- und
Energieministeriums, weil sie die Umweltverträglichkeitsprüfung im Zusammenhang
mit PT Freeport in Irian Jaya für ungenügend hielt, und im Oktober 1994 klagten
eine Reihe von NGOs gegen die Keppres 42/94, nach der 400 Mrd. Rp. aus dem
Wiederaufforstungsfonds dem Habibie-Staatsunternehmen IPTN zugute kommen
sollten. In diesem Fall, in dem es jedoch nicht zur Einleitung eines Verfahrens kam,
hätte sich also sogar der Präsident selbst vor Gericht verantworten müssen. 191
Der Fall "Udin": Der Gerichtssaal als Forum für die Opposition
Der Fall "Udin", der 1996/97 die indonesische Öffentlichkeit beschäftigte, gewährt
einen Einblick in die Schwächen des Rechtssystems der Neuen Ordnung, aber auch
in die neuartige Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Kräfte.
Mitte August 1996 wurde im mitteljavanischen Yogyakarta der Journalist der Tageszeitung
Bernas, Fuad Muhammad Syafruddin (kurz: "Udin"), ermordet. 192 Sehr
bald stellte sich heraus, dass dieser Mord im Zusammenhang mit seinen kritischen
Artikeln gestanden haben musste. "Udin" hatte über einen längeren Zeitraum über
ein Entwicklungsprojekt in Parangtritis (d.h. über Landkonflikte, Umweltzerstörung
189 Vgl. auch Silaban 1997.
190 Peradilan Tata Usaha Negara.
191 Rohdewohld 1995, 22ff.
192 Vgl. zum Folgenden: AJI 1997.
361

362
Oppositionelle Gruppen
etc.), über Konflikte in mehreren Dörfern der Region (d.h. über manipulierte kepala
desa-Wahlen und die Veruntreuung von Regierungsgeldern) und über politische
Affären im Distrikt Bantul geschrieben. Dabei ging es vor allem um die Wahl eines
neuen Verwaltungschefs. Der Amtsinhaber, Oberst Sri Roso Sudarmo, hatte gegen
den Willen des Parlamentes von Bantul seine Wiederwahl durchgesetzt und war
dabei vom Innenministerium in Jakarta, das de facto die bupati ernannte, unterstützt
worden. In einem Schreiben, das auch von einem Verwandten Suhartos, einem kepala
desa in einem Dorf Bantuls, unterschrieben worden war, hatte Sri Roso Sudarmo
angekündigt, der Dharmais-Stiftung des Präsidenten 1 Mrd. Rp. spenden zu wollen.
"Udin" hatte über dieses Schreiben, mit dem Sri Roso sich der Unterstützung Jakartas
versicherte, und über dessen aggressiven Einsatz für Golkar berichtet und wurde
mit großer Wahrscheinlichkeit deshalb ermordet.
Das Außergewöhnliche an diesem Fall war aber nicht der Mord, sondern die Reaktion
der Öffentlichkeit und die besondere Form der Interaktion zwischen Behörden
und zivilgesellschaftlichen Gruppen. Um eine Vertuschung durch die Behörden zu
verhindern, konstituierten sich sofort nach Bekanntwerden des Falles mehrere Untersuchungskommissionen:
neben einer der staatlichen Journalistenvereinigung PWI
auch eine der unabhängigen Journalistenvereinigung AJI und von KomnasHAM.
Darüber hinaus berichteten zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften ausführlich über
die laufenden Ermittlungen, so dass die Öffentlichkeit über die Arbeit der Untersuchungsbehörden
recht genau unterrichtet wurde.
Am 21. Oktober wurde der Fahrer einer Werbefirma, Dwi Sumadji ("Iwik"), unter
Mordverdacht von der örtlichen Polizei festgenommen. Es zeichnete sich schnell ab,
dass der offensichtlich Unschuldige für den wahrscheinlich vom bupati selbst in
Auftrag gegebenen Mord verklagt werden sollte. Daraufhin eskalierte der Fall. Die
Zivilgesellschaft gewann mehr und mehr die Oberhand, so dass schließlich, Ende
1997, Dwi Sumadji vom Gericht in Bantul freigesprochen wurde. Im Verlaufe der
Ermittlungen stellte sich heraus, dass die Polizei unter Anwendung von Gewalt oder
durch das Angebot von Geldzahlungen Geständnisse erzwingen und auf Zeugenaussagen
Einfluss nehmen wollte. Die einseitige Auswahl der Zeugen sowie die
Rechtsverstöße bei der Beweisaufnahme machten den gesamten Prozess zu einem
Paradebeispiel für die Manipulation solcher Verfahren durch die Exekutive. Trotzdem
entschied das Gericht, das anfänglich eine Anklageerhebung aufgrund mangelnder
Beweise viermal abgelehnt hatte, für den Angeklagten. Während der bupati
von Bantul die Polizei, Teile seiner Partei und der Machtelite in Jakarta hinter sich
hatte, standen hinter der Familie des Angeklagten prominente Anwälte des Rechtshilfeinstitutes
LBH, der Großteil der berichtenden Journalisten, aber auch der interessierten
Öffentlichkeit. Es kam zu Demonstrationen, zu Solidaritätskundgebungen,
der Fall wurde zum Gegenstand von Symposien, und "Udin" wurde immer mehr zu
einem Symbol des Widerstandes gegen eine offensichtlich korrupte und brutale
politische Herrschaftsordnung.

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
Die dritte Phase vom "Sabtu Kelabu" bis zum Februar 1998
Anfang 1996 zeichnete sich immer deutlicher eine Demokratiebewegung in Indonesien
ab, die eine sehr heterogene Klassenbasis hatte, deren Ziele aber überwiegend
von Mittelklasseorganisationen artikuliert wurden. 193 Die führenden Persönlichkeiten
dieser Bewegung waren nicht Arbeiter oder Bauern, sondern Politiker, NGO-
Aktivisten, Gewerkschaftsführer, Dozenten und einige Studenten. In dieser Phase
formierte sich zumindest in Ansätzen eine einheitliche Bewegung mit dem Minimalziel,
die Absetzung Megawatis zu verhindern.
Der "Sabtu Kelabu"
Am 20. Juni kam es zu einer großen Demonstration in Jakarta mit 5.000, vielleicht
sogar 20.000 Teilnehmern, die vom Militär - nahe der Bahnstation von Gambir -
gewaltsam aufgelöst wurde. Die Demonstration richtete sich gegen den PDI-
Parteitag in Medan, auf dem Suryadi zum neuen Vorsitzenden "gewählt" wurde. Im
ganzen Land, selbst in vielen kleineren Städten, wurden gleichzeitig und in den
Tagen nach dem Parteitag Massenkundgebungen veranstaltet. Am 21. Juni besetzten
Megawati-Anhänger zum Zeichen des Protestes die PDI-Zentrale in Jakarta und
errichteten ein "mimbar bebas", ein freies Podium, auf dem Meinungen offen geäußert
werden konnten. Gut einen Monat später ordnete der Polizeichef an, dass das
"mimbar bebas", das inzwischen tagtäglich Tausende angelockt hatte, geräumt werden
müsse. Am 26.7. sprach Suharto in der ihm eigenen indirekten Form und anspielend
auf Furcht erregende javanische Mythen von "glatzköpfigen Teufeln", die die
(Megawati-)PDI für ihre Zwecke missbrauchten. Am Morgen des 27.7. schließlich
erfolgte der Angriff auf die Parteizentrale durch mehrere Hundert vermeintliche
Anhänger des PDI-Suryadi-Flügels. In Wirklichkeit wurde diese Attacke von verkleideten
Militärs und/oder preman durchgeführt, die von in der Nähe befindlichen
Einheiten der Polizei und des Militärs erst indirekt, dann direkt unterstützt wurden. 194
Im Laufe des Tages versammelten sich Zehntausende von Protestierenden in der
Nähe der Zentrale und lieferten sich später Straßenschlachten mit der Polizei und
dem Militär (u.a. Einheiten von Kostrad und Kopassus) in verschiedenen Teilen
Jakartas. Außerdem kam es zu Plünderungen und zu Brandstiftungen. Insgesamt
wurden am "Sabtu Kelabu", dem "Grauen" oder "Aschenen Samstag", mindestens 5
Menschen getötet und 149 verletzt.
Am nächsten Tag brachte in Jakarta ein Großaufgebot des Militärs die Lage wieder
unter Kontrolle, während in Surabaya Truppen die regionale Parteizentrale der PDI
räumten. Ab dem 29.7. wurde deutlich, dass die Erstürmung der Parteizentrale nicht
nur der Megawati-PDI, sondern indirekt auch deren Unterstützern gegolten hatte, die
für die Unruhen verantwortlich und als subversiv eingestuft wurden. Neben dem
MARI- und SBSI-Vorsitzenden Pakpahan, der schon am 30.7. festgenommen wur-
193 Vgl. auch TB Aug. 1996, 2ff.
194 Vgl. TB Okt. 1996, 1ff; AJI/FORUM-ASIA/ISAI 1997a; YLBHI 1997a, 3-53; Human Rights Watch &
RFK Center for Human Rights, August 1996; Tempo Interaktif 3.8., 10.8. und 24.8.1996. Suryadi bestätigte
dies kurze Zeit nach dem Rücktritt Suhartos.
363

364
Oppositionelle Gruppen
de, war die PRD das Hauptangriffsziel des Militärs. Mitte August wurden die ersten
PRD-Führer, unter ihnen Budiman Sudjatmiko, verhaftet. Zu diesem Zeitpunkt
waren bereits 124 Personen inhaftiert. Zahlreiche prominente Oppositionelle
(Princen, Nonya Supeni, Permadi, Sukmawati Sukarnoputri, Yulius Usman, Mulyana
W. Kusumah u.a.) wurden verhört. Zur gleichen Zeit observierten die Sicherheitskräfte
als subversiv eingestufte NGOs. 195 Sie durchsuchten die Büros von Pijar,
von Solidaritas Perempuan, des Institut Sosial Jakarta und von Pipham; Hendrik
Dikson Sirait von Pijar und Wiji Thukul von der PRD wurden festgenommen und
gefoltert. Über viele Wochen nach dem "Sabtu Kelabu" machte das Militär, das mit
dem Befehl, gegebenenfalls ohne Vorwarnung zu schießen, in Marsch gesetzt worden
war, regelrecht Jagd auf PRD-Mitglieder. Noch bis zum Ende der Suharto-
Herrschaft waren einige der Gesuchten auf der Flucht. 196
Die meisten großen Organisationen sprachen sich für die Maßnahmen der Regimekoalition
aus. Am 29. Juli versicherte die NU die Regierung ihrer Unterstützung.
Sogar Amien Rais äußerte - zum Missfallen seiner prodemokratischen Anhänger -
Verständnis für die aus seiner Sicht angemessene Reaktion des Militärs. 197 Mitte
August versammelten sich im Beisein mehrerer hochrangiger Militärs in Jakarta
sogar 30.000 Menschen: Die PRD wurde als die Urheberin der Unruhen verurteilt
und die Regierung ermuntert, weiter gegen die Ruhestörer vorzugehen. Aber es
waren auch andere Töne zu hören. Anfang September erklärte Amien Rais auf einer
Versammlung der Muhammadiyah-Jugend (AMM) vor 40.000 Zuhörern, dass die
Unterstützung von Muhammadiyah für die Regierung nicht ohne Einschränkungen
versprochen werden könne. Wenig später drängte Abdurrahman Wahid seine Anhänger
sogar, auf Loyalitätsbekundungen wie die vom 29. Juli zu verzichten. 198
Die PDI, Megawati und die Wahlen 1997
In der Zeit nach dem "Sabtu Kelabu" war die Megawati-PDI eine nur noch halblegale
Vereinigung von Politikern. Sie schien vor allem damit beschäftigt zu sein, mit
einem großen Team angesehener Anwälte die Illegalität der Machtübernahme durch
Suryadi vor Gericht zu beweisen. Die PDI verklagte deshalb zum einen Suryadi,
Innenminister Yogie S. Memet und ABRI-Kommandeur Feisal Tanjung wegen des
manipulierten Parteitages und zum anderen das Institut für allgemeine Wahlen LPU,
weil es die PDI-Kandidatenliste nicht berücksichtigt hatte.
Zwar war die Megawati-PDI seit Ende 1993 eine der Hauptkräfte der prodemokratischen
Bewegung, die über einen Massenanhang verfügte, Megawati Sukarnoputri
selbst äußerte sich aber sehr vorsichtig, wohl auch um der Regimekoalition keine
Angriffsfläche zu bieten. Megawati hatte nicht das intellektuelle Format eines A-
195 Von den etwa 6.000 NGOs galten laut Susilo Sudarman 32 als "problematisch". Welche Organisationen
auf der schwarzen Liste standen, wurde nicht bekannt gegeben.
196 Inside Indonesia Okt.-Dez. 1996, 4ff. Auch Budiman Sudjatmiko sieht den "Sabtu Kelabu" als einen
bedeutenden Wendepunkt in den 90er Jahren an (Sudjatmiko 1999, 133f).
197 Hefner 2000, 187.
198 Heryanto 1997, 110ff.

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
mien Rais, und ihre politischen Äußerungen wirkten oft bieder. 199 Am 10.1. 1998 -
auf der Feier des 25-jährigen PDI-Geburtstages in ihrem Privathaus - erklärte sie
sich vor mehreren Hundert begeisterten Anhängern bereit, für die Präsidentschaft zu
kandidieren. Allerdings machte sie in der 13-seitigen Rede keine deutlich formulierten
Reformvorschläge, sondern beschränkte sich auf pathetisch-nationalistische und
populistische Phrasen (vom "Leiden des Volkes", der "Herzensstimme des Volkes",
der "Arroganz der Macht" etc.), bezog sich auf das Erbe ihres Vaters (den sie stellvertretend
für ihre Anhänger "Bung Karno" nannte) und brachte sogar Try Sutrisno,
Hartono, Wiranto, Habibie, Ginanjar, Sudharmono und Rudini als fähige Suharto-
Nachfolger ins Spiel. 200 Megawati war eine charismatische Führerin, die gerade
wegen ihrer Zurückhaltung und Schüchternheit zu einem Symbol des Anstandes und
der mütterlichen Verbundenheit mit dem Volk wurde. McIntyre meint:
"But this silence and inactivity spoke volumes: Megawati became a mute symbol; or,
rather, a symbol because she was mute, a sign for decency amid the abuse of power of the
Soeharto regime. Her ability to harness her silence and her stillness in this way, to speak
in sign language (as it were), is an interesting variation on her father's volubility, and perhaps
no less eloquent." 201
Wie immer man zu Megawati stehen mag: Sie war spätestens seit dem "Sabtu Kelabu",
für viele schon seit Anfang der 90er Jahre - zuletzt neben Amien Rais - die
herausragende Integrationsfigur der Opposition, vor allem für nichtislamische oder
nicht-orthodox-islamische Angehörige der Mittel- und Unterklasse. Und die Megawati-PDI
stellte bis Anfang des Jahres 1998 das bedeutendste, zudem immerhin
halblegale Bündnis gegen das Regime dar.
Bei den Wahlen 1997 war nicht die Megawati-, sondern die Suryadi-PDI angetreten.
Auf den ersten Blick schien das Wahlergebnis für Golkar (74,5% im Gegensatz zu
den 68,1% in den Wahlen 1992) ein großer Erfolg zu sein und wurde von der regierungsnahen
Presse und der Regimekoalition auch als ein solcher dargestellt. In
Wirklichkeit war das beispiellos schlechte Abschneiden der PDI (3,1%, vorher
14,9%) eher ein Indiz für die gestiegene Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Bei
den Wahlkampfveranstaltungen der PDI waren häufig so wenige Anhänger anwesend,
dass das staatliche Fernsehen Mühe hatte, die gelichteten Reihen durch einen
geschickten Einsatz der Kameras zu kaschieren. Zum einen waren offensichtlich
viele Indonesier mündig genug zu erkennen, dass die Megawati-PDI von der Regierung
unterdrückt wurde und die Suryadi-PDI eine Art Mini-Golkar war. Zum anderen
hatte sich während des Wahlkampfes ein neuartiges Phänomen gezeigt, nämlich
eine informelle Zusammenarbeit zwischen der PPP und der Megawati-PDI unter der
Bezeichnung "Mega-Bintang", also für die Koalition zwischen Megawati und der
199 Vgl. die Kritik von Mietzner 1997.
200 DPP-PDI 1998.
201 McIntyre 1997, 15.
365

366
Oppositionelle Gruppen
muslimischen Partei mit dem Symbol des Sterns ("Bintang"). 202 Viele Megawati-
Anhänger entschieden sich deshalb für die PPP. Megawati selbst erklärte einige
Tage vor der Wahl, dass sie ihren Stimmzettel nicht abgeben werde. Deshalb vielleicht
ging die Wahlbeteiligung in Java um mehrere Prozentpunkte zurück.
Die indonesischen Medien beschäftigten sich vor allem mit dem informellen Bündnis
zwischen Abdurrahman Wahid und "Tutut" Suharto, die von Abdurrahman als
eine der Führerinnen der Zukunft bezeichnet wurde und als mögliche Vizepräsidentin
und/oder Golkarvorsitzende gehandelt wurde. Im gelben jilbab zog sie zusammen
mit dem charismatischen Muslimführer durch Mittel- und Ostjava und versuchte,
Muslime für Golkar zu begeistern.
1997 und Anfang 1998 war ein großer Teil der Aktivisten der prodemokratischen
Bewegung ausgeschaltet. Die Megawati-PDI war vom Suryadi-Flügel, der vom
Militär unterstützt wurde, verdrängt worden. Auch die PPP-Parlamentarier unter der
Führung von Metareum waren noch zahmer als sonst. Die PRD-Führung, der PUDI-
Chef Sri Bintang und der Gewerkschaftsführer Muchtar Pakpahan saßen in Haft. Die
Presse, die NGO-Szene und die Studenten mussten sehr vorsichtig agieren. Selbst
Abdurrahman Wahid war neutralisiert.
Prodemokratische Flügel in religiösen Organisationen: Der HKBP-Konflikt,
Amien Rais und Abdurrahman Wahid
Bei den verschiedenen Religionsgemeinschaften gab es unter den religiösen Führern
eine Vielzahl prodemokratischer Aktivisten. Bei den Christen seien nur der ursprünglich
deutsche Jesuitenpater Franz Magnis-Suseno, der in den 70er Jahren die
indonesische Staatsbürgerschaft angenommen hatte und vor einigen Jahren Philosophieprofessor
an der Driyarkara-Universität in Jakarta wurde, oder der in Yogyakarta
als Schriftsteller, Priester und NGO-Gründer tätige Romo Mangunwijaya, der von
der lateinamerikanischen Befreiungstheologie geprägt war, genannt. Sogar landesweit
bekannte javanische Mystiker wie Permadi gehörten der Demokratiebewegung
an. Innerhalb des indonesischen Islam gab es eine Unzahl von konservativen Traditionalisten
und Modernisten, aber auch prodemokratische Strömungen. Zum einen
radikaldemokratische Transformisten, etwa im NGO-Sektor oder innerhalb der politisch
aktiven Studentenschaft, aber auch liberale Modernisten und Neomodernisten.
Selbst einige traditionalistische Islamführer wie der maduresische Kiai Alawy Muhammad
schlugen sich in einigen Fällen auf die Seite der Opposition.
Ende der 80er Jahre wurden Teile der islamischen Mittel- und Oberklasse in die
Regimekoalition aufgenommen. Die ICMI-Gründung 1990 war das deutlichste Zeichen
einer solchen Integration oder Kooptation. Parallel dazu mehrten sich in den
90er Jahren interne Konflikte nicht nur bei den säkularen, sondern auch bei den
religiösen Organisationen. Es entstanden prodemokratische Flügel, die mit der De-
202 "Mega Bintang" ist auch übersetzbar mit "Riesiger Stern". Führende PPP-Politiker verteidigten diesen
Slogan gegen Kritiker aus dem Regierungslager mit dem Hinweis auf diese zweite Möglichkeit der
Übersetzung (Tempo Interaktif 10.5., 17.5. und 20.7.1997).

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
mokratiebewegung kooperierten und sich gegen die unpolitische oder politisch konservative
Haltung der alten Führungen ihrer jeweiligen Organisation wandten. Amien
Rais konnte sich in der modernistischen Muslimorganisation Muhammadiyah
in freier Wahl durchsetzen. Abdurrahman Wahid, der liberale Neomodernist, war
bereits seit 1984 die dominierende Figur in der größten muslimischen Organisation,
der NU. Er gründete 1991 das Forum Demokrasi. Wegen der starken Personalisierung
in der indonesischen Politik und der überragenden Bedeutung dieser beiden
Muslime sollen sie im Vordergrund der folgenden Passagen stehen.
Im Gegensatz zu vielen muslimischen Organisationen traten die verschiedenen
nichtmuslimischen Kirchenorganisationen in der Neuen Ordnung politisch selten in
Erscheinung, obwohl viele Nichtmuslime aktiv in der prodemokratischen Bewegung
arbeiteten. Diese Organisationen mussten in erster Linie darauf achten, dass die
interkonfessionellen Beziehungen einigermaßen konfliktfrei blieben. Die Christen,
denen von einigen Muslimen vorgeworfen wurde, überproportional bei den großen
Unternehmen, in der Politik, in der Bürokratie und im Militär vertreten zu sein,
mussten sich politisch besonders zurückhalten. Zunächst soll daher das Beispiel
einer protestantischen Kirchengemeinde verdeutlichen, unter welchen Druck selbst
relativ unpolitische Organisationen geraten konnten.
1992 wurde der Erzbischof der größten protestantischen Kirche in Indonesien, der
2,5 Millionen Mitglieder starken nordsumatraischen HKBP 203 ("Protestantische Gemeinde
der Bataker"), Dr. SAE Nababan, vom regionalen Ableger des Geheimdienstes
Bakorstanas seines Amtes enthoben. Nababan war 1987 gewählt worden, galt als
autoritär, aber auch als sozial engagiert.
Die Nichtregierungsorganisation KSPPM ("Studiengruppe zur Entwicklung von
Selbsthilfegruppen") 204 , die 1990 unter dem Schutz der HKBP gegründet worden
war, beschäftigte sich u.a. mit Fragen des Umweltschutzes und der Landenteignung.
Da die KSPPM sich auch mit der Zellstoff-Fabrik Indorayon anlegte, wurde sie im
August 1990 verboten. Der regionale Bakorstanas-Leiter, Generalmajor Pramono 205 ,
ordnete schließlich Ende 1992 die Ersetzung Nababans durch Reverend PWT Simanjuntak
an. In den folgenden Jahren wurden die Nababan-loyalen Priester und
Gemeindemitglieder mehrfach - u.a. von Pemuda-Pancasila-Kriminellen - angegriffen.
206 Nach den Arbeiterunruhen im April 1994 in Medan/Nordsumatra wurde die
Position des Nababan-Flügels weiter geschwächt, weil die Regierung den SBSI, von
dessen Mitgliedern einige (M. Pakpahan, Amosi Telaumbanua) der HKBP nahe
standen, zum Urheber gestempelt hatte. Seither schwelte der Konflikt zwischen dem
203
Huria Kristen Batak Protestan.
204
Kelompok Studi Pengembangan Prakarsa Masyarakat = Studiengruppe zur Entwicklung von Selbsthilfegruppen.
205
Pramono und Simanjuntak standen in enger Beziehung zu Indorayon (Indonesien Information Nov.
1994, 32).
206
Human Rights Watch 1994, Kap. 7; Inside Indonesia Jan.-March 1997, 17f.
367

368
Oppositionelle Gruppen
Nababan-Flügel und dem von der Regierung und vom Militär gestützten Simanjuntak-Flügel
weiter.
Solche Eingriffe in innere Angelegenheiten waren typisch für die Neue Ordnung.
Sie waren aber in so krasser Form in den 90er Jahren nur bei kleineren Organisationen,
und tendenziell eher bei christlichen, möglich. NU und Muhammadiyah waren
für solche Eingriffe zu groß und standen zu sehr im Blickfeld der Öffentlichkeit. Ein
Versuch, Abdurrahman Wahid abzusetzen, scheiterte, wie noch zu zeigen sein wird,
kläglich.
Muhammadiyah und Amien Rais
Muhammadiyah war keine oppositionelle Organisation, zumal sie den Schwerpunkt
ihrer Aktivitäten nicht auf politische, sondern auf Wohlfahrts- und Bildungsaufgaben
legte. Aber die alten, eher traditional legitimierten Führungspersonen in den
Gremien Muhammadiyahs (mit dem Titel Kiai Haji) wurden zusehends durch Intellektuelle
abgelöst, die die Interessen der islamischen Mittelklasse artikulierten. Diese
waren etwa als Hochschuldozenten relativ unabhängig von der Regimekoalition
wie Amien Rais 207 , Syafi'i Maarif, Afan Gaffar und Yahya A. Muhaimin. Andere
waren als Angehörige der Bürokratie (Rosyad Saleh, Malik Fajar, Watik Pratiknya)
oder als Politiker der PPP oder Golkars stärker den Einflüssen aus der Machtelite
ausgesetzt. Die Golkar-Politiker Lukman Harun und Din Syamsuddin z.B. vertraten
die Ansicht, dass Muhammadiyah sich auf die ursprünglichen Aufgaben konzentrieren
und sich aus der Tagespolitik weitgehend heraushalten sollte. 208 Lukman Harun,
der lange der Gegenspieler von Amien Rais war, hielt dessen kritische Äußerungen
für gefährlich, überflüssig und ärgerlich. Er meinte, dass Rais nicht, wie oft behauptet,
eine Massenbasis habe. 209 Während Lukman Harun seiner Organisation indirekt -
durch die Arbeit in der Regierungspartei - eine engere Anbindung an die Machtzentren
verschaffen wollte, steuerte Amien Rais einen Konfrontationskurs.
Rais wurde 1995 in freier Wahl und nicht per Akklamation von den Muhammadiyah-Abgesandten
zum neuen Vorsitzenden bestimmt. Er gehörte nicht zu den islamischen
Gelehrten oder ulama, deren Prestige weitgehend vererbt ist, sondern war
seit längerem bekannt als scharfsinniger Intellektueller, der anders als seine Amtsvorgänger
K.H. A.R. Fachruddin und K.H. Ahmad Azhar Basyir kein Blatt vor den
Mund nahm. Rais verstand sich als strenggläubiger Muslim, der sich intensiv mit der
islamischen Lehre beschäftigt hatte und sich strikt an die religiösen Gebote hielt. Er
207 Amien Rais wurde 1944 im mitteljavanischen Solo geboren und wuchs in einem orthodox-islamischen
Elternhaus auf. 1950-61 war er Aktivist bei der islamischen Organisation Hizbul Wathon. 1962-68 studierte
er an der IAIN Sunan Kalijaya und an der UGM in Yogyakarta. Er war Pemuda-Muhammadiyah-,
HMI- und IMM-Aktivist und zählt zur 66er-Generation. 1972-74 führte er seine Studien an der Notredame-Universität
in Indiana fort und promovierte in Chicago 1981 mit einer Arbeit über die Muslimbrüder
in Ägypten. Für Recherchearbeiten ging er 1978/79 als Gasthörer an die Al-Azhar-Universität in Kairo.
Seit seiner Rückkehr nach Indonesien lehrte Rais Politikwissenschaft an der UGM.
208 Interviews mit Lukman Harun am 12.11. und mit Din Syamsuddin am 10.11.1997 in Jakarta.
209 Die Unterscheidung der drei Gruppen ("freie" Intellektuelle, Bürokraten, Politiker) findet sich auch bei
Afan Gaffar: Ummat, 14.4.1997, S. 82, abgedruckt in Basyaib/Ali-Fauzi (Hg.) 1997, 384ff.

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
war in Indonesien sehr angesehen, weil er zwei Kulturräume, die für Indonesien sehr
bedeutend sind, sehr genau kannte: Das war zum einen der Nahe Osten - Rais
spricht Arabisch -, zum anderen die westliche Welt, die er während seines langjährigen
USA-Aufenthaltes kennen gelernt hatte.
In einem längeren Aufsatz hatte er die heikle Nachfolgefrage (suksesi) zur Sprache
gebracht 210 und mehrfach die grassierende Korruption und Kollusion (korupsi dan
kolusi) angeprangert. Er forderte ein "clean government" und eine gerechte Wirtschaftsordnung
gemäß dem islamischen tauhid sosial-Konzept. Trotz seiner Orientierung
an westlichen Demokratievorstellungen wandte er sich stets gegen einen aus
seiner Sicht antiislamischen Orientalismus und gegen die kulturelle Hegemonie des
Westens, die er mit dem Begriff "Westoxication" umschrieb. Rais bekannte sich zu
den wesentlichen Institutionen der Demokratie und zum Prinzip der Gewaltenteilung,
verstand sich aber keineswegs als bedingungslosen Anhänger der westlichen
Demokratie und lehnte eine Säkularisierung der Politik und der Ökonomie aufgrund
seines holistischen Islamverständnisses ab. 211
Seine Anhänger innerhalb Muhammadiyahs wollten offenbar einen Vorsitzenden,
der den Druck auf das Regime erhöhte. Amien Rais war vor allem in der islamischen
Mittelklasse, und dort besonders bei den Studenten, populär. Allerdings sahen
ihn die Christen und unter ihnen die meisten Sinoindonesier mit einiger Skepsis, da
Rais sich hin und wieder mehrdeutig zu den Beziehungen zwischen Muslimen und
Christen sowie zwischen pribumi und nonpribumi äußerte und wie viele andere
ICMI-Mitglieder eine ihrem prozentualen Anteil entsprechende Vertretung der islamischen
Gemeinschaft in Staatsämtern forderte ("proporsionalitas").
Rais wurde von seinen Gegnern zumeist vorgeworfen, dass er nicht im Namen Muhammadiyahs,
sondern in seinem eigenen Namen spreche und dass es nicht die
Aufgabe einer genuin religiösen Organisation sei, beispielsweise einen Wechsel im
Präsidentenamt zu fordern. 212 Seine Anhänger behaupteten dagegen, dass er nur das
offen ausspreche, was die Mehrheit der Muslime denke und dass Muhammadiyah-
Führer schon zu Zeiten Sukarnos im BPUPKI lautstark ihre politische Meinung
geäußert hätten. Wie sehr Rais die Unzufriedenheit eines großen Teils der Bevölkerung
artikulierte, lässt sich an einer Umfrage der Zeitschrift Ummat ablesen. 213 66%
der 500 zufällig aus einem Telefonbuch ausgewählten Befragten, die aufgrund ihrer
überdurchschnittlichen Ausbildung überwiegend zur Mittelklasse gerechnet werden
können, hielten die Kritik von Rais in der Sache und in der Form für richtig. Rais,
dessen Bild insbesondere seit 1997 fast täglich in den nationalen Zeitungen und
Zeitschriften erschien, war auch oder gerade in den muslimischen Unterschichten
210
Vgl. Rais 1996.
211
Interviews mit A. Rais am 21.8 und 23.8.1997 in Yogyakarta.
212
Siehe etwa Hajriyanto Y. Thohari in: Basyaib/Ali-Fauzi (Hg.) 1997, 335ff; urspr. in: Jawa Pos
13./14.3.1997.
213
Vgl. Basyaib/Ali-Fauzi (Hg.) 1997, 213ff; urspr. in: Ummat 17.3.1997.
369

370
Oppositionelle Gruppen
sehr beliebt. 214 Er traf mit seiner Kritik den Nerv der Regimekoalition, denn die von
ihm vorgebrachten Fakten und die von ihm verurteilten Herrschaftspraktiken konnten
von niemandem ernsthaft bestritten werden. Obwohl er jederzeit damit rechnen
musste, dass er wie Sri Bintang Pamungkas inhaftiert oder wie Megawati vom Vorsitz
seiner Massenorganisation verdrängt werden würde, ging er das hohe Risiko ein
und intensivierte seine Kritik weiter. Im Januar 1997 warf er in der Tageszeitung
Republika der Regierung sogar vor, Volksvermögen bei der Lizenzvergabe an ausländische
Bergbauunternehmen zu verschwenden und somit nicht verfassungsgemäß
zu handeln. 215
Unter anderem wegen dieser Kritik musste Amien Rais seine Position als Vorsitzender
des ICMI-Expertenrates (Dewan Pakar) im Februar 1997 aufgeben. Mit großer
Wahrscheinlichkeit war es der verärgerte Präsident selbst, der den "freiwilligen
Rückzug" (kemunduran diri) angeordnet hatte. 216
Rais, der wie Megawati Millionen von Anhängern hatte, gehörte bis zum Ende der
Amtszeit Suhartos zu dessen schärfsten Kritikern. Ende Februar 1998 gab er dennoch
- für viele überraschend - Suharto eine "letzte, letzte, letzte Chance". Allein die
Tatsache aber, dass er sich in dieser, im Grunde beleidigenden, Weise öffentlich
äußern konnte, verdeutlicht, wie sehr sich zu diesem Zeitpunkt die Gewichte zwischen
Regimekoalition und Opposition bereits verschoben hatten. Amien Rais war
in den letzten Monaten der Neuen Ordnung das Idol zumindest der islamischen
Studenten und eines großen Teils der Unter- und Mittelklasse. In den ersten Monaten
des Jahres 1998 schrillten deshalb beim Militär die Alarmglocken, wenn er sich
mit anderen führenden Oppositionellen wie Megawati oder Abdurrahman Wahid
traf, zu dem er allerdings in einem eher unterkühlten Verhältnis stand.
NU und Abdurrahman Wahid
Abdurrahman Wahid 217 ist der Sohn des ehemaligen NU-Führers und Religionsministers
Wahid Hasyim und der Enkel des NU-Gründers Hasyim Asyari sowie Enkel
mütterlicherseits des angesehenen K.H. Bisri Syamsuri. Wahid verstand es ge-
214
Diesen Eindruck konnte man 1997 vor allem in Yogyakarta, der eigentlichen Machtbasis von Rais,
gewinnen.
215
Vgl. Basyaib/Ali-Fauzi (Hg.) 1997, 3ff.
216
Rais hielt sich an die offizielle Version, wonach er sich wegen der großen Arbeitsbelastung aus diesem
Gremium zurückziehe.
217
Abdurrahman Wahid wurde 1940 in Denanyar, im ostjavanischen Jombang geboren. 1959-63 unterrichtete
er an einer Madrasah (islamische Schule) in Jombang, und von 1964 bis 1970 ging er zum Studium
an die Al-Azhar-Universität in Kairo (zwei Jahre) und an die Universität von Bagdad (vier Jahre).
1973/74 arbeitete er als Dekan der Theologischen Fakultät der kleinen Hasyim-Asyari-Universität in
Jombang, danach als Generalsekretär des Tebuireng-pesantren, ebenfalls in Jombang, und seit 1978 als
Leiter des Ciganjur-pesantren im Süden Jakartas. Außerdem übernahm er den Vorsitz des Kunstrates von
Jakarta (Dewan Kesenian Jakarta). Ungefähr seit Mitte der 70er Jahre zählte er zu den Neomodernisten
und traf sich regelmäßig mit Nurcholish Majid, Johan Effendi u.a. Abdurrahman war als Kolumnist und
als Berater im NGO-Bereich tätig und gründete 1983 mit anderen P3M in Jakarta. 1984 wurde er schließlich
Vorsitzender von Nahdatul Ulama (genauer: Tanfidziyah-Vorsitzender). Zusammen mit Achmad
Siddiq initiierte Abdurrahman den Rückzug der NU aus der PPP (kembali ke khittah) und aus der Parteipolitik
im Allgemeinen (Malik/Ibrahim 1997, 77-99; Barton 1995, 45ff).

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
schickt, verschiedene Herrschaftsformen miteinander zu kombinieren. Er gründete
seine Position auf eine Mischung aus Erbcharisma, traditionaler Herrschaft und
intellektuellem Können.
Als Nachfahre mehrerer hoch angesehener NU-Würdenträger hatte er ein sehr hohes
Maß an Ehre und Prestige geerbt. Da die Entscheidungsprozesse in der NU noch
sehr stark von traditionellen Bindungen geprägt sind, fiel es selbst älteren ulama
schwer, ihm zu widersprechen. 218 Das Erbcharisma ergänzte Wahid durch einen viele
ältere ulama irritierenden, intellektualistischen Nonkonformismus, der ihm bei jüngeren
und gebildeteren NU-Mitgliedern Ansehen verlieh.
Wahid zählt zu den schon beschriebenen Neomodernisten, die generell als sehr liberal
gelten und die islamische Lehre undogmatisch auslegen. Er bekennt sich uneingeschränkt
zu den Pancasila, in denen fünf monotheistische Religionen gleichgestellt
und als legitim und legal anerkannt werden. 219 Deshalb auch wehrte sich Wahid
gegen jede Form der Politisierung der Religion, wie in der Monitor-Affäre, in der
Betrachtung der palästinensisch-israelischen Beziehungen oder im Verhältnis zu den
Nichtmuslimen in Indonesien. Anders als viele seiner Glaubensbrüder in der NU
sprach er sich gegen das Gesetz über religiöse Gerichte (7/1989) und das Gesetz
über das nationale Ausbildungssystem (2/1989) sowie gegen die unnachgiebige
Haltung vieler Muslime zum staatlichen Glücksspiel SDSB aus. Schließlich konnten
seiner Meinung nach die unzufriedenen Muslime das Glücksspiel einfach boykottieren,
mussten aber nicht ihren Willen - der zudem auf eine einseitige Koraninterpretation
gestützt war - allen Indonesiern aufzwingen.
Als Wahid 1984 Vorsitzender der NU wurde, handelte er mit seiner kembali ke khittah-Politik
noch im Interesse der Regierung, die an einer Depolitisierung des Islam
interessiert war und wenig gegen die kulturalistische Islaminterpretation Wahids
einzuwenden hatte. Zu dieser Zeit hatte Wahid noch eine relativ gute Beziehung zur
Regimekoalition und war einige Jahre sogar für Golkar im MPR. Er versuchte, seine
liberalen Konzepte durch eine Politik der vorsichtigen Annäherung an die Herrschaftselite
umzusetzen. So war er bekannt für seine recht guten Beziehungen zu
Benny Murdani, der bei vielen orthodoxen Muslimen verhasst war, weil er Christen
in seiner Funktion als ABRI-Kommandeur bevorzugte.
Anfang der 90er Jahre verschlechterte sich die Beziehung von Wahid zu Suharto
und zur neuen ABRI-Führung aber zusehends. Insbesondere durch die ICMI-
Gründung 1990 sah Wahid ein neues islamisches Sektierertum aufkommen. 220 Viele
218 Wahid bestreitet dies heftig und verweist auf seine genauen Kenntnisse der islamischen Lehre und
darauf, Englisch und Arabisch sprechen zu können (Interview am 6.10.1997 in Jakarta).
219 Diese Haltung, die sich ähnlich in der Formulierung der Pancasila findet, wird von Magnis-Suseno auf
eine dem javanischen Denken immanente Tendenz zur religiösen Toleranz zurückgeführt. Die mystische
Einheit zwischen Gott und Person ist demnach im javanischen Denken auf verschiedenen Wegen erreichbar
(vgl. Ramage 1995, 172).
220 Abdurrahman Wahid z.B. meinte (ohne Namen zu nennen): " [...] diese Leute sagen immer, dass sie
Demokratie wollen. Aber wenn sie dann die politische Macht haben, sagen sie, dass sie erst einmal ande-
371

372
Oppositionelle Gruppen
indonesische Muslime, die wie der modernistische Flügel innerhalb ICMIs ausdrücklich
die politische Rolle ihrer Religion hervorhoben, sahen wiederum in Wahid
einen cleveren Machtpolitiker, der die Sache des Islam an Christen verriete. 221
In den neunziger Jahren mischten sich die Regierung und das Militär immer stärker
in innerorganisatorische Angelegenheiten ein. Zumindest war eine solche Einmischung,
die es immer schon gegeben hatte, in dieser Zeit zunehmend ins öffentliche
Bewusstsein gelangt. Die Regimekoalition hatte Mühe, Personen ihrer Wahl an die
Spitze der wichtigsten Massenorganisationen zu lancieren. Bei der Wahl des PPP-
Vorsitzenden Metareum konnte noch der Regierungskandidat durchgesetzt werden,
nicht jedoch bei der Wahl des Kadin- und des Muhammadiyah-Vorsitzenden. Ähnlich
verhielt es sich mit dem Versuch, Abdurrahman Wahid durch einen regierungstreuen
Gegenkandidaten zu stürzen. 222 Wahid wurde wegen seiner Äußerungen über
den Präsidenten, wegen der Forum-Demokrasi-Gründung 223 sowie allgemein wegen
seiner liberalen und prodemokratischen Haltung zu einer Gefahr für das Regime.
Am 1. März 1992 fand ein großes NU-Treffen (Rapat Akbar) in Jakarta statt, zu dem
bis zu 2 Millionen Teilnehmer erwartet wurden, zu dem dann aber nur etwa 150.000
kamen. Wahid wollte dieses Treffen dazu nutzen, um seine Position zu stärken und
um ein öffentliches Bekenntnis zu den Pancasila abzulegen. Damit wollte er den
partikularistischen, sektiererischen Tendenzen im indonesischen Islam begegnen.
Zugleich brachte er die Regierung in eine prekäre Lage, weil schon vorher deutlich
wurde, dass er sich nicht für Suharto und dessen erneute Präsidentschaft aussprechen
würde. Nachdem die Regierung vielen, die zum Treffen angereist waren, den Zugang
versperrt und ganze Busladungen zurück in ihre Heimatregionen beordert hatte,
beschwerte sich A. Wahid in einem Brief an den Präsidenten bitter. Außerdem
warnte er davor, dass Indonesien in absehbarer Zukunft zu einem neuen Algerien
werden könne, in dem jene, die die Pancasila nicht akzeptierten, einen Islamstaat zu
errichten wünschten. 224
Im Dezember 1994, beim 29. Nationalen Treffen (muktamar) der NU im ostjavanischen
Cipasung, unterstützte die Regierung unmissverständlich den Gegenkandidaten
Abu Hasan. 225 Schon vorher hatte der langjährige Widersacher Wahids, Chalid
Mawardi, Abu Hasan als möglichen Nachfolger ins Gespräch gebracht. Mawardi
und seine Anhänger kritisierten den - wie sie meinten - autoritären Führungsstil
Wahids, seine politischen Alleingänge und seinen z.T. praxisfernen Intellektualismus.
Schon bei der Eröffnung des muktamar durch Suharto wurde der Präsident
nicht wie üblich von Wahid in seiner Funktion als Tanfidziyah-Vorsitzendem begleitet.
Wahid saß sogar in einer der hinteren Reihen, was auf die starken Spannun-
re Reformen durchführen müssen, weil eine volle Demokratisierung zu früh komme. Eigentlich wollen
sie einen Islamstaat. 'Demokratie' ist nur ein Vorwand" (Interview am 6.10.1997 in Jakarta).
221
Ein Cides-Mitarbeiter gab mir 1997 einen kleinen Zettel, auf dem sämtliche vermeintlichen Sünden
und Verfehlungen von Abdurrahman Wahid aufgelistet waren.
222
Vgl. Wirodono 1995, 87ff und Bastaman 1995, 26ff.
223
Er sollte sogar das Forum Demokrasi verlassen (Ramage 1995, 165).
224
Schwarz 1994, 192f.
225
Van Dijk 1995, 136ff.

Professionals, Politiker sowie religiöse Führer
gen zwischen ihm und dem Präsidenten hindeutete und von einigen als indirekte
Aufforderung Suhartos, Wahid nicht zu wählen, interpretiert wurde. Schließlich kam
es zu einer Kampfabstimmung, bei der Wahid 174 und Abu Hasan, der erst während
des Treffens als Kandidat bekannt wurde, 142 Stimmen erhielt. Die Wahid-Gegner,
die unter dem Motto Asal bukan Gus Dur (ABG, "Hauptsache nicht Gus Dur") angetreten
waren, hatten offensichtlich die Unterstützung der Regierung erhalten. 226
Schon Wochen vor dem muktamar waren viele Delegierte unter Druck gesetzt worden.
Später gründete Abu Hasan, der die Ergebnisse des muktamar für ungültig
erklärte, das konkurrierende nationale Führungsgremium KPPNU 227 , das jedoch
ohne Wirkung blieb.
Nach den Ämterneubesetzungen in der Armee Mitte der 90er Jahre hatte Wahid
keine Kontakte mehr zur ABRI-Führungsspitze. Erst 1996 - nach einem persönlichen
Treffen - entspannte sich das Verhältnis zu Suharto wieder. Das informelle
Bündnis mit "Tutut" im Jahre 1997 hatte dann den Zweck, seine Position innerhalb
der NU zu stabilisieren. 228
Die Beziehung Wahids zu den orthodoxen Muslimen und zur Regimekoalition war
also von einer großen Ambivalenz geprägt. Wahid hatte deshalb auch keine aktive
Rolle in der Endphase der Neuen Ordnung in der Demokratiebewegung übernommen,
sondern fiel dieser Bewegung hin und wieder sogar in den Rücken. Trotzdem
war Wahid als Forum-Demokrasi-Gründer und als liberaler Neomodernist immer
eine der wichtigsten und prominentesten Regierungskritiker gewesen, der als NU-
Vorsitzender eine ungeheure Macht hatte.
Die beiden einflussreichsten Muslime waren vielleicht gerade, weil sie Gegensätze
in sich vereinigten, so mächtig. Wahid hatte das Charisma seines Vaters und seines
Großvaters übernehmen können. Zugleich vermochte er mit seinem Wissen über den
Nahen Osten und aufgrund seiner prowestlichen Haltung, Brücken zwischen den
verschiedenen Kulturkreisen zu schlagen. Politisch wechselte er ständig die Fronten.
Im Denken von Rais fanden sich erhebliche skripturalistische Anteile, andererseits
war er als westlich ausgebildeter Politologe mit der europäischen Aufklärungstradition
vertraut und sprach sich immer wieder für eine indonesische Variante der westlichen
Demokratie mit freien Wahlen, mit einer Teilung der Gewalten und einer
Anerkennung der Menschenrechte aus. Weil Wahid und Rais in jeweils eigener
Weise verschiedene Positionen in sich vereinigten, konnten sie zu Vorsitzenden von
Massenorganisationen werden. Sie waren für die prodemokratische Bewegung und
für den relativ gewaltlosen Übergang zur Demokratie so wichtig, weil sie zwischen
226
Nach Kingsbury (1998, 134f) setzten sich "Tutut" Suharto, Harmoko, Habibie, Hartono, Feisal Tanjung,
Try Sutrisno und weitere 10 Minister für die Absetzung Wahids ein. Nach Hefner (2000, 173) setzte
sich allerdings - neben Edi Sudrajat - Vizepräsident Try Sutrisno für Wahid ein. Wahid selbst beklagte
sich besonders über die Kampagnen von Adi Sasono (ICMI) und von Din Syamsuddin sowie Amir
Santoso (beide Golkar und CPDS).
227
Koordinasi Pengurusan Pusat NU.
228
Gatra 22.2.1997. Noch im Juli 1996 hatte Wahid zu den Unterzeichnern der "Petisi Keprihatinan"
gehört (siehe Abschnitt 3.5).
373

374
Oppositionelle Gruppen
der Regimekoalition, den Traditionalisten, dem "Volk" und den liberalen Intellektuellen
vermitteln konnten.
Schlussbemerkung
Im Diskurs über Demokratisierung stößt man gerade auch in Indonesien immer
wieder auf die in Kapitel 1 skizzierte Mittelklassethese: In Entwicklungsdiktaturen
entsteht im Zuge des sozioökonomischen Fortschreitens eine Mittelklasse aus kleinen
und mittleren Angestellten und Unternehmern sowie Freiberuflern und Beamten.
Ist ein kritischer Punkt erreicht, kommt es zur Transformation der Entwicklungsdiktatur
in eine parlamentarische Demokratie, da diese Mittelklasse an Transparenz,
Berechenbarkeit und Rechtsstaatlichkeit interessiert ist.
In Indonesien hat sich zwar ein bedeutender sozialer und ökonomischer Wandel
vollzogen, aber die "Mitte" war im Vergleich zu Ländern wie Südkorea, Taiwan
oder selbst Thailand zum Zeitpunkt der politischen Liberalisierung noch sehr dünn
besetzt. Allerdings haben die Ereignisse 1986 in den Philippinen gezeigt, dass eine
starke Mittelklasse nicht notwendigerweise existieren muss, um eine erhebliche
Verbesserung der Menschenrechtslage und eine Einführung verschiedener demokratischer
Institutionen zu ermöglichen. Offenbar ist nicht - wie häufig gerade von
indonesischen Konservativen unterstellt - allein die Größe dieser Mittelklasse wichtig.
Ausgehend vom SKOG-Modell könnte man sagen: Entscheidend ist die Konstellation
strategischer und konfliktfähiger Gruppen vor dem Hintergrund der internationalen
politischen und wirtschaftlichen Lage.
In der Neuen Ordnung waren die kleinen und mittleren Beamten, Angestellten und
Unternehmer meist konservativ oder verhielten sich abwartend und passiv. Zu den
prodemokratischen Aktivisten zählten vor allem NGO-Aktivisten, Journalisten,
Hochschuldozenten (als ein Segment der Beamtenschaft) und freiberuflich tätige
Intellektuelle und Künstler, einige genuine PDI-Politiker, einige religiöse Führer
und einige Anwälte und Richter.
Die NGO-Aktivisten (Juristen, Sozialwissenschaftler etc.) konnten ein engmaschiges
Netz mit anderen Gruppen der Opposition knüpfen. Die Journalisten, Dozenten
und anderen Intellektuellen verbreiteten Informationen und alternative Politikkonzepte.
Die Politiker, insbesondere der Megawati-PDI nach 1993, sowie einige religiöse
Führer übernahmen wichtige Funktionen der Vermittlung zu anderen Teilen
der Mittelklasse und zum arus bawah.
Die prodemokratischen Professionals bildeten keine exakt umgrenzbare Gruppe,
sondern eher ein diffuses Beziehungsnetzwerk mit vielfachen und mit der Zeit enger
werdenden Verknüpfungen untereinander und zu anderen Gruppen.

NGOs 375
4.4 Nichtregierungsorganisationen
In Indonesiens Neuer Ordnung gab es zuletzt mehrere Tausend NGOs. 229 Erst in den
70er Jahren, nachdem weltweit die Suche nach alternativen Entwicklungsstrategien
in den Vordergrund gerückt und in Indonesien die Zentralisierung und Entpolitisierung
zu einem ersten Abschluss gekommen war, sind NGOs zu bedeutenden nichtstaatlichen
Akteuren aufgestiegen.
In diesem Abschnitt sollen diese NGOs ausführlich vorgestellt werden, weil sie in
der Demokratiebewegung in Indonesien eine wichtige Rolle gespielt haben. Dabei
ergeben sich Überschneidungen mit den Abschnitten über die Studenten und über
die Professionals. Es ist nämlich außerordentlich schwierig, die Opposition in Indonesien
in einzelne Gruppen aufzuteilen, da es ein engmaschiges Beziehungsnetz
zwischen Studenten, Professionals, Gewerkschaftlern etc. gibt. NGO-Aktivisten
waren in der Neuen Ordnung Gründer von Gewerkschaften (M. Pakpahan), Studenten
bildeten in vielen Fällen den Kern von NGOs, kritische Rechtsanwälte zogen
sich in diesen Sektor zurück, Studenten gründeten die PRD, und NGO-Aktivisten
trafen sich mit Sri Bintang Pamungkas in der PUDI.
Die NGOs 230 übernahmen in der Neuen Ordnung vielfältige Funktionen, die in Demokratien
häufig von staatlichen Behörden erfüllt werden. Zum Beispiel war das
Rechtshilfeinstitut LBH nur deshalb so bedeutsam, weil der Rechtsstaat in Indonesien
so unterentwickelt war. Andere NGOs stießen in Lücken vor, die aufgrund der
Untätigkeit der Verwaltung entstanden, etwa bei der Wasserversorgung, der Armutsbekämpfung,
beim Umweltschutz etc. Die Machtelite der Neuen Ordnung hatte
daher ein zwiespältiges Verhältnis zu den NGOs: Sie führten einerseits viele Entwicklungsaufgaben
besser als der staatliche Verwaltungsapparat aus, andererseits
arbeiteten sie oftmals unabhängig von den Behörden mit ausländischen Organisationen
zusammen, organisierten den Widerstand in unterschiedlichen Formen und
informierten die Öffentlichkeit über Menschenrechtsfragen, Umweltprobleme,
Landenteignungen etc. Die NGOs wurden nur solange geduldet, wie sie den Bestand
des politischen Systems nicht gefährdeten. Nach dem 27. Juli 1996, als eine Hexen-
229 Die Zahlenangaben sind nicht eindeutig. Sinaga (1994, 9) erwähnt eine Zählung von Bina Desa,
wonach 1989 1.500 NGOs in Indonesien existierten. Zur selben Zeit gab die Regierung die Zahl mit
3.251 an, wobei allerdings Selbsthilfegruppen eingeschlossen gewesen sein dürften. In der Zeitschrift
Gatra (11.3.1995) wurde die Zahl auf 7.000, darunter allein 2.800 in Jakarta, geschätzt.
230 NGOs werden in Indonesien als LSM (Lembaga Swadaya Masyarakat oder Selbsthilfeinstitut) und
LPSM (Lembaga Pengembangan Swadaya Masyarakat oder Institut zur Entwicklung der Selbsthilfe)
bezeichnet, wobei ein LPSM i.d.R. größer als ein LSM ist. Auf diese Abkürzungen hatten sich 1983
indonesische NGOs bei einem nationalen Treffen mit Zustimmung der Regierung geeinigt. Sinaga (1995,
56ff) meint, dass die Verwendung des Begriffes "Organisation" (wegen der Konnotation "organisasi
terlarang", also "verbotene Organisation") ebenso wie der Gedanke des Nichtstaatlichen in Indonesien
problematisch ist. Andererseits finden Sanskrit-Begriffe wie "Swadaya" breite Akzeptanz, da dieser
Selbsthilfegedanke - von welchen Traditionen auch immer genährt - tief verwurzelt ist. Andere Aktivisten
verwenden Begriffe wie “Ornop” ("Organisasi non-pemerintah", also "nichtstaatliche Organisation")
(Setiawan 1996). Wegen der Fragwürdigkeit des LSM/LSPM-Begriffes wird hier die international geläufige
Abkürzung "NGO" verwendet.

376
Oppositionelle Gruppen
jagd auf die gesamte indonesische Opposition einsetzte, gerieten auch viele NGOs,
vor allem die radikalen, ins Schussfeld des Militärs.
Definition und Typologie
NGOs oder Nichtregierungsorganisationen sind in erster Linie definiert durch ihre
Nichtstaatlichkeit. Das heißt, es handelt sich um Organisationen, die weitgehend
unabhängig von staatlichen Zuwendungen und Weisungen handeln. Sie sind nicht
profitorientiert und verfolgen Ziele, die im öffentlichen Interesse liegen. 231 In der
Regel versuchen sie, die Lage von sozial Benachteiligten zu verbessern, oder sie
beschäftigen sich mit Bürgerrechts- und Menschenrechtsfragen, mit dem Umweltschutz,
mit Frauenfragen, mit der Verbesserung der medizinischen Versorgung und
dem Aufbau von Kreditkooperativen.
In Indonesien haben nichtstaatliche Organisationen eine lange Tradition. Schon
Anfang des Jahrhunderts wurden die beiden größten Muslimorganisationen des
Landes, NU und Muhammadiyah, gegründet. Muhammadiyah verstand sich überwiegend
als unpolitische Organisation, die Bildungs- und Wohlfahrtsaufgaben übernahm
und den Islam propagierte. Ähnlich definierte sich die NU seit ihrem Rückzug
aus der PPP im Jahre 1984. Diese beiden Muslimvereinigungen können insoweit als
NGOs eingestuft werden, als sie nicht an der Erwirtschaftung von Profiten interessiert
sind und zahlreiche soziale Projekte fördern. Aber üblicherweise werden nur
solche Organisationen zu den NGOs gerechnet, die keine so großen Mitgliederzahlen
aufweisen (in den Fällen NU und Muhammadiyah jeweils - nach eigenen Angaben
- etwa 30 Millionen), die später entstanden sind (also nicht im Kolonialzeitalter,
sondern meist erst in den 60er Jahren oder später), die in die parteipolitischen Auseinandersetzungen
niemals unmittelbar involviert waren und/oder nicht die Verbreitung
einer Religion als wesentliches Ziel in ihre Satzung aufgenommen haben. Auch
Genossenschaften, Berufs- (auch Bauern-) Verbände, Arbeitgeberorganisationen,
politische Parteien und sonstige Interessenverbände sollen von dieser NGO-
Definition ausgeschlossen werden. 232 Es sollte jedoch deutlich sein, dass der Begriff
letztlich unscharf bleiben muss, da auch NGOs finanzielle Interessen haben und
häufig politisch handeln. Außerdem kommt es mitunter zu einer engen Kooperation
mit der staatlichen Bürokratie bei der Vorbereitung von Gesetzen oder der Ausführung
staatlicher Politik, so dass z.T. sogar von GONGOs und GRINGOs die Rede
ist. 233
Die Vielfalt nichtstaatlicher Organisationen zwingt zu einer differenzierteren Betrachtung
des gesamten Sektors. NGOs unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Größe,
ihrer Aufgabenstellung, ihrer Ausstattung, ihres Mitarbeiterstabes, der Abhängigkeit
von staatlicher Bürokratie bzw. von ausländischen Geldgebern, ihrer - soweit vor-
231 Vgl. die Definition in: Schmidt/Take 1997.
232 Auch Diskussionszirkel wie das Forum Demokrasi, Muslimorganisationen wie ICMI, Freizeitorganisationen
und traditionelle Selbsthilfegruppen wie arisan (Gruppen, die nach einem Rotationssystem per Los
die Mitgliedsbeiträge als Kleinkredite vergeben) oder Gruppen, die mit Reisspeichern die Ernährung in
Krisenzeiten sichern (Lumbung Paceklik), werden hier ausgeschlossen.
233 Das sind Government Organized NGOs und Government Run/Inspired NGOs.

NGOs
handen - Programmatik und ihrer inneren Struktur (demokratisch oder hierarchisch,
spontaneistisch oder bürokratisiert etc.). Es gibt NGOs, die selbst Hilfsmaßnahmen
durchführen, und solche, die sich darauf konzentrieren, Basisgruppen zu unterstützen.
Darüber hinaus existieren NGO-Dachverbände wie Walhi 234 oder YLKI 235 , die
sich zumeist auf die Sammlung von Informationen sowie die Koordinierung angeschlossener
NGOs konzentrieren und oft auf nationaler Ebene aktiv sind. 236
In den späten 60er und in den 70er Jahren entstanden einige der bis heute wichtigsten
BINGOs, z.B. Bina Swadaya 1967, LBH 1970, LP3ES 1971, YLK 1973, YIS
1974, das Sekretariat Bina Desa 1975, LSP 1976 und Walhi 1980. 237 Die ersten
NGOs wie Bina Swadaya, P3M oder YIS beschränkten sich i.d.R. auf Wohlfahrtsfunktionen,
waren gemäßigt oder gar konservativ und kamen häufig aus dem kirchlichen
Umfeld. Sie mussten dort, wo sie arbeiteten, meist mit der staatlichen Bürokratie
kooperieren. Die ersten empowerment-NGOs, die auch politisch Einfluss
nehmen wollten, wurden in den 70er Jahren gegründet. Zu ihnen gehören in Indonesien
z.B. LBH und Walhi.
Seit Mitte/Ende der 80er Jahre kam es in vielen Entwicklungsländern zu einem
"Quantensprung für die zivilgesellschaftliche Entwicklung" durch die Gründung von
Tausenden von NGOs. 238 Innerhalb weniger Jahre vervielfachte sich die Zahl der
Aktivisten, der Protestaktionen und der Schriften über demokrasi und "Menschenrechte"
(hak-hak manusia). Viele dieser NGOs beschäftigten sich mit Problemen
(Umweltverschmutzung 239 , Diskriminierung der Frauen, Landkonflikte), die vorher
234
Wahana Lingkungan Hidup Indonesia.
235
Yayasan Lembaga Konsumen Indonesia = Stiftung Konsumentenorganisation Indonesien; die größte
Verbraucherorganisation.
236
Darüber hinaus gibt es Typologien, die sich auf die von den NGOs vertretenen Entwicklungsmodelle
beziehen. Üblich ist eine Unterteilung in einen welfare-, einen developmental und einen empowerment-
Ansatz (Wegner 1993, 8f). Ähnliche Einteilungen, die oft auf die Klassifizierung von David Korten
zurückgehen (Korten 1987), finden sich in fast allen Veröffentlichungen zu diesem Thema. Vertreter des
Wohlfahrtsansatzes zielen vorrangig auf eine schnelle Elendsminderung, ohne den Versuch zu unternehmen,
die strukturellen Ursachen der Verelendung zu beseitigen. Sie arbeiten überwiegend in kirchlichen
Organisationen, die zur ersten Generation der NGOs gehören. Seit den 60er Jahren setzte sich demgegenüber
zunehmend der Entwicklungsansatz durch: Danach soll die wirtschaftliche Lage der Zielgruppen
strukturell verändert werden. Eine progressive Variante dieses Ansatzes setzt zudem auf eine "Hilfe zur
Selbsthilfe". Danach sollen die Betroffenen in die Lage versetzt werden, die eigene wirtschaftliche Lage
selbständig zu verbessern. Dieser dritte Ansatz strebt zusätzlich die politische Emanzipation der Zielgruppen
an. Ähnlich sieht auch die Einteilung von Fakih (1996, 121ff) aus, der konformistische, reformistische
und transformistische NGOs voneinander abgrenzt. Danach tendieren die konformistischen NGOs
am stärksten dazu, mit staatlichen Stellen zu kooperieren, die eigene Arbeit unpolitisch zu definieren und
auf einzelne Problembereiche zu begrenzen. Die reformistischen NGOs versuchen zwar, die Regierungspolitik
und die staatliche Verwaltungsarbeit zu beeinflussen und die Zielgruppen zu stärken, sie setzen
aber nicht, wie die Transformisten, systematisch auf radikale Reformen und eine entsprechende strukturelle
Umgestaltung, beginnend an den "Graswurzeln".
237
LSP = Lembaga Studi Pembangunan = Institut für Entwicklungsstudien; LP3ES = Lembaga Penelitian,
Pendidikan dan Penerangan Ekonomi dan Sosial = Institut für ökonomische und soziale Forschung,
Erziehung und Information; LBH = Lembaga Bantuan Hukum = Rechtshilfeinstitut.
238
Rüland 1998, 253.
239
Die beschleunigte Industrialisierung verursachte erhebliche Umweltzerstörungen. So führen z.B. die
Abholzung von Regenwaldgebieten für den Export von Holzprodukten, die Entwaldung von Berghängen
377

378
Oppositionelle Gruppen
kaum Beachtung gefunden hatten. Nach Eldridge weisen die indonesischen NGOs
trotz der großen Vielfalt aber einige gemeinsame Merkmale auf:
"(i) an orientation towards strengthening community groups as the basis for a healthy society
and as a counterweight to government power; (ii) a creative search for new strategies
to confront changing social needs and emerging structures of disadvantage and powerlessness,
and (iii) a strong commitment to ideals of popular participation in defining and
implementing programmes." 240
In seiner sehr komplexen, viel zitierten Typologie unterscheidet er in Indonesien
vier Arten von NGOs. Das sind solche, die:
a) mit der staatlichen Bürokratie bei der Durchführung von Programmen auf lokaler
Ebene zusammenarbeiten (High-level Co-operation-Grass-roots Development),
b) eine kritisch-reformistische Haltung zum Staat einnehmen und die Zielgruppen
mit verbesserten Rechten in den Reformprozess einbeziehen möchten (High-level
Politics-Grass-roots Mobilization),
c) sich gegenüber dem Staat distanziert verhalten und sich darauf konzentrieren,
kleinere Gruppen zu aktivem Handeln zu bewegen, oder
d) das Regime bekämpfen und Massenaktionen unterstützen. 241
Zu a) gehörten etwa Bina Swadaya, Dian Desa, CUCO-I und YIS (häufig mit christlichem
Hintergrund oder ausgehend von Initiativen der Bürokratie). Bina Swadaya 242
unterstützte u.a. zusammen mit der Golkar angeschlossenen Bauernvereinigung
HKTI Kreditgenossenschaften. Die YIS 243 führte Ausbildungskurse und Informationsveranstaltungen
im Bereich der Gesundheitsversorgung durch. YIS wurde 1974
gegründet und ging aus einer christlichen Wohlfahrtsorganisation der 50er Jahre
hervor. Daraus entwickelte sich 1984 das System der Integrierten Gesundheitsversorgungsstellen
Posyandu 244 . YIS arbeitete eng mit dem Gesundheits- und dem Sozialministerium
wie auch mit den Familienplanungsbehörden zusammen. Die Stiftung
Dian Desa gehörte ebenfalls in diese Kategorie, da sie auf eine Analyse der
Armuts- bzw. Unterentwicklungsursachen weitgehend verzichtete. Auch sie unterhielt
vielfältige Beziehungen zur staatlichen Bürokratie, etwa bei der Unterstützung
von Kleinunternehmern. Bina Swadaya schließlich hatte ihren Ursprung ebenfalls in
kirchlichen Gruppen, insbesondere der katholischen Realino-Gruppe in Yogyakarta,
und leitete sich aus dem 1957 gegründeten Bauernverband Ikatan Tani Pancasila ab.
Bina Swadaya unterstützte Kleingenossenschaften und baute ein Netz von etwa
20.000 Selbsthilfegruppen auf.
in dicht besiedelten Regionen sowie die Praxis der Brandrodung zu einer fortschreitenden Degradation
der Böden. Die hohen Zuwachsraten in der Landwirtschaft verlangen einen gewaltigen Einsatz von
Düngemitteln und Pestiziden.
240
Eldridge 1995, 38.
241
Eldridge 1995, 36ff.
242
van Tuijl/Witjes 1993, 204ff.
243
Yayasan Indonesia Sejahtera.
244
Pos Pelayanan Terpadu.

NGOs
Eldridges Kategorie b) ergibt sich aus der Größe (die Aufgabenverteilung setzte
bereits eine beträchtliche Differenzierung zwischen Lobbyisten, Organisatoren und
Feldarbeitern voraus), aus ihrer Finanzierung (die beschränkte Kooperation mit dem
Staat ließ auf eine beschränkte finanzielle Abhängigkeit von den Ministerien schließen)
und ihrem Aktivitätsfeld (nicht in allen Bereichen ließen sich die grassroots
überhaupt mobilisieren). In diese Kategorie gehören z.B. LSP und LP3ES sowie z.T.
LBH. LP3ES führte Projekte in pesantren durch und musste folglich auf höchster
Ebene vorsichtig auftreten, während LBH in den Gerichtsverhandlungen fast unausweichlich
in Konflikt mit der staatlichen Bürokratie geriet. LP3ES war stark von
modernistisch-islamischen Ideen und liberal-demokratischen, marktorientierten
Modellen geprägt. Die Minister Emil Salim, Sumitro Joyohadikusumo und Ali
Wardhana gehörten zu den Unterstützern der Organisation. Der muslimische Intellektuelle
Dawam Raharjo war mehrere Jahre lang Direktor. LP3ES unterhielt zahlreiche
Beziehungen zu verschiedenen Ministerien und setzte sich u.a. für die Förderung
der Kleinindustrie ein. Außerdem brachte sie neben einer Vielzahl von Büchern
über Demokratietheorie, den modernistischen Islam oder die ungleichgewichtige
ökonomische Entwicklung in Indonesien die wohl beste sozialwissenschaftliche
Zeitschrift des Landes, Prisma, heraus.
LSP wurde von Aktivisten der 66er-Studentengeneration wie Adi Sasono (dem
späteren ICMI-Generalsekretär) geschaffen. Er und Dawam Raharjo waren vom
Neomarxismus und der Dependenztheorie beeinflusst und versuchten eine enge
Zusammenarbeit mit den Behörden zu nutzen (z.B. mit der Militärakademie Lemhannas),
um Programme etwa im informellen Sektor zur Förderung von Straßenhändlerkooperativen
effizienter durchführen zu können. 245
Zu c) und d) gehörten viele der unten vorgestellten kleinen NGOs. Erstaunlicherweise
konnten relativ wenige Aktivisten mit einer eigentlich ungenügenden Finanzausstattung
eine relativ große Wirkung erzielen.
Soziale Zusammensetzung und Schwächen der NGOs
Die NGOs, die hauptsächlich in den Städten ihre Stützpunkte hatten, 246 wurden von
der städtischen Mittelklasse dominiert. Die NGO-Aktivisten arbeiteten häufig parallel
für Anwaltskanzleien, Parteien, Berufsverbände, Universitäten oder als Journalisten.
Der Kern der Opposition in den letzten Jahren der Neuen Ordnung bestand aus
einigen Dutzend national bekannten Aktivisten. Die meisten von ihnen hatten eine
universitäre Ausbildung. Viele waren zuvor in Studenten-, religiösen, politischen
oder Berufsorganisationen politisch aktiv gewesen. Vor allem die Gründer von
NGOs hatten i.d.R. eine weit überdurchschnittliche Qualifikation. Nach Sinaga
245 Zu LP3ES siehe: Eldridge 1995, 86ff; zu LSP siehe: ders. 1995, 74ff; zu Yayasan Dian Desa: ders.,
62ff und zu YIS: ders., 58ff. Hadiwinata (1997, 9ff), der speziell die Region Yogyakarta untersucht hat,
grenzt die NGOs, die sich vorrangig mit der Armutsminderung beschäftigen (wie Bina Swadaya, Dian
Desa und CD Bethesda), von emanzipatorischen [Yasanti, WALHI, Humana (Girli)] und von antiautoritären
NGOs (LBH, Forum-LSM-DIY, Interfidei) ab.
246 Sinaga (1994, 65) ermittelte, dass 1989 70,5% der NGOs ihre Basis in den Städten hatten. Jakarta ist
vor allem für die BINGOs der Hauptstandort.
379

380
Oppositionelle Gruppen
besaßen von 530 führenden Mitarbeitern von 22 repräsentativ ausgewählten NGOs 3
einen Doktortitel, 210 einen Magister- und 122 einen Bachelorgrad. 247 Von den 56
Direktoren hatten 2 einen Doktortitel, 44 einen Magister- und 10 einen Bachelorgrad.
Vor allem politisch aktive Sozial- und Rechtswissenschaftler fanden im NGO-
Sektor (in den kleineren radikalen Organisationen und in den Rechtshilfeinstituten
und Menschenrechtsorganisationen) in vielen Fällen ein geeignetes Terrain vor, da
in der Neuen Ordnung die meisten anderen Aufstiegskanäle geschlossen waren. Von
den 22 von Sinaga befragten NGO-Gründern waren allein 10 zuvor in einer der
Studentenbewegungen aktiv gewesen. Besonders die seit den späten 80er Jahren
gegründeten radikaleren NGOs wurden von solchen ehemaligen Studentenführern,
von denen viele sogar im Gefängnis gesessen hatten, als politische Organisationen
genutzt. 248
Gerade die größeren NGOs in Indonesien waren häufig von einigen "Honoratioren"
abhängig. Das waren altgediente Aktivisten mit einem großen Namen, die gute Kontakte
zu ausländischen Geberorganisationen, aber auch häufig zur staatlichen Bürokratie
geknüpft hatten. Deshalb und wegen der ständigen Bedrohung durch den
Sicherheitsapparat entsprachen die NGO-internen Abläufe oft mehr dem musyawarah
dan mufakat-Modell als dem eines basisdemokratischen Konsenses. 249
Diese Tendenz zur Hierarchisierung wurde u.a. durch die große Auslandsabhängigkeit
verstärkt, denn viele NGOs waren überwiegend auf ausländische Finanzhilfen
angewiesen. Humana (Girli) wurde vollständig von Terre des Hommes, Yasanti
gänzlich von der Ford Foundation und von "Brot für die Welt" finanziert. YLBHI
(Mitte der 90er Jahre mit einem Etat über ca. 60.000-70.000 DM/Monat) erhielt 80-
90% des Geldes aus dem Ausland. Ähnliche Prozentwerte galten für die meisten
anderen NGOs. 250 Nur wenige NGOs trieben größere Geldmittel durch den Verkauf
von Büchern und anderen Gütern und durch Dienstleistungen (wie Beratung und
Ausbildung) auf.
247 Vgl. Sinaga 1994, 68.
248 Setiawan sieht einen direkten Zusammenhang zwischen den verschiedenen Generationen der Studentenbewegung
und denen im NGO-Bereich. Die erste NGO-Generation war demnach von vielen Aktivisten
der 66er-Studentenbewegung, wie etwa A.B. Nasutin, Adi Sasono u.a. geprägt. Die Malari-Unruhen
und die Niederschlagung der Bewegung von 1977/78 führte in den folgenden Jahren zur Gründung neuer,
radikalerer NGOs durch Indro Cahyono, Heri Akhmadi u.a. Diese Organisationen waren - wie die dritte
Generation von Studenten-, und dann NGO-Aktivisten Anfang der 80er Jahre - stark von Spielarten der
neomarxistischen Dependenztheorie geprägt. Die vierte Generation begann Ende der 80er Jahre u.a.
damit, direkt mit Arbeitern und Bauern zu kooperieren (Setiawan 1996, 36ff).
249 Das LBH wurde lange von einem ihrer Gründer, A.B. Nasution, in typisch javanischer Form wie von
einem bapak dominiert. In den letzten Jahren vermischte sich aber dieses Autoritätsmodell mit einem an
westlichen Managementmethoden orientierten Führungsstil. Bei LBH-internen Wahlen im Juli 1993 kam
es zu Protesten von jüngeren Aktivisten aus NGOs, die mit dem Institut kooperierten, und von vorwiegend
in den Filialen außerhalb Jakartas beschäftigten LBH-Mitarbeitern (Inside Indonesia Sep. 1993,
7ff). Sie forderten eine Direktwahl des YLBHI-Treuhändergremiums (Dewan Penyantun) und des Direktoriums.
In einem Kompromiss wurde Nasution zum Vorsitzenden des Direktoriums, das die Kontrollfunktion
innehat, gewählt und ein neues Exekutivgremium formiert.
250 Gatra, 11.3.1995; LBH gehört mit diesem Etat zu den BINGOs. Zum Vergleich: Walhi hatte zur
gleichen Zeit einen Jahresetat von ca. 80.000 DM und Skephi von 15.000 DM.

NGOs
Diese Abhängigkeit von finanzstarken ausländischen NGOs und die Vielzahl der
einheimischen NGOs erhöhten den Wettbewerbsdruck in Indonesien. Viele Projekte
wurden deshalb nicht nur aus altruistischen Gründen, sondern mit dem Ziel der
Kapitalbeschaffung entwickelt. 251 Die Konkurrenz führte zu Animositäten zwischen
großen und kleinen sowie zwischen regierungskritischen und reformistischen NGOs,
und viele Mitarbeiter arbeiteten wegen der relativ schlechten Bezahlung und dem
z.T. geringen Prestigegewinn nur einige Jahre bei den NGOs. 252
Fallbeispiele für BINGOs: LBH und Walhi
Große NGOs, BINGOs, mussten sich hierarchisch organisieren und oftmals langfristiger
planen. Sie waren deshalb sehr viel anfälliger für staatliche Interventionen. 253
Kleine NGOs dagegen konnten kurzfristig planen, Entscheidungsprozesse stärker
dezentralisieren und größere Risiken eingehen, da sie sich auflösen und unter einem
neuen Namen wieder erstehen konnten. BINGOs arbeiteten meist auch auf nationaler
Ebene und hatten den größten politischen Einfluss. Sie hatten es leichter, Gelder
zu beschaffen, weil sie viele Programme professioneller durchführen konnten und
weil für die Geberorganisationen die Förderung der Projekte mit geringen Risiken
verbunden war. Zwar mussten große NGOs stets vorsichtig operieren, ihre Größe
gab ihnen aber auch einen gewissen Schutz. Die Regimekoalition konnte z.B. das
Rechtshilfeinstitut LBH in der alltäglichen Arbeit behindern, aber keinesfalls vollständig
verbieten. Ein Verbot hätte die Opposition nur noch mehr angestachelt.
Am bekanntesten und als regimekritische Institutionen am interessantesten für diese
Untersuchung sind Organisationen wie Walhi und das bereits angesprochene
Rechtshilfeinstitut LBH. Das LBH wurde 1971 von Mitgliedern der indonesischen
Anwaltskammer Peradin 254 gegründet und gehörte zu den stärker zentralisierten und
bürokratisierten BINGOs. 255 Es hatte seit 1990 13 Filialen in den großen Städten
Javas, Sumatras, Sulawesis und Kalimantans, außerdem zwei Projektbasen in Aceh
und Ost-Timor sowie Rechtshilfestellen 256 in einigen Kleinstädten und Dörfern. Das
LBH versuchte, sozial Schwachen eine gebührenfreie Rechtsberatung zu geben, eine
rechtsstaatliche Entwicklung in Indonesien voranzutreiben und die Öffentlichkeit für
Menschenrechtsfragen zu sensibilisieren. 257 Es war zwar anfänglich auf die Fürsprache
Ali Murtopos und Ali Sadikins, der als Gouverneur von Jakarta auch für die
finanzielle Unterstützung sorgte, angewiesen, stand aber von Anfang an in einem
Spannungsverhältnis zur Regierung. Schon die Verteidigung von regimekritischen
251
Yuwono Sudarsono sprach abfällig von der "human rights industry" (Interview am 25.11.1997 in
Jakarta).
252
Vgl. Hadiwinata 1997, 14ff; Fakih 1996, 136ff.
253
Vgl. Mahasin 1996, 7.
254
Persatuan Advokat Indonesia.
255
Zu LBH: Frings 1991, 94ff; Sinaga 1995, 95ff; Eldridge 1995, 100ff.
256
Posbakum (Pos Bantuan Hukum).
257
Von 1971-86 bearbeitete das LBH-Büro in Jakarta 22.290 Fälle. Davon betrafen 54% zivil-, vor allem
familien- und bodenrechtliche, 15% arbeitsrechtliche und 20% strafrechtliche Streitigkeiten. Weitere 10%
betrafen Auseinandersetzungen um Wohneigentum. Zusammen mit den seit 1978 eröffneten Filialen
wurden bis 1986 60.000 Fälle bearbeitet (Lev 1987, 15f).
381

382
Oppositionelle Gruppen
Studenten, Muslimen und ehemaligen PKI-Anhängern in spektakulären Prozessen
machte das Institut zu einem wichtigen Teil der prodemokratischen Opposition. Das
LBH wurde deshalb mit seinen Protagonisten A.B. Nasution, Yap Thiam Hien,
Todung Mulya Lubis und H.J.C. Princen auch über die indonesischen Grenzen hinaus
bekannt. 258
Seit Mitte der 70er Jahre wandte sich das Institut dem Konzept der "strukturellen
Rechtshilfe" zu und nahm eine noch kritischere Haltung ein. Seither wurden die
ökonomischen und politischen Ursachen von Rechtsstreitigkeiten und die sozialen
Folgen der Rechtsprechung stärker reflektiert. 259 Im Zuge dieser veränderten Strategie
weitete das LBH den Aktivitätsbereich aus, und seit etwa Ende der 80er Jahre
verstand sich das Institut ausdrücklich als Teil der Demokratiebewegung in Indonesien.
Zu den vier Arbeitsschwerpunkten zählten seither: Landkonflikte, Arbeitskonflikte,
Umwelt und politische Gefangene (tapol).
Grundsätzlich lässt sich die Arbeit der Stiftung LBH in anwaltliche und nichtanwaltliche
Tätigkeiten (Publikation von Zeitschriften und Büchern, Durchführung von
Seminaren, Ausbildung, Beteiligung an NGO-Netzwerken, Stellungnahmen zur
aktuellen Politik) gliedern. Zu den anwaltlichen Tätigkeiten gehörte neben der Verteidigung
prominenter Oppositioneller vor allem die juristische Interessenvertretung
ganzer Gruppen von Arbeitern, Bauern, becak-Fahrern oder Straßenhändlern, wozu
man verstärkt seit Ende der 70er Jahre übergegangen war.
1980 gründeten die LBH-Institute die ihnen übergeordnete Stiftung YLBHI 260 . Als
Stiftung ohne feste Mitgliedschaft versuchte die YLBHI, den Beschränkungen durch
das ormas-Gesetz zu entgehen. 261 Dieses 1985 verabschiedete und seit Juni 1987
gültige, heftig umstrittene Gesetz ermöglichte es der Regierung, sich noch stärker
als zuvor in die inneren Angelegenheiten von Massenorganisationen einzumischen.
262 NGOs mussten über die Errichtung und Zusammensetzung ihrer Führungsgremien
Auskunft geben und konnten jederzeit von der Regierung aufgelöst
werden. Außerden waren sie angehalten, sich in ihren Statuten ausdrücklich auf die
Pancasila als ihre einzige Grundlage zu beziehen (was allerdings vorwiegend gegen
die religiösen Organisationen wie NU und Muhammadiyah gerichtet war). Darüber
hinaus durften sie Gelder aus dem Ausland nur nach Zustimmung der Behörden
erhalten. Explizit politische Tätigkeiten waren verboten.
258 Lubis, Todung Mulya: geboren 1949 in Muarabotung, Südtapanuli, Anwalt, Aktivist bei LBH, 1990
Promotion in Berkeley (Lubis 1993), Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation Yapusham, Forum
Demokrasi, seit einigen Jahren freiberuflich tätig. Nasution, Adnan Buyung: geboren 1934 in Jakarta,
Staatsanwalt, einige Jahre DPR-Mitglied, Anwalt, nach der Malari-Affäre 22 Monate inhaftiert, Promotion
in Utrecht (Nasution 1992), seit einigen Jahren freiberuflich tätig (u.a. für Habibie). Yap Thiam Hien:
1913-89, Jurist und Menschenrechtler, verteidigte Subandrio, 1968 5 Tage lang in Haft.
259 Lev 1987, 19ff; Frings 1991, 98.
260 Yayasan Lembaga Bantuan Hukum Indonesia.
261 LBH löste sich von Peradin, noch bevor diese Organisation der 1985 neu gegründeten Anwaltsvereinigung
Ikadin beitreten musste. Als Stiftung hatte YLBHI keine Mitglieder und galt daher nicht als Massenorganisation.
Die YLBHI war auch finanziell unabhängiger von staatlichen Behörden als zu Beginn,
da der Großteil ihrer Mittel zunehmend aus dem Ausland kam.
262 Inside Indonesia Oktober 1987, 10ff.

NGOs
YLBHI hatte im Treuhändergremium immer mehrere Petisi-50-Mitglieder wie z.B.
Bratanata oder Ali Sadikin. Anfang der 90er Jahre saßen in diesem Gremium außerdem
Princen, der Ikadin-Vorsitzende Haryono Citrosubeno, der Journalist und
Schriftsteller Mochtar Lubis u.a. Das waren Personen, die gegenüber der Neuen
Ordnung eine kritische oder sogar ablehnende Haltung einnahmen.
Während das LBH also immer stärker gegen die Neue Ordnung opponierte, unterhielt
das Umweltforum Walhi noch relativ gute Beziehungen zur Machtelite. Obwohl
es 1987 in einem offenen Brief an die Weltbank die Transmigrations- und
Forstwirtschaftspolitik der indonesischen Regierung kritisierte und einige der angeschlossenen
kleinen Umweltorganisationen die Kooperation mit der Machtelite
ablehnten, nahm das Walhi, wie anfänglich das LBH, eine sehr ambivalente, zuweilen
sehr gemäßigte Haltung zur Neuen Ordnung ein. Es war 1980 als Dachorganisation
von mindestens 120 aktiven Umweltgruppen entstanden und arbeitete schon
frühzeitig mit dem Umweltministerium zusammen. 263 Walhi gründete 1983 vier
Organisationen mit spezifischen Aktivitätsfeldern. 264 Es koordinierte die Zusammenarbeit
zwischen etwa 400 angeschlossenen kleinen Organisationen und den Geldgebern,
führte Ausbildungsprogramme durch, leistete Informationsarbeit und beteiligte
sich an der Entwicklung des Umweltrahmengesetzes von 1982. 265 1983 konnte es die
von der Regierung angestrebte Auflösung des LBH aufgrund seiner guten Beziehungen
zur staatlichen Bürokratie und zu Golkar verhindern. Das Walhi war wie das
LBH durch Organisationsstrukturen und Entscheidungsprozeduren gekennzeichnet,
bei denen der javanische Bapakismus mit Demokratie- und Managementmodellen
konkurrierte.
Walhi war im Industrie- und Bergbauministerium an der Amdal-Kommission beteiligt,
die sich mit der Umweltverträglichkeit bestimmter Verfahren beschäftigte. Eine
gewisse Nähe zur staatlichen Bürokratie zeigte sich bereits daran, dass die langjährige
Direktorin Erna Witular die Ehefrau des damaligen Golkar-Generalsekretärs
Rachmat Witular war. Trotzdem kam es in einigen Fällen zum Konflikt mit Vertretern
des Staates, wie im Kedung-Ombo-Fall oder im Rechtsstreit wegen der Verschmutzung
des Asahan-Flusses in Nordsumatra durch PT Inti Indorayon Utama.
Während lange Zeit nur das LBH im Bereich der Rechtshilfe arbeitete, konstituierten
sich Mitte der 90er Jahre weitere NGOs, die sich mit Rechtshilfe und mit Menschenrechtsfragen
beschäftigten. 266 Für die "Indonesische Rechtshilfe- und Menschenrechtsassoziation"
PBHI 267 , die aus dem LBH hervorgegangen ist, arbeiteten
263
Dieses Ministerium war erst 1978 mit Emil Salim an der Spitze eingerichtet worden und verfügte über
keinen umfassenden Verwaltungsapparat.
264
Nämlich SKEPHI als Organisation für den Schutz des Waldes, KRAPP gegen den falschen Gebrauch
von Pestiziden, SKREPP gegen Luftverschmutzung und PSPK für die Durchführung von Meeresstudien.
265
Indonesien Information Dez. 1993, 22ff; Frings 1991, 101ff.
266
Außerdem hat die Regimekoalition eigene Rechtshilfeinstitute als LBH-Konkurrenten eingerichtet,
wie LBH-Kosgoro oder LBH-HKTI.
267
Perhimpunan Bantuan Hukum dan Hak Asasi Manusia Indonesia.
383

384
Oppositionelle Gruppen
u.a. die bekannten Menschenrechtsaktivisten Mulyana W. Kusuma (Generalsekretär
von KIPP) und Hendardi. Daneben entstand das "Studienzentrum für Menschenrechte"
Yapusham mit Gunawan Mohamad, Todung Mulya Lubis (ehemals LBH-
Direktor), Daniel Dhakidae u.a., das "Zentrum für Menschenrechtserziehung und -
information" PIPHAM, das z.T. mit LBH kooperierte, und ELSAM, ein Institut, das
sich ebenfalls mit Menschenrechtsfragen und mit der Lage von Arbeitern und Bauern
beschäftigte. 268 Bei den meisten dieser Aktivisten verband sich ein eindeutiges
Bekenntnis zur liberalen, parlamentarischen Demokratie mit einem ausgeprägten
Skeptizismus hinsichtlich des Demokratisierungspotenzials der Neuen Ordnung. 269
Radikaler waren im NGO-Sektor nur noch einige, häufig von Studenten gegründete
LINGOs.
LINGOs: Kleinere, z.T. radikale NGOs
Schon frühzeitig entstanden in der Neuen Ordnung Menschenrechtsorganisationen,
die in offener Opposition zum Regime standen. 1966 z.B. gründete H.J.C. Princen
das "Institut für die Verteidigung der Menschenrechte" LPHAM. 270 LPHAM war ein
kleines Institut, das eine Mittlerrolle zwischen den radikalen und den etablierten
NGOs einnahm.
Wie die oben genannten, etwas gemäßigteren Menschenrechtsorganisationen (Yapusham,
ELSAM etc.) entstanden die radikaleren Organisationen dieser Art aber
vornehmlich seit Ende der 80er Jahre. Viele von ihnen setzten sich explizit für die
Demokratisierung ein und waren in erster Linie als politische Organisationen einzustufen.
271 In ihnen kamen neben charismatischen Figuren wie Princen oft ehemalige
radikale Studentenaktivisten zusammen. Für sie bot die Organisationsform der NGO
die beste Voraussetzung für eine Fortsetzung ihrer politischen Arbeit. Gemeinsam
war den kleinen NGOs eine ausgeprägte Skepsis gegenüber dem eher legalistischen
und reformorientierten Vorgehen der BINGOs. YLBHI z.B. vertraute auf die Möglichkeit,
mit den herkömmlichen Mitteln des indonesischen Rechtssystems die Interessen
ihrer Klienten durchzusetzen oder zumindest durch spektakuläre Prozesse auf
deren Notlage aufmerksam zu machen. Die radikalen NGO-Aktivisten betrachteten
diese Strategie - außer in einigen spektakulären Ausnahmefällen - als überflüssig,
wenn nicht gefährlich. Wer sich nämlich - so argumentierten sie - auf die hohlen
Rituale des indonesischen Pseudorechtsstaates einlasse, verschaffe dem Regime
ungewollt Legitimität, und wer über Jahre die Kedung-Ombo-Bauern vor manipu-
268
Yayasan Pusat Studi Hak Asasi Manusia; Pusat Informasi dan Pendidikan Hak Asasi Manusia; Lembaga
Studi dan Advokasi Masyarakat.
269
Interviews mit Hendardi (19.5.1997), Mulyana W. Kusumah (14.5.1997) und Todung Mulya Lubis
(28.5.1997) in Jakarta.
270
Lembaga Pembela Hak-Hak Manusia. Princen kam als niederländischer Soldat 1947 nach Indonesien,
wechselte 1948 die Fronten und wurde später indonesischer Staatsbürger. Sowohl unter Sukarno als auch
unter Suharto musste er wegen seiner kritischen Haltung ins Gefängnis. Princen wurde bis Anfang der
90er Jahre wegen des Widerstandes der niederländischen Veteranenverbände die Einreise in die Niederlande
verweigert (Interview mit H.J.C. Princen am 3.10.1997 in Jakarta).
271
Siehe Uhlin 1995, 108ff.

NGOs
lierten Gerichten vertrete, dürfe sich nicht wundern, wenn die Ergebnisse dürftig
seien. Außerdem kritisierten die LINGOs, dass ihnen durch die großen NGOs das
Wasser abgegraben werde und dass die BINGOs fast allein den Diskurs über Demokratisierung
und Entwicklung bestimmten. 272
Die LINGOs besaßen häufig kleine Büros in Jakarta und waren meist auf die spärlichen
Gelder aus dem Ausland angewiesen. Mit großem Enthusiasmus organisierten
sie Seminare, sammelten Informationen, veröffentlichten illegale oder halblegale
Zeitschriften und stellten Kontakte zu anderen Oppositionsgruppen in Indonesien
her. Einige von ihnen gingen noch einen Schritt weiter und beteiligten sich an unterschiedlichen
Aktionen wie Arbeiterstreiks oder Bauernprotesten gegen Landenteignung.
Schon aufgrund ihrer Größe fiel es ihnen leichter, interne Hierarchisierungen
bereits im Keim zu ersticken und wichtige Entscheidungen gemeinsam zu treffen. In
den 90er Jahren entstanden in kurzen Abständen immer wieder neue Organisationen,
von denen viele nach kurzer Zeit wieder verschwanden. Schließlich konnten schon
mehrere Aktivisten in einem Hinterhof ein Menschenrechtsinstitut oder eine Demokratieallianz
ins Leben rufen.
Zu den bekannteren LINGOs gehörten das "Netzwerk für die Zusammenarbeit zur
Erhaltung des Regenwaldes in Indonesien" (SKEPHI) und die "Indonesische Front
für die Verteidigung der Menschenrechte" (Infight), außerdem die Rechtshilfe-
Studiengruppe (KSBH), die Geni-Stiftung in Salatiga, das "Institut für das Studium
sozialer Rechte" (Lekhat) in Yogyakarta, die "Allianz für Volksdemokratie" (Aldera),
das "Informationszentrum und Aktionsnetzwerk für Reform" (PIJAR), das "Institut
für den freien Fluss von Informationen" (ISAI) und die Stiftung Sisbikum. 273
SKEPHI, 1982 als ein Netzwerk von 14 NGOs entstanden, setzte sich für eine ökologisch
nachhaltige Bewirtschaftung des Regenwaldes ein und versuchte, die Interessen
der von der Abholzung betroffenen Einheimischen zu vertreten. Es kritisierte
die Umweltzerstörung als Folge der industriekapitalistischen Modernisierung und
führte Feldforschungen, Seminare und Kampagnen durch. SKEPHI hatte anfänglich
die Funktion, Walhi zu ergänzen, wurde im Laufe der Jahre aber immer selbständiger
und gehörte seit 1987 zu den radikaleren indonesischen NGOs. 274 Mit SKEPHI
war Infight personell sehr eng verflochten. Infight trat für eine Verbesserung der
Menschenrechtssituation in Indonesien ein, unterstützte politische Gefangene und
272
Siehe etwa die Baturaden-Erklärung von 1990.
273
SKEPHI (Jaringan (früher: Sekretariat) Kerjasama Pelestarian Hutan Indonesia), gegr. 1982; Infight
(Indonesian Front for the Defence of Human Rights); KSBH (Kelompok Studi Bantuan Hukum); Yayasan
Geni, gegr. 1988 in Salatiga; Lekhat (Lembaga Kajian Hak-Hak Masyarakat), gegr. 1989 in Yogyakarta;
Aldera (Aliansi Demokrasi Rakyat), gegr. 1994 in Jakarta; PIJAR (Pusat Informasi dan Jaringan
Aksi untuk Reformasi), gegr. 1989 in Jakarta; ISAI (Institut Studi Arus Informasi), gegr. 1995 in Jakarta.
Jene NGOs, die wie SBSI oder wie die PRD ihrer Selbstdefinition nach zu Gewerkschaften oder Parteien
wurden, werden in den entsprechenden Kapiteln untersucht. In der Natur der Sache liegt es, dass die
Abgrenzung nicht immer eindeutig ist, wie z.B. bei Sisbikum, einer Art Kryptogewerkschaft.
274
In der Pakenjeng-Deklaration wurde 1987 dieser drastische Wandel festgelegt. Siehe Eldridge 1995,
141ff.
385

386
Oppositionelle Gruppen
beteiligte sich an Streiks. 275 Infight war zusammen von Princen und S. Indro Cahyono,
dem Aktivisten aus der Studentenbewegung von 1977/78, der eine Zeit lang
inhaftiert gewesen war, als Gegenorganisation zu INGI geschaffen worden, da aus
ihrer Sicht dieses internationale NGO-Netzwerk (s.u.) die Interessen der LINGOs
nicht ausreichend berücksichtigte.
Die Geni-Stiftung entstand an der renommierten Universitas Kristen Satyawacana in
Salatiga, die bis in die 90er Jahre hinein eine der Zentren der radikalen Studentenbewegung
war und an der prominente Linksintellektuelle wie Arif Budiman, Ariel
Heryanto und George Adicondro lehrten. Pijar (wörtlich: "Glühen") wurde von
Studentenaktivisten gegründet, von denen einige mehrere Jahre im Gefängnis zugebracht
hatten. 276 Das Informationszentrum brachte die sehr kritische Zeitschrift Kabar
dari PIJAR heraus und veröffentlichte u.a. ein Buch über Sri Bintang Pamungkas.
277 ISAI wurde von jungen Journalisten, die i.d.R. ebenfalls Mitglieder der "Allianz
Unabhängiger Journalisten" AJI waren, und von einigen prominenten Intellektuellen
(Aristides Katoppo, Ashadi Siregar, Fikri Jufri, Gunawan Mohamad,
Mochtar Pabottingi und Mohamad Sunjaya) gegründet. Das Institut veröffentlichte
mehrere sehr kritische und z.T. später verbotene Bücher: So z.B. über die "Bewegung
des 30. September", über den Udin-Fall, über den 27. Juli 1996 und über das
Presseverbot im Jahre 1994. 278 Während die großen Verlage sehr vorsichtig sein
mussten, verfügten diese kleinen NGOs offensichtlich über einen größeren Spielraum,
so dass sie auch eindeutig subversives Material publizieren konnten.
Einige NGOs befassten sich vornehmlich mit der Diskriminierung von Frauen in
Indonesien. So z.B. Kalyanamitra und Yasanti. Kalyanamitra ("Enge/r Freund/in")
wurde 1984 in Yogyakarta gegründet und war eine Art Studien- und Dokumentationszentrum
für Frauenfragen. Kalyanamitra griff auch Tabuthemen auf und stand
der Frauenpolitik der Regierung sehr kritisch gegenüber. Yasanti wurde 1982 von
sechs jungen Frauen ebenfalls in Yogyakarta gegründet. Es richtete sich z.B. an
Verkäuferinnen oder Textilarbeiterinnen und versuchte, diese beruflich zu schulen,
aber auch deren politisches Bewusstsein zu schärfen. 279
All diese LINGOs erfüllten trotz ihrer schlechten Ausstattung und der permanenten
staatlichen Überwachung eine wichtige Funktion für die Demokratiebewegung.
275
Indonesien Information Dez. 1993, 24f; Aspinall 1993, 13 und 36; Interview mit Saleh Abdullah
(10.10.1997 in Jakarta).
276
Bambang Beathor Suryadi (4 1/2 Jahre Haftstrafe wegen Präsidentenbeleidigung), Bonar Tigor Naipospos,
Bambang Subemo, Nuku Soleiman (5 Jahre wegen Präsidentenbeleidigung). Interview mit Bonar
Tigor Naipospos, Pijar und Masyarakat Indonesia untuk Kemanusiaan MIK, am 9.1.1998 in Jakarta.
277
Vgl. Pijar Indonesia (1997³).
278
Vgl. AJI/FORUM-ASIA/ISAI (1997a), (1997b); ISAI (1996), (1997a), (1997²b).
279
Eldridge 1995, 159ff; weitere, stärker transformistisch orientierte und hochgradig politisierte NGOs in
diesem Bereich waren die Kelompok Solidaritas Perempuan ("Frauensolidaritätsgruppe") und das Forum
Diskusi Perempuan Yogyakarta ("Frauendiskussionsforum Yogyakarta").

NGOs
Regionale und internationale Netzwerke
Neben den Netzwerken und Foren von NGOs innerhalb eines Sektors (wie Walhi als
das Forum der Umwelt-NGOs) gab es eine Reihe sektorübergreifender Zusammenschlüsse.
Seit Mitte der 80er Jahre kam es zu einer engeren Verflechtung der indonesischen
NGOs sowie dieser mit ausländischen Nichtregierungsorganisationen. In
Indonesien verstärkte sich etwa die Zusammenarbeit in regionalen Netzwerken. Als
Beispiele seien nur WIM (Wahana Informasi Masyarakat, gegr. 1984) in Nordsumatra,
YAO (Yayasan Alfa Omega, gegr. 1985) in Kupang, YPMD-IRJA (Yayasan
Pengembangan Prakarsa Masyarakat, gegr. 1985) in Irian Jaya oder das Forum-
LSM-DIY in Yogyakarta genannt. Diese Netzwerke waren, anders als nationale
Zusammenschlüsse, meist ohne erkennbaren politischen Einfluss.
Das wichtigste internationale Forum war INFID (bis 1993 INGI), ein 1985 gegründeter
Zusammenschluss indonesischer NGOs mit überwiegend solchen der IGGI-
bzw. CGI-Länder. 280 In INFID waren vor allem die großen NGOs organisiert, während
viele kleinere und ihrem Selbstverständnis nach radikale NGOs das Forum als
zu nachgiebig betrachteten. Eines der wichtigsten Ziele von INFID war es, Druck
auf die CGI-Staaten auszuüben, um so indirekt die Entwicklungspolitik der indonesischen
Regierung und direkt die der Weltbank zu beeinflussen. 281 Rumansara 282 etwa
meint, dass die Weltbank in einigen Fällen ihr Verhalten zumindest überprüft habe.
Den spektakulärsten Konflikt stellte 1989 der "Vorfall von Brüssel" dar. INGI kritisierte
auf der 5. INGI-Konferenz die Weltbank wegen deren Nachlässigkeit im Zusammenhang
mit der Umsiedlung javanischer Bauern im Kedung-Ombo-Gebiet. 283
Die Weltbank hatte sich nur sehr sporadisch mit der Evaluierung des Projektes befasst,
und selbst nachdem sie von der repressiven Haltung der indonesischen Bürokratie
erfahren hatte, zog sie es vor, einem Konflikt mit der indonesischen Regierung
aus dem Wege zu gehen. Der Innenminister reagierte - wahrscheinlich auf
Veranlassung von Staatssekretär Murdiono - empört und drängte danach die NGOs,
dem Forum fernzubleiben.
Der Streit mit den Niederlanden im Anschluss an das Massaker in Dili (Ost-Timor)
im Jahre 1991 bot der indonesischen Regierung willkommenen Anlass, die indonesischen
NGOs an ihrer empfindlichsten Stelle zu treffen: Indonesien löste im März
1992 IGGI auf und lehnte zugleich jegliche weitere Entwicklungshilfe aus den Niederlanden
ab, um auf diese Weise gegen die niederländische Kritik an der Menschenrechtssituation
in Indonesien zu protestieren. Im April mussten dann auf Anweisung
des indonesischen Innenministers auch die niederländischen Geberorganisationen
wie NOVIB, CEBEMO, HIVOS und ICCO ihre für einige indonesische
NGOs außerordentlich wichtige Entwicklungshilfe einstellen. Allerdings konnten
280 International NGO Forum for Indonesian Development. Nachfolger von INGI (International NGO
Forum on Indonesian Development). 1992 waren (nach Uhlin) 45 indonesische und 70 ausländische
NGOs zusammengeschlossen (nach Rumansara 35 ausländische). 1993 wurde ein spezielles Forum mit
japanischen NGOs gegründet (JANNI = Japanese Network on Indonesia).
281 Vgl. Rumansara 1996; Uhlin 1995, 105ff; Eldridge 1995, Kap. 10.
282 Rumansara 1996, 272f.
283 Abgedruckt in Stanley 1994, 482ff.
387

388
Oppositionelle Gruppen
nach einer kurzen Phase der Aufregung die finanziellen Hilfen wieder ungehindert
nach Indonesien fließen. 284
In den letzten Jahren der Neuen Ordnung profilierte sich INFID noch stärker als
Sprachrohr der prodemokratischen Bewegung. Im Juni 1993 nahm eine indonesische
NGO-Delegation an der Menschenrechtskonferenz in Wien teil. Anlässlich dieses
Treffens unterzeichneten 52 NGOs und NGO-Netzwerke sowie 109 Aktivisten eine
gemeinsame Erklärung über Menschenrechte unter dem Titel "Indonesian NGOs for
Democracy" (IN-DEMO). Diese Erklärung war eine Reaktion auf Versuche der
indonesischen Regierung, Menschenrechte nicht universalistisch zu interpretieren,
sondern sie an den besonderen kulturellen und politischen Bedingungen der Neuen
Ordnung zu messen und damit in ihrem Gehalt zu verwässern. 285 In dem IN-DEMO-
Schreiben wurden ausdrücklich Forderungen nach Presse-, Rede-, Versammlungs-
und Organisationsfreiheit sowie nach freien Wahlen erhoben. 286 Das war das erste
Mal, dass eine breite Front von indonesischen NGOs - etablierten und radikalen - in
einer gemeinsamen Erklärung deutlich ihre Ziele formulierten und die Streitigkeiten
untereinander zurückstellten.
Noch Anfang Mai 1998, gut zwei Wochen vor dem Rücktritt Suhartos, fand in Bonn
eine INFID-Konferenz über "Demokratisierung im Zeitalter der Globalisierung"
statt. Wie wichtig dieses NGO-Netzwerk für die Opposition war, zeigte sich bereits
daran, dass die bedeutendste Figur der Demokratiebewegung, Amien Rais, eigens zu
einer Rede angereist war. Bei dem Treffen sprachen sich die Teilnehmer, die über
100 Organisationen vertraten, in einer gemeinsamen Erklärung für umfassende politische
Reformen aus. 287 Sie forderten von der indonesischen Regierung u.a. die Gewährung
der Meinungs-, Organisations- und Versammlungsfreiheit, die Zulassung
weiterer Parteien, die Aufhebung des Antisubversionsgesetzes und des haatzai-
Artikels sowie die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten auf 10 Jahre. Wohl aus
taktischen Gründen wurde auf die Formulierung radikaler Reformvorschläge verzichtet.
Die Funktion der NGOs für die Demokratiebewegung
NGO-Kritiker wie George F. Adicondro oder Mansour Fakih meinen, dass die meisten
NGOs das Herrschaftssystem der Neuen Ordnung mit ihrer modernisierungstheoretisch
fundierten Strategie der sozioökonomischen Entwicklung eher stabili-
284 Die Gelder wurden u.a. über andere Organisationen oder Privatpersonen transferiert, oder die großen
Geberorganisationen aus verschiedenen Ländern schichteten nach vorheriger Absprache ihre Ausgaben in
den Zielländern um.
285 Vgl. Heinz/Pfennig 1996, 350ff. Suharto hatte in verschiedenen Reden die Bindung von Handelsabkommen
an eine Bewertung der Menschenrechtssituation kritisiert.
286 Eldridge 1995, 212f. Zu den Unterzeichnern gehörten neben WALHI und YLBHI u.a. das Forum
Demokrasi, radikalere Organisationen wie LPHAM und Infight, aber auch eher moderate NGOs wie
YLKI.
287 INFID 1999, 311ff.

NGOs
siert hätten. 288 In ihren Augen sollten NGOs transformistische Ziele anstreben, also
die Bevölkerung politisch aufklären und auf eine grundlegende Neuverteilung des
Kapitals und der politischen Macht hinwirken.
Trotz dieser z.T. berechtigten Kritik bleibt festzuhalten, dass die Mehrheit der
NGOs, d.h. auch viele BINGOs, für die Demokratiebewegung in der Neuen Ordnung
sehr wichtig waren. Denn sie übernahmen häufig die Funktionen von Berufsverbänden,
politischen Parteien, Forschungsinstituten, Verlagen und Gewerkschaften.
So war das Rechtshilfeinstitut LBH ein kritisches Forum für Juristen, das sich
mit den Mängeln des indonesischen Rechtssystems und mit Menschenrechtsverstößen
befasste. NGOs publizierten auch die kritischsten sozialwissenschaftlichen Analysen,
während die Dozenten an den Universitäten meist sehr viel vorsichtiger agieren
mussten. Die erste unabhängige Gewerkschaft hatte ihren Ursprung und ihren
Nährboden in NGO-Kreisen, und die Frauen- sowie die Umweltbewegung konnten
relativ unabhängig und unbeaufsichtigt in Nichtregierungsorganisationen arbeiten.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die NGOs also eine sehr wichtige Funktion
für die Demokratiebewegung erfüllten. Für eine solche Einschätzung spricht
Folgendes:
- Viele NGOs waren wichtig bei der systematischen Verbreitung von Informationen
und politischen Programmen; sie sensibilisierten die Bevölkerung für die Demokratisierungsthematik
und für verwandte Themen, also für Fragen des Umweltschutzes,
der Gleichberechtigung, des Menschenrechtsschutzes, der Rechtsstaatlichkeit, der
Stärkung lokaler Selbsthilfegruppen und der Verteidigung von Bauern in Landkonflikten
sowie der von Arbeitern bei Auseinandersetzungen mit den Unternehmern.
- Die NGOs konnten mit dieser Informationsbeschaffung und mit der Formulierung
alternativer Entwicklungsprogramme zumindest indirekt auf die Politik der Regierung
einwirken, z.B. auf die Umweltpolitik unter Emil Salim.
- NGOs waren geeignete Foren für verschiedene Oppositionsgruppen. So konnten
hier Studenten mit erfahrenen NGO-Aktivisten zusammenarbeiten. Dadurch entstanden
Beziehungen zwischen verschiedenen konfliktfähigen Gruppen und zwischen
verschiedenen Klassen, die sonst stärker voneinander isoliert gewesen wären.
- NGOs verfügten häufig über gute Beziehungen zu ausländischen Geberorganisationen:
Auf diese Weise entstanden internationale Beziehungen unterhalb der staatlichen
Ebene. Die finanzielle Unterstützung durch ausländische Geberorganisationen
führte zwar zu einer Abhängigkeit von diesen, schuf aber zugleich einen größeren
Spielraum gegenüber den indonesischen Behörden.
- NGOs waren in der Lage, in einigen Fällen Arbeiter, Bauern und Kleinhändler
politisch zu mobilisieren: Man denke an die Auseinandersetzungen um die Landenteignungen
wegen des Kedung-Ombo-Staudammes, an das Vorgehen gegen umweltverschmutzende
Industriebetriebe (z.B. PT Caltex in Surabaya) oder an das Solidaritätskomitee
für die ermordete Arbeiterführerin Marsinah.
288 Interview mit Mansour Fakih am 18.8.1997 in Yogyakarta.
389

390
Oppositionelle Gruppen
- Die NGOs konnten z.T. alternative Organisationen aufbauen, die in Konkurrenz zu
staatlichen Institutionen auch oder gerade auf den untersten Verwaltungsebenen
standen. 289
- NGOs bauten in vielen Fällen Organisationen auf (wie z.B. Gewerkschaften), die
noch illegal waren.
- Im NGO-Sektor reiften viele Persönlichkeiten heran, die in der Transitionsphase
wichtige Funktionen übernehmen konnten.
Die NGOs hatten also die Möglichkeit, in einem staatlich definierten, aber relativ
gut geschützten Terrain, sozusagen in einem vorpolitischen Raum, die Demokratiebewegung
zu stärken. Sie übernahmen dabei vorbereitende und unterstützende
Funktionen.
Die für die Demokratisierung wichtigsten Bewegungen und Institutionen entstanden
aber jenseits des NGO-Sektors. Das waren die verschiedenen Zusammenschlüsse
von Studenten sowie die "traditionellen" religiösen und politischen Organisationen,
also die Megawati-PDI, Muhammadiyah unter Amien Rais und - wenngleich mit
einigen Einschränkungen - NU unter Abdurrahman Wahid.
4.5 Studenten
In diesem Abschnitt soll die Konfliktfähigkeit der indonesischen Studenten von
1965 bis Anfang 1998 untersucht worden. Dabei steht die Studentenbewegung seit
Ende der 80er Jahre im Vordergrund. Die PRD wird ausführlicher behandelt, weil
bei ihr die Radikalisierung dieser neuen Studentenbewegung ihren Höhepunkt erreichte
und weil das erste Mal eine Organisation geschaffen war, die die Zusammenarbeit
mit verschiedenen anderen gesellschaftlichen Gruppen auf eine festere
Grundlage stellte.
Entwicklungen vor 1965
Viele der ersten indonesischen Studenten zu Anfang des Jahrhunderts, die überwiegend
zur einheimischen Oberschicht gehörten, schlossen sich der nationalistischen
Bewegung an. Einige Studentenvereinigungen wie Perhimpunan Indonesia (mit
Hatta) oder der Algemeene Studieclub (mit Sukarno) waren Zentren der antikolonialistischen
Opposition und bildeten in einigen Fällen die Ausgangsbasis der neu entstehenden
Parteien. Die Jugendlichen der nationalistischen Bewegung gehörten
einer Generation an, die als erste eine höhere Schulbildung, z.T. auch eine Hochschulbildung
besaßen und sich mit ihrem Wissen für die Unabhängigkeit einsetz-
289 Zum Teil kamen sich die regierungsnahen oder staatlichen Institutionen mit den NGOs ins Gehege.
Man denke etwa an Bangdes, das waren die Abteilungen des Innenministeriums auf unteren Verwaltungsebenen,
die mit dem community development befasst waren. Auch die Institutionen in den Dörfern
wie LKMD, KUD, PKK, YTKI etc. standen häufig in einer Konkurrenzbeziehung zu Nichtregierungsorganisationen.

Studenten
ten. 290 Der "Schwur der Jugend" (Sumpah Pemuda) auf dem zweiten nationalen
Jugendkongress in Batavia (1928) legte fest, dass die Indonesier ein Volk mit einer
Sprache und einem Heimatland bilden sollten. Die Jugendlichen nahmen für sich in
Anspruch, im Auftrage der Nation und für eine höhere Sache zu handeln. Ihre herausragende
Stellung prägte auch in den folgenden Jahren ihre aktive politische
Rolle. 1945 entführten einige von ihnen den Staatspräsidenten, um so die Ausrufung
der Republik zu beschleunigen. Im Unabhängigkeitskampf 1945-49 waren sie es, die
sich den irregulären laskar-Einheiten anschlossen. Diese pemuda verkörperten in
gewisser Weise die junge Nation:
"The central role of the Angkatan Muda (Younger Generation) in the outbreak of the Indonesian
national revolution of 1945 was the most striking political fact of that period.
For the returning Dutch and their British allies, as well as for the Eurasian and Chinese
communities, the once innocent word pemuda (youth) rapidly acquired an aura of remorseless
terrorism." 291
Anderson hebt hervor, dass diese herausgehobene Stellung der Jugendlichen in einer
Gesellschaft, in der Unterordnung und Respekt vor Älteren so hoch geschätzt wurden,
außergewöhnlich war. Spätestens seit dieser Zeit konnten die pemuda und damit
in erster Linie die Studenten, in legitimer Form eine aktive politische Rolle
spielen.
In der Zeit der parlamentarischen Demokratie bildeten sich Studentenvereinigungen,
die zu den verschiedenen aliran gehörten. Diese Vereinigungen waren Rekrutierungsfelder
für die nachkommenden politischen Eliten. So soll der der PNI zugehörige
Studentenverband GMNI 1964 75.000 Mitglieder, die muslimische HMI
100.000 und die kommunistische CGMI 32.000 Mitglieder gehabt haben. 292 Da für
Akademiker die meisten Stellen in der von den Parteien durchdrungenen Verwaltung
bereitstanden, gingen viele Studenten parteipolitische Bindungen ein. Die Anzahl
der Studierenden, die vermehrt auch aus der anwachsenden Mittelklasse kamen,
nahm bis 1965 sprunghaft zu. 293
Die verschiedenen Generationen seit 1965
In der Neuen Ordnung bildeten sich unterschiedliche Studentenbewegungen heraus,
die sich hinsichtlich ihrer sozialen Zusammensetzung, ihrer Organisationsformen,
der Zusammenarbeit mit der Regimekoalition und ihrer politischen Ziele voneinander
abgrenzen lassen. Üblicherweise teilt man die Studentenbewegungen 294 seit 1965
folgendermaßen ein:
290 Anderson 1993², 121.
291 Anderson 1972b, 1.
292 Burhan 1978, 11.
293 1940 gab es in Java etwa 5 Millionen Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren, aber in ganz Indonesien
nur 1.789 Schüler der höheren Sekundarstufe und 637, die ein College oder eine Hochschule besuchten
(Kahin 1952, 31f).
294 Die politisch aktiven Studenten bildeten eine soziale Bewegung, die Studentenbewegung. Unter "sozialer
Bewegung" wird hier ein Kollektivgebilde verstanden, dessen Akteure mit einer gewissen Konti-
391

392
Oppositionelle Gruppen
- die 66er-Generation,
- die Bewegung seit Anfang der 70er Jahre mit dem Kulminationspunkt 1974,
- die Bewegung der Jahre 1977/78 bis zur "Normalisierung des Campus-Lebens",
- die neue Studentenbewegung seit Mitte/Ende der 80er Jahre bis zum Anfang des
Jahres 1998.
Diese Studenten traten - wie in Abschnitt 4.1 beschrieben - besonders dann in Erscheinung,
wenn sich innenpolitisch Spektakuläres ereignete: 1965/66 waren es der
Sturz Sukarnos sowie das Ende der Gelenkten Demokratie und 1974 die Malari-
Affäre. 1977/78 agierten die Studenten schon unabhängiger von intraelitären Konflikten,
aber erst Ende der 80er Jahre war die Studentenbewegung wirklich autonom
geworden.
Die 66er-Generation schuf neue Aktionsfronten wie KAMI (und KAPPI für Oberschüler),
die sich wiederum aus den Aktivisten religiöser, parteinaher Studentenorganisationen
wie HMI, GMNI, PMKRI usw. zusammensetzten. 295 Viele Vertreter
der 66er-Generation gehörten später als Parlamentarier oder - wie die Wanandis - als
Mitarbeiter Murtopos zum Establishment. Andere, wie Arief Budiman oder Gunawan
Mohamad, wandten sich später von der Neuen Ordnung wieder ab.
Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre sammelten sich die Studenten, die das
Suharto-Regime kritisierten, in kleineren Gruppen mit allenfalls losen Beziehungen
zu den politischen Parteien. 296 Sie richteten sich jedoch nicht gegen das politische
System in toto, sondern gegen einzelne politische Maßnahmen, wie die Brennstoffpreiserhöhung
im Januar 1970, das Indonesia-Mini-Projekt oder das korrupte Verhalten
einiger Generäle wie z.B. Ibnu Sutowo, Alamsyah, Sujono Humardhani,
Suhardiman und Achmad Tirtosudiro. Bei der Malari-Affäre von 1974, bei der eine
Sumitro-Gruppe und eine Murtopo-Gruppe hinter den Kulissen miteinander rivalisierten,
wurde zumindest ein Teil der Demonstranten wieder wie 1965/66 instrumentalisiert.
Seit 1974, vor allem aber seit 1977/78 kam es zu einer Radikalisierung der politisch
aktiven Studierenden, die z.T. eine Folge der Expansion des Bildungssystems und
nuität und ohne ausgeprägte organisatorische Strukturierung grundlegende soziale Veränderungen anstreben
(vgl. Raschke (1987, 21) und das Stichwort "Soziale Bewegung" in: Nohlen (Hg.) 1995).
295 Gerakan Mahasiswa Nasional Indonesia = Nationale Studentenbewegung Indonesien; Perhimpunan
Mahasiswa Katolik Republik Indonesia = Katholische Studentenvereinigung der Republik Indonesien. In
Indonesien gab es zwei Arten von Studentenorganisationen: a) die intrauniversitären Organisationen
(Dewan Mahasiswa bzw. Badan Koordinasi Kemahasiswaan), die als studentische Interessenvertretungen
an den Hochschulen fungierten, und b) die extrauniversitären Organisationen wie PMKRI, HMI usw., die
noch 1965/66 sehr wichtig waren, aber danach zunehmend an Bedeutung verloren. Die Studentenräte
(Dewan Mahasiswa) wurden 1978 durch die blutleeren Badan Koordinasi Kemahasiswaan (BKK) abgelöst.
1990 wurden - durch den neuen Bildungsminister Fuad Hassan - Studentensenate (SMPT = Senat
Mahasiswa Perguruan Tinggi) zugelassen, die nur halb-unabhängig waren und von Naipospos (1996, 32f)
als Legitimationsinstrumente eingestuft werden. 1998 bildeten diese Senate jedoch einige der Koordinationsgremien
der Studentenbewegung (Culla 1999, 134ff). Die neue Studentenbewegung seit Mitte/Ende
der 80er Jahre organisierte sich häufig in einem neuen Typ von Studentenassoziationen, also extrauniversitär
und außerhalb der ehemals an Parteien gebundenen Organisationen.
296 Fremerey 1978, 46ff; Raillon 1984, Kap. 2 und 3.

Studenten
der stärkeren Rekrutierung von Studierenden auch aus der unteren Mittelschicht
gewesen sein dürfte. Die Radikalisierung äußerte sich darin, dass die Neue Ordnung
und die Machtelite zunehmend in Frage gestellt wurden. Deutlich waren bereits
Einflüsse der lateinamerikanischen dependencia-Theorie auszumachen. Hariman
Siregar z.B., der später inhaftierte Vorsitzende des UI-Studentenrates, kritisierte die
ökonomische Strategie der engen Kooperation mit ausländischen Kapitalisten, da sie
nicht der breiten Masse, sondern lediglich einer kleinen Machtelite in Jakarta zugute
komme.
Es gab viele Regimekritiker, die die Globalisierung und die Investitionen ausländischer
Unternehmen ausschließlich mit Coca Cola, Nachtclubs, überflüssigem Luxuskonsum
und der Marginalisierung weiter Teile der Bevölkerung verbanden. In
dieser Zeit war aber die Akademikerarbeitslosigkeit noch relativ gering, und eine
fundamentale Regimekritik wurde nur von wenigen Studenten formuliert. Die Studentenbewegungen
bis weit in die 70er Jahre hinein waren also keinesfalls vergleichbar
mit den radikalen Bewegungen in Europa und den USA Ende der 60er
Jahre. Suharto wurde häufig noch als "Pak Harto" ehrfurchtsvoll angesprochen und
gebeten, sich für die Anliegen der Studenten stark zu machen. 297
Die "Normalisierung des Campus-Lebens" ("NKK/BKK") von 1978, zu der auch
Repressionen durch den Geheimdienst gehörten, führte dazu, dass die Opposition
der Studenten sich stärker in den außeruniversitären Bereich, also in kleinere Aktions-
und Diskussionsgruppen oder in NGOs, verlagerte und sich auf einzelne Problemfelder
(Landkonflikte, Korruption, Umweltverschmutzung etc.) konzentrierte. 298
Die ehemals parteipolitisch gebundenen Studentenorganisationen wie PMKRI, HMI
u.a., die Rudimente der Zeit vor 1965 waren, verloren wegen der Depolitisierungsstrategie
des Bildungsministeriums, zu der auch die azas tunggal-Bestimmun-gen
gehörten, immer mehr an Einfluss, 299 und die neu eingerichteten "studentischen Koordinationsgremien"
(BKK) wurden von den meisten Studenten ohnehin nicht als
ihre Interessenvertretungen anerkannt. Stattdessen entstanden Studien- oder Diskussionsgruppen,
die Anfang der 80er Jahre immer zahlreicher wurden (in Yogyakarta
soll es 20-30 dieser Art gegeben haben). Sie umfassten bis zu ca. 20 Studenten, die
sich mit den Theorien von Marx, Habermas, Freire, Fanon, Gandhi, Illich u.a. befassten.
300
Als politische Bewegung waren in den frühen 80er Jahren die Studenten aber weitgehend
inaktiv. Lediglich die Konflikte um die Durchsetzung der azas tunggal-
Bestimmungen sorgten bei den Studentenorganisationen mit religiöser Selbstdefinition,
insbesondere bei den muslimischen, für einige Unruhe. In der HMI kam es
sogar zur Abspaltung einer Gruppe, die die Bestimmungen nicht anerkennen wollte.
Während also Anfang und Mitte der 80er Jahre die Studenten, abgesehen von eini-
297 Vgl. Fremerey 1978, 57.
298 Inside Indonesia April 1989, 10ff.
299 Denny 1990, 75.
300 Aspinall 1993, 13f.
393

394
Oppositionelle Gruppen
gen spontanen Protesten 301 nach der NKK, geradezu paralysiert waren, organisierten
sie seit Mitte/Ende der 80er Jahre Protestaktionen auf breiter Basis.
Die Studentenbewegung seit Mitte/Ende der 80er Jahre
Zusammensetzung der Studentenschaft und Motive der politischen Radikalisierung
Wenn über "Studenten" geschrieben wird, wird oftmals eine Homogenität dieser
Gruppe unterstellt. Das einzig Verbindende ist aber lediglich die Hochschulzugangsberechtigung
und der erhoffte höhere Bildungsabschluss. Über die politischen
Strategien und Ziele dieser heterogenen Gruppe sagt das wenig aus. Es müssen daher
einige Unterscheidungen eingeführt werden, und zwar:
- Zwischen privaten und staatlichen sowie prestigeträchtigen und weniger angesehenen
Universitäten und Akademien: Einige staatliche Universitäten genießen ein
sehr hohes Prestige (UGM in Yogyakarta, UI in Jakarta, ITB in Bandung etc.) und
sind nur bei besonderer Befähigung und bei einer nicht unerheblichen Kostenbeteiligung
zugänglich. Einige private Universitäten sind hervorragend ausgestattet, verlangen
sehr hohe Gebühren und verhelfen zu angesehenen Abschlüssen. Daneben
gibt es viele - staatliche und private - Lehranstalten, die schlecht ausgestattet sind
und deren Absolventen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben.
- Zwischen berufsorientierten und geisteswissenschaftlichen Fächern sowie
- hinsichtlich der finanziellen Absicherung und der allgemeinen Berufserwartungen
der Studierenden sowie der Abhängigkeit ihrer beruflichen Chancen von der politischen
Entwicklung des Landes.
1940 gab es in Java nur 637 Studenten, die weit überwiegend aus der priyayi- und
neo-priyayi-Oberschicht stammten. 1965 waren es bereits 150.000, die überwiegend
der Mittel- und Oberklasse angehörten. In der Neuen Ordnung setzte sich dieser
Bildungsboom beschleunigt fort. Von 1974 bis 1995/96 verzehnfachte sich die Zahl
der Studierenden. Während die Anzahl der Grundschüler und der Sekundarstufenschüler
seit 1984 kaum stieg, kam es im Hochschulsektor in dieser Zeit zu einer
Verdoppelung der Studentenzahlen. 1995/96 unterrichteten 158.000 Hochschullehrer
(davon 47.000 an staatlichen Universitäten) 2,3 Mio. Studenten (davon 850.000
Studenten an staatlichen Universitäten und allein 92.000 an den 14 staatlichen Islam-Universitäten
IAIN). Es gab 1.305 Hochschulen, davon waren 77 staatlich. 302
301 Im November 1980 wurden bei antichinesischen Demonstrationen, die zwei Wochen andauerten, in
mittel- und ostjavanischen Städten acht Jugendliche erschossen, zahlreiche andere verletzt und 680 Personen
festgenommen. Die Straßenkämpfe waren weitgehend unkoordinierte Aktionen von Studenten und
Desperados, die ihre Frustration über die unausgewogene wirtschaftliche Entwicklung, von der überwiegend
chinesische Unternehmer profitierten, und ihre Unzufriedenheit mit der politischen Ordnung ausdrücken
wollten (van der Kroef 1984, 219f). Im November 1987 führten mehrere Tausend Studenten in
Ujung Pandang (Südsulawesi) eine Woche lang Proteste gegen die Einführung einer Helmpflicht für
Mopedfahrer - und allgemein gegen die zu hohen Lebenshaltungskosten - an. Bei den Ausschreitungen
kamen nach offiziellen Angaben drei Menschen ums Leben, 20 weitere wurden verletzt.
302 Statistik Indonesia 1997c, 101-114.

Studenten
Auf Jakarta kamen allein 810.000 Studierende, davon knapp 500.000 an den vier
staatlichen Universitäten.
Tabelle 4-3: Anzahl der Schüler und Studenten (1969-1996) in Mio.
Grundschule Sekundarstufe I Sekundarstufe II Tertiärstufe
1969 12,80 1,13 0,46 -
1974 13,31 1,69 0,72 0,23
1979 21,17 2,98 1,57 0,46
1984 26,57 5,19 2,86 0,98
1989 26,53 5,85 4,03 1,49
1992 26,34 5,58 3,72 1,79
1995/96 25,95 6,95 4,09 2,30
Quelle: Oey-Gardiner 1997, 143; BPS 1997c, 101-114.
Die Zahlen spiegeln die Expansion der Mittelklasse wider und weisen auf das Problem
der Akademikerarbeitslosigkeit hin, denn die Protestwellen seit Ende der 80er
Jahre hatten sicher auch mit dem unzureichenden Arbeitsangebot für hoch Qualifizierte
zu tun. Zwar dürfte die Sucharbeitslosigkeit eine wichtige Rolle gespielt haben,
303 trotzdem fällt auf, dass die Hochschulabsolventen (mit mindestens einem BA-
Abschluss) seit den frühen 80er Jahren wesentlich schlechtere Chancen auf dem
Arbeitsmarkt hatten. Insgesamt lag 1996 die Arbeitslosenquote für 15-bis-19-Jährige
bei 27,1%, bei den 20-bis-24-Jährigen bei 22,1%, bei den 25-bis-29-Jährigen bei
11% und bei den über 30-Jährigen bei nur 1,7%. 304 Eine überdurchschnittliche Bildung
erhöhte oftmals die Gefahr, arbeitslos zu werden (Tab. 4-4). In manchen Berufszweigen
dürften Werte um 50% erreicht worden sein.
Tabelle 4-4: Arbeitslosenquote nach Bildungsabschlüssen (1976-1996) in %
1976 1982 1986 1992 1996
Grundschule nicht abgeschlossen 3,7 2,7 1,2 1,4 1,9
Grundschule 6,8 4,9 2,4 3,6 3,2
1. Sekundarstufe 8,7 6,6 5,3 7,7 7,6
2. Sekundarstufe (akad. orientiert) 11,2 12,9 14,2 17,9 14,9
2. Sekundarstufe (berufsorientiert) 11,1 11,2 9,2 12,5 12,7
Mind. BA 4,0 5,6 9,7 12,5 12,3
Quelle: Manning/Junankar 1998, 82.
303 Dazu: Cremer 1995.
304 Manning/Junankar 1998, 82.
395

396
Oppositionelle Gruppen
Während die Aktivisten der 66er-Generation und der frühen und mittleren 70er
Jahre noch politische und freiberufliche Karrieren anstrebten (viele von ihnen machten
"bürgerliche" Karrieren, weil sie einst demonstriert hatten), mussten die radikaleren
Aktivisten von 1977/78 meist schon in den Sektor der radikaleren NGOs ausweichen.
Seit Ende der 80er Jahre gab es viele Studenten, die bewusst ein sehr hohes
Risiko eingingen und ihre eigene Zukunft von radikalen politischen Reformen abhängig
machten. Diese Risikobereitschaft dürfte sich aus der großen Diskrepanz
zwischen den tatsächlichen Fähigkeiten und den Karrierechancen und der sich daraus
ergebenden Statusinkonsistenz ableiten. 305 Wegen dieser Verstopfung der Aufstiegskanäle
strebten viele Aktivisten fundamentale politische Reformen an: Nur so
konnte ein großer Teil der bisherigen Eliten und Subeliten abgelöst werden. Diese
Einschätzung wurde auch durch eine Umfrage der Zeitschrift Gatra im Jahre 1997
zumindest z.T. bestätigt. 306 Befragt zu den Ursachen der vielen Unruhen und zu den
erforderlichen politischen Maßnahmen zeigten sich von den über 800 befragten
Studenten und Jungakademikern 69,5% mehr oder weniger "kritisch" und 30,5%
konservativ, wobei die Studenten in sozialwissenschaftlichen Fächern eher dazu
tendierten, einen radikalen politischen Wandel zu befürworten. Wie weit eine zumindest
gemäßigte Reformbereitschaft verbreitet war, zeigen folgende Zahlen: 80%
wollten eine größere Unabhängigkeit der Parteien, und über 90% sprachen sich für
eine größere Meinungsfreiheit und für unabhängige Gerichte aus. Allerdings setzte
sich nur ein kleiner Teil der Studenten aktiv für eine Demokratisierung ein. Gleichzeitig
gab es - neben den politisch Passiven - eine Gruppe von Studenten, die in den
quasistaatlichen Jugendorganisationen wie AMPI oder Pemuda Pancasila oder in
den anderen offiziellen Studentenvertretungen die Politik der Neuen Ordnung verteidigten.
Studentenorganisationen wie HMI, PMKRI usw. wurden oft eher als Agenturen
zur Vorbereitung der Karriere genutzt, und die manchmal starke Rhetorik
täuschte mitunter über die wahren Motive hinweg. 307 Die meisten Studierenden dürften
sich auf die Verfolgung ihrer Karriereinteressen konzentriert haben. Die gestiegenen
Kosten der Hochschulausbildung und die zunehmende Akademikerarbeitslosigkeit
führten aber in Segmenten der Studentenschaft zu einer Radikalisierung. 308
Die an einem schnellen Wandel orientierten Gruppen suchten die Zusammenarbeit
mit entsprechenden Teilen der Mittelklasse (NGOs, die Megawati-PDI etc.) und
besonders mit Teilen der Unterklasse (bei Arbeits- und bei Landkonflikten). Dabei
305 Festinger 1978.
306 Gatra 31.5.1997.
307 Führende PMKRI-Vertreter wünschten sich Anfang 1998 z.B. "Tutut" Suharto als neue Vizepräsidentin.
Außerdem gab es nicht wenige, die sich offen für eine Demokratisierung aussprachen, aber gleichzeitig
den ehemaligen (katholischen) Geheimdienstchef Benny Murdani verehrten.
308 Zu den typischen Problemen und Mängeln des indonesischen Hochschulsystems zählten die "Wiederverwertung"
von Diplomarbeiten, die sehr hohe Abbrecherquote, die mangelnde Förderung kreativen
Lernens und der restringierte Zugang für Studenten aus Familien der Unter- und der unteren Mittelklasse
(Karcher 1996). An den Hochschulen stand in vielen Fällen der Erwerb von Diplomen, nicht von Fähigkeiten,
im Vordergrund. Über die spätere berufliche Laufbahn entschieden häufig eher gute Beziehungen
(koneksi) als gute akademische Leistungen. In sozialwissenschaftlichen Fächern spielte außerdem die
dem Lehrpersonal gegenüber gezeigte Loyalität eine wichtige Rolle.

Studenten
wurden auch die von staatlichem Einfluss unabhängigeren Privatuniversitäten 309 und
-akademien zu einem wichtigen Rekrutierungsfeld für diese neue Studentenbewegung.
310 Die Tri-Sakti-Universität in Jakarta, eine der angesehensten Bildungseinrichtungen
des Landes, war beispielsweise im Jahre 1998 Schauplatz heftiger Proteste
gegen Suharto. 311
Mit der Expansion des Bildungssystems fanden auch Angehörige der unteren Mittelklasse
zumindest zu den relativ schlecht ausgestatteten Hochschulen verstärkt
Zugang. 312 Diese Studenten - so lässt sich vermuten - tendierten eher zur Kooperation
mit Bauern und Arbeitern. 313 Die neue Studentenbewegung seit Ende der 80er
Jahre handelte also weitgehend unabhängig von der Machtelite, baute neue Organisationsformen
(Parteien und Gewerkschaften, radikale NGOs, Bündnisse mit anderen
Organisationen der Mittelklasse, aber insbesondere auch mit Bauern und Arbeitern)
auf, verteilte sich über mehrere Städte und entwickelte ein neues Selbstverständnis.
Heryanto schreibt dazu:
"Before 1989 student movements found their bases in state universities in the capital city
of Jakarta and its close neighbouring city, Bandung. Key figures in these movements reportedly
had links, at least formally, with top political elites in Jakarta. Since 1989, centres
of the student movements have moved away from Jakarta to various regional cities.
Their main partners are predominantly peasants and industrial workers. Not only have
309 Zu den bekanntesten Privatuniversitäten gehörten die UII (Universitas Islam Indonesia) in Yogyakarta,
die Satya Wacana Universität in Salatiga und die Unnas (Universitas Nasional) in Jakarta. Die Christliche
Universität UKSW (Universitas Kristen Satya Wacana) in der mittelgroßen mitteljavanischen Stadt
Salatiga war Anfang der 90er Jahre eine der führenden Institutionen des Landes in den Sozialwissenschaften.
An ihr lehrten renommierte Intellektuelle wie Arief Budiman, Ariel Heryanto und George
Adicondro. Da Arief Budiman im Jahre 1993 die Wahl des Rektors für undemokratisch hielt, protestierte
er. Im Oktober 1994 wurde er wegen dieses Protestes entlassen. Nach Demonstrationen von Studenten
der UKSW, an denen sich viele Dozenten beteiligten, kam es durch die Vermittlung des ehemaligen
Finanzministers zu einem Kompromiss, der aber von der Führung der Universität kurz danach nicht mehr
anerkannt wurde. Daraufhin kündigte mehr als ein Viertel der Dozenten (Inside Indonesia Okt.-Dez.
1996, 21f). Arief Budiman klagte später gegen seine Entlassung und bekam eine Entschädigung von 5
Mio. Rp. zugesprochen. Arief Budiman und George Adicondro gingen danach nach Australien, Ariel
Heryanto ging nach Singapur.
310 Inside Indonesia April 1989, 11.
311 Aber auch die großen staatlichen Universitäten waren an der Protestbewegung 1998 maßgeblich
beteiligt, wohl auch deswegen, weil sie die Neue Ordnung in gewisser Weise symbolisierten und weil
sich dort wegen ihrer Größe am ehesten öffentlichkeitswirksame Großveranstaltungen durchführen
ließen.
312 Cornelis Lay (Dozent an der UGM Yogyakarta) vermutet allerdings, dass die höheren Studienkosten
seit Ende der 70er Jahre die Abschließungstendenz der wohlhabenderen Schichten in Indonesien bekräftigt
haben (Interview am 19.8.1997 in Yogyakarta).
313 Es wäre allerdings zu einfach, wollte man die politischen Aktivitäten der Studenten unmittelbar aus
ihrer sozialen Herkunft ableiten. Gerade die Abkehr vom Elternhaus und der bewusst gewählte Weg in
andere soziale Milieus war kennzeichnend für viele der politisch aktivsten Studenten. Der PRD-
Vorsitzende Budiman Sudjatmiko z.B. ist der Sohn von Haji Wartono Karya Utomo und Hajjah Sri
Sulastri, also von strenggläubigen Muslimen, die es sich leisten konnten, die sehr kostspielige Wallfahrt
nach Mekka zu unternehmen. Andi Arief, der SMID-Vorsitzende, ist der Sohn von K.H. Arief Mahya,
eines angesehenen NU-Führers in Lampung, der Mitglied des MUI-Beratergremiums war.
397

398
Oppositionelle Gruppen
state ministers, military or party leaders been excluded from their alliances, in fact those
representing the authorities have been the targets of the students' attacks." 314
Proteste in den späten 80er und in den 90er Jahren: Kedung Ombo, das Verkehrsgesetz,
SDSB, FAMI
In den zahlreichen Protesten in den 80er und 90er Jahren ging es u.a. um inneruniversitäre
Angelegenheiten (NKK/BKK, Curricula, Studiengebühren etc.), um Solidaritätsbekundungen
für inhaftierte Kommilitonen, um Landenteignungen und um
die staatliche Lotterie. Die Aktionen mit umfassenderen Zielen bezogen sich auf
eine Verbesserung der Menschenrechtslage, auf die Bekämpfung der sozialen Ungleichheit
und die Verwirklichung der Demokratie.
Wie schon in den frühen 70er Jahren setzten sich groß angelegte Proteste gegen
einzelne Regierungsmaßnahmen fort. Aber in den 90er Jahren konnten mit solchen
Aktionen deutliche Erfolge erzielt werden, die die Schwäche der Regimekoalition
offen legten. Die Proteste gegen ein neues Verkehrsgesetz im Jahre 1992 z.B. stellten
das Regime bloß. Das Gesetz, das vom Parlament bereits gebilligt worden war
und am 17.9. in Kraft treten sollte, hatte außergewöhnlich hohe Geld- und Gefängnisstrafen
auch für kleinere Verkehrsdelikte vorgesehen. An den Protesten beteiligten
sich vor allem Studenten und Transportarbeiter (Bus-, Taxi- und becak-Fahrer).
Ende Juli zogen 5.000 Demonstranten als "Komitee der Volkssolidarität für den
Landtransport" (ironischerweise mit der Abkürzung des strategischen Reservekommandos
"Kostrad") vor das regionale Parlament in Yogyakarta. Am 1.9., während
des NAM-Treffens, sollte ein Streik der Transportarbeiter in Jakarta stattfinden:
Deshalb gab Staatssekretär Murdiono drei Wochen vorher bekannt, dass Präsident
Suharto per Dekret eine Gesetzesaufschiebung um ein Jahr angeordnet habe. Das
Gesetz trat letztlich in der ursprünglich vorgesehenen Form niemals in Kraft.
Ein weiteres Beispiel für die neu gewonnene Macht oppositioneller Gruppen waren
die Proteste gegen die staatliche Lotterie SDSB 315 , zu Deutsch etwa "Soziale Spende
mit Gewinn". Diese wurde von vielen Muslimen als verbotenes Glücksspiel betrachtet.
Auch der von den Initiatoren dieser Lotterie gewählte euphemistische Ausdruck
konnte insbesondere die orthodoxen Muslime nicht von ihren Protesten abhalten.
Außerdem war bekannt geworden, dass die Suharto-Familie einen Teil der Einnahmen
aus der SDSB erhielt. Ende des Jahres 1991 kam es zu ersten Großdemonstrationen
mit bis zu 10.000 Teilnehmern in Bandung, Surabaya, Ujung Pandang,
Yogyakarta, Jombang und Jakarta, an denen sich auch kiai und pesantren-Schüler
beteiligten. Während diese Demonstrationen vom Militär noch gewaltsam eingedämmt
wurden, war ABRI zwei Jahre später wesentlich zurückhaltender. Im Oktober
und November 1993 demonstrierten Studenten im ganzen Land gegen die Fortsetzung
der einträglichen staatlichen Lotterie; zum ersten Mal in der Neuen Ordnung
konnten Demonstranten sogar bis zum Präsidentenpalast in Jakarta vordringen.
314 Heryanto 1996, 262.
315 Sumbangan Dermawan Sosial Berhadiah.

Studenten
Neben orthodoxen Muslimen beteiligten sich auch Studenten, die den Nepotismus
und die Verlogenheit des Regimes anprangerten, oder solche, die in der Lotterie ein
Mittel sahen, die verarmten Volksmassen zu depolitisieren und ihnen irreale Aufstiegsmöglichkeiten
zu suggerieren. Am Ende gab die Regierung den zahlreichen
Protesten nach, obwohl sie das einige Tage zuvor noch abgelehnt hatte. 316
Ein interessanter Aspekt der SDSB-Proteste war die große Bedeutung der Religion
für einen Teil der Studentenschaft. Schließlich definierten sich einige der größten
Studentenorganisationen primär religiös. Schon bei der Angkatan 66 gehörten islamische
(und katholische) Studenten zu den Hauptakteuren, 317 und in den 70er Jahren
war etwa am Institut Teknologi in Bandung eine Bewegung im Umfeld der Salman-
Moschee entstanden, bei der sich regierungskritische und sozialreformerische Impulse
mit einer strengen Religiosität verbanden. In den 80er und 90er Jahren stieß
man unter Studenten häufig auf eine gewisse Verehrung für Khomeini, die sich aus
einer vagen Vorstellung einer vermeintlich sozial gerechten, islamischen "Volksdemokratie"
ableitete: 318
"Much of the Islamic component of the student movement reflected increasing interest on
campus during the eighties in populist Islamic theology that preaches respect and solidarity
for the poor. There also appeared passing references to the influence of foreign, especially
Iranian, currents of radical Islam [...]. At demonstrations recitations from the Koran
and communal prayer, although less frequent than in the sixties and seventies, were not
uncommon." 319
Außer solchen Strömungen waren bei den prodemokratischen Gruppen liberalmodernistische
Anschauungen weit verbreitet, und einige Aktionsgruppen (wie die
PRD und ihre Sympathisanten) orientierten sich eher an westlichen und säkularen
Konzepten.
Bei den Studenten waren die verschiedenen, in Indonesien besonders verbreiteten
politischen Ansätze häufig radikaler ausgeprägt: Die skripturalistisch orientierten
Muslime waren häufig besonders rigide, und die Demokraten wollten eine tiefreichende
Demokratisierung aller Gesellschaftsbereiche in möglichst kurzer Zeit.
Die Radikalisierung der Studentenbewegung zeigte sich zunächst in Aktionen, die
zusammen mit Bauern und Arbeitern durchgeführt wurden. Dabei veränderte sich
das zuvor distanzierte Verhältnis zwischen Studierenden und der oftmals kollektiv
als "Volk" ("rakyat") bezeichneten Unterklasse. Die Studierenden galten z.T. noch
immer als eine moralische Instanz. Und es wurde noch immer in hehren Worten
316 Nuku Suleiman von der Yayasan Pijar war einer der Organisatoren der Anti-SDSB-Proteste. Er wurde
inhaftiert und zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, weil er Sticker mit der Aufschrift "SDSB
Suharto Dalang Segala Bencana" (= "SDSB Suharto ist der Drahtzieher aller Katastrophen") verteilt hatte.
317 Ein muslimischer Maschinenbauingenieur wird der Habibie-Strategie meistens einiges abgewinnen
können. Ein Sinoindonesier, der mit fast 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht Muslim ist, wird sich
meistens bei der Bewertung der sinoindonesischen Konglomerate etwas zurückhalten und kein überschwänglicher
Habibie-Verehrer sein.
318 Gespräch mit HMI-Aktivisten am 24.5.1997 in Jakarta.
319 Aspinall 1993, 32.
399

400
Oppositionelle Gruppen
über den heroischen Kampf gegen die Unterdrückung des Volkes gesprochen. Viele
Aktivisten schwankten zwischen wohl überlegtem Radikalismus, kämpferischem
Moralismus und tränenreicher Sentimentalität. 320
Die wohl bekannteste Bewegung formierte sich im Kampf gegen die Umsiedlung
von 30.000 Personen im Zuge des Baus des Kedung-Ombo-Staudammes und gegen
die sehr niedrigen Entschädigungen für Landenteignungen. 321 Für die Studenten
waren solche Konflikte geeignet, nicht nur den technokratischen und autoritären
Entwicklungsansatz der Regierung zu kritisieren, sondern zugleich ein historisch
neuartiges Aktionsbündnis mit den mitteljavanischen Bauern des betroffenen Gebietes
zu schaffen.
Seit August 1986 wandten sich knapp 1.700 Haushalte an das Rechtshilfeinstitut
LBH in Yogyakarta. LBH mobilisierte die Presse, die überwiegend auf Seiten der
Bauern stand. Im Januar 1987 wurde das Haupttor des Staudammes geschlossen, so
dass das Gebiet bis zu einem halben Meter pro Tag geflutet wurde, während über
8.000 Bauern in höher gelegenen Arealen ausharrten. NGOs und Studenten unterstützten
die Bauern durch Notprogramme (Bereitstellung von Medikamenten, Nahrung
und Bekleidung, Versorgung der Kinder etc.), durch die gezielte Einschaltung
der Presse, durch Lobbyarbeit im regionalen und nationalen Parlament sowie durch
die Aufklärung über die juristischen und politischen Zusammenhänge. Besonders
die ausführliche und überwiegend regierungskritische Presseberichterstattung dürfte
die Regimekoalition irritiert haben. Neben der Hilfe durch LBH und andere NGOs
kam es zu solidarischen Aktionen durch Studenten und eine Gruppe um den national
bekannten Priester, Architekten und Schriftsteller Mangunwijaya ("Romo Mangun").
322 Die "Solidaritätsgruppe für die Opfer der Entwicklung von Kedung Ombo"
KSKPKO 323 sammelte Informationen, die sie an die Presse oder an die Behörden
weitergab, führte Rechtsberatungen für die betroffenen Bauern durch und demonstrierte
gegen die autoritäre, z.T. von militärischer Gewalt unterstützte Durchführung
des Projektes. 324 Zur KSKPKO gehörten Studenten von 45 Universitäten und Colleges
sowie Künstler, Sozialarbeiter und Dozenten. Die Studenten eskortierten die
320 So schrieb die inhaftierte Gewerkschaftsführerin Dita Indah Sari an einer Stelle, dass sie beim Anblick
der demonstrierenden Arbeiterinnen weinen musste. Auch die Begegnungen von Studenten mit den
Bauern in Kedung Ombo werden häufig in einer für westliche Beobachter rührselig anmutenden Weise
beschrieben.
321 Hierzu u.a.: Sinaga 1994, Kap. 5; Stanley 1994; Eldridge 1995, 122ff; vgl. auch Abschnitt 4.7. Ähnliche
Landkonflikte gab es z.B. beim Bau eines Petrochemiewerkes in Cilacap, wegen des Koto-Panjang-
Staudamm auf der Insel Riau, in Pulau Panggung (Wiederaufforstungsmaßnahmen und die Anlage von
Kaffeeplantagen), in Cimacan (Anlage eines Golfplatzes) sowie in Majalengka, Badega, Lomanis, Kacapiring,
Surabaya usw.
322 Stanley 1994, 134ff; die Gruppe hieß Panitia Dharma Karya bagi Anak-Anak Kedung Ombo. Mangunwijaya
setzte sich insbesondere für Hilfsleistungen an bedürftige Kinder in der Region ein und versuchte,
Provokationen zu vermeiden. Trotzdem verbot der Gouverneur Mitteljavas diese Tätigkeit, was
bei vielen Indonesiern, die sonst nicht zur Opposition zu rechnen waren, auf Unverständnis stieß. Mangunwijaya
hatte sogar die passive Unterstützung von "Tutut" Suharto (Stanley 1994, 199).
323 Kelompok Solidaritas Korban Pembangunan Kedung Ombo.
324 Lucas 1992, 90f; Inside Indonesia April 1989, 12ff.

Studenten
Bauern zu politischen Aktionen nach Jakarta und demonstrierten in dem Gebiet, das
später geflutet wurde.
Die Bildung von solchen neuartigen Aktionsbündnissen wie KSKPKO, die versuchten,
Vertreter verschiedener gesellschaftlicher Gruppen aufzunehmen und mit vielfältigen
Aktionsformen ein gut definiertes politisches Ziel zu erreichen, war typisch
für diese Studentenbewegung. Neben solchen Bündnissen gab es interuniversitäre
Koalitionen wie das 1.500 Mitglieder starke "Kommunikationsforum der Studenten
in Yogyakarta" FKMY 325 oder das "Kommunikationsforum der Fakultätsvereinigungen
des ITB" FKHJ. 326 Das FKHJ bereitete 1989 bei einem ITB-Besuch von Innenminister
Rudini Protestaktionen vor und organisierte, nachdem es aufgrund dieser
Proteste zu zahlreichen Verhaftungen gekommen war, Demonstrationen für die
Freilassung der Inhaftierten.
Die große Risikobereitschaft vieler Studenten lässt sich ebenfalls am Beispiel FA-
MIs erläutern. Im Dezember 1993 protestierten 200 Studenten von FAMI 327 , der
"Aktionsfront indonesischer Studenten", vor dem Parlamentsgebäude in Jakarta
gegen den Präsidenten und das Militär. Sie wandten sich gegen das "Sicherheitskonzept"
des Militärs, das, wie die Beispiele Tanjung Priok, Aceh, Ost-Timor sowie die
Landkonflikte bewiesen, abzulehnen sei. In einem Manifest forderten sie eine völlige
Revision dieses Sicherheitskonzeptes, die Auflösung von Bakorstanas und eine
"dem Recht verantwortliche" Regierung. Außerdem sollte Suharto vor das Parlament
geladen werden, um Rechenschaft über die von ihm zu verantwortende Gewaltanwendung
durch den Staatsapparat abzulegen. Militärs schlugen mit Knüppeln
auf die Demonstranten ein und verhafteten 21 von ihnen. 328 Die Festgenommenen,
die von verschiedenen Universitäten kamen, wurden zu mehrmonatigen Gefängnisstrafen
verurteilt. In anderen Städten bildeten sich Solidaritätsgruppen, die die Freilassung
der 21 Studenten forderten. Später unterzeichneten über 1.000 Personen
(darunter A. Wahid, Sri Bintang, Ali Sadikin und Mangunwijaya) eine Petition, in
der sie gegen die Inhaftierung der FAMI-Studenten protestierten. 329
Die neue Studentenbewegung hatte also außerhalb der "traditionellen" Studentenorganisationen
Aktionsforen geschaffen. Aber erst die PRD wagte bewusst den
Schritt in die Illegalität durch die Gründung einer Partei.
Die Partai Rakyat Demokratik
Eine neue Dimension erreichte die indonesische Studentenbewegung mit der Gründung
einer illegalen Partei, die sich explizit für eine umfassende Demokratisierung
einsetzte und der Neuen Ordnung offen den Kampf ansagte. Zwar traten nur sehr
325 Forum Komunikasi Mahasiswa Yogyakarta.
326 Forum Komunikasi Himpunan Jurusan.
327 Front Aksi Mahasiswa Indonesia.
328 Inside Indonesia März 1994, 8ff.
329 Inside Indonesia März 1994, 11f.
401

402
Oppositionelle Gruppen
wenige Studierende dieser Partei bei, aber sie hatte an den Universitäten eine große
Anhängerschaft.
Schon 1991 entstand die Idee zur Schaffung einer einheitlichen fundamentaloppositionellen
Organisation. Die Demokratische Volkspartei PRD wurde schließlich in
Yogyakarta im Mai 1994 zunächst als Demokratische Volksvereinigung 330 gegründet.
Da nur drei Parteien in Indonesien offiziell zugelassen waren, wählte man zunächst
die Form einer Vereinigung ("Persatuan"), um nicht sofort als illegal eingestuft
zu werden. Bei dem Gründungstreffen waren einige prominente Oppositionelle
wie A.B. Nasution und Mulyana W. Kusumah von LBH, Muchtar Pakpahan (SBSI)
und der international bekannte Schriftsteller Pramudya Ananta Tur anwesend. Von
den etwa 100 Teilnehmern aus ganz Indonesien waren die meisten Studenten oder
Akademiker. Es war aber eine von ehemaligen oder noch eingeschriebenen Studenten
gegründete und geführte Organisation, die von vornherein ein umfangreiches
Netz von Verbindungen mit allen anderen Oppositionsgruppen knüpfen und die
vorhandenen Beziehungen zu Arbeitern und Bauern ausbauen wollte. Das Programm
der PRD las sich wie eine Kampfansage an die Neue Ordnung: Neben solchen
Forderungen, die auch von gemäßigten Kritikern, teilweise sogar von Amtsträgern
selbst, gestellt wurden (Beendigung von Korruption und Vetternwirtschaft,
Bekämpfung der Konglomeratsbildung), setzte sich die PRD ausdrücklich ein für:
- freie Wahlen,
- die Rückkehr des Militärs in die Kasernen,
- die Durchsetzung der Menschenrechte,
- die Rehabilitierung der ehemals politischen Gefangenen sowie
- die friedliche und demokratische Lösung des Ost-Timorkonflikts. 331
Die PRD war eine von vielen NGOs der vierten Generation, die ihren Ursprung in
der Rode-Gruppe (benannt nach der Rode-Straße) hatte und von Studenten der
UGM und der Islam-Universität geschaffen worden war. 332 Diese Studenten hatten
auch Vereinigungen wie die Studentensolidarität Yogyakarta SMY 333 , aus der die
PRD hervorging, ins Leben gerufen. Als die PRD sich in einer für halblegale Organisationen
typischen Weise spaltete, übernahm Budiman Sudjatmiko die Führung
und formte zusammen mit seinen Kollegen eine Allianz mit anderen Vereinigungen
wie SMID (radikale Studentenorganisation), STN (Bauernverband), Jaker (Künstler-
Gruppe), PPBI (Gewerkschaft), SPRIM (Ost-Timor-Gruppe) und SRI, einer Gruppe,
die sich an die in Städten lebende verarmte Bevölkerung wandte. 334 SMID war im
August 1994 von 120 Studenten gegründet worden und hatte in einer Deklaration
330
Persatuan Rakyat Demokratik.
331
Inside Indonesia Juni 1994, 10.
332
Zur Geschichte der PRD: AJI/FORUM-ASIA/ISAI 1997a, 121ff.
333
Solidaritas Mahasiswa Yogyakarta; die SMY war hervorgegangen aus dem Forum Komunikasi Mahasiswa
Yogyakarta FKMY.
334
SMY: Solidaritas Mahasiswa Yogyakarta; SMID: Solidaritas Mahasiswa untuk Demokrasi; PPBI:
Pusat Perjuangan Buruh Indonesia; STN: Serikat Tani Indonesia; Jaker: Jaringan Kesenian Rakyat;
SPRIM: Solidaritas Perjuangan Rakyat Indonesia untuk Maubere.

Studenten
den Kampf gegen den "Totalitarismus und Faschismus" der Neuen Ordnung gefordert.
Zu den Zielen von SMID gehörte die Beendigung der Doppelfunktion von
ABRI und die Schaffung einer Demokratie, in der die Menschenrechte anerkannt
und die Konglomerate abgeschafft werden sollten.
Wenn auch die politischen Ziele all dieser Organisationen recht deutlich formuliert
waren, ihre Vorstellungen von der Umstrukturierung der indonesischen Wirtschaft
blieben unklar. Die Aktivisten forderten soziale Gerechtigkeit, sahen aber zugleich
die Schwierigkeiten, die sich bei einem Abbruch der exportorientierten Industrialisierung
ergaben. Budiman Sudjatmiko konnte der neoliberalen Orthodoxie keine
Alternativen entgegensetzen. Er erhoffte sich lediglich eine Belebung des Genossenschaftssektors
in Indonesien. 335
Obwohl die große Mehrheit der PRD-Mitglieder und -Sympathisanten in Deutschland
der linken Sozialdemokratie zugeordnet worden wären, bedienten sich sich
mitunter einer radikalen Rhetorik. Sie reizten die Regimekoalition mit Begriffen wie
"Sozialismus", "Revolution" und "Faschismus". Der Vorwurf von hochrangigen
Militärs, es handele sich bei Budiman Sudjatmiko, Dita Indah Sari, Wiji Thukul u.a.
um Kommunisten, oder die PRD sei eine Partei mit einer PKI-ähnlichen Struktur
war aber schon deshalb absurd, weil eine Verstaatlichung der Produktionsmittel oder
gar der Aufbau eines leninistischen Parteiapparates niemals intendiert war und auch
den Demokratiekonzeptionen der PRD nicht entsprochen hätte. Allerdings gab es
Aktivisten, die mit dem oben genannten Vokabular spielten. Als Budiman Sudjatmiko
und seine Mitstreiter bereits im Gefängnis waren, sprachen sich einige von ihnen
sogar für den Einsatz von Gewalt gegen den Staatsapparat aus, weil sie meinten,
dass der gewaltlose Widerstand zu leicht von ABRI unterdrückt werden könne. 336
Im April 1996 wurde die PRD zur Demokratischen Volkspartei, und die genannten
Organisationen wurden offiziell als onderbouw der PRD angeschlossen. 337 Die Partei
richtete sich am 22. Juli, also fünf Tage vor dem Angriff auf die PDI-Zentrale, nur
wenige Hundert Meter von dieser entfernt ein Büro bei der Rechtshilfeorganisation
LBH in Jakarta ein. In einem Manifest forderten sie die Aufhebung des Gesetzespakets
von 1985, einen Mindestlohn von 7.000 Rp./Tag, die Durchführung eines Referendums
in Ost-Timor und eine Kontrolle der bevorstehenden Nationalen Wahlen
durch ein unabhängiges Gremium. Außerdem erklärten sie, Megawati als Gegenkandidatin
für die Präsidentschaft unterstützen zu wollen.
Die PRD war in den Jahren 1994-96 - bis zum 27. Juli - jene Organisation, die kompromisslos
die Ziele der Opposition artikulierte und die radikaldemokratische Studentenbewegung
repräsentierte. Das erste Mal hatten Studenten die Grenzen der für
sie typischen Oppositionsformen überschritten und eine eigene Partei - im Falle des
PPBI sogar eine eigene Gewerkschaft - gegründet. Seit den späten 80er Jahren hatte
335 Interview am 13.10.1997 in Jakarta. In Indonesien gab es viele Befürworter einer auf Genossenschaften
gegründeten Ökonomie. Mohammad Hatta galt als einer der Propagandisten dieses Modells.
336 Interview mit Budiman Sudjatmiko am 13.10.1997 in Jakarta.
337 1994/95 wurde die PRD von Sugeng Bahagijo geführt, der dann aber - weil er nicht radikal genug
war - vom Budiman-Flügel mit Unterstützung der meisten PRD-Mitglieder abgesetzt wurde.
403

404
Oppositionelle Gruppen
die Studentenbewegung schon eine neue Taktik, nämlich die Bildung von losen
Koalitionen mit Arbeitern und Bauern, angewandt. Meist blieben diese Aktionen
aber örtlich und zeitlich begrenzt. Erst mit der PRD-Gründung betrat die Studentenbewegung
die nationale Bühne und verbündete sich mit anderen konfliktfähigen
Gruppen.
Besonders beunruhigend für die Regimekoalition war der Erfolg dieser Bewegung
seit 1994. In den 70er und 80er Jahren hätte eine solche PRD mit großer Wahrscheinlichkeit
nur kurze Zeit überleben können. In den letzten Jahren des Suharto-
Regimes jedoch waren die Voraussetzungen für Koalitionsbildungen besonders
günstig. Das zeigten die vielfältigen politischen Aktivitäten der PRD und der anderen
Organisationen. Die PRD beteiligte sich am MARI und an KIPP und machte
ihren linken, systemkritischen Standpunkt klar, indem sie Preise an Sri Bintang,
Megawati, Xanana Gusmão, Thomas Wanggai und Pramudya verlieh. 338 Die Partei
war keine Massenorganisation, genoss aber große Sympathien vor allem bei Studenten.
Sie war überregional organisiert und in der Lage, Massenstreiks zu initiieren. Im
Juli 1995 beteiligten sich die SMID 339 und der PPBI an Protestaktionen von 10.000
Arbeitern des Bekleidungsherstellers Great Rivers Industries in Nanggewer (Distrikt
Bogor), der sich zum Teil im Besitz des Arbeitsministers Abdul Latief befand. 340
Mehrere Aktivisten wurden kurzzeitig festgenommen, als sie zusammen mit den
Arbeitern auf das Regionalparlament in Bogor zumarschierten.
Der Streik von 14.000 Arbeitern bei der Textilfabrik Sritex im Dezember 1995, zu
deren Eignern der Informationsminister und Golkar-Vorsitzende Harmoko sowie
eine Tochter Suhartos zählten, wurde ebenfalls vom PPBI organisiert. 341 Im Mai
1996 kam es dann zu einer Arbeitsniederlegung bei PT Indo Shoes in Bogor, an der
sich 7.000 Arbeiter beteiligten, und Mitte Juni 1996 demonstrierten 5.000 Arbeiter
zusammen mit der PRD und der PPBI vor dem nationalen Parlament. Es kam zu
Solidaritätsbekundungen für Megawati, und eine Abordnung wurde von PDI-
Parlamentariern empfangen. Anfang Juli 1996, zu einer Zeit also, als die Spannungen
in der Neuen Ordnung so stark waren wie nie zuvor, demonstrierten 20.000
Arbeiter in Suarabaya für die Auszahlung des Mindestlohnes. Dabei wurden zwei
führende PPBI-Vertreter (Dita Indah Sari und Coen Hussein Ponto) verhaftet und
wegen Anstiftung zum Aufruhr angeklagt.
Im Anschluss an den 27. Juli 1996 wurden die PRD und die ihr angeschlossenen
Organisationen kriminalisiert und als kommunistisch denunziert. 342 Fast die gesamte
Führung der PRD wurde in den Monaten nach dem "Sabtu Kelabu" festgenommen
und nach einem Schauprozess zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.
338
Xanana Gusmão war Führer der Guerillagruppe, die die Unabhängigkeit Ost-Timors anstrebte. Thomas
Wanggai hatte West-Melanesien zu einem unabhängigen Staat erklärt.
339
Solidaritas Mahasiswa Indonesia untuk Demokrasi.
340
Wilson 1995.
341
YLBHI 1997, 125.
342
Forum Keadilan 30.12.1996; Tiras 15.8.1996.

Arbeiter und Gewerkschaften
Schlussbemerkung
Die Studentenbewegung des Jahres 1966 wurde noch von einer Elite geführt, die
sehr gute Karrierechancen - etwa in der Bürokratie - hatte. Im Laufe der Jahrzehnte
änderte sich die soziale Zusammensetzung der Studentenschaft und das Verhältnis
der Studenten zu den anderen gesellschaftlichen Gruppen. Mit der gewaltigen Expansion
des Bildungssystems verschlechterten sich die Arbeitsmöglichkeiten, was
zu einer Radikalisierung von Teilen der Studentenschaft geführt haben dürfte. Die
politisch aktiven Studenten versuchten zusehends, mit Arbeitern, Bauern und den
urban poor gemeinsam gegen die Politik der Regimekoalition zu opponieren. Die
Studentenbewegung seit Mitte/Ende der 80er Jahre war dezentraler organisiert als
die Bewegungen zuvor. Es gab kaum noch national bekannte Studentenführer. Außerdem
ergaben sich neue Organisationsformen: Die letzte Stufe in der Politisierung
und Organisierung dieser radikal prodemokratischen Studenten war die Gründung
der PRD.
Der Rücktritt Suhartos im Mai 1998 wurde - für viele überraschend - hauptsächlich
durch die monatelangen Demonstrationen einer breiten Studentenbewegung erzwungen.
In der letzten Phase der indonesischen Studentenbewegung vom Februar
bis zum Mai 1998 spielten die PRD und ihre angeschlossenen Organisationen keine
wesentliche Rolle mehr. Vielmehr waren es, wie bei den vielen Protestaktionen in
den Jahren zuvor, Ad-hoc-Bündnisse oder "Kommunikationsforen" ohne ausgeprägte
Führungsstrukturen. Die Entwicklungen der letzten Monate der Neuen Ordnung
werden im Kapitel 5 beschrieben und analysiert.
4.6 Arbeiter und Gewerkschaften in der Neuen Ordnung
Anmerkungen zur Vorgeschichte
Schon in den 10er und 20er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es in Indonesien eine
bedeutende Arbeiterbewegung, die, was erst relativ spät anerkannt wurde, eine
wichtige Rolle in der Bewegung der Nationalisten spielte. Schon 1908 wurde die
Vereinigung der Eisenbahn- und Straßenbahnbeschäftigten gegründet, es folgten
Gewerkschaften der Zollbeamten und Lehrer, der Angestellten staatlicher Leihhäuser
usw. Ab 1915 traten Vereinigungen von Land- und von Fabrikarbeitern hinzu.
Die meisten Arbeiter waren damals in Zuckerfabriken, in Plantagen oder im Transportsektor
tätig. Die Gründung von Parteien und Gewerkschaften wurde aber nur
insoweit geduldet, als das koloniale System nicht gefährdet wurde. Ähnlich wie die
nationalistische Bewegung insgesamt, war auch der Gewerkschaftssektor durch eine
große Zersplitterung gekennzeichnet. Insgesamt war die Arbeiterklasse in Indonesien
noch schwach:
405

406
Oppositionelle Gruppen
"The «brittle» character of union organization, and the tendency of its leaders and followers
to oscillate between messianic enthusiasm and passivity, provided one indication of
the rudimentary level of class consciousness prior to independence." 343
Noch 1942 gab es nur 350.000 Fabrikarbeiter in Indonesien. Trotzdem bildeten sich
nach der Unabhängigkeit Hunderte von Gewerkschaften, und bis 1957 waren die 13
Gewerkschaftsverbände, die eng mit den politischen Parteien kooperierten, noch in
der Lage, verhältnismäßig progressive Arbeitsbedingungen auszuhandeln: Dazu
zählten die 40-Stunden-Woche und eine Unfallversicherung. 344 Die Hälfte der etwa
zwei Millionen gewerkschaftlich organisierten Arbeiter gehörten zu dieser Zeit der
1946 gegründeten kommunistischen Zentralen Allindonesischen Arbeiterorganisation
SOBSI 345 an. In der Gelenkten Demokratie wurden in den als strategisch bedeutsam
eingestuften Bereichen Streiks verboten. In den vom Militär dominierten nationalisierten
Betrieben behandelte man die Arbeiter als karyawan, d.h. als "Funktionsträger"
ohne Sonderinteressen, die in "Harmonie" mit der Betriebsführung kooperieren
sollten. 346 Das Militär baute 1962 die Vereinigung der Indonesischen Sozialistischen
Karya-Organisationen 347 , SOKSI 348 , mit eigenen Unterorganisationen für Bauern,
Frauen, Intellektuelle und Jugendliche auf, die 1963 nach eigenen Angaben 7-
7,5 Millionen Mitglieder hatte. SOKSI wurde vor allem von Managern der Staatsbetriebe
und von konservativen Politikern und Unternehmern unterstützt. 349
Die Staatsgewerkschaft und die Arbeitsbeziehungen in der Neuen Ordnung
Die Massaker (1965/66) führten zur Vernichtung der PKI, der sukarnoistischen
Kräfte und der ihnen angeschlossenen oder nahe stehenden Gewerkschaften. Die
Technokraten und die Militärs der Neuen Ordnung waren sich darin einig, dass nur
eine schwache Vertretung von Arbeitnehmerinteressen eine Stabilisierung der innenpolitischen
Lage garantieren konnte. Außerdem sollte so die durch ausländische
Investitionen gestützte wirtschaftliche Entwicklung vorangetrieben werden. Deshalb
konzipierten sie ein "Pancasila-Arbeitsverhältnis" 350 , das wie die karyawan-Konzeption
in der Gelenkten Demokratie auf der Basis der "Familiarität" eine harmonische
Zusammenarbeit in einem "familiären Management" (manajemen kekeluar-
343
Mortimer 1982, 57.
344
Manning 1993, 61ff; es gab z.B. den Gewerkschaftsverband SOBSI, der an die PKI gebunden war,
außerdem Sarbumusi (Sarikat Buruh Muslimin Indonesia, gebunden an NU), SBII/Gasbiindo (Serikat
Buruh Islam Indonesia/Gabungan Serikat-serikat Buruh Islam Indonesia; gebunden an die Parmusi),
SOBRI (Sentral Organisasi Buruh Republik Indonesia, gebunden an Murba) usw.
345
Sentral Organisasi Buruh Seluruh Indonesia.
346
Hawkins (1963, 269) schreibt, dass schon Anfang der 60er Jahre der Begriff buruh weitgehend ersetzt
worden sei.
347
Karya = Funktion, Arbeit.
348
Swadiri Organisasi Karya Sosialis Indonesia.
349
Thoolen (Hg.) 1987, 119f.
350
HIP = Himpunan Industrial Pancasila.

Arbeiter und Gewerkschaften
gaan) zwischen den Unternehmern und den Arbeitern vorsah. 351 Gemäß dieser Doktrin
waren unabhängige Gewerkschaften überflüssig.
Das Gesetz 14/1969 sah neben der Erneuerung des Streikverbotes in den besonders
wichtigen Industriebereichen und der Übernahme der 1957 festgelegten Streikbeschränkungen
zwar die Koalitionsfreiheit für Arbeiter grundsätzlich vor, aber in
Wirklichkeit war es unmöglich, als unabhängige Gewerkschaft anerkannt zu werden.
1971 wurde durch die Korpri-Gründung die effektive Beaufsichtigung der Beamten
und der Angestellten der Staatsbetriebe sichergestellt. Die noch existierenden
Gewerkschaftsverbände wurden entweder, wie im Falle der SOBSI, verboten oder
von den verbliebenen Parteien gelöst und 1973 zwangsweise in der Allindonesischen
Arbeitervereinigung FBSI 352 zusammengefasst. Die FBSI-Führung wurde von
der Regierung ernannt und war weder finanziell noch in der gewerkschaftlichen
Arbeit unabhängig. 353
Insgesamt schälten sich nach der Konsolidierungsphase bis Anfang der 70er Jahr
schon relativ früh jene Merkmale der Arbeitsbeziehungen heraus, die bis zum Ende
der Neuen Ordnung kennzeichnend sein sollten:
- Es dominierte eine Staatsgewerkschaft, die vor allem die Aufgabe hatte, eine effektive
Vertretung von Arbeitnehmerinteressen zu verhindern und die Arbeiterschaft im
Zaum zu halten.
- Die Staatsgewerkschaft legitimierte sich durch eine im Kern apolitische Harmonie-
Ideologie.
- Die Regimekoalition beherrschte diese Gewerkschaft und die Arbeitsbeziehungen:
Da viele Militärs im Ruhestand im Management vieler Unternehmen arbeiteten und
ABRI (mitsamt der Polizei, den Geheimdiensten und den preman) mehr oder weniger
verdeckt in Arbeitskämpfe eingriff, gab es eine aktive Kooperation zwischen den
Unternehmern und dem Sicherheitsapparat bei der Ausbeutung und Kontrolle der
Arbeiter.
Diese dauernde Präsenz des Militärs war typisch für die Arbeitsbeziehungen in Indonesien.
Man schätzt, dass die Arbeitskosten in der indonesischen Industrieproduk-
351 Manning 1993, 68f; Thoolen (Hg.) 1987, 123. Vgl. auch die Beiträge in: Friedrich-Ebert-Foundation
Jakarta (1990). Die gesamte organizistische Rhetorik der Neuen Ordnung (der Staat als Familie, der
Betrieb als Familie, der Unternehmer als gütiger Bapak etc.) tauchte in besonders absurder Form in der
Legitimierung der einseitigen Arbeitsbeziehungen wieder auf. Prinzipiell sollten Interessengegensätze auf
dem Wege der "gegenseitigen Konsultation" (musyawarah) ausgeglichen werden, um von vornherein
jeglichen offenen Widerstand zu unterbinden, denn Streiks standen im Widerspruch zu den gewünschten
Pancasila-Arbeitsbeziehungen. Im offiziellen Sprachgebrauch wurde deshalb auch das Wort mogok
("streiken") durch unjuk rasa ("seine Gefühle zeigen") ersetzt.
352 Federasi Buruh Seluruh Indonesia; Vorsitzender dieser Föderation wurde Agus Sudono, der schon seit
Mitte der 50er Jahre als Gewerkschafter arbeitete und 1964-73 Vorsitzender von Gasbiindo war. 1969
wurde die Vorläuferorganisation MPBI (Majelis Permusyawaratan Buruh Indonesia) gegründet (vgl.
Hadiz 1996, 11ff; auch zur FBSI-Gründung).
353 In anderen Wirtschaftsbereichen fanden ähnliche Zentralisierungen statt. 1973 wurden jeweils die
Interessenvereinigungen der Fischer bzw. der Bauern zu den staatlich kontrollierten Organisationen HNSI
(Himpunan Nelayan Seluruh Indonesia = Allindonesische Fischervereinigung) bzw. HKTI (Himpunan
Kerukunan Tani Indonesia; etwa: Harmonie-Vereinigung der Indonesischen Bauern) zwangsfusioniert.
Die Arbeiter in den nationalisierten Betrieben gehörten Korpri an.
407

408
Oppositionelle Gruppen
tion 8-10% der Gesamtkosten ausmachten, dass aber der Anteil "unsichtbarer Kosten",
also die Zahlungen für ABRI, preman, Richter, Staatsanwälte und Verwaltungsbeamte,
bei 30% der Gesamtkosten lag. Gerade in den Fabriken war der Gegensatz
zwischen Ideologie und Praxis so krass wie in kaum einem anderen Bereich,
denn in Wirklichkeit bestimmte das Militär den Ausgang der Konflikte in den Betrieben.
Ein ministerieller Erlass aus dem Jahre 1994 legalisierte sogar die Einschaltung
des Militärs durch die Firmenleitung wieder und machte damit einen Erlass aus
dem Jahre 1986 rückgängig. 354
In den Betrieben gab es in den meisten Fällen keine Vertretung durch die Staatsgewerkschaft.
Diese wurde meist nur als eine Art Wohlfahrtsorganisation betrachtet,
die den Anschein einer Vertretung von Arbeiterinteressen erwecken sollte. Der
SPSI-Vorsitzende Imam Sudarwo (1985-95), der 1985 von Arbeitsminister Sudomo
faktisch ernannt wurde, war bezeichnenderweise nicht nur Golkar-Abgeordneter,
sondern auch Vorsitzender der Vereinigung Indonesischer Textilunternehmer. Auch
der Arbeitsminister bis 1998, Abdul Latief, war als kaufmännischer Angestellter zu
einem großen Unternehmer geworden und gleichzeitig politisch aufgestiegen. Im
Vorstand der Staatsgewerkschaft befanden sich überwiegend Golkar-Politiker
und/oder Unternehmer. Und auf regionaler und lokaler Ebene nahmen viele ehemalige
ABRI-Angehörige Leitungsfunktionen wahr. 355
Die Tarifbeschlüsse, die zwischen ganz und gar ungleichen Parteien ausgehandelt
wurden, setzten die Unternehmer häufig nicht in die Praxis um. Oftmals wurden die
Tarifverträge bereits vorher von den Ortsbüros des Arbeitsministeriums ausgearbeitet.
Außerdem waren bei den Verhandlungen in der Regel Repräsentanten des Arbeitsministeriums
und ABRI-Mitglieder anwesend.
Im Nationalen Institut für Trilaterale Zusammenarbeit356 bestimmten Vertreter des
Arbeitsministeriums, der Unternehmer und des SPSI die politischen Richtlinien zur
Gestaltung der Arbeitsbeziehungen. Komitees auf nationaler und regionaler Ebene357 sollten Arbeitskonflikte schlichten, wenn auf betrieblicher Ebene keine Einigung
erzielt wurde. Sie wurden aber nur selten aktiv und sprachen nur geringfügige Strafen
gegen die Unternehmen, die sich nicht an die arbeitsrechtlichen Bestimmungen
gehalten hatten, aus. 358 Letztlich konnten Konflikte durch das Arbeitsministerium per
Zwangsschlichtung beigelegt werden. 359 Abdullah und Etty fassen die wesentlichen
Merkmale dieses Kontrollsystems so zusammen:
"In this system, the Government's «control and security» approach is backed by a multitude
of repressive laws and measures. It strongly and overtly interferes in the internal affairs
of trade unions. It collects and distributes membership fees which flow, by means of
354
Danach wurde die Lösung von Arbeitskonflikten mit den "angebundenen Instanzen" (instansi terkait)
angestrebt (YLBHI 1997, 126).
355
Abdullah/Etty 1995, 34.
356
LKTN = Lembaga Kerjasama Tripartite Nasional.
357
P4D/P4P: Panitia Penyelesaian Perselisihan Perburuhan Daerah/Pusat.
358
Inside Indonesia Dez. 1987, 15.
359
Siehe Thoolen (Hg.) 1987, 130.

Arbeiter und Gewerkschaften
a check-off system, to the local offices of the Ministry of Manpower. [...] It condones
widespread breaches of the law by employers." 360
Trotz der Beständigkeit in der Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen ist es wichtig,
einige Phasen zu unterscheiden. Nach der Zerschlagung der alten, parteigebundenen
Gewerkschaften und der ersten Konsolidierung unter dem MPBI361 , dann der FBSI,
und einer weiteren Phase der Stabilisierung und der weitgehenden Kontrolle der
Arbeiterschaft bis Anfang der 80er Jahre, setzte unter Sudomo eine weitere Verschärfung
ein. Nachdem nämlich in den späten 70er und frühen 80er Jahren die Zahl
der Streiks zugenommen hatte, übernahm der ehemalige Kopkamtib-Chef und
"Hardliner" Sudomo 1983-88 das Arbeitsministerium. Er ernannte den ehemaligen
Bakin-Leiter Sutopo Yuwono zum Generaldirektor des Ministeriums und machte die
Ernennung der gewerkschaftlichen Vertreter von der Zustimmung der Arbeitgeber
abhängig. 362 Kopkamtib war seit dem Beginn der Neuen Ordnung in die oft gewaltsame
Beilegung von Arbeitskonflikten involviert, unter Sudomo aber wurden auch
die Frühwarnsysteme sensibilisiert. 363 Der neue Kurs führte 1985 zur Umbenennung
der FBSI in SPSI364 . Man ersetzte dabei den mit "linken" Assoziationen behafteten
Begriff "Buruh" durch das neutralere "Pekerja" (beide: "Arbeiter"). 365 In der SPSI
wurden die vorher separaten 21 Industriegewerkschaften zu 9 Abteilungen einer
einheitlichen Organisation umfunktioniert. Die SPSI war allerdings nicht in der
Lage, den Großteil der Arbeiterschaft an sich zu binden. 366 Lambert kommentiert die
Umstrukturierung wie folgt:
"In summary, then, economic and political pressures underlay this restructuring. The
presence of FBSI and the propagation of Pancasila ideology had failed to intimidate and
pacify to the degree deemed necessary. The formation of SPSI was therefore an attempt to
overcome the perceived ineptitude of FBSI. Their incapacity was seen to have political
ramifications, given the New Order State's fear of isolated strike action transforming into
a more widespread resistance to working conditions and wages." 367
Durch den Übergang zu einer exportorientierten Industrialisierung seit Mitte der
80er Jahre kam es zu Veränderungen im industriellen Sektor. Vor allem in der Textil-
und Bekleidungsbranche, aber auch in anderen arbeitsintensiven, exportorientierten
Bereichen stieg die Nachfrage nach billigen Arbeitskräften in bestimmten Re-
360 Abdullah/Etty 1995, 35.
361 Majelis Permusyawaratan Buruh Indonesia.
362 Manning 1993, 74ff; detailliert beschrieben in: Tanter 1990, 253ff.
363 Schon seit 1981 arbeiteten in den "Hilfsteams für Arbeitskonflikte" Vertreter des Ministeriums, des
Geheimdienstes und der Arbeitgeber zusammen und versuchten präventiv Arbeitskonflikte zu verhindern
(Tanter 1990, 254).
364 Serikat Pekerja Seluruh Indonesia = Staatliche Allindonesische Arbeiterunion.
365 Pakpahan bemerkt, dass die Väter der Verfassung von 1945 durchgängig den Begriff "buruh" gewählt
hätten, der deshalb auch in vielen noch gültigen Arbeitsgesetzen auftauche.
366 1993 gehörten ihr nur etwa 1 Mio. Arbeiter an (Inside Indonesia Juni 1993, 19). Von 47.000 Unternehmen
mit mehr als 25 Angestellten waren 1996 12.500 mit FSPSI-Funktionären besetzt (Pasaribu
1996, 66).
367 Lambert 1993, 5.
409

410
Oppositionelle Gruppen
gionen, vor allem im Raum Jabotabek 368 sowie in Bandung und Surabaya. Im Zuge
der allgemeinen Stärkung der oppositionellen Kräfte vertraten vermehrt NGOs,
Studentenorganisationen und nichtstaatliche Gewerkschaften die Interessen der
Arbeiter. Seit etwa 1987 stieg auch der Druck aus den USA. Ende der 80er Jahre
schwenkte die indonesische Regierung deshalb erneut in der Arbeitspolitik um. Sie
reagierte auf den sozioökonomischen Wandel und den außenpolitischen Druck mit
einem leichten Entgegenkommen, im Wesentlichen aber mit Pseudoreformen. 1990
wurden Streiks in Staatsbetrieben und "vitalen" Industrien (nach dem Verbot aus
dem Jahre 1963) de jure, wenn auch nicht unbedingt de facto, wieder zugelassen.
Die SPSI nahm einige etwas kritischere Personen in den nationalen Vorstand auf
und gewährte den 13 Industriesektoren wieder eine größere Autonomie. Seit 1989
achtete sie verstärkt auf die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlöhne.
369 1995 erfolgte eine abermalige Umstrukturierung der SPSI. Wieder wurde eine
föderale Struktur (nachdem schon 1991/92 Industriebranchen erlaubt worden waren)
eingeführt, diesmal unter dem Namen FSPSI (Forum SPSI), ohne dass sich dadurch
die Arbeitsbeziehungen wesentlich änderten. Eine Taktik der Regierung war es,
gewisse Rechte, wie das zur Bildung von Gewerkschaften oder das Streikrecht,
prinzipiell zuzulassen, sie aber durch zusätzliche Bestimmungen weitgehend außer
Kraft zu setzen. Diese Reformen sollte die Opposition in Indonesien beschwichtigen
und teilen sowie die Position Indonesiens gegenüber ausländischen Kritikern verbessern.
Die Amerikaner legten Wert auf die Einhaltung internationaler Verträge über die
Gestaltung der Arbeitsbeziehungen und die Zulassung unabhängiger Gewerkschaften.
Seit 1987 bemühten sich die ICFTU und die AFL-CIO 370 um ein schärferes
Vorgehen gegen die Indonesier. Mehrfach drohte die US-Regierung, Begünstigungen
nach dem GSP (Generalized System of Preferences) für exportierende indonesische
Firmen zu streichen. 371 Das GSP bezog sich z.B. 1992 auf 14% der indonesischen
Exporte in die USA, das waren Güter im Wert von 600 Mio. US$. Allerdings
sollte berücksichtigt werden, dass viele ausländische Regierungen an der Niedriglohnpolitik
der Indonesier durchaus interessiert waren. Zwar galten gerade die Firmen
aus asiatischen Ländern wie Taiwan oder Südkorea als besonders ausbeuterisch,
aber es waren auch amerikanische Ableger (wie etwa von Nike), die im System
der internationalen Arbeitsteilung auf eine schwache gewerkschaftliche Vertretung
setzten und Billiglöhne zahlten. Insgesamt blieb deshalb die amerikanische
Regierung in ihren Bemühungen halbherzig, und die indonesische Regierung hatte
einigen Erfolg mit ihren Minimalreformen. Dazu gehörte das noch im September
368
Abkürzung für die Agglomeration aus Jakarta, Bogor, Tangerang und Bekasi.
369
Manning 1993, 78f.
370
International Confederation of Free Trade Unions und The American Federation of Labor and Congress
of Industrial Organisations.
371
Van der Eng 1993, 31ff.

Arbeiter und Gewerkschaften
1997 vom Parlament verabschiedete Arbeitsgesetz, das von Arbeitsminister Abdul
Latief als großes Reformwerk präsentiert wurde. 372
Zusammensetzung der Arbeiterschaft
In der Zeit der Neuen Ordnung vollzog sich ein beträchtlicher sozioökonomischer
Wandel, der sich am Anteil der Arbeitskräfte je Sektor gut ablesen lässt. So ging von
1961 bis 1990 der Anteil im primären Sektor von 73,0% auf 50,1% zurück, während
im gleichen Zeitraum in der Güterproduktion der Anteil von 5,9% auf 11,6% und im
Handel von 18,9% auf 32,9% anwuchs. 373 1996 wuchs der Anteil der Arbeitskräfte in
der Landwirtschaft sogar auf 44%. 1980 waren 19,1% der Beschäftigten Arbeiter
außerhalb des primären Sektors; 1990 war dieser Anteil auf 22,2% und 1996 auf
23,0% angewachsen (vgl. Tabelle 4-2).
In den Städten arbeiteten 1996 44,1% der Männer und 37,7% der Frauen als Arbeiter/innen
oder Angestellte im privaten Sektor und 12,6% bzw. 10,9% als Arbeiter/innen
oder Angestellte für den Staat. 374 Hinzu kamen 4,6% bzw. 15,6%, die in der
Familie arbeiteten. Insgesamt waren im Jahre 1996 29 Millionen als Arbeiter/innen
eingestuft, außerdem 15,9 Millionen als unbezahlte Arbeiter/innen, d.h. als beschäftigte
Familienangehörige (vgl. Tab. 4-5). Allein von 1990-1996 wuchs die Anzahl
der Beschäftigten in der Industrie von 7,7 Millionen auf 10,8 Millionen an. Neben
den Industriearbeitern gab es zahlreiche Arbeiter/innen im Baugewerbe (3,1 Mio.),
in der Landwirtschaft (der größte Teil der 4,9 Mio.), im Bereich Handel, Restaurants
und Hotels (2,5 Mio.) sowie in den Sektoren Transport, Lager und Kommunikation
(1,6 Mio.). 9,4 Millionen Lohnempfänger/innen waren in einer etwas diffusen Restkategorie
eingeordnet.
Nach offiziellen Statistiken war die Arbeitslosenquote überraschend niedrig. 1996
sollen demnach nur 4,9% arbeitslos gewesen sein. Schon wer in der Woche vor der
Erhebung mindestens eine Stunde gearbeitet hatte, galt allerdings bereits als erwerbstätig.
Da also viele Erwerbspersonen unterbeschäftigt waren (1996 arbeiteten
mehr als 20 Mio. Personen weniger als 24 Stunden pro Woche), war die Konkurrenz
selbst um die schlecht bezahlten Jobs in der Industrie relativ groß (vgl. Tabelle 4-6).
372 Nach dem Entwurf sollten die Arbeiter bei Streiks nicht weiter bezahlt werden. Und Gewerkschaften
durften in den Fabriken nur mit der Zustimmung der Mehrheit der Arbeiter gegründet werden. Diese
Bestimmungen wurden fallen gelassen. Dafür aber durften aufgrund dieses Gesetzes Streiks nur noch auf
dem Fabrikgelände stattfinden, und der Arbeitskampf durfte nicht durch Aktionen auf den Straßen ausgetragen
werden (Jakarta Post 12.9.1997). Ironischerweise waren die Verhandlungen zu diesem Gesetz von
einem Skandal begleitet. Latief hatte Parlamentarier in ein Luxushotel eingeladen und insgesamt 7,1 Mrd.
Rp. aus der Arbeitersozialversicherung Jamsostek für diese Veranstaltung zweckentfremdet. Latief war
deswegen zunehmend unter Druck geraten und wurde letztlich durch die Intervention Suhartos, der
erklärte, er habe die Verwendung der Gelder angeordnet, gerettet.
373 Das sind die Zahlen von Hill 1996, 22. Mitunter weichen andere statistische Daten hiervon wegen der
unterschiedlichen Dateninterpretation etwas ab.
374 BPS 1997d, 31.
411

412
Oppositionelle Gruppen
Tabelle 4-5: Beschäftigte über 10 Jahre nach Beschäftigungssektor (1990) sowie nach
Beschäftigungssektor und -status (1996) in Mio. (Abweichungen durch Rundung) und
prozentual (ohne Residuen)
Gesamt Gesamt I II III IV V 1996
1990 1996
in%
1996
in%
(Stadt)
Land- und Forstw.,
Fischereiwesen
42,4 37,7 6,2 14,5 0,3 4,9 11,8 46,0 10,0
Bergbau 0,5 0,8 0,14 0,13 0,0 0,38 0,1 1,1 1,1
Industrielle Produktion 7,7 10,8 1,5 1,5 0,2 6,2 1,4 10,9 16,5
Elektrizität, Gas, Wasser 0,1 0,16 0,0 0,0 0,0 0,15 0,0 0,4 0,9
Baugewerbe 2,1 3,8 0,4 0,2 0,1 3,1 0,0 4,7 6,4
Handel, Restaurants,
Hotels
11,1 16,1 6,7 4,3 0,3 2,5 2,3 16,7 27,5
Transport, Lager,
Kommunikation*
2,3 3,9 1,9 0,3 0,1 1,6 0,03 4,2 6,9
Finanzen, Vers.,
Immobilien
0,5 0,69 0,02 0,0 0,01 0,66 0,0 0,7 1,7
Andere Dienstleistungen**
9,1 11,7 1,6 0,4 0,1 9,4 0,2 15,0 28,6
Gesamt
I: selbständig
75,9 85,7 18,3 21,3 1,2 29,0 15,9 100 100
II: selbständig mit zeitweise Beschäftigten oder beschäftigten Familienangehörigen
III: Arbeitgeber/innen mit Festangestellten
IV: Lohnempfänger/innen
V: unbezahlte Arbeiter/innen
*Auch Beschäftigte bei Post und Rundfunk
** Beschäftigte bei der Armee, im öffentlichen Dienst, im Kulturbereich, persönliche und
häusliche Dienstleistungen (Wäscher, Hausangestellte usw.)
Quelle: BPS 1997c, 66ff; Feridhanusetyawan 1997, 33; BPS 1997d, 158ff.
In der Stadt waren 1996 39,6% der männlichen Beschäftigten Arbeiter, 10,8 Prozentpunkte
entfielen davon auf die Industrie. Von den Frauen waren in der Stadt
22,0% Arbeiterinnen, davon allerdings der weitaus überwiegende Teil, nämlich 16,5
Prozentpunkte, im industriellen Sektor (vgl. Tabelle 4-2). Es gab vor allem in der
Textil- und Bekleidungsindustrie und allgemein bei der Produktion leichtindustrieller
Güter einen hohen Anteil an jungen, unverheirateten Arbeiterinnen. White 375
führt aus, dass in der exportorientierten Textil-, Bekleidungs- und Schuhproduktion
Frauen bevorzugt eingestellt wurden, während diese Produktionsbereiche vor der
Industrialisierung noch von Männern dominiert wurden. Oft handelte es sich um
sehr junge, unverheiratete Frauen, die in Baracken unterkommen mussten und leicht
kontrolliert werden konnten. Die jungen Frauen hatten eine relativ gute Ausbildung
und gehörten in der Regel nicht zu den "Ärmsten der Armen". Für viele von ihnen
375 White 1993,132ff.

Arbeiter und Gewerkschaften
war die Arbeit als Näherin die erste feste Beschäftigung. Mit der dadurch gewonnenen
Unabhängigkeit und wegen der Ferne zum Elternhaushalt empfanden viele von
ihnen diese Arbeitsphase vor der Heirat trotz der oft außergewöhnlich schlechten
Arbeitsbedingungen als eine Befreiung von den Fesseln der dörflichen Tradition.
Tabelle 4-6: Daten zu den Beschäftigten (1990 und 1996) 376
1990 (Mio.) 1990 (%) 1996 (Mio.) 1996 (%)
Bevölkerung über 10 Jahre 135,7 154,5
Arbeitskräfte 77,8 100 90,1 100
Beschäftigt 75,9 97,5 85,7 95,1
Arbeitssuchend* 2,0 2,5 4,4 4,9
unter 24 Std./Woche beschäftigt 19,4 25,6 20,1 23,4
Stadt 19,5 25,0 30,2 33,5
Land 58,4 75,0 60,0 66,5
formeller Sektor 21,7 28,6 30,2 35,2
informeller Sektor 54,2 71,4 55,6 64,8
*Die Definition der Arbeitssuchenden wurde 1994 geändert, wodurch sich der Anstieg erklärt.
Quelle: Feridhanusetyawan 1997, 32.
Nach Hadiz entstand in den 90er Jahren eine neue Generation von Arbeitern, die in
der Stadt aufwuchs und für die die Fabrikarbeit die einzige Einkommensquelle
war. 377 Es waren keine Saisonarbeiter, die nur dann in die Städte kamen, wenn in
ihren Dörfern zeitweise ein Überschuss an Arbeitskräften bestand. Viele Arbeiter
waren gut ausgebildet, hatten Sekundarschulabschlüsse und besuchten nach Arbeitsende
verschiedene Fortbildungskurse. In den letzten Jahren war so eine Industriearbeiterelite
entstanden, die sehr viel leichter Beziehungen zu den Unterstützergruppen
der Mittelklasse (also NGOs, Studentenorganisationen und z.T. Gewerkschaf-
376 Die Statistiken zur Erwerbs- und Arbeitslosenquote in Indonesien bedürfen einer eingehenden Interpretation.
Glaubt man den Ergebnissen verschiedener Umfragen, lag die offene Arbeitslosigkeit in Indonesien
vor der Asienkrise bei unter 3%. Das ist eine für Entwicklungsländer unglaubwürdige Zahl, die auf
einer eigenwilligen Dateninterpretation beruht. So ist bereits die ermittelte Erwerbsquote fragwürdig, da
die Nichterwerbsbevölkerung z.T. zu den Arbeitslosen gezählt werden könnte. Außerdem werden nur
solche Personen als arbeitslos geführt, die weniger als eine Stunde pro Woche arbeiten. Es ergeben sich
folgende Schwierigkeiten bei der Dateninterpretation: a) die Festlegung der Erwerbsquote hängt davon
ab, welche Tätigkeiten im Haushalt als wirtschaftliche angesehen werden, b) in den letzten Jahrzehnten
haben sich signifikante Unterschiede bei der Datenerhebung (Definition von Tätigkeitsarten, Ausbildungsstand
der Interviewer, Auswahl und Umfang der Datenbasis) ergeben, die z.T. zu erheblichen
Abweichungen führen, c) das Phänomen der unsichtbaren Unterbeschäftigung oder versteckten Arbeitslosigkeit
wird statistisch nicht berücksichtigt; es handelt sich dabei um Beschäftigungen mit sehr niedrigem
Verdienst und sehr niedriger Produktivität, z.B. um den Verkauf von Mineralwasserflaschen an Straßenkreuzungen,
d) die Abgrenzung zwischen Stadt und Land erweist sich wegen der hohen Mobilität der
Beschäftigten als schwierig; in diesem Zusammenhang sind auch saisonale Schwankungen zu nennen, e)
ein Teil der Beschäftigten hat mehrere Berufe zugleich; das gilt selbst für die städtische Mittelklasse (Vgl.
auch Cremer 1995, 57ff und 123ff).
377 Dazu: Young 1994 und Hadiz 1994, 197.
413

414
Oppositionelle Gruppen
ten) knüpfen konnte. Diese Arbeiter bildeten häufig informelle Gruppen außerhalb
der vom SPSI vorgegebenen Bahnen und diskutierten dort über politische Probleme.
Hadiz beschreibt den Erfahrungswandel vieler Arbeiter folgendermaßen:
"Thus, workers now find themselves in a social environment which is qualitatively different
from that of their predecessors. For these workers, most of whom are too young to
know an Indonesia outside the one that has been created by industrialisation during the
New Order, there is little possibility of opting out of the hardships of city life in favour of
some kind of safe, undisturbed village environment. The present generation of Indonesian
industrial workers has become much more urbanised in their material as well as their cultural
existence." 378
Da diese meist jungen Arbeiter/innen sich stärker als vorhergehende Generationen
an einem städtischen Lebensstil orientierten, waren sie für gewerkschaftliche Kämpfe
eher erreichbar.
Streiks
Unter anderem, weil die SPSI zur Kontrolle der etwa 100.000 Unternehmen nur
einige Hundert Fabrikinspektoren zur Verfügung hatte, wurden in vielen Industriebetrieben
weiterhin sehr geringe Löhne gezahlt. Seit 1989 wurde aber ein Mindestlohn
festgesetzt, der sich auf die "physischen Grundbedürfnisse" (Kebutuhan Fisik
Minimum) bezog. Allerdings waren die regionalen und nationalen Gremien, die über
die Mindestlöhne entschieden, fast ausschließlich von Bürokraten besetzt. Immerhin
wurden zwischen 1990 und 1997 die Mindestlöhne in Jakarta etwa verdreifacht. 379
Trotz dieser lohnpolitischen Maßnahmen war das Lohnniveau in Indonesien im
internationalen Vergleich sehr gering. Sehr viele Arbeiter, vor allem aber Arbeiterinnen,
lebten am Rande des Existenzminimums, konnten keine Rücklagen bilden
und waren im Falle von Krankheit oder Entlassung ohne Absicherung. Die Arbeitsbedingungen
in den meisten Fabriken waren mit denen im Europa des späten 19.
Jahrhunderts vergleichbar. Zwangsläufig führte das zu Widerstandsaktionen der
Belegschaften.
378 Hadiz 1993, 193.
379 Manning kommt zu dem Ergebnis, dass die Reallöhne in der Landwirtschaft und mehr noch im industriellen
Sektor - mit Ausnahme der zweiten Hälfte der 80er Jahre - gestiegen seien (Manning 1994, 108).
Es gibt allerdings auch Studien, die zu anderen Ergebnissen kommen. So soll ein Arbeiter in Jakarta 1970
für seinen Tageslohn 7 kg Reis erhalten haben, während er sich für seinen Mindestlohn 1993 nur noch
knapp 4 kg habe kaufen können (Anggoro 1996, 196). 1997 wurden die Mindestlöhne real um 3-4%
angehoben, wobei arbeitsintensive Industrien (Textilien, Bekleidung, Schuhe, Spielzeug) ausgenommen
wurden. Die Ausnahmen kamen auf den Druck des Handels- und Industrieministeriums zustande (Feridhanusetyawan
1997, 34f). Durchschnittlich lagen die Löhne national bei 155.300 Rp. pro Monat (in
Yogyakarta 106.500 Rp., in Batam 220.500 Rp. und in Jakarta 172.000 Rp.). Anfang des Jahres 1998
veröffentlichten vier Unternehmerverbände (Aprisindo, API, AMI und APMI, das waren die Vereinigungen
der Schuhhersteller, die Textilvereinigung, die Vereinigung der Industriellen und die der Spielzeughersteller)
eine Erklärung, in der sie ein Einfrieren der Löhne forderten.

Arbeiter und Gewerkschaften
Tabelle 4-7: Daten zu Streiks in Indonesien (bei Fünfjahresperioden jährliche
Durchschnittswerte)
Anzahl der Anzahl der Ausfall von Anteil der Streiks
Streiks Streikenden Arbeitstagen in Industrie (%)
in 1.000 in 1.000
1961-65 40 23 42 34
1966-70 2 0,4 0,4 20
1971-75 5 1 1 75
1976-80 66 11 28 92
1981-85 112 27 142 87
1986 73 16 109 77
1987 37 14 49 87
1988 39 k.A. k.A. 82
1989 19 6 31 68
1990 61 31 307 89
1991 114 60 385 96
1992 177 67 509 k.A.
1992* 257 208
1993* 303 260
1994* 334 277
1996** 346 221 2,5 Mio.
Std.
1996*** 550
* YLBHI 1995, 102 (nur Jabotabek und Bandung)
**YLBHI 1997, 98 (nach Arbeitsministerium)
***YLBHI 1997, 124 (YLBHI-Erhebung)
Quelle: Manning 1993, 81.
1983 schrieb Kaminski, dass es unklar sei, ob es in Indonesien ein Streikrecht gebe.
380 Offiziell waren in Indonesien viele Rechte anerkannt, doch durch Ausführungsbestimmungen
des Arbeitsministeriums de facto wieder aufgehoben. Durch
den Einsatz des Militärs und durch die Entlassung widerspenstiger Arbeiter wurden
die Streikmöglichkeiten tatsächlich sehr stark eingeschränkt. Noch im Mai 1992
wurden in Bekasi bis zur Präsidentenwahl von 1993 Streiks durch die Chefs der
Verwaltung, der SPSI und des Unternehmerverbandes Apindo einfach verboten. 381
Anfang der 90er Jahre aber nahm in Indonesien trotz solcher Maßnahmen die Anzahl
der Streiks deutlich zu. Zurückzuführen war das auf die Reallohneinbußen in
den Jahren zuvor, auf die Unterstützung aus dem Ausland und auf das gewandelte
Selbstverständnis der Arbeiter.
380 Kaminski 1983, 562.
381 Inside Indonesia Juni 1993, 19.
415

416
Oppositionelle Gruppen
Die Daten zur Streikaktivität spiegeln die beschriebenen Phasen des sozioökonomischen
Wandels und in der Arbeitspolitik recht deutlich wider. Ende der 70er und
Anfang/Mitte der 80er Jahre (bis 1986) nahm die Streikaktivität ständig zu. Wahrscheinlich
bedingt durch die Politik Sudomos, kam es danach bis einschließlich
1989 zu einer Umkehr dieser Tendenz. Seit 1990 gerieten jedoch die Arbeitskämpfe
immer weiter außer Kontrolle. Jährlich streikten in den 90er Jahren mindestens 2 bis
3 Millionen Arbeiter, oftmals unterstützt von NGOs, Studenten und den ersten,
staatlich nicht anerkannten Gewerkschaften (vgl. Tabelle 4-8). Wenn man bedenkt,
dass die Streikenden in jedem Fall mit Festnahmen und Angriffen auf Leib und
Leben rechnen mussten, ist die oben genannte Zahl außerordentlich hoch und deutet
auf eine große Konfliktbereitschaft.
Gerade in den exportorientierten Branchen mit niedrigen, aber nicht mit Niedrigstlöhnen,
in denen recht gut ausgebildete junge Arbeiter tätig waren, kam es zu den
meisten Streiks. In diesen Bereichen hatte die später gegründete SBSI auch ihre
größten Erfolge. 382 Die konfliktfähigsten Arbeiter (und Arbeiterinnen) waren also
nicht jene, denen es finanziell am schlechtesten ging, sondern diejenigen, die sich
am leichtesten zu Demonstrationen und Streiks zusammentun konnten. Die taylorisierten
Arbeitsabläufe in den exportorientierten Betrieben gaben den Arbeitern die
Möglichkeit, mit einfachen Mitteln die Produktion lahm zu legen.
In den Protestaktionen wandten sich die Arbeiter in den meisten Fällen gegen die
Nichteinhaltung der Mindestlohnbestimmungen oder kämpften für die Zahlung
anderer, zusätzlicher Leistungen. 383 Es ging also fast nie um eine umfassende Demokratisierung
und die Abschaffung der militärischen Doppelfunktion. Allerdings war
die häufig gestellte Forderung nach einer Zulassung unabhängiger Gewerkschaften -
gemessen an den politischen Verhältnissen - sehr radikal. Außerdem mussten sich
die Arbeiter auf wenige, unmittelbar auf die Arbeitsbeziehungen gerichtete Forderungen
beschränken, um den Verdacht der Subversion und der Unterwanderung
durch "gewisse Gruppen" von vornherein von sich weisen zu können.
Die Demonstranten marschierten zu den zuständigen Behörden, also der örtlichen
Polizeidienststelle, der örtlichen Vertretung des Arbeitsministeriums oder der
Staatsgewerkschaft. In Jakarta und anderen großen Städten wandten sie sich direkt
an das nationale Parlament oder eines der Parlamente auf Provinz- oder Distriktebene.
In einigen Fällen kam es sogar zu sleep-ins. 384 Während in früheren Zeiten Plantagen-
und Transportarbeiter den Großteil der Streikenden ausmachten, waren in der
Neuen Ordnung Industriearbeiter in den Regionen Jabotabek, Bandung und Surabaya,
und dort vor allem bei den größeren Herstellern der Textil-, Bekleidungs-,
Schuh- und Spielzeugbranche, politisch besonders aktiv.
382
Manning 1993, 84. Niedrigstlöhne wurden z.B. in der kaum exportorientierten Nahrungsmittel- und
Getränkeindustrie gezahlt.
383
Vgl.: Suyanto/Asfar/Pranata 1995², 44. Zu den Forderungen streikender Arbeiter in Ostjava 1992/93
zählten vor allem jene nach einer Einhaltung der Mindestlohnbestimmungen, gefolgt von solchen nach
verschiedenen Sonderleistungen (Urlaub, Urlaubszuschlag, Beförderung, Essen, Prämien etc.).
384
Zu Protestaktionen und zu den repressiven Maßnahmen der Regierung vgl. die Beiträge in den
YLBHI-Jahresberichten.

Arbeiter und Gewerkschaften
Die Phase der Erosion: Die Entstehung unabhängiger Gewerkschaften und der
Marsinah-Fall
Die Stärkung oppositioneller Kräfte seit Ende der 80er Jahre war auch an den Forderungen
und den politischen Aktionen der Arbeiter abzulesen. In dieser Zeit entstand
in Indonesien eine - wenn auch schwache - Arbeiterbewegung, die - im Verein mit
NGO-Aktivisten und Studenten - das Regime zu Zugeständnissen zwang.
Aufgrund der konsequenten Depolitisierungsstrategie der Regierung und wegen des
eklatanten Machtungleichgewichtes zwischen Unternehmern und Arbeitern war es
schwierig, Mitglieder für eine offensichtlich oppositionelle und als kommunistisch
gebrandmarkte Gewerkschaft zu finden.
Erst im November 1990 gelang es, eine unabhängige Gewerkschaft, die SBMSK 385
(oder kurz: Setiakawan (Solidarität)), zu gründen. Sie wurde von Muchtar Pakpahan
386 zusammen mit Princen und Saut Aritonang geschaffen und knüpfte mit ihrem
Namen bewusst an die polnische Arbeiterbewegung an. Setiakawan scheiterte jedoch
relativ schnell, da sie auf den erbitterten Widerstand des Regimes stieß (Saut
Aritonang wurde z.B. für einige Tage entführt) und von Anfang an organisatorisch
wenig gefestigt war. 387
Die erste mächtige Gegengewerkschaft der Neuen Ordnung war dann die "Wohlfahrtsgewerkschaft
Indonesien" (SBSI) 388 unter dem Vorsitz von Muchtar Pakpahan.
Sie wurde im April des Jahres 1992 bei einem Nationalen Arbeitertreffen in einem
Hotel in Bogor nahe Jakarta gegründet. Der PDI-Politiker Sabam Sirait hatte das
Treffen im Namen einer von ihm geführten Organisation stattfinden lassen, um auf
diese Weise eine Versammlungserlaubnis bekommen zu können. Abdurrahman
Wahid unterstützte das Treffen und hielt selbst eine Ansprache. Es gab schon vorher
einige auf lokaler Basis organisierte Gewerkschaften oder gewerkschaftsähnliche
NGOs, die sich auch z.T. an dem Treffen in Bogor beteiligten. 389 Insgesamt nahmen
385 Serikat Buruh Merdeka Setia Kawan.
386 Muchtar Pakpahan wurde 1953 in Pematang Siantar geboren und ist Bataker. Als Protestant schloss er
sich in seiner Studentenzeit der GMKI an. Seit 1978 arbeitete er als Anwalt und seit 1983 als NGO-
Aktivist in der Rechtshilfe, außerdem war er Dozent an der Universität HKBP Nommensen Medan. Dort
wurde er wegen seiner politischen Aktivitäten 1986 entlassen. Danach ging er an die Christliche Universität
UKI in Jakarta und war als Redakteur bei dem bekannten politischen Magazin Forum Keadilan
sowie in einer privaten Kanzlei tätig. 1993 folgte die Promotion an der UI mit einer Arbeit über das
indonesische Parlament. Im Zusammenhang mit den Unruhen in Medan und später wegen der Ereignisse
am 27.7.1996 war er bis Ende Mai 1998 inhaftiert und wurde erst durch Habibie wieder freigelassen.
Pakpahan gründete sein Engagement sehr stark auf christliche Grundsätze und war ein Verehrer von
Sukarno und Simatupang.
387 Dafür spricht, dass die Gründung der Gewerkschaft einem plötzlichen Einfall Princens bei einer Veranstaltung,
die sich mit einem anderen Thema beschäftigte, entsprang. Ein Diskussionsteilnehmer bedauerte,
dass es keine unabhängige Gewerkschaft in Indonesien gebe. Daraufhin schlug Princen vor, eine
solche sofort zu gründen (Interview am 3.10.1997 in Jakarta). Andererseits scheint Setiakawan von
Teilen der Regimekoalition um Murdani unterstützt worden zu sein (Eldridge 1995, 112).
388 Serikat Buruh Sejahtera Indonesia.
389 Pakpahan (1997, 47) nennt das Forum Komunikasi Buruh Jabotabek, die Koperasi Sejahtera Buruh aus
Medan, den Serikat Tolong Menolong Buruh aus Pematang Siantar und die Koperasi Asah, Asih, Asuh
aus Solo.
417

418
Oppositionelle Gruppen
106 Personen teil, davon allein 90 Arbeiter sowie einige Anwälte, Politiker, Wissenschaftler,
Geistliche und NGO-Aktivisten. Obwohl bis zuletzt keine Genehmigung
vorlag und viele Sicherheitsbeamte den Sitzungen beiwohnten, konnte die SBSI-
Gründung wie geplant stattfinden. 390
Die SBSI war die erste landesweit organisierte Gewerkschaft, die das Monopol der
SPSI herausforderte und international Beachtung fand. Sie hatte - nach Angaben
Pakpahans - Ende des Jahres 1993 bereits 300.000 Mitglieder und begann zu einer
ernsthaften Bedrohung für die Regimekoalition zu werden.
Die Regimekoalition reagierte ablehnend auf die Versuche, die Arbeiter politisch zu
organisieren. Ihre Strategien zur Zerschlagung der SBSI waren aber nicht konsistent.
391 Der erste Kongress im Juli 1993 in Bogor wurde von den Militärs verboten.
Im Januar 1994 gab der Arbeitsminister bekannt, dass Gewerkschaften gegründet
werden dürften, hob die Verordnung aber wenige Tage später de facto wieder auf.
Er legte fest, dass die SPSI die einzige staatlich anerkannte Gewerkschaft sowohl
auf Betriebsebene als auch national bleiben müsse. Das Arbeitsministerium war
offensichtlich bemüht, den Anschein der Organisationsfreiheit zu erwecken und die
eigentlichen Verbote in scheinbar unbedeutenden Passagen von ministeriellen Erlassen
einzuflechten.
Wegen dieser Bestimmungen beteiligten sich am 11.2.1994 etwa 750.000 Arbeiter 392
an einem landesweiten Streik (mogok nasional). Sie legten für eine Stunde die Arbeit
nieder. Dabei ging es neben der Zulassung der SBSI um die Forderung nach
einem Lohn, der einen angemessenen Lebensstandard ermöglichen sollte. 393
Zu einer Eskalation mit gewaltsamen Auseinandersetzungen kam es einige Wochen
später in Nordsumatra. Am 14. April 1994 demonstrierten etwa 60.000 (nach Militärangaben
20.000) Arbeiter in Medan vor dem Gouverneursgebäude. Sie forderten
die Zulassung der SBSI, die Anhebung der Mindestlöhne von 3.100 Rp./Tag auf
7.000 Rp./Tag und Entschädigungszahlungen für 400 Arbeiter einer Gummifabrik,
die nach einem Streik entlassen worden waren. Außerdem forderten sie die Aufklärung
der Umstände, die zum Tode Ruslis, eines Arbeiters aus der Region, geführt
hatten. Die Demonstrationen waren von der SBSI in Medan zusammen mit einigen
390 Pakpahan 1997, 65.
391 So konnte das Gründungstreffen störungsfrei ablaufen. Pakpahan nennt als mögliche Gründe den
Gegensatz zwischen dem ICMI- und dem Militärflügel und die Hoffnung der Machthabenden, dass die
SBSI sich, ebenso wie zuvor Setiakawan, selbst aufreiben werde (Pakpahan 1997, 65). Auch dürfte es
einige Militärs gegeben haben, die die neue Gewerkschaft mit Verständnis, wenn nicht gar Sympathie,
betrachteten. Pakpahan erwähnt den damaligen Kodam-Kommandeur Hendropriyono, unter dessen
Verantwortung es im Großraum Jakarta fast nie zu Repressionen durch das Militär kam (Pakpahan 1997,
111).
392 Es muss an dieser Stelle jedoch hinzugefügt werden, dass die in der Literatur genannte Zahl von
750.000 Streikenden schwer nachweisbar ist.
393 TB April 1994, 5ff. Die SBSI forderte eine Abkehr von dem Prinzip, die Löhne an einem vom Arbeitsministerium
festgelegten, sehr niedrigen Standard auszurichten. Noch 1996 bekam ein Arbeiter in
Jabotabek durchschnittlich 156.000 Rp. (also 5.200 Rp. pro Tag), wenn er gemäß den Mindestlohnbestimmungen
bezahlt wurde. Für die Deckung seiner Grundbedürfnisse benötigte er allerdings offiziell
251.000 Rp. (YLBHI 1997, 107).

Arbeiter und Gewerkschaften
NGOs organisiert worden. 394 Als die Fabrikleitung auf die Forderungen nicht einging,
kam es in den folgenden Tagen zu Ausschreitungen. 395 Dabei wurden Läden
geplündert und Fahrzeuge in Brand gesteckt. Ein chinesischer Geschäftsmann wurde
erschlagen. 396 Die Ereignisse in Medan waren ein deutliches Zeichen für eine sich
radikalisierende Industriearbeiterschaft, die unter der Führung einer nicht anerkannten
Gewerkschaft, SBSI, zu Zehntausenden demonstrierte. Es gibt Hinweise darauf,
dass ABRI - unterstützt von den Golkar zugeordneten Jugendorganisationen Pemuda
Pancasila und IPK 397 - bewusst für eine Eskalation der Demonstrationen gesorgt
hatte. Aus dem ökonomischen Konflikt sollte einer auf ethnischer Grundlage gemacht
werden. Die SBSI sollte unter Hinweis auf ihre vermeintliche Gewaltbereitschaft
als kommunistische Organisation denunziert werden. 398 So wurden auch im
Zusammenhang mit den Medan-Demonstrationen mehrere SBSI-Funktionäre - unter
ihnen Muchtar Pakpahan - festgenommen.
Der nationale Streik am 11.2. und die Ereignisse in Medan verdeutlichten die Stärke
der neuen Gewerkschaft SBSI, die in relativ kurzer Zeit viele Demonstranten mobilisieren
konnte. Auf der anderen Seite zeigte sich, dass Massenkundgebungen - in
Medan wahrscheinlich unter dem Einfluss von preman-Organisationen - sehr leicht
eskalieren konnten, so dass die Opposition immer mit größter Vorsicht vorgehen
musste.
Die gestiegene Konfliktbereitschaft der Arbeiter manifestierte sich nicht nur in der
Gründung von Gegengewerkschaften. Insgesamt kam es zu einer Zusammenarbeit
der prodemokratischen Aktivisten aus der Mittelklasse und der Industriearbeiter.
Diese - wenn auch nur schwache - Kooperation bei Arbeitskämpfen spiegelte sich in
einer veränderten Haltung der Öffentlichkeit zu solchen Arbeitskämpfen wider.
Zumindest wurden in den 90er Jahren Vorkommnisse als skandalös empfunden, die
vorher unbeachtet geblieben waren. Das beste Beispiel dafür ist der Marsinah-Fall,
der über Jahre Schlagzeilen machte.
Im Mai 1993 waren 13 Arbeiterinnen in Sidoarjo entlassen worden, nachdem sie für
die Einhaltung der Lohnbestimmungen demonstriert hatten. Als die Arbeiterin Mar-
394 Pakpahan 1997, 133ff. Interview mit Pakpahan am 11.1. 1998 in Jakarta.
395 Es gibt mehrere Erklärungen für die Eskalation der Demonstrationen. Nach der offiziellen Version war
allein die SBSI verantwortlich. Nach der SBSI waren das Militär und die o.g. Jugendorganisationen als
agents provocateurs aufgetreten und hatten antichinesische Ressentiments geschürt. Außerdem gibt es
Vermutungen, dass das Militär den von Suharto und ICMI bzw. Habibie gestützten Gouverneur Siregar
mit den Unruhen in ein schlechtes Licht rücken wollte. Siregar hielt im Übrigen diese Interpretation für
richtig (Human Rights Watch/Asia 1994, 70ff). Darüber hinaus war das Militär, das sich den Schutz der
zumeist sinoindonesischen Unternehmen gut bezahlen ließ, hin und wieder an Arbeiterprotesten durchaus
interessiert.
396 FEER 28.4.1994.
397 Ikatan Pemuda Karya. IPK war eine Organisation von preman, die enge Beziehungen zur Militärkommandantur
unterhielt (Pakpahan 1997, 137). Es soll sogar einige Jahre lang Kämpfe zwischen der
Pemuda Pancasila und IPK gegeben haben, bei denen es um Schutzgelderpressungen ging.
398 In Wirklichkeit gehörte neben den Pancasila und der innerorganisatorischen Demokratie die Gewaltlosigkeit
zu den Prinzipien des SBSI (Pakpahan 1997, 94ff). Schon am 19.4. bezeichneten in einer Pressekonferenz
Feisal Tanjung, Mantiri und Pranowo die Aktionen als agitprop und behaupteten, dass Pakpahan
wie sein Vater ein PKI-Kader sei.
419

420
Oppositionelle Gruppen
sinah sich für ihre Kolleginnen einsetzte, wurde sie ermordet. 399 Vieles deutet darauf
hin, dass Militärs für diesen Mord verantwortlich waren. Verhaftet wurden allerdings
mehrere Monate später sechs Mitarbeiter der Uhrenfabrik PT Catur Putra
Surya in Porong, in der auch Marsinah gearbeitet hatte. Während des folgenden
Prozesses zeigte sich, dass das Militär - ähnlich wie im Fall "Udin" - Sündenböcke
suchte, um den Verdacht von sich abzulenken. In den Monaten nach dem Tode Marsinahs
verfolgte die Öffentlichkeit sehr genau die weiteren Ermittlungen. 27 NGOs
gründeten zusammen mit Arbeitern und Studenten ein Solidaritätskomitee und sprachen
den Fall auch bei der Menschenrechtskonferenz in Wien an.
Die zu Unrecht Verhafteten wurden vor dem Prozess mehrere Tage vom Militär
verhört und gefoltert, um ein entsprechendes Verhörprotokoll zu erzwingen. Der
Inhaber der Uhrenfabrik wurde schließlich im November 1994, nachdem er in erster
Instanz zu 17 Jahren Haft verurteilt worden war, mangels Beweisen freigesprochen.
Während "Udin" als Journalist eher die indonesische Mittelklasse repräsentierte,
symbolisierte Marsinah die aufbegehrende Arbeiterklasse. 400
Neben der SBSI, die nach 1994 keine spektakulären Aktionen mehr organisieren
konnte, entstand das der PRD angeschlossene "Zentrum Arbeiterkampf" PPBI401 .
Das PPBI wurde im Oktober 1994 gegründet und konnte Arbeitskämpfe zumindest
unterstützen und mitunter Organisationsfunktionen im Namen der Arbeiter übernehmen.
Im Juli 1995 beispielsweise beteiligten sich die ebenfalls der PRD angeschlossenen
Studentenorganisation SMID402 und das PPBI an Protestaktionen von
10.000 Arbeitern des Bekleidungsherstellers Great-Rivers-Industries in Nanggewer
(Distrikt Bogor). 403 Wie in den meisten Streiks stand auch in diesem Fall die Forderung
nach Einhaltung der Mindestlohnstandards im Vordergrund, und auch diesesmal
war die SPSI nur im Sinne der Betriebsleitung aufgetreten. Im Dezember 1995
und im Juli 1996 kam es zu ähnlichen gemeinsamen Aktionen in der Textilfabrik
Sritex in Sukoharjo bzw. im Industriegebiet Tanjungsari/Surabaya. 404 Der Great
Rivers Industries-Streik - unter dem Suharto-Regime ein neuartiges Phänomen - war
ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass in der Opposition ähnlich wie zuvor beim
Widerstand gegen das Kedung-Ombo-Staudammprojekt klassen- und gruppenübergreifende
Bündnisse gebildet wurden. Wilson schreibt dazu:
"One important matter arising from the workers' action at GRI Ltd. was the involvement
of the PPBI independent workers' union and SMID students from the very first day of the
strike, until they were chosen by the workers as a component of the team negotiating with
the company." 405
399
Indonesien Information Aug. 1994, 21ff; YLBHI 1994, 231ff.
400
Noch Anfang 1998 wurde ein Theaterstück von Ratna Sarumpaet vom Militär verboten, weil es die
Geschichte von Marsinah zeigte.
401
Pusat Perjuangan Buruh Indonesia.
402
Solidaritas Mahasiswa Indonesia untuk Demokrasi.
403
Wilson 1995.
404
YLBHI 1997, 125 und 118ff.
405
Wilson 1995, 31.

Arbeiter und Gewerkschaften
Es war die Hauptstrategie der PRD, eine Demokratisierung durch eine Mobilisierung
des arus bawah zu erreichen, während die meisten anderen prodemokratischen
Organisationen eine kontrollierte Reform "von oben" anstrebten.
Nach dem "Sabtu Kelabu" am 27.7. 1996 ging die Regierung mit aller Härte auch
gegen die unabhängigen Gewerkschaften vor. Sie ließ mehrere Gewerkschafter,
unter ihnen Muchtar Pakpahan und die PPBI-Vorsitzende Dita Indah Sari, unter dem
unbegründeten Verdacht festnehmen, subversiv tätig gewesen und für die Ausschreitungen
mitverantwortlich zu sein. Durch diese Maßnahmen wurde der Aktionsspielraum
sämtlicher oppositionellen Gruppen erheblich eingeschränkt. Der SBSI und
vor allem die PRD mit ihrem onderbouw waren fortan als illegale Vereinigungen
mit vermeintlich PKI-ähnlichen Programmen und Organisationsstrukturen kaum
noch aktionsfähig.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Bis zum Mai 1998 existierten die unabhängigen Gewerkschaften weitgehend in der
Illegalität. Die Arbeiter selbst dürften ein Bewusstsein von Ausbeutung und Repressivität
gehabt haben, aber eine elaborierte Strategie des Kampfes für eine Demokratisierung
- oder gar eine Klassenkampfstrategie - hatten sie nicht. Insgesamt waren
die Arbeiter so wenig organisiert, dass man mit Lambert 406 eher von einem social
movement unionism sprechen sollte.
Auffällig war der weithin fehlende Diskurs über Arbeiter und ihre Rechte. In den
Tageszeitungen, in den politischen Magazinen und in der politologischen Fachliteratur
spielte dieser ganze Bereich eine untergeordnete Rolle. Der Demokratisierungsdiskurs
in Indonesien - und über Indonesien - drehte sich fast ausschließlich um die
konfliktfähigen Gruppen der Mittelklasse. Dabei sind Gewerkschaften häufig an
Transitionsprozessen beteiligt. 407
Bis jetzt aber ist die indonesische Arbeiterklasse noch "in the making" und politisch
kaum handlungsfähig. Ihre Schwäche ergibt sich nicht aus ihrem zu geringen Umfang,
sondern aus strukturellen Defiziten. Es gibt ein deutliches Überangebot an
billigen Arbeitskräften, was die Konfliktfähigkeit der Arbeiter wesentlich schwächt.
Selbst sehr schlecht bezahlte Fabrikarbeit ist für viele erstrebenswerter als eine Tätigkeit
im informellen Sektor oder in den Dörfern. In der exportorientierten Textil-
und Bekleidungsindustrie arbeiten viele junge, unverheiratete Frauen häufig nur
wenige Jahre, und viele Arbeiter/innen kehren zwischenzeitlich in ihre Heimatdörfer
zurück.
Trotz dieser die Schlagkraft schwächenden Faktoren entwickelte sich seit Ende der
80er Jahre eine neue Arbeiterbewegung, die ein noch gemäßigtes, aber für die Regimekoalition
immer gefährlicher werdendes Konfliktpotenzial besaß. Mit ihrem
insgesamt sehr friedlichen und disziplinierten Widerstand fanden die Arbeiter in der
prodemokratischen Bewegung breiten Rückhalt und wurden von den radikaleren
406
Lambert 1993, 37.
407
Rueschemeyer/Stephens/Stephens (1992, 59) z.B. rücken die Arbeiterklasse ins Zentrum ihrer Demokratisierungsanalysen.
421

422
Oppositionelle Gruppen
Studenten und NGO-Aktivisten unterstützt. Alles in allem hatten sie aber einen nur
indirekten Einfluss auf den politischen Wandel in den 90er Jahren.
4.7 Landarbeiter und Bauern
Das javanische Dorf war lange eine weitgehend autonome politische und ökonomische
Einheit mit geringer sozialer Differenzierung. Aber schon im 14. Jahrhundert -
im Majapahit-Reich - war diese Autonomie weitgehend zerstört. Im 17. und 18.
Jahrhundert wurde es üblich, die Wahl des Dorfoberhauptes durch den von oben
ernannten Distriktchef bestätigen zu lassen. 408 Durch das Zwangsanbausystem und
die folgende allgemeine "Liberalisierung" wurden die Dörfer noch stärker von der
zentralen Verwaltung kontrolliert.
Anders als es Vorstellungen von "shared poverty" (Geertz) und von gotong royong
nahe legen, gab es bereits seit Jahrhunderten beträchtliche soziale Unterschiede. Erst
in der Gelenkten Demokratie wurde eine - allerdings moderate - Bodenreform beschlossen.
Unter anderem wegen dieses Reformwerks verschärften sich Anfang der
60er Jahre die uralten Konflikte zwischen den meist landlosen oder kleinbäuerlichen
abangan und den häufig wohlhabenderen santri. So kam es zu den "einseitigen,
eigenmächtigen Aktionen" von PKI-nahen Gruppen, die durch Landbesetzungen die
Durchführung der Bodenreform beschleunigen wollten. Bei diesen Auseinandersetzungen
kündigten sich die Massaker von 1965/66 bereits an.
In der Neuen Ordnung wurde die Bodenreform auf Eis gelegt. 409 Stattdessen versuchte
die Regierung, die Landwirtschaft durch den Einsatz neuer Anbautechniken
zu modernisieren, um insgesamt den Wohlstand in den Dörfern zu erhöhen. Die
Dörfer sollten als Reiskammern die Städte versorgen, und zu diesem Zweck kooptierte
man lokale Eliten. Zur Beherrschung der Bauernbevölkerung dienten die -
bereits beschriebene - Präsenz des Militärs, der Regierungspartei mit ihren zahlreichen
Organisationen und des staatlichen Verwaltungsapparates sowie die floating
mass-Politik, die Errichtung staatlicher, von Beamten beherrschter korporatistischer
Organisationen (wie dem staatlichen Bauernverband HKTI) und von Dorfgenossenschaften
(KUD). 410
Anmerkungen zur Entwicklung der Landwirtschaft in der Neuen Ordnung
Die Neue Ordnung legitimierte sich vorrangig durch eine stetige wirtschaftliche
Entwicklung. Vor allem in den Dörfern wurde dieses pembangunan-Ziel nicht verfehlt.
Hüsken beschreibt den ökonomischen Wandel in einem mitteljavanischen
Dorf eindrucksvoll. Es entwickelte sich
408 Maurer 1994, 99.
409 Vgl. zu diesem Komplex: Fauzi 1997, 79ff.
410 Young 1990, 150ff.

Landarbeiter und Bauern
"[...] a new type of entrepreneurship combining commercial rice-farming with investments
in intermediary trade, in local handicrafts and industry, in transportation and in
sugar cultivation. [...] they (die Dorfelite, A.U.) had become part of a supra-village network
of district officials and Javanese and Chinese traders covering a far wider area. In
the late 1970s, the sudden increase in the number of cars, trucks, minibuses and television
sets in the villages was a good indicator of the rapid change in living standards among the
village elites.
Ten years later, my first impressions of Gondosari were of shock and astonishment.
Houses along the main road in the village had acquired a nearly urban style. The rich had
converted their partly-brick, partly-wooden structures into modern-type bungalows, in
some cases furnished with stained-glass windows, neo-Corinthian columns, parabolic antennae
for satellite television, meticulous lawns, and even fashionable bird cages.
[...] Some had found work in the new cigarette or textile factories in the district; others
had moved temporarily to the cities. Even the landless, the largest category in the village,
were better off now as employment opportunities in the region had increased." 411
Insgesamt ist wenig darüber geschrieben worden, wie die mit der Industrialisierung
und Monetarisierung der indonesischen Ökonomie verbundenen Prozesse, also die
Urbanisierung, die soziale Mobilisierung, die Ausbreitung von Massenmedien,
Werbung und Konsumismus, die Bildungsexpansion etc. nicht nur die Sozialstruktur,
sondern auch Wahrnehmungs- und Verhaltensschemata sowie politische Haltungen
verändert haben.
Heute sind viele Dörfer (abgesehen von einigen Außeninseln) so gut mit Verkehrsmitteln
und Kommunikationsmedien ausgestattet, dass politologische Analysen
mehr und mehr auf die früher notwendige explizite Unterscheidung zwischen Stadt
und Land verzichten können. Nach Young ist diese Trennung inzwischen sogar
weitgehend obsolet geworden. Heute gibt es "[...] shared understandings about the
nature of modernity, the type of society modern Indonesia is becoming, and the
personal qualities of individuals who participate in this emerging society." 412
Die indonesische Gesellschaft ist heute nicht mehr überwiegend agrarisch geprägt,
und die sozioökonomische Modernisierung hat die sozialen Beziehungen auf eine
neue Basis gestellt:
"Many village leaders have removed, even isolated, themselves from the affairs of ordinary
people. Upward aspiring villagers look down on the lives of common people, in order
to set themselves apart. [...] Village officials care less about their reputation, and they
fraternise only with their peers." 413
Und:
"To accommodate the demands of the New Order, the village elite has cut off much of its
customary patronage to the subordinate classes. [...] The poor have little but their labour
and the force of tradition. And as long as economic development and national security
411 Hüsken 1994, 127.
412 Young 1994, 250.
413 Antlöv 1994, 83.
423

424
Oppositionelle Gruppen
remain the only two items on the political agenda, tradition is worth little but sympathy."
414
Das "moderne" Mittelklasse-Stadtleben, eine universitäre Ausbildung, westliche
Kultur und Lebensart: Das bestimmt heute zunehmend die Wunschvorstellungen
vieler Indonesier auch in den Dörfern. Auch die Jugendlichen aus Familien von
Landlosen und Kleinstbauern müssen notgedrungen über eine zumindest temporäre
Migration in die Städte nachdenken, die Kinder aus wohlhabenden Familien streben
in die städtischen Bildungseinrichtungen, pflegen überregionale Kontakte und bemühen
sich, Anschluss an das urbane Mittelklasseleben zu finden. 415
Neben Tendenzen der sozialen Schließung und der Ablösung von Patron-Klient-
Beziehungen durch Klassenbeziehungen hat die Modernisierung der Landwirtschaft
aber auch zu einer allgemeinen Steigerung des Wohlstands geführt. So ist die Zahl
derer, die unterhalb der offiziell festgesetzten Armutsgrenze lebten, bis zur Asienkrise
beständig gefallen. Obwohl 1997 nur noch 44% der Beschäftigten in der
Landwirtschaft tätig waren, waren die offiziellen Arbeitslosenquoten bis dahin nicht
gestiegen, da viele Dorfbewohner entweder in neue Beschäftigungsbereiche in ihren
Dörfern vorstießen (Transport, Handel etc.) oder in den städtischen informellen oder
formellen Sektor (dort etwa als Fabrikarbeiter) abwanderten. 416
Mitte der 80er Jahre war es der indonesischen Regierung sogar gelungen, die Reisselbstversorgung
der Nation sicherzustellen, und anders als viele Kritiker der "Grünen
Revolution" noch bis weit in die 70er Jahre behaupteten, spricht vieles dafür,
dass die Produktionssteigerungen in der Landwirtschaft nicht nur den wohlhabenden
Bauern geholfen haben, sondern dass auch die Mittel- und Kleinbauern von der
Einführung neuer Reissorten, von Düngemitteln und Pestiziden profitiert haben. 417
Zumindest lassen die in Abschnitt 3.4 aufgeführten Statistiken über die Verteilung
des Landbesitzes nicht erkennen, dass die Besitzkonzentration in nennenswertem
Umfang zugenommen hat. Trotzdem hatte der übergroße Teil der Dorfbevölkerung
schon vor der Asienkrise immer noch Schwierigkeiten, seinen Lebensunterhalt zu
bestreiten und lebte ständig in der Sorge, Einkommensquellen zu verlieren.
In Indonesien ist es wegen der ethnischen, regionalen, kulturellen und ökonomischen
Unterschiede außergewöhnlich schwierig, allgemein gültige Urteile über die
soziale Lage der Bauern zu fällen. Selbst in Java sind die Anbau- und Vermarktungsbedingungen,
die Möglichkeiten zur Erwirtschaftung von Zusatzeinkommen
aus nichtlandwirtschaftlicher Arbeit, die Ausstattung mit einfachen Maschinen, die
414 Antlöv 1994, 84.
415 Der Gegensatz halus-kasar ("verfeinert"-"grob") wurde zunehmend abgelöst von dem Gegensatz
moderen-kolot ("modern"-"altmodisch"). Wirtschaftlicher Misserfolg wurde immer mehr als selbstverschuldet
wahrgenommen. In den Dörfern hatte sich auch der Lebensstil vieler Familien "modernisiert",
und die Angehörigen verschiedener Klassen, die früher in traditionellen Institutionen miteinander verkehrten,
gingen sich aus dem Weg (Prodolliet 1996).
416 Vgl. dazu: Cederroth 1994, 105ff. Evers merkt dazu an: "A fairly stable and locally bound class of
landless agricultural labourers has emerged, who find waged agricultural employment with a limited
number of farmers or farm operators (tenants). Most of the rural wage labourers are, however, employed
in the non-farm sectors of trade, transport and rural industries", Evers 1994, 263.
417 Vgl. zuletzt: Cederroth 1994, 42f.

Landarbeiter und Bauern
Bedeutung städtischer Grundbesitzer, die durchschnittliche Bodenverteilung etc. von
Dorf zu Dorf sehr unterschiedlich. 418 Dennoch lässt sich die Entwicklung der Landwirtschaft
in der Neuen Ordnung stichwortartig folgendermaßen zusammenfassen: 419
- Insgesamt wurde die landwirtschaftliche Produktion wesentlich modernisiert: Auf
den Reisfeldern wurden Anfang der 90er Jahre jährlich durchschnittlich 6-7 Tonnen
Reis pro Hektar (vor der Grünen Revolution etwa 2,5 Tonnen) bei einem durchschnittlichen
Arbeitsaufwand von 800 h pro Hektar (1970 ca. 1.300 h) geerntet; die
Produktivität erhöhte sich durch die Einführung von Maschinen (kleine Traktoren,
Geräte zum Dreschen und Mahlen), durch die Maßnahmen im Zuge der Grünen
Revolution und durch neue Erntemethoden. 420
- Die Landwirtschaft wurde sehr stark kommerzialisiert; auch der Boden wurde in
zunehmendem Maße als Ware aufgefasst.
- Im Verlaufe dieser wirtschaftlichen Modernisierung kam es durch die Orientierung
am Lebensstil der städtischen Mittelklasse, durch verbesserte Migrationsmöglichkeiten
und die Entstehung von Arbeitsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft zu
einer "Urbanisierung der Dörfer".
- Obwohl die Bodenkonzentration leicht zunahm, ging es den Landlosen und den
Klein- und Kleinstbauern im Durchschnitt besser als zu Beginn der Neuen Ordnung.
- Von Armut waren - bis zur Asienkrise - prozentual weit weniger Dorfbewohner
betroffen als in den Jahrzehnten zuvor.
- Trotzdem waren die Löhne für Landarbeiter häufig sehr niedrig, was die Attraktivität
der Städte vor allem für junge Indonesier wesentlich erhöhte.
Die Modernisierung der Landwirtschaft, die soziostrukturellen Veränderungen und
die Wandlungen im Dorfleben waren mit einer bemerkenswerten Depolitisierung
verbunden. Es gab jedoch Widerstandsformen, die gerade eine Folge der Urbanisierung
und Kapitalisierung waren.
Landkonflikte
Bäuerlicher Widerstand hat eine lange Tradition in Java. Schon in den javanischen
Königreichen hatten die Bauern die Möglichkeit, ihre Dörfer zu verlassen und in ein
anderes Gebiet zu ziehen, wenn die Abgabenlast zu hoch war. Auch gab es die Institution
des Sitzstreiks vor dem kraton, mit dem der König veranlasst werden sollte,
die Beschwerden der Bauern anzuhören. Im 19. Jahrhundert entstanden einige mächtige
Bauernbewegungen, oft messianistischer Art, bei denen der ratu adil-Gedanke
418 Vgl. dazu: Collier et al. 1996.
419 Collier et al. 1996, xvff, Hill 1996 Kap. 7.
420 Antlöv 1995, 75. Früher war es selbstverständlich, dass Arbeitswillige an der Ernte teilnehmen konnten.
Durch den Einsatz von Sicheln anstelle eines kleinen Reismessers (ani-ani) und von neuen Werkzeugen
oder Maschinen zum Jäten, Enthülsen und Dreschen ist der Bedarf an - insbesondere weiblicher -
Arbeitskraft gesunken. Die Kapitalisierung der Produktion förderte also eine Neugestaltung der Arbeitsbeziehungen.
Beim tebasan z.B. wird der noch nicht abgeerntete Reis an Personen verkauft, die ein
eigenes Team von Lohnarbeitern beschäftigen. So müssen nicht mehr, der Tradition gemäß, Dorfbewohner
engagiert werden.
425

426
Oppositionelle Gruppen
der Ankunft eines "gerechten Königs" eine wichtige Rolle spielte. Solche Traditionen
sind bis heute nicht vollkommen verschwunden und legitimierten z.T. die Proteste
der Bauern im Kedung-Ombo-Gebiet. 421
Die Landarbeiter und Kleinbauern hatten nach 1965 keine Möglichkeit mehr, sich
politisch zu organisieren. Es gelang der Regimekoalition, die Bauernbevölkerung
mit einem Netzwerk von staatlich geschaffenen Organisationen zu kontrollieren und
zu depolitisieren. Die Bauern galten als massa mengambang (floating mass). Sie
durften zwar an den nationalen Wahlen teilnehmen, aber sie sollten nicht in parteipolitische
Streitigkeiten verwickelt werden. Gemäß den organizistischen Konzepten
der Neuen Ordnung sollten die Dorfbewohner in ihren Dörfern wie in einer großen
Familie zusammenleben.
Und tatsächlich ist es nicht zu den intensiven Konflikten zwischen Groß- und Mittelbauern
auf der einen Seite sowie Kleinbauern und Landlosen auf der anderen
Seite wie in den 50er und vor allem frühen 60er Jahren gekommen. Interessanterweise
traten aber seit etwa Ende der 80er Jahre relativ neuartige Konfliktformen auf.
Dabei kämpften nicht mehr die dörflichen Eliten gegen die arme oder wirtschaftlich
kaum abgesicherte Dorfbevölkerung, sondern städtische Eliten, die Land für verschiedene
Industrie- und Freizeitprojekte benötigten, setzten sich mit der gesamten
Dorfbevölkerung auseinander. Allein in Java gingen Anfang der 90er Jahre pro Jahr
55.000 ha landwirtschaftlich genutzter Fläche verloren. 422 Es waren zwar prozentual
nur wenige Bauern in ganz Indonesien von solchen Projekten betroffen. Aber Hunderte
solcher Konflikte führten insgesamt zu einer Politisierung eines Teils der
Dorfbevölkerung und zu Aktionsbündnissen dieser Bauern mit Studenten und
NGOs. 423
Da es in Indonesien wegen der hohen Bevölkerungsdichte einen Mangel an unbebauten
Ländereien gab, bestand spätestens seit der beschleunigten Industrialisierung
seit Mitte der 80er Jahre eine Nachfrage, die das Angebot bei weitem überstieg. Wie
zahlreich die Konflikte zwischen Klein- und Kleinstbauern einerseits sowie Industriellen,
Immobilienhändlern, Bürokraten und Militärs andererseits waren, zeigt sich
schon daran, dass die meisten der von KomnasHAM bearbeiteten Fälle mit solchen
Landstreitigkeiten zu tun hatten. 424 Die Landkonflikte entzündeten sich an der Frage,
ob Investoren im nationalen Interesse - mit Unterstützung des Staates - Ländereien
für sich beanspruchen durften, und, wenn ja, welche Entschädigungen den Bauern
zu zahlen waren. 425 Bachriadi 426 unterscheidet in diesem Zusammenhang sechs Arten
von Landkonflikten, nämlich:
421
Vgl. Stanley 1994, 317ff.
422
Hardjono 1991, 5f.
423
Zahllose dieser Konflikte sind sehr ausführlich geschildert in: YLBHI 1997a, 139-227; Bachriadi/Faryadi/Setiawan
1997.
424
Vgl. Forum Keadilan 29.12. 1997, 25. Von Januar bis Juni 1997 bezogen sich 143 der 450 Fälle auf
diese Problematik.
425 Inside Indonesia Jan.-März 1997, 29f.
426 Bachriadi 1997, 71ff.

Landarbeiter und Bauern
- solche, die auf die Ausbeutung von Bodenschätzen durch große Bergbauunternehmen
zurückgeführt werden konnten (die Konflikte von PT Freeport Indonesia mit
den im Anbaugebiet ansässigen Ethnien waren ein Beispiel dafür),
- solche wegen der Produktion von Nutzhölzern sowie der Errichtung von Plantagen
für die Produktion von Palmöl, Zuckerrohr, Tabak, Tee etc.,
- solche aufgrund der Vertreibung von Bauern für den Tourismus, die Erschließung
von Industrie- oder Wohngebieten, den Bau von Golfplätzen etc.,
- solche im Zusammenhang mit dem Bau von Staudämmen (z.B. Kedung Ombo und
Nipah),
- solche bei der Errichtung von Nationalparks und
- solche bei der Durchsetzung der neuen Reisanbaumethoden im Zuge der "Grünen
Revolution".
Fallbeispiele: Lampung, Sampang und Kedung Ombo
Zwei der meistbeachteten Fällen der letzten Jahre waren die Ereignisse in Lampung
(1989) und in Sampang (1993). Im Februar 1989 kam es in der südsumatraischen
Provinz Lampung zu einem blutigen Zusammenstoß zwischen dem Militär und der
Jamaah-Gruppe von 250 islamischen Extremisten um Warsidi. Die Gruppenmitglieder
nannten sich selbst "heilige Krieger" (Mujahidin fi sabili'llah) und bildeten sich
paramilitärisch aus. 427 Als die Warsidi-Gruppe von einem Militärtrupp bedrängt
wurde, erschoss ein Gruppenmitglied einen vorher als Geisel genommenen Kopassus-Hauptmann.
428 Das Militär reagierte mit Vergeltungsmaßnahmen. Bei dem Massaker
wurden nach Regierungsangaben 27, nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen
aber über 200 Menschen erschossen. Während ABRI das Massaker als
Reaktion auf eine Form islamischen Extremismus darstellte, sahen viele Oppositionelle
die Ursachen eher in einem schon bis in den Anfang der 80er Jahre zurückreichenden
Landkonflikt, der zu einer Politisierung und Radikalisierung der Muslime
geführt hatte. Allein 1983/84 waren 40.000 Menschen gezwungen worden, die Region
zu verlassen.
Während sich in diesem Fall ökonomische und religiöse Motive in kaum noch nachvollziehbarer
Form überlagerten, waren die Vorgänge in Sampang auf der Insel
Madura eher zu klären: 429
Am 25. September 1993 schossen Sicherheitskräfte auf 500 friedliche Demonstranten,
die gegen den Bau des Nipah-Staudammes und die damit verbundene Landenteignung
protestierten. Dabei wurden vier Menschen erschossen. 430 Der Vorfall führte
zu einer Welle von Demonstrationen, bei denen u.a. die Einsetzung einer unabhängigen
Untersuchungskommission verlangt wurde. Außerdem sandten 40 kiai einen
mehrseitigen Brief an Suharto, in dem sie ihre tiefe Unzufriedenheit mit dem "Si-
427 Van Bruinessen 1996, 27.
428 Inside Indonesia April 1989, 20f.
429 Human Rights Watch 1994.
430 Die demonstrierenden Bauern waren auf eine Gruppe von Regierungssachverständigen zugegangen.
Der Bupati von Sampang und Sicherheitskräfte hatten schon lange vorher Warnungen ausgesprochen.
Feisal Tanjung kritisierte das Vorgehen und versetzte vier Offiziere.
427

428
Oppositionelle Gruppen
cherheitsansatz" der Regierung ausdrückten. Der charismatische, eher traditionalistisch
orientierte kiai Alawy Muhammad kritisierte die Regierungspolitik in aller
Schärfe und wurde zu einem Symbol eines "bodenständigen", durch den Islam legitimierten
Widerstandes.
In beiden Fällen standen die Bauern einem übermächtigen Staatsapparat gegenüber.
Sie wandten keine durchdachten politischen Strategien an und waren nicht an umfassenden
politischen Programmen orientiert. Ähnlich war es auch im Konflikt um
den Kedung-Ombo-Staudamm. Allerdings bildeten sich hier Allianzen mit Mittelklasseaktivisten.
Bei dem Projekt ging es um den Bau eines Staudammes in Mitteljava. 431 Die Auseinandersetzungen
um diesen Bau sind besonders aufschlussreich, weil in ihnen verschiedene
Gruppen - die betroffenen Dorfbewohner, Studenten und NGOs - involviert
waren, und weil sich neuartige Koalitionen bildeten. Außerdem ist der langjährige
Konflikt interessant, weil mit der Weltbank eine internationale Organisation
beteiligt war. Zwar wurden schon mehrere Staudämme in Indonesien seit den 50er
Jahren gebaut, aber erst dieser Bau führte zu jahrelangen Massenprotesten.
Bei dem Projekt wurden über 60 km² des Areals geflutet. Davon waren 37 Dörfer
mit zusammen über 30.000 Einwohnern betroffen. Das Ziel war es, ein Wasserkraftwerk
mit einer Kapazität von 22,5 MW zu errichten, die Versorgung mit
Trinkwasser in der Region zu verbessern und die Irrigation umliegenden Landes zu
ermöglichen. Die Kosten des Projektes von etwa 250 Mio. US$ wurden zu über 70%
durch ausländisches Kapital gedeckt, d.h. durch Kredite der japanischen EXIM-
Bank sowie solchen der Weltbank (allein 45%). Mit dem Bau des Staudammes und
den damit verbundenen Arbeiten war größtenteils ein japanisches Unternehmen
beauftragt. 432
Die Weltbank betrachtete das Entwicklungsprojekt als Teil einer Strategie der Modernisierung
der indonesischen Landwirtschaft und als Mittel zur Bereitstellung des
in Mitteljava dringend benötigten Stromes für neu entstehende Industrien. Ihre Mitarbeit
beschränkte sich jedoch auf die Kreditvergabe und die Beratung während der
Baumaßnahmen. Die sozialen und ökologischen Folgen blieben weithin unberücksichtigt.
1976 wurde die erste Durchführbarkeitsstudie erstellt. 1982 informierte man
die ersten Bauern über die zeitliche Planung und den Modus der Umsiedlung. In den
Jahren nach 1982 setzte ein jahrelanger Kampf gegen Behördenwillkür ein, in dem
es vor allem um die Registration des Landes und um Entschädigungszahlungen ging.
Da die meisten Parzellen nicht offiziell registriert waren, sondern - wie seit altersher
üblich - dem gehörten, der in den Augen der Dorfgemeinschaft und des kepala desa
der Eigentümer war, konnten die Behörden die bestehenden rechtlichen Unklarheiten
(gemessen an den Grundsätzen modernen Bodenrechtes) ausnutzen.
Eine der Hauptstrategien der Zentralregierung für eine möglichst effiziente Landenteignung
war die Abwälzung der Verantwortung auf niedere Verwaltungsstellen. Das
431
Hierzu u.a.: Sinaga 1994, Kap. 5; Stanley 1994; Eldridge 1995, 122ff; Aditjondro 1998; vgl. auch
Abschnitt 4.5.
432
Sinaga 1994, 150ff.

Landarbeiter und Bauern
war in diesem Fall die Provinz Mitteljava, die ihrerseits die Verantwortung an die
Dorfvorsteher weitergab. Diese hatten zusammen mit den zuständigen Polizisten
und Militärs die Aufgabe, für eine schnelle Registrierung der Parzellen und eine
möglichst niedrige Entschädigung zu sorgen. In den meisten Fällen wurden die
Bauern während des gesamten Prozesses über die Höhe der zu erwartenden Entschädigung
und/oder die Umsiedlungsmodalitäten im Unklaren gelassen. 433 Häufig
wandten die lokalen Machthaber direkt oder indirekt Druck an. Dazu gehörte die
Drohung, jene, die eine Unterschrift verweigerten, juristisch zu belangen. Außerdem
wurde den renitenten Bauern unterstellt, dass sie in einer nicht genau definierten
Verbindung zur PKI stünden. Im März 1989 verkündete Suharto z.B., dass er als
ehemaliger Kommandeur in dieser Region wisse, dass die in Frage kommenden
Gebiete früher Basen der PKI gewesen seien. 434 Einigen Bauern wurde sogar einzig
wegen ihres Widerstandes der Vermerk "ET" ("ehemaliger politischer Gefangener")
in ihre KTP-Kennkarte eingetragen.
Die ersten Bauarbeiten begannen im Oktober 1985 und sollten Anfang 1989 abgeschlossen
sein. Die meisten Bauern akzeptierten notgedrungen die Entschädigungszahlungen,
nahmen an der Transmigration nach Muko-Muko (Südsumatra) teil oder
ließen sich in andere, meist weniger fruchtbare Gebiete umsiedeln.
Die schon erwähnte "Solidaritätsgruppe für die Opfer der Entwicklung von Kedung
Ombo", KSKPKO 435 , das 1986 von den betroffenen Bauern um Rat gefragte Rechtshilfeinstitut
LBH, andere NGOs, Teile der Presse sowie einige hoch angesehene
Persönlichkeiten wie der Priester und Schriftsteller Mangunwijaya beteiligten sich
an verschiedenen Protesten. Einige unterstützten die Bauern auch nach der Flutung
des Areals durch Notprogramme. 436 Beim "Vorfall von Brüssel" (1989) wurde der
technokratische Ansatz der kreditgewährenden Weltbank von INGI kritisiert. Spätestens
diese Kritik machte das Kedung-Ombo-Projekt auch international bekannt.
1994 reihte sich der Kedung-Ombo-Fall in jene Gruppe von Verfahren ein, bei denen
der Oberste Gerichtshof - offensichtlich aus rein politischen Gründen - Entscheidungen
der untergeordneten Gerichte aufhob. In diesem Fall kassierte der
Mahkamah Agung sogar sein eigenes Urteil. Als nämlich entschieden wurde, den
Bauern eine Entschädigung von 2 Milliarden Rp. auszahlen zu lassen, erwirkte der
Gouverneur Mitteljavas eine nochmalige Prüfung. Das Gerichtsurteil wurde erst im
Juli 1994 zugestellt, obwohl es bereits ein Jahr zuvor gefällt worden war, noch dazu
von einem Richter, der zwei Tage danach regulär in den Ruhestand ging. Unter
Bezug auf eine erst während des ersten Prozesses erlassene und deshalb noch nicht
433 Nachdem schon viele Bauern Entschädigungen von 300-700 Rp./m² erhalten hatten, versprach der
Innenminister Entschädigungen von 3.000 Rp./m².
434 Stanley 1994, 147; Goodfellow.
435 Kelompok Solidaritas Korban Pembangunan Kedung Ombo. In anderen Städten gab es vergleichbare
Solidaritätsgruppen, so das "Komite Solidaritas untuk Rakyat Badega" in Bandung und das "Komite
Solidaritas untuk Rakyat Manggala" ("Kusuma") in Yogyakarta.
436 Sinaga (1994, 161ff) schreibt, dass das Denken und Alltagshandeln vieler Bauern von der javanischen
Mythologie und Religion bestimmt worden sei. Dazu habe etwa der Glaube an Zeichen und magische
Abhängigkeitsbeziehungen, an die Hilfe durch mythische Figuren in Krisenzeiten, an die Ankunft der
"gerechten Königin" (Ratuning Adil) etc. gehört.
429

430
Oppositionelle Gruppen
berücksichtigte Präsidialverordnung über Landenteignungen ohne Entschädigungszahlung
hob der Oberste Gerichtshof sein eigenes Urteil auf. 437 Der Fall zeigte die
Abhängigkeit der Justiz von der Machtelite und die Rechtlosigkeit der Bauern, die in
Problemfällen entschädigungslos enteignet werden konnten.
Die Regimekoalition wandte im beschriebenen Kedung-Ombo-Fall, aber auch in
vielen anderen Konflikten bewährte Methoden an: 438
- Die Bauern wurden mit verschiedenen Mitteln gezwungen, ihre Einwilligung zu
geben: So mussten viele - bedroht durch Militärs - mit ihrer Unterschrift der geringen
Entschädigung zustimmen.
- Sie wurden als "Kommunisten" oder "Ordnungsstörer" bezeichnet und mussten
deshalb mit schärfsten Sanktionen rechnen.
- In vielen Fällen ging ABRI dazu über, offen Gewalt anzuwenden.
- In einigen Fällen wurde die Bauernbevölkerung von der Außenwelt isoliert, indem
bestimmten Gruppen der Zugang zu den betreffenden Dörfern untersagt wurde.
- Häufig wurden zivile Schlägertrupps eingesetzt, um die Bauern zu vertreiben.
- Wenn es zu Gerichtsprozessen kam, waren diese besonders der Manipulation durch
Regierungsbehörden ausgesetzt.
- Unterstützende Oppositionsgruppen (NGOs, Studenten) wurden mit den üblichen
Methoden unter Druck gesetzt.
In einigen Fällen wurden Ländereien im "nationalen Interesse" verstaatlicht, aber
nach einiger Zeit privatisiert. 439
Die Bauern wandten ihrerseits verschiedene Widerstandsformen an 440 :
- Sie weigerten sich, ihr Land zu verlassen und harrten aus, bis die Bulldozer anrückten
oder ihnen im Wortsinne "das Wasser bis zum Hals stand".
- Im Cimacan-Fall (1987) führten die Bauern eine "aksi cangkul" durch, d.h., sie
bearbeiteten die für einen Golfplatz vorgesehene Fläche mit Hacken. Und im ostjavanischen
Jenggawah wurden 1995 Tabakspeicher in Brand gesetzt.
- Sie wandten sich mit Petitionen an lokale Behörden, an das Parlament in Jakarta
oder an eines der Parlamente in den Provinzen bzw. Distrikten. In einigen Fällen
führten sie sit-ins und sleep-ins durch.
- Sie suchten die Hilfe von NGOs und Studentengruppen. Außerdem baten sie
KomnasHAM um Unterstützung.
- In einigen Fällen drückten die Bauern ihren Widerstand durch die Unterstützung
der PPP bzw. der PDI aus. Einige Male ergaben sich so große Wahlverluste für
Golkar auf lokaler Ebene.
- Eines der letzten Mittel war i.d.R. ein Gerichtsprozess. In solchen Prozessen wurden
aber allenfalls kleine Teilerfolge erzielt.
437
Indonesien Information Nov. 1994, 47f und Jan. 1995, 43f.
438
Fauzi 1993, 88ff; Bachriadi 1997, 76ff.
439
So etwa in Nordsulawesi für die PT Naga Manis Plantation oder in Menamang (Ostkalimantan)
(YLBHI 1997, 199).
440
Bachriadi 1997, 81ff.

Landarbeiter und Bauern
Öffentlichkeitswirksam wurden all diese Aktionen aber erst durch die Kooperation
mit Studentengruppen, NGOs, religiösen Führern und Professionals (Künstler, Journalisten,
Dozenten etc.), die Informationen sammelten und verbreiteten, Verbindungen
in die Großstädte aufbauten, demonstrierten und - im Falle von LBH - die
Rechtsberatung durchführten sowie die gerichtliche Verteidigung übernahmen. Überraschenderweise
verzichteten die Bauern - wohl auch unter dem Einfluss der
genannten Gruppen - bei ihren Widerstandsaktionen auf die Anwendung von Gewalt
gegen Personen. 441
Die Bedeutung für die Demokratiebewegung
Insgesamt waren die Bauern nur sehr selten in der Lage, effektiv Widerstand gegen
die Enteignungen zu leisten. 442 Sie konnten auch zu keinem Zeitpunkt in der Neuen
Ordnung einen mächtigen Bauernverband, der nicht staatlicher Kontrolle unterlag,
errichten. Nur in Westjava gab es seit 1991 Versuche, ein Netzwerk von Gegenorganisationen
aufzubauen: Dazu gehörten mehrere NGOs sowie ein Bauernverband.
Die NGOs waren das Forschungsinstitut LPPP (Lembaga Penelitian dan Pengembangan
Pedesaan) 443 , LBH Bandung und Akatiga, der Bauernverband war SPJB
(Serikat Petani Jawa Barat) 444 . Daraus entstand 1994/95 das "Konsortium für die
Erneuerung der Landwirtschaft" (Konsorsium Pembaruan Agraria, KPA). 445 Zum
onderbouw der PRD gehörte ebenfalls eine Bauernorganisation (STN). Das außergewöhnlich
hohe Maß staatlicher Kontrolle in den Dörfern aber verhinderte bis
zuletzt den Aufbau konfliktfähiger bäuerlicher Gruppen, die auf regionaler oder
nationaler Ebene gemeinsam für Bodenreformen, gegen die Landenteignungen oder
für eine Demokratisierung hätten arbeiten können.
Ähnlich wie die Proteste der urban poor hatten die Landkonflikte einen allenfalls
schwachen Einfluss auf die Demokratiebewegung. Insgesamt blieb das Konfliktpotenzial
der Dorfbevölkerung bis zum Mai 1998 sehr gering.
441 Vgl. dazu die Abschnitte über NGOs und Studenten.
442 Das gilt für die Pächter und die Klein- und Mittelbauern genauso wie für die Großbauern, die - wie
beschrieben - nicht mit Großgrundbesitzern lateinamerikanischen Typs verwechselt werden sollten.
443 Institut für Dorferforschung und -entwicklung.
444 Bauernverband Westjava.
445 Faryadi 1997, 320.
431

432
4.8 Die urban poor und die Unruhen
Oppositionelle Gruppen
Einige Bemerkungen zu den urban poor und zum informellen Sektor
In Indonesien gab es bereits vor der Asienkrise eine sehr dünne Oberschicht, eine
noch recht schwache Mittelklasse und eine riesige Zahl von Personen - vielleicht 60-
70% der Bevölkerung -, die meist schlecht ausgebildet waren und die sich Tag für
Tag durchschlagen mussten, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Diese
nur mit Mühe als Unterklasse zu bezeichnende, äußerst heterogen zusammengesetzte
soziale Großgruppe bestand in den Dörfern überwiegend aus Landarbeitern und
Kleinbauern, in den Städten aus Schuhputzern, Zeitungs- und Zeitschriftenverkäufern,
Trödlern, Wächtern auf Parkplätzen, unterem Sicherheitspersonal, Garköchen,
einfachen Arbeitern in Fabriken und Manufakturen, Dienstpersonal, Kellnern,
Transport- und Bauarbeitern, Bettlern, Stadtstreichern, Prostituierten und Kriminellen.
Worsley fasst all diese Gruppierungen unter dem Begriff urban poor zusammen:
"The so-called marginals, then, are not a class apart; they are part of the working class [...]
'Urban poor' is therefore the most appropriate term to describe them - and the term 'marginal'
should be dropped [...] Since they are the endemic casual poor, it is as the poor,
rather than as members of the working class, that they are likely to see themselves. This is
not false consciousness; it is a realistic appraisal of their situation." 446
All diese Personen zählten in der offiziellen Rhetorik der Neuen Ordnung zur "floating
mass", d.h. zu den leicht manipulierbaren Volksmassen, die von den politischen
Kämpfen möglichst fern gehalten werden sollten. Tatsächlich waren diese urban
poor politisch nicht organisiert. Allenfalls populäre Oppositionspolitiker wie Amien
Rais oder Megawati konnten Teile dieser "floating mass" in den letzten Jahren mobilisieren
und ihren Unmut mehr oder weniger adäquat artikulieren. Die meisten von
ihnen blieben aber von der Politik selbst auf lokaler Ebene ausgeschlossen. Für sie
gilt in ähnlicher Weise, was Evers über die "self-employed" im informellen Sektor
sagt:
" [...] the informal sector consists primarily of so-called self-employed persons, i.e. of
workers who are not proletarians in the original European sense of the term, and who are
not subjugated under the direct authority of a landlord, an employer or a bureaucrat. Informal
sector traders have nothing to sell but their commodities (to paraphrase Marx's famous
dictum). They do not owe allegiance to anyone on economic grounds, and can
therefore be easily mobilised for short term political actions, such as demonstrations.
They are usually quite willing to sell anything to anybody, among other things also their
vote in a general election." 447
446 Worsley 1984, 206f.
447 Evers 1994, 268. Zum informellen Sektor zählen Klein- und Kleinstbetriebe, die arbeitsintensive
Technologien anwenden, nur mit sehr wenig Kapital ausgestattet sind und auf ungeschützten, meist leicht
zugänglichen und wettbewerbsintensiven Märkten konkurrieren müssen. Sie sind rechtlich weitgehend
ungesichert, oft von staatlicher Repression betroffen und zu informellen Zahlungen gezwungen (Cremer
1995, 144). Bis etwa 1980 stieg der Anteil der im informellen Sektor tätigen Arbeitskräfte stetig an: von

Die urban poor und die Unruhen
Diese Einschätzung sollte nicht dazu führen, die urban poor als gesichtslose Masse
darzustellen. In dem Magazin LINKS werden zu den urban poor das Lumpenproletariat,
Kleinhändler, kleine Angestellte, Fabrikarbeiter etc. gerechnet. Viele von ihnen
leben in den überfüllten kampung, in denen die Wasser- und Stromversorgung häufig
unzureichend und die Kriminalitätsrate hoch ist. Viele von ihnen haben nur eine
rudimentäre schulische und berufliche Ausbildung, was allerdings nicht die Entstehung
eines ausgeprägten Bewusstseins für soziale Ungerechtigkeiten verhindert:
"Many of them are members of the PDI and use the sense of urban kampung solidarity to
involve their neighbours in PDI actions. Many were supporters of the PPP during the May
elections. Gossip about government officials, their wealth, scandals and corruption, is
their daily staple. Many of these kampung poor have come to the same conclusion as the
students as to the source of their problems. [...] The urban poor are more aware of the contradictions
around them because in their daily lives the rich pass back and forth before
their very eyes. They experience all kinds of criminality, including the criminal actions of
the government and the violence and arrogance of the military in the form of extortion,
bribes and beatings. They live among people from all walks of life and have time to discuss
and debate things with their kampung friends. They also have greater access to different
kinds of reading materials, so their culture is more urban, more liberal-radical and
they are open to new ideas." 448
Noch ist weitgehend unklar, ob sich an den verschiedenen kerusuhan in erster Linie
Arbeiter (Industrie-, Transport- bzw. Bauarbeiter), Kleinstunternehmer aus dem
informellen Sektor, unteres Dienstpersonal oder Personengruppen, die häufig am
Rande oder jenseits der Legalität tätig sind, beteiligten. Am wahrscheinlichsten
scheint zu sein, dass sämtliche Gruppen vertreten waren. Die sie verbindenden
Merkmale sind ihre prekäre Lage und ihre Armut. 449
Unruhen als Formen eines diffusen Widerstandes
Zwischen kapitalstarken, von der Regimekoalition unterstützten Investoren und
Teilen der Bauernbevölkerung kam es vor allem seit Mitte der 80er Jahre zu heftigen
Konflikten um Land. Solche Konflikte traten nicht nur in den Dörfern, sondern
41,2% 1967 auf 70,0% (Evers 1994, 260). 1990 arbeiteten im informellen Sektor 71,4%, danach ging
dieser Anteil wieder zurück auf 64,8% der Beschäftigten im Jahre 1996. In diesem Bereich können z.T.
recht gute Einnahmen erwirtschaftet werden. Die becak-Fahrer in Jakarta Ende der 80er Jahre z.B. waren
zwar mehrheitlich unterdurchschnittlich ausgebildet, erzielten aber höhere Einnahmen bzw. Löhne als
Arbeitskräfte in der Landwirtschaft oder wenig qualifizierte Industriearbeiter. Auch Müllsammler und
Straßenhändler "erhalten Einkünfte, die durchaus mit denen der rangniedrigeren Beschäftigten im öffentlichen
Dienst oder nichtqualifizierter Arbeitskräfte in Mittel- und Großbetrieben vergleichbar sind oder
darüber liegen. [...] Der 'informelle' Sektor ist nicht per se der Sektor 'of the last resort' [...]", Cremer
1995, 151. Anders verhält es sich jedoch mit Tätigkeiten, die eine nur minimale Kapitalausstattung und
keine Ausbildung verlangen, wie der Verkauf von Zeitungen. Hier liegen die Löhne i.d.R. unterhalb des
Durchschnittes selbst der unteren Lohngruppe.
448 Zitiert nach: Lane 1999, 247f.
449 Schon 1974 bei den Malari-Unruhen waren in einer Gruppe von 472 Festgenommenen nach offiziellen,
wenig differenzierten Angaben u.a. 250 Arbeiter, 14 Studenten, 83 Schüler, 2 becak-Fahrer und 26
Plünderer. Mit "Arbeitern" werden wohl auch Beschäftigte des informellen Sektors gemeint sein (Bresnan
1993, 137).
433

434
Oppositionelle Gruppen
mindestens ebenso häufig in den Städten auf. 450 Noch heute wohnen selbst in Jakarta
nahe der Hauptverkehrsstraße, der Jalan Thamrin, in den kampung Indonesier, die
sich tagsüber im informellen Sektor oder in den Fabriken durchschlagen.
In Tanah Merah, im Norden Jakartas, kam es 1992/93 zu langwierigen Auseinandersetzungen
von über 1.100 Familien, die eine Fläche von 45 ha in drei Subdistrikten
bewohnten, mit der staatlichen Erdölgesellschaft Pertamina. 451 Pertamina machte
Ansprüche auf das Gebiet geltend und wollte es räumen lassen. Die Familien gingen
jedoch vor Gericht, um zumindest eine angemessene Entschädigung zu bekommen.
Wie in vielen anderen Fällen behauptete Pertamina, dass es sich bei den Familien
um illegale Siedler handele, die keinen rechtmäßigen Besitztitel vorweisen könnten.
Im Verlaufe des Konfliktes suchten die Anwohner das Parlament mehrere Dutzend
Mal auf, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Im November 1992 erhielten die
Bewohner von Tanah Merah überraschend eine geringe Entschädigung durch einen
Urteilsspruch des Distriktgerichtes. Die Entscheidung wurde aber von Pertamina
ignoriert, und die Bürokratie setzte weiterhin legale sowie illegale Sicherheitskräfte
ein: Diese Schlägertrupps terrorisierten die Bevölkerung, indem sie z.B. Behausungen
in Brand steckten oder Brunnen verunreinigten. Außerdem wurde ein muslimischer
Führer wegen angeblicher Aufwiegelung zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt.
Wie fast ausnahmslos in derartigen Fällen, hatten die kampung-Bewohner keine
Möglichkeit, gegen die staatliche Übermacht eigene Machtressourcen effektiv einzusetzen.
Während sie sich in diesem Fall immerhin zu gemeinsamen Aktionen
zusammenschließen konnten, weil sie ein gemeinsames, eng umgrenztes Interesse
hatten, war normalerweise eine Mobilisierung für überlokale Belange kaum möglich.
Die verarmte, rechtlose Stadtbevölkerung war gegenüber den Polizisten, Militärs,
Bürokraten und Gangstern weitgehend machtlos.
Dass sich angesichts dieser ausweglosen Lage erst in den 90er Jahren Unruhen deutlich
häuften, ist auf den wachsenden Abstand zwischen Arm und Reich zurückzuführen.
Auch wenn das indonesische Statistikamt i.d.R. Erfolgsmeldungen etwa über
sinkende Armutsziffern verkündete, finden sich an einigen entlegenen Stellen Hinweise
auf die sich auseinander bewegende Einkommensschere. 452 Danach wuchs die
Einkommenslücke zwischen Landarbeitern und "higher level urban households" von
1985 (247.000 Rp. zu 907.000 Rp.) bis 1993 auf 502.000 Rp. zu 3,1 Mio. Rp.
Es ist zu vermuten, dass die Einkommens- und Vermögensunterschiede gewachsen
sind, auch wenn Gini-Indizes mitunter eine andere Interpretation nahe legen. Zumindest
ist bei Teilen der Bevölkerung ein Gefühl des Verlorenseins und der sozialen
Deklassierung gewachsen. In einer solchen Lage gehen die urban poor auf die
450 Die Urbanisierung ist in Indonesien sehr schnell vorangeschritten. 1971 lebten 17,3% der 119 Mio.
Indonesier in Städten, 1995 waren es 36,1% der über 195 Mio. Einwohner.
451 Vgl. Lucas 1997, 243ff.
452 BPS 1997c, 538.

Die urban poor und die Unruhen
Schaubild 4-1: Unruhen in Indonesien (1995-1998)
Datum Vorfall Auslöser
1.1.
1995
11.6.
1995
8.-10.9.
1995
31.10.-
2.11.
1995
24.11.
1995
12.3.
1996
3./4.7.
1996
27.7.
1996
10.10.
1996
24.12.
1996
26.12.
1996
Baucau, Ost-Timor: Hunderte Ost-Timoresen brennen zwei
Märkte nieder; fünf Demonstranten werden angeschossen;
Hunderte Immigranten müssen fliehen.
Larantuka, Flores: 1.500 Katholiken demonstrieren; drei
Padang-Restaurants verbrennen; 19 Läden und ein Wohnhaus
werden zerstört; ein Hostienschänder wird ermordet.
In einigen Orten in Ost-Timor kommt es zu Unruhen; in Dili
wird ein Markt mit 200 Kiosken in Brand gesetzt; eine Moschee
und ein Waisenhaus werden zerstört; vier Waisen
werden verletzt, 35 müssen fliehen.
In Purwakarta (Westjava) werden drei Tage lang Läden mit
Steinen beworfen.
Einige Hundert Muslime in Pekalongan zerstören 75 Läden
und mehrere Autos von nonpribumi.
3.000 Einwohner von Timika (Irian Jaya) attackieren die
Goldmine von PT Freeport Indonesia; mehrere Freeport-
Gebäude werden zerstört; zwei Protestierende sterben; ein
Freeport-Mitarbeiter wird verletzt.
Etwa 1.000 Bewohner von Nabire (Irian Jaya), die sich
vergeblich um einen Posten in der Verwaltung bemühen,
setzen einige Verwaltungsgebäude in Brand und zerstören
mehrere Läden; drei Soldaten werden schwer verletzt.
Sabtu Kelabu in Jakarta: Überfall von Sicherheitsapparat
und gedungenen Kriminellen auf das PDI-Gebäude, anschließend
Unruhen in Jakarta; Gebäude und Autos werden
zerstört; mind. fünf Tote und 149 Verletzte.
In Situbondo (Ostjava) kommt es zu Ausschreitungen; mehrere
Tausend Menschen sind beteiligt; 24 Kirchen, ein Gerichtsgebäude,
einige Schulen und Waisenhäuser werden
niedergebrannt; 5 Menschen, die sich in einer Kirche aufhalten,
sterben.
In Dili (Ost-Timor) kommt es bei einer Demonstration von
30.000 Timoresen anlässlich der Rückkehr des neuen Friedensnobelpreisträgers
Bischof Belo aus Norwegen zu Gewalttätigkeiten;
11 Soldaten und vier Zivilisten werden verletzt;
ein Hauptgefreiter (Alfredo Siega dos Santos) wird
getötet.
Einige Tausend Bewohner von Tasikmalaya (Westjava)
gehen auf die Straße; 83 Läden werden zerstört, einige davon
verbrannt; über 100 Autos beschädigt oder ausgebrannt; 4
Fabriken und vier Kirchen verbrannt; drei Menschen getötet.
Ein Ost-Timorese soll von
einem Immigranten getötet
worden sein.
Die Hostie war geschändet
worden.
435
Ein muslimischer Gefängniswärter
soll Christen beleidigt
haben.
Eine Schülerin musste nach
einem Diebstahl mit dem
jilbab den Boden eines Supermarktes
reinigen.
Ein geistesgestörter Sinoindonesier
soll den Koran zerrissen
haben.
Gerücht, dass ein Einheimischer
von einem Freeport-
Wagen überfahren worden
sei.
Die Einheimischen sollen bei
der Besetzung von Verwaltungsposten
benachteiligt
worden sein.
Kein unmittelbarer Auslöser;
das "Freie Podium" der Megawati-PDI
in der Jalan Diponegoro
sollte aufgelöst, der
Parteiflügel zerschlagen werden.
Die Strafforderung eines
Staatsanwaltes für den Moscheeangestellten
Saleh, der
einen kiai beleidigt haben
soll, wird als zu niedrig erachtet.
Alfredo Siega dos Santos soll
die Demonstranten ausspioniert
haben.
Ein ustad und zwei santri
waren von der Polizei misshandelt
worden.

436
28.1.
1997
30.1.
1997
23.5.
1997
15.9.-
17.9.
1997
12./13.
5. 1998
Straßenhändler in Zentral-Jakarta (Tanah Abang) setzen ein
Verwaltungsgebäude und einige Autos in Brand.
Rengasdengklok: Es werden 77 Häuser, 73 Geschäfte, 4
Kirchen, 2 Tempel, 4 Fabrikgebäude, 26 Fahrzeuge, 2 Privatbanken,
eine Schule und ein Kino beschädigt oder vollkommen
zerstört. 126 Personen werden festgenommen und
55 von ihnen verurteilt.
Banjarmasin: Es kommen mindestens 121 Menschen (vielleicht
mind. 179) bei einem Brand in einem Einkaufszentrum
um, mindestens 118 werden verletzt; 36 Kfz, 5 Supermärkte,
11 Kirchen, mehrere Tempel, 144 Geschäfte, 151 Wohnhäuser,
2 Hotels, 5 Banken u.a. werden beschädigt oder zerstört.
Ujung Pandang (Sulawesi): Etwa 1.000 Menschen zerstören
oder beschädigen 1.417 Ladenhäuser (ruko); drei Personen
kommen bei Bränden ums Leben.
Mindestens 1.500 Menschen sterben bei Unruhen in Jakarta;
in mehreren Stadtteilen Jakartas kommt es zu Brandstiftungen
und zu Plünderungen, z.T. mit antichinesischem
Hintergrund; Massenvergewaltigungen von Sinoindonesierinnen
sind vermutlich von Teilen des Militärs organisiert.
Quellen: Gatra, 8.2. 1997 und 27.9. 1997; ISAI 1997; YLBHI 1997a und 1997b.
Oppositionelle Gruppen
Gerücht, ein Händler sei von
einem Wagen des Ordnungspersonals
(Tramtib) niedergefahren
worden.
Ein chinesisches Ehepaar
beschimpft muslimische
Jugendliche, die jene vor dem
Morgengebet geweckt hatten.
Während des Golkar-
Wahlkampfes werden Muslime
auf dem Weg zum Freitagsgebet
von Wahlkämpfern
belästigt.
Ein geisteskranker Sinoindonesier
hatte ein Mädchen -
eine orthodoxe Muslimin -
getötet.
Studentenproteste gegen
Suharto; Wirtschaftskrise
(Versorgungsengpässe, hohe
Inflation, Massenarbeitslosigkeit).
Straße. Unruhen sind Reaktionen der politisch machtlosen Stadtbevölkerung auf die
soziale Deklassierung, auf die deutlich wahrnehmbare Korruption und den Nepotismus
in der Regimekoalition sowie auf die allgemeine politische Krisenstimmung.
Unruhen (kerusuhan 453 ) hat es in der Neuen Ordnung immer wieder gegeben, aber in
den letzten Jahren hat sich deren Zahl vervielfacht. Allein in den Jahren 1995-98
wurden fast zwanzig größere dieser Gewalteruptionen registriert. 454 Diese auch für
das Regime Besorgnis erregende Entwicklung führte 1997 zur Einrichtung spezieller
"Kommandoposten" 455 . Außerdem wurden mehrere Studien in Auftrag gegeben, um
die Ursachen und den Verlauf der kerusuhan zu untersuchen. Die Regierung versuchte,
solche Unruhen als unausweichliche Gewaltentladungen in einer von ethnischer,
religiöser, rassistischer und sozialer Heterogenität geprägten Gesellschaft
darzustellen. Diese Konflikte könnten nur durch einen starken Staat unter Kontrolle
gebracht werden, zumal "bestimmte Gruppen" (die in Wirklichkeit immer unbe-
453
Der indonesische Ausdruck kerusuhan ist am besten mit "Unruhe" ins Deutsche zu übersetzen (rusuh
= unruhig). Ebenfalls häufig gebrauchte indonesische Begriffe wie huru-hara und amuk bringen die
anarchischen Gehalte stärker zum Ausdruck.
454
Djajadi (1999, 9f) listet für etwa denselben Zeitraum 58 - auch kleinere - Unruhen auf: 9 für das Jahr
1995, 15 für 1996, 17 für 1997 (davon 7 im Zusammenhang mit den Wahlen) und 17 für das Jahr 1998
bis zum Juni.
455
Diese "Pos Komando Kewaspadaan Nasional" sollten eine Art Frühwarnsystem bilden (siehe: Gatra
8.2.1997).

Die urban poor und die Unruhen
stimmt blieben) solche Konflikte anheizen würden. 456 Kritiker wiesen darauf hin,
dass die Regierung mit ihrer antichinesischen Politik, durch ihren Autoritarismus
und ihre Verstrickung in Korruption und Vetternwirtschaft diese Konflikte gerade
geschürt habe. Kulturalisten versuchen, die Unruhen in Indonesien häufig mit dem
Hinweis auf den malaiischen Ursprung des Wortes "Amok" zu erklären. Danach gibt
es einen unmittelbaren, sozialpsychologisch deutbaren Zusammenhang zwischen der
javanischen Psyche und dem Phänomen der spontanen Freisetzung gewaltiger destruktiver
Energien. 457 Der permanente Zwang zur Gesichtswahrung, zur Konfliktvermeidung
und Harmonisierung erzeuge eine Tendenz zur Akkumulation von Gefühlen
der Aggression, die nur in Ausnahmefällen "entladen" werden könnten. Dieses
Dampfkesselmodell, das an die Aggressionstheorie von Konrad Lorenz erinnert,
erscheint allerdings allzu simpel. Eher weist die Spezifität der Herrschaftsstruktur
auf die eigentlichen Ursachen der Unruhen, die jeweils in ihrem Ablauf und hinsichtlich
der Motivation der Akteure erheblich voneinander abweichen. Nicht die
vermeintlich indonesische Amokkultur, sondern die Unfähigkeit der Neuen Ordnung,
den Bedürfnissen insbesondere unterprivilegierter Gruppen gerecht zu werden,
liegt den kerusuhan zugrunde.
Da in Indonesien viele auf den ersten Blick chaotisch ablaufende Massenbewegungen
in Wirklichkeit bis zu einem gewissen Grad von Hintermännern dirigiert werden
(direkayasa), ist es kaum möglich, Spontaneität und Planung auseinander zu halten.
In Indonesien gab es immer die Gefahr, dass Teile der Regimekoalition unzufriedene
Teile der Bevölkerung instrumentalisierten. Gerade die heimliche Mobilisierung
von Demonstranten und Unruhestiftern war ein immer wiederkehrendes Motiv der
indonesischen Politik.
Im Folgenden soll verdeutlicht werden, dass sich der am wenigsten koordinierte
Widerstand der städtischen Armen und z.T. anderer sozialer Gruppen - oft angefacht
durch agents provocateurs aus der Regimekoalition - in Form von Unruhen äußerte:
- bei denen eine politische Programmatik nicht formuliert wird,
- bei denen Symbole der Abhängigkeit und Unterdrückung (Polizeigebäude, Einkaufszentren,
Autos, Kirchen etc.) geplündert und/oder zerstört werden,
- bei denen religiöse, ethnische, ökonomische und parteipolitische Motive sich meist
in diffiziler Weise überlagern, die oftmals durch alltägliche Ereignisse, die aber die
sozialen Gegensätze in nuce widerspiegeln, ausgelöst werden und
- in kürzester Zeit zu Massenbewegungen anschwellen können.
456 Einige Militärs gingen sogar so weit, die Strategien der vermeintlich kommunistischen Hintermänner
mit der maoistischen Einkreisungsstrategie zu vergleichen, da ja viele Unruhen in kleinen Städten stattfanden.
457 Daniel Dhakidae (Interview am 27.5.1997) sprach von einer "Kultur des Amok".
437

438
Oppositionelle Gruppen
Fallbeispiele: Situbondo, Tasikmalaya, Purwakarta, Pekalongan, Surabaya und der
"Naga Hijau"-Vorwurf
Das ostjavanische Situbondo 458 gilt als eine islamische Hochburg, in der überproportional
viele santri leben. Im Distrikt Situbondo gab es 1996 allein 40 pesantren und
knapp 3.800 Moscheen und Gebetsräume für knapp 600.000 Gläubige. Außerdem
standen 26 Kirchen sowie zwei Tempel etwa 9.000 Andersgläubigen zur Verfügung.
Nachdem der 28-jährige Moscheeangestellte Saleh - in geistiger Verwirrung - die
islamische Lehre verunglimpft und damit die Muslime beleidigt hatte, kam es zu
einem Prozess. Diesem Prozess vor einem Zivilgericht wohnten im September/Oktober
1996 mehrere Tausend Muslime im und vor dem Gerichtsgebäude bei.
Am 10. Oktober 1996 eskalierte die angespannte Lage: Einige forderten lautstark die
Todesstrafe für Saleh, andere fingen an, mit Steinen zu werfen. Das Gerücht, dass
der Angeklagte sich in der Bukit-Sion-Kirche aufhalten würde, löste einen Angriff
der Massen - 2.000-5.000 Menschen - auf diese Kirche aus. Bis in die Nacht hinein
wurden weitere protestantische und katholische Kirchen und Schulen in der Stadt
Situbondo sowie in weiteren kleineren Städten in der näheren Umgebung (in bis zu
30 km Entfernung) zerstört und/oder niedergebrannt. Die Angriffe richteten sich auf
insgesamt 24 Kirchen, dagegen kaum auf Privat- oder Regierungseigentum. In Situbondo
sollen viele Auswärtige an den Unruhen beteiligt gewesen sein, und sowohl
die Feuerwehr als auch ABRI sollen sich eher passiv verhalten haben. 459
Am 26.12.1996 kam es in Tasikmalaya zu schweren Ausschreitungen. Polizisten
hatten mehrere santri verprügelt, da einer von diesen den Sohn eines Polizisten
geschlagen hatte. 460 In diesem Fall ging den gewaltsamen Protesten eine Versammlung
islamischer Gläubiger in einer Moschee, die vom "Kommunikationsforum der
santri und der jungen Muslimgeneration Tasikmalaya" 461 organisiert worden war,
voraus. Die Gewaltakte richteten sich gegen örtliche Polizeistationen, aber auch
wieder gegen Kirchen sowie chinesische Wohnhäuser und Geschäfte. Nach den
Ereignissen in Tasikmalaya sagten Militärs und Polizisten, sie würden die Verantwortlichen
kennen.
Vor den beiden Ereignissen in Situbondo und Tasikmalaya hatte es schon mehrere
Zwischenfälle gegeben. Im westjavanischen Purwakarta ereignete sich vor den Unruhen
im Oktober/November 1995 ein Vorfall in einem Supermarkt: Eine des Diebstahls
beschuldigte orthodoxe Muslimin musste mit ihrem jilbab den Boden reinigen.
In den folgenden Tagen kam es zu Großdemonstrationen mit bis zu 15.000
Teilnehmern, von denen viele aus Bandung, Tasikmalaya, Bogor, Subang usw. angereist
waren. Drei Tage lang befand sich die Stadt in einem Ausnahmezustand, und
vor allem die christliche und die sinoindonesische Bevölkerung musste um ihr Le-
458 YLBHI 1997a, 54-74.
459 YLBHI 1997a, 65; Tempo Interaktif 25.1.1997.
460 YLBHI 1997a, 75-90; Gatra 11.1. 1997.
461 Forum Komunikasi Santri dan Generasi Muda Islam Tasikmalaya.

Die urban poor und die Unruhen
ben fürchten. Es ist bis heute nicht ganz klar, ob der für Sicherheit zuständige Supermarktangestellte,
der die Muslimin so erniedrigt hatte, nicht selbst Muslim war. 462
In Pekalongan soll im November 1995 ein geistesgestörter Sinoindonesier den Koran
öffentlich zerrissen haben. In dem Ort an der Nordküste Mitteljavas hatte es in
den Jahrzehnten zuvor schon mehrfach antichinesische Unruhen gegeben (1959,
1989 und 1992). Hier scheint die Schwächung der pribumi-Händler durch einige
Chinesen eine besondere Rolle gespielt zu haben. 463
In Surabaya schließlich wurden am 9.6.1996 gezielt 10 Kirchen zerstört. 464 Bei dem
Vorfall, bei dem auf Lastwagen angereiste Auswärtige die Hauptakteure gewesen
sein sollen, griff ABRI nicht ein.
Die Ausschreitungen waren häufig nicht so spontan ausgebrochen, wie es auf den
ersten Blick schien. Zum Teil dürfte es eine längere Vorplanung gegeben zu haben,
was sich u.a. aus den manchmal schon Wochen vorher kursierenden Gerüchten über
mögliche Ausschreitungen schließen lässt. Manche Aktionen scheinen zentral gesteuert
worden zu sein. Beim Situbondo-Fall wurde immer wieder die Vermutung
geäußert, dass interessierte Gruppen bewusst diese Gewaltakte ausgelöst, angestachelt
und größtenteils auch ausgeübt hätten. Über Wochen zog sich eine hitzige
Debatte hin, die durch Bemerkungen von Abdurrahman Wahid ausgelöst worden
war. Wahid beschuldigte Eggi Sujana und Adi Sasono von ICMI der Mittäterschaft,
da sie ihn - so Wahid - als NU-Führer durch die Unruhen in der NU-Hochburg Situbondo
in Misskredit bringen wollten. Diese "Operasi Naga Hijau" ("Operation grüne
Schlange") setze die "Operasi Naga Merah" ("Operation rote Schlange") fort, bei der
am 27. Juli 1996 Megawati gestürzt worden sei. 465 Auch die kerusuhan in Purwakarta,
Pekalongan, Surabaya und Tasikmalaya ereigneten sich in Hochburgen der NU,
und vor allem die Vorfälle in Surabaya gaben solchen Anschuldigungen eine gewisse
Berechtigung. Wahid konnte seine Vorwürfe allerdings nicht belegen.
Auch andere prominente Muslime meldeten sich zu Wort. Amien Rais meinte - im
Gegensatz zum KomnasHAM-Mitglied Baramuli -, dass solche Ausschreitungen
ohne dalang nicht möglich seien und dass vor den Wahlen solche Ausschreitungen
bewusst herbeigeführt worden sein könnten.
Auch wenn die Naga-Hijau-Vorwürfe bisher nicht verifizierbar sind, so bleibt festzuhalten,
dass die religiösen Führer - in einigen dieser Fälle die ulama - offensichtlich
nicht in der Lage waren, ihre Gefolgsleute dazu zu bringen, sich zurückzuhalten.
462 Djajadi 1999, 58.
463 YLBHI 1997a, 91ff.
464 YLBHI 1997a, 76ff; Djajadi 1999, 27.
465 Eklöf 1999, 54ff und 63ff. Wahid nannte sogar die Initialen derjenigen, die seiner Meinung nach
verantwortlich für die Situbondo-Unruhen waren, nämlich L.H., D.S., A.R. und A.S. Mit etwas Phantasie
konnten die politisch Interessierten schließen, dass damit die Muhammadiyah- und Golkar-Funktionäre
Lukman Harun und Din Syamsuddin, Amien Rais, zu dem Wahid nie ein gutes Verhältnis hatte, und der
ICMI-Generalsekretär Adi Sasono gemeint waren. Auch die NU-Jugendorganisation Ansor verbreitete
eine ähnlich klingende Verschwörungsgeschichte.
439

440
Oppositionelle Gruppen
Rengasdenklok, Banjarmasin, Tanah Abang und die Mai-Unruhen
Es gibt zwei kerusuhan, die genauer untersucht wurden, nämlich die in Rengasdengklok
und in Banjarmasin. 466 In Rengasdengklok, einer mittelgroßen westjavanischen
Stadt, beleidigte eine Sinoindonesierin einige muslimische Jugendliche. Sie
fühlte sich in ihrer Nachtruhe von einer in der Nähe des Hauses angebrachten
Trommel, mit der die Gläubigen zum Gebet gerufen werden, gestört. Ein bis zwei
Stunden nach dem Wortgefecht entwickelte sich eine der größten Unruhen, bei denen
u.a. Wohnhäuser und Geschäfte von Sinoindonesiern, vier Kirchen, mehrere
Banken sowie ein chinesischer und ein buddhistischer Tempel beschädigt oder zerstört
wurden. Wie bei solchen Vorfällen üblich, schützten muslimische Haus- und
Ladenbesitzer ihr Eigentum durch die schnell angebrachte Aufschrift "Muslim" oder
"Milik ("Besitz") Muslim". Trotz des Sachschadens gab es keine Verletzten und
keine Toten. Als Ursachen nennt die ISAI-Studie 467 den enormen ökonomischen
Wandel der letzten Jahre, der sich u.a. in der Errichtung von Plazas, Supermärkten
und Privatbanken widerspiegelte. Dieser Wandel führte zur Stärkung lokaler sinoindonesischer
Konglomerate und zu einem enger werdenden Geflecht von Politikern,
Bürokraten, Militärs und cukong. Diese Entwicklung ist vor dem Hintergrund nur
scheinbar unproblematischer Beziehungen zwischen den Religionen und Ethnien zu
sehen. Außerdem fehlten geeignete Möglichkeiten, sich politisch zu artikulieren. Als
Sonderfaktoren werden die Arroganz lokaler Machthaber und cukong, die Errichtung
von Kirchen ohne Baulizenz 468 und die allgemein etwas angespannte Situation
während der Fastenzeit genannt.
In einem anderen Fall kam es während des Wahlkampfes 1997 zu Unruhen in Banjarmasin,
Südkalimantan. Beim Brand eines Plazas starben mindestens 121, nach
anderen Quellen sogar mindestens 179 Menschen. Darüber hinaus wurden andere
Einkaufszentren und Supermärkte, das Golkar-Hauptgebäude sowie einige Regierungsgebäude,
Wohnhäuser, Kirchen usw. zerstört oder beschädigt. Die YLBHI-
Studie nennt als Auslöser den Angriff einiger junger Golkar-Wahlkämpfer auf Muslime,
die auf dem Weg zum Freitagsgebet waren. Daraufhin stießen während des
Wahlkampfes Anhänger Golkars und der PPP (bzw. der Nicht-Golkar-Parteien)
zusammen. Tiefer liegende Ursachen aber waren die hohe Arbeitslosigkeit und Kriminalität
in bestimmten Stadtteilen, die schon vorher auftretenden Konflikte zwischen
rivalisierenden preman-Banden, die Kooptation der meisten islamischen Führer
durch Golkar und die latenten Konflikte zwischen pribumi und Sinoindonesiern
sowie zwischen Muslimen und Nichtmuslimen. Auffällig bei dieser kerusuhan war
die direkte Konfrontation mit Golkar. Viele Golkar-Anhänger mussten ihre gelben
T-Shirts ausziehen, und Banjarmasin wurde einige Stunden zu einer von PPP-
Anhängern besetzten Zone. Die YLBHI-Untersuchung weist ausdrücklich darauf
466 Vgl. YLBHI 1997b und ISAI 1997a.
467 ISAI 1997a, 116ff.
468 In Indonesien benötigte die religiöse Minderheit zur Errichtung einer Moschee, eines Tempels oder
einer Kirche die Zustimmung der religiösen Mehrheit in der betreffenden Region. Normalerweise dauerten
solche Verfahren sehr lange. Den Christen wurde von Muslimen oft vorgeworfen, dass sie Kirchen
ohne eine ordnungsgemäß erworbene Baulizenz errichteten (vgl. ISAI 1997a, 58ff).

Die urban poor und die Unruhen
hin, dass die "urban poor" (kaum miskin kota) besonders stark an den Ausschreitungen
beteiligt waren. 469 Banjarmasin war also ein gutes Beispiel für die Verflechtung
zahlreicher Motive und Faktoren und für die Beteiligung verschiedener Gruppen.
Auch sollen viele "invisible hands" den Ablauf beeinflusst haben. 470
Die Unruhen im Jakartaer Stadtteil Tanah Abang waren insofern interessant, als nur
etwa 200-300 Straßenhändler (pedagang kaki lima) beteiligt waren, die in ihrer Wut
das Sicherheitspersonal des walikota (etwa: Bürgermeister) von Zentraljakarta attackierten
und später vor ein anderes Verwaltungsgebäude zogen. 471 Bei diesem Vorfall
wurden also die Angriffsziele sehr bewusst ausgewählt, die Angreifer gehörten
einer bestimmten sozialen Gruppe an, und auch der Protestgrund war genau auszumachen.
Ausgelöst wurde der Zusammenstoß nämlich durch das Sicherheitspersonal,
das die Straßenhändler, die den Durchgang behindert hatten, an die Seite drängte.
472
Die Vorgänge Mitte Mai 1998 (vgl. dazu Kap. 5) schließlich, die den Reformprozess
wesentlich beschleunigten und die Position Suhartos entscheidend schwächten,
begannen als politische Proteste und kulminierten in Plünderungen und Brandstiftungen
in einer Reihe von Stadtteilen Jakartas sowie in einigen Städten in der unmittelbaren
Umgebung der Hauptstadt. 473 Hauptangriffspunkte waren sowohl die Symbole
des nepotistischen Kapitalismus der Konglomerate (Banken, Hotels, Plazas,
Restaurants etc.) als auch Läden, Ladenhäuser, Regierungsgebäude, Wohnhäuser
und Fahrzeuge. 474 Insgesamt kamen nach KomnasHAM-Erkenntnissen 1.088 Menschen
um. Für viele Beteiligte dürften es Formen symbolischen Widerstands gegen
die Staatsgewalt, die diese repräsentierenden Organisationen und die cukong gewesen
sein. Durch agents provocateurs konnten solche letztlich chaotisch ablaufenden
Prozesse katalysiert werden.
Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass es sich nicht allein um spontane Gewalteruptionen
handelte, sondern dass ein beträchtliches Maß an Planung, logistischer
Unterstützung und Anstachelung eine Rolle spielte. Eine Gruppe um den Jesuitenpater
Sandyawan Sumardi, das "Freiwilligenteam für Menschlichkeit" 475 , sammelte
unmittelbar nach den Vorfällen Zeugenaussagen und gelangte zu dem Schluss, dass
die Plünderungen und die Brandstiftungen und mit großer Sicherheit die Vergewaltigungen
von Sinoindonesierinnen systematisch durchgeführt bzw. begangen wurden.
476 So sollen Gruppen von jungen Männern, die z.T. auf Lastwagen an die
469
YLBHI 1997b, 57.
470
YLBHI 1997b, 102.
471
Vgl. Gatra 8.2. 1997.
472
Außerdem gab es Krawalle, bei denen politische, rassistische oder religiöse Motive keine oder eine nur
untergeordnete Rolle spielten. So kam es 1996 anlässlich eines Rockkonzertes von Iwan Fals in Bandung
und anlässlich eines Fußballspieles in Jakarta zu Ausschreitungen (YLBHI 1997a, xiv).
473
Siehe die Tabelle in: Djajadi 1999, 34.
474
Vgl. TB Juli 1998, 8ff; Djajadi 1999, 32ff. Fahrzeuge, Verkehrszeichen, Zäune etc. werden einfach
deshalb zum Ziel der Angriffe, weil sie "auf dem Weg liegen".
475
Tim Relawan untuk Kemanusiaan (TRuK); außerdem die beiden Frauen-NGOs Kalyanamitra und
Mitra Perempuan.
476
TB Juli 1998, 8ff; FEER 23.7.1998.
441

442
Oppositionelle Gruppen
Brennpunkte der Unruhen gekommen waren, die Menge angestachelt und sich selbst
an den Verbrechen beteiligt haben. 477
Dabei waren besonders Läden in der Chinatown von Jakarta, der kota, Angriffsziele
der Plünderer und Brandstifter. Trotz der sicherlich in Indonesien vorhandenen Ressentiments
gegen nonpribumi ist es denkbar, dass Teile des Militärs um Prabowo die
prodemokratischen Demonstrationen durch eine gezielte Eskalationsstrategie in
antichinesische Ausschreitungen verwandelten, um dann bei einer Entmachtung des
Wiranto-Flügels selbst die Macht übernehmen zu können. 478
Die Mai-Unruhen standen zwar in einem Zusammenhang mit den Studentendemonstrationen
des Jahres 1998 und insbesondere mit den Erschießungen an der Trisakti-
Universität unmittelbar zuvor. Die Ausschreitungen selbst waren aber keineswegs
der Höhepunkt der Demokratiebewegung, denn nur sehr selten waren gegen Suharto,
Golkar oder die Regierung gerichtete Slogans zu hören. 479
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Die Unruhen wurden häufig durch kleinere Vorfälle ausgelöst, ihre Angriffsziele
wurden bereits vorher oder spontan ausgewählt, und Gewalt wurde wohldosiert oder
blind zerstörend zum Zwecke der Einschüchterung, der symbolischen Bestrafung
oder der Plünderung eingesetzt. Die Beweggründe waren z.T. eindeutig formuliert,
oft aber nur vage angedeutet. Eine Aufklärung der Ereignisse war meist nicht möglich,
da
- die beteiligten Akteure z.T. mit Angehörigen der Regimekoalition zusammenarbeiteten,
- auswärtige, angereiste Gruppen häufig eine wichtige Rolle spielten,
- sich vielfältige Motive überlagerten
- und religiöse oder politische Symbole und Ideologien instrumentalisiert wurden.
Trotzdem lassen sich mindestens vier Typen sozialer Unruhen unterscheiden:
- solche, bei denen religiöse Motive besonders hervorstechen und die sich meist
gegen Nichtmuslime, in seltenen Fällen gegen Muslime, richten,
- Unruhen, die sich in erster Linie gegen Sinoindonesier richten, 480
477 In anderen Veröffentlichungen werden Unterweltfiguren wie Anton Medan oder Ki Gendeng Pamungkas
genannt (Sidel 1998, 189). Djajadi (1999, 44f) erwähnt einen Fall, bei dem Angehörige des Geheimdienstes
BIA die Massen zur Zerstörung der Bimantara-Ausstellungsräume anstachelten.
478 Im Tapol Bulletin stand zu lesen: "Very often the military misuse the frustrations of certain groups by
provoking fundamentalist Muslim groups. There was also a strong anti-Christian element in last year's
riots. Given that most Sino-Indonesians are Christians, there was plenty of evidence to show that last
year's riots in Situbondo and Banjarmasin were to a considerable degree master-minded by a wing of the
military hoping to incite religion intolerance, but the underlying socio-economic tensions between poor
Muslims and well-to-do Sino-Indonesians were the key factors", TB April 1998, 18. Gerade auch militante,
radikale Muslime machten die Sinoindonesier zu Zielen ihres Protestes, um damit den von ihnen
intendierten Machtwechsel besser vorbereiten zu können. Sie wollten die Chinesen und einen Teil der mit
diesen kooperierenden Regimekoalition entmachten.
479 Djajadi 1999, 42.
480 Javaner verstehen sich selbst nicht als Personen, die einer überlegenen Rasse angehören. Pabottingi
(1995, 237) spricht sogar von Werten, die die Ethnizität transzendieren. Für kultivierte Javaner bedeutet
"Jawa" ein Ensemble verehrter Werte und Haltungen. Unkultivierte Personen - i.d.R. Kinder - werden als

Die urban poor und die Unruhen
- politisch motivierte und/oder von politischen Ereignissen ausgelöste gewaltsame
Proteste und
- Unruhen, die sich gegen den Staat bzw. die Regimekoalition und ihre Herrschaftssymbole
richten.
Wichtig bleibt festzustellen, dass sich i.d.R. mehrere Symboliken überlagerten. Das
Christentum wurde oftmals lediglich als Religion der Sinoindonesier betrachtet,
während diese häufig mit den cukong identifiziert wurden. Diese wiederum waren
die am leichtesten angreifbaren Personen in dem Korruptions- und Kollusionsgeflecht
von Unternehmern, Politikern, Bürokraten und Militärs. Gemäß dieser Logik
konnte eine protestantische oder katholische Kirche zu einem Symbol der Neuen
Ordnung werden.
Mittelbar dürfte die hohe und seit etwa 1990 stetig ansteigende Arbeitslosigkeit
relativ gut ausgebildeter junger Indonesier eine wichtige Rolle gespielt haben. Umfragen
haben ergeben, dass viele unter ihnen die Unruhen für verständlich und sogar
für notwendig erachteten, um den politischen Wandel zu forcieren. 481 Schließlich
waren es auch überwiegend sehr junge Indonesier, die an den Unruhen beteiligt
waren.
Solche gewaltsamen Unruhen versorgten das Militär mit zusätzlicher Legitimation,
da die Apologeten des "starken Staates" eine Festigung der staatlichen Macht fordern
konnten. Allerdings war die Repression kaum noch zu steigern, und die Regimekoalition
dürfte erkannt haben, dass die immensen Einkommens- und Vermögensunterschiede,
die allgegenwärtige Korruption und die Rechtlosigkeit die eigentlichen
Ursachen für die Krawalle gewesen waren. Die Erzeugung von Chaos und
Anarchie war für die indonesische Unterklasse oft die einzige Möglichkeit, sich
Gehör zu verschaffen. Die unausgesprochene Drohung mit weiterer ungezügelter
Gewalt verschaffte ihnen die Möglichkeit, in stillschweigende "Verhandlungen" mit
dem zuvor übermächtigen Staat zu treten, der dann meist schnell bereit war, z.B. die
Streichung von Subventionen wieder rückgängig zu machen.
Die Bedeutung für die Demokratiebewegung ist als sehr ambivalent einzustufen. Die
"Chaosmacht" der armen Stadtbevölkerung hat allenfalls indirekt die Demokratiebewegung
gestärkt. So konnte beispielsweise Amien Rais öffentlich vor einer people's
power-Bewegung wie in den Philippinen, also vor einer Mobilisierung von
Millionen Menschen gegen das Regime, warnen.
"durung Jawa", also "noch nicht javanisch", bezeichnet. Dieser Ausdruck gilt aber sowohl für Javaner als
auch für Angehörige anderer Ethnien. Es gibt keine sich auf das Blut oder das Erbmaterial beziehende
Definition des Javanischen, sondern eine kulturelle Interpretation des "Javanischseins". Daher ist es
irreführend, die antichinesischen Ausschreitungen schlicht als von rassistischen Motiven geleitet zu
betrachten. Es ist zumindest kein Rassismus der Gene, sondern allenfalls eine Art Kulturchauvinismus.
481 Dazu ausführlich: Gatra 31.5.1997. Als Ursachen der Unruhen nannten über 93% die steigende soziale
Ungleichheit und etwa 4/5 die Arroganz der Machthaber und die mangelnden Möglichkeiten der politischen
Beteiligung.
443

444
4.9 Sezessionistische und regionalistische Bewegungen
Oppositionelle Gruppen
In diesem Abschnitt soll kurz auf die Entwicklung und auf die Bedeutung sezessionistischer
und regionalistischer Bewegungen eingegangen werden. Insbesondere die
Ereignisse in Ost-Timor hatten einen großen Einfluss auf die jüngste indonesische
Geschichte, nicht zuletzt deshalb, weil das Ausland - und dabei vor allem die NGOs
- die Menschenrechtssituation in verschiedenen Randregionen des Archipels sehr
genau beobachtete. Das Indonesienbild war daher im Ausland stark von der Berichterstattung
über Ost-Timor geprägt. Ein Höhepunkt war dabei sicherlich die Verleihung
des Friedensnobelpreises an Bischof Belo und Ramos-Horta (1996), die auf
den schärfsten Widerspruch der Regimekoalition stieß. In den letzten Jahren der
Neuen Ordnung nahm sich auch die Demokratiebewegung in Indonesien dieses
Themas an.
Indonesien hatte wegen seiner ethnischen und kulturellen Vielfalt, aber vor allem
wegen seiner Zersplitterung in z.T. isolierte Inseln, deren Ressourcenausstattung
sich zudem erheblich voneinander unterschied, Schwierigkeiten, einen stabilen Nationalstaat
zu bilden. Schon 1951 strebten die christianisierten Ambonesen in den
Südmolukken danach, einen eigenen Staat zu gründen. Von 1957 an waren es die
revolutionäre Regierung in Sumatra und die Permesta-Rebellen in Sulawesi, die
zwar keine eigenen Staaten gründen, aber die Spielregeln zugunsten der Regionen
verändern wollten. Letztlich förderten sie den Niedergang der parlamentarischen
Demokratie.
Da die Bewegungen in Aceh und Irian Jaya (West-Papua) nur einen sehr geringen
Einfluss auf die Demokratiebewegung in Indonesien hatten, werden sie hier nur kurz
behandelt.
Aceh
Die islamischen Fundamentalisten im sumatraischen Aceh waren für die Neue Ordnung
besonders bedrohlich, weil sie ihre sezessionistischen Bestrebungen mit islamistischen
Losungen verbrämten. 482 Schon in den 50er Jahren erklärte Daud Beureu'eh
Aceh zu einem Teil des in Westjava von Kartosuwiryo ausgerufenen Indonesischen
Islamstaates (Negara Islam Indonesia). Nach einem Kompromiss mit den
Rebellen wurde Aceh wieder zu einer Provinz (Dezember 1956), dann im Jahre
1959 mit einem Sonderstatus versehen. 1962 bekam die Provinz sogar die Erlaubnis,
bis zu einem gewissen Umfang islamisches Recht anzuwenden.
Der Widerstand war eine Folge der historischen Sonderstellung Acehs und der besonderen
Bedeutung des Islams in dieser Region. Außerdem war das Gefühl stark
ausgeprägt, wirtschaftlich von Jakarta diskriminiert zu werden. Diese Auffassung
verstärkte sich in der Neuen Ordnung, da trotz des Ölreichtums der Provinz der
Großteil der Gewinne nach Jakarta floss. 1977 erklärte die Gruppe "Freies Aceh"
(Aceh Merdeka) um Hasan di Tiro, die von Daud Beureu'eh unterstützt wurde, die
482 Vgl. im Folgenden: Lowry 1996, 162ff.

Sezessionistische und regionalistische Bewegungen
Provinz Aceh für unabhängig. Dabei zogen sie auch eine Union mit Malaysia in
Erwägung. Die Bewegung wurde jedoch schnell zur Aufgabe gezwungen. Hasan di
Tiro ging ins Exil nach Schweden, arbeitete aber von dort aus weiter. 483
Der Gruppe "Aceh Merdeka" folgte 1989 die Befreiungsfront "Aceh Sumatra".
Auch sie kämpfte für eine wirtschaftliche Besserstellung der rohstoffreichen Provinz
und gegen die intendierte Javanisierungspolitik der Regierung. Sie verübte Anschläge
auf javanische Migranten sowie auf - militärische und zivile - staatliche Objekte.
Bei der bis Mitte 1991 von 11.000 Soldaten niedergeschlagenen Rebellion kamen
nach Angaben von Amnesty International mindestens 2.000 Menschen ums Leben,
mehr als 1.000 wurden inhaftiert. 484 Nach einer Studie des NGO-Forums Aceh und
eines Journalisten von Gatra kamen in Aceh sogar 39.000 Menschen um, die meisten
von ihnen in den Jahren 1990/91. 485 Hauptverantwortlich für die Niederschlagung
der Rebellion und für die Massaker an der Zivilbevölkerung war die Elite-Einheit
Kopassus. Über das außergewöhnlich brutale Vorgehen der ABRI-Truppen mit den
üblichen Antiguerillataktiken (Folter, Liegenlassen von Leichen zur Abschreckung
etc.) 486 wurde in der indonesischen Presse nicht berichtet. Die counter insurgency-
Maßnahmen erhöhten die Intensität des Konfliktes. 487 1991 wurde Aceh von ABRI
sogar als "Region für Militäroperationen" (DOM 488 ) eingestuft. Dieser Status wurde
erst 1998 aufgehoben. Die Brutalität war auch auf die Entstehung mafiöser Netzwerke
unter Beteiligung des Militärs und auf die Gleichgültigkeit der westlichen
Staaten gegenüber den Gräueltaten zurückzuführen.
West-Papua (Irian Jaya)
1963 beschloss die UN, den westlichen Teil der Insel Neuguinea, der bis dahin noch
von den Niederlanden kontrolliert wurde, in einem "Act of Free Choice" selbst über
seine politische Zukunft entscheiden zu lassen. Der 1969 mit 1.025 - von der indonesischen
Regierung ausgesuchten - Wahlmännern (in der Literatur z.T. "Stammesführer"
genannt) durchgeführte Wahlakt hatte die Einverleibung West-Papuas in die
Republik Indonesien zur Folge. 489 Das Wahlergebnis wurde von einer UN-
Kommission bestätigt, obwohl an der Unrechtmäßigkeit des Wahlvorganges eigentlich
kein Zweifel bestand. 490
483
Mit religiösen Motiven lassen sich diese sezessionistischen Bestrebungen - zumindest bis 1998 - nicht
erklären. Robinson (1998, 133) schreibt: "Whereas the earlier uprisings were led, or very strongly supported
by, Aceh's ulama, the leadership of Aceh Merdeka has been drawn predominantly from a collection
of intellectuals, local government officials, disgruntled members of the armed forces, and local
businessmen. Although he uses the title «Teungku», reserved for respected men of Islam, Hasan di Tiro
cannot by any reasonable measure be described as a religious leader."
484
Südostasien aktuell Juli 1993, 231f; Indonesien Information 2-3/98, 25ff.
485
TB Sep. 1998, 5.
486
Vgl. Robinson 1998, 140ff.
487
Robinson 1998.
488
Daerah Operasi Militer.
489
Budiardjo 1986, 1234; Heinzlmeir 1976, 401ff.
490
Stichwörter "Irian Jaya" und "United Nations: Irian Jaya 1962-9" in: Leifer 1995.
445

446
Oppositionelle Gruppen
Die Sezessionsbewegung in West-Papua (Irian Jaya) 491 , die 1964 gegründete "Organisation
Freies Papua" OPM 492 , setzte sich für ein unabhängiges West-Papua ein.
1971 rief Seth Rumkorem - ohne allerdings die völkerrechtliche Anerkennung zu
finden - die "Republik West-Papua" aus. Die OPM wandte sich gegen die ökonomische
Ausbeutung durch Jakarta und gegen die Besetzung der politischen und administrativen
Positionen durch Nichtirianesen. Die indonesische Führung versuchte
von Anfang an, den dort lebenden tribalen Gesellschaften ihre Eigenständigkeit zu
nehmen. Das riesige Gebiet, in dem nur etwa 2 Mio. Irianesen lebten, war deshalb
eines der Hauptziele der von der indonesischen Regierung propagierten Transmigration.
Mitte der 80er Jahre kamen allein 275.000 Transmigranten in diese Region.
Dadurch sollte nicht nur der Bevölkerungsdruck auf den stärker besiedelten Inseln
gemildert, sondern zugleich eine "Indonesianisierung" von Irian Jaya gefördert werden.
In den Jahren 1977/1978 ereigneten sich die schwersten Zusammenstöße zwischen
OPM-Truppen und ABRI-Angehörigen, bei denen vermutlich 40 Soldaten und einige
Hundert Irianesen ums Leben kamen: Als nach einem missglückten Aufstand im
Februar 1984 in Jayapura 12.000 Bewohner von Irian Jaya nach Papua-Neuguinea
flüchteten, folgten ihnen indonesische Militärs bis über die Grenzlinie hinaus. Nach
neuen Grenzabkommen arbeiteten die beiden Länder enger zusammen, so dass 1/3
der Flüchtlinge repatriiert und der OPM-Anführer Melkianus Salossa den indonesischen
Behörden ausgeliefert werden konnte.
In den letzten Jahren gab es immer wieder Auseinandersetzungen wegen Menschenrechtsverletzungen
von Militärs, die in Irian Jaya stationiert waren. Im August 1995
veröffentlichte Msgr H.F.M. Munninghoff, Bischof von Jayapura und seit über 30
Jahren indonesischer Staatsbürger, einen Bericht über Menschenrechtsverletzungen
in West-Papua. Daraufhin sandte KomnasHAM zwei Untersuchungskommissionen
in die Region, die den Bericht Munninghoffs im Wesentlichen bestätigten. In dem
Bericht wird neben Folterungen und unrechtmäßigen Verhaftungen ein Massaker in
Hoea dokumentiert. Dabei wurden 11 Dorfbewohner - darunter vier Kinder - bei
einem Gottesdienst von indonesischen Soldaten erschossen. Die Gruppe war einige
Monate zuvor wegen der anhaltenden Kämpfe zwischen Regierungstruppen und
OPM-Rebellen in den Dschungel geflüchtet. Wirtschaftlich war die Timika-Region
von der amerikanischen Freeport-McMoRan-Mine dominiert. Es spricht vieles dafür,
dass Freeport eng mit indonesischen Militärs zusammenarbeitete: ABRI-
Soldaten schützten das Bergbaugelände gegen OPM-Rebellen und benutzten für
militärische Operationen oftmals die Ausrüstung von Freeport. 493
1996 geriet die OPM wieder in die Schlagzeilen, als sie mehrere ausländische Wissenschaftler
als Geiseln genommen hatte. Im selben Jahr, im März, kam es in Abepura
im Anschluss an den Tod des OPM-Führers Thomas Wanggai in Jakarta zu
Unruhen.
491 "Irian Jaya" ist der indonesische Ausdruck für diese indonesische Provinz.
492 Organisasi Papua Merdeka.
493 TB Okt. 1995, 1ff.

Sezessionistische und regionalistische Bewegungen
Über das Vorgehen des indonesischen Militärs in West-Papua ist bis heute sehr
wenig bekannt. Es gibt allerdings Schätzungen, nach denen seit den frühen 60er
Jahren Tausende, vielleicht sogar Zehntausende Papua der Willkür ABRIs zum
Opfer fielen.
Ost-Timor
Invasion und Kriegführung
Schon im 16. Jahrhundert begannen Portugiesen, Sandelholz aus Timor zu exportieren.
Timor wurde in der Folge immer mehr in das portugiesische Kolonialreich
integriert. Dabei entstand eine Rivalität mit den Niederländern, die im 19. Jahrhundert
zur Aufteilung der Insel in einen westlichen, niederländischen und in einen
östlichen, portugiesischen Teil führte. Zwar kam es 1895-1912 in ganz Ost-Timor zu
Aufständen, aber insgesamt gab es bis 1942 kaum Widerstand gegen die portugiesische
Kolonialherrschaft. Auch eine nationalistische Bewegung entwickelte sich nur
in bescheidenen Ansätzen. 1942 landete eine 15.000 Mann starke Truppe von Japanern
auf der Insel und tötete bei den anschließenden Kampfhandlungen etwa 40.000
Ost-Timoresen. Im September 1945, nach der japanischen Kapitulation, kehrten die
Portugiesen zurück.
Während West-Timor wieder indonesisch wurde, erklärte Portugal 1951 Ost-Timor
zur Überseeprovinz. Erst 1959 kam es wieder zu Widerstandsaktionen, diesmal in
der Region von Viqueque. Sie wurden zwar niedergeschlagen, aber sie bewirkten
einige Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur. Erst 1974 wurden oppositionelle
Bewegungen in Ost-Timor wieder mobilisiert, als in Portugal bei der "Nelkenrevolution"
im April 1974 das Caetano-Regime gestürzt wurde. Der Revolutionsrat
unter Spinola erklärte sich bereit, die Kolonien aufzugeben. Danach bildeten sich
mehrere politische Parteien in Ost-Timor:
- die auf eine Unabhängigkeit dringende "Sozialdemokratische Assoziation Timors"
(ASDT) 494 , die sich im September 1974 in Fretilin 495 , also "Revolutionäre Front für
ein unabhängiges Ost-Timor", umbenannte;
- die eine Föderation mit Portugal befürwortende "Demokratische Union Timors"
(UDT) 496 und
- die proindonesische "Demokratische Volksassoziation der Timoresen" (Apodeti) 497 .
Fretilin war besonders populär bei jüngeren Ost-Timoresen und gewann die Unterstützung
mittlerer Kolonialbeamter. Sie befürwortete Programme zur Alphabetisierung,
zur Förderung der Landwirtschaft, zum Aufbau eines entwickelten Gesundheitssystems
und erstrebte eine volle politische Partizipation der Ost-Timoresen. Die
UDT (vertreten etwa durch den späteren Gouverneur Maria Carrascalo und durch
Francisco Lopez da Cruz) trat anfänglich für die Selbstbestimmung der Ost-
Timoresen und eine Föderation mit Portugal ein, wurde von traditionellen Eliten und
494 Associação Social Democrática Timorense.
495 Frente Revolucionária do Timor Leste Independente.
496 União Democrática Timorense.
497 Associação Populár Democrática Timorense.
447

448
Oppositionelle Gruppen
Beamten der Kolonialadministration unterstützt und war am Anfang sehr populär.
Apodeti befürwortete eine Integration Ost-Timors in die Republik Indonesien und
hatte relativ wenig Rückhalt in der Bevölkerung. 498
Im Januar 1975 bildeten die UDT und Fretilin eine Koalitionsregierung. Im Mai
1975 fanden in den Dörfern - unter Aufsicht der Kolonialverwaltung - Wahlen statt,
bei denen die Fretilin 55%, die UDT 40% und Apodeti 5% der Stimmen erhielten.
Die konservativen UDT-Kräfte und der linke Fretilin-Flügel brachten die Koalition
aber schließlich zum Scheitern. Gespräche in Macau über die Dekolonisation wurden
von der Fretilin boykottiert. Trotzdem wurde die Abhaltung von Wahlen für den
Oktober 1976 vorgeschlagen.
Am 10. August 1975 putschte die UDT. Sie wollte angeblich dem linken Fretilin-
Flügel mit diesem Putsch zuvorkommen. Der UDT-Flügel um Lopez da Cruz könnte
dabei von ABRI unterstützt worden sein. Wenige Tage später konnte die Fretilin die
Putschisten überwältigen, den Großteil der timoresischen Kolonialtruppen für sich
gewinnen und eine große Zahl von Waffen aus den Kasernen erbeuten. In den folgenden
Wochen zogen sich die Kolonialverwaltung und die Kolonialarmee zurück,
und die Fretilin konnte in den sich anschließenden Kämpfen mit der UDT und Apodeti
Ost-Timor unter ihre Kontrolle bringen. Die Fretilin errichtete nicht - wie von
Indonesien immer wieder behauptet wurde - ein Gräuelregime, sondern bemühte
sich, unterstützt von den meisten Ost-Timoresen, eine effiziente Verwaltung aufzubauen.
Während dieser Zeit bereiteten indonesische Truppen bereits eine Invasion
vor.
Am 28. November 1975 erklärten schließlich Angehörige der Fretilin die Unabhängigkeit
Ost-Timors. Die indonesische Regimekoalition fürchtete die Entstehung
einer demokratischen oder gar sozialistischen Enklave inmitten des Archipels und
entschloss sich zur militärischen Offensive, die diplomatisch gut vorbereitet worden
war. 499
Am 7. Dezember 1975 begann die Invasion Ost-Timors durch indonesische Truppen,
die so genannte Operasi Komodo. 500 Die Murtopo-Gruppe hatte angenommen,
dass die militärische Operatin nach wenigen Wochen erfolgreich abgeschlossen sein
würde. Diese Einschätzung stellte sich im Laufe der nächsten Monate und Jahre als
eines der schwersten und folgenreichsten Fehler heraus.
Indonesien begründete die Invasion damit, dass indonesische "Freiwillige" von den
Ost-Timoresen um Unterstützung gebeten worden seien. Später wurde die "Integration"
durch den Beschluss des von Jakarta zusammengesetzten und kontrollierten
Provinzparlamentes von Ost-Timor bestätigt, und im Juli 1976 wurde Ost-Timor
offiziell zur 27. Provinz Indonesiens.
498
Schwarz 1994, 200.
499
Außenminister Adam Malik soll noch im Juni 1974 die Unabhängigkeit Ost-Timors befürwortet
haben.
500
Lowry 1996, 151ff; Cox/Carey 1995, 15ff; Taylor 1991, 68ff; Gusmão 1999.

Sezessionistische und regionalistische Bewegungen
Das indonesische Militär schlug von Anfang an mit aller Härte zu. In den ersten
Jahren setzten sich die heftigen Gefechte fort, und erst 1977 brachte ABRI die Fretilin-Kämpfer
einigermaßen unter Kontrolle. Insgesamt starben mindestens 100.000,
vielleicht sogar über 200.000 Ost-Timoresen an den Folgen der Besetzung, d.h.
entweder im Gefecht oder an Hunger wegen der Umsiedlungen und der Ernteausfälle.
501
Bis Ende des Jahres 1978 fanden die größten Vernichtungsfeldzüge statt, so 1977/78
der Feldzug der "Einkreisung und Vernichtung". 1981 bekämpfte ABRI die Fretilin-
Truppen u.a. mit der pagar betis-Taktik, bei der ost-timoresische Zivilisten in Zwölfergruppen
als lebende Schutzschilde bei der Aufspürung von Guerilleros durch den
Dschungel getrieben wurden. Zeitweise wurden bis zu 80.000 Zivilisten gezwungen,
vor den Soldaten in Reihe zu marschieren. Auf der Insel Atauro wurden 1982 Tausende
Ost-Timoresen gefangen gehalten. Außerdem wurden eine Zeit lang etwa
100.000 Bergbewohner zwangsweise in überwachten Wehrdörfern im z.T. malariaverseuchten
Tiefland angesiedelt.
Ein 1983 abgeschlossenes Waffenstillstandsabkommen zwischen dem Militär und
dem neuen Fretilin-Führer Gusmão wurde bald darauf von ABRI-Einheiten einseitig
aufgekündigt. In den folgenden Jahren versuchten die indonesischen Truppen, in
mehreren Feldzügen die Fretilin endgültig zu vernichten, so im August 1983 mit der
Operasi Kikis oder mit den Offensiven von 1986 und 1987, an denen bis zu 30.000
Soldaten beteiligt waren. Dabei wurden vermehrt die speziell gegen Guerilleros
gerichtete territoriale Kriegführung angewandt 502 und Ost-Timoresen als Spione
eingesetzt. Außerdem kamen Todesschwadronen (ninjas) zum Einsatz. Anfang 1995
z.B. überfielen diese schwarz maskierten Terroreinheiten mehrfach die Zivilbevölkerung.
In all den Jahren breiteten die indonesischen Streitkräfte das gesamte Schreckensarsenal
der modernen Militärdiktatur aus, wobei die Eliteeinheit Kopassus - ähnlich
wie in Aceh - besonders brutal vorging. Sogar der Schwiegersohn Suhartos, Prabowo,
soll dabei als Folterer berüchtigt gewesen sein, und viele der höchsten Militärs
in Indonesien hatten ihre Karriere einem Einsatz in Ost-Timor zu verdanken.
Das Dili-Massaker
Die meisten mit Indonesien freundschaftlich verbundenen Länder kritisierten die
Ost-Timorpolitik nur sehr zögerlich, und wie die Amerikaner und die Australier
erkannten sie die Invasion und die Besatzung faktisch an. 503 Gleichzeitig gab es aber
501 1977 sprach der australische Konsul James Dunn in einem Bericht von 100.000 Getöteten. Im November
1979 gab sogar der indonesische Außenminister M. Kusumaatmaja zu, dass 120.000 Menschen ums
Leben gekommen sein könnten. Und 1994 erklärte der neu ernannte Jakarta-freundliche Gouverneur
Abílio Osorio Soares gegenüber dem Sydney Morning Herald, dass in Ost-Timor seit 1975 etwa 200.000
Menschen umgekommen seien.
502 Cox/Carey 1995, 37.
503 Suryadinata 1995, 91ff. Als Premierminister Paul Keating 1992 Jakarta besuchte, bestand er auf einer
Trennung des Dili-Massakers von der sonstigen indonesischen Politik und meinte, die australisch-
449

450
Oppositionelle Gruppen
auch kritische Gegenbewegungen in diesen Ländern. Von 1976 bis 1982 wurde die
Invasion Ost-Timors von den Vereinten Nationen regelmäßig verurteilt. Seit 1982
fanden dann unter der Ägide des UN-Generalsekretärs Gespräche zwischen Portugal
und Indonesien statt. Seit 1986 konnte Portugal als Vollmitglied der EG auch die
Europäer zu einer aktiveren Ost-Timor-Politik bewegen. Im Mai 1988 sagten die 12
EG-Mitgliedsländer dem Generalsekretär der VN ihre Unterstützung bei der Suche
nach einer Lösung der Ost-Timor-Frage unter Berücksichtigung der Rechte und der
kulturellen Identität des ost-timoresischen Volkes zu. Im September votierte die
übergroße Mehrheit des Europäischen Parlamentes sogar für einen Rückzug der
indonesischen Truppen.
Seit Ende der 80er Jahre versuchte Indonesien, das Verhältnis zu Ost-Timor zu entspannen
und sich gegenüber den Forderungen der Europäer, Japaner und Amerikaner
aufgeschlossen zu zeigen. So durften seit 1989 Ausländer die vorher gesperrte
Region besuchen. Im Zuge dieser vorsichtigen Öffnungspolitik war die indonesische
Regierung sogar bereit, ausländische Abordnungen nach Ost-Timor einreisen zu
lassen. Als aber einer portugiesischen Parlamentsdelegation wegen der sie begleitenden
australischen Journalisten die Einreise verwehrt wurde, kam es am
28.10.1991 in Dili zu Kämpfen zwischen enttäuschten Unabhängigkeitskämpfern
und Gegendemonstranten, bei denen zwei Menschen ums Leben kamen. 504
Die mehrwöchigen diplomatischen Konflikte gipfelten am 12.11.1991 in dem Santa-
Cruz-Massaker in Dili. Der Vorfall, der zufällig von einem britischen Kameramann
gefilmt wurde, hatte erhebliche Auswirkungen auf die indonesische Ost-Timor- und
Außenpolitik und lenkte die Aufmerksamkeit der indonesischen Öffentlichkeit auf
Ost-Timor. 505 Am 12. November 1991 prozessierten 2.500 Timoresen zum Friedhof
von Santa Cruz. Einige von ihnen trugen Plakate, auf denen sie u.a. die Unabhängigkeit
Ost-Timors forderten. Kurz bevor sie den Haupteingang des Friedhofsgeländes
erreicht hatten, eröffneten Soldaten plötzlich das Feuer. Bis zu 500 Menschen
(eine portugiesische Untersuchungskommission ermittelte 273 Tote, 255 Verschwundene
und 376 Verletzte), die friedlich demonstrierend an der Prozession
teilnahmen, wurden von z.T. nicht identifizierbaren Militäreinheiten erschossen. Die
Niederlande, Dänemark und Kanada stellten daraufhin ihre Entwicklungshilfeprogramme
ein, und auch die EU verurteilte das Massaker scharf. Die internationalen
Proteste verschärften sich, als sich die indonesische Militärführung in ersten Reaktionen
ganz und gar uneinsichtig zeigte. Sintong Panjaitan sprach von 19 Toten und
davon, dass der Befehl "Nicht Schießen!" von den Soldaten missverstanden worden
sei. Try Sutrisno bezeichnete die Aktion gegen die seiner Meinung nach aufrührerischen
Demonstranten als gerechtfertigt.
indonesischen Beziehungen hätten sich vertieft und stünden auf einer breiteren Grundlage. Im Dezember
1995 kam es sogar zum Abschluss eines Sicherheitsabkommens zwischen Indonesien und Australien.
504 Schwarz 1994, 211ff; Cox/Carey 48ff.
505 Schon in den Jahren vorher hatte es mehrmals Massaker gegeben, die jedoch international und in
Indonesien selbst weitgehend unbeachtet geblieben waren, so z.B. das Massaker im Januar 1982 nahe
Lacluta (500 Tote) oder das Massaker im Jahre 1983 in Kraras bei Viqueque, bei dem 200-300 Menschen
umgebracht wurden und wegen dem der im Juni ausgehandelte Waffenstillstand gebrochen wurde.

Sezessionistische und regionalistische Bewegungen
Unter dem Druck Japans, der USA sowie der meisten europäischen Staaten sah sich
Suharto gezwungen, eine Untersuchungskommission 506 unter der Leitung des ehemaligen
Obersten Richters Generalmajor Jaelani einzusetzen. Die Kommission, die
keineswegs unabhängig war und die Hauptverantwortung vermeintlichen Fretilin-
Unruhestiftern gab, schätzte die Zahl der Toten auf 50 und die Zahl der Vermissten
auf 90. Sie erklärte, dass nicht Warouw den Schießbefehl gegeben habe, sondern
dass es sich um spontane Notwehr gehandelt habe. Außerdem stellte die Untersuchungskommission
ausdrücklich fest, dass nicht identifizierbare Truppenteile zumindest
beteiligt gewesen seien. Später beauftragte Suharto Edi Sudrajat mit der
Bildung eines militärischen Ehrengerichts. Schließlich wurden Sintong Panjaitan
(Kodam IX-Kommandeur) und Rudolf Warouw (Kommandeur für die Ost-Timor-
Operationen) - beide Murdani-Protegés - versetzt, obwohl sie für die Erschießungen
gar nicht verantwortlich waren.
Die Vorkommnisse in Dili führten zu einer weiteren Delegitimierung des Militärs,
nicht aber Suhartos, der zumindest den Anschein erwecken konnte, sich für eine
schnelle Aufklärung eingesetzt zu haben. Suharto nutzte überdies die Reaktion der
niederländischen Regierung zu einem populistischen Gegenschlag. Im März 1992
ließ er die IGGI auflösen, die dann durch das CGI, an dem die Niederländer nicht
mehr beteiligt waren, ersetzt wurde.
Das Massaker von Dili erwies sich als Wendepunkt in der indonesischen Ost-Timor-
Politik. Auch führte es dazu, dass das Ausland sowohl die Besetzung des Inselteils
als auch die Neue Ordnung etwas anders wahrnahmen. Zum ersten Mal wurde einer
internationalen Öffentlichkeit klar, dass es beträchtlichen Widerstand gegen die
"Integration" gab.
Der Widerstand gegen die Besatzer
In Ost-Timor bildeten sich seit 1975 mehrere Widerstands- bzw. Oppositionsformen
heraus. Dazu gehörten:
- der Guerillakampf der Fretilin,
- die diplomatischen Vermittlungsversuche verschiedener Akteure,
- die Arbeit der katholischen Kirche insbesondere seit den 80er Jahren und
- die vor allem von Studenten getragene prodemokratische Bewegung.
Die Fretilin war im August 1974 gegründet worden "[...] by a seminary-trained
mestizo elite of intellectuals and civil servants with links to left-wing groups in both
Portugal and its African colonies". 507 Sie war die Nachfolgerin der eher gemäßigten
ASDT. 508 Auf der Fretilin-Nationalkonferenz im Juni 1976 beschlossen die Delegier-
506 Komisi Penyelidik Nasional. Im Februar wurden sechs Offiziere versetzt oder entlassen sowie neun
Soldaten und ein Polizist zu Haftstrafen von 8-14 Monaten verurteilt. Im Mai/Juni 1992 erhielten 13 Ost-
Timoresen Gefängnisstrafen zwischen 30 Monaten und lebenslänglich.
507 Leifer 1995, 96.
508 In der ASDT gab es drei Strömungen, nämlich eine dominierende sozialdemokratische (repräsentiert
etwa durch Ramos-Horta), eine an Angola und Moçambique orientierte antikolonialistische, auf selfreliance-Konzepte
vertrauende Strömung (z.B. Nicolau Lobato) und eine marxistische Strömung, die erst
in der Fretilin stärker hervortrat (Taylor 1991, 47f).
451

452
Oppositionelle Gruppen
ten, den Guerilla-Krieg gegen Indonesien fortzusetzen. Später gab es immer wieder
Spannungen zwischen den Fretilin-Politikern, die eher an diplomatischen Lösungen
interessiert waren, und den Fretilin-Soldaten.
Anfänglich hatte die Fretilin 10.000-20.000 Guerilleros in ihren Reihen und war
relativ gut bewaffnet. Sie stand meist etwa 30.000 indonesischen Soldaten gegenüber,
denen es nicht, wie geplant, gelang, Ost-Timor innerhalb weniger Wochen
unter ihre Kontrolle zu bringen. Schon in den ersten Monaten wurden Tausende
getötet, darunter auch viele Zivilisten, denen die Zusammenarbeit mit der Fretilin
vorgeworfen wurde. Ob die Guerillastrategie der Fretilin nicht die Lage eher verschlimmert
hat und ob nicht ein pazifistischer Widerstand weitaus effektiver gewesen
wäre, ist kaum zu beantworten.
Bis Anfang der 80er Jahre hatte die Fretilin ihre Schlagkraft weitgehend eingebüßt.
Sie konnte niemals ganz bezwungen werden, auch wenn sie in den letzten Jahren nur
noch aus einigen Hundert Mann bestanden haben dürfte. Sie schlugen seit 1981
unter Kay Rala Xanana Gusmão einen gemäßigteren Kurs ein. Xanana war Falintil
509 -Kommandeur von 1978 bis 1992 und bis zuletzt der prominenteste und einflussreichste
Fretilin-Führer. Er restrukturierte 1979 Falintil durch die Bildung mobiler
Trupps ohne feste Basis. 1981 war er an der Gründung des CRRN (Conselho
Revolucionária de Resistência Nacional), eines Sammelbeckens für alle oppositionellen
Gruppen inner- und außerhalb Ost-Timors, beteiligt. Unter seiner Führung
einigte sich die Fretilin darauf, die Schaffung eines Mehrparteiensystem anzustreben.
Xanana gelang es 1983 sogar, einen Waffenstillstand mit Oberst Purwanto
auszuhandeln, der von Benny Murdani jedoch aufgekündigt wurde. Xanana initiierte
1988 die Gründung des "Nationalrates für den Maubere-Widerstand" CNRM 510 . Der
CNRM, der einen eigenen Friedensplan ausarbeitete, war ein Dachverband der gegen
die Annexion arbeitenden Gruppen, der von Ramos-Horta repräsentiert und von
Xanana Gusmaõ angeführt wurde. 511
Seit Ende der 80er Jahre standen also nicht mehr die Fretilin-Guerilleros im Zentrum
des Kampfes gegen die Integration. 512 Vielmehr gewannen die international beachteten
Vermittlungsversuche von Xanana und Ramos-Horta sowie der katholischen
Kirche an Bedeutung. Gleichzeitig formierte sich eine neuartige Studentenbewegung.
513 Diese neue Opposition in Ost-Timor bildete sich als Folge des wirtschaftli-
509 Falintil war die Fretilin-Guerillaarmee.
510 Conselho Nacional de Resistência Maubere.
511 Xanana wurde im November 1992 festgenommen und in incommunicado-Haft gehalten. Die zunächst
verhängte lebenslängliche Gefängnisstrafe wurde von Suharto auf 20 Jahre reduziert. Xanana erschien
nach seiner Festnahme im staatlichen Fernsehen und sprach sich - offenbar unter erheblichem Druck - für
die Integration Ost-Timors aus. Diese Aussage nahm er einige Monate später beim Schauprozess wieder
zurück. Im April 1998 wurde er in Abwesenheit zum Präsidenten des CNRT (Conselho Nacional de
Resistência Maubere = Nationalrat für den Maubere-Widerstand), eines breiten Bündnisses für die Autonomie
Ost-Timors, gewählt.
512 Ludwig 1996, 56; Lowry 1996, 151ff.
513 Am bekanntesten unter diesen Diplomaten war José Ramos-Horta, der 1949 als Sohn einer Ost-
Timoresin und eines aus Portugal verbannten Portugiesen geboren wurde. Er war außenpolitischer Spre-

Sezessionistische und regionalistische Bewegungen
chen und sozialen Wandels. Seit 1978 hatte die indonesische Regierung die ökonomische
Entwicklung Ost-Timors stärker gefördert, um auf diese Weise eine möglichst
konfliktfreie Integration zu erreichen. Mit den neuen Bildungsmöglichkeiten
entstand in Ost-Timor eine neue Generation von politisch aufgeklärten Studenten,
die sich für die Unabhängigkeit mit gewaltfreien Mitteln einsetzte. Auch diese Opposition
wurde - wie in den anderen Regionen Indonesiens - Ende der 80er Jahre
immer aktiver, so etwa beim Papstbesuch im Jahre 1989, der von Großdemonstrationen
begleitet war. Im selben Jahr kam es auch außerhalb Ost-Timors zu Demonstrationen
gegen die Integration, so z.B. Ende 1989 in Bali. Ein Ost-Timor-Seminar
konnte im darauf folgenden Jahr an der UGM in Yogyakarta nicht stattfinden. Mehrfach
besetzten ost-timoresische Studenten Botschaften und baten um Asyl, so auch
1994 während des APEC-Treffens in Jakarta, und bei der Rückkehr Belos am
24.12.1996 demonstrierten 30.000 Ost-Timoresen in Dili.
Die Studentenbewegung stand in einer engen Beziehung zu kirchlichen Gruppen,
z.T. auch zur Fretilin:
"One key aspect of both this student 'intifada' and the armed resistance was their link with
the Timorese Catholic Church [...] it had developed by the late 1980s into a deep and
many-sided relationship, which provided an essential moral dimension to the nationalist
struggle." 514
Die Katholische Kirche war in Indonesien für die Unabhängigkeitsbewegung von
großer Bedeutung. So stieg von 1973-1989 der Anteil der Katholiken an der osttimoresischen
Bevölkerung von 27,8% auf 81,4%. 515 Durch verschiedene Maßnahmen
gelang es vielen Priestern, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. So
begleiteten sie die Bevölkerung in die Berge. Außerdem baute die katholische Kirche
durch die Einführung von Tetun als Liturgiesprache und mit der Besetzung des
Postens des apostolischen Administrators durch Timoresen eine engere Beziehung
zur einheimischen Bevölkerung auf. Vor allem Bischof Belo516 wurde in den 80er
Jahren zu einem der prominentesten Kritiker der indonesischen Ost-Timor-Politik
und zu einem Idol der Integrationsgegner. Er hatte 1981 die indonesische Staatsbürgerschaft
angenommen und 1983 da Costa Lopes (der vom Vatikan unter dem
Druck Indonesiens frühzeitig abgesetzt worden war) als apostolischer Administrator
von Ost-Timor ersetzt. Seine in einem Brief an da Costa Lopez geäußerte Kritik an
ABRI gelangte an die Öffentlichkeit und sorgte für heftige Reaktionen der indonesi-
cher von Fretilin und kurze Zeit Informations- und Außenminister. Er verließ Ost-Timor schon bald nach
der Invasion und arbeitete von da an auf diplomatischer Ebene und in Verbindung mit NGOs für die
Selbstbestimmung Ost-Timors. 1988 war er einer der Initiatoren des CNRM und legte im Zusammenhang
damit alle Funktionen in der Fretilin nieder. 1996 bekam er zusammen mit Bischof Belo den Friedensnobelpreis.
Die indonesischen Behörden, die ihn als Terroristen einstuften, starteten daraufhin eine Verleumdungskampagne
gegen Ramos-Horta.
514
Cox/Carey 1995, 40.
515
Aditjondro 1994, 34.
516
Carlos Filipe Ximenes Belo wurde 1948 in Baucau, Ost-Timor, geboren. Mit 16 trat er ins Priesterseminar
ein, ging 1968 nach Portugal, trat nach der Priesterweihe den Salesianern bei, kehrte 1975 für kurze
Zeit nach Ost-Timor (Maucau) zurück und ging anschließend bis 1981 nach Portugal und in den Vatikan.
1988 erfolgte seine Ernennung zum Bischof der verwaisten italienischen Diözese Lorium.
453

454
Oppositionelle Gruppen
schen Regierung. 1989 forderte Belo in einem Brief an Perez de Cuellar sogar ein
Referendum über den Status Ost-Timors. Im Oktober 1996 erhielt er zusammen mit
Ramos-Horta den Friedensnobelpreis. Anschließend führte ein Spiegel-Interview zu
großem Aufsehen in Indonesien. In dem Interview, von dem er sich später distanzierte,
sagte er, dass es neun Mordversuche gegen ihn gegeben habe und dass die
Ost-Timoresen von den indonesischen Truppen wie "räudige Hunde" behandelt
würden. Wegen seiner kompromisslosen Haltung wurde er für die Regimekoalition
in Jakarta zu eine der meistgehassten Personen.
Aceh, West-Papua und Ost-Timor in der indonesischen Öffentlichkeit
und die Bedeutung für die Demokratiebewegung
Die sezessionistischen und regionalistischen Bewegungen hatten auf das Herrschaftssystem
"Neue Ordnung" und auf die prodemokratische Opposition einen nur
geringen Einfluss. Über die Massaker in Aceh und West-Papua und die dort aktiven
Befreiungsbewegungen wurde in den Massenmedien kaum berichtet. Erst in den
letzten Jahren vor dem Sturz Suhartos wurde die Öffentlichkeit über die OPM, über
die Geiselentführung und die Konflikte zwischen den Amungme und dem amerikanischen
Bergbauunternehmen Freeport unterrichtet. 517 Die Ost-Timor-Problematik
war in der Neuen Ordnung ein Tabuthema. In den späten 70er und 80er Jahren wurde
von der Kolonialisierung in Ost-Timor kaum Notiz genommen, weil Sympathien
mit der Widerstandsbewegung scharf sanktioniert wurden und das Ausmaß der Gewalttätigkeiten
kaum bekannt war.
Ost-Timor galt selbst vielen regimekritischen Indonesiern als untrennbarer Teil
Indonesiens. Ali Sadikin kritisierte an der indonesischen Ost-Timor-Politik noch
Ende der 80er Jahre lediglich, dass die Regierung die Bevölkerung nicht über den
Tod indonesischer Soldaten aufgeklärt hatte. 518 Auch Megawati sagte in einem Interview
mit Inside Indonesia 519 , dass Ost-Timor zu Indonesien gehöre. Die beiden
brachten nur den lange vorherrschenden Konsens über den indonesischen Kolonialismus
zum Ausdruck. Daniel Sparringa schreibt darüber:
"It is interesting to note that despite the fact that Indonesia is a post-colonial society, it
unconsciously accepts itself as imperial, wanting to take over the mantle of a colonial
power rather than being post-colonial and willing to give rights to east Timorese to experience
'emancipatoric' relations. The sense of 'hierarchical paternalism' (for example,
"we have spoiled them") was strong among these intellectuals who argued that the East
Timorese did not have the sense of 'gratitude'. The hegemonic ideology of colonialism
was clearly represented in the way 'integration' was seen as promise to develop and bring
East Timorese into a 'modern' and 'civilised' society." 520
Diese Haltung (die wohl ähnlich für West-Papua galt) wurde wahrscheinlich noch
dadurch bestärkt, dass in Ost-Timor die Mehrheit der Bevölkerung katholisch war.
517 Vgl. etwa: YLBHI 1997, 218ff.
518 Interview in: Inside Indonesia Okt. 1988, 4.
519 Inside Indonesia Okt.-Dez. 1996.
520 Sparringa 1997, 228.

Sezessionistische und regionalistische Bewegungen
Erst in den letzten Jahren - vor allem nach dem Dili-Massaker - beschäftigte sich
auch die Demokratiebewegung zunehmend mit der Besetzung Ost-Timors. Tempo
berichtete in vier großen Titelstories über das Massaker und seine Folgen, und in der
Zeitschrift Jakarta-Jakarta erschienen sogar Augenzeugenberichte. Nach dem Vorfall
fanden zum ersten Mal gemeinsame Demonstrationen von Ost-Timoresen und
Indonesiern in Jakarta statt, und die Zusammenarbeit von Gruppen, die gegen die
Integration Ost-Timors waren, intensivierte sich. Die PRD z.B. sprach sich wiederholt
gegen die Besetzung Ost-Timors aus und verlieh Xanana provokativ einen von
ihr gestifteten Preis. KomnasHAM beschäftigte sich offiziell mit dem Liquisa-
Massaker im Januar 1995, bei dem sechs Ost-Timoresen wegen angeblicher Kooperation
mit den Rebellen erschossen worden waren. Das Komitee stellte fest, dass die
sechs Getöteten nicht, wie vom Militär behauptet, bewaffnet gewesen seien, und
kritisierte in deutlichen Worten das Verhalten ABRIs.
Die Verleihung des Friedensnobelpreises 1996 an Bischof Belo und Ramos-Horta
zeigte aber noch einmal sehr deutlich, wie gespalten die indonesische Öffentlichkeit
in der Ost-Timor-Frage war. 521 Während die Verteidiger der Neuen Ordnung Ramos-
Horta als einen Terroristen und Belo als einen "unsicheren Kantonisten" sahen,
begrüßten nur wenige indonesische Intellektuelle und politische Aktivisten die Entscheidung
des Nobelpreiskomitees.
Vieles deutet darauf hin, dass die Geschichte der Neuen Ordnung ohne diesen Inselteil
(und ohne West-Papua und Aceh) kaum anders verlaufen wäre. Für das Militär
war Ost-Timor ein Kriegsschauplatz, der die Rekrutierung höherer Offiziere erleichterte
und den Zusammenhalt der Sondereinheiten stärkte. Der Krieg dürfte aber in
den 90er Jahren zu einer Delegitimierung der Neuen Ordnung und besonders ABRIs
beigetragen haben. Führende Militärs wie Benny Murdani, Try Sutrisno oder Theo
Syafei hatten mit martialischen Äußerungen den Ruf des indonesischen Militärregimes
weiter verschlechtert. Vor allem außenpolitisch war die indonesische Regierung
in den 90er Jahren zunehmend unter Druck geraten, und die KomnasHAM-
Gründung war u.a. eine Reaktion auf das Dili-Massaker. Trotzdem ist die Bedeutung
Ost-Timors (sowie Acehs und West-Papuas) für die Demokratiebewegung in Indonesien
insgesamt als gering zu bewerten.
521 Vgl. dazu: Tempo Interaktif 12.10.1996.
455

456
Oppositionelle Gruppen
4.10 Einige abschließende Bemerkungen zu den konfliktfähigen
Gruppen in Indonesien
Protestformen und Programme
Die Opposition in Indonesien war erst seit Ende der 80er Jahre recht gut organisiert.
Sie bestand aus unterschiedlichen Gruppierungen, die oft miteinander kooperierten,
und sie wurde nach außen und gegenüber der Regimekoalition überwiegend von
Intellektuellen vertreten, die mit westlichen Demokratiemodellen vertraut waren und
eine liberale, parlamentarische Demokratie anstrebten. Die Tätigkeit vieler Oppositioneller
bestand zumeist nicht aus Demonstrationen und konspirativen Treffen,
sondern erschöpfte sich häufig in der Arbeit am Schreibtisch. Nur ein sehr kleiner
Teil dieser prodemokratischen Bewegung war in besonderen Situationen gewaltbereit
(einige Studenten, zuletzt Teile der PRD), die übergroße Mehrheit aber wollte
mit gewaltfreien Mitteln ihre Ziele erreichen. Viele Aktivisten waren bereit, eine
längere Phase der Transition in Kauf zu nehmen. 522
Bis Mitte/Ende der 80er Jahre war die Opposition in Indonesien schwach. Lediglich
die Studentenbewegungen der Jahre 1973/74 und 1977/78 formulierten z.T. eine
fundamentale Kritik an der Neuen Ordnung. Die Proteste der elitären Petisi-50-
Gruppe (und zuvor von Fosko und LKB) waren eher gemäßigt. Erst seit Ende der
80er Jahre traten regimekritische Proteste wesentlich häufiger und intensiver auf
(vgl. Schaubild 4-2). 523 Dabei ließen sich folgende Tendenzen ausmachen:
- Proteste fanden nicht mehr örtlich begrenzt statt, sondern lösten Folgeproteste in
anderen Teilen Indonesiens aus. Zum Teil kam es sogar zu koordinierten, überregionalen
Aktionen. Zum Beispiel kam es im Anschluss an die Presseverbote im Juni
1994 zu wochenlangen Protesten in ganz Indonesien. 524 Vor allem die Oppositionellen
aus der Mittelklasse (Journalisten, NGO-Aktivisten) bauten Beziehungen zu
international operierenden Organisationen auf.
- Die lower class-Proteste von Bauern, Arbeitern und urban poor häuften sich.
- Unterschiedliche Gruppen koalierten miteinander. Studenten und NGOs unterstützten
Bauern bei Protesten gegen Landenteignungen, Studenten halfen bei der Gründung
von Gewerkschaften oder demonstrierten mit Arbeitern für eine Aufklärung
des Marsinah-Falles etc.
- Die Regierung reagierte auf all diese Proteste oftmals nur defensiv. Organisationen
wurden z.B. offiziell verboten, aber stillschweigend als Untergrundorganisationen
weiter geduldet. Es ergaben sich dabei neue Interaktionsformen zwischen dem Staat
und der legalen sowie der illegalen Zivilgesellschaft. Es wurden neue Institutionen
gegründet (KomnasHAM).
522
In den meisten Interviews wurden Transitionsphasen bis 2010/2020 genannt. Viele Oppositionelle
waren überraschend pessimistisch.
523
Heryanto 1995.
524
AJI 1994.

Zu den konfliktfähigen Gruppen
- Bisher tabuisierte oder vernachlässigte Themen (die Lage in Ost-Timor, die staatliche
Menschenrechtspolitik, "Demokratisasi" etc.) wurden zum Gegenstand öffentlicher
Diskussionen.
Trotz der starken Dezentralisierung war eine nicht unerhebliche innere Kohäsion der
Demokratiebewegung zu konstatieren. Die "[...] urban middle-class opposition in the
1970s in many respects resembled a milieu more than an organised movement" 525 , in
den 90er Jahren jedoch gab es übergreifende Bündnisse wie KIPP, MARI, INFID,
die PRD und verschiedene NGOs sowie Studentenorganisationen mit breiter sozialer
Basis. Die Programme der beteiligten Gruppen ähnelten sich: Man wollte die Neue
Ordnung demokratisieren und offensichtliche Ungerechtigkeiten bekämpfen. Durch
die "Oppositionselite" war ein hohes Maß an Kontinuität und an wechselseitiger
Interessenabstimmung gewährleistet. Allerdings wurde zu keinem Zeitpunkt ein
detaillierterer Demokratisierungsplan ausgearbeitet. Im Gegenteil zeigte sich in den
Interviews, dass viele Demokratiebefürworter nur sehr vage Vorstellungen vom
möglichen Ablauf der Transition hatten, und Aktionspläne zur Destabilisierung der
Neuen Ordnung oder zur Organisation eines landesweiten, gewaltfreien Widerstandes
existierten ebenfalls nicht.
Bei einigen Studenten und radikalen NGO-Aktivisten gab es zwar Sympathien für
sozialistische oder kommunistische Ideen, aber insgesamt spielten in den 90er Jahren
Forderungen nach einer Vergesellschaftung der Produktionsmittel oder nach der
Errichtung einer "Volksdemokratie" keine Rolle mehr. Ähnlich verhielt es sich mit
religiös-fundamentalistischen Strömungen. Zwar gab es viele Muslime, die eine
politische und/oder kulturelle Islamisierung der Gesellschaft anstrebten, aber eine
breite islamistische Front, die die Errichtung eines Islamstaates befürwortet hätte,
existierte nicht. Dieses Fehlen extremistischer Forderungen machte die Stärke der
prodemokratischen Bewegung aus und erleichterte die Bildung von Koalitionen.
Die Beziehung der oppositionellen Gruppen zueinander
In Indonesien gab es eine Art "Aristokratie der Opposition". Zu ihr zählten einige
Dutzend Personen, die in ganz Indonesien und im Ausland bekannt waren und die
häufig in den USA, Australien oder Europa studiert hatten. Diese Prominenten waren
begehrte Interviewpartner für die politischen Magazine, und sie verliehen neu
gegründeten Organisationen und neu verfassten Resolutionen erst das nötige Gewicht.
Die Führungsgremien der wichtigsten Organisationen der Opposition wurden häufig
von denselben Personen besetzt. Eine Art Kraftzentrum bildete der NGO-Sektor. So
entstand die Gewerkschaft SBSI in diesem Sektor, und die wohl bekannteste Nichtregierungsorganisation,
das Rechtshilfeinstitut LBH, brachte mehrere der bedeutendsten
Oppositionellen, wie Todung Mulya Lubis und Adnan Buyung Nasution,
hervor. Lubis war außerdem Forum Demokrasi-Mitglied und gründete selbst NGOs
wie Yapusham. Ein anderer ehemaliger LBH-Mitarbeiter, Mulyana W. Kusumah,
525 Aspinall 1996, 223.
457

458
Oppositionelle Gruppen
übernahm eine führende Rolle bei KIPP und arbeitete dort zusammen mit prominenten
Figuren wie Gunawan Mohamad, Nurcholish Majid, Ali Sadikin, Adnan Buyung
Nasution, Muchtar Pakpahan, Permadi Satrio Wiwoho, Budiman Sudjatmiko, Andi
Arief, Arbi Sanit, Arief Budiman, H.J.C. Princen, Ridwan Saidi und Sri Bintang
Pamungkas. MARI, gegründet am 26.6 1996, wurde von Aktivisten verschiedener
NGOs bzw. Parteien wie Masyumi Baru, SBSI, PRD mit onderbouw, PUDI,
LPHAM, AJI, Parkindo, PNI Baru, YLBHI, Pijar Indonesia und PMII geschaffen.
Bei ICMI, einer Organisation, die bestimmte regimekritische Kräfte in sich aufnahm,
waren - wenn auch z.T. nur eine Zeit lang - beteiligt: Sri Bintang Pamungkas,
Amien Rais, Nurcholish Majid, Dawam Raharjo, Aswab Mahasin, Emha Ainun
Najib, u.a. Und zum Forum Demokrasi gehörten u.a. Sucipto Wirosarjono (ICMI),
Aswab Mahasin (LP3ES), Daniel Dhakidae (Kompas), Manuel Kaisiepo, Todung
Mulya Lubis, A. Rahman Tolleng, Arief Budiman, Romo Mangunwijaya, Franz
Magnis-Suseno, Aristides Katoppo, Chris Siner Key Timu (Petisi 50) und Johan
Effendi.
Die radikaleren, meist kleinen NGOs unterhielten häufig enge Verbindungen zu den
Studentenbewegungen, insbesondere zum aktivsten und radikalsten Teil der Studentenbewegung
bis 1998, der PRD. Andere ebenfalls radikalere Kräfte aus der NGO-
Bewegung waren zu gewerkschaftlicher Arbeit übergegangen (wie M. Pakpahan und
Princen). Die etwas gemäßigteren NGO-Mitarbeiter, die oftmals aus den BINGOs
kamen, arbeiteten z.B. in Organisationen wie dem Forum Demokrasi, KIPP, KomnasHAM
(wie Nababan) oder gar ICMI (Adi Sasono). Daneben gab es Verbindungen
zu den Regimegegnern, die selbst einmal zur Machtelite gehört hatten, inzwischen
aber glaubwürdig die Demokratiebewegung verstärkten, wie Ali Sadikin (Petisi
50), der neben Princen auch bei LBH tätig war und Megawati öffentlich unterstützte.
Andere Politiker der alten Generation vereinten sich in reaktivierten Quasi-
Parteien wie Masyumi Baru und PNI Baru.
Die Opposition hatte noch andere Nährböden: so z.B. den universitären Bereich, in
dem eine beschränkte Meinungsfreiheit verteidigt werden konnte. Unabdingbar für
die große Wirkung, die die oftmals eher symbolischen Gründungen von Gewerkschaften,
Parteien etc. hatten, war eine für autoritäre Systeme relativ kritische Presse,
die personell sehr eng mit der Opposition verflochten war. AJI war derjenige
Berufsverband, der die Demokratiebewegung am entschlossensten und radikalsten
verstärkte.
Trotz der intensiven Kooperation befanden sich auch die führenden Oppositionellen
untereinander in einem ständigen Kampf. Auch sie wurden u.a. - anders als es populäre
journalistische Darstellungen von vermeintlich übermenschlichen und gänzlich
uneigennützig handelnden Demokratiekämpfern gerne unterstellen - vom "Willen
zur Macht" getrieben. 526 Die jüngeren Oppositionellen konnten sich vor allem durch
526 Das SKOG-Modell ließe sich also in veränderter Form auch für eine Analyse der Opposition in Indonesien
nutzen. Die konfliktfähigen Teile dieser Opposition sind dann die radikalen Kräfte, die eine Neuverteilung
der Macht in diesem eng umgrenzten Bereich anstreben, während die Elitegruppen die geltenden
"Spielregeln" verteidigen.

Zu den konfliktfähigen Gruppen
Radikalität profilieren, die älteren durch jahrzehntelange Oppositionsarbeit und weit
gespannte Beziehungen, aber auch durch Gefängnisstrafen, die frühere Zugehörigkeit
zu Studentenbewegungen etc. 527 Eine akademische Ausbildung war sowohl für
die jüngeren als auch für die älteren nicht zwingend, aber förderlich.
Die genannten Oppositionellen gehörten i.d.R. der Mittelklasse an. 528 Sie waren am
ehesten in der Lage, mit mehr oder weniger ausgefeilten Strategien, Organisationsstrukturen
und Programmen die Regimekoalition herauszufordern. Sie waren es
auch, die den hin und wieder aufflackernden Widerstand der Arbeiter, Bauern und
urban poor koordinierten und ihm die nationale, z.T. auch internationale Aufmerksamkeit
verschafften. Berner bemerkt dazu:
"[...]the social coherence of subordinate groups is much more dependent on direct personal
contacts. [...] supra-local alliances come about only with the help of nongovernment
organizations (NGOs) that are themselves formed by discontent members of
the middle and upper classes.
Eventually, lower-class groups need allies from NGOs and media to attain a however limited
influence on the political system." 529
Insofern ist es sinnvoll, bei der Opposition zwischen den relativ eigenständig operierenden,
z.T. finanziell gut ausgestatteten Mittelklasseaktivisten und den Protestbewegungen
der Unterklasse zu unterscheiden. Die Bauern und die urban poor konnten
nur selten und i.d.R. nur Dank der Unterstützung durch die Studenten, die Medien,
einige Wissenschaftler und NGO-Mitarbeiter Widerstand leisten. Sie verfügten
selbst kaum über Geld, Einfluss und Wissen oder über gute Beziehungen zu Angehörigen
der Regimekoalition (vgl. Schaubild 4-3). Sie waren in erster Linie an einem
"besseren Leben" und an einer größeren Unabhängigkeit von der Staatsmacht interessiert.
Viele Mittelklasseaktivisten hingegen konnten darauf hoffen, bei einer Demokratisierung
selbst zu Parlamentariern, Professoren, Unternehmern etc. aufzusteigen.
Die Grenze zwischen Regimekoalition und Opposition
Der aktive Teil der Opposition stand dem Staatsapparat nicht unvermittelt gegenüber.
Vielmehr pflanzte sich die Opposition in diesen Apparat hinein fort und setzte
527 In vielen Fällen folgt ein vermeintlich naturgesetzlicher jugendlicher Radikalismus, auf den nach der
herkömmlichen Auffassung die weise Einsicht des älter Gewordenen folgt, nur aus bestimmten gesellschaftlichen
Kräfteverhältnissen. Junge Oppositionelle müssen sich profilieren, um in den Kreis der
"Senatoren" vordringen zu können. Das gelingt ihnen nur durch ein höheres Maß an Bildung oder eben -
in unruhigen Zeiten - durch Radikalität.
528 Die bekannten Menschenrechtler Todung Mulya Lubis und A.B. Nasution gehörten mit ihren exklusiven
Anwaltskanzleien zuletzt selbst z.T. zum Establishment. Nasution geriet bei seinen alten Mitkämpfern
in Verruf, als er sogar den Forschungs- und Technologieminister Habibie in einem Rechtsstreit mit
der Jakarta Post (die angeblich zu kritisch berichtet hatte) vertrat. Bis auf Marsinah - die ein Opfer
staatlicher Repression wurde - ist niemand aus der Unterklasse zu einer national bekannten Figur der
Demokratiebewegung geworden.
529 Berner 1995, 15.
459

460
Oppositionelle Gruppen
sich an dessen Grenzen fest. Das machte z.T. die Stärke der prodemokratischen
Bewegung aus. Der Widerstand der Studenten z.B. war bis zu einem gewissen Grad
selbst aus der Sicht der Regimekoalition durchaus legitim, da die 66er-Bewegung
die Neue Ordnung mitbegründet hatte. Auch einige NGOs - besonders die BINGOs
- arbeiteten mit Behörden zusammen oder wurden von Teilen der Regimekoalition
unterstützt.
ICMI ist ein Beispiel dafür, dass sich in den letzten Jahren der Neuen Ordnung der
Graubereich zwischen Staat und Opposition ausweitete. In diesem Bereich trafen in
mehr oder weniger institutionalisierter Form Militärs und Bürokraten auf NGO-
Mitarbeiter und kritische Intellektuelle. Auch die Muslimorganisationen NU und
Muhammadiyah sowie die PPP und vor allem die PDI nahmen in den letzten Jahren
der Neuen Ordnung ambivalente Haltungen zum Herrschaftssystem ein. So brachten
die eigentlich sehr gemäßigten Großorganisationen - NU und Muhammadiyah - zwei
der profiliertesten Demokraten hervor, und die PDI, die sich bis Anfang der 90er
Jahre kaum profilieren konnte, wurde unter Megawati zeitweise zu einem fundamentaloppositionellen
Bündnis.
Zum Teil versuchten Angehörige der Regimekoalition selbst, die Nähe zu führenden
Muslimen zu suchen, wie etwa Benny Murdani oder "Tutut", die jeweils von Abdurrahman
Wahid in Islamkreise eingeführt wurden, oder wie Feisal Tanjung, Hartono
u.a., die sich den orthodoxen Muslimen bei ICMI zuwandten. ICMI war u.a. als
Kooptationsmittel gedacht, konnte diese Funktion aber nicht ohne weiteres erfüllen,
zumal einige prominente Muslime wie Nurcholish Majid und Emha Ainun Najib
sich nach einiger Zeit von ICMI distanzierten.
Die Regimekoalition reagierte auf die erstarkte Opposition seit Ende der 80er Jahre
mit Kooptation und gemäßigter Liberalisierung einerseits, mit harter Repression
andererseits. Beispiele für Versuche, die Konfliktbereitschaft der Opposition zu
moderieren, waren die - folgenlose - Deklarierung der Pancasila als ideologi terbuka
und die Debatte über keterbukaan, die moderate Presseliberalisierung, die Minimalreformen
im Arbeitsrecht, die KomnasHAM-Gründung, die proislamische Politik
(z.B. die Schaffung von ICMI), das leichte Entgegenkommen in der Ost-Timor-
Frage nach dem Dili-Massaker, die Rücknahme des Verkehrsgesetzes und der
Staatslotterie (SDSB), die Freilassung einiger Kommunisten bzw. Sukarnoisten, die
Duldung verschiedener radikaler NGOs und Quasiparteien sowie die Annäherung an
Sadikin, Nasution et al. Diese begrenzte Liberalisierung wurde aber durch eine traditionelle
rust en orde-Politik immer wieder konterkariert. Die entscheidenden Wendepunkte
waren das Dili-Massaker (1991), die Presseverbote (1994) und vor allem
der "Sabtu Kelabu" im Juli 1996. Nach diesem - erstaunlich laienhaft durchgeführten
- Schlag wurde die Grenze zwischen Regimekoalition und Opposition wieder
deutlicher.
Es bleibt dennoch als Fazit, dass die Dichotomie "strategische Gruppen - konfliktfähige
Gruppen" nicht zu starr konstruiert werden sollte. Es lassen sich zahlreiche

Zu den konfliktfähigen Gruppen
Wechselbeziehungen und Überschneidungen ausmachen. 530 Außerdem fanden sich
im Staatsapparat und in der Opposition Radikale und Gemäßigte, Unerbittliche und
Dialogbereite. Allerdings formierten sich innerhalb der mächtigsten strategischen
Gruppen - also in den Streitkräften, in der Bürokratie oder in der Großunternehmerschaft
- keine prodemokratischen Fraktionen, so dass die Opposition bis in den Mai
1998 hinein auf sich allein gestellt blieb.
Schaubild 4-2: Vergleich der Opposition (1965/66 bis Ende der 80er Jahre und Ende der
80er Jahre bis 1998)
1965/66-Ende der 80er Jahre Ende der 80er Jahre-1998
Arbeiter Nach den Massakern, dem PKI-Verbot
und der Umgestaltung der Arbeitsbeziehungen:
sehr schwache Arbeiterbewegung
Studenten 1966 auf Seiten Suhartos, ab Anfang der
70er beginnende, aber i.d.R. nicht fundamentale
Kritik an der Neuen Ordnung;
1977/78 scharfe Kritik an Nepotismus,
dwifungsi, Kopkamtib, sozialer Ungleichheit
etc.; Studentenbewegung nach 1978
ohne Bedeutung
Professionals Professionals beteiligen sich an den Protesten
gegen Sukarno 1965/66; sind danach
weitgehend kooptiert oder in anderer
Form kontrolliert
Muslime 1965/66 unterstützen die orthodoxen Muslime
weitgehend Suharto; Parteien, islamische
Organisationen, Berufsorganisationen
etc. sind schwach
NGOs Nur wenige NGOs existieren, die meisten
von ihnen sind sozialreformerisch orientiert
und insgesamt gemäßigt
Streiks häufen sich; Gründung staatlich
nicht anerkannter Gewerkschaften
461
Ähnliche Forderungen wie die Bewegung
von 1977/78, aber verstärkt Koalition mit
anderen gesellschaftlichen Gruppen und
größere Distanz zum Militär; Forderungen
nach Demokratie ebenso wichtig wie
solche nach sozialer Gerechtigkeit; 1998
längste und wirkungsvollste Aktionen
Professionals bauen zahlreiche NGOs und
politische Organisationen auf
Teile der neuen islamischen Mittelklasse
(neo-santri) sind ausgesprochen liberal
und prodemokratisch orientiert; A. Wahid
und Amien Rais treten in den 90er Jahren
hervor
Die Zahl der NGOs vervielfacht sich in
wenigen Jahren; ein Teil von ihnen formuliert
radikale Ziele; es gibt eine Tendenz
zur Systemtransformation, zum Aufbau
von NGO-Netzwerken und allgemein der
Politisierung
Bauern Bauern treten durch Proteste kaum hervor In den 80er und vor allem 90er Jahren gibt
es zunehmend Bauernproteste gegen Enteignungen
urban poor Nur vereinzelt Unruhen Seit Anfang der 90er gehören Unruhen in
allen Teilen Indonesiens zur Normalität;
einige davon sind wahrscheinlich bewusst
von Teilen der Regimekoalition angeheizt
worden
530 Vgl. dazu: Aspinall 1996, 234ff.

462
Sezessionisten Guerilla-Widerstand der Fretilin; verein-
und Regionaliszelt Widerstand in Aceh und in Westten
Papua
Oppositionelle Gruppen
Ost-Timoresische Befreiungsbewegung
bedient sich verstärkt diplomatischer
Mittel; außerdem entsteht eine neue Studentenopposition;
spätestens nach Dili ist
die Kolonialmacht Indonesien international
in der Defensive; in West-Papua häufen
sich in den 90er Jahren Zusammenstöße
mit dem Militär; in Aceh erreicht der
Widerstand Ende der 80er/Anfang der
90er Jahre einen Höhepunkt
Schaubild 4-3: Konfliktfähigkeit verschiedener gesellschaftlicher Gruppen
Wichtigste Widerstandsformen
Öffentliche Anerkennung
(z.B. in der Presse)
Fähigkeit zur Bildung
von Koalitionen mit
anderen Gruppen
Formulierung alternativer
politischer Ziele
("Demokratisierung");
Benennung sonstiger
politischer Ziele
Möglichkeit, einer
Kooptation zu entgehen
und eine Kriminalisierung
zu verhindern
Bauern urban
poor
Widerstand
gegen
Enteignung
in hohem
Maße
Industriearbeiter
Unruhen Streiks
und Demonstrationen
ambivalent in hohem
Maße,
aber kaum
Berichte
gering gering nur mäßig
ausgebildet
nur indirekt;
auf
Landkonflikte
beschränkt
Leicht
kriminalisierbar,Kooptierbarkeit
fraglich
Innere Struktur Keine
zentrale
Führung,
oft abh.
von NGOs
u.a.
sehr wenig
ausgeprägt,
allenfalls
indirekt
leicht
kriminalisierbar,
preman
kooptierbar
sehr diffus,untersch.
Ziele
Ziele meist
auf Arbeitskonfli
kte beschränkt
leicht
kriminalisierbar,Kooptierbarkeit
fraglich
vor Verbot
des SBSI
zentrale
Führung,
aber kaum
hierarchisiert
Studenten Ehemalige
Angehörige
der
Regimekoalition
Demonstrationen
in hohem
Maße, bei
radikalen
Studenten
ambivalent
in hohem
Maße
alternative
Ziele
häufig klar
formuliert
schwer zu
kriminalisieren,
z.T.
leicht
kooptierbar
oftmals
kaum
hierarchisiert;
bei
PRD feste
Struktur
Petitionen,
öffentl.
Kritik
in hohem
Maße
nur mäßig
ausgebildet
nur bei
Petisi 50
ausgeprägt
schwer zu
kriminalisieren,
schwer
kooptierbar
kaum
hierarchisiert
Professionals
in
NGOs,
Parteien
etc.
Information,Koal.bildung,Rechtsvertretung
in hohem
Maße, bei
radikalen
NGOs
ambivalent
in sehr
hohem
Maße
alternative
Ziele
häufig klar
formuliert
schwer zu
kriminalisieren,
schwer
kooptierbar
oft Tendenz
zur
Hierarchisierung

Zu den konfliktfähigen Gruppen
Konstituierung und
Dauerhaftigkeit
Geograph. Ausdehnung
und Vernetzung innerhalb
der Gruppe
Beziehung zu Teilen
der Regimekoalition
Ad-hoc-
Bildung,
temporär
Ganz
Indonesien,
aber
keine Bez.
untereinander
Ad-hoc-
Bildung,
von sehr
kurzer
Dauer
ganz Indonesien,
aber keine
Bez. untereinander
schlecht z.T. unterwandert
unabh. Gewerkschaft
auf Dauer
angelegt
ganz Indonesien;
schwache
Bez. untereinander
Finanzielle Ausstattung schlecht - eher
schlecht
Konfliktfähigkeit insgesamt
teilweise
temporär,
teilweise
sehr dauerhaft
ganz Indonesien,
enge Kooperation
schlecht z.T. recht
gut
z.T. sehr
dauerhaft
auf Jakarta
konzentriert
z.T. recht
gut
463
sehr dauerhaft,
stark
institutionalisiert
ganz Indonesien,
enge Kooperation
z.T. recht
gut
schlecht - z.T. gut
schwach schwach mäßig hoch mäßig hoch
Schaubild 4-4: Wichtige Daten in der Entwicklung von Regimekoalition und Opposition
(1988 bis Mai 1998)
Aktionen der Opposition Entwicklungen in der Regimekoalition und
Reaktionen auf die Opposition
1988 Nov.: Studentenproteste in Yogyakarta, Ujung
Padang etc.
1989 Aktionen von Bauern, Studenten, NGOs und
religiösen Führern bei Kedung-Ombo-
Konflikt; Verurteilung von Bambang Subeno
und Bambang Isti Nugroho, später von Bonar
Tigor Naipospos; Demonstrationen gegen
Rudini am ITB; Brüssel-Vorfall.
1990 Im Aug. wird das Streikverbot offiziell aufgehoben;
Setiakawan im Nov. gegründet;
Monitor-Affäre im Okt.; Petition v. 58 prominenten
Indonesiern (fordern mehr Demokratie
und Beschränkung d. Amtszeit des Präs.
1991 Gründung von LPD im März, Forum Demokrasi
im April und FPKR im August;
Gajah-Tunggal-Streik von 14.000 Arbeitern
in Tangerang; Proteste gegen das Verbot, den
jilbab in Schulen zu tragen.
Eklat bei Vizepräsidentenwahl; Wahono wird
Golkar-Vorsitzender; Bakorstanas löst Kopkamtib
ab; Öffnung von Teilen Ost-Timors;
Antikommunismuskampagne.
Seit 1989 keterbukaan und Debatte um Integralismuskonzept;
im Februar Lampung-
Vorfall; Massaker in Aceh 1989-93; Normalisierung
der Bez. zu China; gebuk-Äußerung
von Suharto.
ICMI-Gründung im Dez.; Tragen des jilbabs
in Schulen erlaubt; PTUN-Gründung; Suharto
fordert Konglomerate auf, Aktienanteile an
Genossenschaften zu verteilen; auch Suharto
spricht v. keterbukaan.
Am 12.11. Dili-Massaker; Suharto pilgert
nach Mekka.

464
1992 NGOs sind von Konflikt mit NL betroffen; im
April SBSI-Gründung; Demonstrationen
gegen neue Straßenverkehrsordnung; HKBP-
Führungskonflikt
1993 Gründung v. KomnasHAM im Juni; im Dez.
wird Megawati PDI-Vors.; Proteste gegen die
staatliche Lotterie SDSB; FAMI-Demonstr.
im Parlament; Proteste im Marsinah-Fall;
HKBP-Auseinandersetzungen.
1994 Nationaler Streik am 11.2.; im April Unruhen
in Medan; 3 Tote nach Dem. in Ujung Pandang,
es folgen Solid.kundgebungen in
versch. Städten; wochenlange Dem. wegen
"Pembreidelan"; Gründung von AJI; Wahid
wird im Dez. wieder NU-Vorsitzender.
1995 Einige Parlamentarier werden "recalled"; im
April Demonstr. in Deutschland; im Sep.
Verurt. v. Ahmad Taufik, Eko Maryadi und
Tri Agus Susanto (AJI bzw. Pijar); im
Okt./Nov. Gründung v. YKPK, PNI-Baru,
Masyumi Baru und Parkindo; Adi Andoyo
spricht über Korruption am Obersten Gerichtshof;
Rais wird Muhammadiyah-Vors.,
Adi Sasono ICMI-Generalsekr.; verstärkt
Unruhen und Streiks.
1996 Gründung von KIPP (im März), von PUDI
(im Mai), von MARI (Juni) und der PRD
(Juli); Besetzung der PDI-Zentrale und "freies
Podium"; Studentenprotest in Ujung Pandang
gegen Fahrpreiserhöhung im April; Friedensnobelpreis
für Ramos Horta und Belo; Unruhen
in Situbondo im Oktober und in Tasikmalaya
im Dez.
1997 Mega-Bintang-Wahlkampf; im Nov. Freispruch
im “Udin”-Fall; Unruhen und Streiks.
Bis
Mai
1998
Von Februar bis Mai Studentenproteste;
Unruhen; Tri- Sakti-Vorfall; Besetzung des
Parlamentsgeländes.
Oppositionelle Gruppen
Im März: Ablehnung weiterer Hilfe aus NL;
Wahlen; Auflösung IGGI.
Suharto wiedergewählt; Try Sutrisno Vizepräs.;
Annäherung an Petisi 50 und an
Nasution; Harmoko erster ziviler Golkar-
Vors.; Bapindo-Skandal; Wahl Suryadis wird
im Juli von Regime verhindert; Nipah-
Zwischenfall.
Starker Druck auf Ramos ausgeübt wg. Ost-
Timor-Konferenz in Philippinen; Kriegsschiffaffäre;
Bakrie wird Kadin-Vors.; im Mai
erhebl. Liberalis. f. ausl. Investoren; im Juni
"Pembreidelan".
Im Feb. wird Hartono Kasad; zunehmend
Warnungen vor OTB; Freilassung von Subandrio,
Omar Dhani und Sugang Sutarto
sowie Streichung der ex-tapol-
Kennzeichnung in Pässen; Kampagnen gegen
die PDI; Liquisa-Vorfall in Ost-Timor; Verurt.
von Permadi.
Suryadi wird im Juli zum PDI-Vors. gemacht;
Jagd auf Oppositionelle beim "Sabtu Kelabu"
und danach; Mobnas-Projekt geht an “Tommy”
Suharto im Feb.; Verurteilung von Sri
Bintang.
Im Juni wird Informationsmin. Harmoko
durch Hartono ersetzt; im August wird Hartono
ICMI-Mitglied; im Dez. Ruhepause v.
Suharto; bei Wahlen bekommt die PDI nur
3,1%; im Juli Beginn der Finanzkrise; Indonesien
bittet Weltbank und IWF um Hilfe;
Dürre und Ernteausfälle; Waldbrände.
Im Januar Höhepunkt der Asienkrise;
Wiederwahl Suhartos im März; erzwungener
Rücktritt am 21.5.

Teil III:
Der Sturz Suhartos und die Demokratisierung
unter Habibie und Wahid 1
5. Der Zerfall des Suharto-Regimes
Im Jahr 1997 kam in Indonesien alles zusammen. Zunächst begannen im April die
verheerenden Brände auf den Inseln Sumatra und Borneo, die über Monate weiter
schwelten und riesige Regenwaldflächen vernichteten. Eine durch das Klimaphänomen
El Niño ausgelöste lang anhaltende Dürreperiode verursachte Ernteausfälle, die
in einem Land wie Indonesien zu folgenreichen Engpässen in der Nahrungsmittelversorgung
führen. 1997 und 1998 wurden mehrere Mio. Tonnen Reis weniger geerntet
als in den Jahren zuvor. Zwar versicherte die Regierung noch Anfang 1998,
dass die Versorgung - unter anderem durch Reisimporte - gesichert sei, aber die
Bevölkerung schenkte diesen Beteuerungen keinen Glauben. Zu allem Unglück
begann etwa im August die größte Wirtschafts- und Finanzkrise seit 1965/66. Damals
hatten dreistellige Inflationsraten und die Zahlungsunfähigkeit der Regierung
zum Zusammenbruch des Sukarno-Regimes und zur Machtübernahme durch Suharto
zumindest beigetragen. Und auch 1997/98 sollte die wirtschaftliche Krise letztlich
den Sturz des Präsidenten bewirken.
Suharto hätte unter Umständen seine Haut durch eine etwas klugere Machtpolitik
retten können. Er hätte sich streng an die Auflagen des IWF halten müssen. Wenn es
dann zu einer raschen Erholung der wirtschaftlichen Lage gekommen wäre, hätte er
wahrscheinlich wie geplant noch einige Jahre regieren können. Aber er hatte den
Bogen wohl bereits überspannt. Schließlich waren der Vertrauensverlust der Investoren
und der Währungsverfall durch die neopatrimonialen Machtstrukturen, die
Suharto zu verantworten hatte, erst entstanden. Die Intransparenz, die fehlende
Rechtssicherheit, der hohe Grad von Korruption (korupsi), Kollusion (kolusi) und
Nepotismus (nepotisme) und die Konzentration des Kapitals in den Händen der
Suharto-Familie und einiger Sinoindonesier waren maßgeblich für die Schwere der
Krise verantwortlich. Da eine wirtschaftliche Stabilisierung letztlich fundamentale
Reformen verlangte, musste das neopatrimoniale Netzwerk zerschlagen werden.
Zuletzt gab es nur noch die Losung: Demokratie oder Tod.
Innerhalb weniger Wochen zerbröselte alles, was den Ideologen der Neuen Ordnung
bis dahin heilig gewesen war. Die vermeintlich indonesische Demokratievariante,
die "Demokrasi Pancasila", und auch die dwifungsi des Militärs standen nicht mehr
hoch im Kurs. Im Mai zogen die Studenten mit der Forderung nach einer "Reformasi
Total" vor das Parlament. Mit dem erzwungenen Rücktritt Suhartos war der Weg
1 Die Kapitel 5 und 6 sind in ähnlicher Form bereits in Südostasien aktuell erschienen (Ufen 2000a und
2000b). Kapitel 7 ist eine Kurzfassung von Ufen 2000c und 2001a.
465

466 Der Zerfall des Suharto-Regimes
frei für die Entmachtung der gesamten Suharto-Familie, damit auch des Prabowo-
Flügels im Militär, und für die Verurteilung der korruptesten cronies, Politiker,
Bürokraten und Militärs. Außerdem wurden kurz nach dem Amtsantritt Parteien und
Gewerkschaften zugelassen, bald darauf wurden freie Wahlen für den Juni 1999
festgesetzt, die Presse konnte so frei berichten wie seit den 50er Jahren nicht mehr,
und das Militär hielt sich bei all diesen Reformen zurück.
Für ABRI war angesichts der äußerst prekären wirtschaftlichen Lage ein Putsch
wohl auch nie in Betracht gekommen. 1965 war die Machtübernahme durch Suharto
von vielen orthodoxen Muslimen und sogar von den meisten Studentenaktivisten
begrüßt worden. Auch gab es damals eine mehr oder weniger aktive Unterstützung
durch den Westen, insbesondere durch die US-Amerikaner. 1997/98 aber waren
Militärdiktaturen weltweit unbeliebt geworden, und es gab kaum Zivilisten in Indonesien,
schon gar keine Studentenaktivisten, die sich die völlige Machtübernahme
durch ABRI gewünscht hätten. ABRI galt mittlerweile als wenig kompetent, als z.T.
korrupt und mitschuldig an der Finanzkrise. Auch hatte sich die internationale Lage
politisch und wirtschaftlich gewandelt. Die ausländischen Investoren waren in den
90er Jahren stärker an Rechtssicherheit und Berechenbarkeit interessiert.
Waldbrände und Missernten
Die Krise wurde von vornherein durch die Dürre und die Waldbrände verstärkt. In
Indonesien war es schon in den Jahren zuvor immer wieder zu lang anhaltenden
Waldbränden gekommen. Schon 1982/83 gingen 3,2 Millionen Hektar Waldfläche
in Ostkalimantan in Flammen auf. 2 Schon damals war eine Kombination von Wetterfaktoren
und menschlichen Eingriffen die Ursache des Desasters. Danach brannten
größere Flächen in den Jahren 1989, 1991 und 1994/95. Im letztgenannten Jahr
zogen bereits riesige Rauchschwaden bis nach Singapur und Malaysia. Allein von
April bis September 1997 sollen dann mindestens 1,7 Millionen Hektar Waldfläche
vernichtet worden sein. Wie das Jahr 1982/83 war auch das Jahr 1997/98 ein El-
Niño-Jahr. Der El-Niño-Effekt3 besteht darin, dass Meeresströme im Pazifik ihre
Richtung ändern und dadurch starke Regenfälle in Mittelamerika und lange Dürreperioden
in Teilen Südostasiens bewirkt. Im August, September und Oktober wurden
Singapur sowie Teile Indonesiens und Malaysias, ja sogar der Philippinen und
Thailands in bisher unbekannten Ausmaßen vom Haze eingehüllt. Die Luftverschmutzung
war so stark, dass zeitweise Flugplätze geschlossen und in Teilen Malaysias
und Sumatras Atemschutzmasken getragen werden mussten. Ende September
stürzte vor Medan sogar ein Airbus ab, weil die Sichtverhältnisse so schlecht
waren. Die gesamte Region musste Milliardenverluste u.a. im Tourismussektor
hinnehmen. In Sarawak erreichte der Air-Pollution-Index einen Wert von 849, wobei
schon ein Wert von 300 als gefährlich eingestuft wird. 4 1998 dauerten die Wald-
2 Gellert 1998, 65; Indonesien Information 1/98, 52ff.
3 Einiges deutet darauf hin, dass dieses Phänomen seit einigen Jahren wegen der Treibhausgasemissionen
gehäuft auftritt (Indonesien Information 1/98, 57).
4 Gellert 1998, 70f.

Die Asienkrise 467
brände an, und schon in den ersten dreieinhalb Monaten wurden weitere 400.000
Hektar Waldfläche vernichtet.
Auch wenn sich das Geflecht von klimatischen und wirtschaftlichen Ursachen der
ökologischen Katastrophe nicht leicht entwirren lässt, so herrscht Einigkeit darüber,
dass die großen Holzindustriellen und Palmölplantagenbesitzer viele Brände gelegt
hatten, um möglichst schnell und kostengünstig Schneisen zu schaffen oder neue
Flächen für die industrielle Nutzung zu lichten. 5 Über 80% der Brandherde konnten
nach der Auswertung von Satellitenphotos in Plantagengebieten verortet werden.
Mehrere kritische Minister haben diesen Zusammenhang offen angesprochen, wie
der ehemalige Umweltminister Sarwono Kusumaatmaja und sein Nachfolger Yuwono
Sudarsono sowie der Ex-Forstminister Jamaluddin Suryohadikusumo. Im September
1997 machte Jamaluddin 176 Unternehmen direkt verantwortlich und verlangte
von ihnen Beweise für ihre Unschuld. Zu den Beschuldigten gehörten die
cukong Liem Sioe Liong, Prayogo Pangestu und "Bob" Hasan. Ausgerechnet "Bob"
Hasan, der "Tropenholzkönig", wurde dann im März 1998 von Suharto zum Industrie-
und Handelsminister ernannt.
Die Asienkrise
Die Neue Ordnung unter Suharto legitimierte sich in erster Linie durch lang anhaltende
wirtschaftliche Erfolge: das BSP war über drei Jahrzehnte fast unaufhörlich
um 5-6% gestiegen, die Inflationsraten waren relativ niedrig, der prozentuale Anteil
der absolut Armen konnte in dieser Zeit erheblich gesenkt werden, und auch fast alle
anderen Indikatoren (Kindersterblichkeit, Geburtenrate, medizinische Versorgung,
Ausbildung etc.) sprachen zumindest wirtschaftspolitisch nicht gegen das Suharto-
Regime.
Die Asienkrise hat die ökonomische und politische Lage in Indonesien fundamental
verändert. 6 Während bis zur Mitte des Jahres 1997 praktisch alle renommierten Forschungsinstitutionen
Südost- und Ostasien als die Wachstumsregionen schlechthin
bezeichneten und Indonesien etwa in einem Weltbankbericht als "highly performing
advanced economy" 7 eingestuft wurde, ist mittlerweile der Optimismus verflogen.
Feridhanusetyawan8 sprach in seinem Überblick noch Ende Juni/Anfang Juli 1997
trotz seiner Bedenken hinsichtlich des Bankensektors9 von "strong economic fundamentals",
eine Wendung, die auch die indonesische Regierung bis in das Jahr 1998
hinein benutzte. 10 Tatsächlich waren die Inflationsraten bis zum Ausbruch der Krise
5
1966 waren 82% der Landmasse Indonesiens mit Primärwäldern bedeckt, 1998 waren es nur noch 55%.
6
Aritonang 1999, 79ff; Mann 1998a.
7
World Bank 1993.
8
Feridhanusetyawan 1997.
9
Er zitiert eine Untersuchung, nach der 39 der 239 Banken stark bankrottgefährdet waren. "Following
deregulation of the sector in 1988, many investors appear to have established banks simply to provide
their businesses with easier access to funds [...]. BI seems reluctant to let troubled banks fail and, rather
than liquidating them, has often injected new funds itself", Feridhanusetyawan 1997, 24.
10
Vgl. auch Garten (1999, 78), der berichtet, dass auch der IWF und die Weltbank die "Ansteckungsgefahr"
völlig falsch einschätzten und bei ihrem Jahrestreffen im November 1997 in Hongkong davon

468 Der Zerfall des Suharto-Regimes
so niedrig wie selten zuvor (5,2% im Mai im Vergleich zum Vorjahresmonat), die
Börse erlebte seit 1996 einen Boom (die Kapitalisierung war von 178 Bio. Rp. auf
228 Bio. Rp. innerhalb eines Jahres gestiegen), und noch im Juni 1997 erreichte der
Börsenindex Jakartas eine neue Rekordhöhe. Die Zahlungsbilanz gab keinen Anlass
zur Sorge, und die Reserven der Zentralbank waren auf 11 Mrd. US$ gestiegen.
1996 wurde sogar ein Wirtschaftswachstum von 7,8% erzielt. Feridhanusetyawan 11
versuchte daher in einem Exkurs zu begründen, "Why Indonesia is not Thailand",
und meinte, dass das schwache Exportwachstum, das Leistungsbilanzdefizit, die
Lohnerhöhungen seit Anfang der 80er Jahre und die im Vergleich zu Thailand flexiblere
Währungspolitik eine derartige Krise in Indonesien wenig wahrscheinlich
machten.
Im Januar 1997 meldete Hanbo Steel, ein südkoreanischer chaebol, mit 6 Mrd. US$
Schulden Konkurs an. Im Mai 1997 ging auch die größte thailändische Finanzierungsgesellschaft,
Finance One, pleite. Die Asienkrise begann spätestens im Mai
1997, als intensiv gegen den Baht spekuliert wurde. 12 Anfang Juli - nachdem der
Baht vom US$ losgekoppelt worden war - kam es zu einem kräftigen Wertverlust
der thailändischen Währung und infolge so genannter Ansteckungseffekte zu einer
fast asienweiten Währungskrise. Am 11.7. bzw. 14.7. gaben die Philippinen und
Malaysia die Verteidigung ihrer jeweiligen Währung auf. Am 14.8. hob auch Indonesien
die Bindung (managed floating) an den US$ auf.
Im September erläuterte Finanzminister Mar’ie Muhammad die Grundpfeiler des
Programms zur Krisenbekämpfung: Indonesien solle die Währung stabilisieren, den
Haushalt konsolidieren, die Zahlungsbilanzdefizite reduzieren sowie den Bankensektor
und die privaten Unternehmer stärken. Daraufhin kam es zur Revision von 15
Megaprojekten im Gesamtumfang von 35,6 Mrd. US$. 13 Außerdem wurde die Steuer
auf Luxusgüter erhöht, und NE/E-Exporte wurden weiter gefördert. Anfang Oktober
waren die Rupiah bereits um 35% und der JSX-Index um 44% gefallen. Deshalb
entschied am 8. Oktober das Kabinett, den IWF um Unterstützung zu bitten.
Am 31.10. wurde das erste Übereinkommen mit dem IWF erzielt. Insgesamt wurden
43 Mrd. US$ (darunter 5 Mrd. US$ aus indonesischen Quellen) als Standby-Loans
in Aussicht gestellt. Die 43 Mrd. US$ bestanden aus drei Paketen, wobei ein Paket
(23 Mrd. US$) vom IWF (10 Mrd. US$), von der Weltbank (4,5 Mrd. US$), von der
ADB (3,5 Mrd. US$) und von Indonesien selbst zur Verfügung gestellt werden
sollte. Allerdings wurde nicht genau festgelegt, wann genau und in welchem Um-
sprachen, dass Indonesien "sicher" sei. McLeod (1998, 96) sprach ebenfalls im November von der "socalled
rupiah 'crisis'" und machte psychologische Faktoren für diese Krise verantwortlich.
11
Feridhanusetyawan 1997, 8.
12
Cole/Slade 1998; Soesastro/Basri 1998; Weggel 1998; Robison 1998; Johnson 1998; Machetzki 1999a;
Rüland 1999.
13
Dazu gehörten u.a. eine 65 km lange Brücke zwischen Indonesien und Malaysia (2 Mrd. US$) und eine
zwischen Java und Sumatra sowie ein 558m hoher Turm in Jakarta (Menara Jakarta, 560 Mio. US$).

Die Asienkrise 469
fang die einzelnen Hilfspakete ausgezahlt werden sollten. 14 Ein weiteres Paket bestand
aus bilateralen Hilfen von Japan, Singapur, den USA, Malaysia, Australien,
Brunei, China und Hongkong.
Indonesien hatte zunächst einige Auflagen zu erfüllen: So musste der Bankensektor
reformiert werden, da die Bankenaufsicht sehr unzureichend war und die Kreditinstitute
sich häufig nicht an die gültigen Gesetze hielten. Außerdem sollten Importtarife
etwa für Chemieprodukte, Eisen und Stahl sowie Fischereiprodukte gesenkt,
Exportsteuern reduziert, der Automobilmarkt geöffnet, die Märkte für Weizenmehl,
Sojabohnen, Knoblauch etc. dereguliert und Staatsunternehmen konsolidiert bzw.
privatisiert werden. Das Übereinkommen wurde nicht publiziert, so dass die genauen
Vorgaben des IWF unklar waren.
Als am 1. November die Regierung überraschend die Schließung von 16 Banken
bekannt gab, wurde das allgemein als begrüßenswerter erster Schritt betrachtet. Da
Anfang September auch die staatlichen Handelsmonopole für Weizen, Weizenmehl
und Knoblauch aufgegeben und Tarifsenkungen angekündigt wurden, schien die
Regierung Suharto auf die IWF-Vorgaben wirklich zu reagieren, und die Rupiah
stabilisierte sich bis Mitte November wieder (von 3.600 Rp./US$ auf 3.300
Rp./US$; vgl. Tabelle 5-1). 15
Dennoch kam es Ende 1997 in Indonesien zu einem Stimmungsumschwung. Der
Präsident verlor in dieser Phase erheblich an Ansehen, da er sich seine politischen
Maßnahmen vom IWF vorschreiben lassen musste und da er selbst offensichtlich
nicht in der Lage war, die Ursachen der Krise zu verstehen. 16 Außerdem wurde deutlich,
dass die vom IWF angemahnten Reformen auch die Machtstrukturen der Neuen
Ordnung verändern mussten, da die meisten Monopole und Staatskredite der Suharto-Familie
und ihren cronies zugute gekommen waren. So forderte der Währungsfonds
eine Beendigung des Mobnas-Projektes. Aber genau diese Forderung war für
Suharto nur um einen sehr hohen Preis erfüllbar, denn er hätte wenige Wochen vor
den Präsidentenwahlen "sein Gesicht verloren". In den folgenden Monaten bestätigte
Suharto die Befürchtungen des IWF, der ausländischen Regierungen und von Teilen
der indonesischen Geschäftswelt.
Er glaubte offensichtlich, die Krise "aussitzen" zu können und führte die versprochenen
Reformen entweder gar nicht oder nur halbherzig durch. Mehrere Projekte
14 Zu den Einzelheiten und der Kritik von Jeffrey Sachs an der Intransparenz der IWF-Entscheidungen:
vgl. Soesastro/Basri 1998, 11ff. Sachs ist der Meinung, dass die Asienkrise nicht auf unsolide Finanzhaushalte
der Regierungen, sondern auf den außergewöhnlichen Zufluss von Kapital in den privaten
Sektor - häufig in Form von kurzfristigen Krediten - zurückgeführt werden kann.
15 Allerdings hatte schon am 5.11. ein Sohn Suhartos, Bambang, gegen die Schließung der Bank Andromeda
Klage eingereicht, diese kurz darauf zurückgenommen, aber dieselbe Bank mit einer anderen
Lizenz und also unter einem anderen Namen (Bank Alfa) wiedereröffnet. Pikanterweise machte Bambang
Trihatmojo für die "Konspiration" u.a. den Zentralbankchef Sudrajad Jiwandono verantwortlich. Sudrajad
ist ein Schwiegersohn von Sumitro Joyohadikusumo, der ja wiederum der Vater von Prabowo ist.
16 In einer Ausgabe der Jakarta Post wurde über die Begriffsstutzigkeit des Präsidenten in großen Lettern
berichtet. Ein Vorgang, der einige Jahre zuvor undenkbar gewesen wäre.

470 Der Zerfall des Suharto-Regimes
wurden neu aufgelegt, darunter der Bau einer Erdölraffinerie durch seinen Sohn
Bambang sowie des Elektrizitätswerkes Tanjung Jati-C. In den folgenden Wochen
nahm die Verunsicherung ständig zu, da die Krise sich in mehreren anderen asiatischen
Ländern verschärfte und in Indonesien zahlreiche Gerüchte etwa über den
Gesundheitszustand des Präsidenten verbreitet wurden. Suharto musste im Dezember
das erste Mal in seiner Amtszeit eine längere Ruhepause (über 10 Tage) einlegen.
Besonders schockierend für viele Beobachter war der am 6.1.1998 vorgestellte
Haushaltsentwurf, bei dem man unrealistisch von einem Wechselkurs von 4.000
Rp./US$, einer Inflationsrate von 9% und einem BSP-Wachstum von 4% für das
kommende Haushaltsjahr ausging. Außerdem hatte sich die indonesische Regierung
nicht an die IWF-Auflage gehalten, wonach der Haushalt mit einem Überschuss von
einem Prozent des BIP abschließen sollte. In diesen Tagen bekam Suharto Telefonanrufe
von Clinton, Hashimoto, Howard und Kohl, die den Präsidenten ermahnten,
sich an die IWF-Forderungen zu halten. Am 12. Januar startete die Tochter Suhartos
mit der für die Regierungsfamilie typischen Mischung aus Zynismus und Realitätsverkennung
die "I Love Rupiah"-Kampagne, bei der die vermögenden Indonesier
öffentlich US$ in Rupiahs eintauschen sollten.
Tabelle 5-1: Wechselkursentwicklung seit 1968
Jahr Rupiah/US$ Jahr Rupiah/US$
1968 326 15.12.1997 5.770
1970 378 22.12.1997 5.050
1972-77 415 24.12.1997 6.300
1978 625 26.12.1997 5.000
1982 692 5.1.1998 6.750
1983 994 6.1.1998 7.700
1984 1.074 7.1.1998 8.400
1985 1.125 8.1.1998 10.500
1986 1.641 13.1.1998 8.125
1988 1.731 21.1.1998 >12.000
1990 1.901 22.1.1998 >17.000
1992 2.062 24.1.1998 11.200
1996 2.383 10.2.1998 7.450
24.6.1997 2.432 16.2.1998 10.500
14.8.1997 2.755 6.3.1998 12.300
6.10.1997 3.845 13.5.1998 >10.000
26.11.1997 3.650 14.5.1998 >11.000
9.12.1997 4.625 24.06.1998 14.750
Anmerkungen: Am 14.8.1997 wurde die Rupiah freigegeben; am 8.10.1997 bat die indonesische
Regierung den IWF um Hilfe; am 9.12.1997 gab es Gerüchte über eine Erkrankung
Suhartos; Mitte Dezember fielen sämtliche Währungen in Südostasien u.a. wegen der verschärften
Koreakrise; am 26.12. erholte sich der Kurs aufgrund von Zentralbank-
Interventionen; Anfang Januar fielen mehrere Währungskurse in Südostasien; Indonesien
setzte die IWF-Forderungen nicht oder nur schleppend um; am 9.1. versprach Suharto die
schnelle Durchführung der angemahnten Reformen; am 13.1. gab es Nachrichten über eine

Die Asienkrise 471
verbesserte Zusammenarbeit zwischen der Regierung und dem IWF; am 15.1. fiel der Kurs
trotz der erneuerten Vereinbarung mit dem IWF; am 21.1. wurde deutlich, dass Suharto
Präsident und Habibie Vizepräsident werden würden; nach dem 22.1. intervenierte die Zentralbank
erneut; am 10.2. stieg der Kurs wegen der möglichen Einführung eines Currency-
Board-Systems mit einem Fixkurs von 5.500 Rp./US$; außerdem stiegen an diesem Tag
sämtliche südostasiatischen Währungen stark; in den folgenden Tagen Höhepunkt des Streites
zwischen der Regierung und dem IWF über das Currency-Board-System; im Mai 1998 kam
es zu den größten Unruhen der Neuen Ordnung.
Suharto konnte jetzt nur noch ein radikaler Politikwechsel retten, und tatsächlich
verkündete er unter erheblichem Druck der potenziellen Kreditgeber am 15. Januar
(zwei Tage zuvor war der IWF-Vertreter Michel Camdessus eingeflogen) sensationelle
Reformen. In diesem "Memorandum of Economic and Financial Policies"
wurden u.a. folgende Maßnahmen erwähnt:
- die Abschaffung der meisten Benzin- und Treibstoffsubventionen zum 1.4.,
- die Abschaffung der Bulog-Handelsmonopole für Zucker und Weizen,
- die Streichung des Gewürznelken-Vermarktungsmonopols ab Juni 1998 und der
Vergünstigungen für das Mobil Nasional von "Tommy" Suharto,
- die Auflösung der Zement-, Papier- und Sperrholzkartelle,
- die Streichung bzw. Reduzierung einiger Import- und Exportrestriktionen (etwa
für Palmöl),
- die Streichung von Subventionen für das von Habibie geführte Flugzeugbauunternehmen
IPTN,
- die Revision des Haushaltsentwurfes,
- die Ausarbeitung detaillierter Pläne über die Reform des Bankensektors und - die
abermalige Rückstellung verschiedener Infrastrukturprojekte (u.a. Tanjung Jati-
C). 17
Das diesmal veröffentlichte 50-Punkte-Programm sollte das Vertrauen in die indonesische
Ökonomie wiederherstellen. Zur Implementierung des Programms wurde
ein "Aufsichtsrat für wirtschaftliche und finanzielle Stabilität" (DPKEK 18 ) unter
Wijoyo Nitisastro eingerichtet. Das Sensationelle an diesen Reformen waren die
Maßnahmen gegen die Suharto-Familie (vor allem gegen "Tommy"), aber auch
gegen Habibie und den Suharto-crony "Bob" Hasan.
Trotz all dieser Maßnahmen fiel der Rupiah-Kurs weiter (vgl. Tab. 5-1). 19 Für Suharto
müssen die Krise selbst und der Verlust der nationalen Souveränität gegenüber
den westlichen Kreditgebern kränkend gewesen sein. Doch da er auf dem Höhepunkt
der Krise nicht ohne Gesichtsverlust abtreten konnte, gab er seine Bereitschaft
17 Soesastro/Basri 1998, 22ff.
18 Dewan Pemantapan Ketahanan Ekonomi dan Keuangan.
19 Zu diesem Zeitpunkt war das Vertrauen der meisten Geschäftsleute in die Reformfähigkeit der Regierung
minimal. In einer Umfrage der Zeitschrift Warta Ekonomi (19.1.1998) bekannten 92% der Befragten,
dass die Reformpolitik der Regierung bis dahin nicht effektiv gewesen sei. 97% meinten, dass eine
umfassende politische und ökonomische Reform notwendig sei. Trotz dieser Unzufriedenheit schlossen
sich die Unternehmer und leitenden Angestellten der Demokratiebewegung nicht an.

472 Der Zerfall des Suharto-Regimes
zur erneuten Präsidentschaftskandidatur bekannt. Als sich abzeichnete, dass außerdem
noch Habibie Vizepräsident werden würde, sackte die Rupiah in ein Rekordtief.
Am 22. Januar 1998 kostete 1 US$ zeitweise über 17.000 Rp. Seit dem Beginn der
Krise waren etwa 6 Mio. Beschäftigte entlassen worden, und das Pro-Kopf-
Einkommen war von 1.200 US$ auf 300 US$ gefallen. Nur 22 der 286 börsennotierten
Unternehmen galten als solvent, und auf dem Aktienmarkt wurden Papiere im
Wert von nur noch 17 Mrd. US$ (vorher 118 Mrd. US$) gehandelt. 20
Am 27. Januar präsentierte die Regierung endlich ihr Programm für die Umstrukturierung
des Bankensektors. Sie schuf die Indonesian Bank Restructuring Agency
IBRA und garantierte den Gläubigern der Banken die Auszahlung ihrer Einlagen.
IBRA bekam die Aufgabe, die über 200 indonesischen Banken zu bewerten und
Vorschläge für die Restrukturierung vorzulegen. Gleichzeitig wurde ein Team unter
der Leitung von Radius Prawiro gebildet, das mit den ausländischen Gläubigern
über die Schulden des privaten Sektors (etwa 66 Mrd. US$ von einer Gesamtschuld
von 132 Mrd. US$) verhandeln sollte.
Mitte Februar kam es zu einem Disput über die Idee der Einführung eines Currency-
Board-Systems. Danach sollte die Rupiah fest an den US$ gekoppelt werden (bei
einem Kurs von 5.000 oder 5.500 Rp./US$). 21 Die Geldmenge wäre dann direkt von
den Währungsreserven abhängig gewesen und hätte eine Verringerung der Geldmenge
und hohe Zinsraten zur Folge gehabt. Suharto stieß mit diesem Vorschlag,
der auf den Ökonomen Steve Hanke zurückging, auf den Widerstand mehrerer indonesischer
Technokraten, aber vor allem auf den des IWF. Michel Camdessus soll
umgehend mit der Einstellung der Finanzhilfen gedroht haben, und der Gouverneur
der Bank Indonesia wurde aufgrund seiner Kritik entlassen. Die wichtigsten Ministerien
waren über den Vorstoß nicht informiert, so dass der verheerende Eindruck
von Intransparenz und Willkür noch verstärkt wurde. 22 Die etwa zwei Monate anhaltenden
Auseinandersetzungen um das Currency-Board-System, aber auch die Irrungen
und Wirrungen um Apkindo und BPPC sowie um Bulog und den Palmölexport
trugen dazu bei, dass die Märkte nicht positiv reagierten. 23 Noch dazu sprach Suharto
von einem nicht definierten "IMF plus", also einer Art indonesisch interpretierter
IMF-Politik, so dass der Weltwährungsfonds Anfang März eine in Aussicht gestellte
3-Milliarden-Dollar-Tranche noch nicht auszahlen wollte.
Am 8.3. meinte Suharto sogar, dass Teile der IWF-Vereinbarung der indonesischen
Verfassung widersprechen würden. 24 Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste auch
großen Teilen der Regimekoalition klar gewesen sein, dass mit diesem Präsidenten
20 FEER 22.1.1998.
21 Soesastro/Basri 1998, 51.
22 Johnson 1998, 27.
23 Apkindo war ein Sperrholzkartell unter der Kontrolle des neu ernannten Industrie- und Handelsministers
"Bob" Hasan, der die geforderten Reformen nicht oder nur sehr unvollständig durchführte: Er "empfahl"
allen Exporteuren, seine Schiffe zu benutzen, so dass er indirekt die Ausfuhren kontrollieren konnte
(TB April 1998, 12). Auch das BPPC-Verbot wurde trickreich umgangen. Palmölexporte blieben weiterhin
verboten, und Bulog behielt einige der Monopole.
24 Johnson 1998, 29.

Die Asienkrise 473
eine effiziente Umsetzung der Reformen nicht möglich sein würde. Trotzdem wurde
Suharto am 10. März einstimmig per Akklamation wiedergewählt.
Für eine kurze Zeit sah es so aus, als würde Suharto doch noch einem gemäßigten
Politikwechsel zustimmen. Am 17.3. kam ein IMF-Team nach Jakarta und handelte
innerhalb von drei Wochen IMF III aus. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der IWF nur
3 Mrd. US$ ausgezahlt. Zu den Abmachungen des am 10.4. unterzeichneten
"Supplementary Memorandum of Economic and Financial Policies" zählten:
- eine striktere Geldpolitik,
- die Beratung durch ausländischen Experten in der Geldpolitik und eine strengere
Aufsicht der Programmimplementierung,
- eine schnellere Restrukturierung des Bankensystems sowie die Erleichterung
ausländischer Direktinvestitionen im Finanzsektor,
- die Beschränkung von Subventionen auf nur wenige Ausnahmen (die Preise für
Zucker, Weizenmehl u.a. sollten zum 1.4., die für Reis und Sojabohnen zum 1.10.
erhöht werden),
- die Reform und teilweise die Privatisierung von Staatsbetrieben (Telkom, Indosat,
Tambang Timah, Aneka Tambang, Semen Gresik, Krakatau Steel, Pelindo I und
II, Jasa Marga, Perkebunan Nusantara, Batubura Bukit Asam, Angkasa Pur II),
- die Umsetzung der IMF-II-Reformen,
- die Reform des Wettbewerbs- und des Insolvenzrechtes und
- die Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen sowie die Finanzierung von
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. 25
Der IMF gab für die Umsetzung der Reformen einen zeitlichen Rahmen vor und
zögerte die Auszahlung versprochener Kredite bis dahin hinaus. Aber auch diese
weit reichenden Reformen wurden nicht konsequent durchgeführt. Das Exportverbot
für Palmöl wurde nicht wie vorgesehen aufgehoben, und das Gewürznelkenmonopol
von "Tommy" Suharto erstand neu unter einem anderen Namen.
Die sozialen Folgen der Krise
Die Studenten gingen seit Ende Februar 1998 vor allem wegen der unerträglichen
Lebensbedingungen auf die Straße. Merkwürdigerweise wurden sie dabei nur wenig
von den Angehörigen der Unterklasse unterstützt. Die Industriearbeiter, die in den
Jahren zuvor beinahe täglich für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne
gestreikt hatten, waren in den Monaten vor dem Sturz Suhartos sehr zurückhaltend.
Große Arbeiter- oder Bauerndemonstrationen gegen Suharto und/oder für umfassende
wirtschaftliche und politische Reformen sind nicht bekannt. Zum einen ist das auf
die Schwächung der SBSI durch deren Kriminalisierung und die Inhaftierung von
Muchtar Pakpahan zurückzuführen, zum anderen könnten gerade die Reallohneinbrüche
und die Massenentlassungen das Protestpotenzial geschwächt haben.
Besonders stark von der Krise war die Bauindustrie betroffen, da die meisten Projekte
kurzfristig beendet oder aufgeschoben werden mussten. Schon Ende 1997
25 Johnson 1998, 32; Dieter 1998, 81.

474 Der Zerfall des Suharto-Regimes
waren nach Angaben der Vereinigung der Bauunternehmer Gapensi 3-4 Millionen
Bauarbeiter arbeitslos. Die Arbeitslosigkeit steigt in Indonesien schon dann dramatisch
an, wenn die jährlich über 2 Millionen neuen Arbeitskräfte keine ihrer Qualifikation
entsprechende Arbeit bekommen können. Selbst diejenigen, die ihren Arbeitsplatz
behalten konnten, mussten erhebliche Reallohneinbußen wegen der hohen
Preissteigerungen hinnehmen. Der Reispreis stieg von Juni 1997 bis April 1998 um
52%, der Preis für Weizenmehl im selben Zeitraum um 81%, und der für Palmöl
stieg bis zum März 1998 um 74%. 26 Hinzu kamen nach den IMF-Bestimmungen die
Preissteigerungen für Kerosin, Benzin und Strom. Da in Indonesien das Sozialversicherungssystem
noch völlig unterentwickelt ist, mussten viele der entlassenen
Arbeiter, die meistens über keine nennenswerten Ersparnisse verfügen, in den ohnehin
schon überbesetzten informellen Sektor ausweichen oder in jene Dörfer zurückkehren,
aus denen sie einmal gekommen waren. In den Dörfern waren die Auswirkungen
der Finanzkrise, vor allem wegen der Missernten infolge der überlangen
Dürreperiode, so heftig, dass die eintreffenden Saisonarbeiter dort nicht ohne weiteres
aufgenommen werden konnten. Die Dürre führte dazu, dass 1998 die Reisproduktion
pro Kopf etwa 10% geringer war als 1996. Dieser Einbruch konnte nur
teilweise durch das Ausweichen auf andere Pflanzen wie Mais oder Sojabohnen
aufgefangen werden. Etwa 3,5 Millionen Tonnen Reis musste die Regierung
1998/99 einführen, und die FAO sagte für 1999 Nahrungsmittelengpässe für ca. 7,5
Millionen Menschen in 15 verschiedenen Provinzen voraus. 27
In der Bevölkerung machte sich eine allgemeine Krisenstimmung breit. Als das
Gerücht verbreitet wurde, dass der Mehrheitsanteilsbesitzer der Bank Central Asia,
der cukong Liem Sioe Liong, ums Leben gekommen sei, stürmten Tausende von
Sparern die BCA-Zweigstellen. Im Januar 1998 kam es vermehrt zu panikartigen
Hamsterkäufen, so dass führende Minister im Fernsehen erklären mussten, dass die
Nahrungsmittelversorgung durch Bulog gesichert sei. Im selben Monat begannen die
ersten Ausschreitungen in verschiedenen kleineren Städten in ganz Indonesien, die
sich häufig gegen Sinoindonesier richteten, da diese für die Preissteigerungen verantwortlich
gemacht wurden.
Ursachen der Asienkrise
In den ersten Monaten der Krise konnten die Ideologen der Neuen Ordnung noch
darauf verweisen, dass auch in anderen asiatischen Ländern die jeweiligen Währungen
abgewertet worden seien und dass Indonesien keinen Sonderfall darstelle. Bald
zeigte sich aber, dass der wirtschaftliche Abschwung viel dramatischer verlief als in
Thailand, Südkorea, den Philippinen, Malaysia oder Singapur. Offensichtlich waren
die "fundamentals" in Indonesien schwächer als anderswo. Auch neoliberale Theoretiker,
die sonst geneigt waren, den Neopatrimonialismus hinzunehmen, sofern die
gesamtwirtschaftliche Entwicklung zufrieden stellend verlief, waren bald bereit, die
26 Johnson 1998, 26.
27 Johnson 1998, 37.

Die Asienkrise 475
Politisierung der Ökonomie schärfer zu verurteilen. 28 Cole und Slade beschreiben
diese Politisierung und ihre Wirkungen folgendermaßen:
"In our judgement the preconditions and the playing out of the crisis in Indonesia were essentially
political. The failure to put together an effective initial response and the ultimate
severity of the Indonesian financial crisis must be understood and explained as the consequence
of the lengthy process of politicisation of economic and financial activity within
Indonesia, and the concomitant erosion of any effective prudential supervision over financial
institutions by regulatory authorities, coupled with imprudent behaviour by many foreign
lenders and investors. The protracted collapse of this house of political cards over a
period of months, rather than quickly as in Thailand and Korea, has been the sustaining
element in the crisis." 29
Auch Robison verweist darauf, dass der private Sektor völlig überschuldet war und
seine Vermögenswerte und sein Leistungsvermögen überschätzt worden waren. Er
bezieht sich dabei auf die veränderten Investitionsströme in den letzten Jahren. 1994
lag der Nettozufluss privaten Kapitals in die fünf von der Asienkrise betroffenen
Länder (Thailand, Indonesien, Südkorea, Malaysia und die Philippinen) bei 40,5
Mrd. US$. Schon 1996 war dieser Nettobetrag auf 93 Mrd. US$ angewachsen, während
der Nettozufluss staatlicher Gelder in diese Länder 1996 bei -0,2 Mrd. US$
lag. 30 Das private Kapital war häufig hoch spekulativ angelegt und wurde von - oft
amerikanischen - Hedge-Fonds verwaltet. Viele dieser privaten Kredite hatten eine
relativ kurze Laufzeit und waren wenig abgesichert. Dadurch wurde die Tendenz
einer Entkoppelung von realwirtschaftlicher Warenproduktion und finanzwirtschaftlichen
Transaktionen verstärkt. Zumeist waren es eben keine langfristigen, minutiös
geplanten Investitionen, sondern Kapitalbewegungen, die sich an den Parametern
kurzfristiger Profitabilität ausrichteten und von einem schwach institutionalisierten
Finanzmarkt in Indonesien aufgefangen wurden. Robison fasst die Ursachen der
Verschuldungskrise in Thailand, Malaysia und Indonesien so zusammen:
"It was the rise of money politics in Thailand associated with the shift from military rule
to a system of electoralism that opened the door for the 120 new financial institutions that
moved into the financial market. In Malaysia, the boom in government infrastructure and
industrial projects was associated with the rise of private sector corporations close to the
ruling party, UMNO. In Indonesia, economic reforms of the post-oil era unleashed a surge
of private sector conglomerates and politico-business groups who moved into former state
monopolies. In all of these cases, foreign borrowing was the engine of capital accumulation."
31
In Indonesien hielten sich die meisten Banken nicht an die offiziell festgelegten
Kreditobergrenzen und Mindesteinlagebestimmungen und wurden von keiner ernst
zu nehmenden Bankenaufsicht kontrolliert. Gute politische Beziehungen waren
ausschlaggebend bei der Vergabe größerer Kredite, nicht so sehr die Profitabilität.
28
Eine gute Übersicht zu den Ursachen der Asienkrise: Booth 1999, 585ff.
29
Cole/Slade 1998, 65.
30
Robison 1998, 6.
31
Robison 1998, 7.

476 Der Zerfall des Suharto-Regimes
Viele Banken vergaben Großkredite an Unternehmen, die zum selben Konglomerat
wie die Bank gehörten. Andere Kredite wurden für große Infrastrukturprojekte genutzt
oder in den Immobiliensektor gesteckt. Es ergaben sich Volatilitäten neuer Art,
da sich Indonesier ohne "hedging" in Fremdwährungen verschulden konnten. Dazu
H. Dieter:
"Die Deregulierung ermöglicht inländischen Akteuren, sich im Ausland zu verschulden,
d.h. ausländische Gläubiger können Direktkredite an inländische Schuldner vergeben. In
dieser Situation versagen traditionelle makroökonomische Instrumente. Eine Erhöhung
des inländischen Zinsniveaus führt nämlich nicht mehr zur Beendigung einer Überhitzungsphase
der Ökonomie, sondern die Zinserhöhung verstärkt lediglich die Volatilität
und Verwundbarkeit des inländischen Finanzsystems." 32
Diese Volatilität dürfte durch Währungsspekulanten verstärkt worden sein. Diese
sind auf das Fehlen von Kapitalverkehrskontrollen angewiesen. Denn nur dann können
sie sich - ohne Sicherheiten hinterlegen zu müssen - in der Währung, die sie
angreifen wollen, verschulden. Währungsspekulanten und so genannte institutionelle
Investoren (Investmentgesellschaften, Pensionsfonds, Hedge-Fonds) können in
kürzester Zeit riesige Währungs- bzw. Kapitalmengen transferieren, ohne dass nationale
Regierungen bei deregulierten Finanzsystemen effektiv eingreifen könnten.
Dabei kommt es aufgrund des "Herdenverhaltens" vieler Akteure zu prozyklischen
Verstärkungen. 33 Offensichtlich kann hochmobiles Kapital in kürzester Zeit ganze
Volkswirtschaften aus den Angeln heben. 34 Damit ist der globale Kapitalismus seit
einigen Jahren in eine neue Phase eingetreten. Garten schreibt dazu:
"[...] in the first two decades after World War II, foreign aid and other "official" capital
was the main source of funds flowing to developing countries. In the 1970s and 1980s,
commercial banks became the primary source. In the 1990s, a much larger cast took the
stage: insurance companies, pension funds, hedge funds, and mutual funds. Future finan-
32 Dieter 1998, 61.
33 Dabei ist der Einfluss der Spekulation selbst Gegenstand der Spekulation (vgl. etwa: Köhler 1998). Die
ASEAN machte 1997 George Soros verantwortlich. Sie warf ihm vor, den Beitritt Burmas in die ASEAN
bestrafen zu wollen.
34 H. Dieter (1998, 87ff) ist der Meinung, dass der IWF die Asienkrise insgesamt verstärkt hat, statt einen
"Wechselkurs auf realistischem Niveau garantieren und dadurch einen entscheidenden Beitrag zur Überwindung
der Krise" (1998, 75) zu leisten. Gerade die Bankenschließungen im November 1997 hätten ihr
Ziel verfehlt und eine Panik bei den meisten Bankkunden ausgelöst. Der nicht abwegige Vorschlag zur
Einrichtung des Currency Board wurde - ohne eine realistische Alternative zu bieten - rundheraus abgelehnt.
Während der IWF von seinen Schuldnern Transparenz fordere, seien die Entscheidungsprozesse
innerhalb dieser Institution selbst undemokratisch und intransparent. Und die strikte Fiskalpolitik, die
Steuererhöhungen und einige Subventionsstreichungen wirkten in Krisenzeiten prozyklisch. Infrastrukturprojekte
hätten nach Dieter in einigen Bereichen weitergeführt werden müssen, um die Grundlagen für
die Zeit nach der Krise zu legen. Hinzuzufügen ist, dass die Subventionsstreichungen für Strom und
einige Mineralölprodukte zu einer nicht intendierten, erheblichen politischen Destabilisierung geführt
haben. Der IWF betreibt weit über seine ursprünglichen Aufgaben hinausgehend Strukturpolitik und
diktiert die Politik Hilfe suchender Staaten bis in Details. Außerdem sind Umschuldungen häufig so
angelegt, dass private Gläubiger aus Indonesien und aus dem Ausland, die für ihren Leichtsinn eigentlich
durch sehr hohe Verluste bestraft werden sollten, durch indonesische und ausländische Steuerzahler
gerettet werden müssen.

Die Asienkrise 477
cial crises will increasingly involve securities markets, with their multiplicity of instruments,
markets, trading strategies, and global linkages. All this will make crisis management
infinitely more complicated because there is no one mindset at play, no one set of
regulators, and no way to negotiate anything with so many diverse parties." 35
Die Asienkrise legt den Schluss nahe, dass u.a. die ungenügende Ausgestaltung des
internationalen Finanzsystems zu dem Desaster geführt hat und dass deshalb Länder
wie die Volksrepublik China, die sich an dem allgemeinen Deregulierungswettlauf
nicht beteiligt hatten, weitgehend ungeschoren davongekommen sind. 36 Allerdings
konnte die Dynamik des globalen Kapitalismus nur deshalb zu einer solchen Katastrophe
führen, weil in Indonesien keinerlei Vorkehrungen gegen die genannten
Gefahren getroffen worden waren. Die Economist Intelligence Unit hat dieses Bündel
von Krisenursachen folgendermaßen beschrieben:
"Investment became increasingly concentrated in import-dependent manufacturing and in
property development. By contrast, investment that would create backward linkages in
manufacturing and in agriculture was neglected. This misallocation was encouraged by
the breakneck and poorly regulated expansion of the banking system [...]. The rapid pace
of development also translated into widening current-account deficits and large-scale borrowing
by corporations and banks, much of it short-term. The need to finance the deficits
and to meet debt-servicing obligations distorted the domestic interest-rate structure, with
negative implications for the real economy. [...] The US dollar-rupiah link [...] created a
false sense of security and convinced private entities seeking overseas credit that they did
not need to hedge their borrowings." 37
In einem demokratischeren Indonesien hätte die Krise nicht vermieden, aber wesentlich
abgeschwächt werden können. Die Auswirkungen wären bei einer auch nur
einigermaßen funktionierenden Bankenaufsicht und bei einem auch nur mäßigen
Grad von Berechenbarkeit und einer nicht übermäßigen Korruption und Vetternwirtschaft
weit weniger dramatisch gewesen. Vor allem hätte die Regimekoalition
schneller und entschlossener reagiert, wie es etwa die Regierung in Thailand getan
hat. Die Asienkrise war in diesem Sinne ein schmerzhafter Schnellkurs in Demokratie
für die Regimekoalitionäre.
35 Garten 1999, 82.
36 Walden Bello zieht daraus den Schluss, dass das Wirtschaftswachstum in erster Linie durch inländische
Ersparnisse und Investitionen vorangetrieben werden sollte. Der einheimische Markt sollte der Hauptstimulus
für eine ökologisch nachhaltige Entwicklung sein, und demokratische Entscheidungen sollten die
Richtung der Wirtschaftspolitik bestimmen (Inside Indonesia April-Juni 1998, 10). Allerdings gibt es
zwischen den von der "Ginsengkrise" betroffenen Länder z.T. signifikante Unterschiede. An dieser Stelle
sei nur auf die besondere Situation in Südkorea hingewiesen. Montes (1998, xviii) fasst das so zusammen:
"Korea's being drawn into the crisis derives directly from the vulnerability of its banks, weakened
by years of private overborrowing [...] the Korean financial system, drawing principally on domestic
savings, provided considerable, perhaps much more than financially prudent, resources to high technology
and advanced industrial ventures." Außerdem nahmen die chaebol über ihre auch offshore operierenden
Banken ausländische Kredite auf.
37 EIU Country Report, Indonesia, November 2000, 23f.

478 Der Zerfall des Suharto-Regimes
Die Phase bis zum Regierungswechsel im Mai 1998
Die ersten Unruhen, die Wiederwahl Suhartos und das neue Kabinett
Eine der Hauptlehren aus der Asienkrise war, dass die politische Ordnung Indonesiens
die wirtschaftliche Entwicklung des Landes nicht oder zumindest nicht mehr
förderte. Das Militärregime war sogar zu dem Haupthindernis auf dem Weg zur
ökonomischen Konsolidierung geworden. Das heißt, Transparenz, fairer Wettbewerb
und verlässliche Kontrollen waren nur in einem demokratisierten Indonesien
möglich. Die Neue Ordnung war Anfang 1998 unter einen erheblichen Druck geraten
und nicht mehr in der Lage, überzeugende Lösungsansätze zu präsentieren.
Schon 1996 hatte Liddle geschrieben:
"If economic growth slows or stops, a significant portion of the developmentalists and
other progovernment groups will cease being supportive and demand a new government,
perhaps even a genuinely democratic one." 38
Genau dieser Prozess lief in den ersten Monaten des Jahres 1998 ab. Außerdem
konstituierte sich im Februar eine Studentenbewegung, die letztlich maßgeblich zur
Ablösung Suhartos beitrug.
Im Januar und Februar begannen - vor allem in den Küstenstädten Nordjavas, auf
Lombok, Flores und in Sulawesi - die ersten Übergriffe auf Läden von Sinoindonesiern.
Feisal Tanjung, Prabowo, Syarwan Hamid und Suharto selbst schürten antichinesische
Ressentiments, indem sie für die Preissteigerungen "gewisse Geschäftsleute",
die die Nahrungsmittelknappheit durch Horten ausnutzen würden, verantwortlich
machten. Daraufhin erklärte am 10.2.1998 der Indonesische Ulama-Rat
MUI den Dschihad gegen Spekulanten und Waren hortende Geschäftsleute. Außerdem
forderte Suharto einige Dutzend tycoons öffentlich auf, ihre im Ausland angelegten
Gelder nach Indonesien zu transferieren. Gegen die beiden Wanandi-Brüder
begann eine regelrechte Hetzjagd mit Demonstrationen vor dem CSIS, wohl weil
Sofyan Wanandi die "I Love Rupiah"-Kampagne für nutzlos erklärt hatte. 39 Diese
aufgeheizte antichinesische Stimmung begünstigte Plünderungen und Ausschreitungen
in ganz Indonesien. 40
Zur gleichen Zeit versuchte Prabowo, die Kontakte zu islamischen Gruppen - darunter
die tendenziell fundamentalistische KISDI-Gruppe - auszubauen. 41 Am 23.
Januar begingen dann 4.000 muslimische Aktivisten, u.a. von KISDI und vom ebenfalls
z.T. fundamentalistischen Dewan Dakwah Islamiyah Indonesia, zusammen mit
mehreren Tausend Kopassus-Soldaten im Kopassus-Hauptquartier ein Fest zum
Ende des Ramadan.
38 Liddle 1996b, 59.
39 Sofyan Wanandi wurde sogar verhört, weil das Militär glaubte, Beweise dafür zu haben, dass er die
PRD unterstützt habe (D&R 7.2. und 14.2.1998).
40 Indonesien Information 1/98, 44f; Sidel 1998, 182ff.
41 FEER 12.2.1998. Der KISDI-Vorsitzende Ahmad Sumargono sprach mit Blick auf Wanandi und das
CSIS sogar von einer internationalen jüdischen Verschwörung.

Die Phase bis zum Regierungswechsel 479
Der Widerspruch aus der Mittelklasse gegen die zögerliche, destruktive Wirtschaftspolitik
der Regierung artikulierte sich in den altbekannten Formen, also durch NGO-
Statements, studentische Aktionen und hie und da durch kritische Äußerungen angesehener
Professionals und ehemaliger Regierungsmitglieder wie Emil Salim, Ali
Sadikin, Sumitro Joyohadikusumo oder Mohammad Sadli. Neuartig war eine Initiative,
die sich "Stimme der besorgten Mütter" ("Suara Ibu Peduli") nannte und u.a.
von der Astronomin Prof. Karlina Leksono vertreten wurde. 42 Die Frauen demonstrierten
gegen die hohen Preise für Grundnahrungsmittel und wurden umgehend
verhaftet.
In den folgenden Wochen schlossen sich immer mehr gesellschaftliche Gruppen der
Reformbewegung an. Schon am 19. Januar erklärten 19 Wissenschaftler des staatlichen
Wissenschaftsinstituts LIPI, dass Indonesien eine neue Führung brauche.
Im Januar kündigte Suharto an, dass er wieder für die Präsidentschaft kandidieren
wolle. In den Monaten zuvor hatte er so getan, als würde er sich diese Entscheidung
reiflich überlegen, und seine Tochter "Tutut" hatte sogar einmal geäußert, dass sie es
begrüßen würde, wenn ihr Vater, der kaum einmal Zeit für seine Familie habe, auf
die erneute Kandidatur verzichtete. In Wirklichkeit war jedem politischen Beobachter
schon lange im Voraus klar, dass dies übliche scheindemokratische Rituale waren
und dass der Entschluss Suhartos schon seit langem feststand. Suharto hatte auch
hinter den Kulissen spätestens Anfang 1998 über die Besetzung des Vizepräsidentenamtes
entschieden. 1993 und 1988 hatte es bei der Besetzung dieses Amtes erhebliche
Schwierigkeiten gegeben, denn die Streitkräfte hatten 1988 gegen Sudharmono
aufbegehrt und dann 1993 - offensichtlich gegen den Willen Suhartos - ihren
Kandidaten Try Sutrisno durchgesetzt. Die Besetzung des Vizepräsidentenamtes war
1998 besonders entscheidend, weil damit zu rechnen war, dass der neue Vizepräsident
gleichzeitig der Nachfolger Suhartos werden würde. Aber offenbar war das
Militär zu schwach, um auch diesmal einen eigenen Kandidaten durchzusetzen.
Als Golkar im Januar 1998 die Kriterien, die der neue Vizepräsident erfüllen musste,
bekannt gab, war jedem klar, dass Habibie gemeint war. Golkar hatte nämlich neben
den üblichen Kriterien der politischen Erfahrung und des internationalen Renommees
ein umfangreiches Wissen über Forschung und Technologie zur Bedingung
gemacht. Damit war das Amt auf Habibie förmlich zugeschnitten. 43
Suharto musste noch dafür sorgen, dass die Loyalität des Militärs gesichert sein
würde. Er ernannte deshalb Mitte Februar seinen Schwiegersohn Prabowo Subianto
zum Kostrad-Kommandeur und Wiranto, einen ebenfalls verlässlichen ehemaligen
42 D&R 14.3.1998.
43 ISAI 1999, 17ff. Vor allem seit etwa 1996 hat Suharto sich immer stärker auf seine älteste Tochter
"Tutut" verlassen, die zuletzt für den Parteivorsitz vorgesehen war. Habibie konnte aber 1998 Vizepräsident
werden, obwohl Hartono von "Tutut" und Try Sutrisno von Bambang unterstützt wurden. Im Gegenzug
war die Besetzung des Kabinettes im März 1998 deutlich von der Handschrift "Tututs" geprägt.
Suharto versuchte vermutlich, ein Machtgleichgewicht zwischen Habibie und seiner Tochter in der zivilen
Sphäre und ein Machtgleichgewicht zwischen Wiranto und Prabowo im Militär zu schaffen.

480 Der Zerfall des Suharto-Regimes
Adjutanten, zum ABRI-Kommandeur. 44 Unter dieser Militärführung wurde in den
ersten Märztagen die Hauptstadt Jakarta mit 25.000 Soldaten abgeriegelt und besetzt,
um die Präsidentenwahlen gegen Demonstranten abzuschirmen.
Am 10. März schließlich wurde Suharto zum 7. Mal einmütig zum Präsidenten und
Habibie zu seinem Stellvertreter gekürt. Einige unübliche Unstimmigkeiten gab es
im Vorfeld, da sich die drei Golkar-Unterorganisationen Soksi, Kosgoro und MKGR
gegen die Wahl Habibies aussprachen. Suhartos Vollmachten wurden per MPR-
Beschluss ausgeweitet, so dass er quasi nach Belieben im Krisenfall die Sicherheitskräfte
einsetzen konnte. Am 14. März wurde die Zusammensetzung des 7. Entwicklungskabinettes
(siehe Schaubild 5-1) verkündet. 45 Zum Entsetzen des Weltwährungsfonds
und der prodemokratischen Gruppen in Indonesien nahm Suharto
auch diese letzte Chance zur Reform nicht wahr. Er übertraf sogar viele pessimistische
Erwartungen, indem er etwa "Bob" Hasan, den korrupten Tropenholzkönig,
zum Handels- und Industrieminister sowie seine Tochter Siti Hardiyanti Rukmana
("Tutut") zur Sozialministerin ernannte. Darüber hinaus waren die Schlüsselpositionen
weiterhin von Militärs besetzt (Feisal Tanjung, R. Hartono). Personen, die als
ausgesprochene Reformer bekannt waren, suchte man ohnehin vergebens. Bildungsminister
wurde der als hardliner bekannte, ehemalige ITB-Rektor Wiranto
Arismunandar (der Bruder von Wismoyo). Abdul Latief, der als Arbeitsminister für
die Jamsostek-Affäre verantwortlich war, wurde ebenfalls wieder ins Kabinett berufen.
46
Die Opposition sparte nicht mit Kritik an diesem siebten so genannten Entwicklungskabinett,
das in Wirklichkeit den wirtschaftlichen Niedergang eher noch forcierte.
Amien Rais warf dem Kabinett fehlende Professionalität vor und bezeichnete
44 Zu den Umbesetzungen in der Armee Anfang des Jahres 1998 schreiben die Herausgeber der Zeitschrift
Indonesia (No. 67, 1999): "Wiranto, a former military aide, became Armed Forces Commander-in-
Chief in February 1998, and the pliable Subagyo, a former personal bodyguard, took his place as Army
Chief of Staff. Suharto's ambitious son-in-law, Lt. Gen. Prabowo, became Kostrad Commander in March.
Prabowo's friend and Academy classmate, Maj. Gen. Syafrie Syamsuddin, had already become Pangdam
Jaya before the financial storm broke. Another close friend, Maj. Gen. Muchdi Purwo Pranyoto, succeeded
Prabowo as Kopassus commander in March, while his chief of staff, Brig. Gen. Idris Gassing,
stayed in place. Maj. Gen. Adam Damiri, another Kopassus man, took command of Kostrad's First Infantry
Division the same month. Until early April, another close associate, Maj. Gen. Kivlan Zein, was
commander of the Second Infantry Division", The Editors: Current Data on the Indonesian Military Elite
January 1, 1998-January 31, 1999, S.133-162; hier Seite 136f.
45 Zum Kabinett vgl.: Malley 1998. Mitte Februar hatte der Präsident bereits den Zentralbankchef Sudrajad
Jiwandono entlassen, der zusammen mit dem Finanzminister Mar'ie Muhammad noch am ehesten zur
Kooperation mit dem IWF bereit gewesen war. Außerdem hatte Sudrajad sich gegen das Currency-
Board-System ausgesprochen. Im neuen Kabinett waren nur noch sechs Militärs, davon vier, die nur für
ABRI tätig gewesen waren. 20 Minister kamen aus der Bürokratie (im Kabinett zuvor waren es 70%
gewesen) und sechs hatten unmittelbar zuvor als Professoren gearbeitet (Muladi, Quraish Shihab, Tuti
Alawiyah, Wiranto Arismunandar, Farid Afansa Muluk und Yustika Baharsyah). Vier Minister waren als
Golkar-Funktionäre nominiert worden ("Tutut", Agung Laksono, Ary Marjono, Theo L. Sambuaga) und
drei galten als Habibie-Protegés (Haryanto Dhanutirto, Rahardi Ramelan, Giri Suseno H.). Die Islamisierung
setzte sich auch in diesem Falle fort, da nur der Protestant Theo L. Sambuaga Aufnahme in das
Kabinett fand.
46 Forum Keadilan 6.4.1998, 10ff.

Die Phase bis zum Regierungswechsel 481
den gesamten Vorgang als einen political joke. Er drohte damit, dass eine peoplepower-Bewegung
entstehen werde, wenn sich nicht Grundlegendes änderte. 47
Schaubild 5-1: Die beiden Entwicklungskabinette des Jahres 1998
Ministerien Siebtes Entwicklungskabinett
Suhartos vom März 1998
Koordinierungsminister
Reformkabinett Habibies
vom Mai 1998
Politik und Sicherheit Feisal Tanjung Feisal Tanjung
Wirtschaft, Finanzen und Industrie Ginanjar Kartasasmita Ginanjar Kartasasmita
Entw.aufsicht u. Verwaltungsreform Hartarto Sastrosunarto Hartarto Sastrosunarto
Wohlfahrt u. Armutsbekämpfung Haryono Suyono Haryono Suyono
Fachminister
Inneres Hartono Syarwan Hamid
Außenminister Ali Alatas Ali Alatas
Verteidigung/ABRI-Komm. Wiranto Wiranto
Justiz Muladi Muladi
Information Muhammad Alwi Dahlan Yunus Yosfiah
Finanzen Fuad Bawazier Bambang Subianto
Handel u. Industrie Mohamad ("Bob") Hasan Rahardi Ramelan
Landwirtschaft Justika S. Baharsyah Soleh Salahuddin
Bergbau und Energie Kuntoro Mangkusubroto Kuntoro Mangkusubroto
Forstw. und Plantagen Sumahadi Muslimin Nasution
Öffentliche Arbeiten Rahmadi B. Sumadhijo Rahmadi B. Sumadhijo
Transport Giri Suseno H. Giri Suseno H.
Tourismus, Kunst u. Kultur Abdul Latief Marzuki Usman
Genoss./Kleine u. Mittlere Untern. Subiakto Cakrawerdaya Adi Sasono
Arbeit Theo L. Sambuaga Fahmi Idris
Transmigration A.M. Hendropriyono A.M. Hendropriyono
Gesundheit Farid Afansa Muluk Farid Afansa Muluk
Erziehung und Kultur Wiranto Arismunandar Yuwono Sudarsono
Religion Quraish Shihab Malik Fajar
47
Forum Keadilan 6.4.1998, 20; allerdings warf er Tanri Abeng vor, ungeeignet zu sein, weil er zuvor für
einen Bierhersteller gearbeitet hatte.

482 Der Zerfall des Suharto-Regimes
Soziales Siti Hardiyanti Rukmana ("Tutut") Justika S. Baharsyah
Staatsminister
Staatssekretariat Saadilah Mursyid Akbar Tanjung
Bappenas-Vors./Nat. Entw.planung - Budiono
Forschung u. Techn./BPPT-Vors. Rahardi Ramelan Zuhal
Staatsbetriebe/Behörde f. Verw. d.
Staatsbetr.
Nahrungsmittel, Pharmazeutika und
Gartenbau
Tanri Abeng Tanri Abeng
Haryanto Dhanutirto A.M. Saefuddin
Bevölkerung/BKKBN-Vors. - Ida Bagus Oka
Landangelegenheiten/BTN-Vors. Ary Marjono Hasan Basri Durin
Investitionen/BKPM-Vors. Sanyoto Sastrowardoyo Hamzah Haz
Wohnungsbau Akbar Tanjung Theo L. Sambuaga
Umwelt/Bapedal-Vors. Yuwono Sudarono Panangian Siregar
Frauen Tutty Alawiyah Tutty Alawiyah
Jugend und Sport H.R. Agung Laksono H.R. Agung Laksono
Quelle: Johnson 1998, 7.
Die Studentendemonstrationen von Februar bis Mitte Mai 1998
Im Februar 1998 formierte sich in Indonesien mitten in der Finanzkrise eine neue
Studentenbewegung, die letztlich entscheidend am Sturz Suhartos beteiligt war. 48
Die Proteste 1998 waren die größten Studentendemonstrationen seit 1965/66 in
Indonesien. Über mehrere Monate kam es auf allen größeren Inseln Indonesiens zu
solchen Aktionen, nämlich auf Sumatra (Medan, Padang, Lampung), auf Java (Jakarta,
Bogor, Bandung, Purwokerto, Semarang, Yogyakarta, Solo, Surabaya, Pasuruan),
auf Kalimantan (Pontianak, Banjarmasin), auf Sulawesi (Palu, Ujung Pandang),
auf Bali, Lombok, Timor, Ambon und Irian Jaya. In vielen Fällen wurden die
Studenten von den Alumni, die in Indonesien häufig Kontakte zu ihrer ehemaligen
Alma Mater aufrechterhalten, und ihren eigenen Dozenten unterstützt.
Zunächst kam es am 25.2. in Jakarta zur ersten großen Demonstration, an der etwa
1.000 Studenten auf dem Kampus der UI in Salemba, aber auch der Rektor sowie
Professoren und andere Dozenten beteiligt waren. 49 Am nächsten Tag wiederholten
48 TB April 1998, 5ff und Juli 1998, 12ff; FEER 14.5.1998; Inside Indonesia Juli-Sep. 1998, 12ff; Forum
Keadilan 6.4.1998, 80ff und 20.4.1998, 12ff; eine gute Analyse der Studentenbewegung des Jahres 1998
findet sich bei: Adnan/Pradiansyah 1999; ausführliche, chronologisch geordnete Ausführungen bei: Mann
1998b und Aritonang 1999.
49 Vgl. dazu ISAI 1999, 82ff. Die Studentenproteste am 25. Februar 1998 wurden von Anfang an vom UI-
Alumni-Verband unter GM a.D. Hariadi Dharmawan unterstützt. Dieser wiederum soll vom ABRI-

Die Phase bis zum Regierungswechsel 483
sich auf dem neuen Gelände der UI in Depok, am Stadtrand Jakartas, die Proteste
von diesmal etwa 3.000 Studierenden. In diesen Tagen schwollen auch die Demonstrationen
in Yogyakarta an. Drei Studenten traten in einen mehrtägigen Hungerstreik.
Die Aktionen dort blieben nicht mehr nur auf die Universitätsgelände beschränkt,
sondern weiteten sich in das Stadtgebiet hinein aus. Am 28.2. protestierten
10.000 Studenten zusammen mit einigen Professoren und Dozenten an der staatlichen
Universitas Airlangga in Surabaya. Die Presse berichtete ausführlich und häufig
zustimmend über die Studentenbewegung. Per Internet und Mundpropaganda,
aber auch durch die Schaffung von Kooperationsgremien zwischen Angehörigen
verschiedener Universitäten waren alle Beteiligten ständig über die Proteste an anderen
Orten informiert. Es entwickelte sich in ganz Indonesien eine von Studenten
getragene und von Teilen der anderen gesellschaftlichen Gruppen unterstützte Reformbewegung,
in der die Beteiligten sich gegenseitig ermunterten und anstachelten.
Deshalb weiteten sich die Aktionen auf fast ganz Indonesien aus und gingen ohne
Unterbrechung weiter.
Bei all diesen Protesten war es die Aufgabe des Militärs, die Studenten daran zu
hindern, das Universitätsgelände zu verlassen. Die Hochschulen waren i.d.R. umstellt,
während auf dem Gelände - dokumentiert von Dutzenden von Journalisten -
die Studenten "freie Podien" (mimbar bebas) errichteten und ihre Forderungen nach
politischen Reformen und immer wieder nach dem Rücktritt Suhartos verkündeten.
Bei der Koordination der Protestaktionen spielte in einigen Fällen der Studentensenat
(Senat Mahasiswa oder Sema) ein wichtige Rolle. So war an der UI Rama Pratama
vom Forum Komunikasi Senat Mahasiswa Jakarta (FKSMJ) eine der bekanntesten
Aktivisten. Daneben bildeten sich eine Vielzahl von kleineren Aktionsgruppen,
die oftmals ad hoc und für kurze Zeit gegründet wurden. Die neu gebildeten
Organisationen kooperierten mit den schon etablierten wie HMI oder PMKRI. Zur
besseren Koordinierung der Demonstrationen wurden schließlich zunehmend Allianzen
gebildet wie KAMMI 50 (auf religiöser Basis) oder wie das Forum Kota
("Stadtforum") für Jabotabek oder "Arek Surabaya Pro-Reformasi" (mit breiterer
Basis). 51
Hauptquartier, d.h. von Verteidigungsminister Edi Sudrajat und vom Vizepräsidenten Try Sutrisno,
grünes Licht bekommen haben. Schon vorher hatte es vereinzelt Studentendemonstrationen gegeben. So
wurden schon seit Mitte 1997 fast wöchentlich "freie Podien" am ITB errichtet.
50 Kesatuan Aksi Mahasiswa Muslim Indonesia; diese "Aktionseinheit muslimischer Studenten Indonesien"
verstand sich offenbar als eine Neuauflage von KAMI, der wichtigsten Studentenorganisation der
66er-Bewegung.
51 In Jakarta existierten vier größere Bündnisse: Neben FKSMJ und dem Forum Kota (Forkot) gab es das
Forum Jatiwaringin Kalimalang (FJK) und das Forum Bersama. Andere Beispiele sind die Gerakan
Reformasi ("Reformbewegung") in Bandung, die Solidaritas Mahasiswa untuk Kedaulatan Rakyat ("Studentensolidarität
für Volkssouveränität") in Yogyakarta (vgl. Aritonang 1999, 164ff) oder die "Familie
Studenten, Jugendliche, Lehrer und Volk" (Keluarga Mahasiswa, Pemuda, Pelajar, dan Rakyat) in Lampung
und die "Erneuerungsbewegung Indonesien" (Gerakan Pembaharuan Indonesia), in der Heri Achmadi,
der Studentenaktivist von 1977/78, ein Bündnis mit Studenten schaffen wollte (Forum Keadilan
6.4.1998, 80ff). Daneben konstituierten sich wie im Jahre 1965/66 auch Vereinigungen von Schülern wie
etwa GAPCI (Gabungan Aksi Pelajar Cinta Indonesia, vorsichtig zu übersetzen mit: "Schüleraktionsbündnis
aus Liebe zu Indonesien").

484 Der Zerfall des Suharto-Regimes
Anders als in den studentischen Protestaktionen der Jahre 1965/66, 1973/74 und
1977/78 konzentrierten sich die Aktionen nicht auf bestimmte Universitäten. Diese
Dezentralisierung äußerte sich auch in den internen Strukturen der Studentenorganisationen,
die keine charismatischen Führergestalten hervorbrachten, oder besser: auf
die Führung durch Einzelne nicht angewiesen waren. 52 Das FKSMJ z.B. besaß fünf
Sprecher. Außerdem repräsentierte das 1990 offiziell von der Regierung anerkannte
Forum über 40 Hochschulen und konnte schon deshalb keine ausgeprägten Hierarchien
entwickeln. Darüber hinaus war es auf die Zusammenarbeit mit dem Forkot
(dessen Mitglieder schon nach dem 27. Juli 1996 Verbindungen zueinander aufgebaut
hatten), dem Forum Bersama und dem Forum Jatiwaringin Kalimalang angewiesen
(das waren die bekanntesten Foren allein in Jakarta). Diese Foren, aber auch
einzelne Universitäten hatten zahlreiche Kontakte untereinander, aber auch zu Vertretern
verschiedener (Massen)organisationen aufgebaut. Spezielle Abordnungen
reisten in den Monaten vor dem Sturz Suhartos sogar von Stadt zu Stadt, um sich ein
eigenes Bild zu machen und Erfahrungen auszutauschen. 53
Die Regimekoalition wusste nicht recht, wie sie auf die Demonstrationen reagieren
sollte, zumal die Forderungen der Studenten nicht einfach als unrealistisch zurückzuweisen
waren. Als die Studenten ein Gespräch mit dem Präsidenten forderten, was
einer ungeheuren Provokation gleichkam, sprach sich Feisal Tanjung scharf gegen
ein solches Begehren aus. Agung Laksono, der Minister für Jugend und Sport, erklärte
hingegen schon eine Woche nach einem Gespräch mit Suharto, dass dieser
durchaus zu einer Aussprache mit Studentenvertretern bereit sei. Und während Wiranto
Arismunandar, der Minister für Bildung, die Demonstrationen für illegal erklärte,
weil sie eine Einmischung in die "praktische Politik" darstellten, widersprach
ihm der Justizminister Muladi in dieser Frage. 54
Längst war der Regierung klar geworden, dass sie die Reformbewegung mit Gewalt
nicht unterdrücken konnte und sie deshalb versuchen musste, die Protestierenden
durch einige symbolische Akte zu beruhigen. Sie wollte so Zeit gewinnen, um die
Lage allmählich wieder unter Kontrolle bringen zu können. Studentenvertreter wurden
zu Gesprächen nach Jakarta eingeladen, und am 5.3. sprachen höchste Militärvertreter
mit 20 Studenten. Die radikaleren Studentenvertreter hatten sich von vornherein
geweigert, an einem solchen Pseudodialog teilzunehmen. Wie erwartet,
machten die Militärs nur vage Andeutungen zu ihrem Reformprogramm.
Am 11. März trafen sich 10.000 Demonstranten an der UI, diesmal unterstützt von
Amien Rais. Rais gab bei seinen Reden der Regierung sechs Monate Zeit, um die
Finanzkrise zu überwinden. Er erklärte sich bereit, eine gewaltfreie people-power-
Bewegung nach dem Vorbild der Philippinen und des Iran anzuführen.
Am 12.3. bot Wiranto Vertretern der Studentensenate und kritischen Persönlichkeiten
des öffentlichen Lebens wie Amien Rais, Megawati oder Abdurrahman Wahid
52 Adnan/Pradiansyah 1999, 186. Vor allem das Forum Kota achtete sehr auf eine kollektive Führung und
darauf, eine gewisse Distanz zur Universitätsverwaltung und zu charismatischen Führern aufrechtzuerhalten
(Kompas 31.5.1998). Insofern galt das Forkot als radikaler.
53 Adnan/Pradiansyah 1999, 165ff.
54 Malley 1998, 158.

Die Phase bis zum Regierungswechsel 485
auf Initiative einiger Journalisten einen Dialog an. 55 Susilo Bambang Yudhoyono,
der Kassospol, traf sich daraufhin mit Amien Rais, einigen Studentenvertretern und
anderen Regierungskritikern und schlug vor, am 4.4. in Jakarta im Freizeitpark Taman
Mini mit acht Ministern, einigen Militärs und 44 Studenten aus 22 Universitäten
über die Forderungen der Studenten zu reden. Das Treffen kam allerdings nicht
zustande, weil die meisten Studentenvertreter zu einem solchen ihrer Meinung nach
nur symbolischen, zeremoniellen Dialog nicht bereit waren. Außerdem kritisierten
einige, dass der Präsident nicht an dem Dialog beteiligt sei. Schon am 24. und 30.
März hatten sie sich bei Treffen in Jakarta und Bandung auf diese Linie geeinigt.
Am 30. 3. war Suharto dann doch bereit, sich persönlich an einem Dialog zu beteiligen,
allerdings nur unter der Voraussetzung, dass man nicht "emotional", sondern
"rational" miteinander spreche und dass "das bessere Konzept" angenommen werde.
Am 30.3. trafen sich in Jakarta im Hotel Shangri-la führende Militärs (Kassospol S.
Bambang Yudhoyono, BIA-Leiter Zacky Anwar Makarim sowie die Kodam-
Kommandeure Suparman und Mardiyanto) mit 50 Intellektuellen, NGO-Aktivisten
und ulama. 56 Die Militärs machten deutlich, dass Reformen allenfalls graduell und
"verfassungsgemäß" (so Yudhoyono) erfolgen könnten.
In dieser kritischen Phase gingen Teile des Militärs dazu über, mit größerer Gewalt
vorzugehen. Am 11.3. wurde ein Demonstrationsmarsch von etwa 10.000 Studenten
in Surabaya (vom Institut Teknologi Surabaya zur Airlangga-Universität) von Militärs
aufgehalten, wobei 25 Studenten verletzt wurden. In den folgenden Wochen
kam es an verschiedenen Orten weiterhin ständig zu Studentenprotesten. 57 Am 2.4.
eskalierten die dauernden Konfrontationen mit dem Militär ein weiteres Mal, als
etwa 5.000 Studenten von der UGM zu einem Marsch zum Provinzparlament aufbrachen.
58 Sie trugen dabei Spruchbänder mit der Aufschrift "Keinen Dialog mit
ABRI", "Für ein unabhängiges Parlament" oder "Nieder mit der Regierung Suharto".
Sie wurden von 250 Soldaten und einigen Panzern aufgehalten. Bei den Zusammenstößen
wurden 29 Studenten schwer verletzt. Gleichzeitig kam es zu Protesten an
der IAIN in Yogyakarta. Der populäre PPP-Vorsitzende von Surakarta, Mudrick
Sangidu, der im Wahlkampf 1997 für das Mega-Bintang-Bündnis eingetreten war
und sich gegen die kuningisasi-Strategie von Golkar zur Wehr gesetzt hatte, forderte
"das ganze Volk" auf, auf die Straße zu gehen. Auf dem Weg der IAIN-
Demonstranten zum kraton und zu Sultan Hamengkubuwono X. kam es ebenfalls zu
55 Zum Folgenden: Forum Keadilan 20.4.1998, 12ff.
56 Forum Keadilan 20.4.1998, 16f.
57 Am 16.3. kam es zu Zusammenstößen in Jakarta und Lampung, und am 17.3. wurden 25 Personen in
Jakarta an der UNS verletzt. Am 19.3. wurden wiederum in Lampung bei einem long march, der von
Vertretern von acht verschiedenen Universitäten organisiert worden war, über 100 Studenten verletzt und
72 festgenommen. Ebenfalls Mitte März hatte es ähnliche Zwischenfälle in Denpasar (Bali) und in Surakarta
(Mitteljava) gegeben. Am 30.3. demonstrierten 1.000 Studenten der "studentischen Aktionsfront für
den Kampf im Interesse des Volkes" Famppera (Front Aksi Mahasiswa Pejuang Peduli Rakyat) an der
staatlichen Islam-Universität IAIN Sunan Kalijaga in Yogyakarta und bei Zusammenstößen mit Militärs
wurden vier Personen schwer verletzt, 4 andere begannen mit einem Hungerstreik.
58 Forum Keadilan 20.4.1998, 13ff.

486 Der Zerfall des Suharto-Regimes
einem Handgemenge mit Militärs. Auch am folgenden Tag ereigneten sich ähnliche
Zwischenfälle vor der UGM und der IKIP.
Amien Rais war in dieser Phase das größte Idol der Studentenbewegung, zumal sich
Abdurrahman Wahid eher distanziert zeigte und nach den gewaltsamen Protesten in
Yogyakarta sogar meinte, die Studentenbewegung sei von Gruppen außerhalb der
Universitäten gelenkt. 59
Am 4. April verbot Bildungsminister Wiranto Arismunandar weitere Demonstrationen
an den Universitäten. An dieses Verbot, das auf heftigen Widerspruch der Opposition
stieß, hielten sich die Studenten nicht. Ihre Vertreter erschienen aus Protest
auch nicht bei dem für den 6.4. anberaumten Dialog. Die Gespräche am 18.4. fanden
weitgehend unter Beteiligung der regierungsnahen Jugendorganisationen Ampi und
KNPI statt, während die meisten Studentenvertreter wieder nicht erschienen, weil sie
diese Art von Dialog für unzureichend hielten. Mehrere hohe Offiziere sowie 16
Minister waren anwesend. Erwartungsgemäß blieb es jedoch bei unverbindlichen
Bekenntnissen zu vermeintlich angemessenen Reformen. Gleichzeitig fand eine von
4.000 Studenten und mehreren Professoren besuchte Gegenveranstaltung am renommierten
Institut für Landwirtschaft in Bogor statt. Am 25. April wurden in Medan
und in der Universität von Mataram (Lombok) mehrere Demonstranten erschossen.
Die landesweite Demokratiebewegung war inzwischen kaum noch aufzuhalten.
Sie hatte einen relativ starken Zusammenhalt, weil viele Indonesier wegen der wirtschaftlichen
Lage gezwungen waren, für fundamentale Reformen auf die Straße zu
gehen. Außerdem waren in der Notlage die ethnischen, religiösen und im engeren
Sinne politischen Spannungen zwischen den Reformern gemindert. Eine Stabilisierung
der ökonomischen Lage durch eine Beseitigung von Kolusi, Korupsi, Nepotisme
("KKN") und eine damit verbundene Demokratisierung wurde von nahezu allen
Demonstranten angestrebt. Mit ihren Forderungen fanden sie einen starken Rückhalt
in ihren Familien, bei den Unterschichten und bei Teilen der Regimekoalition.
Zusätzlich wurde die Stimmung gegen die Machthaber durch die Enthüllungen von
Folteropfern angeheizt. Am 27. April trat der wochenlang von Sicherheitskräften
festgehaltene und gefolterte Pius Lustrilanang an die Öffentlichkeit und berichtete
offen über seine Haftzeit. Es zeigte sich, dass mindestens 35 Personen in der Zeit
vom Februar bis zum Mai 1998 von ABRI-Einheiten entführt worden waren. 60 Pius
war der Generalsekretär von Siaga, einem Forum, das sich mit Amien Rais und
Megawati solidarisierte, und Mitglied von Aldera, der Aliansi Demokrasi Rakyat,
die im September 1994 von Studenten, Bauern und Arbeitern aus 15 Städten ge-
59 Vgl. Mietzner 1998 und 1999. Das war ein Verdacht, den Wahid selbst - wie 1997 bei seinen Vorwürfen
gegen angebliche Aufhetzer bei Unruhen in Ostjava - nicht begründen wollte. Er wandte sich gegen
Pläne, einen "nationalen Dialog" mit Megawati und Amien Rais zu beginnen. Ein solcher Dialog war von
ICMI-Generalsekretär Adi Sasono vorgeschlagen worden und hätte das Suharto-Regime in Bedrängnis
gebracht. Wahid sprach sich auch deutlich gegen das Ansinnen von Rais aus, als Präsident zu kandidieren.
60 Darunter einige SMID-Aktivisten (unter ihnen Andi Arief), 16 Studenten der Universität von Lampung,
der Direktor von LBH-Nusantara, Desmond Mahesa, der stellvertretende Generalsekretär der Megawati-
PDI, Haryanto Taslam, und Pius Lustrilanang (Forum Keadilan 10.8.1998).

Die Phase bis zum Regierungswechsel 487
gründet worden war. 61 Auch der SMID-Vorsitzende Andi Arief berichtete offen über
seine Entführung und die Folterungen. 62 Das war das erste Mal, dass in der Neuen
Ordnung ABRI so direkt attackiert wurde. Vor allem als bekannt wurde, dass Prabowo
Subianto wahrscheinlich in die Folterungen involviert gewesen war, war der
Suharto-loyale Teil des Militärs an den Pranger gestellt.
Am 1. Mai erklärte Suharto, dass mit Reformen nicht vor dem Jahr 2003 zu rechnen
sei. Zwar nahm er diese Aussage am nächsten Tag wieder zurück, aber spätestens zu
diesem Zeitpunkt dürfte der Reformunwille auch den letzten Zweiflern klar geworden
sein. Am 4. Mai wurden die Benzinpreise um 70%, die Dieseltreibstoffpreise
um 60% und die für Kerosin (das von den meisten Indonesiern zum Kochen verwendet
wird) um 25% erhöht. In Indonesien bedeuten solche Preiserhöhungen insbesondere
für Personen, die täglich auf Verkehrsmittel angewiesen sind, eine dramatische
Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage. Deshalb kam es vom 4. bis 7.
Mai im nordsumatraischen Medan zu schweren Unruhen, in deren Verlauf über 100
Geschäfte in Brand gesteckt wurden.
Die seit Wochen anhaltenden Demonstrationen der Studenten wurden durch die
Preiserhöhungen weiter angeheizt. Die Studenten stießen mit ihren Forderungen
nach Preissenkungen auf die Sympathie breiter Schichten der Bevölkerung. Im
Nachhinein wurde diese Maßnahme, die über die IWF-Forderungen hinausging, von
vielen Beobachtern als der schwerste taktische Fehler der Regierung Suharto eingestuft.
Die Schüsse an der Trisakti-Universität, die Unruhen Mitte Mai 1998 und die
Besetzung des Parlamentsgeländes
Ein weiterer Kulminationspunkt der Konfrontation zwischen den Studenten und den
Sicherheitskräften wurde mit den Vorkommnissen am 12. Mai 1998 an der Trisakti-
Universität in Jakarta erreicht. 63 Die private, hoch angesehene Universität im Stadtteil
Grogol war zu einem der Zentren der Studentendemonstrationen geworden. Am
12. Mai wurden von Heckenschützen Schüsse in die Menge abgegeben, wobei vier
61
Am 3. Februar war er entführt worden und erst Anfang April wieder nach Hause zurückgekehrt. Er war
in eine kameraüberwachte Einzelzelle gesperrt und mit Elektroschocks und durch Eintauchen in ein
Wasserbecken gefoltert worden. Er hatte sich am 27. April trotz der fortgesetzten Einschüchterungen
durch die beteiligten Foltertruppen in Jakarta an KomnasHAM gewendet und dort sowie auf einer anschließenden
Pressekonferenz über die Vorkommnisse berichtet. Unmittelbar danach war er nach Amsterdam
geflogen, um sich in Sicherheit zu bringen (TB Juli 1998, 14f; FEER 7.5.1998).
62
Eine Einheit der Sondereinsatzgruppe Kopassus, die ehemals von Prabowo befehligt wurde, steht unter
dem Verdacht, zumindest für einen Teil der Entführungen verantwortlich zu sein. Der stellvertretende
KomnasHAM-Vorsitzende Marzuki Darusman sieht sogar einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen
den Entführungen, den Erschießungen an der Trisakti-Universität und den Unruhen vom 13. bis 16. Mai
(FEER 23.7.1998). Einige der Entführten sollen in Cijantung nahe Jakarta in einem Gefängnis der Gruppe
4 von Kopassus untergebracht und gefoltert worden sein. Eine "Kommission für vermisste Personen und
die Opfer der Gewalt" (Kontras) kam zu dem Ergebnis, dass vier verschiedene Militäreinheiten beteiligt
gewesen sein müssen (TB Sep. 1998, 12f).
63
Über diese letzte Phase bis zum Sturz Suhartos: Forrester 1999; Aritonang 1999, 179ff; Urbaningrum
1999, 53ff; Mann 1998b, 183ff.

488 Der Zerfall des Suharto-Regimes
Studenten ums Leben kamen. Zuvor war es zu friedlichen Demonstrationen auf und
vor dem Campus gekommen. Es hatte zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften
eine Art stillschweigende Vereinbarung gegeben, sich nicht gegenseitig
zu provozieren und auf Gewaltaktionen zu verzichten. 64 Im Nachhinein deutet vieles
darauf hin, dass Soldaten unter dem Befehl des Kostrad-Kommandeurs Prabowo
eine Eskalation der Proteste provozieren wollten, um den ABRI-Flügel um Kommandeur
Wiranto zu schwächen. 65 Wiranto sollte während der Abwesenheit Suhartos
als schwacher ABRI-Kommandeur erscheinen, der die Kontrolle über die Reformbewegung
verloren habe. Vielleicht wollte Prabowo auf diese Weise Suharto die
Möglichkeit geben, Wiranto zu entlassen und ihn als neuen Kommandeur einzusetzen.
Wiranto distanzierte sich jedoch schnell von den Erschießungen und setzte
seine Strategie der Vermittlung fort.
Während des Trisakti-Vorfalls hielt sich Suharto noch in Kairo bei einem G 15-
Treffen auf, wohin er - trotz der Demonstrationen - am 9. Mai unerklärlicherweise
geflogen war. Am 13. Mai bot Suharto am Rande des G-15-Treffens seinen Rücktritt
für den Fall an, dass das Volk ihn nicht mehr brauche. Er machte allerdings zur
Bedingung, dass der Machtwechsel verfassungsgemäß ablaufe. Informationsminister
Alwi Dahlan relativierte später diese Aussage wieder.
Zur selben Zeit überschlugen sich die Ereignisse in Jakarta. Die Protestbewegung
wurde vermutlich durch die Morde gestärkt und geeint. Schon als am nächsten Tag
die getöteten Studenten begraben wurden, waren sie zu Märtyrern der Demokratiebewegung
geworden. Durch den Vorfall an der Trisakti-Universität war das Fass
zum Überlaufen gebracht worden: So kam es vom 13. bis 16. Mai in Jakarta zu den
schwersten Unruhen in der Geschichte der Neuen Ordnung. Die eigenwillige Dynamik
dieses kerusuhan ist mit den vielen Ausschreitungen der Vorjahre in Indonesien
zu vergleichen, nur dass die Lage diesmal wegen des Machtkampfes innerhalb der
Regimekoalition und der Konfrontation zwischen dieser und den verschiedenen
prodemokratischen Akteuren besonders angespannt war. Nach den Ergebnissen von
KomnasHAM starben in diesen Tagen mindestens 1.188 Menschen. 40 Einkaufszentren,
über 4.000 Läden und über 1.000 Wohnhäuser wurden zerstört, ausgeplündert
und/oder verbrannt. Vor allem in Glodok und Mangga Dua, zwei Handelszentren
in Jakarta, in denen viele Sinoindonesier leben, ereigneten sich die schwersten
Gewalttaten. Bei Massenvergewaltigungen sollen vor allem Sinoindonesierinnen zu
Opfern geworden sein. Außerdem kam es zu Verwüstungen in Medan, Tanjung
Balai und Solo. 66
Die Rupiah fiel, nachdem sie sich kurz erholt hatte (in der Vorwoche 8.000
Rp./US$), auf 11.500 Rp./US$. Wegen der Unruhen kehrte Suharto früher als geplant
aus Kairo zurück. 67 In diesen Tagen flohen viele Ausländer und viele wohlha-
64 Vgl. Südostasien 2/98, 57; FEER 28.5. und 4.6.1998; TB Juli 1998, 1ff.
65 Vgl. Sidel 1998, 189ff: Truppen von Kopassus, Kostrad und vom Kodam Jaya sollen schon im März
instruiert worden sein, zusammen mit preman gezielt Unruhe zu stiften. Siehe auch: Ryter 1998, 71.
66 Vgl. TB Juli 1998, 8ff; Djajadi 1999, 32ff; Kap. 4.8.
67 Zum Folgenden: Forum Keadilan 15.6.1998, 22ff.

Die Phase bis zum Regierungswechsel 489
bende Sinoindonesier in ihre Heimat bzw. in die Nachbarländer. 68 Die Brennstoff-
Preiserhöhungen wurden teilweise zurückgenommen. Am 15.5. aber zerstreute Suharto
die Rücktrittsgerüchte und drohte den Aufrührern mit entschlossener Law-and-
Order-Politik.
Am selben Tag gründeten 54 prominente Indonesier MAR, den "Rat des Volksauftrages"
69 , dessen Arbeit von Amien Rais koordiniert wurde. Der MAR forderte ebenso
wie 15 ehemalige hohe ABRI-Offiziere und ein "Arbeitsforum Indonesien" FKI
den Rücktritt Suhartos. 70 Am 16. Mai kündigte Suharto an, dass er zum Rücktritt
(lengser keprabon) 71 bereit sei, wenn es gewünscht werde und sofern es verfassungsgemäß
und friedlich vonstatten gehe.
Die entschiedensten Oppositionellen zu dieser Zeit waren einige ehemalige Angehörige
der Regimekoalition sowie diejenigen Studenten, NGO-Aktivisten, Reformpolitiker
etc., die schon in den Jahren zuvor die Regierung ständig kritisiert hatten. Die
zu erwartenden Konflikte in der Regimekoalition waren noch nicht so heftig, dass
sich einzelne Gruppierungen abspalteten und mit den Oppositionellen verbündeten.
Von Widerstandsaktionen der Arbeiter, Bauern oder Kleinhändler ist kaum etwas
bekannt. Anfang Mai hatte sich eine neue islamische, Habibie-nahe Gewerkschaft,
PPMI 72 , gegründet, und etwa zur selben Zeit begannen in Westjava die ersten größeren
Streiks und Proteste von Arbeitern. Aber erst bei der Besetzung des Parlamentsgeländes
waren auch Arbeiter anwesend, die zusammen mit den Studenten demonstrierten.
Sogar die FSPSI entsandte eine Delegation, die den Rücktritt Suhartos forderte.
73
Die Hauptinitiative ging aber zunächst weiter von den Studenten aus. Am 18. Mai
begannen auf dem Parlamentsgelände in Jakarta die letzten großen Demonstrationen,
die zum Sturz Suhartos wesentlich beitrugen und über die weltweit berichtet
wurde. An diesem Tag strömten mehrere Tausend Studenten in den Parlamentsbereich
in Senayan und errichteten - nachdem sie den Parlamentssprecher Harmoko
68 Über die mögliche Planung hinter diesen Vorgängen: siehe Kap. 4.8.
69 Majelis Amanat Rakyat; vgl. Forum Keadilan 15.6.1998, 25ff; Aritonang 1999, 193.
70 Zu MAR gehörten u.a. Emil Salim, A.B. Nasution, Gunawan Muhamad, Siswono Yudhohusodo, Arbi
Sanit, Frans Seda, Rizal Ramli, Arifin Panigoro, Albert Hasibuan, Tuty Heraty und Ali Sadikin; zu den
Offizieren zählten u.a. Kharis Suhud, Sayidiman und Bambang Triantoro; zum Forum Kerja Indonesia
FKI gehörten u.a. Amien Rais, Abdurrahman Wahid und Megawati. In einem Interview mit der FEER
(veröffentlicht am 14.5.1998) sagte Rais, die Studenten hätten die moralische Pflicht, Druck auf Suharto
und den MPR auszuüben, und sprach sich - ganz anders als Abdurrahman Wahid - für eine people-power-
Bewegung aus. Zugleich erklärte er, es gebe keine Alternative zum IMF und seinem Programm.
71 Suharto gebrauchte mehrfach einen javanischen Ausdruck, um seinen Rücktritt zu verbrämen und so
sein Gesicht zu wahren. Der Ausdruck lengser keprabon, madeg pandito bedeutet so viel wie "sich aus
den königlichen Ämtern zurückziehen, um Mönch zu werden". Das ist eine Anspielung auf eine der
vielen wayang-Geschichten, die für viele Javaner tiefere Bedeutung haben. Der Mönch gewordene König
in der hier gemeinten Geschichte mischt sich weiterhin als weiser Berater in die Regierungsgeschäfte ein
(Indonesien Information 1/98, 28f).
72 Persaudaraan Pekerja Muslim Indonesia.
73 Hadiz 1998, 109.

490 Der Zerfall des Suharto-Regimes
nicht treffen konnten - ein "freies Podium". 74 Sie forderten eine Sondersitzung (Sidang
Istimewa oder SI) des Parlamentes, auf der Suharto abgelöst werden sollte.
Später kamen einige Mitglieder der "Nationalen Reformbewegung" GRN 75 hinzu
und forderten die Aufhebung der MPR-Entscheidung über die Ernennung Suhartos
zum Präsidenten und Habibies zum Vizepräsidenten. Am selben Tag trafen sich
Harmoko und seine Stellvertreter Ismail Hasan Metareum (PPP), Abdul Gafur (Golkar),
Syarwan Hamid (ABRI) sowie Fatimah Achmad (PDI). Auf der anschließenden
Pressekonferenz forderte Harmoko auch im Namen dieser vier Personen - und
damit im Namen des Parlamentes - Suharto auf, als Präsident zurückzutreten. 76 Diese
Nachricht war für viele vollkommen überraschend, da diese Fünf bisher immer treue
Suharto-Vasallen gewesen waren. Abends wurde die Rücktrittsforderung, die die
Studenten mit großen Hoffnungen aufgenommen hatten, vom ABRI-Kommandeur
Wiranto als nicht verfassungsgemäß zurückgewiesen. 77 Allerdings scheint es im
Militär bereits eine reformorientierte Fraktion gegeben zu haben, die einen Reformrat
(Dewan Reformasi) gründen und Wahlen zulassen wollte. 78 In diesen Stunden
zeichnete sich ein Machtkampf zwischen dem Parlament und den Studenten auf der
einen Seite und dem Präsidenten und Teilen des Militärs auf der anderen Seite ab.
In den Morgenstunden des 19. Mai besetzten ca. 10.000 Studenten verschiedener
Universitäten das DPR/MPR-Gelände und die Parlamentsgebäude, nachdem die
Besetzer des Vortages größtenteils abends wieder nach Hause gefahren waren. Auch
diesmal errichteten sie "freie Podien", wobei sie von einigen NGO-Aktivisten und
mehreren Generälen a.D. wie Ali Sadikin, Kemal Idris und Awaluddin Jamin unterstützt
wurden. Ein Versuch von Jugendgruppen, die bekanntermaßen unter der Anleitung
von Yapto S. Suryosumarno und Yorrys Th. Raweyai Handlangerdienste für
die Regimekoalition leisteten, für Suharto und gegen Harmoko zu demonstrieren,
blieb erfolglos. 79
Am selben Tag trafen sich mehrere islamische Führer - unter ihnen Nurcholish Majid,
Abdurrahman Wahid und Emha Ainun Najib (aber nicht Amien Rais) - mit dem
Präsidenten in seinem Palast. 80 Suharto kündigte im Anschluss die Bildung eines
74 Forum Keadilan 15.6.1998, 16ff. Die Angaben über die Zahl der demonstrierenden Studenten weichen
stark voneinander ab. Aritonang (1999, 201) meint, dass am 18. Mai 100.000 Studenten auf dem Parlamentsgelände
waren.
75 Gerakan Reformasi Nasional, das war eine wenige Wochen vorher gegründete Bewegung, zu deren
Mitgliedern ehemalige, auch bei vielen Oppositionellen angesehene Minister wie Subroto und Emil Salim
gehörten, außerdem Ali Sadikin, Solichin G.P., Mahar Marjono und Sri-Edi Swasono.
76 ISAI 1999, 67ff.
77 Wiranto reagierte nach verschiedenen Darstellungen aus taktischen Gründen ablehnend, da Suharto ihn
zunächst absetzen wollte (Indonesien Information 2-3/98, 12). Andere Beobachter meinen, dass Wiranto
einen Coup durch Habibie, Harmoko und Prabowo fürchtete und sich deshalb für kurze Zeit auf die Seite
Suhartos schlug (Aritonang 1999, 238).
78 Sidel 1998, 191.
79 Dazu gehörten die "Pancasila-Jugend" Pemuda Pancasila, die Pemuda Panca Marga und das "Kommunikationsforum
der Söhne und Töchter der ABRI-Angehörigen a.D." FKPPI.
80 Außerdem waren es Yusril Ihza Mahendra (Jura-Professor und Redenschreiber Suhartos), Ali Yafie
und Amidhan (beide MUI), Fahmi Saifuddin, Ma'aruf Amin und Ahmad Bagdja (alle NU), Cholil Baid-

Die Phase bis zum Regierungswechsel 491
neuen Kabinettes und eines Komite Reformasi sowie die Abhaltung von Wahlen "so
bald als möglich" an. Außerdem sollte der MPR einen neuen Präsidenten wählen,
wobei er selbst für dieses Amt nicht mehr zur Verfügung stand. Er wollte aber noch
nicht zurücktreten, weil sonst das Land in ein Chaos gestürzt würde. Am Abend
stellte Suharto zusammen mit dem Minister des Staatssekretariats Saadillah Mursyid
und mit seinem Mitarbeiter Yusril Ihza Mahendra 45 Kandidaten für das Komite
Reformasi zusammen, dessen Zusammensetzung am 21.5. bekannt gegeben werden
sollte. Unter den Kandidaten waren Regierungskritiker wie Abdurrahman Wahid,
Amien Rais, Megawati, Ali Sadikin, der Politologe Arbi Sanit, der Menschenrechtsaktivist
Adnan Buyung Nasution u.a. 81 Gleichzeitig dauerten die landesweiten Demonstrationen,
in denen immer offener der Rücktritt Suhartos gefordert wurde, an.
Die Ereignisse am 20./21. Mai
Schon im April hatte sich die Demokratiebewegung darauf geeinigt, am 20. Mai
eine Großdemonstration durchzuführen. An diesem Tag jährte sich zum 90. Mal der
Gründungstag der ersten nationalistischen Organisation, Budi Utomo, eines der
wichtigsten Symbole des indonesischen Nationalismus. Am frühen Morgen des
20.5. aber forderte Rais in einer Fernsehansprache dazu auf, nicht zu demonstrieren,
um gewalttätige Auseinandersetzungen zu verhindern. Er berief sich auf die Warnung
eines hochrangigen Militärs. 82 Dafür wurden am selben Tag Protestaktionen in
anderen Städten Indonesiens (Solo, Yogyakarta, Bandung, Surabaya, Medan etc.)
durchgeführt. In Yogyakarta, dem kulturellen Zentrum Javas, beteiligten sich Hunderttausende
- manche sprechen von einer Million Teilnehmern - an einem friedlichen
Marsch zum Stadtzentrum, dem kraton. Überraschenderweise war das Militär
während des Marsches nicht anwesend. 83 Das Militär hielt sich entweder aus Solidarität
oder um die angespannte Lage nicht weiter anzuheizen, zurück. Der Demonstrationszug
wurde vom hoch angesehenen Sultan Hamengkubuwono X., der allein
wegen seiner adeligen Herkunft unangreifbar ist, begleitet. In Surabaya kam es bei
Demonstrationen von Zehntausenden zu Zusammenstößen mit ABRI, wobei mindestens
30 Menschen verletzt wurden. Zu ähnlichen Protestaktionen fanden sich am
selben Tag in ganz Indonesien, darunter auch in kleinen und mittleren Städten, Millionen
zusammen. Sie führten die wochenlangen Demonstrationen fort, bei denen
z.T. Provinz- und Distriktparlamente besetzt, freie Podien eingerichtet und immer
wieder umfassende politische Reformen gefordert worden waren.
lowi (Dewan Dakwah) sowie Malik Fajar, Sutrisno Muchdam und Suwarsono (alle Muhammadiyah).
Bezeichnenderweise waren - was später von Amien Rais kritisiert wurde - nur Muslime eingeladen.
81 Außerdem Mangunwijaya, Kwik Kian Gie, Eggi Sujana, Anwar Haryono, Sudharmono, Nurcholish
Majid, A.M. Fatwa, Ismail Suny, Wiranto, Muladi, Akbar Tanjung, Ahmad Tirtosudiro, Kardinal Supater,
die Rektoren der bedeutendsten fünf staatlichen Universitäten usw.
82 Die indonesische Tageszeitung Berita Buana berichtete am 11. September 1998, dass Suharto angeordnet
hatte, am 20. Mai mit scharfer Munition auf die Demonstranten schießen zu lassen (Mann 1998b,
245).
83 TB Juli 1998, 12f.

492 Der Zerfall des Suharto-Regimes
In Jakarta waren schwer bewaffnete Soldaten zusammengezogen worden. Trotzdem
gab es weiterhin Proteste von ca. 15.000, vielleicht sogar 30.000 Studenten auf dem
DPR/MPR-Gelände in Jakarta. Zu den Forderungen nach einer MPR-Sondersitzung
und nach einer totalen Reform (Reformasi Total) bekannten sich auch immer wieder
prominente Regierungskritiker wie Emil Salim 84 , der angesehene Historiker Deliar
Nur, der Menschenrechtsaktivist A.B. Nasution, der Publizist Gunawan Mohamad
und Amien Rais.
Am Abend trafen sich 100 Studentenvertreter mit Harmoko und seinen Stellvertretern.
Im Anschluss wurde Suharto von der DPR-Führung ein Ultimatum gestellt:
Entweder er trete bis zum 22. Mai zurück, oder es werde am 25. Mai zu einer Sondersitzung
des MPR kommen. Suharto gelang es nicht mehr, das Reformkomitee
zusammenzustellen, weil nur 3 der 45 Kandidaten zur Mitarbeit bereit waren. 14
Minister, angeführt von Akbar Tanjung und Ginanjar Kartasasmita, erklärten in
einem Brief, dass sie dem neuen Kabinett nicht mehr angehören wollten. Suharto
versuchte noch, Habibie dazu zu bringen, die Minister von ihrer Entscheidung abzuhalten.
85 Aber stattdessen bat Habibie diese, ihn zu unterstützen. 86 Als am Abend des
20. Mai auch Wiranto die Unterstützung durch ABRI nicht mehr garantieren konnte,
entschloss sich Suharto zum Rücktritt, den er am nächsten Morgen, also am 21. Mai
1998, in einer kurzen Erklärung vor den Kameras der Fernsehanstalten verkündete.
Damit wurde gemäß der Verfassung Habibie als der Stellvertreter Suhartos zum
neuen Präsidenten der Republik Indonesien. 87 Habibie kündigte in einer Fernsehrede
die baldige Ernennung eines Reformkabinettes, die Bekämpfung monopolistischer
Praktiken, die Überprüfung des Subversionsgesetzes und die Erfüllung der IWF-
Auflagen an. Wiranto erklärte, dass die Armee hinter Habibie stehe.
84 Ende Februar erklärte sich Emil Salim bereit, für die Präsidentschaft zu kandidieren. Der ehemalige
Minister wusste, dass er keine wirkliche Chance hatte, wollte mit seiner Aktion aber ein deutliches Zeichen
gegen die Alleinherrschaft Suhartos setzen.
85 Zum Bappenas-Meeting dieser Minister: ISAI 1999, 76f. Die anderen Minister waren Kuntoro Mangkusubroto,
Hendropriyono, Sanyoto Sastrowardoyo, Bambang Rachmadi, Rahardi Ramelan, Sumahadi,
Subiakto Cakrawerdaya, Theo L. Sambuaga, Yustika Baharsyah, Giri Suseno, Haryanto Dhanutirto und
Tanri Abeng.
86 Vgl. FEER 4.6.1998.
87 Obwohl die politischen Institutionen in den Jahren der Neuen Ordnung nur den Schein der Demokratie
wahren sollten, wurden sie am 21. Mai und danach zu wichtigen Instrumenten. Die Institutionen können
"[...] vom autoritären Regime kostengünstig zur Einleitung einer begrenzten Liberalisierung [...] eingesetzt
werden [...] und es dem Regime somit erlauben, einen aktiven Part im Prozess des Systemwechsels
zu spielen", Schubert/Thompson 1996, 405). Es sei allerdings hinzugefügt, dass die Übernahme der
Präsidentschaft durch Habibie in den folgenden Monaten zu heftigen Kontroversen unter Verfassungsrechtlern
führte.

Das Verhalten verschiedener Akteure 493
Das Verhalten verschiedener Akteure während des Regimezerfalls
Die letzten Tage vor dem Rücktritt Suhartos sind im Sinne einer "[...] Fokussierung
auf die Dialektik zwischen Interessengruppen an der Macht und ihren konfliktbereiten
und konfliktfähigen Herausforderern [...]" 88 besonders aufschlussreich. In dieser
Zeit zerbrach die Regimekoalition, und die Interessenlage verschiedener Gruppen
und Faktionen trat deutlich zu Tage.
Es handelte sich nicht um eine Revolution, da die alte Regimekoalition im Mai nur
zu einem geringen Teil durch neue Eliten ersetzt wurde. 89 Außerdem war in Indonesien
der Einfluss ausländischer Akteure - also von Gläubigern, Investoren, Spekulanten
und IWF-Vertretern - außerordentlich hoch. Zwar kam es zu einem bedeutenden
Politikwechsel nach dem Amtsantritt von Habibie, aber es waren die alten Eliten,
die die Transformation in den verfassungsrechtlich vorgesehenen Bahnen vollzogen.
Der muslimische Dichter und Sänger Emha Ainun Najib sprach sogar von
einem "sanften Putsch", da die letzte Phase der Absetzung Suhartos ohne Blutvergießen
verlief und Teile der Regimekoalition selbst den Wandel erzwangen. 90
Es gab 1997/98 im Grunde vier Möglichkeiten, die wirtschaftliche Krise zu überwinden:
- Suharto initiiert radikale wirtschaftspolitische Reformen, um die Neue Ordnung
zu stabilisieren und sich selbst noch einige Jahre als Präsident zu halten;
- Suharto und die Regimekoalition versuchen, mit einem Mindestmaß an Reformen
die Krise "auszusitzen";
- die Opposition wird so mächtig, dass sie die alten Machthaber revolutionsartig
vertreibt;
- Teile der Regimekoalition reagieren - mit Unterstützung des Auslands - auf die
Forderungen der Opposition und reformieren das politische System nach den Regeln
der Verfassung.
Die letztgenannte Variante hat sich durchgesetzt. Bei ihr kann man mit großer Vorsicht
auch von einem informellen Bündnis der reformbereiten Teile der Regimekoalition
mit der Opposition sprechen. Suharto war offenbar zu der aus der Sicht seiner
engsten Berater für den Machterhalt günstigsten Lösung nicht fähig: Er wollte einschneidende
wirtschaftliche Reformen nicht zulassen, weil er um die Pfründen seiner
Familie fürchtete. Außerdem schätzte er aufgrund seiner Inkompetenz in wirtschaftspolitischen
Fragen die Krise falsch ein.
88 Schubert/Tetzlaff 1998a, 12.
89 Vgl. Stichwort "Revolution/Revolutionstheorien" in: Nohlen (Hg.) 1995. Zu den Merkmalen einer
Revolution gehört eine fundamentale soziale und politische Neuordnung, die mit einer Ablösung der alten
Regimekoalition verbunden ist. In vielen Fällen ist ein Großteil der Bevölkerung an dieser Restrukturierung
beteiligt, und häufig werden Gewaltmittel eingesetzt.
90 In Newsweek (1.6.1998) war von einem "bloodless coup" die Rede: Danach hatte der Wiranto-Flügel
die Studenten zu weiteren Demonstrationen ermuntert, das Parlamentsgelände zugänglich gemacht sowie
Nurcholish Majid in seinem Reformeifer bestärkt.

494 Der Zerfall des Suharto-Regimes
Wie lässt sich der Machtwechsel im Einzelnen kennzeichnen? Hat letztlich ein die
strategischen Gruppen übergreifendes Habibie-Netzwerk Suharto gestürzt? Gab es
also eine Koalition von modernistischen Muslimen (ICMI), Habibie-nahen oder
zumindest Suharto-kritischen Militärs, Teilen Golkars um Harmoko und der Bürokratie
(insbesondere der 14 Minister)? Nach den bisherigen Erkenntnissen agierten
die verschiedenen Organisationen und strategischen Gruppen in der entscheidenden
Phase relativ unabhängig voneinander. 91 Es handelte sich eher um eine komplexe
Interaktion zwischen strategischen und konfliktfähigen Gruppen, an deren Ende die
Ablösung Suhartos durch eine gezwungenermaßen reformorientierte Regierung
Habibie stand. Die Interaktion war kaum institutionalisiert, und die Abfolge von
Verhandlungen, Drohungen und Demonstrationen führte aus der Sicht der beteiligten
Akteure z.T. zu unerwarteten Resultaten. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten ergriffen
unterschiedliche Gruppen die Initiative.
Die Regimekoalition in den letzten Wochen der Neuen Ordnung
Noch Anfang 1998 gab es kaum Risse in der Regimekoalition, und die wichtigsten
strategischen Gruppen unterstützten die Wiederwahl Suhartos. Erst in den letzten
Wochen, vor allem in den letzten Tagen vor dem 21. Mai, zerfiel die lange so stabile
Koalition. Die besonders eng mit Suharto verbundenen Gruppen verhielten sich
abwartend und verließen erst im letzten Moment das sinkende Schiff.
Die Parlamentarier, die in den drei Jahrzehnten zuvor fast ohne Ausnahme Suhartotreu
gewesen waren und ihn noch im März 1998 einstimmig wiederwählten, begannen
erst im Mai eine eigenständige Rolle zu spielen. So forderten viele Parlamentarier
eine Untersuchung der Entführungen und kritisierten die Preiserhöhungen für
Strom, Kerosin und Benzin. Die Golkar-Fraktion zerfiel am 19. Mai schließlich in
eine Pro-Suharto- und eine Pro-Habibie-Gruppe. 92 Von den an jenem Tag anwesenden
160 Golkar-Parlamentariern stimmten 125 dafür, Suharto zum Rücktritt aufzufordern.
Lediglich eine kleinere Ginanjar-Gruppe um Ginariyah Kartasasmita forderte
den Rücktritt von Suharto und von Habibie. Am 15. Mai hatte sich bereits eine
der größeren zu Golkar gehörenden "funktionalen Gruppen", nämlich Kosgoro, für
eine MPR-Sondersitzung ausgesprochen. Zuletzt stimmte sogar Harmoko für den
Rücktritt des Präsidenten, obwohl Harmoko diesem alles verdankte und bei einer
Demokratisierung mit seiner Entmachtung und vielleicht sogar mit einer strafrechtlichen
Verfolgung zu rechnen hatte. Offensichtlich spekulierten Harmoko (dessen
Villa in Solo einige Tage zuvor in Brand gesetzt worden war) und andere darauf,
sich später als Reformer darstellen zu können, um auf diese Weise in der Post-
Suharto-Ära die eigene Haut zu retten.
Die 14 Minister, die z.T. zu den 125 Golkar-Abgeordneten gehört hatten, waren
ebenso entscheidend am Regierungswechsel beteiligt. Der dargestellte Gegensatz
91
Vgl. zum Folgenden: Aspinall 1999; Young 1999.
92
ISAI 1999, 71ff.

Das Verhalten verschiedener Akteure 495
zwischen Technokraten und Nationalisten dürfte bei ihrem Entschluss, nicht mehr
für das geplante neue Kabinett zur Verfügung zu stehen, unwichtig gewesen sein.
Die Verwaltung behielt insgesamt ihre konservative Haltung bei. Die Beamten auf
den verschiedenen Ebenen der Verwaltung blieben in aller Regel loyal.
In den Wochen vor dem Rücktritt Suhartos war die Haltung des Militärs nicht eindeutig.
Es sei daran erinnert, dass es bei ABRI seit einigen Jahren einen Gegensatz
zwischen orthodox islamischen und nationalistischen, an der Pancasila orientierten
Offizieren, gab. Zu ABRI-hijau gehörten etwa Feisal Tanjung, Hartono, Syarwan
Hamid und zuletzt Prabowo, der aus taktischen Gründen selbst mit fundamentalistischen
Gruppen Kontakte knüpfte. Zu ABRI-merah-putih zählten u.a. Wiranto, S.B.
Yudhoyono, Farid Zainuddin, Agum Gumelar und Hendropriyono, denen man gute
Kontakte zu Edi Sudrajat und z.T. zu Benny Murdani nachsagte. 93 Allerdings fügte
sich der innermilitärische Machtkampf diesem Schema nur sehr unvollkommen.
Eher war es eine Auseinandersetzung zwischen Konservativen um Prabowo und
gemäßigten Reformern um Wiranto. Während im Februar die orthodoxmuslimischen
Generäle Syarwan Hamid und Feisal Tanjung zusammen mit Prabowo
noch antichinesische Stimmungen schürten, stellte sich Syarwan Hamid zuletzt
als einer der stellvertretenden DPR/MPR-Vorsitzenden auf die Seite der Reformbewegung.
Nachdem sich auch KAMMI von Prabowo abgewandt hatte, bat dieser
sogar - vergeblich - Abdurrahman Wahid um Unterstützung. 94 Bis heute ist unklar, in
welcher Beziehung Prabowo zu Habibie stand. Die beiden scheinen eine Zeit lang
kooperiert zu haben, was auch den Wutausbruch Prabowos nach seiner Entmachtung
erklären könnte. 95 Prabowo ging es offensichtlich nicht um eine Islamisierung der
indonesischen Gesellschaft, sondern allein um die Ausweitung seines Machtbereiches.
Die Wiranto-Gruppe setzte anders als die Prabowo-Gruppe auf Verhandlungen mit
den Oppositionellen und näherte sich deren Positionen nach und nach an, ohne sich
allerdings deutlich zur Reformbewegung zu bekennen. Ende März traf sich Kassospol
Yudhoyono mit Amien Rais in Yogyakarta und ermutigte ihn - wenn auch
mit wohl abgewogenen Worten -, seine Kritik aufrechtzuerhalten. Subagyo, der
Stabschef des Heeres, der keiner der beiden Gruppen eindeutig zuzuordnen war,
fand sogar lobende Worte für Amien Rais. 96 Gleichzeitig ließen viele lokale Militär-
93 Zum Teil wird noch von einer dritten Gruppe gesprochen, ABRI Kerajaan oder ABRI Cendana, die
besonders enge Loyalitätsbindungen zu Suharto aufwies. Dazu gehörten etwa Wiranto (der aber auch zu
ABRI-merah-putih gerechnet wurde), Try Sutrisno oder Sutiyoso. Die nationalistischen Generäle wurden
häufig mit den neomodernistischen und traditionalistischen Muslimen um Abdurrahman Wahid und z.T.
mit nichtmuslimischen Kreisen, etwa dem CSIS, in der einen oder anderen Weise in Verbindung gebracht.
94 Vgl. Mietzner 1999, 79.
95 Am 14. Mai soll Prabowo - nach einem Untersuchungsbericht zu den Mai-Unruhen - von Suharto
vergeblich die Gewährung von Notstandsrechten gefordert haben (Mann 1999, 151). Offenbar saß Prabowo
in diesen Tagen zwischen den Stühlen und bekam selbst von seinem Schwiegervater nur zeitweise
Unterstützung.
96 Subagyo galt als Freund Prabowos, ging aber nicht auf Distanz zu Wiranto.

496 Der Zerfall des Suharto-Regimes
kommandeure (so z.B. Agum Gumelar als Kodam-Kommandeur in Südsulawesi)
den Studenten freie Hand.
Amien Rais versuchte, einige hohe Generäle auf die Seite der Reformbewegung zu
ziehen, indem er nach dem Trisakti-Vorfall die Streitkräfte aufforderte, Farbe zu
bekennen und sich entweder für die Interessen des Volkes oder für die "einer gewissen
Familie" zu entscheiden. Die gemäßigten Reformer in den Streitkräften hielten
sich aber weiterhin zurück, wohl auch um ihre plötzliche Entmachtung durch Suharto
zu verhindern. Wiranto überredete Suharto nach dem 15. Mai, auf die Ausrufung
des Kriegsrechtes zu verzichten. Am 18. Mai wollte Suharto Kopkamtib wiedererstehen
lassen, ließ den Plan allerdings wieder fallen, weil Subagyo den Posten als
Kopkamtib-Kommandeur ablehnte. 97 Auffällig ist, dass die Studenten am 18. Mai
das Parlamentsgelände betreten konnten, obwohl dieses Gebiet relativ leicht von
Militäreinheiten abgesperrt werden kann. Diese stillschweigende Unterstützung
dürfte entscheidend zur weiteren Entmachtung des Präsidenten beigetragen haben.
Am 19. Mai schließlich forderte Kassospol Susilo Bambang Yudhoyono den inzwischen
zum wichtigen Vermittler aufgestiegenen, muslimischen Intellektuellen Nurcholish
Majid auf, von Suharto den Rücktritt zu fordern. 98 Die Wiranto-Faktion
unterstützte also zusehends die Reformbewegung, war aber nicht in der Lage oder
nicht gewillt, den Druck auf den Präsidenten unmittelbar selbst zu erhöhen.
Die islamischen Gruppen, die seit jeher eine ambivalente Haltung zur Neuen Ordnung
eingenommen hatten, zeigten sich auch in den ersten Monaten des Jahres 1998
unschlüssig. Die NU war in der Phase vor dem Sturz Suhartos gespalten. A. Wahid
z.B. wollte um fast jeden Preis die Präsidentschaft Habibies verhindern. Nur ein
Flügel um Generalsekretär Ahmad Bagdja, der von NU-Studentenorganisationen
bestärkt wurde, scheint die Demokratiebewegung deutlich unterstützt zu haben. Im
April forderte die NU ABRI auf, die Reformen zu unterstützen, aber erst am 15. Mai
gab es Verlautbarungen aus der NU-Zentrale, wonach der von Suharto erwogene
Rücktritt begrüßt wurde. Selbst noch am 19. Mai soll Wahid bei dem Treffen der
neun islamischen Führer mit dem noch amtierenden Präsidenten die halbherzigen
Reformpläne Suhartos gebilligt haben. 99
Der Amien-Rais-Flügel von Muhammadiyah war demgegenüber deutlich auf Seiten
der Demokratiebewegung, wenngleich auch Rais der Wiederwahl Suhartos im März
schweren Herzens zustimmte. Seit er Ende 1997 von Suharto aus ICMI gedrängt
worden war, hatte er sich an die Spitze der Reformbewegung gesetzt. Im Gegensatz
zu A. Wahid und eher noch als die zurückhaltend auftretende Megawati Sukarnoputri
wurde er zum Idol der Studentenbewegung. Nach einem Bericht des Magazins
97 Die Herausgeber von Indonesia (No. 67, 1999) meinen, dass Prabowo bereits im Februar die Reaktivierung
Kopkamtibs vorgeschlagen und Suharto kurz vor seiner Abreise nach Kairo die Ausarbeitung eines
entsprechenden Dekretes angewiesen habe. Wegen des Machtkampfes innerhalb der Armee sei jedoch
letztlich nichts geschehen (The Editors: Current Data on the Indonesian Military Elite January 1, 1998-
January 31, 1999, S. 133-162; hier Seite 137).
98 Am 17.5. hatte Yudhoyono die Salemba-Deklaration unterstützt. In dieser Deklaration forderten kritische
Generäle a.D., Akademiker und religiöse Führer den Rücktritt Suhartos. Yudhoyono meinte, die
Deklaration bringe die Wünsche der Bevölkerung zum Ausdruck.
99 So jedenfalls Mietzner 1998, 194.

Das Verhalten verschiedener Akteure 497
D&R im September 1998 soll Suharto sogar einen Mordanschlag auf Rais erwogen
haben. 100
ICMI-Generalsekretär Adi Sasono trat schon im Januar mit dem für Suharto gefährlichen
Plan, einen Nationalen Dialog zu führen, an die Öffentlichkeit. Dieses Bündnis
scheiterte aber an dem Widerstand Abdurrahman Wahids. Nachdem sich abzeichnete,
dass Habibie Vizepräsident werden würde, hielten sich die kritischen
ICMI-Mitglieder wieder etwas stärker zurück. Unter der Führung von Ahmad Tirtosudiro
und Adi Sasono emanzipierte sich ICMI aber nach der Wahl Habibies zunehmend
von ihrem Patron. Am 6.5. forderte Tirtosudiro eine MPR-Sondersitzung,
und am 9.5. sprach die ICMI-Führung von einer politischen Krise und kritisierte die
bisherigen Reformvorschläge der Regierung als vage und verspätet. 101 Zuletzt waren
es die von Suharto empfangenen islamischen Führer, unter ihnen insbesondere der
neomodernistische muslimische Intellektuelle Nurcholish Majid, die den Präsidenten
davon überzeugten, dass er keinen Rückhalt mehr in der Bevölkerung hatte.
Die Unternehmer waren an den Protesten fast nicht beteiligt. Sie waren schließlich
selbst seit vielen Jahren in das von den Studenten bekämpfte "KKN"-System verstrickt
und mussten sich deshalb zurückhalten. Die sinoindonesischen Händler und
Industriellen wurden häufig selbst zum Ziel der Protestierenden, so dass Zehntausende
wegen der Mai-Unruhen das Land verließen. Es gibt nur wenige Unternehmer,
von denen bekannt ist, dass sie den Rücktritt Suhartos selbst unterstützten, so
etwa Sofyan Wanandi oder der pribumi-Unternehmer Arifin Panigoro. Am 19. Mai
demonstrierten zwar die Börsianer in Jakarta, aber im Allgemeinen war die Unterstützung
durch Geschäftsleute oder Manager allenfalls indirekt und zögerlich.
An den beschriebenen Taktierereien lässt sich gut ablesen, was in Kapitel 1 schon
dargestellt wurde. Neben den Netzwerken, die aus Patron-Klient-Beziehungen zu
Suharto oder anderen Bapak bestehen, gibt es zwei Arten politisch handlungsfähiger
Gruppen, nämlich strategische Gruppen und Allianzen. Die Allianzen werden besonders
wichtig, wenn Nachfolgefragen gelöst werden müssen. Es kommt dann in
den strategischen Gruppen zu Fraktionierungen und Neuorientierungen. Solche
Allianzen ergaben sich schon in den Jahrzehnten zuvor, wenn etwa Golkar-
Vorsitzende, Vizepräsidenten oder Minister bestimmt werden mussten. 1998 wurden
solche Allianzen zwischen einzelnen Militärs, religiösen Führern, Politikern, Ministern
und mittelbar mit prominenten Oppositionellen gebildet. Diese Bündnisse können
- unter veränderten politischen Bedingungen - das Führungspersonal neu gegründeter
Parteien stellen. Sie waren allerdings in den Monaten vor dem Sturz Suhartos
sehr instabil.
Die Ausführungen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die genauen Hintergründe
all der Intrigen und Cliquenkämpfe weiterhin im Dunkeln bleiben. Wusste
Suharto, dass auf die Studenten der Trisakti-Universität geschossen würde, und war
100 Mann 1998b, 224. Das jedenfalls sagte in einem Interview der ehemalige Redenschreiber Suhartos und
Juraprofessor Yusril Ihza Mahendra. Später nahm er diese Äußerungen wieder zurück. Rais soll sich in
diesen Tagen bereits vorsorglich von seiner Familie verabschiedet haben.
101 Mann 1998b, 173.

498 Der Zerfall des Suharto-Regimes
er auf die Ausschreitungen Mitte Mai vorbereitet? Hatte er Habibie jemals als seinen
Nachfolger vorgesehen, oder favorisierte er "Tutut" oder gar Prabowo? Welche
Ziele verfolgten Wiranto und Prabowo? Welche Beziehungen bestanden genau zwischen
Politikern, islamischen Führern, Militärs, Ministern und Unternehmern? Und
wie entwickelten sich die Allianzen in den verschiedenen Phasen bis zum 21. Mai?
Die Opposition in den letzten Wochen der Neuen Ordnung
Die Reformbewegung 1998 nutzte die seit den späten 80er Jahren erkämpften Freiräume.
Die Presse berichtete in den 90er Jahren offener als in den Jahren seit dem
Malari-Vorfall 1974. Die führenden Oppositionsfiguren wie Amien Rais, Megawati
und - mit einigen Abstrichen - Abdurrahman Wahid hatten sich in den 90er Jahren
gegen den Widerstand der Regimekoalition behaupten können. Wahid blieb 1994
NU-Führer, Amien Rais übernahm den Vorsitz bei Muhammadiyah, und Megawati
wurde gerade wegen der Vorkommnisse am 27. Juli endgültig zu einer Volksheldin.
Bei all diesen Untersuchungen sollte aber betont werden, dass einer der entscheidenden
Faktoren für den Zusammenbruch des Suharto-Regimes die wirtschaftliche
Krise war. Am 19. Mai war die Rupiah auf 17.000/US$ gefallen, und in diesen Tagen
war die indonesische Wirtschaft nahezu zum Erliegen gekommen. Die von Ginanjar
angeführten 14 Minister fürchteten, dass ohne die Ablösung Suhartos Indonesien
in den endgültigen Ruin stürzen würde. In diesen Monaten stieg der Einfluss
ausländischer Akteure gewaltig. 102 Die Weltbank zögerte die Vergabe eines Kredites
über 1,2 Mrd. US$, die Asian Development Bank die eines Kredites über 2,5 Mrd.
US$ hinaus. Privatbanken verschoben die Verhandlungen über Umschuldungen.
Zuletzt drängten die Regierungen Australiens, Großbritanniens und der Vereinigten
Staaten Suharto zum Rücktritt. 103
Die treibende Kraft der Reformbewegung waren die Studenten, die sich in moderatere
und radikalere Gruppierungen aufteilten, sich aber auf einige Minimalziele,
nämlich den Sturz Suhartos und die Forderung nach Preissenkungen, einigen konnten.
Die Studenten appellierten an die reformbereiten Gruppen in der Gesellschaft,
sich ihnen anzuschließen. Sie waren somit Repräsentanten eines allgemeinen Widerstandes
gegen die Neue Ordnung. Hätten sie diese große Anerkennung nicht gefunden,
hätte das Militär den Protesten schnell ein Ende setzen können. Aber selbst das
Demonstrationsverbot des Bildungsministers und die immer wieder ausgesprochenen
Warnungen durch Suharto und einige Militärangehörige verhallten ungehört.
Bei all den Protesten waren Arbeiter und Bauern kaum aktiv beteiligt, und die urban
poor hatten ihre Wut nur in einer Orgie der Gewalt artikulieren können. Obwohl
z.B. bei der großen Demonstration in Yogyakarta mit mehreren Hunderttausend,
vielleicht sogar einer Million Teilnehmern überwiegend Angehörige der lower class
102 Mann 1998b, 239f.
103 Vor allem eine Rede von Madeleine Albright, die einen "historical act of statemanship for the democratization
of Indonesia" forderte, soll einen nachhaltigen Eindruck auf Suharto gemacht haben. Vgl.
Kivimäki 2000, 528 und 542.

Das Verhalten verschiedener Akteure 499
beteiligt waren, gehörten sie jedoch nicht zu den eigentlich treibenden Kräften.
Aspinall bemerkt dazu:
"However, unlike in many countries undergoing democratic transitions (for example, Portugal
or the Philippines) where working class radicalism or peasant-based leftist insurgencies
shadowed the democratization process, no radical groups based in the lower classes
could remotely stake a claim to political power in Indonesia. There was no serious prospect
of an overturning of the social system, beyond a purge of the most corrupt elements
of the New Order elite. Instead, political leadership of opposition was dominated by middle
class and elite groups which mostly stressed their moderate credentials." 104
Da es schon in den Jahren zuvor keinen organisierten Bauernwiderstand gegeben
hatte, war die Zurückhaltung dieser Bevölkerungsgruppe keine Überraschung. Es
konnte jedoch eine stärkere Beteiligung der Arbeiter erwartet werden. Aber die
durch die Asienkrise ausgelöste hohe Arbeitslosigkeit und die Reallohnsenkungen
haben offensichtlich zu einer erheblichen Schwächung der Arbeiterbewegung geführt.
Trotzdem spricht Ikrar Nusa Bhakti - im Gegensatz zu Aspinall - von einer people’spower-Bewegung.
105 Er verweist darauf, dass z.B. am 19. Mai auf dem Parlamentsgelände
nicht nur mehrere Zehntausend Studenten demonstrierten, sondern dass
Künstler, Professoren und Dozenten, NGOs wie Aldera oder Yayasan Pijar, Vertreter
der Gewerkschaft SBSI, Angehörige der verbotenen Parteien usw. sowie Tausende
von Arbeitern, Bauern, Angestellten und becak-Fahrern die Aktionen der
Studenten unterstützten. 106 Auch wenn es eine solche Unterstützung aus allen
Schichten und von allen Berufsgruppen gegeben hat, und auch wenn sicherlich der
übergroße Teil der indonesischen Bevölkerung grundlegende Reformen befürwortete,
so gab es keinen organisierten breiten gesellschaftlichen Widerstand von Bündnissen
mit erkennbarer Führungsstruktur und Programmatik. Die verschiedenen
oppositionellen Gruppen standen zwar in dauerndem Kontakt miteinander, agierten
aber eher neben-, statt miteinander.
In den letzten Wochen schlossen sich neben den bekannten NGOs auch zahlreiche
hoch angesehene Persönlichkeiten der Reformbewegung an. A.H. Nasution, der
1997 noch zusammen mit Suharto zum Fünf-Sterne-General befördert worden war,
bekundete seine Sympathie für die Studentenproteste ebenso wie viele prominente,
aber bisher eher zurückhaltende Intellektuelle wie Selo Sumarjan oder Ruslan Abdulgani.
Zuletzt gab es gegen Suharto gerichtete Erklärungen von alten nationalistischen
Kräften, angeführt von Nonya Supeni, und von 15 hohen Offizieren der ‘45er-
Generation. 107 Am 8. Mai erklärten sich Professoren verschiedener staatlicher Uni-
104 Aspinall 1998, 141.
105 Bhakti 1998, 176.
106 Vgl. Adnan/Pradiansyah 1999, 173ff.
107 Sie forderten am 15. Mai eine MPR-Sondersitzung. Neben den Petisi 50-Generälen gehörte auch
Rudini, der ehemalige Innenminister, zu dieser Gruppe.

500 Der Zerfall des Suharto-Regimes
versitäten mit den Studenten solidarisch. 108 Am 13. Mai traten 109 LIPI-Wissenschaftler
in einer Erklärung für grundlegende Reformen ein, und am 16.5. sprach
sich auch eine von Suharto befragte neunköpfige UI-Delegation für Reformen aus.
Selbst der Sultan von Yogyakarta, Hamengkubuwono X., bot am 18. Mai der Reformbewegung
an, die Großdemonstration am 20. Mai zu seinem kraton zu führen.
Insgesamt war die Opposition in den letzten Tagen vor dem Sturz Suhartos aber
wenig geeint. Megawati, Amien Rais und Abdurrahman Wahid kooperierten nicht
miteinander. Auch die großen islamischen Organisationen formulierten keine gemeinsame
Erklärung. Die von Amien Rais gegründete Bewegung MAR spielte ebenso
wie die anderen Reformbündnisse nur eine untergeordnete Rolle. Selbst die
Beziehungen zu den zuletzt reformorientierten Gruppen der Regimekoalition blieben
locker. Das Militär verbündete sich ebenso wenig wie die 14 Minister oder die Parlamentarier
mit den demonstrierenden Studenten und ihren Unterstützern aus den
verschiedenen konfliktfähigen Gruppen. Die Opposition konnte die Ablösung Suhartos,
die nach den Regeln der Verfassung vollzogen wurde, nur beobachten. Und
die neuen Machthaber unter Habibie kamen aus der Orba-Regimekoalition.
Viele der neuen Parteiführer gehörten in den letzten Jahren der Neuen Ordnung zur
Opposition. Neue Führer sind in der Umbruchphase aber kaum aufgestiegen. Zum
einen, weil die Studentenbewegung nicht von einzelnen Aktivisten dominiert oder
geleitet wurde, zum anderen, weil entscheidende Impulse von der Regimekoalition
selbst ausgingen.
108
Unter anderem waren das Emil Salim, Lukman Sutrisno, Ichlasul Amal und Utomo D. (Aritonang
1999, 187).

6. Von der Übergangsregierung Habibie zur demokratisch
gewählten Regierung von Abdurrahman Wahid
6.1. Die Entwicklung bis zu den nationalen Wahlen im Juni
1999
Das Kabinett Habibie und seine Aufgaben
Am 21. Mai wurde - für viele überraschend - Habibie zum dritten indonesischen
Präsidenten ernannt. 1 Wahrscheinlich war er sowohl von Suharto als auch von den
verschiedenen strategischen Gruppen niemals für dieses Amt vorgesehen gewesen.
Noch am 19. Mai hatte Suharto Habibie öffentlich mit der Aussage brüskiert, dass
eine Habibie-Präsidentschaft unweigerlich dauerhafte Unruhen auslösen werde.
In der am 21. Mai anbrechenden Transitionsphase standen sich in der neu formierten
Regimekoalition die "konservativen Reformer" (um Habibie und Wiranto) sowie die
Reaktionäre und Obstruierer (Teile ABRIs, bestimmte Interessengruppen in Ost-
Timor, in der Bürokratie, in Golkar etc.) gegenüber. Zusammen sahen sie sich dem
Druck der moderaten (u.a. Megawati, Amien Rais, Abdurrahman Wahid und ihre
Parteien) und der radikalen Reformer (einige NGOs, Studentengruppen etc.) ausgesetzt.
Für die meisten Oppositionellen war der neue Präsident einer der Hauptrepräsentanten
der Neuen Ordnung. 2 Habibie war also ein Kompromisskandidat, der nur
einen kleinen Teil der Bevölkerung hinter sich wusste.
Schon am 22. Mai gab der Präsident die Zusammensetzung des neuen Kabinetts
bekannt. Von den 36 Ministern des 7. Entwicklungskabinettes gelangten 20 in das
Reformkabinett (oder: Reformentwicklungskabinett; vgl. Schaubild 5-1). 3 Viele der
Minister, die weiterhin ihr Amt bekleiden durften, gehörten zur "Gruppe der 14
1
Vgl. zum Folgenden, d.h. zur Transitionsphase vom Mai 1998 bis zum Juni 1999 u.a.:
Urbaningrum 1999; Loebis 1999; Mann 1999; Kawamura 2000; Fenner/Dürste 2000;
Bourchier 2000.
2
Unmittelbar nach diesem Rücktritt zeichnete sich eine Spaltung der Studentenbewegung ab.
Die Radikaleren waren nicht damit einverstanden, dass Habibie zum neuen Präsidenten gemacht
worden war, weil er als Repräsentant der Neuen Ordnung und als Lakai von Suharto
galt. Diese Fraktion (etwa vom Aktionskomitee der Studenten für Reform, Kamuri, oder vom
Forum Kota) sprach sich weiterhin für eine MPR-Sondersitzung aus. Andere wollten die
Bildung eines Präsidiums zur Vorbereitung freier Wahlen. So etwa das Forum Kebangsaan
Pemuda Indonesia (Nationalistisches Jugendforum Indonesien) oder die Gerakan Reformasi
Nasional (Nationale Reformbewegung) von Subroto (Forum Keadilan 15.6.1998, 26f). Die
Gemäßigteren verließen das Gelände oder verhielten sich abwartend. Später kam es zu einem
Handgemenge mit ca. 3.000 Habibie-Anhängern, die offensichtlich versuchten, die Habibie-
Gegner zu provozieren. Am frühen Morgen des 23. Mai wurden die noch verbliebenen 2.000
Studenten von Sicherheitskräften ohne Widerstand dazu gebracht, das Gelände endgültig zu
verlassen.
3
Forum Keadilan 15.6.1998, 19ff. Zu den engen Gefolgsleuten Habibies zählten Rahardi
Ramelan, Giri Suseno, Adi Sasono, Zuhal, Malik Fajar, Saleh Solahuddin und AM Saefuddin.
501

502 Von Habibie zu Wahid
Minister", die einige Tage vorher Suharto die Unterstützung verweigert hatte. Die
umstrittensten Kabinettsmitglieder ("Bob" Hasan, Wiranto Arismunandar, Abdul
Latief und "Tutut") wurden entlassen. Zwar waren die größten hardliners und cronies
verschwunden, aber das Militär hatte weiterhin einige Schlüsselpositionen mit
Feisal Tanjung, Wiranto und Syarwan Hamid inne. Amien Rais meinte, man müsse
dem neuen Kabinett sechs Monate Zeit geben, und er wolle weiter "sparring partner"
von Habibie sein. Er machte seine Unterstützung von einer noch einzureichenden
Klage gegen Suharto wegen Amtsmissbrauchs abhängig.
Schon in diesen ersten Tagen zeichnete sich das Dilemma, in dem Habibie und sein
Kabinett steckten, deutlich ab. Viele Kabinettsmitglieder galten als Zöglinge Suhartos,
und einen wirklichen Reformwillen gestand man ihnen daher nicht zu. Habibie
selbst hatte seinen Aufstieg fast ausschließlich seinem Förderer Suharto zu verdanken.
Er war in das System von "KKN" involviert und konnte daher nicht an einer
lückenlosen Aufklärung des Günstlingssystems interessiert sein. Zusammen mit
Teilen des Militärs um Wiranto, mit Teilen der Bürokratie und mit einigen muslimischen
Gruppen versuchte er, Zeit zu gewinnen und politische Reformen zu verschleppen.
Er war nicht nur dem Druck der Opposition, sondern auch dem des IWF
und der Gläubiger ausgesetzt, die schnelle, durchgreifende Reformen wünschten. In
dieser Phase zählten dazu insbesondere auch politische Reformen. Das heißt, es
wurde von der neuen Regierung erwartet, dass sie nicht nur die Auflagen des IWF
erfülle, sondern sich an die Gebote einer "good governance" halte. Nur eine transparente,
demokratische, die Menschenrechte achtende Politik konnte in dieser Situation
das Vertrauen der Gläubiger und der potentiellen Investoren, vor allem aber der
eigenen Bevölkerung wiederherstellen bzw. überhaupt erst schaffen. Deshalb verkündete
Habibie am 25.5. nach einer Kabinettssitzung, dass schnellstmöglich Wahlen
abgehalten werden sollten. Zugleich erlaubte die Regierung die Konstituierung
neuer politischer Parteien. Außerdem plante man, im MPR ein neues Wahl- und ein
neues Parteiengesetz auszuarbeiten. 4
Wie halbherzig diese Reformpolitik aber durchgesetzt wurde, zeigte sich bereits
einen Tag später. Der Chef der Partai Uni Demokrasi Indonesia (PUDI), Sri Bintang
Pamungkas, der einige Jahre zuvor wegen eines Vortrages in Berlin in Ungnade
gefallen war, und der Gewerkschaftsführer Muchtar Pakpahan wurden freigelassen.
Der jugendliche PRD-Vorsitzende Budiman Sudjatmiko und der ost-timoresische
Freiheitskämpfer Xanana Gusmão jedoch blieben weiterhin im Gefängnis. 5 Einerseits
waren unabhängige Gewerkschaften und Parteien wie die PUDI wieder erlaubt,
andererseits behielt Habibie seine starre Haltung in der Ost-Timor-Frage und im
Verhältnis zu den radikaldemokratischen Gruppen bei. Das Antisubversionsgesetz
wurde zwar abgeschafft, allerdings durch ein Antikommunismusgesetz ersetzt. Und
wie wenig der neue Präsident mit Kritik umgehen konnte, zeigte sich im November
1998, als er eine Reihe prominenter Indonesier, die zur radikalreformerischen, aber
4 In diesen Tagen hatten mehrere Minister öffentlich diese Reformen gefordert.
5 Im April 1999 wurde Abdul Latief, einer der mutmaßlich Hauptverantwortlichen der
„Gestapu“ freigelassen. Latief sah in dem Putschversuch weiterhin eine interne Angelegenheit
ABRIs und wandte sich gegen die offizielle „Gestapu“-Interpretation (Forum Keadilan
11.4.1999).

Entwicklung bis zu den nationalen Wahlen 503
keineswegs revolutionären Barisan Nasional (Nationale Front) gehörten, eines Umsturzversuches
bezichtigte und strafrechtlich verfolgen ließ. 6
Das veränderte politische Klima
Die vielen kritischen Presseberichte über ABRI, über Habibie und über die vielen
gewaltsamen Auseinandersetzungen im Archipel konnten nur in einem völlig veränderten
politischen Klima entstehen. Die Regierung stellte z.B. die verhassten P4-
Kurse ein und hob damit ihr Ideologienmonopol auf. Die Grundrechte der Meinungs-,
Versammlungs-, Assoziations- und Demonstrationsfreiheit wurden nunmehr
i.d.R. anerkannt. 7 Am 26. Mai erklärte Innenminister Syarwan Hamid, dass neue
politische Parteien gegründet werden dürften. Am selben Tag traf sich Arbeitsminister
Fahmi Idris mit 300 Repräsentanten von Arbeiterorganisationen. Am 2. Juni
wurde die vorher illegale Gewerkschaft SBSI unter Muchtar Pakpahan anerkannt. 8
Und am 5. Juni unterzeichnete Indonesien die ILO-Konvention 87 über Assoziations-
und Organisationsfreiheit. Unabhängige Gewerkschaften durften wieder gebildet
werden, so dass u.a. das auf mehrere Städte verteilte Arbeiternetzwerk JEBAK,
die Aktionsvereinigung indonesischer Arbeiter KABI, das Arbeiterkomitee für Reformaktionen
Kobar und Sarbumusi entstanden. 9 Am 25. Juni präsentierte die Regierung
zudem den „Indonesischen Aktionsplan für Menschenrechte 1998-2003“, in
dem u.a. die Unterzeichnung mehrerer der wichtigsten Menschenrechtsdokumente
angekündigt wurde. 10
Beispielhaft für diese allgemeine Liberalisierung war die Publikation mehrerer Bücher,
in denen ausführlich die geschäftlichen Beziehungen ABRIs, der Suharto- und
6 Zur Barisan Nasional gehörten neben Subroto die Militärs a.D. Kemal Idris, Ali Sadikin,
Bambang Triantoro, Harsudiyono Hartas und Edi Sudrajat, der ehemalige Sukarno-
Chefideologe und dann Pancasila-Interpret Suhartos Ruslan Abdulgani, der Ex-Golkar-
Generalsekretär Rahmat Witular, der ehemalige Bergbau- und Energieminister Sujana sowie
Theo Syafei (Forum Keadilan 7.9.1998, 20).
7 Schon kurz nach dem Sturz Suhartos wurden die jahrelang totgeschwiegenen Skandale neu
aufgerollt. Es erschienen Berichte über die Massaker 1965/66, über die Malari-Unruhen
(1974), über die Ereignisse von Tanjung Priok (1984), über das militärische Vorgehen gegen
eine islamische Sekte im südsumatraischen Lampung (1989), den "Sabtu Kelabu" (1996), den
Marsinah-Fall (1993), den "Udin"-Fall (1997) etc. (vgl. etwa D&R 17.6.1998).
8 Allerdings musste schon am 24. Juni eine von der SBSI geplante Großdemonstration wegen
der angespannten Sicherheitslage abgesagt werden.
9 Hadiz 1998. KABI: Kesatuan Aksi Buruh Indonesia (Aktionseinheit der Arbeiter Indonesiens);
JEBAK: Jaringan Buruh Antar Kota (Überregionale Arbeitervereinigung); Sarbumusi:
Sarekat Buruh Muslimin Indonesia (Vereinigung muslimischer Arbeiter Indonesien); außerdem
eine Anfang Mai 1998 gegründete Habibie-nahe Gewerkschaft unter der Führung von
Eggi Sujana, der mitunter islamistisch argumentiert. Ähnliche Vereinigungen und Komitees,
die sich z.T. erst später offiziell als Gewerkschaften konstituierten, existierten in ganz Indonesien.
Der Schwerpunkt lag aber in den Industrieregionen, insbesondere im Großraum Jakarta.
Allerdings wurde keine Großgewerkschaft gegründet, so dass sich eine gewisse Zersplitterung
abzeichnete. Es entstanden nur kleinere, unbedeutende Arbeiterparteien, und die Beziehungen
der Gewerkschaften zu den verschiedenen Parteien waren allenfalls lose.
10 Vgl. Beittinger 2001.

504 Von Habibie zu Wahid
der Habibie-Familie diskutiert wurden. 11 Bestimmte Themen wie die Massaker von
1965/66 wurden erstmals - wenn auch vorsichtig - angesprochen. Am 5. Juni wurde
dem Informationsminister die Möglichkeit genommen, unbequemen Zeitungen und
Zeitschriften die Publikationslizenz zu nehmen, so wie es der damalige Informationsminister
Harmoko noch 1994 im Falle von Tempo, Monitor und DëTik getan
hatte, und am 13. September verabschiedete das nationale Parlament ein Gesetz, mit
dem die Pressefreiheit verbindlich festgelegt wurde.
In der öffentlichen Diskussion schälten sich sehr bald einige Themen heraus, die das
neue Kabinett und das Militär in Bedrängnis brachten. Ein solches Thema waren die
Geschäftspraktiken der Familie Suharto. Die noch in ihren Ämtern verharrenden
Angehörigen der Orde-Baru-Regimekoalition wollten die Untersuchungen im Fall
Suharto hinauszögern, weil viele von ihnen fürchteten, dass derartige Befragungen
ihre eigenen Verstrickungen offen legen würden und dass - schlimmer noch - der
Expräsident "auspacken" könnte. So ernannte Habibie einen - vermutlich durch und
durch korrupten - Militär, Andi Ghalib, zum obersten Richter und vereinbarte mit
ihm, die Untersuchungen im Fall Suharto schleppend und halbherzig zu führen. 12
Suharto wurde nur einmal, drei Stunden lang und in einer lockeren Atmosphäre, zu
seinem Vermögen befragt. Dabei wies er sämtliche Korruptionsvorwürfe mit einem
Lächeln zurück. So konnte seine Familie, trotz erdrückender Beweislast, geschützt
von Militäreinheiten, in ihren Villen bleiben und sämtliche Anschuldigungen abstreiten.
13 Am 7. Juni 1999 sah man im Fernsehen den alten Präsidenten unweit
seines Hauses in Zentral-Jakarta seine Wahlzettel in die Urnen werfen. Es ist anzunehmen,
dass Suharto schon kurz nach seinem Rücktritt auf die politischen Kämpfe
in Indonesien kaum noch einen Einfluss hatte. Allenfalls konnte er durch die Mobilisierung
von alten Gefolgsleuten und unter Einsatz gewaltiger finanzieller Mittel
Unruhe stiften oder einige Militärs, Bürokraten und Politiker mit seinem Wissen und
seinem Geld weiterhin von sich abhängig machen. Aber eine ernsthafte Gefahr für
den Bestand der jungen Demokratie in Indonesien ging nicht mehr von ihm und
seinen Anhängern aus.
Ein anderes schwieriges Thema nach dem Sturz Suhartos waren die Vergewaltigungen
vom 12./13. Mai 1998 und die vermutete Beteiligung von Militäreinheiten.
Zusammen mit den Berichten über Gräueltaten in Aceh und Ost-Timor entstand für
viele ein neues Bild von der vergangenen Orde Baru. Das Militär, das vielen vorher
noch als Garant der Einheit gegolten hatte, geriet immer stärker in die Kritik. Habibie
und Wiranto machten einige wenige Militäreinheiten - also vornehmlich das
Sondereinsatzkommando Kopassus unter Prabowo - für die Taten verantwortlich,
11
Vgl. etwa: Aditjondro 1998; Pandi/Kartoredjo 1998; zum Militär: Iswandi 1998 und
Samego et al. 1998.
12
Am 19. Februar 1999 veröffentlichte das Magazin Panji Masyarakat ein offenbar vom
Geheimdienst mitgeschnittenes Gespräch zwischen Habibie und dem Generalstaatsanwalt
Andi Ghalib, das deutlich machte, dass beide Seiten - ABRI und der neue Präsident - an einer
wirklichen Untersuchung nicht interessiert waren.
13
Allerdings bekam die Suharto-Familie keine öffentlichen Aufträge mehr. Steuerbegünstigungen
wurden nach und nach aufgehoben. Verträge mit staatlichen Unternehmen wurden
überprüft. Am 30. Mai musste Bambang Suharto als Präsident von Bimantara Citra zurücktreten.
Sein Vater übertrug der Regierung aus seinem Besitz im Juli drei Hospitäler und im
November sieben Stiftungen.

Entwicklung bis zu den nationalen Wahlen 505
um auf diese Weise die „regulären“ Streitkräfte zu entlasten. ABRI sah sich in dieser
Zeit einerseits der Dauerkritik der Opposition ausgesetzt, war aber zugleich wegen
der vielen ethnischen und religiösen Konflikte permanent im Einsatz, denn es gab
weiterhin Versuche, Unruhen zu schüren und die politische Lage zu destabilisieren.
Dabei war meistens nicht wirklich klar, wer hinter den verschiedenen Gewalttaten
steckte. Vom Juli bis zum Dezember 1998 wurden etwa in Banyuwangi (Ostjava)
143 dukun santet, die nach Meinung vieler Dorfbewohner schwarze Magie praktizieren
können, ermordet. Da diesen Morden ein bestimmtes Muster gemeinsam war,
meinten viele Beobachter, dass sie von langer Hand vorbereitet worden seien. 14
Auch hinsichtlich der gewaltsamen Zusammenstöße zwischen demonstrierenden
Studenten, zivilen und staatlichen Sicherheitskräften aus Anlass der MPR-Sondersitzung
im November 1998 gehen viele Beobachter von geplanten Aktionen aus.
Die Transition vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise
Bei all diesen Ausführungen sollte man sich vergegenwärtigen, dass der politische
Systemwandel in Zeiten der größten wirtschaftlichen Krise seit 1965/66 stattfand.
Im Jahr 1998 schrumpfte das BIP um 13,2% (vergl. Tabelle 6-1). Die stärksten Einbrüche
waren im Baugewerbe (-40,5%), aber auch bei den Finanzdienstleistern
(-26,6%) zu verzeichnen. In US$ verringerte sich das BIP sogar von 215,7 auf
125,2 Mrd. Das BIP pro Kopf sank von 1.079 auf 613 US$. 1998 stieg der Index für
Konsumgüter um 78% 15 , und der Haushaltsentwurf für 1999/2000 sah Ausgabenkürzungen
von nominal über 17% vor. 16 Die Investitionstätigkeit kam fast zum Erliegen.
Während 1996 von der Kontrollbehörde noch Investitionen im Umfang von
119,9 Bio. Rp. bzw. 33,8 Bio. Rp. (von einheimischen bzw. ausländischen Unternehmen)
genehmigt wurden, sank dieser Betrag 1998 auf 60,7 Bio. Rp. bzw. 13,6
Bio. Rp. und 1999 auf 53,6 Bio. Rp. bzw. 10,9 Bio. Rp. Auch der Außenhandel war
stark betroffen. Zwar sanken die Exporte nur um knapp 6 Mrd. US$ auf 50,4 Mrd.
US$, aber durch die enorme Verteuerung des Dollars gegenüber der Rupiah brach
die Importseite ein, und es wurden nur noch Waren im Wert von 31,9 Mrd. US$
eingeführt (1997: 46,2 Mrd. US$).
14
Tempo 26.10.1998; Forum Keadilan 2.11.1998. Hintermänner könnten - so wurde behauptet
- die entmachteten Teile der Regimekoalition gewesen sein. Es wurden aber auch - wenig
überzeugende - Vermutungen über Racheakte der 1965/66 ausgeschalteten PKI geäußert. In
einem Artikel in Inside Indonesia, April-June 2000, 14ff, distanziert sich Jason Brown von
solchen Verschwörungstheorien, denen zufolge bezahlte, gut organisierte, schwarz gekleidete
ninjas für die Morde verantwortlich gewesen seien.
15
Allein vom Januar bis zum September 1998 waren die Preise für die wichtigsten Nahrungsmittel
um 117%, für Bekleidung um 104%, für die gesundheitliche Versorgung um 74%
und für Transportmittel um 55% gestiegen (Evans 1998, 31).
16
Unter anderem deshalb, weil die Einnahmen aus dem Erdöl-/Erdgasexport um über 60%
zurückgingen.

506 Von Habibie zu Wahid
Tabelle 6-1: Statistisches Profil Indonesien (1997-1999)
1997 1998 1999
BIP (Mrd. US$) 215,7 125,2 141,0
Reales BIP (Veränderung in %)* 4,7 -13,2 0,2
BIP pro Kopf (US$) 1.079 613 674
Arbeitslosenquote (%) 4,7 5,5 8,0
Wechselkurse (Jahresendkurs) Rp./US$ 2.909 10.014 7.855
Verbraucherpreise (Veränderung in %) 6,7 57,7 20,5
Diskontsatz (%) Jahresendwerte 20,0 38,4 12,5
Warenexporte (Mrd. US$) 56,3 50,4 51,2
Warenimporte (Mrd. US$) 46,2 31,9 30,6
* Auf Basis der Landeswährung.
Quelle: F.A.Z.-Institut 2000, 32.
Die wirtschaftliche Krise hat in bisher schwer abzuschätzender Weise zu sozialen
Verwerfungen geführt. Viele Unternehmen sind wegen der hohen Verschuldung
umstrukturiert worden, mussten Teile ihrer Betriebe veräußern oder schlicht Konkurs
anmelden. Auch viele Angehörige der Mittelklasse, die ihre Arbeit verloren
und/oder Dollarkredite aufgenommen hatten, sind sozial abgestiegen. Bei Zinsraten
um zeitweise 65% konnten allerdings bestimmte Segmente von der Wirtschaftskrise
profitieren. Bei der Unterklasse scheinen vor allem Beschäftigte des formellen Sektors,
etwa Industriearbeiter und Angestellte bestimmter Dienstleistungsunternehmen,
unter der Krise gelitten zu haben, während das Bild für landwirtschaftliche Betriebe
und für Beschäftigte des informellen Sektors sehr unübersichtlich ist.
Die jahrzehntelang von dem nepotistischen System profitierenden anak-anak
pejabat und cukong waren einem zunehmenden Druck ausgesetzt. Vor allem entfachte
die Diskussion über die Rolle der sinoindonesischen Unternehmer neu. Der
Minister für Genossenschaften und kleinere/mittlere Unternehmen, der orthodoxmuslimische
ehemalige ICMI-Generalsekretär Adi Sasono, der sich für die Schaffung
einer ekonomi kerakyatan ("Volksökonomie") einsetzt, griff dabei mitunter den
von vielen ICMI-Mitgliedern seit langem formulierten Vorschlag auf, in Indonesien
ein konsequentes, langfristiges Pro-pribumi-Programm nach malaysischem Muster
durchzuführen. Diese zuweilen antichinesische Politik, die von vielen Muslimen
unterstützt wird, könnte die politischen Auseinandersetzungen der kommenden
Jahre nachhaltig prägen.
Habibie wusste aber, dass nur mit umfassenden Reformen eine Verschlimmerung
der wirtschaftlichen Lage zu verhindern war. Im Juni 1998 stellte er sein Konzept
zur Bekämpfung der Krise vor. 17 Zu den Zielen gehörten u.a.:
17 Machetzki 2000.

Entwicklung bis zu den nationalen Wahlen 507
- Die schnelle Stabilisierung der Rupiah.
- Die Umstrukturierung des Bankensektors durch die schon im Januar 1998 geschaffene
IBRA, d.h. die Fusionierung bzw. die Schließung von Banken, die nicht wettbewerbsfähig
waren.
- Die Umschuldung im privaten Sektor.
- Die Konsolidierung der Handelsfinanzierung. Das heißt, die Importeinbrüche aufgrund
des sehr hohen Rupiah-Kurses sollten durch Fördermaßnahmen aufgehalten
werden.
Ein Abkommen im Juni 1998 zwischen 800 Privatbanken (geführt von der Deutschen
Bank, der Bank of Tokyo-Mitsubishi und der Chase Manhattan) und indonesischen
Schuldnern (vertreten von der indonesischen Regierung) regelte die Umschuldungsmodalitäten.
18 Dabei bürgte die indonesische Zentralbank für Verbindlichkeiten
indonesischer Banken. Die Indonesian Debt Restructuring Agency (INDRA)
wurde als Behörde innerhalb der Bank Indonesia eingerichtet und garantierte einen
festgesetzten Wechselkurs für private indonesische Schuldner, die Fremdwährungskredite
aufgenommen hatten, so dass diese Schuldner auf einer festen Basis rechnen
konnten. Im Juli 1998 gewährte der IWF nach sechs Monaten wieder Kredittranchen,
und die CGI weitete bei ihrem Treffen in Paris den Kreditrahmen weiter aus.
Im August 1998 wurden sogar neue Gerichtshöfe, die das neue Insolvenzrecht umsetzen
sollen, eingerichtet. Aber sowohl die Umschuldungsverhandlungen als auch
die Umsetzung des neuen Insolvenzrechtes erwiesen sich als schwieriger als angenommen.
19 Auch bei der Neustrukturierung des Bankensektors kam es zu erheblichen
Verzögerungen. Zuletzt wurden im März 1999 38 insolvente Banken geschlossen
und 7 weitere nationalisiert. Bei 9 Banken sicherte die Regierung bei der Rekapitalisierung
ihre Hilfe zu. Die Rekapitalisierung einiger Banken war bis dahin
höchst intransparent und dürfte von einigen Bankeigentümern ausgenutzt worden
sein. 20
Habibie verwies später auf den vermeintlich großen Erfolg seiner Wirtschaftspolitik.
Einige Indikatoren schienen wirklich für seine Regierung zu sprechen. So erzielte
man im Jahr 1999 ein leichtes Wachstum, der Anstieg der Verbraucherpreise war
mit 20,5% abgeschwächt, und die Exportbranche konnte die Talfahrt des Vorjahres
beenden und wieder einen leichten Anstieg verzeichnen. Der Wechselkurs erholte
sich in der Regierungszeit Habibies leicht. Während bis in den Oktober hinein fünfstellige
Rupiahbeträge für einen US-Dollar bezahlt werden mussten, pendelte sich
der Kurs danach bis Mitte 1999 auf einen Wert um 8.000 Rp./US$ ein. Der JSX-
Börsenindex lag im April 1999 bei 433, während er im September 1998 noch bei
276 gelegen hatte. Trotz dieser leichten Stabilisierung war die Bilanz der Regierung
18 Dieter 1998, 104f.
19 Cameron 1999, 23ff.
20 Evans 1998, 6. Aber auch bei dieser Bankenschließung kamen sofort wieder Nepotismusgerüchte
auf, da die Bank Nusa Nasional von Kadin-Chef Aburizal Bakrie, einem Vertrauten
von Ginanjar und Habibie, verschont geblieben war (FEER 25.3.1999). Im Januar sorgte der
Plan zur Rekapitalisierung der Lippo-Bank für Schlagzeilen. Die Lippo-Bank wird von dem
Sinoindonesier Riady, einem Freund Habibies, kontrolliert.

508 Von Habibie zu Wahid
Habibie aber eher negativ. Insbesondere bei der Umstrukturierung des Banken- und
Unternehmenssektors waren keine großen Fortschritte erzielt worden.
Die politische Erneuerung
Die Entstehung eines neuen Parteiensystems
Der Druck auf die Regierung Habibie war schon unmittelbar nach dem Sturz Suhartos
so groß, dass dem neuen Präsidenten kaum etwas anderes übrig blieb, als eine
Vielzahl neuer Parteien zuzulassen. Es dauerte allerdings noch bis zum Juli 1998,
bis sich das neue Parteiensystem langsam herauskristallisierte. Inzwischen waren
Wahlen für den Mai oder Juni 1999 angesetzt worden. Über die entsprechende neue
Gesetzgebung sollte das Parlament Ende des Jahres 1998 entscheiden. Die Parteien
hatten also genügend Zeit, sich zu konstituieren, Gliederungen aufzubauen und Programme
auszuarbeiten.
Schon im August zeichnete sich ein Übergewicht weniger, von charismatischen
Figuren geführter Parteien ab. 21 In einer Telefonumfrage des Fernsehsenders RCTI
nach der Person, die das Volk einige, bekamen Megawati 35,8% und Amien Rais
31,4% der Stimmen. Habibie kam auf nur 11,3%, Wiranto auf 7,7% und Abdurrahman
Wahid auf lediglich 3,5%. In einer Umfrage des Instituts für Politikwissenschaft
(des Laboratorium Ilmu Politik) der Universitas Indonesia entschieden sich
40% für die Partei Megawatis, nur 12,9% für Golkar und 10,8% für die Partei des
Nationalen Mandats (PAN) von Amien Rais. 22
Die PDI unter Megawati war bei den Unterschichten sehr beliebt, konnte aber auch
Nichtmuslime und einen Teil der Mittelklasse ansprechen. Zwar unterstützte die
Regierung die alte, von der Megawati-Fraktion 1996 "gesäuberte" PDI und den im
August neu gewählten Vorsitzenden Budi Harjono. Megawati und ihre Anhänger
aber gründeten daraufhin am 8. Oktober in Bali die PDI-Perjuangan ("PDI-Kampf")
und hatten von Anfang an eine deutlich breitere Basis als ihr Widersacher. Die NU
und ihre am 23. Juli gegründete Partei des Volkserwachens (Partai Kebangkitan
Bangsa, PKB) hatte ihre meisten Anhänger wie vor über vierzig Jahren in den Dörfern
insbesondere Mittel- und Ostjavas. Die Partai Golkar verfügte nicht nur in jedem
indonesischen Dorf über einen Stab von Funktionären, sondern konnte - als
ehemalige Regierungspartei - weiterhin auf die Unterstützung vieler Beamter und
der von diesen abhängigen Personen rechnen. Die vielen modernistischen Muslime
konnten zwischen vier größeren Parteien wählen: der PPP, der PAN (Partai Amanat
Nasional = Partei des Nationalen Mandats), der PBB (Partai Bulan Bintang = Partei
des Halbmondes) und der PK (Partai Keadilan = Gerechtigkeitspartei). Die PPP
versuchte nach dem Mai 1998 sich zu erneuern, aber die alten PPP-Parlamentarier
wollten ihre lukrativen Posten behalten. Deshalb konnte sich Amien Rais nicht zu
21
Zu den größeren Parteien: Kazhim/Hamzah; LKiS 1999; D&R Mai-Juni 1999, Edisi
Khusus Pemilu 1999.
22
Forum Keadilan 7.9.1998, 22; bei einer Telefonumfrage ist jedoch ein bias zugunsten der
Mittelklasse zu erwarten.

Entwicklung bis zu den nationalen Wahlen 509
einer Mitarbeit in dieser Partei entschließen und gründete im Juli 1998 die PAN. 23
Zuvor hatte er ein Angebot von Yusril Ihza Mahendra ausgeschlagen, Vorsitzender
der PBB zu werden. Die PBB ist eine modernistische Muslimpartei und setzt z.T.
das Erbe des Masyumi fort. Yusril Ihza Mahendra ist als ehemaliger Redenschreiber
Suhartos aber sicher kein Vertreter einer explizit prodemokratischen modernistischen
Strömung. Die PK unter Nur Mahmudi Ismail, in der sowohl Traditionalisten
als auch Modernisten vertreten sind, hat eine sehr junge Führungsmannschaft. Sie
steht Amien Rais nahe, hat ihre Wurzeln im Milieu der orthodox-muslimischen
Studenten (KAMMI) und orientiert sich u.a. an den ägyptischen Muslimbrüdern.
Amien Rais versuchte, größere Teile der Mittelklasse für sich zu gewinnen, indem er
weniger seine - zuweilen dogmatische - Islaminterpretation, als vielmehr sein liberales
Demokratieverständnis und seine Forderungen nach einem clean government
herausstellte. 24 Die PAN war ebenso wie die PKB ihrer Satzung nach keine islamische
Partei, sondern wollte auch Nichtmuslime, d.h. z.B. auch christliche oder konfuzianistische
Sinoindonesier, in ihre Reihen aufnehmen. Allerdings kam für Abdurrahman
Wahid ebenso wie für Amien Rais eine Koalition zu diesem Zeitpunkt nicht
in Frage. 25 Während Amien Rais sich z.B. für eine strafrechtliche Verfolgung Suhartos
einsetzte, machte sich Wahid lange für einen - letztlich nie zustande gekommenen
- Nationalen Dialog unter Einschluss des ehemaligen Präsidenten stark. Wahid
traf sich sogar mehrere Male zu diesem Zweck mit Suharto. 26
Ein aus 11 angesehenen, weitgehend unabhängigen Indonesiern gebildetes Team
unter dem Vorsitz von Nurcholish Majid war für die Zulassung der Parteien verantwortlich.
Die Pancasila waren zwar nicht länger, wie nach den azas-tunggal-
Festlegungen von 1984, die "alleinige Grundlage" der Parteistatuten, mussten aber
als Staatsideologie weiterhin anerkannt werden. 27 Ein Bezug auf Ideologien, die
gegen die Pancasila gerichtet waren, war ausdrücklich untersagt. Die Zulassungskriterien
wurden also so festgelegt, dass die Errichtung von Parteien auf primordialer
Grundlage erschwert, häufig sogar verhindert wurde. So gab es keine Parteien, die
sich lediglich an eine oder wenige ethnische Gruppen wandten. Explizit antichinesische,
antikapitalistische oder gegen bestimmte Religionen gerichtete Parteien hatten
von vornherein nicht die Möglichkeit, zugelassen zu werden. Allerdings gab es eine
Reihe politischer Parteien, die sich vorrangig religiös definierten. Neben der Partai
Kristen Nasional Indonesia waren das die genannten islamischen Parteien, also etwa
23 Im August trat Rais als Muhammadiyah-Vorsitzender zurück.
24 Zum Einfluss radikaler islamischer Kräfte sagte er: "But I can assure you that the Muslims
in my country are very, very moderate. The idea of establishing a sharia state has dissipated
completely. As a nation we believe in Pancasila as a state ideology", FEER 25.2.1999.
25 Auf die Frage, ob er sich eine Koalition mit Amien Rais vorstellen könne, antwortete
Abdurrahman Wahid: "No, not at all, no conditions. It's either Amien Rais or me. I cannot
work with him, he changes his opinion every day", FEER 11.3.1999.
26 Mann 1999, 114ff.
27 "Political Parties have the responsibility to firmly uphold and serve Pancasila and the 1945
Constitution", Gesetz 2/1999, Art. 9a. Ex-PKI-Mitglieder und jene, die in die so genannte
"Bewegung vom 30. September", also den angeblichen kommunistischen Putschversuch des
Jahres 1965, verwickelt gewesen waren, wurden als Kandidaten nicht zugelassen (Gesetz
3/1999, Art. 43, 1f).

510 Von Habibie zu Wahid
die Orde-Baru-Partei PPP, die PBB und die Partai Keadilan. Darüber hinaus die
PKB-Abspaltungen Partai Nahdlatul Umat unter Syukron Makmum, Partai Kebangkitan
Umat unter Yusuf Hasyim und Partai Solidaritas Uni Nasional Indonesia unter
Abu Hasan, dem Mann, der 1994 von der Regimekoalition ausersehen worden war,
Abdurrahman Wahid als NU-Vorsitzenden zu stürzen. Außerdem gründeten angesehene
moderate Muslime wie der Historiker Deliar Nur (Partai Umat Islam = Partei
der islamischen Gemeinschaft) und Ridwan Saidi (Masyumi Baru, die als halblegale
Organisation schon seit einigen Jahren bestand) eigene politische Parteien.
Bei einigen dieser neu geschaffenen Apparate war nicht erkennbar, welchen Interessen
sie eigentlich dienten. Und vielen Abspaltungen von größeren Parteien lagen
lediglich persönliche Differenzen der führenden Politiker zugrunde. Von Golkar
hatten sich die Partai Keadilan dan Persatuan (PKP) unter Edi Sudrajat 28 und die
Partai Musyawarah Kekeluargaan Gotong Royong (MKGR 29 ) unter der Exministerin
Mien Sugandhi getrennt. Neben den beiden PDIs von Megawati und Budi
Harjono entstanden im nationalistischen Lager u.a. die PNI-Massa Marhaen, die
PNI-Front Marhaenis unter Probosutejo, die PNI unter Nonya Supeni, die Partai
Nasional Demokrat unter Soekowati und die Partai Pilihan Rakyat (Pilar = Partei der
Wahl des Volkes) unter R.O. Tambunan. Darüber hinaus wurden einige alte, jahrzehntelang
verbotene Gruppierungen wie Masyumi, Murba, PSII und IPKI zu neuem
Leben erweckt. 30
Die meisten Parteien hatten sehr vage formulierte Programme. 31 Die mehr als 30
Jahre Diktatur machten sich also in der fehlenden Formulierung neuer Politikkonzepte
am nachhaltigsten bemerkbar, denn wirkliche Alternativen waren nicht erkennbar.
Zum einen hatte die immer noch dramatische Wirtschaftslage die Handlungsspielräume
eingeengt, zum anderen war die politische und die wissenschaftliche
Elite offensichtlich wenig auf den Systemwechsel vorbereitet. Wirtschaftspolitisch
forderten fast alle Parteien die Erfüllung der IWF-Auflagen, innenpolitisch
schrieben sie sich die Festigung der Demokratie aufs Panier. Nur einige Parteien
wandten sich an eine genau definierte Klientel (sieht man einmal von den Parteien
auf religiöser Grundlage ab). Die Partai Bhinneka Tunggal Ika Indonesia z.B. suchte
ihre Wähler vor allem bei den Sinoindonesiern. Außerdem wurden vier Arbeiterparteien
zugelassen. Die beiden wichtigsten waren die Partai Buruh Nasional (Nationale
Arbeiterpartei, PBN) unter Tohap Simanungkalut, das ist die SBSI-Partei, und die
Partai Solidaritas Pekerja Seluruh Indonesia (Partei der Solidarität der Arbeiter Indonesiens,
PSPSI), die aus der staatlichen Gewerkschaft hervorging.
28
Außerdem gehören zu dieser Partei die prominenten Exminister Sarwono Kusumaatmaja,
Siswono Yudohusodo und Hayono Isman.
29
Die autorisierte englische Übersetzung lautet: Mutual Self-Help and Familial Deliberation
Party.
30
Zu den Parteinamen siehe die Anmerkungen zu den Wahlergebnissen.
31
Die einzigen Gesellschaftsentwürfe mit z.T. antidemokratischen Gehalten sind gemäßigte
Formen des spezifisch indonesischen Integralismus, populistisch-nationalistische,
sukarnoistische Modelle und islamistische Ansätze. All diese Entwürfe - soweit sie die parlamentarische
Demokratie grundsätzlich in Frage stellen - sind momentan in Indonesien nicht
einflussreich.

Entwicklung bis zu den nationalen Wahlen 511
Warum sind in Indonesien nicht wie in den Philippinen und in Thailand programmlose
Klüngelparteien, die von vermögenden, Politik als Geschäft betreibenden Männern
angeführt werden, gegründet worden? Zum einen, weil es in Indonesien keine
Großunternehmer oder Großgrundbesitzer gab, die eine solche Rolle übernehmen
konnten. Zum anderen, weil offensichtlich das in den 50er Jahren entstandene Parteiensystem,
das wiederum aus Spaltungen in der nationalistischen Bewegung hervorgegangen
war, trotz der über drei Jahrzehnte währenden Herrschaft Suhartos,
seine gesellschaftlichen Wurzeln behalten hatte. 32 So wurde wieder über politik
aliran gesprochen. Die PAN und die PBB übernahmen die Rolle der Masyumi. Die
PDI-P wurde zur legitimen Nachfolgerin der PNI, und die PKB ging direkt aus der
NU hervor. Insoweit waren die Parallelen verblüffend. Allerdings gab es keine PKI
mehr. An die Stelle dieser revolutionären Gruppierung trat die teils reaktionäre, teils
konservativ-demokratische Partai Golkar. Außerdem war die PDI-P nicht identisch
mit der PNI. Die PNI war in den 50er und frühen 60er Jahren die Partei der Staatsbediensteten
gewesen. 1999 sammelten sich viele der konservativen und reaktionären
Staatsdiener in der Partai Golkar, die sie über dreißig Jahre lang ernährt hatte.
Zwar gab es in der PDI-P immer noch nationalistische, sukarnoistische Kräfte, die
an ein Großindonesien glaubten und ausländische Einflüsse eher begrenzen wollten.
Aber inzwischen waren in der PDI-P wie in allen Parteien Professionals, Unternehmer,
NGO-Aktivisten etc. so stark vertreten, dass sich auch die Programmatik gegenüber
jener der 50er Jahre geändert hatte.
Trotz der programmatischen Schwäche spiegelten die Parteien das gesamte politische
Spektrum wider: von linkssozialdemokratischen Splitterparteien mit radikaloppositioneller
Vergangenheit wie der PRD bis zu konservativ-staatstragenden Parteien
mit dunkler Vergangenheit wie Golkar, von der säkularistisch-nationalistischen
PDI-P bis zu explizit islamischen, mitunter fundamentalistischen Parteien wie der
PBB.
Erwartungsgemäß waren die bereits etablierten Parteien bei den Vorbereitungen für
die nationalen Wahlen im Vorteil, da sie über Jahrzehnte einen riesigen Apparat
aufgebaut hatten. Besonders die Partai Golkar versuchte, diesen logistischen Vorteil
zu nutzen. Da sie aber durch die Diktatur inzwischen bei einem Großteil der Bevölkerung
diskreditiert war, musste sie sich schnellstmöglich erneuern und die korrumpiertesten
Mitglieder öffentlichkeitswirksam durch reformwillige Erneuerer ersetzen.
Golkar musste zugleich versuchen, die Unterstützung von ABRI zu behalten.
Nur diese beiden Gruppen zusammen konnten verhindern, dass die Bürokratie und
das Militär vollends entmachtet wurden. Auf dem außerordentlichen Golkar-
Parteitag im Juli 1998 kam es zu einem ersten Kräftemessen zwischen einer Habibie-Fraktion,
die den Zivilisten und orthodoxen Muslimen Akbar Tanjung als ihren
Kandidaten präsentierte, und einer Gruppe von ehemaligen Generälen und eher
säkular-nationalistisch orientierten Politikern, die den ehemaligen ABRI-Komman-
32 Rüland unterscheidet in Südostasien drei Arten von Parteiensystemen: Zweiparteiensysteme,
Vielparteiensysteme mit floating parties und dominante Parteiensysteme (Rüland 1998,
218ff). Indonesiens Vielparteiensystem ist somit ein neuer Typus in Südostasien.

512 Von Habibie zu Wahid
deur Edi Sudrajat zum Golkar-Vorsitzenden machen wollten. Diese letztgenannte
Fraktion hätte bei der Wahl von Edi Sudrajat die Einberufung einer MPR-Sondersitzung
und die Wahl von Try Sutrisno, der von 1988-93 ABRI-Kommandeur und
von 1993-98 Vizepräsident gewesen war, zum neuen Präsidenten durchgesetzt.
Obwohl ABRI anfänglich Sympathien für Edi Sudrajat zeigte, unterstützten führende
Generäle in den Wochen vor dem Kongress Akbar Tanjung. Wohl auch, weil der
Eindruck entstanden war, dass Edi Sudrajat und Try Sutrisno nur angetreten waren,
um - in welcher Form auch immer - die Neue Ordnung zu bewahren und Suharto zu
retten. Letztlich wurde Akbar Tanjung mit 17 zu 10 Stimmen (eine Stimme pro
Provinz) zum neuen Vorsitzenden gewählt. Wiranto hatte offensichtlich die Militärs,
die an der Spitze von 21 der 27 Golkar-Provinzzweige standen, für Tanjung mobilisieren
können. 33 Der Dewan Pembina (eine Art Ältestenrat), der seit 1978 von Suharto
beherrscht wurde und dessen Kontrolle über Golkar sicherte, wurde aufgelöst.
Auch wenn die Partei noch zu den konservativsten Kräften in Indonesien zählt, ist
zu vermuten, dass insbesondere der säkularistisch orientierte, pragmatische Golkar-
Flügel die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie akzeptieren wird, sofern
die eigenen Machtinteressen nicht allzu sehr berührt werden.
Die MPR-Sitzung im November 1998: Die neuen Gesetze,
die Studentendemonstrationen und die "Erklärung von Ciganjur"
Eine Wende in der Zeit der Habibie-Präsidentschaft markierte die MPR-Sitzung im
November 1998. Zwar waren bis zu diesem Zeitpunkt bereits eine Reihe von Reformen
verabschiedet worden, aber es konnte immer noch leicht zu einem Rückschlag
bei der weiteren Demokratisierung kommen. Die Opposition wurde an den
Entscheidungen im Machtzentrum immer noch nicht direkt beteiligt, und es musste
damit gerechnet werden, dass Teile der Regimekoalition nur Zeit gewinnen wollten,
um die Reformen später nach und nach wieder rückgängig machen zu können. Als
vom 10. bis 13. November 1998 die MPR-Parlamentarier über grundlegende Gesetzesänderungen
debattierten, waren deshalb die Sitzungen von großen Studentendemonstrationen
begleitet.
Die oppositionellen Kräfte befanden sich in einer merkwürdigen Lage: Sie hatten
keinerlei rechtlich abgesicherte Mitspracherechte bei DPR/MPR-Entscheidungen,
obwohl sie - d.h. in erster Linie die neu entstandenen Parteien - die Transition eigentlich
hätten bestimmen müssen. Wegen der fehlenden parlamentarischen Beteiligung
verlagerte sich die Opposition z.T. in den außerparlamentarischen Bereich. 34
33 Mietzner 1999a; ISAI 1999, 99ff. Während Wiranto zugunsten des Habibie-Mannes Akbar
Tanjung beim Golkar-Parteitag intervenierte, verschleppte Habibie zugunsten der Streitkräfte
die Ermittlungen zu den Massakern von Tanjung Priok (1984) und von Lampung (1989).
34 Neuere Publikationen: Habeahan/Tobing/Sipahutar (Hg.) 1999; Loebis 1999, 18ff. Zur
Studentenbewegung: Culla 1999, 209ff; Urbaningrum 1999, 95ff. Schon am 7.11.1998 hatten
159 Hochschulrektoren in der Deklaration von Bandung ihre Unterstützung für die Reformbewegung
ausgedrückt, die Streitkräfte gebeten, die demonstrierenden Studenten zu schützen
sowie faire und freie Wahlen und eine unabhängige Justiz gefordert.

Entwicklung bis zu den nationalen Wahlen 513
Die radikaleren Organisationen wie Akrab Forkot, Komrad, Kobar oder KPM 35
forderten eine Abschaffung der dwifungsi, die Ersetzung der Regierung Habibie
durch eine Übergangsregierung und die Verurteilung Suhartos und seiner cronies.
Gegen die Studenten wurden in der Anfangsphase nicht vorrangig Militärs eingesetzt,
sondern "autonome Sicherheitskräfte" ("Pengamanan Swakarsa" = "Pam Swakarsa").
Die Pam Swakarsa bestanden aus etwa 100.000-125.000 Personen, die
meisten von ihnen muslimische Jugendliche. Sie waren mit leichten Waffen, häufig
mit angespitzten Bambusspeeren, ausgerüstet und hatten die Aufgabe, die MPR-
Sitzung gegen Demonstranten abzuschirmen. Die Pam-Swakarsa-Truppen, deren
Mitglieder i.d.R. nicht aus Jakarta stammten, wurden von Teilen des Militärs sowie
von militanten Muslimorganisationen (insbesondere von Furkon 36 , dem "Forum der
Muslime zur Aufrechterhaltung von Gerechtigkeit und Verfassung") zusammengetrommelt
und bezahlt. Feisal Tanjung, Hartono, Adi Sasono, Ali Yafie sowie die
Furkon-Führer Komaruddin Rachmat, Faisal Biki und Hery Ashari gehörten zu den
prominentesten Befürwortern eines Pam-Swakarsa-Einsatzes. General Wiranto hat
sich zwar wie Habibie ausdrücklich zu diesen Truppen bekannt, möglicherweise ist
diese Zustimmung aber nur auf Druck Habibies zustande gekommen.
Die Pam Swakarsa, die in zahlreiche Scharmützel verwickelt waren, spielten bei der
Tragödie an der Semanggi-Straßenkreuzung ("Tragedi Semanggi") keine Rolle
mehr. Zu den Zwischenfällen kam es, als über 100.000 Demonstranten versuchten,
auf das Parlamentsgelände zu gelangen. Die Atmosphäre war äußerst angespannt, da
viele Demonstranten meinten, dass die MPR-Parlamentarier nur Pseudoreformen
beschließen würden, um danach die Demokratisierung weiterhin zu blockieren. Am
letzten Sitzungstag eskalierten die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten
und Sicherheitskräften. Ähnlich wie wenige Monate zuvor beim Trisakti-Vorfall
wurden mehrere Studenten erschossen, ohne dass es einen offiziellen Schießbefehl
gegeben hatte. Und wie im Mai 1998 waren auch diesmal die Hintergründe der
Morde unklar. 37
35 Akrab Forkot: Aktionsbündnis vieler kleinerer Gruppierungen, hervorgegangen aus dem
"Stadtforum" Forum Kota (Forkot); Famred: Front Aksi Mahasiswa untuk Reformasi Damai
(Aktionsfront der Studenten für einen friedlichen Reformprozess), eine etwas moderatere
Vereinigung; Komrad: Komite Mahasiswa Anti Dwi Fungsi ABRI (Studentenkomitee gegen
die ABRI-Doppelfunktion), eine PRD-nahe Vereinigung; Kobar: Komite Buruh untuk Aksi
Reformasi (Arbeiterkomitee für Reformaktionen), bestehend aus Studenten und Arbeitern;
KPM: Komite Pendukung Megawati (Komitee der Megawati-Unterstützer), bestehend aus
jungen Megawati-Anhängern. Die Studenten hatten schon in den Monaten vor der MPR-
Sitzung immer wieder protestiert, so etwa im September, als Habibie am Nationalen Sporttag
Surabaya besuchte.
36 Forum Umat Islam Penegak Keadilan dan Konstitusi.
37 Dürste/Fenner 2000, 27ff. Kurz nach dem fatalen Pam-Swakarsa-Einsatz sollten wiederum
militärisch ausgebildete Zivilisten (Ratih = Rakyat terlatih = ausgebildetes Volk) Sicherheitsfunktionen,
diesmal bei den nationalen Wahlen, übernehmen. Während Feisal Tanjung, Akbar
Tanjung, Hamzah Haz und Ahmad Sumargono den Plan zur Aufstellung der Ratih unterstützten,
sprachen sich Edi Sudrajat, Amien Rais, Abdurrahman Wahid gegen diesen Plan aus.

514 Von Habibie zu Wahid
Die Studentenbewegung wurde nicht von einzelnen Führern dominiert und war
dezentral organisiert. Proteste gab es nicht nur in Jakarta, sondern auch in anderen
Städten wie Medan oder Ujung Pandang. Das Forum Komunikasi Senat Mahasiswa
Jakarta (das Kommunikationsforum der Studentensenate von Jakarta) "entführte"
sogar die vier angesehensten politischen Figuren des Landes (Amien Rais, Abdurrahman
Wahid, Megawati Sukarnoputri und Sultan Hamengkubuwono X.) und
brachte sie dazu, am 10. November gemeinsam die "Erklärung von Ciganjur" zu
unterschreiben. 38 In dieser Erklärung verständigten sich die Vier auf mehrere gemeinsame
Ziele, nämlich u.a. auf die Abhaltung freier Wahlen bis zum Mai 1999,
die Abschaffung der ABRI-Doppelfunktion innerhalb von sechs Jahren, eine Untersuchung
der Besitzstände Suhartos und die Auflösung der "Pam-Swakarsa"-
Verbände. Allerdings lehnten die Vier es ab, ein Präsidium zu bilden, so wie es die
Studenten gefordert hatten. Viele Studenten konnten sich einen Systemwechsel unter
der Regie Habibies nicht vorstellen und plädierten deshalb für die Übertragung der
Regierungsgewalt auf dieses Präsidium. Die vier Unterzeichner hingegen waren sich
darin einig, dass bis zur Durchführung freier Wahlen ein Machtwechsel unrealistisch
und mit größten Risiken verbunden wäre und verständigten sich auf einen moderateren
Reformkurs. Sie vertrauten dabei auf die Tatsache, dass den Parlamentariern
kaum etwas anderes übrig blieb, als die Liberalisierung fortzusetzen.
Tatsächlich einigten sich die MPR-Parlamentarier, von denen nur wenige, besonders
korrupte in der Zwischenzeit ausgetauscht worden waren, auf grundlegende Reformen.
39 Die Notstandsrechte des Präsidenten wurden aufgehoben. Die Präsidentschaft
wurde auf die Dauer zweier Legislaturperioden beschränkt, das Pancasila-Indoktrinierungsprogramm
P4 eingestellt, der Wahltermin für Mai oder Juni 1999 festgelegt
und eine schrittweise Aufhebung der dwifungsi beschlossen.
Über die neu zu formulierenden Gesetze über Wahlen und über politische Parteien
wurde zunächst noch keine Übereinkunft erzielt. 40 Erst am 28. Januar 1999 verabschiedete
das nationale Parlament DPR diese Gesetze. Dabei war die Zusammensetzung
der zu wählenden Parlamente besonders umstritten. Das betraf vor allem die
Beteiligung ABRIs. In einem Kompromiss einigte man sich darauf, den Streitkräften
38 statt der 75 Sitze im DPR und im MPR zuzubilligen. In den Provinz- und Distriktparlamenten
sollte ABRI 10% der Sitze bekommen.
Ins DPR sollten also 462 gewählte und 38 ernannte Parlamentarier entsandt werden.
Im MPR, dem höchsten Staatsorgan, dessen Delegierte den Präsidenten und den
Vizepräsidenten wählen, sollten neben den 500 DPR-Abgeordneten 135 Provinzvertreter
(jeweils fünf aus den 27 Provinzen) und 65 Vertreter wichtiger gesellschaftlicher
Gruppen sitzen. 41 Lange sah es so aus, als könnte Habibie mit den ihm zur
38 Die Studenten knüpften mit dieser Entführung an ein Ereignis aus dem Jahre 1945 an, als
Sukarno und Hatta unter ähnlichen Umständen zur Ausrufung der Republik bewogen werden
sollten.
39 Vgl. Indonesien Information 1/99, 16ff; Dürste/Fenner 2000, 29. Erst im Februar 1999
unterzeichnete Habibie die entsprechenden Gesetze.
40 Sudibjo 1998. Insgesamt wurden 12 Gesetze verabschiedet, von denen mehrere aber vage
formuliert waren und später ergänzt werden sollten. Das waren etwa die Gesetze über die
Neuregelung der Finanzverfassung oder über den Umgang mit "KKN".
41 Diese 65 Parlamentarier vertreten religiöse (22), wirtschaftliche (10), soziale (5), kulturelle
(5) und ethnische (5) Organisationen. Außerdem sind Frauen (5), Behinderte (5), Akademiker

Entwicklung bis zu den nationalen Wahlen 515
Verfügung stehenden Instrumentarien die Nominierung der 65 Vertreter "funktionaler
Gruppen" zu seinen Gunsten beeinflussen. Die 65 Gruppenvertreter sollten nämlich
vom Wahlkomitee KPU 42 nominiert werden. Diese Bestimmung schien der
Manipulation durch Habibie und seine Helfer und Helfershelfer Tür und Tor zu
öffnen. Letztlich zeigte sich aber, dass die Präsidentenwahl durch solche gesetzlichen
Unklarheiten nicht wesentlich beeinflusst werden konnte. 43
Ursprünglich sollten auch die 135 Vertreter der Provinzparlamente von der KPU
ernannt werden. Doch nach scharfen Protesten der meisten Parteien, die eine Privilegierung
Golkars befürchteten, einigte man sich darauf, die 135 durch die Provinzparlamente
selbst entsenden zu lassen. Letztlich bedeutete das für Golkar dennoch
einen Vorteil, da die Partei in den meisten Provinzparlamenten die Mehrheit erringen
konnte.
Ein aus renommierten Politikwissenschaftlern bestehendes "Team 7" 44 hatte seit
Mitte des Jahres 1998 verschiedene Gesetzentwürfe ausgearbeitet, die in über 200
Seminaren diskutiert wurden. Im September 1998 legte die Regierung die neu ausgearbeiteten
Gesetzentwürfe den DPR-Ausschüssen zur Beratung vor. Viele Wochen
diskutierte man dort und in der breiten Öffentlichkeit über das neue Parteiengesetz,
das Wahlgesetz und das Gesetz über die Zusammensetzung der Parlamente. 45
Ursprünglich sollten die Parteien in 14 der 27 Provinzen in je mehr als der Hälfte
der Distrikte Zweigstellen haben, um zur Wahl zugelassen zu werden. Außerdem
sollte eine Partei mindestens eine Million Unterschriften gesammelt haben. Letztlich
waren diese Unterschriften nicht mehr nötig, und Zweigstellen waren nur noch in
neun Provinzen in je mehr als der Hälfte der Distrikte erforderlich. Um bei den
nächsten Wahlen, also im Jahr 2004, wieder zugelassen zu werden, musste eine
Partei mindestens zwei Prozent der Stimmen erhalten (ursprünglich waren fünf Prozent
im Gesetzesentwurf vorgesehen).
Das vom "Team 7" vorgeschlagene Mehrheitswahlsystem wurde von den meisten
Parteien abgelehnt. 46 Stattdessen wurde das Verhältniswahlsystem beibehalten. Die
Stimmenanzahl einer Partei in einer Provinz bestimmt ihren Anteil an den Sitzen,
(5) und Staatsangestellte (5) repräsentiert. Im Gesetz 4/1999 (Art. 1,5) über die Zusammensetzung
der Parlamente steht über diese Delegierten: "Delegates of Groupings shall be from
national organizations or institutions, self-sufficient, and not be part of a political party, and
more or less proportionally represented in DPR [...]."
42 Das KPU unter der Leitung des ehemaligen Innenministers, General Rudini, setzte sich aus
fünf Vertretern der Regierung (mit jeweils neun Stimmen) und Vertretern der 48 für die Wahlen
zugelassenen Parteien (mit jeweils einer Stimme) zusammen.
43 Gemäß einer neueren Gesetzesrevision werden die 65 Gruppenvertreter vom DPR ernannt.
44 Zu dem Team gehörten Ryaas Rasyid, Afan Gaffar, Ramlan Surbakti, Andi Alfian
Malarangeng, Djohermansyah, Luthfie Mutty und Anas Urbaningrum.
45 Zum Folgenden: Masters 1999, 5ff.
46 Das Tim 7 hatte ursprünglich vorgeschlagen, 84% der Parlamentarier direkt in ihren Distrikten
wählen zu lassen. Der Vorschlag wurde vom Parlament jedoch nicht angenommen:
Die Oppositionsparteien befürchteten eine Bevorteilung Golkars. Die Partai Golkar schloss
sich den Kritikern an, indem sie auf die schwierige Umsetzung dieser Regelung wies (Masters
1999, 69).

516 Von Habibie zu Wahid
die für die jeweilige Provinz festgelegt wurde. 47 Mit dem Verhältniswahlsystem
konnten sich auch viele der kleineren Parteien Chancen ausrechnen. 48
Golkar war von den am 28. Januar vom Parlament verabschiedeten neuen Gesetzen
besonders betroffen. 49 In der Neuen Ordnung waren die vier Millionen Beamten in
vielfältiger Weise dazu angehalten gewesen, die Regierungspartei zu unterstützen.
Mit den neuen Gesetzen wurde diese endgültig auf eine Stufe mit den anderen Parteien
gestellt, so dass die Beamten nicht mehr an Golkar gebunden waren. Es wurde
außerdem beschlossen, dass politisch aktive Beamte beurlaubt werden sollten. Da
Golkar zu etwa drei Vierteln aus Beamten besteht, bedeutete dieser Zusatz eine
wesentliche Schwächung der Partei. 50
Die im Januar 1999 verabschiedeten Reformgesetze waren für einen reibungslosen
Ablauf der Wahlen und für den vorgesehenen Regierungswechsel nach den Wahlen
äußerst wichtig. Mit diesen gesetzlichen Veränderungen war der erste Abschnitt in
der Regierungszeit Habibies beendet. Seit dem Februar drehten sich die öffentlichen
Debatten vorrangig um die bevorstehenden Wahlen. Allerdings gab es zunehmend
Probleme außerhalb Javas. Außerdem war die zukünftige Rolle der Streitkräfte noch
keineswegs geklärt.
Das Militär während des Systemwechsels
Ein demokratisches Regierungssystem ist erst dann konsolidiert, wenn das Militär
"zurück in die Kasernen" (kembali ke barak) gegangen ist, wenn die Wahrscheinlichkeit
eines Putsches minimiert wurde und wenn die Militärs sich auf ihre rein
militärische Funktion beschränken. In Indonesien heißt das: Abschaffung der Doppelfunktion
(dwifungsi). 51 In der Transitionsphase vom Mai 1998 bis zum Juni 1999
ist diese zumindest eingeleitet worden. Eine Voraussetzung dafür war die Entmachtung
des hardliner-Flügels um Prabowo. 52
Prabowo wurde kurz nach dem Amtsantritt
Habibies mit einem relativ unbedeutenden Posten auf der Stabsschule in Ban-
47
Die Sitzverteilung im DPR nach Provinzen: Aceh 12, Nordsumatra 24, Westsumatra 14,
Riau 10, Jambi 6, Südsumatra 15, Bengkulu 4, Lampung 15, Jakarta 18, Westjava 82,
Mitteljava 60, Yogyakarta 6, Ostjava 68, Westkalimantan 9, Zentralkalimantan 6,
Ostkalimantan 7, Südkalimantan 11, Bali 9, West-Nusa-Tenggara 8, Ost-Nusa-Tenggara 13,
Ost-Timor 7, Südsulawesi 24, Zentralsulawesi 5, Nordsulawesi 7, Südostsulawesi 5, Maluku
6, Irian Jaya 13.
48
Allerdings gibt es auch ein Mehrheitswahlelement. Die Parlamentarier einer Partei aus
einer bestimmten Provinz werden vom Parteivorstand nach der Reihenfolge der besten Wahlergebnisse
in den Distrikten bzw. Städten (kabupaten bzw. kotamadya) ausgewählt (Gesetz
3/1999, Art. 68,3). In den Distrikten/Städten werden aber nicht einzelne Personen, sondern
Parteien gewählt, wenngleich die Kandidaten den jeweiligen Distrikten/Städten zugeordnet
und dort bekannt gemacht werden.
49
FEER 11.2.1999.
50
Siehe: Elucidation of the Republic of Indonesia Government Regulation Number 12/99,
General: "To better ensure neutrality and impartiality in political life, membership and/or
leadership status of the Civil Servants in political parties, will with the enforcement of this
Government Regulation be more firmly dealt with, namely by automatic termination."
51
Vgl.: Crouch 1999; Honna 2000.
52
FEER 4.6.1998.

Entwicklung bis zu den nationalen Wahlen 517
dung betraut. 53 Außerdem wurde der Prabowo-Vertraute und -Nachfolger als Kopassus-Kommandeur,
Muchdi Purwopranjono, versetzt. Der ehemalige Leibwächter
von Suharto, Syafrie Syamsuddin, der bis dahin das strategisch sehr wichtige Kommando
über die Truppen im Großraum Jakarta hatte, wurde auf eine ebenfalls unbedeutende
Stelle abgeschoben. Wie brüchig die Machtposition Wirantos zu diesem
Zeitpunkt allerdings noch war, lässt sich an einer Personalentscheidung ablesen: Der
zunächst als Kommandeur des Strategischen Reservekommandos des Heeres
(Kostrad) eingesetzte Johny Lumintang wurde von Wiranto nur einen Tag später
durch Djamari Chaniago, den Kommandeur von Westjava, ersetzt, weil Lumintang,
ein Christ, offenbar zu umstritten in der neuen Regimekoalition war. 54
Prabowo wurde in der Post-Suharto-Ära zu einem Sündenbock, dem stellvertretend
die Verantwortung für sämtliche Gräueltaten ABRIs aufgebürdet wurde. In verschiedenen
politischen Magazinen erschienen ausführliche Beiträge über ihn und
seine Eliteeinheit Kopassus, die in Aceh, Ost-Timor und in Java mit den perfidesten
Mitteln Oppositionelle bekämpft hatte und auch im Zusammenhang mit den Entführungen
zahlreicher Oppositioneller Anfang des Jahres 1998, mit den Trisakti-
Erschießungen und mit den Vergewaltigungen im Mai 1998 genannt wurde. Die
Habibie-Regierung und ABRI zögerten, Prabowo unter Anklage zu stellen, zumal
man vermutete, dass ihm loyal ergebene Truppenteile weiterhin Unruhen schürten.
Ein militärisches Ehrengericht einigte sich im August auf seine "ehrenhafte Entlassung".
Anfang 1999 setzte sich der Suharto-Schwiegersohn nach Jordanien ab, wo er
offiziell und unter dem Schutz des neuen Königs Abdullah II. die Geschäfte seines
Bruders Hasyim Joyohadikusumo führte. Wiranto konnte sich unterdessen weiter
von Prabowo distanzieren und sich als Reformer präsentieren. 55
Im Januar 1999 besetzte Wiranto einige wichtige Posten neu und bevorzugte dabei
Offiziere, die nicht orthodox-islamisch waren. Chef von BIA (Badan Intelijen ABRI
= ABRI-Geheimdienst) wurde Tyasno Sudarto, ein alter Murdani-Vertrauter, Johny
Lumintang wurde Stellvertreter des Heeresstabschefs, und Sugiono wurde zum
Stabschef der Streitkräfte ernannt. Spätestens diese Umbesetzung verdeutlichte, dass
53 Wiranto soll noch am 20. Mai 1998 das Einverständnis für die Versetzung Prabowos von
Suharto bekommen haben. Prabowo erfuhr am 21. Mai von seiner Versetzung und musste
sich von seinem Förderer Suharto vorhalten lassen, ein Unruhestifter zu sein. Am selben Tag
verlangte er von Habibie, ihn zum Heeresstabschef und Subagyo zum neuen Kommandeur zu
ernennen, was der neue Präsident allerdings ablehnte. Prabowo versuchte am folgenden Tag
vergeblich, Habibie in seinem Wohnhaus in der Kuningan-Straße zur Rede zu stellen. Die
Habibie-Familie wurde heimlich mit dem Hubschrauber zum Präsidentenpalast geflogen.
Prabowo soll dann mit seinen Soldaten von Kopassus einige Straßen Jakartas nach Habibie
abgesucht haben. Am Wochenende suchte Wiranto Prabowo auf und brachte ihn dazu, den
neuen Posten an der Stabsschule in Bandung anzunehmen.
54 Zur Lumintang-Affäre und zu den Umbesetzungen nach dem 21.5.1998: The Editors:
"Current Data on the Indonesian Military Elite January 1, 1998-January 31, 1999", 139ff; in:
Indonesia, No. 67, 1999.
55 Prabowo reagierte auf die Anschuldigungen vor einigen Monaten in einem Asiaweek-
Interview (Asiaweek 3.3.2000). In dem Interview wies Prabowo die Verantwortung für die
Vorgänge während der Mai-Unruhen zurück.

518 Von Habibie zu Wahid
Wiranto seine Position konsolidiert hatte. 56 Zahlreiche Offiziere, die zu ABRI-hijau
(also zur Gruppe der orthodox-islamischen höheren Offiziere) und/oder zu Gefolgsleuten
Prabowos gerechnet wurden (Zacky Anwar Makarim, Joko Subroto, Fachrul
Razi, Kivlan Zein u.a.), verloren ihre Posten. Lediglich Heeresstabschef Subagyo
rechnete man in der Führungsspitze noch zu denjenigen, die Probleme mit Wiranto
hatten.
Eine der wichtigsten Fragen in der Transitionsphase betraf aber die Begrenzung der
Doppelfunktion der Streitkräfte. Am 17. Juli 1998 reformulierte Wiranto in einer
Rede vor höheren Offizieren die dwifungsi, an der Substanz dieser Doktrin änderte
sich jedoch nichts. ABRI wolle - so Wiranto - die Doppelfunktion gewahrt wissen,
sei aber bereit, sich etwas zurückzuziehen. Einen Schritt weiter gingen im September
die Streitkräfteplaner aus Bandung. Sie stellten das „Neue Paradigma“ (Paradigma
Baru) vor. 57 Darin wird der Begriff dwifungsi durch peran (Rolle) ersetzt.
Das Militär versteht sich als pelindung (Beschützer) der nationalen Souveränität.
Die angekündigten Reformschritte wurden allerdings in der schon aus der Neuen
Ordnung bekannten Abstraktheit und damit Unverbindlichkeit formuliert.
Ebenfalls im September verkündete Wiranto, dass ABRI-Angehörige fortan jeder
Partei angehören dürften. Im November beschloss der MPR, allerdings ohne konkrete
Schritte festzulegen, die allmähliche Aufhebung der dwifungsi, und im Januar
1999 wurde der Anteil der ABRI-Abgeordneten im noch zu wählenden DPR auf 38
festgesetzt.
Sehr bedeutend für die Machtbeschränkung des Militärs war die De-jure-
Abschaffung des kekaryaan-Systems im Oktober 1998. Die Militärs in zivilen Funktionen
mussten bis zum 1. April 1999 entscheiden, ob sie in die Streitkräfte zurückkehren
oder ihren Zivilposten behalten wollten. 58 Von dieser Regelung waren allein
10 der 27 Gouverneure und 128 der 306 bupati betroffen. Eine weitere wichtige
Neuerung war die Herauslösung der Polizei aus den Streitkräften, mit der am 1.
April 1999 begonnen wurde. 59 Damit wurde - zumindest auf dem Papier - eine der
Voraussetzungen erfüllt, um die Vermischung von Aufgaben der inneren Sicherheit
und der Landesverteidigung zu beenden.
Ein reformorientierter ABRI-Flügel um Agus Wijoyo und Agus Wirahadikusumah
präsentierte bereits Strategien zum vollständigen Rückzug des Militärs aus zivilen
Bereichen. Trotz dieser Reformbemühungen blieb die Rolle der Streitkräfte, die sich
seit 1999 wieder TNI (Tentara Nasional Indonesia = Indonesische Streitkräfte) nannten,
unklar. Die Militärführung distanzierte sich nur sehr halbherzig von der
dwifungsi-Doktrin, und viele Maßnahmen waren eher symbolische Akte. So wurde
der verhasste Kassospol (Kepala Staf Sospol = Stabschef für Soziales und Politik)
im November 1998 in Kaster (Kepala Staf Teritorial) umbenannt, ohne dass die
soziopolitische Kontrollstruktur umgestaltet worden wäre. 60
56 FEER 18.3.1999 und Tapol Bulletin März 1999, 16ff. Habibie ließ z.B. im November einen
27-köpfigen Rat einrichten, der Maßnahmen zur nationalen Sicherheit beschließen sollte. Der
Rat unterstand seiner Führung, und Wiranto war zuständig für die laufend anfallenden Aufgaben.
57 Vgl. Herrmann 2000, 11ff.
58 Tempo 12.4.1999.
59 Forum Keadilan 11.4.1999.
60 Wandelt 1999.

Entwicklung bis zu den nationalen Wahlen 519
Dass ABRI (oder: die TNI) bis weit in das Jahr 1999 hinein weiterhin die mächtigste
Gruppe in der fragilen Koalition von Habibie war, ließ sich besonders an ihrer Präsenz
auf den Außeninseln ablesen. Dort wurden die Streitkräfte bei Unruhen und
gegen sezessionistische oder regionalistische Bewegungen eingesetzt. Zum Teil
waren Militärs aber selbst für die Destabilisierung verantwortlich.
Unruhen und Sezessionismus: Die Ost-Timor-Frage, Aceh,
West-Papua sowie die Konflikte auf Borneo und auf Ambon
Kurz nach der Amtsübernahme stellte Habibie der Provinz Ost-Timor einen Sonderstatus
in Aussicht. Dieses etwas vage formulierte Angebot wurde von Bischof Belo
und von ost-timoresischen Widerstandskämpfern zurückgewiesen. Später schlug
Habibie vor, Xanana freizulassen. Er sicherte einen Sonderstatus zu und wollte
Truppen abziehen lassen. Die Bedingung dafür war die endgültige Anerkennung der
Integration durch Portugal und die UN. Dieser Vorschlag wurde von Xanana und
von der portugiesischen Regierung abgelehnt. 61 Im August wurden, als Zeichen des
guten Willens, 1.000 Soldaten aus Ost-Timor abgezogen. Xanana und Belo schlugen
unterdessen für eine Übergangsperiode von 5-10 Jahren einen Autonomiestatus vor.
Danach sollte ein Referendum stattfinden. 62
Zu diesem Zeitpunkt war die weitere Entwicklung in Ost-Timor noch völlig unklar.
Die indonesische Bevölkerung wurde erst in jenen Monaten über die wirkliche Situation
auf der Insel unterrichtet, doch viele Indonesier waren immer noch der Meinung,
dass Ost-Timor ein fester Bestandteil der Republik Indonesien bleiben müsse.
63 Sehr überraschend kam dann Ende Januar 1999 eine Initiative der Regierung
Habibie. Erstmals erklärte sie, dass Ost-Timor zu einem eigenständigen Staat werden
könne, wenn sich die ost-timoresische Bevölkerung gegen das Autonomieangebot
ausspreche und der Volkskongress MPR einer Abtrennung Ost-Timors von
Indonesien zustimme. 64 Das war eine jähe Kehrtwendung in der über 23-jährigen
indonesischen Ost-Timor-Politik. Am 11.3.1999 gab der indonesische Außenminister
Ali Alatas schließlich sogar bei UN-Gesprächen in New York seine nicht an
Bedingungen geknüpfte Zustimmung zu einer Volksbefragung in Ost-Timor. 65 Zwar
zog die Regierung weiterhin den Status einer Sonderautonomie vor, doch wegen der
Haltung vieler Ost-Timoresen war Indonesien auch zu einem völligen Verzicht auf
diesen Inselteil bereit. 66 Schließlich wurde nach weiteren Verhandlungen die Durchführung
eines Referendums, das Mitte des Jahres abgehalten werden sollte, be-
61
TB Juli 1998, 20f und FEER 6.8.1998.
62
FAZ 18.7.1998.
63
Selbst Megawati Sukarnoputri war immer noch gegen die Unabhängigkeit Ost-Timors. Sie
wurde dabei von nationalistisch-sukarnoistischen Ideen eines geeinten Großindonesien geleitet.
64
Indonesien Information 1/99, 3ff.
65
Der Tagesspiegel 13.3.1999.
66
Die UN und Portugal sprachen sich für ein Referendum oder zumindest eine indirekte Wahl
eines Abgeordnetenhauses aus. Die Sonderautonomie hätte die Außen-, Wirtschafts- und
Verteidigungspolitik Jakarta überlassen, Ost-Timor aber die Kompetenzen für die Steuerpolitik,
die Justiz und die innere Sicherheit gewährt und die Erlöse aus dem Erdöl- und Erdgashandel
der Provinz zugestanden.

520 Von Habibie zu Wahid
schlossen. Dabei wurde aber das indonesische Militär damit beauftragt, bis zur Entscheidung
des Parlamentes über die endgültige Souveränität Ost-Timors (bei einem
entsprechenden Ergebnis des Referendums) für die Sicherheit der Bevölkerung zu
sorgen. Die Einfügung dieser Klausel erwies sich später als diplomatische Fehlleistung.
Die indonesische Regierung wollte sich nur auf eine schnelle Ablösung Ost-Timors
aus dem Staatsverband einlassen und lehnte eine längere Übergangslösung kategorisch
ab. Während Habibie letztlich die Eigenständigkeit Ost-Timors auch als eine
Erleichterung ansah, betrachteten viele Militärs, die ja auf dem Inselteil ein Schreckensregime
errichtet hatten, die Zeit nach der Unabhängigkeit Ost-Timors mit
wachsender Unruhe. Deshalb wurden - zumindest mit Unterstützung von Teilen der
Armee - paramilitärische Verbände auf der Insel ausgerüstet, deren Aufgabe es war,
Gewalt zu schüren und für eine allgemeine Destabilisierung zu sorgen. 67
Auch in Aceh und in West-Papua wurden nach dem Mai 1998 sezessionistische
Bewegungen belebt. Aceh wurde - wie erwähnt - seit 1991 als "Region für Militäroperationen"
(Daerah Operasi Militer, DOM) eingestuft. Hauptverantwortlich für
die Niederschlagung der Rebellion und für die Massaker an der Zivilbevölkerung
war die Eliteeinheit Kopassus gewesen. Die Enthüllungen über die Massaker in
Aceh riefen in der indonesischen Öffentlichkeit große Bestürzung hervor. Die Gründe
dafür waren das vorher weitgehend unbekannte Ausmaß des Terrors und die
starke muslimische Prägung der Region. In den Jahren zuvor war die Berichterstattung
über sezessionistische Bewegungen tabuisiert gewesen, und tatsächlich drang
dieses Thema kaum in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. 68
Nach den Enthüllungen fuhr eine Parlamentsdelegation nach Aceh und sammelte
Augenzeugenberichte. Auch Wiranto besuchte die Region im August 1998, als in
den indonesischen Medien immer wieder über die Gräueltaten des Militärs und über
Massengräber berichtet wurde. Der ABRI-Kommandeur reagierte auf den Druck der
Öffentlichkeit, als er erklärte, die Kampftruppen (also Kopassus) sollten aus Aceh
abgezogen werden. Außerdem entschuldigte er sich für die von ABRI in Aceh begangenen
Verbrechen. An einer lückenlosen Aufklärung der Ereignisse konnte die
Militärführung aber kaum interessiert sein, da im Grunde das gesamte Militär direkt
oder indirekt für die Brutalitäten verantwortlich ist. Syarwan Hamid, Zacky Anwar
Makarim und Agum Gumelar z.B. waren zur Zeit der grausamsten Militärherrschaft
selbst in Aceh stationiert gewesen. Deshalb war das Militär lediglich bereit, die für
die Bewegung Freies Aceh verwendete Bezeichnung "sicherheitsstörende Bewegung"
GPK durch "Bewegung wilder Störer" GPL (Gerakan Pengacau Liar) zu
ersetzen. 69
Nach der Aufhebung des DOM-Status kam es auch in Aceh zu mehreren - z.T. wohl
auch vom Militär bewusst herbeigeführten - Vorfällen, die die Streitkräfte veranlassten,
die Truppenpräsenz wieder zu verstärken. Noch im Mai 1999, also wenige Wo-
67 Tempo 3.5.1999; Gamma 25.4.1999. Zu diesen Milizen gehörten Organisationen mit martialischen
Selbstbezeichnungen wie Aitarak ("Dorn"), Besi Merah Putih ("Rot-weißes Eisen"),
Halilintar ("Donner"), Laskar Merah Putih ("Rot-weiße Miliz"), Mahidi (Mati atau Hidup
untuk Integrasi = "Tod oder Leben für die Integration") und Naga Merah ("Roter Drachen").
68 Indonesien Information 2-3/98, 25ff.
69 TB Sep. 1998, 5.

Entwicklung bis zu den nationalen Wahlen 521
chen vor den nationalen Wahlen, schossen Soldaten in einen Demonstrationszug,
wobei etwa 40 Menschen getötet wurden. Wie in Ost-Timor versuchten Teile des
Militärs offensichtlich, einen bürgerkriegsähnlichen Zustand herbeizuführen, um die
Kontrolle über diese Region zu behalten und um die Zivilisten in Jakarta zu Zugeständnissen
zu zwingen. Ein Teil der 100.000-200.000 Personen, die sich Mitte 1999
in Flüchtlingslagern aufhielten, wurde dazu allerdings von der GAM gezwungen.
Teile der GAM wollten durch eine Dramatisierung der Lage die Sezession beschleunigen.
70
Auch wenn die Kampfeinheiten der GAM das Bild von der Unabhängigkeitsbewegung
wesentlich prägten, erfasste diese längst muslimische Führer, NGO-Aktivisten,
Studenten etc., die jeweils unterschiedliche Motive hatten. 71
Auch in West-Papua kam es nach dem Sturz Suhartos zu einer Wiederbelebung der
Unabhängigkeitsbestrebungen. 72 Im Juli 1998 demonstrierten in Jayapura und Biak
mehrere Tausend Menschen gegen den "Act of Free Choice", für die Beendigung
der indonesischen Besatzung und für eine Untersuchung verschiedener vom Militär
begangener Verbrechen. 73 Seither konsolidiert sich die Bewegung für einen unabhängigen
Staat. Aber diese Bewegung ist noch uneinheitlicher als jene in Aceh, was
auf die kulturelle und sprachliche Inhomogenität zurückzuführen sein dürfte.
Auch im Falle West-Papuas versprach die Regierung die Gewährung einer gewissen
Autonomie und eine Neuordnung der Finanzbeziehungen, aber diese Versprechungen
müssen vor dem Hintergrund einer befürchteten Balkanisierung Indonesiens
betrachtet werden. Wenn nämlich nach Ost-Timor noch anderen Regionen die Unabhängigkeit
gewährt würde, könnte das in Inseln geteilte Gebilde Indonesien in
viele Kleinstaaten zerfallen, von denen einige wirtschaftlich kaum überlebensfähig
wären. Vor allem rohstoffreiche Regionen wie Aceh, West-Papua und Kalimantan
müssen mit dem größten Widerstand der Zentralregierung rechnen. 74
Während in Ost-Timor, Aceh und West-Papua sezessionistische Bestrebungen eine
wichtige Rolle bei den Kämpfen spielten, wurden in anderen Regionen blutige Aus-
70 Tiwon 2000, 99.
71 Im Februar 1999 z.B. formierten Studenten bei einer Konferenz in Banda Aceh die Gruppe
SIRA (Sentral Informasi Referendum Aceh = Informationszentrale für ein Referendum in
Aceh) (Inside Indonesia April-June, 6f).
72 TB Sep. 1998, 6ff.
73 Am 6. Juli wurden von Militärs in Biak mindestens acht, vielleicht sogar mehr als 40 Menschen
ermordet. Es kam zu zahlreichen Folterungen, Vergewaltigungen und Verhaftungen.
74 Anfang April wurden die Finanzbeziehungen zwischen Jakarta und den Provinzen auf neue
gesetzliche Grundlagen gestellt. Bis dahin flossen 89% aller steuerlichen Mittel direkt nach
Jakarta. Vor allem rohstoffreiche Provinzen wie Irian Jaya, Aceh oder Riau hatten bis dahin
weit überproportional unter dem Diktat Jakartas leiden müssen. Gleichzeitig wurde beschlossen,
zukünftig bupati durch die Distriktparlamente wählen zu lassen (FEER 13.5.1999). 50
der 306 bupati wurden kurz nach dem Sturz Suhartos bereits abgelöst (siehe etwa: Mathews
1998). Häufig mussten die Distriktverwaltungschefs unter dem Druck der Bevölkerung für
Nachfolger Platz machen, die als nicht korrupt galten.

522 Von Habibie zu Wahid
einandersetzungen vor allem dadurch ausgelöst, dass sich religiöse, ethnische und
wirtschaftliche Konflikte überlagerten. 75
Im indonesischen Teil Borneos, Kalimantan, wurden schon 1997 bei Kämpfen zwischen
Dayaks und Maduresen etwa 450 Menschen getötet. 20.000 Maduresen suchten
Zuflucht in der Provinzhauptstadt Pontianak. Im März 1999 brachen diese
Kämpfe erneut aus. Bei den folgenden Massakern starben bis Ende März mindestens
165 Menschen, mehr als 16.000 mussten flüchten, und über 2.000 Hütten und
Wohnhäuser wurden niedergebrannt. Den Dayaks, die früher Kopfjäger gewesen
sein sollen, wurden Gräueltaten wie Enthauptungen und kannibalistische Praktiken
vorgeworfen. Viele Flüchtlinge konnten in der Provinzhauptstadt Pontianak in
Westkalimantan Schutz finden.
Die Zusammenstöße wurden auf den seit langem schwelenden Konflikt zwischen
den eingeborenen, zumeist christlichen Dayaks und den unter Suharto dorthin zugewanderten,
meist islamischen Maduresen zurückgeführt. Die Dayaks fühlten sich
durch die wirtschaftliche Kahlschlagpolitik des Suharto-Regimes und durch die
Privilegierung der Maduresenminderheit (mit einem Anteil an der Gesamtbevölkerung
Kalimantans von 2%) an den Rand gedrängt. Der Konflikt ging u.a. auf die
wirtschaftliche Ausbeutung der Region durch die Besitzer riesiger Kautschuk- und
Palmölplantagen, auf den ungeregelten Holzeinschlag und die Vergabe der Verwaltungsstellen
an Nichteinheimische, also die Bevormundung durch die Zentralregierung
in Jakarta, zurück.
Auf den ostindonesischen Molukken wurden die blutigen Auseinandersetzungen von
den Beteiligten auf einen religiösen Konflikt zurückgeführt. Im Januar 1999 kamen
in Ambon mindestens 105 Menschen ums Leben. Fast 3.000 Gebäude wurden zerstört.
Insgesamt wurden bis zum März etwa 200 Menschen getötet, Schätzungen
gingen vereinzelt aber weit über diese Zahl hinaus. 76 Zehntausende verließen die
Insel, allein 75.000 Buginesen sollen bis zum März nach Sulawesi geflohen sein.
Ähnlich wie bei vielen anderen Unruhen und ethnischen Auseinandersetzungen gab
es auch in diesem Fall zahlreiche Hinweise auf agents provocateurs, auf bezahlte
Schlägerbanden und auf eine Steuerung einzelner Aktionen von Jakarta aus. Selbst
Wiranto deutete an, dass die Unruhen von dritter Seite angeheizt worden seien. Als
mögliche Rädelsführer wurden die Köpfe der Golkar-Jugendorganisation Pemuda
Pancasila (Pancasila-Jugend), die notorischen Schwerverbrecher Yorrys Raweyai
und Yapto Suryosumarno, ins Gespräch gebracht (so etwa von Abdurrahman Wahid
in Andeutungen). 77 Auch der zuständige Regionalkommandeur machte Dritte für die
Ausschreitungen verantwortlich. Einige islamistische Organisationen wie KISDI
riefen ihre Glaubensbrüder zum Dschihad auf, während die großen Muslimorganisa-
75 Vgl. dazu: Schreiner 2000; Kreuzer 2000.
76 Indonesien Information 1/99, 43ff.
77 Einige Wochen vorher waren zudem 200 ambonesische Kriminelle, die in Gewalttätigkeiten
in Jakarta verwickelt gewesen waren, vom Gouverneur Jakartas zurück nach Ambon
verschifft worden (FEER 25.3.1999). Wahid nannte indirekt noch Generalmajor Kivlan Zein,
der ebenso wie Yapto und wie Eggi Sujana ein Anhänger von Prabowo war. Ausführlich über
die Verbindungen und die Machenschaften von Pemuda Pancasila: Ryter 1998.

Entwicklung bis zu den nationalen Wahlen 523
tionen wie NU und Muhammadiyah versuchten, die verfeindeten Gruppierungen zu
beschwichtigen.
Als Ursachen für die heftigen Auseinandersetzungen werden - neben den agents
provocateurs - das teils unentschlossene, teils übermäßig brutale Vorgehen der Militärs
genannt. Vor allem aber durch die Zuwanderung ethnischer und religiöser Minderheiten,
die sich zudem meist auf bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten spezialisieren,
wurden die Unruhen ausgelöst. Während der Wirtschaftskrise und in dem
nach dem Rücktritt Suhartos entstandenen Machtvakuum verstärkten sich die Spannungen
zwischen den verfeindeten Gruppen.
In Jakarta war man bestrebt, den Zerfall des Nationalstaates und den Bürgerkrieg zu
verhindern. Die nationalen Wahlen waren in dieser Situation das wohl beste Mittel,
um die zentrifugalen und antidemokratischen Kräfte zu schwächen.
Die nationalen Wahlen vom 7. Juni 1999
Ein gutes Jahr nach dem Rücktritt Suhartos konnten die ersten freien nationalen
Wahlen seit 1955 stattfinden. Die Gründung von weit über 100 Parteien, von denen
letztlich 48 durch ein unabhängiges Gremium zugelassen wurden, führte bei den
noch politikunerfahrenen Wählern zu einiger Verwirrung. Um so erstaunlicher ist es,
dass letztlich die weit überwiegende Zahl der Stimmen auf nur wenige Parteien
entfiel, während die vielen kleinen Parteien meist nur wenige Tausend Stimmen
erhielten.
Offiziell begann der Wahlkampf erst Mitte Mai, in Wirklichkeit setzte er aber bereits
Wochen vorher ein. Wegen einer gewissen Konzeptionslosigkeit, aber auch
wegen der Unwissenheit vieler Wähler in politischen Dingen, blieb vielen Parteien
kaum etwas anderes übrig, als ihre jeweiligen Spitzenkandidaten in den Vordergrund
zu rücken und den Wahlkampf auf sie zuzuschneiden.
Unter den zugelassenen Parteien wurden der Partai Golkar, der PAN, der PKB und
der PDI-Perjuangan die größten Chancen eingeräumt. Bis wenige Wochen vor der
Wahl war allerdings noch unklar, welche Koalitionen sich ergeben konnten. Golkar
und die ABRI-Fraktion hofften noch auf eine Beteiligung an einer Regierung. Als
sich aber Amien Rais, Abdurrahman Wahid und Megawati - wenn auch informell -
darauf einigten, im Falle des Wahlsieges eine Koalition zu bilden, waren die Fronten
geklärt: Die Wahlen liefen von diesem Zeitpunkt auf einen Zweikampf zwischen
jenen Kräften, die das alte Regime repräsentierten, und jenen, die für Reformen und
für einen politischen Neuanfang standen, hinaus.
Einige konservative Muslime versuchten, Megawati zu diskreditieren. Der Minister
für Nahrungsmittel, Pharmazeutika und Gartenbau, A.M. Saefuddin, der dem PPP-
Vorstand angehört, meinte, Megawati sei eine Hinduistin, weil sie an einer Zeremonie
in einem hinduistischen Tempel teilgenommen hatte, und der MUI verkündete,
dass eine Frau nach den Geboten des Islam nicht Präsidentin werden könne.
Die gleichzeitig stattfindenden Wahlen für das nationale Parlament DPR sowie für
die Provinzparlamente DPRD I und die Distriktparlamente DPRD II verliefen insgesamt
friedlich. Im Allgemeinen konnten die Wähler unbeeinflusst durch Einschüch-

524 Von Habibie zu Wahid
terungs- und Bestechungsversuche entscheiden. In Indonesien wurde deshalb häufig
der Ausdruck "jurdil", d.h. "ehrlich" ("jujur") und "gerecht" ("adil"), zur Beschreibung
des Wahlvorganges benutzt. 78 Das politische Interesse und der Enthusiasmus
der Wähler erwiesen sich als außerordentlich hoch. Obwohl es in Indonesien Kräfte
gibt, die an freien Wahlen kein Interesse haben, kam es nicht wie befürchtet zu Ausschreitungen
oder Manipulationen in großem Umfang. Die mehreren Hunderttausend
freiwilligen Mitarbeiter der bedeutendsten indonesischen Wahlbeobachterorganisationen
dürften entscheidend dazu beigetragen haben. 79 Lediglich die außergewöhnlich
langsame Stimmenauszählung - erst am 8. Juli wurde das Ergebnis offiziell
bekannt gegeben - sorgte für einige Missstimmung.
Als eindeutige Siegerin ging Megawati mit ihrer PDI-Perjuangan aus den Wahlen
hervor. Die Partei erreichte 33,8% (153 Sitze). Megawati wurden deshalb die besten
Chancen, die erste Präsidentin der Republik Indonesien zu werden, eingeräumt. Sie
konnte dabei, so spekulierte man, von der PKB unter Abdurrahman Wahid unterstützt
werden, die 12,6% der Stimmen (51 Sitze) erhielt. Die Partai Golkar erzielte
ein noch relativ gutes Ergebnis mit 22,5%. Allerdings ist ihr Sitzanteil in den Parlamenten
überproportional hoch (120 Mandate), da die Partei auf einigen Außeninseln
sehr gut abschneiden konnte. Überraschend waren das gute Abschneiden der PPP
(die schließlich in der Neuen Ordnung eine eher unrühmliche Rolle gespielt hatte),
die 58 Sitze erhielt, und das schlechte Ergebnis der PAN. Obwohl Amien Rais bei
Umfragen als einer der Favoriten für das Präsidentenamt gegolten hatte, sind im
neuen Parlament nur 34 PAN-Abgeordnete vertreten. 80
Befürchtungen, dass die große Zahl von Parteien zu einer Destabilisierung führen
könnte, wurden durch das Wahlergebnis entkräftet, da die meisten Parteien nur wenige
Zehntelprozent erzielen konnten.
78 Gatra 12.6.1999.
79 Die indonesischen Wahlbeobachterorganisationen wie KIPP, Unfrel (University Network
for Free and Fair Elections), Forum Rektor und Jamppi (Jaringan Masyarakat Pemantau
Pemilu = Gesellschaftliches Netzwerk von Wahlbeobachtern) kamen bei der Einschätzung der
Wahlen zu ähnlichen Ergebnissen wie die ausländischen Wahlbeobachterdelegationen etwa
von der Europäischen Union, von Anfrel (ASEAN Network for Free Elections) oder vom
Carter Centre und vom National Democratic Institute (vgl. etwa Gatra 12.6.1999 und Forum
Rektor 1999). Trotzdem kam es zu zahlreichen Ausschreitungen und Manipulationen:
Während des Wahlkampfes stießen mehrfach Anhänger verschiedener Parteien zusammen. In
Aceh ließ sich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung registrieren. Und in einigen Teilen Sulawesis
musste die Wahl wiederholt werden, weil Schwierigkeiten wegen der hohen Zahl
ambonesischer Flüchtlinge auftraten. Häufig gab es kleinere Unstimmigkeiten organisatorischer
Art oder bei der Koordination zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen. Auch
sind zahlreiche Fälle von "money politics" bekannt geworden: So soll etwa in Südsulawesi,
einem der Golkar-Stützpunkte, Arnold Baramuli großzügig Gelder verteilt haben. Insgesamt
aber verliefen die Wahlen überraschend komplikationslos.
80 Vgl. Indonesien Information 3/99, 5. Die anderen Parteien erhielten nur sehr wenige Mandate,
so die Partai Keadilan dan Persatuan (6 Sitze), die Partai Demokrasi Indonesia (3 Sitze),
die Partai Bulan Bintang (2 Sitze) usw.

Entwicklung bis zu den nationalen Wahlen 525
Tabelle 6-2: Das Ergebnis der Parlamentswahlen vom Juni 1999
Partei Stimmen (Mio.) Stimmen (%) DPR-Sitze
PDI-Perjuangan 35,7 33,8 153
Partai Golkar 23,7 22,5 120
PKB 13,3 12,6 51
PPP 11,3 10,7 58
PAN 7,5 7,1 34
PBB 2,0 1,9 13
PK 1,4 1,4 7
Übrige* 10,8 10,2 26
Gesamt: 105,7 100 462
Quelle: Kompas 27.7. und 2.9.1999.
*Übrige: PDKB = Partai Demokrasi Kasih Bangsa = Demokratische Partei Liebe zur Nation
(5 Sitze), von früheren Golkar-Mitgliedern gegründet, Parteivorsitzender ist Manasse Maio,
ein Sinoindonesier und Christ; PNU = Partai Nahdatul Ulama (5) unter Syukron Ma'mun;
PKP = Partai Keadilan dan Persatuan = Partei Gerechtigkeit und Einheit (4), gegründet von
Edi Sudrajat; PDI = Partai Demokrasi Indonesia (2), die Nicht-Megawati-PDI unter Budi
Harjono, die schon bei den Wahlen 1997 weitgehend erfolglos geblieben war; jeweils einen
Sitz erhielten folgende Parteien: PBI = Partai Bhinneka Tunggal Ika = Partei Einheit in Vielfalt,
eine Partei der Sinoindonesier; PKD = Partai Katolik Demokrat unter Marcus Mali; die
nationalistischen Parteien PNI-Supeni (angeführt von Nonya Supeni, einer alten Sukarno-
Vertrauten), PNI-Front Marhaenis und PNI-Massa Marhaen; PP = Partai Persatuan = Partei
der Einheit (eine Abspaltung von der PPP); PSII = Partai Syarikat Islam Indonesia = Indonesische
Partei des Vereinigten Islam (Neugründung einer 1912 geschaffenen Vereinigung);
PMB = Partai Masyumi Baru = Neue Masyumi-Partei; PDR = Partai Daulat Rakyat = Partei
der Volkssouveränität, die von Adi Sasono ins Leben gerufen wurde; PKU = Partai Kebangkitan
Umat = Partei des Erwachens der Umma, ebenfalls eine NU-Partei, geführt vom Onkel
Abdurrahman Wahids.
Parteien mit islamischem Hintergrund sind folgende: PPP, PKB, PAN, PBB, PK, PNU, PSII,
PMB und PKU.
Die Partai Golkar schnitt zwar angesichts der jahrzehntelangen Hegemonialstellung
schwach ab, konnte aber von ihrer organisatorischen Stärke in den Außenprovinzen
profitieren. So wurde Golkar stärkste Partei in Westsumatra, Riau, Jambi, West-
Nusa-Tenggara, Ost-Nusa-Tenggara, Ost-Timor, Westkalimantan, Südkalimantan,
Nord-, Mittel-, Süd- und Südostsulawesi sowie in Maluku und Irian Jaya, also in
insgesamt 14 von 27 Provinzen. In den beiden Südprovinzen Sulawesis erhielt Golkar
jeweils etwa zwei Drittel der Stimmen. In 11 Provinzen wurde die PDI-P stärkste
Partei. Sie erzielte in Bali mit 79% das mit großem Abstand beste Ergebnis. Nur
in einer Provinz, nämlich in Ostjava, konnte die PKB die meisten Stimmen gewinnen.
Ostjava war seit jeher die Hochburg der ulama-Partei, aber selbst dort hätte die
PDI-P die PKB fast eingeholt. Die PPP konnte in der Unruheprovinz Aceh fast 30%
erzielen und wurde dort stärkste Partei, gefolgt von der PAN (mit knapp 18%), die
ähnlich gute Ergebnisse in Westsumatra und in Yogyakarta erreichte. 81
Mit Blick auf die entscheidenden Koalitionsvereinbarungen und die Präsidentenwahl
im Oktober zeichneten sich nach den Parlamentswahlen verschiedene Szenarien ab.
81 Jakarta Post 16.7.1999.

526 Von Habibie zu Wahid
Die wahrscheinlichste war eine von der PDI-Perjuangan unter Einschluss der PKB
und der PAN geführte Koalition mit Megawati als Präsidentin. Die Animositäten
zwischen Abdurrahman Wahid und Amien Rais und die Abneigung von Teilen der
PKB und der PAN gegen die säkular orientierte PDI-Perjuangan konnten aber - da
waren sich viele politische Beobachter einig - eine solche Koalition scheitern lassen.
Möglich war immer noch eine Koalition von Golkar mit einigen islamischen Parteien
(PPP, PAN, PBB u.a.), der ABRI-Fraktion und - im MPR - mit einigen Gruppen-
und Provinzvertretern. Diese Koalition hätte sich darauf einigen können, zum einen
die Pfründner der Orde Baru zu retten und zum anderen den sektiererischen Islam zu
stärken. Ein solches Bündnis - das im DPR keine Mehrheit gehabt hätte - wurde aber
von der großen Mehrheit der Indonesier abgelehnt. Die Wiederwahl Habibies hätte
mit großer Wahrscheinlichkeit zu lang anhaltenden schweren Unruhen geführt.
Möglich wäre deshalb eine solche Allianz nur mit einem neuen Kandidaten, etwa
dem als "sauber" geltenden Sultan Hamengkubuwono gewesen.
Bilanz der Entwicklungen in der Transitionsphase bis
zum Juni 1999
Die Regierung Habibie ließ einige politische Gefangene frei, stellte freie Wahlen in
Aussicht, erlaubte die Gründung politischer Parteien, lockerte die Pressezensur wesentlich,
stoppte die Pancasila-Indoktrinierung und unterstützte überraschend ein
Referendum in Ost-Timor. Habibie war somit ein Präsident des Übergangs, der
zwischen den beteiligten Akteuren vermittelte und sowohl die gemäßigte Opposition
als auch die zu einigen Reformen bereiten alten Machthaber zufrieden stellen konnte.
Obwohl z.B. an der Sondersitzung des Volkskongresses MPR im November 1998
keine Oppositionellen beteiligt waren, 82 wurden doch grundlegende Reformen beschlossen.
Ohne den Druck und die Drohmacht der Opposition, also vor allem der
Studenten und der prominenten Parteiführer mit ihrem Anhang, wären diese Reformgesetze
wohl kaum verabschiedet worden. Dennoch bleibt festzuhalten, dass
die alte und noch herrschende Regimekoalition in der Transitionsphase unter Habibie
einige Sonderrechte bewahren konnte - dazu gehören z.B. die ABRI-Sitze in den
Parlamenten - und eine entschlossenere Reformpolitik in vielen Bereichen blockieren
konnte. So waren fast alle ehemaligen Machthaber noch auf freiem Fuß. Viele
Reformgesetze waren kaum implementiert worden und konnten in kurzer Zeit wieder
aufgehoben werden.
Verglichen mit der Situation vor dem Rücktritt Suhartos ließen sich Mitte des Jahres
1999 folgende Veränderungen ausmachen:
- Die Neue Ordnung war schon nach kurzer Zeit weitgehend delegitimiert. Das dürfte
einer der wesentlichen Startvorteile der parlamentarischen Demokratie in Indonesien
gewesen sein. Kaum jemand trauerte dem alten Regime, das für den wirtschaftlichen
Zusammenbruch und für zahllose Massaker verantwortlich war, nach.
82 Amien Rais, Abdurrahman Wahid und Megawati hatten ein Angebot des Golkar-Politikers
Din Syamsuddin, sich an der Sondersitzung des MPR zu beteiligen, abgelehnt, da sie nicht ein
Parlament legitimieren wollten, dessen Mitglieder nicht frei gewählt waren.

Entwicklung bis zu den nationalen Wahlen 527
- Die Asienkrise wurde von den meisten Indonesiern nicht als Komplott westlichen
oder gar jüdischen Kapitals gesehen. In der Regel wurden die Suharto-Familie und
in geringerem Maße die sinoindonesischen cukong verantwortlich gemacht. Der
Expräsident war somit in die Rolle des nationalen Sündenbocks gedrängt worden.
Selbst konservative Golkar-Funktionäre, die weit davon entfernt waren, die Neue
Ordnung in toto zu verdammen, distanzierten sich von ihrem ehemaligen Oberpatron.
Suharto und seine Familie waren also politisch weitgehend entmachtet, und
ein Comeback war äußerst unwahrscheinlich. Das galt sowohl für den Expräsidenten
selbst als auch für seine Kinder und für seinen Schwiegersohn Prabowo.
- ABRI hatte genauso wie die Suharto-Familie einen immensen Ansehensverlust zu
verkraften. Zwar war die Doppelfunktion noch nicht aufgegeben, aber es war mittlerweile
vorstellbar, dass in den folgenden Jahren das Militär in die Kasernen zurückkehren
würde.
- Da viele Großunternehmer als "technisch bankrott" galten oder zumindest große
Verluste zu verbuchen hatten, musste es im wirtschaftlichen Sektor in den nächsten
Jahren zu deutlichen Machtverschiebungen kommen. Dennoch zeichnete sich bereits
ab, dass die dominante Stellung der Sinoindonesier bestehen bleiben würde.
Allerdings gab es zwei Faktoren, die die Machtstellung der sinoindonesischen Konglomerate
unterminieren konnten. Zum einen war es die durch die Wirtschaftskrise
angeheizte antichinesische Stimmung, zum anderen war es das Wiederaufleben einer
starken populistischen Pro-pribumi-Politik (ekonomi kerakyatan).
- Beamte waren nicht länger an Golkar gebunden, und das Militär hatte keinen so
starken Einfluss mehr auf die Verwaltung. Damit büßte die Bürokratie an Macht ein,
zumal sie jetzt sehr viel stärker durch die zivilgesellschaftlichen Gruppen kontrolliert
wurde. Andererseits wurde durch die einsetzende stärkere Dezentralisierung die
Verwaltung in den Provinzen, vielleicht auch in den Distrikten, Subdistrikten und
den Dörfern gestärkt.
- Auch das Verhältnis der verschiedenen muslimischen Gruppen zu den anderen
gesellschaftlichen Kräften und zum Staat hatte sich gewandelt. Muslime besetzten
mehr Positionen im Staatsapparat, außerdem wurden proislamische Politiken deutlicher
formuliert.
- Die Auflösung der autoritären Herrschaft und die verzögerte Demokratisierung
hatten aber auch eine schleichende Erosion der zentralstaatlichen Gewalt und das
Aufkommen paramilitärischer Verbände und antidemokratischer Organisationen zur
Folge.
Die Transition unter Habibie war, so lässt sich rückblickend feststellen, eine widerwillig
"von oben" durchgeführte Demokratisierung. Zwar versuchten Teile der alten
Regimekoalition, das Reformtempo zu bremsen, dennoch musste die Übergangsregierung
in relativ kurzer Zeit mit der Verabschiedung einer Reihe von Gesetzen die
Orde Baru ad acta legen.

528 Von Habibie zu Wahid
6.2 Von Habibie zu Wahid: Die Phase bis zur
Wahl des Präsidenten
Erste Sondierungsgespräche
Nach den Parlamentswahlen vom Juni 1999, vor allem aber nach der Bekanntgabe
der Wahlergebnisse, begannen die Verhandlungen über die Zusammenarbeit bei der
Präsidentenwahl. 83 Die Frage war, ob sich Megawati gegen Habibie durchsetzen
könne - Abdurrahman Wahid und Amien Rais wurden wegen der relativ schwachen
Ergebnisse bei den Parlamentswahlen als mögliche Kandidaten zunächst nicht mehr
genannt. Amien Rais, der einer der populärsten Politiker in Indonesien war und bei
einer Direktwahl des Präsidenten sicherlich wesentlich besser abgeschnitten hätte als
seine eigene Partei, war plötzlich ins zweite Glied gerückt.
Megawati galt als die strahlende Siegerin und als die aussichtsreichste Kandidatin
für die Präsidentschaft. Die PDI-P hatte knapp 34% der Stimmen bekommen, und
für die meisten Anhänger Megawatis konnte es gar keine andere Wahl geben als die
Tochter des ersten indonesischen Präsidenten. Aber auch Habibie rechnete sich noch
gute Chancen aus, da die Partai Golkar außerhalb Javas sehr gute Ergebnisse erzielt
und einen - gemessen an der absoluten Zahl der Stimmen - recht hohen Sitzanteil in
den Parlamenten erhalten hatte. Habibie konnte auf die Unterstützung vieler Vertreter
der Provinzen, der Militärfraktion und der konservativen Muslime setzen. Diese
hatten schon vor den Parlamentswahlen eine Kampagne gegen Megawati gestartet,
die sie danach fortsetzten. Die PPP, die PK und die Habibie nahe stehende Muslimorganisation
ICMI sprachen sich bei verschiedenen Gelegenheiten unter Berufung
auf vermeintlich eindeutige Koranstellen gegen die Besetzung des Präsidentenamtes
durch eine Frau aus. 84
Die beiden Muslimführer Abdurrahman Wahid und Amien Rais sprachen sich nach
den Wahlen zunächst für Megawati aus, da diese aber auf ihre Angebote nicht einging,
wechselten sie ihre Strategie. 85 Am 26. Juni trafen sich die beiden und sprachen
davon, einen dritten Kandidaten benennen zu wollen. Amien Rais begann in
dieser Zeit, eine Allianz der islamischen Parteien zu schmieden, die den Namen
poros tengah ("Mittelachse") erhielt. Die "Mittelachse" war als Allianz aus der PAN
um Amien Rais, aus der PKB, der PBB und der PK sowie kleineren Parteien gedacht.
Amien Rais wollte eine Präsidentschaft Habibies oder Megawatis verhindern
83 Mietzner 2000; Fenner/Dürste 2000, 52ff; Ismanto/Legowo 1999.
84 Ende März 1999 sorgte Wahid in Singapur für Aufsehen, als er - der liberale, undogmatische
Muslim - behauptete, dass eine Frau im Präsidentenamt für die meisten Muslime in
Indonesien nicht akzeptabel sei.
85 Anfänglich war Wahid dafür eingetreten, Sultan Hamengkubuwono zum neuen Präsidenten
zu küren. Zu Beginn des Jahres 1999 war er aber schon davon überzeugt, dass seine Partei,
die PKB, genügend Potenzial hatte, um ihm selbst zur Präsidentschaft zu verhelfen.

Phase bis zur Wahl des Präsidenten 529
und war deshalb sogar bereit, seinen Erzfeind Abdurrahman Wahid zu unterstützen.
86
Megawati war für viele als Präsidentin nicht akzeptabel, aber Habibie war es für
viele noch weniger. Während seiner Regierungszeit wurden zwar wichtige Reformen
verabschiedet, außerdem hatte er als Präsident freie Wahlen zugelassen, aber er
galt als ein Mann der Neuen Ordnung, der seinen Aufstieg Suharto verdankte und
nicht an einem Bruch mit der diktatorischen Vergangenheit des Landes interessiert
war. In den letzten Wochen seiner Amtszeit waren es zwei Ereignisse, die seine
Position zusätzlich schwächten, nämlich der Bank Bali-Skandal und das Verhalten
der Militärs in Ost-Timor.
Der Bank Bali-Skandal
Ende Juli 1999 entdeckte die Standard Chartered Bank einige Ungereimtheiten in
der Buchführung der Bank Bali. Die Standard Chartered Bank hatte Einblick in die
Bücher genommen, weil sie plante, die von der Asienkrise betroffene Bank Bali zu
übernehmen. Wenig später, am 12. August 1999, berichtete der frühere Präsident der
Bank Bali, Rudy Ramli, einem hohen Funktionär der PDI-Perjuangan, Dimyati
Hartono, über Zahlung seiner Bank in Höhe von 70 Mio. US$ an Golkar. Das Geld,
das ursprünglich von der Bank Indonesia der Bank Bali überwiesen worden war,
floss nicht direkt an die Habibie-Partei, sondern war über die Firma Era Giat Prima,
die vom stellvertretenden Schatzmeister Golkars, Setya Novanto, kontrolliert wurde,
weitergeleitet worden. 87 In diese als "Baligate" bekannt gewordene Affäre waren
nicht nur Golkar-Mitglieder (insbesondere enge Mitarbeiter Habibies), sondern auch
Mitarbeiter der Zentralbank, von IBRA und vom Finanzministerium verwickelt.
Weltbankpräsident James Wolfensohn machte deutlich, dass weder die Weltbank
noch der IWF weitere Kredite auszahlen würden, bevor die Affäre aufgeklärt sei.
Auch wenn, wie immer in solchen Fällen, die Anschuldigungen zurückgewiesen
wurden und eindeutige Beweise nicht vorgelegt werden konnten, wurde die Glaubwürdigkeit
Habibies kurz vor den Präsidentschaftswahlen noch weiter geschwächt.
Das war auch eine Folge der Verschleierungstaktik des Präsidenten, denn ein Bericht
der Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers wurde nicht, wie angekündigt,
in voller Länge veröffentlicht, sondern den Parlamentariern in einer verkürzten
Version vorgelegt. Der Großteil der Bevölkerung machte Habibie und sein "Tim
Sukses" 88 für den Betrug verantwortlich. Eine Tempo-Umfrage ergab, dass nur noch
9% der Befragten den amtierenden Präsidenten weiter im Amt sehen wollten. Vor
dem 20. Juli waren es noch 39% gewesen.
86 Allerdings stand die PKB lange auf Seiten Megawatis. Anfang August entschied sich die
PKB-Führung unter Matori und Muhaimin Iskandar für eine Koalition mit Megawati - offenbar
ohne sich mit dem im Ausland befindlichen Wahid abzusprechen.
87 FEER 9.9.1999 und 23.9.1999.
88 Zum "Erfolgsteam" sollen die beiden Habibie-Brüder Effendy ("Fanny") und Suyatim
("Timmy"), Setya Novanto, Nurdin Halid (der für "Tommy" Suharto im Gewürznelkenhandel
gearbeitet hatte) und der sehr bekannte Aktivist aus der Studentenbewegung des Jahres 1974,
Hariman Siregar, gehört haben (FEER 9.9.1999).

530 Von Habibie zu Wahid
Ost-Timor wird unabhängig
Am 30. August fand, nach einiger Verzögerung, die Volksabstimmung in Ost-Timor
statt. 89 98,6% der Wahlberechtigten beteiligten sich an dem Referendum, und 78,5%
der Wähler entschieden sich für die Unabhängigkeit. Die Volksabstimmung und die
Auszählung der Stimmen in den folgenden Tagen verliefen noch weitgehend ruhig.
Aber nach Bekanntgabe des Endergebnisses begann eine Orgie der Gewalt. Paramilitärische
Banden übernahmen die Kontrolle in weiten Teilen der Insel. Bei Massakern
kamen Tausende Menschen ums Leben, Hunderttausende flüchteten. Auch
ausländische Journalisten und UN-Mitarbeiter wurden angegriffen. Obwohl die
indonesische Regierung die Truppenpräsenz verstärkte (etwa 15.000 Sicherheitskräfte
sollen zuletzt in Ost-Timor gewesen sein), wurden die Milizen nicht an den
Metzeleien gehindert. Teile der indonesischen Streitkräfte arbeiteten sogar offen mit
den Milizionären zusammen. Selbst in West-Timor waren die vom Hungertod bedrohten
Flüchtlinge den paramilitärischen Verbänden ausgeliefert. Dili war zu diesem
Zeitpunkt völlig verwaist, viele Häuser und Geschäfte waren ausgeplündert und
zerstört.
Portugal ließ eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates einberufen und verlangte
den Einsatz bewaffneter UN-Truppen. Außenminister Ali Alatas gab unterdessen
den Vereinten Nationen die Schuld an der Eskalation, da sie Beschwerden über
Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung nicht zur Kenntnis genommen hätten. Am
7.9. verhängte die indonesische Regierung das Kriegsrecht über Ost-Timor. Am
selben Tag forderten Bischof Belo und der aus der Haft entlassene Xanana den Einsatz
einer internationalen Friedenstruppe. 90 Erst nach erheblichem internationalen
Druck waren Habibie und der Kommandeur der indonesischen Streitkräfte, Wiranto,
bereit, eine solche Friedenstruppe unter australischer Führung und mit starkem asiatischem
Anteil zuzulassen. 91
Das Referendum in Ost-Timor und den Einsatz ausländischer Truppen, die noch
dazu von Australien geführt wurden, empfanden viele Indonesier als demütigend. 92
Gerade einige jener politischen Gruppierungen, die Habibie am meisten unterstützten,
nämlich das Militär und die konservativen, häufig sehr nationalistisch orientierten
Muslime, empfanden den "Verlust" Ost-Timors als nationale Schande. Habibies
89 Ursprünglich hatte das Referendum am 28. Juli stattfinden sollen, wegen der prekären
Sicherheitslage sah sich der UN-Generalsekretär aber veranlasst, die Abstimmung auf den 30.
August zu verschieben. Zum Folgenden: Machetzki 1999b; Lowry 2000; Cotton 2000.
90 Am 20. September landeten die ersten Soldaten der Interfet (International Force for East
Timor) in Dili. Einige Tage später wurde der UN-Generalsekretär mit der Einsetzung einer
Untersuchungskommission beauftragt. Am 19. Oktober erkannte der Volkskongress das
Ergebnis des Referendums an. In einer Note an die Vereinten Nationen erklärte Indonesien
am 25.10., auf Ansprüche auf Ost-Timor zu verzichten. Am selben Tag wurde eine UN-
Übergangsverwaltung, UNTAET (United Nations Transitional Administration in East Timor),
eingerichtet.
91 Kofi Annan hatte zuvor damit gedroht, Indonesien wegen Beihilfe zum Völkermord anzuklagen.
Clinton und Blair ließen die Militärhilfe einstellen, und IWF-Kredite sollten auf unbestimmte
Zeit nicht weiter ausgezahlt werden.
92 Vgl. Hill/Manning 1999.

Phase bis zur Wahl des Präsidenten 531
Alleingang im Januar 1999, also die weder mit dem Kabinett noch dem Parlament
abgesprochene Verkündung eines Referendums in Ost-Timor, betrachteten diese
Gruppen als schweren politischen Fehler. 93 Außerdem zeigten die Ereignisse im
Anschluss an das Referendum, dass Habibie ein schwacher Präsident war, der keine
Kontrolle über das Militär hatte und ohnmächtig gegen die Intervention ausländischer
Mächte war.
Wenige Tage, bevor der neue Volkskongress zusammentrat, wurde ein von der Regierung
Habibie eingebrachtes Notstandsgesetz verabschiedet. Nach diesem Gesetz
konnte der Präsident dem Militär weit reichende Vollmachten einräumen.
Verständlicherweise sahen viele darin einen Versuch, im letzten Moment die Demokratisierung
zu blockieren. Nach heftigen Demonstrationen, bei denen mindestens
sieben Menschen ums Leben kamen, sah sich Habibie gezwungen, auf eine Ratifizierung
des Gesetzes zu verzichten. Damit war vielleicht der letzte Versuch gescheitert,
die demokratische Verfassung auszuhebeln.
Die MPR-Sitzung und die Wahl des vierten Präsidenten
Am 1. Oktober trat der neu gewählte Volkskongress MPR zusammen, um den DPR-
und den MPR-Sprecher sowie den Präsidenten und Vizepräsidenten zu wählen.
Außerdem sollte über einige Ergänzungen der Verfassung abgestimmt werden. 94 In
Indonesien gab es erstmals einen frei gewählten Volkskongress, der nach der Verfassung
von 1945 aus seinen Reihen einen Präsidenten wählen konnte. Im MPR
versammelten sich insgesamt 695 Abgeordnete, nämlich die 500 DPR-Abgeordneten,
65 Vertreter wichtiger gesellschaftlicher Gruppen und 130 Provinzvertreter.
Die 5 für die Provinz Ost-Timor vorgesehenen Mandate wurden nach dem Referendum
nicht mehr vergeben. Von den 695 waren 185 PDI-P-Parlamentarier (darunter
32 Provinzvertreter) und 182 Golkar-Politiker (darunter 62 Provinzvertreter). 70
gehörten zur PPP, 57 zur PKB, 13 zur PBB und 49 zur Fraktionsgemeinschaft von
PAN und PK. Die Repräsentanten gesellschaftlich wichtiger Gruppen hatten 73
Sitze erhalten. 14 kleinere Parteien waren zusammen mit 28 Parlamentariern vertreten.
Hinzu kamen die 38 Abgeordneten des Militärs (TNI) und der Polizei (Polri).
In den Wochen vor Beginn der MPR-Sitzung hatten sich drei Lager um Megawati,
Habibie und Wahid gebildet. Vor allem seit dem 1. Oktober intensivierten sich die
Bemühungen, Allianzen zu bilden, und es wurden Absprachen über die Aufteilung
der vier wichtigsten Posten getroffen. Die Strategien und die informellen Koalitionen
wechselten täglich. Selbst innerhalb einiger Parteien kam es zur Bildung von
Faktionen. So stand nur ein Teil Golkars (Golkar hitam, also das "schwarze Gol-
93 Es spricht sogar einiges dafür, dass Ost-Timor nicht die Unabhängigkeit erlangt hätte, wenn
Habibie anders reagiert hätte: vgl. Viviani 2000.
94 Tempo 17.10., 24.10. und 31.10.1999; Mietzner 2000. 9 der 37 Verfassungsartikel wurden
ergänzt. Die Veränderungen bewirkten eine Stärkung des nationalen Parlamentes DPR und
eine entsprechende Schwächung des Präsidenten. Dieser durfte nur noch einmal wiedergewählt
werden. Und Gesetze konnten nur mit Zustimmung des Parlamentes verabschiedet
werden.

532 Von Habibie zu Wahid
kar") hinter Habibie. Das "weiße Golkar" (Golkar putih), zu dem Akbar Tanjung
und Marzuki Darusman gezählt wurden, hatte sich von Habibie abgewandt. Auch
die PKB war gespalten, nämlich in Megawati- und Wahid-Anhänger.
Die „Mittelachse“ bestand anfänglich nur aus der Reformfraktion (PAN und PK).
Die PKB stand noch hinter Megawati; die PPP und die PBB wollten für Habibie
votieren. Am 3. Oktober wurde Amien Rais zum MPR-Sprecher gewählt. Er erhielt
305 Stimmen von den muslimischen Parteien (mit Ausnahme der PKB, aber offenbar
mit Unterstützung von Wahid) und von Golkar, während Matori Abdul Jalil, der
Kandidat der PKB und der PDI-P, nur 279 Stimmen erhielt. Die Niederlage des
PDI-P-Kandidaten zeigte bereits, dass Wahid und Rais sich gegen Megawati verbündet
hatten. Zwischenzeitlich soll Wahid Matori sogar beschuldigt haben, von
Megawati mehrere Milliarden Rupiah angenommen zu haben. Die Militärfraktion
hätte bei der Wahl des MPR-Sprechers mit ihren 38 Stimmen Zünglein an der Waage
sein können, schickte aber einen eigenen Kandidaten ins Rennen. Amien Rais
bedankte sich in einer kurzen Rede ausdrücklich bei Abdurrahman Wahid für seine
Hilfe.
Am nächsten Tag erhielt Akbar Tanjung (Golkar) als Belohnung für seine Unterstützung
bei der Wahl Amien Rais' die Position des DPR-Sprechers. Zu diesem
Zeitpunkt war das Rennen um die Präsidentschaft noch offen. Am 8. Oktober reisten
die beiden größten Konkurrenten, Megawati und Wahid, sogar gemeinsam nach
Blitar (Ostjava) an die Gräber ihres Vaters, des ehemaligen Präsidenten, bzw. seines
Großvaters, des NU-Gründers.
Am 13. Oktober bekräftigte Golkar noch einmal die Nominierung Habibies. Dieser
hoffte darauf, dass der Volkskongress seinen Rechenschaftsbericht annehmen und
ihn danach auch gegen Megawati bei der Präsidentschaftswahl unterstützen würde.
In den Morgenstunden des 20. Oktober stimmte der MPR über seinen Rechenschaftsbericht
ab: 355 Abgeordnete (wahrscheinlich das Megawati-Lager sowie
Golkar putih und einige Militärs) lehnten diesen ab, nur 322 unterstützten Habibie.
Zwar hätte der noch amtierende Präsident trotz dieser Niederlage kandidieren können,
aber er rechnete sich keine Chancen aus und kündigte seinen Rückzug an. Die
Habibie-Gruppe versuchte daraufhin, Amien Rais zur Präsidentschaft zu überreden.
Aber dieser lehnte ebenso ab wie Akbar Tanjung. Daraufhin erschien vielen Habibie-Anhängern,
die eine von Megawati angeführte Reformregierung fürchteten,
Abdurrahman Wahid als das geringere Übel. Wahid setzte sich noch am selben Tag
mit 373 zu 313 Stimmen gegenüber Megawati durch. Für ihn votierten die PKB,
Teile Golkars (Golkar hitam, vor allem die Gruppe um A.A. Baramuli), die muslimischen
Parteien (die "Mittelachse") und Vertreter des Militärs und der wichtigen
gesellschaftlichen Gruppen. 95
95 Da die Abstimmung geheim war, sind genaue Angaben über das Wahlverhalten der Parlamentarier
nicht möglich. Ismanto/Legowo (1999, 314) nehmen an, dass neben der großen
Mehrheit der zur "Mittelachse" zählenden Abgeordneten (außer jenen der PKB) 30 der 38
TNI/Polri-Vertreter, 144 Golkar- und 35 PKB-Parlamentarier für Wahid gestimmt haben.

Phase bis zur Wahl des Präsidenten 533
Nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses kam es zu gewalttätigen Protesten enttäuschter
Megawati-Anhänger in Mittel- und Ostjava sowie in Bali. Wahid befürchtete
nun, dass eine dauerhafte Opposition durch die PDI-P, zumal angesichts der
gewaltbereiten Anhängerschaft Megawatis, zu einer ernsthaften Belastung während
seiner Amtszeit werden konnte. Deshalb suchte er sie in ihrem Haus auf, um sie zur
Übernahme des Vizepräsidentenamtes zu überreden. Megawati, die die taktischen
Manöver des Vortages als Verrat empfand, nahm den Vorschlag Wahids nach einigem
Zögern an. Am 21. Oktober setzte sie sich bei der Wahl mit 396 Stimmen gegen
den PPP-Kandidaten Hamzah Haz (284 Stimmen) durch. 96
96 Vor der Abstimmung über die Besetzung des Vizepräsidentenamtes gab es vier Bewerber:
Megawati (nominiert von der PKB), Akbar Tanjung (nominiert von Golkar), Hamzah Haz
(nominiert von der PPP) und Wiranto (nominiert von verschiedenen kleineren Fraktionen).
Akbar Tanjung und Wiranto zogen ihre Kandidatur Minuten vor der Abstimmung zurück.

7. Die Regierung Wahid und ihre Probleme bei
der Konsolidierung der Demokratie (Oktober 1999-
Dezember 2000)
In diesem Kapitel sollen die Ereignisse bis Ende 2000, also die ersten 14 Amtsmonate
der Regierung Wahid, beleuchtet werden. Das Kapitel schließt mit Überlegungen
zur Demokratiekonsolidierung.
Das neue Kabinett und seine Aufgaben
Am 26. Oktober stellte Wahid das "Kabinett der nationalen Einheit" vor. Da er all
jene Kräfte berücksichtigen musste, die zu seiner Wahl beigetragen hatten, befanden
sich sowohl ausgesprochen reformorientierte als auch konservative Politiker in der
neuen Regierung. Da Wahid auch die PDI-P einzubinden versuchte, handelte es sich
de facto um eine große Koalition. Der Präsident gab später selbst zu, dass die Zuteilung
der Ministerien das Ergebnis eines Kuhhandels zwischen ihm, Megawati,
Amien Rais, Akbar Tanjung und Wiranto gewesen war. Insgesamt 35 Ministerposten
wurden vergeben, obwohl die Anzahl eigentlich erheblich reduziert werden
sollte. Von den 35 Ministern waren 20 Politiker, die anderen waren TNI-Angehörige
oder hatten zuvor in der staatlichen Bürokratie (in Ministerien oder Universitäten)
bzw. im NGO-Sektor gearbeitet. Die meisten neuen Amtsinhaber kamen aus Java
(21), Sumatra (4) und Südsulawesi (4). Nur vier Minister stammten aus vernachlässigten
Außenregionen. Zu ihnen gehörten Hasbalah Saad, ein Acehnese, der für
Menschenrechtsangelegenheiten verantwortlich war, und Freddy Numberi, der ehemalige
Gouverneur von Irian Jaya bzw. West-Papua. Wahid hatte acht und Amien
Rais, der entscheidend zur Wahl Wahids beigetragen hatte, sieben seiner Kandidaten
durchsetzen können. Der noch amtierende Kommandeur der Streitkräfte, Wiranto,
wurde Koordinierungsminister für Politik und Sicherheit. Er handelte die Ernennung
Widodos zu seinem Nachfolger als TNI-Kommandeur aus. Außerdem soll er die
Versetzung zweier reformorientierter Militärs auf Ministerposten erwirkt haben. GLt
Susilo Bambang Yudhoyono hatte sich um das Ministerium für Bergbau und Transport
zu kümmern, GLt Agum Gumelar um das für Verkehr. Das waren keine Positionen,
mit denen man auf die Innenpolitik entscheidend Einfluss ausüben konnte, es
gab den Generälen aber Apparate in die Hand, die es ihnen ermöglichten, mit Lizenzen
und Konzessionen die übliche außeretatmäßige Finanzierung der Streitkräfte zu
sichern.
Zu Megawatis Gefolgsleuten zählten u.a. Kwik Kian Gie (Koordinierungsminister
für Wirtschaft, Finanzen und Industrie) und Laksamana Sukardi (Staatsminister für
Investitionen und die Entwicklung der Staatsunternehmen), zwei liberale sinoindonesische
Wirtschaftsexperten. Von Golkar wurden der Großunternehmer Yusuf
Kalla (Bukaka-Gruppe), Bomer Pasaribu (der ehemalige Vorsitzende der staatlichen
Gewerkschaft SPSI), Mahadi Sinambela und Marzuki Darusman ernannt.
534

Das neue Kabinett 535
Schaubild 7-1: Das Kabinett von Abdurrahman Wahid vom Oktober 1999
Ministerien Amtsinhaber
Koordinierungsminister
Politik und Sicherheit Wiranto* (TNI)
Wirtschaft, Finanzen und Industrie Kwik Kian Gie (PDI-P)
Wohlfahrt und Armutsbekämpfung Hamzah Haz* (PPP)
Fachminister
Inneres GLt. a.D. Suryadi Sudirja (TNI)
Außenminister Alwi Shihab (PKB)
Verteidigung Yuwono Sudarsono
Justiz Yusril Ihza Mahendra (PBB)
Finanzen Bambang Sudibyo (PAN)
Handel und Industrie Yusuf Kalla** (Golkar)
Landwirtschaft M. Prakosa (PDI-P)
Bergbau und Energie GLt. Susilo Bambang Yudhoyono (TNI)
Forstwirtschaft und Plantagen Nur Mahmudi Isma'il (PK)
Verkehr GLt. Agum Gumelar (TNI)
Meereserforschung Sarwono Kusumaatmaja
Arbeit Bomer Pasaribu (Golkar)
Gesundheit Akhmad Suyudi
Bildung Yahya A. Muhaimin (PAN)
Religion Tolkhah Hasan (PKB)
Besiedlung und regionale Entwicklung
Staatsminister
Erna Witular
Forschung und Technologie Muhammad A.S. Hikam (PKB)
Kooperativen, kleine und mittlere Unternehmen Zarkasih Nur (PPP)
Umwelt Soni Keraaf
Regionale Autonomie Ryaas Rasyid
Tourismus und Kunst Hidayat Jaelani
Investitionen und Entw. der Staatsunternehmen Laksamana Sukardi** (PDI-P)
Jugend und Sport Mahadi Sinambela (Golkar)
Öffentliche Arbeiten Rafik Budiro Sucipto
Frauen Khofifah Indar Parawangsa (PKB)
Menschenrechte Hasbalah M. Saad (PAN)
Transmigration und Bevölkerung Al Hilal Hamdi (PAN)
Reform der staatlichen Verwaltung Konteradmiral Freddy Numberi (TNI)
Soziales Anak Agung Gde Agung (PDI-P)
Generalstaatsanwalt Marzuki Darusman (Golkar)
TNI-Kommandeur Admiral Widodo A.S. (TNI)
Staatssekretariat Ali Rahman* (PKB)
* Wiranto wurde am 13. Februar suspendiert. Seine Amtsgeschäfte übernahm Innenminister Suryadi.
Hamzah Haz trat am 26. November zurück und wurde durch Basri Hasanuddin, einen Hochschulrektor,
ersetzt. Ali Rahman beendete seine Tätigkeit am 13. Februar. An seine Stelle trat Bondan Gunawan.
** Beide wurden am 26. April entlassen. Zu ihren Nachfolgern wurden Rozy Munir (für Laksamana) und
Luhut Binsar Panjaitan (für Yusuf Kalla).
Quelle: www.thejakartapost.com:8890/cabinet.htm, gelesen am 3.12.1999.

536 Die Regierung Wahid
Zu den Reformern zählte man u.a. Laksamana, Kwik Kian Gie, Marzuki Darusman,
der bei Golkar schon Anfang der 90er Jahre und danach bei KomnasHAM als progressiver
Menschenrechtsanwalt aufgefallen war, und Erna Witular, die Ehefrau des
ehemaligen Golkar-Generalsekretärs und Golkar-Reformers Rahmat Witular. Erna
Witular war zuvor bei der Umweltschutzorganisation Walhi und bei der Verbraucherschutzorganisation
LKI in leitenden Funktionen tätig gewesen. Außerdem wurden
die beiden Politologen Ryaas Rasyid und Muhammad Hikam (beide hatten an
der University of Hawaii promoviert) und der neue Umweltminister Soni Keraaf zu
den Reformern gerechnet.
Wahid löste das Sozial- und das Informationsministerium, das allein 55.000 Beschäftigte
hatte und in der Neuen Ordnung u.a. für die Kontrolle der Presse verantwortlich
gewesen war, auf. Neue Akzente setzte er mit der Schaffung von Ministerien
für Menschenrechtsangelegenheiten, für regionale Autonomie und für Meereserforschung.
Bedeutsam war auch die Ernennung von Yuwono Sudarsono zum Verteidigungsminister.
Yuwono, ein Politologieprofessor der Universitas Indonesia
(Jakarta), war der erste Zivilist in diesem Amt.
31 der 35 Ministerposten wurden neu besetzt. Anders als unter Habibie war somit
ein personeller Neuanfang gemacht. Allerdings stellten die Größe des Kabinetts und
der Einschluss aller großen Parteien von vornherein eine Belastung dar. Skeptiker
trauten daher der neuen Regierung eine Bewältigung der enormen Aufgabenlast
nicht zu. Zu diesen Aufgaben zählten im Einzelnen:
- Es musste ein schlagkräftiges Team von Wirtschaftsexperten zusammengestellt
werden. Dieses Team sollte ein konsistentes Konzept zur Umstrukturierung des
Banken- und Unternehmenssektors ausarbeiten und den Staatshaushalt sanieren.
- Die Regierung Wahid musste eine überzeugende Lösung für die Neugestaltung der
Beziehungen zwischen der Zentralregierung und den Provinzen bzw. Städten und
Distrikten finden. Dabei ging es vor allem auch um Verhandlungen mit sezessionistischen
Bewegungen in Aceh und Papua und mit Provinzen, die sich - wie etwa Riau
- von Jakarta ausgebeutet fühlten.
- In Ost-Timor und in den west-timoresischen Flüchtlingslagern war die Lage weiter
angespannt. Indonesien war zwar nach dem Referendum und der Einrichtung der
UN-Übergangsverwaltung nicht mehr für Ost-Timor verantwortlich, hatte aber dafür
zu sorgen, dass die immer noch präsenten Milizen unter Kontrolle gebracht wurden.
- Auch die Lage in verschiedenen Gebieten der Molukken musste grundlegend verbessert
werden. Kämpfe in den Molukken konnten von interessierten Gruppen in
Jakarta benutzt werden, um den politischen Gegner zu diffamieren oder ihn durch
Massenproteste unter Druck zu setzen.
- Wahid setzte sich das Ziel, die Militärs schrittweise zu entmachten. Er hatte dabei
darauf zu achten, dass die reaktionären Faktionen im Militär nicht durch überstürzte
Reformen zu weiteren Gewaltakten animiert wurden.
- Die Regierung Habibie hatte es versäumt, die in der Neuen Ordnung begangenen
Verbrechen zu untersuchen und die Schuldigen zu verurteilen. Ein großer Teil der
Bevölkerung erwartete von Wahid eine schonungslose Aufklärung der Verbrechen.

Die neue Außenpolitik 537
- Die neue Regierung hatte schließlich die Aufgabe, einen Kompromiss zwischen
den moderaten Muslimen (und den ihnen i.d.R. nahe stehenden Angehörigen nichtmuslimischer
Religionsgemeinschaften) und den Anhängern eines politisch interpretierten
Islam zu finden.
Außerdem musste sie der eigenen Bevölkerung und den ausländischen Kreditgebern
und Investoren beweisen, dass sie fähig war, die politische und wirtschaftliche Lage
Indonesiens mittelfristig wesentlich zu verbessern. Der Präsident räumte deshalb
von Beginn an der Außenpolitik eine Schlüsselstellung ein.
Die neue Außenpolitik und der Umgang mit sezessionistischen
Bewegungen
Bereits im Oktober 1999 bereiste Wahid acht ASEAN-Länder. Nach Singapur fuhr
er, um seine prochinesische Haltung zu verdeutlichen und um sich an Ort und Stelle
für eine Rückführung des sinoindonesischen Fluchtkapitals einzusetzen. Während
der Asienkrise, vor allem im Anschluss an die antichinesischen Ausschreitungen im
Mai 1998, sollen 80 Mrd. US$ nach Singapur transferiert worden sein. Auch der
Besuch in Peking am 1. Dezember war als Zeichen der Versöhnung mit der
sinoindonesischen Minderheit gedacht. Während seines Besuches erklärte Wahid,
Gesetze und Verordnungen, die die ethnischen Chinesen diskriminierten, aufheben
zu wollen. Und einige Wochen später - Anfang Februar 2000 - konnten die
Sinoindonesier zum ersten Mal seit Jahrzehnten das Neujahrsfest feiern.
Als besonders heikel erwies sich in den ersten Monaten das Verhältnis zu Israel
bzw. zu Australien. Wahids Versuch, diplomatische Beziehungen mit Israel zu
knüpfen, scheiterte am innenpolitischen Widerstand. Das Verhältnis zu Australien
war stark belastet, weil die Mehrheit der Indonesier die Haltung Australiens in der
Ost-Timorfrage als arroganten Neokolonialismus betrachtete. Seit etwa Mitte des
Jahres 2000 verschlechterten sich auch die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten.
Mehrfach tat sich Verteidigungsminister Mahfud MD mit aggressiven antiamerikanischen
Äußerungen hervor. Vor allem der nicht immer diplomatisch auftretende
amerikanische Botschafter in Jakarta, Richard Gelbard, war der Kritik ausgesetzt.
Man warf ihm u.a. vor, auf die Besetzung der militärischen Spitzenpositionen Einfluss
nehmen zu wollen. Die Amerikaner schlossen auf dem Höhepunkt der Krise
eine Zeit lang ihre Botschaft und rieten ihren Landsleuten von einem Indonesienaufenthalt
ab, da muslimische Fundamentalisten etwa in Solo (Mitteljava) Hotels nach
amerikanischen Touristen absuchten.
Dieser Islamismus stellte schon seit spätestens Anfang des Jahres 2000 einen wichtigen
Faktor in der indonesischen Politik dar. Schon im Januar kündigten Abgeordnete
der PBB an, einen Misstrauensantrag gegen Wahid wegen seiner angeblichen
Untätigkeit bei der Lösung des Ambon-Konfliktes und wegen seines - ihrer Meinung
nach - selbstherrlichen Regierungsstils stellen zu wollen. Eine Großdemonstration
am 7. Januar 2000 machte noch einmal deutlich, wie sehr die Polarisierung
zwischen Islamisten und Pancasila-Säkularisten bereits fortgeschritten war. An diesem
Tag versammelten sich Zehntausende auf dem Gelände um das Nationalmonu-

538 Die Regierung Wahid
ment (Monas) in Zentraljakarta. Die Demonstration wurde von der Front der Islamverteidiger
(Front Pembela Islam, FPI) angeführt. Die Sprecher kritisierten die Untätigkeit
der Regierung, insbesondere von Wahid und der für die Lösung des Konfliktes
zuständigen Vizepräsidentin Megawati, die als prochristlich galt. An dieser Demonstration
nahmen sowohl gewaltbereite Muslime als auch Politiker wie Amien
Rais und Ahmad Sumargono (PBB) teil. Amien Rais distanzierte sich nicht von den
offen zum Dschihad aufrufenden Muslimen. Er verwendete den Dschihad-Begriff
bewusst in seiner Mehrdeutigkeit.
Die fundamentalistische und gewaltbereite FPI machte in den folgenden Wochen
durch spektakuläre Aktionen, zu denen sie sich i.d.R. nicht offen bekannte, auf sich
aufmerksam. So wurde ihnen ein Brandanschlag auf ein christliches Drogenrehabilitationszentrum
in Jakarta sowie Überfälle auf Vergnügungsstätten angelastet. In den
Molukken waren mehrere Tausend Laskar Jihad ("Dschihad-Krieger") sehr wahrscheinlich
an Massakern beteiligt. Ein Ausbildungslager der Laskar Jihad in der
Nähe von Bogor wurde erst Mitte April geschlossen.
Die Front, die mehrere Zehntausend Mitglieder in militärisch organisierten Gruppen
haben soll, wird auch für zahlreiche Überfälle auf Bars und Diskotheken verantwortlich
gemacht. Und als im Oktober 2000, also während der neuerlich ausgebrochenen
Straßenkämpfe zwischen Israelis und Palästinensern, eine internationale Konferenz
von Parlamentariern in Jakarta stattfand, drohte die Front der Verteidiger des Islam
damit, die Mitglieder der israelischen Delegation umzubringen. Der FPI-Anführer
Riza Pahlevi kündigte sogar an, die Hotels in Jakarta absuchen zu lassen. Daraufhin
mussten die israelischen Delegierten ihren Besuch absagen. Viele muslimische Parlamentarier
distanzieren sich zwar vom Terror der FPI, sind aber nicht bereit, die
Front in toto zu verurteilen.
Aufgrund der besonderen innenpolitischen Lage war die Regierung gezwungen, die
Nationalisten und Islamisten zufrieden zu stellen und eine Internationalisierung der
regionalen Konflikte (Aceh, Papua, Molukken) zu verhindern. Eine Einbeziehung
internationaler Organisationen oder gar internationaler Streitkräfte hätte unweigerlich
den innenpolitischen Widerstand der Nationalisten, die die Ehre ihres Vaterlandes
beschmutzt gesehen hätten, und der Militärs, deren Unfähigkeit der Weltöffentlichkeit
vor Augen geführt worden wäre und die die Einrichtung internationaler
Tribunale fürchteten, zur Folge gehabt. Abdurrahman Wahid musste also darauf
achten, seinen Gegnern keine Angriffsfläche zu bieten. Wahrscheinlich lassen sich
so einige seiner außenpolitischen Manöver erklären. Seine Annäherung an die
"Schurkenstaaten" Irak und Libyen 1 könnte ein Schachzug gewesen sein, um die
Islamisten zu beruhigen.
Insgesamt war die Außenpolitik Abdurrahman Wahids unberechenbar und chaotisch.
Alwi Shihab schien in erster Linie damit beschäftigt zu sein, missverständliche
oder beleidigende Äußerungen seines Chefs zu korrigieren. So kritisierte Wahid
1 Xinhua News Agency 20.7.2000.

Die neue Außenpolitik 539
Ende November Singapur und seine Bewohner. 2 Er nannte sie arrogant und meinte,
sie verachteten Malaien. Singapur würde auf die südlichen Nachbarn nur Rücksicht
nehmen, wenn Profite erzielt werden könnten. Seine wenig fundierten Attacken
richteten sich insbesondere gegen Lee Kuan Yew. 3
Die verbalen Angriffe deuteten auf eine veränderte Haltung zur ASEAN. Dieser
Eindruck bestätigte sich durch den Vorschlag Wahids, ein Westpazifikforum zu
bilden. Zu diesem Forum sollten Ost-Timor, Papua-Neuguinea, Australien, Neuseeland,
die Philippinen und Indonesien gehören. 4 Welchen Zweck Wahid mit diesem
Vorschlag verfolgte, blieb unklar. Er hatte bereits zuvor seine Bereitschaft signalisiert,
die indonesische Außenpolitik stärker nach Indien und China zu orientieren. 5
Den Tiefpunkt erreichte die indonesische Außenpolitik im Jahr 2000 mit dem Vorfall
im west-timoresischen Atambua. Drei Mitarbeiter des UNHCR, ein Amerikaner
(oder, nach anderen Quellen, ein Puerto Ricaner), ein Kroate und ein Äthiopier,
wurden am 6. September 2000 von Milizen niedergemetzelt. 6 Einiges spricht dafür,
dass schwer bestimmbare reaktionäre Kräfte, eventuell um Suharto, Prabowo und
Wiranto, die Morde angeordnet hatten, um die innenpolitische Lage zu destabilisieren
und um die Regierung vor den Augen der Weltöffentlichkeit bloßzustellen. 7
Dafür spricht, dass Wahid sich zur selben Zeit anlässlich der Eröffnung des Millennium-Gipfels
in New York befand und dort von Kofi Annan u.a. nach Bekanntwerden
der Vorfälle in Atambua kritisiert wurde. Kurz danach verabschiedete der Sicherheitsrat
der UN sogar eine Resolution, in der die sofortige Entwaffnung der
Milizen gefordert wurde. Der Regierung und der Militärführung wurde der Vorwurf
gemacht, sich nicht genügend für die Sicherheit in den west-timoresischen Flücht-
2
Jakarta Post 29.11. und 9.12.2000; South China Morning Post 3.12.2000; Wall Street Journal
1.12.2000.
3
Vgl. SOAa 1/2001, Ü5 und Ü6.
4
South China Morning Post 9.12.2000; NZZ 11.12.2000. In verschiedenen Quellen werden
die Philippinen nicht genannt.
5
Vgl. zum Folgenden: Rüland 2000; Smith 2000; Kompas 27.4.2000. Vgl. Suara Pembaruan
9.4.2000: Dort ist von der Schaffung einer asiatischen Achse (poros Asia) zwischen Indonesien,
Indien und China die Rede. Die "Asia first"-Politik ließ sich gut vereinbaren mit der
relativ neuen Zusammenarbeit der ASEAN mit Japan, Korea und der VR China, die als
ASEAN+3 bekannt ist. Nach der Asienkrise hatte Indonesien seine starke Stellung in der
ASEAN eingebüßt. Die ASEAN selbst musste wegen der wirtschaftlichen Krise, aber auch
wegen ihrer Untätigkeit etwa in der Ost-Timorfrage einen Bedeutungsverlust hinnehmen.
Siehe zu neueren Entwicklungen: SOAa 4/00, Ü7 und Ü8; SOAa 5/00, Ü3.
6
Vgl. auch J. Meier: "Versagen der indonesischen Regierung in West-Timor"; in: Indonesien
Information Nr.3, S.33-39; Tempo 12.9.2000.
7
Am 1. September wurden von der Generalstaatsanwaltschaft 19 Verdächtige im Zusammenhang
mit Menschenrechtsverletzungen in Ost-Timor genannt. Unter diesen Verdächtigen
befanden sich mehrere Generäle, aber keiner der bekannten hohen Generäle wie Prabowo
oder Zacky Anwar Makarim. Westliche Agenten sollen Prabowo bis Ende August dreimal in
Kupang gesehen haben (FEER 21.9.2000). Dort soll er auch Eurico Guterres getroffen haben.
Guterres, eine der berüchtigsten Anführer so genannter Milizen, wurde Anfang Oktober festgenommen.
Allerdings warf man ihm lediglich vor, die Entwaffnung der Milizen behindert zu
haben (siehe auch: FAZ, 24.10.2000).

540 Die Regierung Wahid
lingslagern einzusetzen und die Milizen gewähren zu lassen. Auch in diesem Fall
waren dem Präsidenten allerdings die Hände gebunden, denn die zuständigen Militärs
arbeiteten z.T. selbst mit den Milizen zusammen.
Auch bei dem Konflikt in den Molukken befand sich die Regierung Wahid in einem
Dilemma: Sie musste Streitkräfte einsetzen, die für den Ausbruch und die Eskalation
der Kämpfe mitverantwortlich waren. Darüber hinaus gab es keine Anzeichen dafür,
dass die unregelmäßig wieder aufflammenden Kämpfe unter Kontrolle gebracht
worden waren. Die Erklärung des Ausnahmezustandes in den Molukken am 27. Juni
2000, die den Behörden das Recht gab, bestimmte Grundrechte einzuschränken,
sowie die Entsendung weiterer Truppenverbände hatten wenig an der Krisensituation
ändern können. Der Einfall der Laskar Jihad ("Dschihad-Krieger"), der aus
unerklärlichen Gründen nicht von den Sicherheitskräften unterbunden werden konnte,
dürfte die Lage verschlechtert haben.
Besonders beunruhigend an dem Konflikt in den Molukken ist die Parteinahme von
Teilen der Sicherheitskräfte, sind die irrationalen Wurzeln des in religiösen Begriffen
definierten Kampfes und ist die Tatsache, dass er sich auf die Nachbarinseln
ausweiten könnte. Erste Anzeichen dafür waren die im April/Mai 2000 in Poso (Sulawesi)
ausgebrochenen Kämpfe, bei denen mehr als 300 Menschen getötet wurden.
60.000 befanden sich nach dem 23. Mai, dem Höhepunkt der Metzeleien, auf der
Flucht. Die Regierung und die Militärführung stehen solchen Ereignissen hilflos
gegenüber. Wahids einzig erkennbare Initiative war eine Fahrt in das Krisengebiet,
wo er am 22. August einer Versöhnungszeremonie der verfeindeten Gruppen beiwohnte.
Anders als bei den Kämpfen in den Molukken geht es in vielen Regionen Indonesiens
um die Unabhängigkeit von der Zentralregierung. Im November 1999 verabschiedete
das Parlament von Ostkalimantan eine Resolution, in der die Schaffung
eines indonesischen Föderalstaates gefordert wurde. In Riau sprach sich am 1. Februar
2000 ein Volkskongress für die Unabhängigkeit aus. Die für die nationalstaatliche
Integrität Indonesiens gefährlichsten sezessionistischen Bewegungen befanden
sich aber in Aceh und in West-Papua.
Die Regierung Wahid zeigte sich gegenüber den Papua entgegenkommend, auch
wenn die Unabhängigkeit der sehr rohstoffreichen Provinz für sie zu keiner Zeit in
Betracht kam. Zunächst entschuldigte sich der Präsident für die Verbrechen, die
unter der Ägide des Suharto-Regimes begangen worden waren. Er führte den Namen
"Papua" ein, und er erlaubte das Hissen der Morgensternflagge. Wahid hatte ursprünglich
sogar vor, einen von der Regierung finanziell unterstützten Kongress zu
eröffnen, musste aber nach innenpolitischem Widerstand Abstand von diesem Plan
nehmen. 8
Ende Mai/Anfang Juni fand dieser Kongress statt. Die Regierung vermutete wahrscheinlich,
dass mit seiner Durchführung die papuanationalistischen Gefühle durch
die Vermittlung besonnener Eliten gedämpft werden könnten. Tatsächlich aber gab
8 Zu Papua: Gamma 7.-13.6.2000.

Die neue Außenpolitik 541
diese Zusammenkunft mit mindestens 3.000 Teilnehmern der sezessionistischen
Bewegung immensen Auftrieb. Die Teilnehmer des aus der Sicht der Einheimischen
außerordentlich erfolgreich verlaufenden Kongresses wählten einen Papuarat und
ein Präsidium, das die Sache der Papua auf internationalem Parkett vertreten sollte.
Aus der Sicht der Regierung war die Bewegung in Papua (in Jakarta jetzt wieder
offiziell: Irian Jaya) aus dem Ruder gelaufen. Inzwischen scheint sich eine Mehrheit
der Papua offen für die Unabhängigkeit einzusetzen; es wurden sogar so genannte
Satgas Papua, Papuamilizen, aufgestellt, die Polizeifunktionen übernehmen. Deshalb
änderte die Regierung nach und nach ihre Strategie im Umgang mit den sezessionistischen
Bewegungen. Sie meinte erkannt zu haben, dass ein liberales Gewährenlassen
der Unabhängigkeitsbewegungen diese nur stärke. Selbst das Flaggenhissen
wurde nun nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt oder gar ganz unterbunden. 9
So kam es Anfang Oktober 2000 zu Unruhen in Wamena, bei denen mindestens 30
Menschen starben. 10 Die Ausschreitungen waren durch Polizisten ausgelöst worden,
die versucht hatten, eine Morgensternflagge, das Symbol der Unabhängigkeitsbewegung,
niederzureißen. Offensichtlich hatten die Sicherheitskräfte die Weisung erhalten,
rigoros durchzugreifen. Am 19. Oktober bekräftigte der neue Verteidigungsminister
Mahfud noch einmal den harten Kurs gegen Sezessionisten. Der Höhepunkt
dieser rigiden Politik wurde im Dezember erreicht, als mehrere Mitglieder des 31köpfigen
Präsidiums festgenommen wurden. 11
Auch gegenüber Aceh wechselte die Regierung mehrfach ihre Vorgehensweise.
Abdurrahman Wahid erklärte schon kurz nach der Amtsübernahme die Regelung
des Aceh-Problems zu einer seiner wichtigsten Aufgaben. Bei einer Pressekonferenz
am 4. November meinte er sogar, dass er sich ein Referendum in Aceh vorstellen
könne. Wenn eine solche Abstimmung in Ost-Timor möglich sei, müsse sie auch in
Aceh durchführbar sein. Am 8. November demonstrierten mehrere Hunderttausend,
vielleicht sogar über eine Million Menschen in Banda Aceh, der Provinzhauptstadt
Acehs, für die Abhaltung eines Unabhängigkeitsreferendums. Eine Deklaration für
ein solches Referendum wurde vom Provinzparlament und vom Vizegouverneur
Acehs unterschrieben. Wahid distanzierte sich später von seinem Versprechen und
meinte, dass ein Referendum lediglich über den Grad der Autonomie, aber nicht
über die Unabhängigkeit abgehalten werden könne.
Die anders als in Ost-Timor sehr heterogene sezessionistische Bewegung in Aceh
bestand aus der GAM, den ulama, Studentengruppen und der SIRA. Die Regierung
konnte kaum einschätzen, welche Gruppierungen den größten Einfluss in der Bevölkerung
hatten, und erst recht nicht, wie wahrscheinlich die Errichtung eines unabhängigen
Aceh war. 12
9
Xinhua News Agency 14.10.2000.
10
S. Zöllner: "West-Papua - Bühne für ein Schattenspiel?"; in: Indonesien Information, Nr.3,
45-48; NZZ 1.12.2000; South China Morning Post 10.10.2000.
11
Wall Street Journal 5.12.2000; NZZ 4.12.2000.
12
Vgl. Flor, A. (2000): "Freiheit bedeutet ein normales Leben führen zu können"; in: Indonesien
Information, Nr. 1/2, S.44-50.

542 Die Regierung Wahid
Durch die immer wieder aufflammenden, verlustreichen Gefechte zwischen Guerilleros
und TNI-Truppen und durch die Tatsache, dass Zehntausende in Flüchtlingslagern
leben mussten, wurden beide Seiten veranlasst, sich zu Verhandlungen an
einem neutralen Ort zu treffen. Am 12. Mai einigten sich in Genf Vertreter der Regierung
sowie der von Hasan di Tiro geführten Fraktion der GAM auf einen Waffenstillstand.
Die Regierung war bestrebt, die GAM nicht offiziell anzuerkennen,
deswegen war lediglich von einer "jeda kemanusiaan", also einer "humanitären
Pause" die Rede. Zwar wurde der Waffenstillstand im September 2000 verlängert,
aber die Tatsache, dass bei Kämpfen und Terroranschlägen in der zweiten Jahreshälfte
etwa 400 Menschen umkamen, zeigt, wie wenig die Bestimmungen eingehalten
wurden.
Wohl auch deshalb war die Regierung immer weniger zu Kompromissen bereit. Am
11. und 14. November versuchten Sicherheitskräfte, Großveranstaltungen, die im
Zeichen der Unabhängigkeit standen und an denen bis zu 400.000 Menschen teilnahmen,
gewaltsam zu verhindern. 13 Ein paar Tage später ließ die Regierung den
SIRA-Vorsitzenden Muhammad Nazar verhaften. Und am 22. November stellte sie
der Unabhängigkeitsbewegung ein Ultimatum: Wenn sie, die Sezessionisten, nicht
mit ihrem Treiben aufhörten, müsste die Regierung den Ausnahmezustand (civilian
emergency) erklären. 14
In Jakarta verfolgte man mehr oder weniger bewusst eine Doppelstrategie. Man
versuchte einerseits die Sezessionisten auszuschalten, andererseits die moderaten
Kräfte, die sich mit einer Sonderautonomie zufrieden geben, auf die Seite der Zentralregierung
zu ziehen. Im Sinne dieser Moderierungsstrategie besuchte Wahid
Mitte Dezember Banda Aceh, die Provinzhauptstadt. 15 Mehr als 5.000 Soldaten und
Polizisten wurden zum Schutz des Präsidenten, der eine kugelsichere Weste tragen
musste, eingesetzt. Viele Zufahrtsstraßen wurden aus Sicherheitsgründen gesperrt.
Zuvor hatte es mehrere Morddrohungen gegeben. Wahid kam, um Aceh größere
Autonomierechte zu versprechen. In einer Erklärung wurde außerdem islamisches
Recht in der Provinz eingeführt. Allerdings handelt es sich um eine moderate Scharia-Form,
bei der auf die Anwendung der berüchtigten Amputationsstrafen verzichtet
wird. Wahid machte deutlich, dass die Verhandlungen fortgesetzt werden müssten,
dass aber die staatliche Unabhängigkeit Acehs von Indonesien nicht anerkannt
würde. Schließlich wurde im Januar der Waffenstillstand noch einmal verlängert.
Die häufig nicht nachvollziehbaren außenpolitischen Vorstöße des Präsidenten, aber
auch sein unberechenbarer Kurs im Umgang mit den Unabhängigkeitsbewegungen
riefen von Anfang an seine Kritiker auf den Plan. Die Stimmung kippte erst nach
den unbegründeten Entlassungen zweier Minister und der Aufdeckung undurchsichtiger
Finanztransaktionen um.
13 South China Morning Post 10.11. und 16.11.2000.
14 Xinhua News Agency 23.11.2000.
15 Wall Street Journal 20.12.2000; International Herald Tribune 19.12.2000.

Kabinettsumbesetzung 543
Kabinettsumbesetzung, Interpellation und Impeachment-
Androhungen
Schon seit Wochen gab es Gerüchte über eine Kabinettsumbildung. Am 17. Februar
gab Wahid bekannt, dass er keine solche Umbesetzung beabsichtige. Trotzdem entließ
er am 24. April überraschend den Staatsminister für Investitionen und Staatsbetriebe
Laksamana Sukardi von der PDI-P sowie den Handels- und Industrieminister
Yusuf Kalla von der Partai Golkar. 16 Er ersetzte sie durch Rozy Munir, der vorher
Staatssekretär unter Laksamana gewesen war, bzw. Generalleutnant Luhut Binsar
Panjaitan, der zuvor als Botschafter in Singapur fungiert hatte. Diese Entlassungen
führten zu vehementen Attacken gegen den Präsidenten und erwiesen sich als weitere
schwere Belastungsprobe für das "Regenbogenkabinett".
Wahid beschuldigte die entlassenen Minister in einem Treffen mit Parteiführern der
Korruption, konnte aber keine Beweise vorbringen. Vor allem der ausgewiesene
Wirtschaftsexperte Laksamana Sukardi galt als unbestechlich. Der KKN-Vorwurf
wurde deshalb bald gegen den Präsidenten selbst gerichtet, denn er hatte Laksamana
durch den stellvertretenden NU-Vorsitzenden Rozy Munir ersetzt. Damit hatte er
einen engen Vertrauten in eine Schlüsselposition gebracht und die Position der PDI-
P im "Regenbogenkabinett" geschwächt. Da er sich nicht mit der Vizepräsidentin
abgestimmt hatte (sie hätte der Entlassung Laksamanas mit Sicherheit nicht zugestimmt)
und weil er keine nachvollziehbaren Gründe für die Entlassung angeben
konnte, stieß er auf den erbitterten Widerstand der meisten Parlamentarier. Einige
Beobachter waren der Meinung, dass Laksamana gefeuert wurde, weil er nicht die
Wahid genehmen Personen zu Direktoren der Staatsbetriebe Indosat und Telkom
ernannt hatte und weil er sich nicht zurückgehalten hatte im Umgang mit dem
Eigentümer des Textilienherstellers Texmaco, Marimutu Sinivasan, der wiederum in
enger Beziehung zum und angeblich unter dem Schutz des Präsidenten stand. 17
Im Mai wurde bekannt, dass Sapuan, der stellvertretende Direktor der staatlichen
Logistikbehörde Bulog, 35 Mrd. Rp., die aus einem Wohltätigkeitsfonds der Behörde
stammten, an Suwondo, den Masseur von A. Wahid, weitergeleitet hatte. Sapuan
rechnete offenbar damit, dafür mit dem Bulog-Direktorenposten belohnt zu werden.
Suwondo behauptete, im Auftrag des Präsidenten zu handeln. Dieser wiederum stritt
ab, von den Transaktionen gewusst zu haben. Kritiker vermuteten, dass Wahid das
Geld zur Finanzierung einer neuen Fluggesellschaft, Awair (Air Wagon Airlines), an
der auch Suwondo beteiligt ist, verwendet haben könnte. Wahid hatte Awair im
September 1999 gegründet. 18
16 Dazu: Gatra 29.4. und 6.5.2000; Tempo 7.5.2000.
17 FEER 11.5.2000. Im Mai wies er seine für wirtschaftliche Fragen zuständigen Minister an,
Texmaco zu schützen, damit das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit fortsetzen könne.
Schon damals, mehr noch aber seit dem Oktober, wurde der Vorwurf der kolusi, also der nicht
immer legalen Zusammenarbeit zwischen Wahid und Marimutu Sinivasan, erhoben.
18 Am 29. Mai trat der Leiter des Staatssekretariat, Bondan Gunawan, von seinem Amt zurück.
Ihm wurde eine Beteiligung an den illegalen Transaktionen unterstellt. Erst im Oktober
wurde Suwondo, nach fünfmonatiger Suche, festgenommen. Er räumte ein, einen Scheck über
30 Mrd. Rp. von Sapuan erhalten zu haben.

544 Die Regierung Wahid
Neben diesem als "Buloggate" berühmt gewordenen Skandal sorgte der "Bruneigate"-Fall
für Schlagzeilen. Wahid hatte 2 Mio. US$ vom Sultan von Brunei erhalten
und das Geld - nach eigenen Angaben - für humanitäre Zwecke in Aceh und Papua
eingesetzt. Diese Art der Sozialpolitik am Staatshaushalt vorbei erinnerte stark an
vergangen geglaubte Praktiken. Und tatsächlich wurde behauptet, das Geld sei niemals
in Aceh angekommen. Das jedenfalls gab der Gouverneur von Aceh, Ramli
Ridwan, zu verstehen.
Wahid schien nicht nur sehr nachlässig im Umgang mit öffentlichen Geldern zu
sein, sondern auch sehr großzügig bei der Vermittlung von Aufträgen und Jobs für
Familienmitglieder und gute Freunde. 19 So soll er seinem Bruder, Wahid Hasyim,
eine gut dotierte Stellung bei der Indonesian Bank Restructuring Agency, IBRA,
verschafft haben. Wahid Hasyim musste sich nach öffentlicher Kritik aus seinem
Amt zurückziehen. Ein jüngerer Bruder A. Wahids, Salahuddin Wahid, bekam den
Auftrag einer Staatsfirma zum Aufbau eines Industrieparks in Westjava. Und man
vermutet, dass das Projekt, ein "nationales Auto" zu bauen, von Tomy Winata fortgeführt
werden könnte, der wiederum ein enger Freund von Wahid Hasyim ist.
All diese undurchschaubaren Geschäfte und nepotistischen Gefälligkeiten riefen den
Widerstand fast sämtlicher Parlamentsfraktionen hervor. Vor allem diejenigen Kräfte,
die A. Wahid stürzen wollen, sahen in "Buloggate" und "Bruneigate" willkommene
Anlässe, um den Präsidenten zu stürzen.
Zunächst musste dieser sich im Zusammenhang mit den Fällen Laksamana Sukardi
und Yusuf Kalla dem Parlament stellen. 20 332 der 500 Parlamentarier stimmten für
eine Interpellation, also dafür, den Präsidenten vor das Hohe Haus zu zitieren, um
ihn zu den Vorkommnissen zu befragen. Die TNI/Polizei-Fraktion verhielt sich -
wie in vielen anderen Abstimmungen auch - neutral, d.h., die Fraktionsmitglieder
enthielten sich der Stimme. Am 20. Juli erschien Wahid im DPR und ließ vom Leiter
des Staatssekretariats, Johan Effendi, eine Rede verlesen, in der er die Befragung
durch das Parlament als nicht verfassungskonform bezeichnete. 21 Die Befragung
kollidiere u.a. deshalb mit gesetzlichen Regelungen, weil sie sich auf seine vertraulichen
Mitteilungen stütze. Seine Äußerungen führten zu wütenden Protesten vieler
Abgeordneter. Daraufhin erhielt am 21. Juli der DPR-Vorsitzende, Akbar Tanjung,
eine schriftliche Erklärung Wahids, in der dieser sich für die Auswirkungen der
Entlassungen (nicht für die Entlassungen selbst) entschuldigte und seine Bereitschaft
signalisierte, weitere Fragen in einem vertraulichen Gespräch zu beantworten. 22 Die
meisten Fraktionen nahmen die Entschuldigung Wahids an, verlangten aber weiterhin
eine Erklärung für die Entlassungen.
19
Damit nicht genug, füllten die Gazetten wochenlang Meldungen über eine angebliche,
mehrere Jahre zurückliegende Affäre des Präsidenten mit Aryanti Boru Sitepu, einer Mutter
zweier Kinder.
20
Tempo 30.7.2000.
21
Megawati weigerte sich, diese Rede zu verlesen. Dies tat sie ein zweites Mal bei der MPR-
Sitzung im August.
22
Kompas 22.7.2000.

Die Beschlüsse der MPR-Sitzung 545
Trotz des Entgegenkommens Wahids hielten sich in den folgenden Tagen Impeachment-Gerüchte.
23 Erst nach Unterzeichnung des so genannten Yogyakarta-Dokumentes
vom 1. August konnte sich Wahid sicherer fühlen. Darin erklärten der Präsident,
die Vizepräsidentin, der DPR-Vorsitzende Akbar Tanjung sowie der MPR-
Vorsitzende Amien Rais, dass zunehmende Spannungen innerhalb der politischen
Elite nicht dem Wohle des Volkes dienten. 24 Kurz danach einigten sich alle Parlamentsfraktionen
darauf, auf die Einleitung eines Impeachment-Verfahrens zu verzichten
und aus der Jahressitzung des MPR keine Sondersitzung zu machen.
Die Beschlüsse der MPR-Sitzung vom 7.-18. August
2000
Abdurrahman Wahid entschuldigte sich in einer versöhnlichen Rede für die Schwächen
und Fehler seiner Regierung. Allerdings gab er weiterhin keine Erklärung zu
den Ministerentlassungen ab. Mit der Ankündigung, seine Vollmachten künftig
stärker mit der Vizepräsidentin teilen und ein neues Kabinett zusammenstellen zu
wollen, konnte er seine eigene Partei, die PKB, die PDI-P und einige kleinere Parteien
vorerst zufrieden stellen. Die Parteien der "Mittelachse", also die lose Allianz
einiger muslimischer Parteien, sowie Golkar zeigten sich aber enttäuscht. Und tatsächlich
hatte Wahid keine substanziellen Änderungen angekündigt. Schon zwei
Tage nach seiner Rede sprach er davon, nicht Rechte, sondern Pflichten an
Megawati abgeben zu wollen. Außerdem sollte sie sich mit zwei noch zu benennenden
Koordinierungsministern absprechen. 25
Die wesentliche Funktion der MPR-Sitzung war neben der Bewertung der Regierungsarbeit
die Fortsetzung der Verfassungsreform. Die indonesische Verfassung
von 1945 (Undang-undang Dasar oder UUD 45) ist ein Torso. Im Oktober 1999
beschloss deshalb der Volkskongress, jährliche MPR-Sitzungen einzuberufen, u.a.
um die Verfassung zu ergänzen und weitere Dekrete zu verabschieden.
Schon Ende des Jahres 1999 waren vom Arbeitsgremium (Badan Pekerja) des MPR
zwei Ad-hoc-Komitees (Panitia Ad Hoc I und II) eingerichtet worden, die die entsprechenden
Entwürfe ausarbeiten sollten. Die Komitees diskutierten mit einheimischen
und ausländischen Experten sowie mit Provinzvertretern über verschiedene
Reformvorschläge. Im Juli wurden die Abschlussberichte der Komitees dem MPR
übermittelt. Vom 11. bis 14. August wurden diese Berichte zur Grundlage der Verhandlungen
der jeweiligen MPR-Kommissionen. Am 18. August wurden bei der
MPR-Sitzung schließlich die folgenden Verfassungsergänzungen sowie MPR-
Dekrete verabschiedet: 26
23 Legowo/Budi 2000.
24 Bernas 2.8.2000.
25 Zur MPR-Sitzung: Tempo 13.8., 20.8. und 27.8.2000; Gatra 26.8.2000.
26 Siehe insbesondere: The National Democratic Institute for International Affairs 2000.

546 Die Regierung Wahid
- Rolle des Militärs und der Polizei
Das Dekret VII/2000 (MPR Decree VII/2000 on The Roles of TNI and POLRI) legt
fest, dass die TNI/Polri-Fraktion bis zum Jahre 2009 und nicht - wie bis dahin vorgesehen
- im Jahre 2004 im MPR mit einer noch festzulegenden Anzahl von Parlamentariern
vertreten sein wird.
Im Gegensatz zu dieser Bestimmung, die ein Ausdruck der wieder gestiegenen
Macht der Streitkräfte ist, werden im Kapitel XII der UUD 45 und in den Dekreten
VI (MPR Decree VI/2000 on The Separation of TNI and POLRI) und VII/2000 die
Aufgabenbereiche des Militärs und der Polizei definiert und voneinander abgegrenzt.
Das Militär ist seither nur noch für die Landesverteidigung, die Polizei für
die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung verantwortlich.
Im Kapitel XII ist das Volksverteidigungs- und Sicherheitssystem (sishankamrata =
sistem pertahanan keamanan rakyat semesta) festgeschrieben. Darin drückt sich die
Guerillatradition des indonesischen Militärs aus. Noch heute wird davon ausgegangen,
dass bei einem Angriff das gesamte Volk mit den Streitkräften zusammenarbeiten
muss, um den Feind abzuwehren. Diese Verteidigungsdoktrin ist insofern fraglich,
als sie der Aufrechterhaltung des Territorialprinzips und einer modifizierten
dwifungsi Vorschub leisten könnte.
- Nationale Einheit und Integrität
Kurioserweise ist diesem MPR-Dekret V/2000 (MPR Decree V/2000 on The Consolidation
of National Unity and Integrity) eine lange Abhandlung angefügt, in der
die geschichtlichen Hintergründe des indonesischen Nationalismus dargelegt, die
Ziele des Dekretes benannt und die gegenwärtigen Probleme identifiziert werden. In
dem Dekret, das eher als Grundsatzprogramm denn als konkrete Handlungsanweisung
verstanden werden muss, wird u.a. die Errichtung einer nationalen Wahrheitskommission
angekündigt.
- Regionale Autonomie
Das Dekret IV/2000 (MPR Decree IV/2000 on Policy Recommendations in
Implementing Regional Autonomy) befasst sich mit der Implementierung der regionalen
Autonomie, also mit der sehr wichtigen und ebenso schwierigen Dezentralisierung
der Verwaltung. Unter Habibie waren im Mai 1999 bereits die beiden Gesetze
über regionale Autonomie (Gesetz 22/1999 und Gesetz 25/1999) verabschiedet
worden. Mit dem neuen Dekret werden diese Gesetze im Wesentlichen bestätigt und
in einigen Punkten ergänzt. Ob Gouverneure, bupati und walikota direkt oder durch
die jeweiligen Parlamente gewählt werden, soll durch Gesetze festgelegt werden.
Bis zum Mai 2001 müssen für Aceh und Irian Jaya gesonderte Regelungen getroffen
werden. Für sämtliche Regionen gilt, dass sie eigene Verwaltungsverordnungen
erlassen können, sofern die Zentralregierung dies nicht bis zum 1.1.2001 getan hat.
- Die Verfassungsergänzungen
In der ursprünglichen Fassung der UUD 45 finden sich nur wenige Garantien bürgerlicher
und politischer Rechte. In dem Text ist sehr viel häufiger von den staatsbürgerlichen
Pflichten die Rede. Im neu angefügten Kapitel X-A sind nunmehr die

Die Beschlüsse der MPR-Sitzung 547
wichtigsten Bestimmungen aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
aufgenommen. 27
- Arbeit des MPR
Weiterhin wurden zwei Dekrete angenommen (Dekrete I/2000 und II/2000), in
denen die Arbeit des MPR definiert ist. Der MPR wird jedes Jahr zusammentreten
und den Tätigkeitsbericht des Präsidenten bewerten. Nur auf MPR-Sondersitzungen
darf der Präsident auf dem Wege des Impeachment abgewählt werden. Das DPR
kann eine MPR-Sondersitzung einberufen, wenn der Präsident gegen geltendes
Recht, die Verfassung oder gegen die Allgemeinen Richtlinien der Staatspolitik
verstoßen hat. Der MPR hat das Recht, die Verfassung zu ergänzen sowie Dekrete
und Resolutionen zu verabschieden. 28
Einige islamische Parteien forderten die Wiederaufnahme der Jakarta-Charta in die
Verfassung. Anhänger eines politisierten Islam bzw. einer islamisierten Politik streben
danach, die Sonderstellung des Islam zu institutionalisieren. Führende Vertreter
der PBB und der PPP betonten, dass ein solcher Zusatz nur natürlich sei, da etwa
90% der Indonesier Muslime seien. Außerdem unterstrichen sie, dass ihre Absichten
nicht sektiererisch seien, da gerade die Aufnahme der Jakarta-Charta eine jahrzehntelange
Debatte beenden und religiöse Konflikte entschärfen würde. Die größten
Fraktionen im Parlament lehnten den Vorschlag jedoch ab.
Die Ergebnisse der MPR-Sitzung sind trotz der genannten Verbesserungen enttäuschend,
da über viele der wichtigsten Reformvorschläge nicht beraten wurde.
Insbesondere über die zukünftige Rolle des DPA (eines weitgehend funktionslosen
Beratungsgremiums), die Schaffung eines Verfassungsgerichtes innerhalb des Obersten
Gerichtshofes, das Wahlrecht (eventuelle Direktwahl des Präsidenten und Vizepräsidenten)
und die Einrichtung einer zweiten Kammer (Dewan Perwakilan
Daerah), bestehend aus Vertretern der Regionen, wird man erst in den nächsten
MPR-Sitzungen entscheiden können. Die jetzt präzisierte UUD 45 lässt also viele
Fragen offen. Ein Verfassungsgericht existiert weiterhin nicht. Durch das Dekret
III/2000 (MPR Decree III/2000 on The Sources of Law and the Hierarchy of Laws
and Regulations) hat jetzt der MPR das Recht, Gesetze zu überprüfen. Da jedoch
500 der 695 MPR-Parlamentarier über Gesetze befinden, die sie selbst als DPR-
Mitglieder beschlossen haben, kann von einer Gewaltenteilung in diesem Fall nicht
gesprochen werden.
27 Zur Menschenrechtspolitik: Beittinger 2001.
28 Darüber hinaus ist im Dekret II/2000 eine genaue Hierarchie der Gesetze und Verordnungen
festgelegt. Das höchste Recht ist unmittelbar in der UUD 45 verankert. In der Hierarchie
folgen MPR-Dekrete (ketetapan), Gesetze (undang-undang), Regierungsverordnungen anstelle
von Gesetzen (peraturan pemerintah pengganti undang-undang = perpu), Regierungsverordnungen
(peraturan pemerintah), Präsidialdekrete für administrative Zwecke (keputusan
presiden = keppres) und Verordnungen der Gebietskörperschaften oder Regionen (peraturan
daerah = perda). Die perda werden von den Regionalparlamenten zusammen mit dem jeweiligen
Exekutivchef verabschiedet. Die perpu dürfen nur im Falle des Notstands und nur mit
Zustimmung des DPR erlassen werden.

548 Die Regierung Wahid
Eine weitere Neuerung betraf die Zusammenarbeit zwischen dem Präsidenten und
der Vizepräsidentin. Am 23. August unterzeichnete Wahid das Dekret 121, das
Megawatis Vollmachten erweitert. Sie darf an der Formulierung der Regierungspolitik
mitwirken, leitet die wöchentlichen Kabinettssitzungen, koordiniert die Zusammenarbeit
zwischen staatlichen Institutionen und soll z.T. die täglich anfallenden
Aufgaben des Präsidenten übernehmen. Sie hat aber bei der Besetzung der Ministerien
kein Mitspracherecht. Alles in allem ist das Dekret so vage formuliert, dass die
Machtbeschränkung des Präsidenten, die von den meisten Parlamentariern gefordert
worden war, minimal ist. Wahrscheinlich wäre eine weiter reichende Machtteilung
auch nicht möglich gewesen, da es sich dann um eine wesentliche Veränderung der
Verfassung gehandelt hätte. Schon am 10. August hatte Wahid eine solche Machtbeschränkung
als Verfassungsverstoß, gegen den er bis zum Letzten kämpfen würde,
bezeichnet. 29
Die Fortsetzung der wirtschaftlichen Neustrukturierung und
Konsolidierung
Das wirtschaftspolitische Programm der neuen Regierung unterschied sich nicht
grundsätzlich von dem ihrer Vorläuferin. Sie sah es als ihre dringlichste Aufgabe an,
durch good governance das Vertrauen der internationalen Kapitalgeber und der
Investoren zurückzugewinnen. 30 Tatsächlich war Indonesien immer noch extrem
abhängig vom IWF. Die neue Regierung sah sich weiterhin gezwungen, in so genannten
Letters of Intent (LOI) die künftige Wirtschaftspolitik zu skizzieren und
sich zu bestimmten, vom IWF angemahnten Reformen zu verpflichten. Der LOI
vom 20. Januar 2000 las sich wie das wirtschaftspolitische Programm der Regierung
Wahid. 31 Im Einzelnen wurden u.a. folgende Maßnahmen gefordert:
- die Rationalisierung des Steuersystems, d.h. die Bekämpfung der Steuerhinterziehung
und die Durchsetzung einer größeren Transparenz,
- die Weiterführung der Bankenreform, d.h. der Rekapitalisierung überlebensfähiger
und der Schließung maroder Banken,
- eine intensive Aufsicht der Staatsbanken, insbesondere eine Überprüfung der
Bank Indonesia; außerdem eine strenge Aufsicht des Kapitalmarktes,
- die entschlossene Eintreibung fauler Kredite über den Gerichtsweg,
- eine Rationalisierung der Verwaltung durch eine verbesserte Aufsicht, aber auch
durch eine Anpassung der Löhne an jene im privaten Sektor,
- eine verbesserte Implementierung des relativ neuen Insolvenzrechtes und der im
März 1999 verabschiedeten Wettbewerbsgesetze.
29
Banjarmasin Post 11.8.2000.
30
Simanjuntak 2000; McLeod 2000; Soesastro 2000; EIU Country Report, Indonesia, 1st
quarter 2000 und May 2000.
31
Im LOI vom 31. Juli wurde u.a. gefordert, die Schuldenquote von 100% auf 80% bis Ende
des Jahres 2000 zu reduzieren, die steuerliche Dezentralisierung bis 2002 zu vollenden, nichtkooperative
Schuldner stärker unter Druck zu setzen und Ad-hoc-Richter in Fällen, in denen
IBRA beteiligt ist, einzusetzen. Anfang September unterzeichnete Indonesien wiederum einen
leicht veränderten LOI. Bis dahin hatte der IWF 700 Mio. US$ ausgezahlt (EIU Country
Report, Indonesia, August 2000, 25).

Wirtschaftliche Neustrukturierung 549
Die internationalen Kreditgeber reagierten positiv auf die angekündigten Reformen
und auf die Bereitschaft der Regierung Wahid, die vom IWF geforderten politischen
Maßnahmen zu treffen. 32 Allerdings war die Regierung nicht in der Lage, die im
LOI vom Januar 2000 angekündigten Reformen auch durchzusetzen, so dass der
IWF Ende März entschied, die Auszahlung einer weiteren Kredittranche von 400
Mio. US$ zu verschieben. Allein 42 Reformmaßnahmen waren nicht rechtzeitig
umgesetzt worden. Auch im Dezember 2000 weigerte sich der Währungsfonds,
einen 400 Mio. US$-Kredit auszuzahlen. Der IWF behielt sich die Kontrolle über
weitere 4,3 Mrd. US$, die im Laufe der nächsten beiden Jahre an die Regierung
ausgezahlt werden sollen, vor. Er macht die Kreditzahlungen besonders von den
Fortschritten der IBRA abhängig.
Diese ist mittlerweile die wichtigste wirtschaftspolitische Institution. Sie hat u.a. die
Aufgabe, Banken zu rekapitalisieren. Im November 1997 wurden die ersten 16, im
April 1998 7 weitere Banken geschlossen. Bis Ende Oktober 2000 sind 68 Banken
geschlossen worden. Zur Zeit gibt es noch 89 Privatbanken, 5 Staatsbanken, 39
ausländische und Joint-Venture-Banken sowie 26 Entwicklungsbanken auf Provinzebene.
IBRA möchte die Anzahl der Banken bis zum Jahre 2005 auf 35 verringern.
Moody's Investors Service hat darauf hingewiesen, dass ohne ausländische Investitionen
im Bankensektor eine Erholung erst in 10 Jahren möglich sei, und das auch
nur, wenn weitere 90 Mrd. US$ zur Verfügung gestellt würden. 33
IBRA verfügte im Oktober 2000 über Anteile an 13 Banken im Wert von 15 Mrd.
US$. Außerdem managt die Behörde Kredite im Wert von 32 Mrd. US$ von 68
Banken, die diese nicht eintreiben konnten, und sie besitzt Anteile im Wert von
weiteren 15 Mrd. US$, die ihnen bei den Banken verschuldete Aktionäre überschrieben
haben. IBRA versucht diese 62 Mrd. US$ bis zum Jahre 2004 einzutreiben
bzw. durch Aktienverkäufe zu erwirtschaften. 34 Die Staatsverschuldung hat sich vor
allem wegen der Rekapitalisierung in den letzten drei Jahren drastisch erhöht.
Im Zuge der Rekapitalisierung gewann die Behörde zusätzlich die Kontrolle über
Unternehmen, die bei den von ihr übernommenen Banken verschuldet waren. Somit
war IBRA für die Restrukturierung sowohl des Bankensektors als auch vieler Handels-
und Industrieunternehmen zuständig. Die Behörde geriet aber zunehmend in
die Kritik, weil sie nur sehr langsam bei der Schuldeneintreibung und beim Verkauf
von Unternehmensanteilen vorankam. Die Schuldner waren nämlich zur Kreditrückzahlung
häufig nicht bereit, weil das Insolvenzrecht lückenhaft und die zuständigen
Richter überfordert oder bestechlich waren. 35
32 Schon kurz nach seiner Amtsübernahme machte Wahid seinen Reformwillen deutlich. Am
27. Oktober begann der gerade ernannte Generalstaatsanwalt Marzuki erneut mit den Untersuchungen
gegen Suharto, und am 2. November ließ Wahid den PriceWaterhouseCoopers-
Bericht über die Machenschaften der Bank Bali veröffentlichen.
33 EIU Country Report, Indonesia, November 2000, 41.
34 South China Morning Post 16.10.2000.
35 Selbst bei der Veräußerung von Unternehmensanteilen kam es zu Verzögerungen, manchmal
sogar zum Abbruch der Verhandlungen, weil die verschiedenen Fraktionen in der Koalition
ihre Ansprüche geltend machten. Beim spektakulären Verkauf des Automobilherstellers

550 Die Regierung Wahid
Der Regierung bleibt aber nichts anderes übrig, als die meisten Großunternehmer,
die die Asienkrise mit verursacht hatten, durch die Finanzhilfen der IBRA zu retten,
um Arbeitsplätze zu sichern. Da die betroffenen Unternehmer in einigen Fällen sehr
günstige Vertragsbedingungen aushandeln konnten, sind neue Korruptions- und
Nepotismusvorwürfe erhoben worden. Jüngstes Beispiel war die Vereinbarung mit
dem Texmaco-Konzern, dem größten Schuldner IBRAs. Die Regierung kontrolliert
Texmaco nun zu 70%, Marimutu Sinivasan, der Konzerngründer, erhielt einen Anteil
von 30%. Wenn er die Schulden in Höhe von 2,7 Mrd. US$ in einem Zeitraum
von 12 Jahren an IBRA zurückzahlt, geht der Konzern wieder vollständig in seinen
Besitz über. Die Vereinbarung gab der Regierung ausdrücklich das Recht, darüber
zu wachen, dass Gewinne auch wirklich zur Abtragung der Schulden eingesetzt
werden. Marimutu wurde aber weiterhin eine Schlüsselrolle beim Management des
Konzerns zugestanden. 36 IWF und Weltbank sprachen in einem Brief, der schließlich
seinen Weg zu verschiedenen Presseorganen fand, von einem Präzedenzfall, der
sich als kostspielig für den Steuerzahler erweisen könne. Kritisiert wurde die Intransparenz
des gesamten Verfahrens und der sehr hohe Anteil, den Marimutu erhielt.
37
Gegenwärtig verlangsamt sich das Reformtempo wegen des Widerstandes der alten
Eliten und wegen der politischen Instabilität. Der Wechselkurs stabilisierte sich zu
Beginn des Jahres 2000 noch bei 7000 Rp./US$, fiel dann aber bis zum Juli auf
einen Wert von 9500 Rp./US$. Nach einer kurzen Erholungsphase sackte die Rupiah
Mitte Dezember 2000 wieder auf etwa denselben Wert. Auch der Index der Börse
von Jakarta, der im Januar 2000 auf 700 Punkte geklettert war, fiel kontinuierlich
und bewegte sich am Jahresende bei 400-450 Punkten. Für das Jahr 2000 wird trotzdem
ein Wachstum von etwa 4,5-5,0% prognostiziert (vgl. Tabelle 7-1). Außerdem
nahm die Exporttätigkeit deutlich zu, und die Inflation wurde unter Kontrolle gebracht.
Während in den meisten anderen asiatischen Ländern die Asienkrise zwar kurzfristig
einen Schock bewirkte, aber mittlerweile wieder überwunden zu sein scheint, so
dass mit ungebrochenem Optimismus die alten Wachstumsstrategien weiter verfolgt
werden, hat der wirtschaftliche Zusammenbruch in Indonesien nicht nur zu einem
Austausch eines Teils der Eliten geführt, sondern eine radikale Neuformulierung der
Wirtschaftspolitik und der Wachstumskonzepte erforderlich gemacht. Der neopatrimoniale,
von meist sinoindonesischen cronies vorangetriebene Kapitalismus hat sich
mittlerweile als untauglich erwiesen. Die indonesische Regierung hat die Aufgabe,
den allgegenwärtigen Nepotismus durch einen fairen Wettbewerb zu ersetzen. Der
Bankensektor wird in Zukunft stärker reguliert, öffentliche Aufträge, staatliche Kre-
Astra z.B. konnte IBRA ihren 40%-Anteil erst veräußern, nachdem der Astra-Vorstand ersetzt
worden war. Offenbar waren es Wirtschaftsnationalisten, die sich gegen die Übernahme
Astras durch ausländische Unternehmen sträubten. Erst mit mehreren Monaten Verzögerung
konnte IBRA ihre Anteile für 506 Mio. US$ an ein von der singapurischen Cycle and
Carriage Ltd geführtes Konsortium verkaufen.
36
Wall Street Journal 3.10. und 6.10.2000.
37
Interview mit Faisal Basri (ehemaliger PAN-Generalsekretär, jetzt Rektor einer privaten
Hochschule) am 8.10.2000 in Jakarta.

Konflikte mit den Militärs 551
dite und Konzessionen i.d.R. nicht mehr an Günstlinge vergeben werden. Inwieweit
sich die Beziehung zwischen pribumi- und sinoindonesischen Unternehmen und der
Einfluss des Staates und ausländischer Investoren wandeln wird, bleibt abzuwarten.
Mittelfristig hat der Staat mit der IBRA einen außergewöhnlich starken Einfluss auf
den privaten Sektor.
Tabelle 7-1: Indikatoren der Wirtschaftsentwicklung (1999-2001)
Indikator* 1999 2000 2001
BIP 0,3 4,5-5,0 4,0-4,5
Verbrauch 1,4 3-5 3-4
Investitionen -20,8 13-15 10-20
Ausfuhr** -0,4 25-30 10-15
Einfuhr** -12,2 30-35 25-30
Inflationsrate*** 2,0 7-9 6-8
Aufgrund der Unterschiede bei der Datenerhebung ergeben sich Abweichungen von Tabelle
6-1.
* reale Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in %; 1999 vorläufig, 2000 und 2001 Prognosen
** nominal auf US$-Basis
*** Konsumgüterpreisindex
Quelle: Bundesstelle für Außenhandelsinformation 2000, 6.
Allerdings ist die Abhängigkeit von ausländischen Kapitalhilfen und Investitionen
so groß wie seit Mitte der 60er Jahre nicht mehr. Die Regierung muss deshalb außenpolitisch
sehr vorsichtig agieren.
Konflikte mit den Militärs
Der geschilderte härtere Kurs im Umgang mit den Sezessionisten spiegelte die wiedergewonnene
Stärke konservativer Militärs wider. Dabei hatte Wahid schon zu
Beginn seiner Amtszeit einige viel versprechende Reformen durchsetzen und Wiranto
ausschalten können.
Im Oktober 1999 wurde - wie erwähnt - ein Zivilist, der Politologieprofessor
Yuwono Sudarsono, zum Verteidigungsminister ernannt. Yuwono galt zwar als eher
konservativ und verfügte als ehemaliger Lemhannas-Vizegouverneur über enge
Kontakte zu einigen Generälen; er war aber bereit, eine Beschränkung des TNI-
Einflusses zu unterstützen. Wahid ernannte Yuwono, um das Militär langsam zu
entmachten. Zu diesem Zweck stärkte er auch die Rolle der Marine wesentlich. So
wurde mit Widodo zum ersten Mal ein Admiral zum Kommandeur der TNI, und die
Marine sollte in der Zukunft eine Schlüsselfunktion übernehmen. Wahid erklärte das
21. Jahrhundert zum "naval century". 38 Angesichts der illegalen Fischerei und der
Auseinandersetzungen im Südchinesischen Meer war diese Verlagerung von Prioritäten
verständlich. Vor allem aber war es ein geschickt eingesetztes Mittel, um das
38 Vgl. Herrmann 2000, 22.

552 Die Regierung Wahid
Heer, das bisher fast ausschließlich gegen innenpolitische Gegner eingesetzt wurde,
zu schwächen.
Das Militär hatte keine Rückendeckung mehr in der Bevölkerung und bei den Kreditgebern
und Investoren. Ein Putsch hätte unweigerlich zur Einstellung der IWF-
Hilfen und zum Sturz des Rupiah-Kurses geführt. Trotzdem wurden im Januar 2000
erste Putschgerüchte in Umlauf gebracht. 39 Selbst der amerikanische UN-
Botschafter Richard Holbroke sprach am 17. Januar von der Möglichkeit eines Coup
d'Etat, und führende indonesische Militärs nährten solche Gerüchte. Der Kostrad-
Kommandeur Jaya Suparman meinte, dass die Untersuchungen über die Verfehlungen
des Militärs zu unkontrollierten Aktionen der TNI führen könnten, und der frühere
TNI-Sprecher Sudrajat erklärte, der dauernde Druck auf die Streitkräfte könne
einen Coup d'Etat zur Folge haben.
Diese konservativen oder gar reaktionären Militärs wie Sudrajat wurden von Wiranto,
dem Koordinierungsminister für Politik und Sicherheit, angeführt. Vieles deutet
darauf hin, dass Wiranto als verantwortlicher ABRI-Kommandeur und Verteidigungsminister
von den Machenschaften der Milizen in Ost-Timor im Anschluss an
das Referendum zumindest besser informiert gewesen sein musste, als er selbst
einzuräumen bereit war. Zwei am 31. Januar erschienene Untersuchungsberichte
von der staatlichen indonesischen Menschenrechtskommission KomnasHAM und
von der UN-Kommission für Menschenrechte in Ost-Timor brachten mehr Klarheit.
40 Der UN-Bericht etwa machte die indonesischen Streitkräfte unmittelbar für
die Gewaltakte verantwortlich und forderte sogar die Einrichtung eines internationalen
Menschenrechtstribunals.
Als Abdurrahman Wahid, der zu dieser Zeit durch Europa reiste, von den Untersuchungsergebnissen
informiert wurde, machte er deutlich, dass er bei seiner Ankunft
Wiranto bitten werde, zurückzutreten. 41 Wiranto ignorierte diese Bemerkungen
Wahids, beteuerte wiederholt seine Unschuld und nahm an einer Kabinettssitzung
unter der Leitung Megawatis teil. Zu dieser Zeit mehrten sich wieder Putschgerüchte
in Jakarta, die durch Wahid zusätzliche Nahrung bekamen. Der Präsident meinte am
4. Februar, dass sich einige Generäle konspirativ getroffen hätten und dass militante
Muslime Demonstrationen planten. Am 7. Februar versprach er, Wiranto zu begnadigen.
Wahid, der inzwischen nach Indien und Korea weitergereist war, wiederholte
seine Rücktrittsaufforderung mehrmals. Am 13. Februar suspendierte der inzwischen
heimgekehrte Präsident schließlich seinen Koordinierungsminister vom
Dienst. Die Art, wie Wahid Wiranto ausgeschaltet hatte, galt als taktische Meisterleistung.
Wahid setzte seinen Reformkurs am 1.3.2000 mit der Neubesetzung von 47 Spitzenpositionen
fort. Agus Wirahadikusumah übernahm das Kostrad-Kommando, und
39 Vgl.: Tempo 9.1. und 13.2.2000.
40 Vgl.: UN Office of the High Commissioner for Human Rights 2000; Komisi Penyelidik
Pelanggaran Hak Asasi Manusia Timor Timur 2000.
41 Forum Keadilan 27.2.2000; Tempo 20.2. und 27.2.2000; EIU Country Report, Indonesia,
1st quarter 2000, S.18ff; Hruschka 2000.

Konflikte mit den Militärs 553
viele Wiranto-Anhänger verloren ihre Posten. 42 Im selben Monat kündigte die Regierung
die Auflösung von Bakorstanas, der Nachfolgerin von Kopkamtib, an.
Die dwifungsi-Doktrin spielte mittlerweile keine Rolle mehr in den offiziellen militärischen
Zukunftsplanungen. 43 Allerdings waren die Streitkräfte immer noch territorial
organisiert, d.h., die militärischen Kommandos waren parallel zur Zivilverwaltung
angeordnet, so dass selbst in den Dörfern Militärs präsent waren. Einige reformorientierte
Generäle stellten diese Doktrin der Territorialität in Frage. Agus
Wirahadikusumah erklärte vor einer Parlamentskommission, dass die territoriale
Struktur ein Machtinstrument sei und abgeschafft werden solle. Er fügte aber hinzu,
dass nur etwa 20% der Offiziere mit seinen Ansichten sympathisierten.
Die führenden konservativen Offiziere verfügen noch über genügend Machtmittel,
um den Aufstieg der Reformer immer wieder zu verhindern. So wurden Saurip Kadi
im April als Kaster (Kepala Staf Teritorial = Stabschef für territoriale Angelegenheiten)
und Agus Wirahadikusumah im August 2000 als Kostrad-Chef ausgebootet.
Den beiden wurde vorgeworfen, an einem Geheimtreffen teilgenommen zu haben,
bei dem umfassende personelle Veränderungen in der Armee geplant worden sein
sollen. 44 Der eigentliche Grund für die Versetzung von Agus Wirahadikusumah,
dem prominentesten und entschlossensten Reformer, dürfte aber sein Verhalten als
Kostrad-Chef gewesen sein. Er hatte nämlich eine Untersuchung der illegalen
Kostrad-Geschäfte eingeleitet. Außerdem hatte er im Januar 2000 Wiranto öffentlich
kritisiert.
Saurip Kadi und Agus Wirahadikusumah waren jeweils nach ihrer Versetzung monatelang
zur Passivität verurteilt. Beiden wurde zudem im Oktober die Verurteilung
durch ein militärisches Ehrengericht angedroht. Saurip Kadi soll sein Buch ohne
Einwilligung der Militärführung veröffentlicht haben. Agus Wirahadikusumah wurde
der Vorwurf gemacht, sich unerlaubt von der Truppe entfernt zu haben. In Wirklichkeit
hielt er sich anlässlich der Universitätsabschlussfeier seines Sohnes, nach
korrekter Abmeldung, in den USA auf. 45
Wahid soll - vermutlich angesichts dieser innermilitärischen Kämpfe - gesagt haben,
dass er die Armeeführung nicht mehr kontrollieren könne. Auf viele Vorschläge
würde er einfach keine Antwort erhalten. Bei der Besetzung von Spitzenpositionen
komme es mitunter sogar zum offenen Konflikt mit den höchsten Generälen. 46 So
entließ er am 10. Oktober überraschend den Heeresstabschef Tyasno Sudarto, dem
man vorwarf, zu einem Geldfälscherring zu gehören. Vermutlich wollte der Präsi-
42
Vgl.: Tempo 12.3.2000.
43
Zu den Entwicklungen im Militär siehe auch die Beiträge von Wandelt in: Indonesien
Information 1/2, 2000.
44
Kadi (2000, 58) bezeichnet das "Dokumen Bulak Rantai", in dem der Plan der vermeintlichen
Verschwörer zu finden ist, als Fälschung einer Geheimdiensteinheit, die auf Desinformation
spezialisiert ist. Dem mysteriösen Dokument soll zu entnehmen sein, dass die genannten
Militärs und der damalige Leiter des Staatssekretariats, Bondan Gunawan, konspirierten.
45
Zum Fall Agus Wirahadikusumah: Tempo 6.8. und 15.10.2000.
46 Crouch 2000, 129.

554 Die Regierung Wahid
dent ihn durch Agus Wirahadikusumah ersetzen, musste aber einen Rückzieher
machen, weil 46 Generäle eine Petition verfassten, mit der sie gegen dieses Vorhaben
protestierten. Nur widerwillig stimmte er der Ersetzung Tyasno Sudartos durch
Endriartono Sutarto zu. Selbst als Stellvertreter Sutartos konnte er Agus Wirahadikusumah
nicht durchsetzen. 47
Während also Wahid mehr und mehr die Bindung zur Militärführung zu verlieren
schien, gab es Anzeichen dafür, dass sich die Armeeführung Megawati nähert. Würde
Megawati Präsidentin, wäre nicht unbedingt damit zu rechnen, dass sie auf Reformoffiziere
setzen würde.
Die konservativen und reaktionären Militärs konnten sich nicht nur häufiger bei der
Besetzung von Spitzenpositionen durchsetzen, sie waren auch in der Lage, die Aufklärung
der militärischen Verbrechen effektiv zu behindern. Der Anstieg des Anteils
für Verteidigungsausgaben im Staatshaushalt, die starke Präsenz von Militärs im
neuen Kabinett und die Zusage an die TNI/Polri-Fraktion, bis zum Jahre 2009 im
MPR vertreten zu sein, sind ebenfalls Zeichen für ein Wiedererstarken der TNI.
Die Beschäftigung mit der Vergangenheit
Die Delegitimierung der TNI wurde durch die gründliche Arbeit verschiedener
Untersuchungskommissionen weitergeführt. Der erwähnte Bericht von
KomnasHAM zu den Exzessen in Ost-Timor benannte insgesamt 33 Verdächtige,
darunter 17 Mitglieder der TNI und der Polizei. Die Kommissionsmitglieder durften
hochrangige Militärs wie Wiranto verhören - ein Vorgang, der einige Jahre vorher
undenkbar gewesen wäre. Ein fast 500 Seiten starker, im November 1999 publizierter
Bericht einer von Habibie eingesetzten Untersuchungskommission zur militärischen
Gewalt in Aceh dokumentierte die Beteiligung militärischer Einheiten bei
verschiedenen Massakern in der Region. Auch das Parlament machte im Falle Acehs
Ende November von seinem Recht Gebrauch, Militärs zu befragen. Zwar gab Wahid
bekannt, er werde die hohen Generäle amnestieren (die Einsetzung eines internationalen
Gerichtshofes lehnte er ab), aber er hatte weiterhin die Möglichkeit, eventuell
doch einige Unruhestifter unter Anklage zu stellen.
Die Anrufung von Gerichten und die Errichtung von Untersuchungskommissionen
regten öffentliche Debatten über die jüngste indonesische Vergangenheit an. Wahid
wollte aber auch eine Diskussion über das dunkelste Kapitel der Neuen Ordnung,
nämlich über die Massaker an mehreren Hunderttausend wirklichen oder vermeintlichen
Kommunisten in den Jahren 1965/66 entfachen. Deshalb entschuldigte er sich
im März bei den Opfern der Gewaltexzesse. Außerdem forderte er im Exil lebende
Indonesier auf, in ihr Heimatland zurückzukehren und schlug die Aufhebung eines
Dekretes (TAP MPRS XXV/1966) vor, das ein Verbot der Kommunistischen Partei
Indonesiens (PKI) und der Verbreitung kommunistischen Gedankengutes vorsah. 48
47 FEER 9.11.2000.
48 Gatra 8.4.2000. Außerdem sorgte er im Dezember für die Freilassung von 91 politischen
Gefangenen; darunter befanden sich Mitglieder der PRD.

Die Beschäftigung mit der Vergangenheit 555
Noch immer waren aber die meisten Indonesier davon überzeugt, dass die PKI die
Haupttriebkraft des Putschversuches im Jahre 1965 gewesen war, und noch immer
sahen viele Indonesier in einer Neugründung dieser Partei eine Gefahr. Das Militär
und einige muslimische Gruppen wehrten sich auch deshalb gegen die Pläne Wahids,
weil sie wussten, dass sich an die Aufhebung der Dekrete wahrscheinlich eine
Untersuchung der Massaker, für die vorwiegend Teile des Militärs sowie orthodoxe
Muslime verantwortlich waren, anschließen würde. 49 Der Präsident wollte offensichtlich
sowohl die Militärs als auch die Islamisten in die Defensive zwingen. Das
Dekret konnte letztlich wegen des Widerstandes aus diesen Kreisen nicht aufgehoben
werden.
Die breite Öffentlichkeit erwartete von Wahid vor allem eine Verurteilung der Suhartos.
Der Suharto-Schwiegersohn Prabowo hatte sich der Strafverfolgung durch
die Flucht nach Jordanien und die Annahme der jordanischen Staatsbürgerschaft
entziehen können. Die Ermittlungen konzentrierten sich daher zunächst auf den
ehemaligen Präsidenten Suharto. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde noch
im Oktober 1999 - vor der Wahl Wahids und eigentlich zu einem ungünstigen Zeitpunkt
für den zu diesem Zeitpunkt noch amtierenden Habibie - eingestellt. Anfang
November begann Generalstaatsanwalt Marzuki Darusman neu zu ermitteln, und im
Februar wurde ein neues Verfahren wegen Amtsmissbrauchs eröffnet. 50
Nach Abschluss der Ermittlungen musste sich Suharto wegen der Veruntreuung von
590 Mio. US$, die er sich für seine sieben vermeintlich gemeinnützigen Stiftungen
beschafft hatte, vor dem Distriktgericht von Süd-Jakarta verantworten. Er wurde
also ausschließlich wegen Korruption, aber nicht wegen der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen
vor Gericht gestellt. Generalstaatsanwalt Marzuki Darusman
begründete dies damit, dass nur eine Anklage, die sich auf stichhaltige Beweise
stütze, Aussicht auf Erfolg habe. 51
Das Anwälteteam Suhartos, das die Vorwürfe nicht entkräften konnte, verlegte sich
auf eine aus dem Pinochet-Fall gut bekannte Prozessführungstaktik: Mithilfe verschiedener
medizinischer Gutachten sollte die Prozessunfähigkeit des alternden Expräsidenten
nachgewiesen werden. Tatsächlich entschied das Gericht in Jakarta am
28. September, die Verhandlung nicht fortzusetzen. Der schlechte Gesundheitszustand
Suhartos war von einem unabhängigen Ärzteteam festgestellt worden.
Wahid bezeichnete die Richter in der ihm eigenen indirekten Form als bestechlich
und kündigte eine Umbesetzung des zuständigen Gerichtes an. Er beschränkte sich
aber nicht auf diese unangemessene und mit rechtsstaatlichen Prinzipien unvereinbare
Einmischung in die richterliche Autonomie, sondern stachelte die Studentenproteste
in der Jalan Cendana (der Straße in Zentral-Jakarta, in der die Familie Suharto
lebt) gegen den richterlichen Entscheid weiter an. 52
49
Siehe zu diesem Widerstand: Inside Indonesia July-September 2000; S.6f; außerdem das
Interview mit Amien Rais, der strikt gegen die Aufhebung des Dekretes war, in: Forum
Keadilan 16.4.2000.
50
Zu den Ermittlungen gegen Suharto: Tempo 30.4.2000.
51
Tempo 10.9.2000.
52
Jakarta Post 30.9.2000 und 1.10.2000.

556 Die Regierung Wahid
Obwohl Wahid bereits mehrfach angekündigt hatte, Suharto im Falle seiner Verurteilung
begnadigen zu wollen, schien ihm also sehr an der Durchführung des Verfahrens
gelegen zu sein. Dieser Eifer zeigte sich auch im Fall von "Tommy" Suharto.
Als nämlich Rusdiharjo, der Chef der nationalen Polizei, den Befehl des Präsidenten,
"Tommy" Suharto wegen seiner mutmaßlichen Verwicklung in den Bombenanschlag
auf die Börse in Jakarta zu verhaften, nicht ausführte, sondern ihn nach
kurzem Verhör wieder auf freien Fuß setzte, entließ ihn Wahid und ersetzte ihn
durch Suroyo Bimantoro.
Einige Tage später, Anfang Oktober, wurde der Lieblingssohn des ehemaligen Präsidenten
dann doch noch zu 18 Monaten Gefängnis wegen Korruption verurteilt.
"Tommy", dessen Vermögen auf 600-800 Mio. US$ geschätzt wurde, hatte zusammen
mit einem Geschäftspartner Ländereien eines seiner Unternehmen gegen ein
Grundstück der staatlichen Logistikbehörde Bulog zu seinem Vorteil getauscht. Er
hatte für ein Sumpfgebiet ein sehr viel teureres Areal in der Stadtmitte Jakartas bekommen.
Der Präsident wies ein Amnestieersuchen, das wenige Tage nach dem Urteilsspruch
an ihn gestellt wurde, brüsk zurück. Daraufhin flüchtete "Tommy", bevor die Polizei
zur Festnahme in seinem Haus erschien. Die Verwirrung wurde noch dadurch gesteigert,
dass er zwischenzeitlich einmal kurz festgenommen worden sein und sich
noch vor seiner ersten Verhaftung zweimal mit A. Wahid in einem Hotel getroffen
haben soll. 53
Bei der Strafverfolgung der Suhartos ist Vorsicht geboten, da sie und jene Militärs,
die Verfahren wegen Menschenrechtsverletzungen fürchten, mit Terror und Anarchie
drohen. So wurden allein im letzten Jahr Bombenanschläge in Medan (Ende
Mai und Ende August), auf die Residenz des philippinischen Botschafters in Jakarta
(am 1. August) sowie auf das Parkhaus unterhalb der Börse von Jakarta (am 13.
September) verübt. Zuletzt, am 24.12., explodierten in 9 Städten 15 Bomben. Dabei
kamen 15 Menschen ums Leben. Über 100 wurden verletzt. Die Bomben detonierten
in der Nähe von Kirchen und sollten bei der christlichen Minderheit Angst und
Schrecken verbreiten. Susilo Bambang Yudhoyono machte "gut organisierte Terroristen"
für die Anschläge verantwortlich. In der Tat fiel die generalstabsmäßige
Planung auf - ein solcher Terrorakt konnte nur von einer zentral gelenkten, gut ausgestatteten
und wahrscheinlich im ganzen Land präsenten Gruppierung begangen
werden. 54
Sofort wurden islamisch-fundamentalistische Organisationen verdächtigt, zumal der
Weihnachtstag auf einen der letzten Tage des islamischen Fastenmonats fiel und
man befürchtete, dass es zum Ende des Ramadan (Idul Fitri) zu Zusammenstößen
zwischen Christen und Muslimen kommen könnte. Die Laskar Jihad und die FPI
distanzierten sich jedoch umgehend von den Bombenanschlägen.
53 FEER 23.11.2000.
54 Wall Street Journal 26.12.2000.

Das Kabinett vom August 2000 557
A. Wahid, aber auch der Menschenrechtler Munir machten angesichts dieser Sachlage
Anhänger Suhartos verantwortlich. Dieser Verdacht ist keinesfalls abwegig,
wenn man bedenkt, dass der letzte große Bombenanschlag auf die Börse in Jakarta
auf das Konto von "Tommy" Suharto gehen könnte.
Auch wenn sich in der Regel keine Beweise finden lassen, glauben mittlerweile
viele politische Beobachter, dass die Terroranschläge im ganzen Land wohl organisiert
sind und dass reaktionäre Kräfte als Geldgeber und/oder als Organisatoren
dafür verantwortlich sind. Selbst der ehemalige Verteidigungsminister Yuwono
Sudarsono vertrat diese These. Auch wenn er keine Namen nannte, dürfte er Personen
wie Prabowo, Hartono (den ehemaligen Heeresstabschef und Innenminister),
Fuad Bawazier (den ehemaligen Finanzminster), Wiranto und Suharto gemeint haben.
Das Kabinett vom August 2000 und weitere Angriffe
auf den Präsidenten
Eigentlich hatte der Präsident versprochen, ein von Fachleuten dominiertes Kabinett
zusammenstellen zu wollen. Nach der Bekanntgabe der Kabinettszusammensetzung
fiel aber die Rupiah gegenüber dem US$ um 4%. 55 Die Ursache dafür war die Ernennung
einiger umstrittener Personen.
Am stärksten wurde der neue Finanzminister Priyadi Praptosuharjo kritisiert. Priyadi
bestand vor seiner Amtsübernahme den "fit-and-proper test" für den Posten des
Präsidenten der Bank Rakyat Indonesia (Volksbank Indonesien) nicht. Darüber
hinaus wurden Nepotismusvorwürfe erhoben. Früher gehörte Priyadi zu den Topmanagern
der Bank Rakyat Indonesia und hatte an verschiedene pesantren, also jene
Internate, die die Basis der Nahdatul Ulama bilden, Kredite vergeben. 56
Auch der neue Koordinierungsminister für Wirtschaft, Rizal Ramli, galt nicht als
unbelastet. Er saß zwar als Studentenaktivist kurze Zeit im Gefängnis, war somit ein
ausgewiesener Kritiker der Neuen Ordnung und hatte sich als Chef des Think Tanks
Econit einen Namen als Wirtschaftsexperte gemacht. Er galt aber auch als jemand,
der die Nähe zu einigen Großunternehmern suchte. So fungierte er einige Zeit als
Berater des Texmaco-Gründers Marimutu Sinivasan.
Als für sein Amt unqualifiziert wurde der neue Verteidigungsminister Mahfud MD
bewertet. Mahfud, ein Verfassungsrechtler, übernahm das Ressort, ohne sich jemals
intensiv mit sicherheitspolitischen Fragen beschäftigt zu haben. Er gestand kurz
nach der Amtsübernahme ein, dass er selbst von seiner Berufung schockiert gewesen
sei. Dem im Gegensatz zu seinem Vorgänger Yuwono Sudarsono schwachen Verteidigungsminister
stehen vier Militärs gegenüber. Von diesen nimmt der Koordinierungsminister
für Politik, Sicherheit und soziale Angelegenheiten, Susilo Bambang
Yudhoyono, eine Schlüsselfunktion ein. Er gilt zwar als Reformer, es bleibt allerdings
vorerst unklar, welchen Einfluss er auf die Streitkräfte noch ausüben kann.
55 Zum Kabinett: Kyrway Report 2000-5; Jakarta Post 24.8.2000; Tempo 3.9.2000.
56 Sadli 2000, 2f.

558 Die Regierung Wahid
Amien Rais meinte, die Kabinettsmitglieder seien vom Präsidenten ausgewählt
worden, weil er "yes men" und "yes women" brauche. 57 Hartono Marjono von der
PBB sah in der Kabinettsumbesetzung sogar eine Verschlechterung gegenüber dem
ersten Kabinett Wahids vom Oktober 1999.
Tatsächlich hat Wahid seine Position stärken können, da kein Mitglied Golkars,
neben Megawati nur ein PDI-P-Abgeordneter, von der PPP lediglich Zarkasih Nur
und von PAN nur Yahya A. Muhaimin und Al Hilal Hamdi in die Regierungsmannschaft
aufgenommen wurden. 58 Die PKB hingegen ist mit vier Mitgliedern (Alwi
Shihab, Tolkhah Hasan, Muhammad AS Hikam und Khofifah Indar Parawansa) und
mehrere ihr nahe stehenden Ministern (Ramli, Praptosuharjo, Yudhoyono,
Kusumaatmaja u.a.) im Kabinett vertreten. 59 Wahid selbst verteidigte die Zusammensetzung
des Kabinetts mit dem Hinweis auf die Nähe von Mahfud MD zur PPP
(andere sehen ihn eher als Sympathisanten der PAN), von Purnomo zu Golkar und
von Sonni Keraaf sowie I Gde Ardika zur PDI-P.
Obwohl Wahid Besserung gelobte, änderte er seinen Regierungsstil nicht.
Offensichtlich hatte er sich mit Megawati bei der Zusammenstellung der neuen
Regierung nicht abgesprochen, denn seine Stellvertreterin war bei der Amtseinsetzung
nicht anwesend.
Unterdessen gingen die Auseinandersetzungen zwischen dem Präsidenten und dem
DPR weiter. Ende August beschloss das nationale Parlament, einen Untersuchungsausschuss
zu "Buloggate" und "Bruneigate" einzusetzen. 60 307 Parlamentarier unterstützten
den Antrag, nur drei Abgeordnete stimmten dagegen (die TNI/Polizei-
Fraktion verhielt sich wieder neutral). 61
Vor allem die Parteien der "Mittelachse" begannen wieder stärker, mit der Amtsenthebung
des Präsidenten zu drohen. Im Oktober entschuldigte sich Amien Rais bei
seinen Wählern sogar dafür, dass er Wahid ein Jahr vorher bei der Präsidentenwahl
unterstützt hatte. Er bezichtigte Wahid indirekt der Korruption und schwor, für seine
Abwahl zu sorgen.
57
Zum Folgenden: Jakarta Post 23.8.2000; Kompas 24.8.2000; Detikcom 24.8.2000.
58
Die Angaben zu den Parteimitgliedschaften der Politiker sind unterschiedlich. Muhammad
AS Hikam wird nicht immer zur PKB und Al Hilal Hamdi nicht durchgängig zur PAN gerechnet.
59
EIU Country Report, Indonesia, Nov. 2000, 14f.
60
Jawa Pos 29.8.2000.
61
Interessanterweise wurde ein zweiter Antrag auf Untersuchung der Finanzpraktiken von
Bulog von den Parteien der "Mittelachse" und von Golkar abgelehnt.

Das Kabinett vom August 2000 559
Schaubild 7-2: Das Kabinett von Abdurrahman Wahid und Megawati Sukarnoputri
vom 23. August 2000
Ministerien
Koordinierungsminister
Amtsinhaber
Politik, Sicherheit und soziale Angelegenheiten GLt Susilo Bambang Yudhoyono
(TNI)
Wirtschaft
Fachminister
Rizal Ramli
Inneres und regionale Autonomie GLt a.D. Suryadi Sudirja (TNI)
Außenminister Alwi Shihab (PKB)
Verteidigung Mahfud MD
Justiz und Menschenrechte Yusril Ihza Mahendra (PBB)
Finanzen Priyadi Praptosuharjo
Handel u. Industrie GLt a.D. Luhut Binsar Panjaitan (TNI)
Land- und Forstwirtschaft Bungaran Saragih (PDI-P)
Bergbau und Energie Purnomo Yusgiantoro
Verkehr und Telekommunikation GLt Agum Gumelar (TNI)
Bildung Yahya A. Muhaimin (PAN)
Religion Tolkhah Hasan (PKB)
Arbeit und Transmigration Al Hilal Hamdi (PAN)
Gesundheit und soziale Wohlfahrt Akhmad Suyudi
Besiedlung und regionale Entwicklung Erna Witular
Kultur und Tourismus I Gede Ardika
Maritime Angelegenheiten und Fischerei Sarwono Kusumaatmaja
Staatsminister
Forschung und Technologie Muhammad A.S. Hikam (PKB)
Kooperativen, kleine und mittlere Unternehmen Zarkasih Nur (PPP)
Umwelt Soni Keraaf
Reform der staatlichen Verwaltung Ryaas Rasyid
Frauen/Vors. der Nat. Familienplanungsbehörde Khofifah Indar Parawangsa (PKB)
Juniorminister
Forstwirtschaft* Nurmahmudi Ismail (PK)
Entwicklung der östlichen Provinzen* Manuel Kaisiepo
Umstrukturierung der Wirtschaft* Cacuk Sudariyanto
* Die Juniorminister sind mit ihrem Verwaltungsstab an das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft
(Nurmahmudi Ismail), an jenes des Koordinierungsministers für Politik, Sicherheit und soziale Angelegenheiten
(Manuel Kaisiepo) bzw. des Koordinierungsministers für Wirtschaft (Cacuk Sudariyanto)
angegliedert.
Quelle: http://www.TheJakartaPost.com/resources/cabinets/cabinet.asp, gelesen am 1.12.2000

560 Die Regierung Wahid
Zwei Tage später schlug Wahid zurück. Er erklärte, dass er niemals Präsident habe
werden wollen und forderte die Parlamentarier ausdrücklich auf, ihn zu stürzen. Am
1. November trat Kwik Kian Gie (PDI-P), der ehemalige Koordinierungsminister für
Wirtschaft, Finanzen und Industrie, vor die Presse und verkündete seinen Plan, einen
nationalen Dialog mit Mitgliedern des DPR bzw. MPR führen zu wollen. 62 Im August
war er zurückgetreten, um - so jedenfalls begründete er seinen Schritt - dem
Präsidenten eine umfangreiche Kabinettsumbesetzung zu erleichtern. In Wirklichkeit
dürfte sein Verhältnis zu Wahid zerrüttet gewesen sein.
Wenige Tage später äußerte sich sogar der Pressesprecher des Präsidenten, Wimar
Witular, in sehr ambivalenter Form. Er meinte, dass Wahid zwar inkompetent und
unkontrollierbar sei, dass er aber gutherzig und immer noch die beste Wahl zur Rettung
Indonesiens sei. 63
Allerdings scharten sich auch mehrere Parteien und Massenorganisationen demonstrativ
hinter Wahid. Am 31.10. erklärten Megawati und der NU-Vorsitzende Hasyim
Muzadi gemeinsam, Versuche, den Präsidenten zu stürzen, nicht unterstützen zu
wollen. 64 Am selben Tag wiederholte der PDI-P-Generalsekretär Pramono Anung
im Namen seiner Partei diese Erklärung. Und Mitte November gab Megawati bekannt,
dass sie nicht bereit sei, das Präsidentenamt zu übernehmen, da dies die Republik
ruinieren würde.
Indonesien gut ein Jahr nach der Präsidentenwahl:
Konsolidierung der Demokratie?
Die Demokratisierung hat sich bisher als schwieriger erwiesen als viele politische
Beobachter nach dem Sturz Suhartos angenommen hatten. Zwar deutete sich bereits
frühzeitig an, dass Teile der alten Orba-Regimekoalition weiterhin am politischen
Entscheidungsprozess würden beteiligt werden müssen, aber das Ausmaß dieser
Präsenz konservativer und reaktionärer Kräfte überrascht ein wenig. So hat die
Partai Golkar im DPR und im MPR eine Schlüsselstellung inne. Als zweitstärkste
Partei wird sie von den anderen Parteien umworben. Bei der Präsidentenwahl war
die Unterstützung vieler Golkar-Parlamentarier für Wahid entscheidend. Selbst in
den Reformparteien wie der PDI-P, der PAN und der PKB gibt es zahlreiche konservative
Politiker. Megawati Sukarnoputri und Abdurrahman Wahid erweisen sich
zunehmend als egozentrische, z.T. autoritäre Führungsgestalten, die bei vielen politischen
Entscheidungen überfordert sind, während Amien Rais immer wieder bedenkliche
islamistische und nationalistische Positionen vertritt. 65
62 Kompas 2.11.2000.
63 South China Morning Post 7.11.2000.
64 Kompas 1.11.2000.
65 Eurico Guterres, dessen Aitarak-Miliz an den Massakern in Ost-Timor nach dem Referendum
im August 1999 maßgeblich beteiligt war, wurde von Amien Rais als Nationalheld
bezeichnet. Rais äußerte sich bei einer anderen Gelegenheit in sehr rätselhaften Worten zu
vermeintlich zionistischen Einflüssen in Indonesien: "Indeed I don't have the proof, but the

Konsolidierung der Demokratie? 561
Vor allem die Streitkräfte haben trotz der fehlenden Legitimation und trotz der Enthüllungen
vieler militärischer Verbrechen ein erstaunliches Beharrungsvermögen
bewiesen. Noch immer sind sie territorial organisiert, noch immer stehen mehrere
Generäle Ministerien vor und noch immer vermögen sie es, ihre Spitzenkräfte durch
mehr oder weniger legale Zusatzgeschäfte finanziell reichlich zu versorgen. Mehr
als zweieinhalb Jahre nach dem Sturz Suhartos und der Entmachtung der Prabowo-
Faktion ist eine zivile Kontrolle der Militärs nicht in Sicht. Der Einfluss der Streitkräfte
hat sich sogar insofern ausgeweitet, als die Zusammenarbeit mit Kriminellen
und die Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols fortgeschritten sind.
Für die radikal prodemokratischen Kräfte ist der moderate, häufig inkonsistente
Umgang mit den alten, besonders korrupten Angehörigen der Regimekoalition besonders
enttäuschend. Der alte Präsident, der mit dem Beispiel Pinochet gut vertraut
sein wird, scheint aufgrund seiner wirklichen oder nur vorgespielten Altersschwäche
von einem Gerichtsverfahren verschont zu bleiben. Und der Neu-Jordanier Prabowo,
einer der brutalsten und machthungrigsten Generäle der Orde Baru, reist mittlerweile
wieder unbehelligt von den Strafverfolgungsbehörden nach Jakarta ein. Auch die
schonende Behandlung der cronies, die i.d.R. besonders hoch verschuldet sind und
gegen verschiedene Bankengesetze in besonders eklatanter Weise verstoßen haben,
ist für viele Indonesier schwer verständlich.
Die Kritiker Wahids bemängeln seine unstete Regierungsführung. Seit Jahrzehnten
hat die indonesische Außenpolitik keinen so unberechenbaren Kurs verfolgt wie zur
Zeit. Häufig ist er schlecht informiert und spricht Beschuldigungen aus, die jeglicher
Grundlage entbehren. In seinem Palast pflegt er einen zuweilen selbstherrlichen und
undemokratischen Regierungsstil. Gegenüber dem Parlament zeigte er sich mehrfach
sehr abweisend; es wurde sogar bekannt, dass er Ende Januar 2001 - erfolglos -
die Unterstützung einiger hochrangiger Militärs für die Ausrufung des Notstandes
und die Auflösung des Parlamentes gesucht haben soll.
Die neue politische Elite konnte bisher die in sie gesetzten Erwartungen nur z.T.
erfüllen. Die Parlamente arbeiten häufig noch wenig professionell. Die gesamte
MPR-Sitzung wurde selbst von führenden Politikern wie Amien Rais und Akbar
Tanjung als Geldverschwendung bezeichnet. Tatsächlich war das Auffälligste an der
Sitzung, dass die wichtigsten Entscheidungen verschoben wurden.
Die Bevölkerung gewinnt den Eindruck, dass die Parlamentarier ihre Kräfte in erster
Linie für Untersuchungskommissionen, Interpellationen, Impeachment-Androhungen
und innerparteiliche Kämpfe vergeuden. Und sowohl die Präsidentenwahl als
auch die Wahl von Gouverneuren, bupati und walikota verdeutlichten, dass schon
aufgrund der programmatischen Schwäche der Parteien viele Koalitionen auf
machtpolitische Ränkespiele zurückgehen. Vor allem außerhalb Jakartas dürften
zudem vielen Politikern die Grundregeln der parlamentarischen Arbeit unbekannt
sein.
Auch die Entscheidungsprozesse in den meisten politischen Parteien entsprechen
keinesfalls den westlichen Standards innerparteilicher Demokratie. Der erste Kongress
der PKB im Juli 2000 in Surabaya endete mit dem einmütigen Beschluss,
conflicts in Aceh, Maluku, West Irian and other places are related to Zionism", South China
Morning Post 11.11.2000.

562 Die Regierung Wahid
Abdurrahman Wahid zum "Obersten Patron" der Partei zu ernennen. 66 Damit ist der
Präsident der unangefochtene Chef der PKB. Seine Ernennung Matori Abdul Jalils
zum Vorsitzenden konnte ohne erkennbaren innerparteilichen Widerstand durchgesetzt
werden. Ähnlich werden Entscheidungen in der PDI-P getroffen. Im April
2000 wurde Megawati einstimmig wiedergewählt. Sie konnte sich den neuen Parteivorstand
selbst zusammenstellen. 67 Es gehört zu den merkwürdigen historischen
Verkehrungen, dass die sichtbarsten Kämpfe innerhalb Golkars ablaufen und dass
Golkar inzwischen erklärt hat, fortan als Oppositionspartei zu fungieren.
Enttäuschend ist auch die Schwäche der außerparlamentarischen Opposition, die
kaum Einfluss auf den Demokratisierungsdiskurs nimmt. Die Studentenbewegung
ist inzwischen in eine Vielzahl sich bekämpfender Grüppchen zerfallen, die allenfalls
noch durch Demonstrationen in der Jalan Cendana auf sich aufmerksam machen.
Auch die vielen neuen Gewerkschaften konnten sich bisher nicht zu mächtigeren
Dachverbänden zusammenschließen. Nur einige NGOs spielen bei der Aufklärung
der Vergangenheit und bei der Stärkung der Zivilgesellschaft eine erkennbare
Rolle.
Gegenwärtig scheint eine langfristige, krisenhafte Demokratiekonsolidierung am
wahrscheinlichsten zu sein. Das Militär ist zu sehr geschwächt und zu sehr in einzelne
Faktionen zerfallen, um mit Aussicht auf Erfolg putschen zu können. Und
trotz der immensen Probleme wird die parlamentarische Demokratie von der Mehrheit
der Bevölkerung noch nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Allerdings könnte
die weitere Konsolidierung durch verschiedene Entwicklungen gefährdet werden:
- Eine weitere Polarisierung zwischen Islamisten und säkularistisch orientierten
Gruppen erscheint möglich, wenn Megawati oder wenn Amien Rais die Präsidentschaft
übernehmen würde.
- Die Konflikte außerhalb Jakartas werden wahrscheinlich noch lange anhalten, eine
Schlichtung der verschiedenen Regionalkonflikte ist bisher nicht abzusehen.
- Die Durchführung des Gesetzes über regionale Autonomie wird zu unübersehbaren
Konflikten führen.
- Indonesien hat die Asienkrise noch lange nicht überwunden; die hohe Verschuldung
schränkt den Handlungsspielraum der Regierung mittelfristig stark ein.
Bleibt Wahid im Amt und bessert sich seine Amtsführung, sind die Aussichten auf
eine Festigung der Demokratie nicht schlecht. Eine Konsolidierung ist aber erst
möglich, wenn in den nächsten Jahren zumindest einige der folgenden Reformen
durchgeführt werden:
- Die Streitkräfte müssen zusehends aus nichtmilitärischen Bereichen gedrängt werden.
Die Sitze im MPR, die die TNI/Polri-Fraktion bis 2009 behalten darf, sind nicht
von großer Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr der Rückzug aus den Ministerien,
den Staatsunternehmen und der Bürokratie auf den unteren Verwaltungsebenen.
66 Kompas 27.7.2000.
67 Kyrway Report 2000-4, 4f; Buchori 2000.

Konsolidierung der Demokratie? 563
Außerdem müssen die Privatgeschäfte der Militärs aufgedeckt und zu einem Teil
aufgegeben werden. Die Territorialstruktur, die Geheimdienste und Sondertruppen
müssen aufgelöst oder wesentlich reformiert werden, und die Kompetenzen des
TNI-Kommandeurs sollten stärker begrenzt werden.
-Der Volkskongress sollte die Verfassung von 1945 ersetzen. Die neue Verfassung
müsste von einem Expertengremium erarbeitet und durch ein Referendum gegebenenfalls
bestätigt werden. Möglich wäre z.B. die Abschaffung des MPR und die
Einrichtung eines Senates, in dem nur die Provinzen vertreten sind. Um die dauerhafte
Legitimationskrise zu vermeiden, wäre die Direktwahl des Präsidenten sinnvoll.
-Die Regierung muss die von der Weltbank angemahnten Reformen schnell umsetzen.
Wichtig ist vor allem eine größere Transparenz der IBRA-Politik. Auch die
großen Unternehmer müssen vor ordentliche Gerichte gestellt werden.
-Eine der wesentlichen Voraussetzungen für die weitere Demokratisierung ist der
Aufbau eines verlässlichen Rechtsstaates. In den nächsten Jahren müssen korrupte
und reaktionäre Richter durch den Justizminister gegen reformorientierte ausgetauscht
werden.
- Die Verwaltungsdezentralisierung ist eines der bedeutendsten Projekte in der Transition.
Die regionalen Konflikte haben deutlich gemacht, dass der Zentralismus der
Neuen Ordnung dringend durch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Gebietskörperschaften
und der Zentrale ersetzt werden muss. In den nächsten Jahren
wird sich die Machtbeziehung zwischen Jakarta und den Regionen im günstigen Fall
nach dem Trial-and-Error-Verfahren austarieren.
- Die Lösung der Papua- und der Aceh-Frage wird auch vom Erfolg der Dezentralisierung
abhängen. Allerdings sind die Vorbehalte gegenüber der Regierung in Jakarta
in diesen Gebieten besonders groß, so dass die Entstehung zweier neuer Staaten
nicht unwahrscheinlich ist. Für den Nationalstaat Indonesien und für die gesamte
Region wäre eine Sezession ungünstiger als eine geregelte Sonderautonomie.

Teil IV: Schluss
8. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
Zum Schluss dieser Arbeit sollen die Veränderungen in der Herrschaftsfiguration
kurz referiert werden. Daraus ergeben sich dann Schlussfolgerungen für die Analyse
von Herrschaftsfigurationen im allgemeinen. Eine genauere Untersuchung der Transitionsphasen
im Anschluss an die Kapitel 5 und 6 sowie einige Überlegungen zur
Demokratietheorie sollen am Ende der Dissertation stehen.
Veränderungen der Herrschaftsfiguration (1965-1998)
Nach einem historischen Abriss, der im Sinne einer Sequenzanalyse der die Regimekoalition
bildenden Gruppen konzipiert war, wurde die Herrschaftsfiguration,
also der große, schwer durchschaubare Komplex herrschender und oppositioneller
Gruppen und ihrer zahlreichen Wechselbeziehungen, dargestellt. Mit den Mitteln
einer Elitenprofil-, Machtressourcen- und Strategienanalyse wurden in den Kapiteln
3 und 4 diese sehr unterschiedlichen Gruppen unter die Lupe genommen. Diese
ausführlichen Darlegungen sollten auch einen Eindruck von den gesamtgesellschaftlichen
Wandlungen vermitteln. Dabei zeigte sich, dass es seit 1965 zu folgenden
Veränderungen gekommen ist:
- Insgesamt hatten sich im Laufe von über drei Jahrzehnten der Einfluss und die
Macht Suhartos erhöht. Während er anfänglich eng mit den Generälen seiner Generation
zusammenarbeitete, ging er allmählich dazu über, nahezu sämtliche Entscheidungsbefugnisse
an sich zu ziehen. Er besetzte fast alle wichtigen Positionen in der
Verwaltung, im Militär, in der Regierungspartei Golkar, im Kabinett und in den
Staatsbetrieben mit loyalen Personen. Außerdem erwarb die Suharto-Familie ein
Vermögen von einigen Dutzend Mrd. DM und gehörte zu den wichtigsten Unternehmerdynastien
in Indonesien. Diese wirtschaftliche Macht, deren Basis die klientelistische
Anbindung der sinoindonesischen Milliardäre war, verschaffte dem Präsidenten
zahlreiche Möglichkeiten zur Kooptation.
- Die wirtschaftliche Entwicklung in Indonesien führte seit Mitte der 80er Jahre zu
einer Stärkung des privaten Sektors und veränderte die Zusammensetzung staatlicher
Einkünfte. Die Neue Ordnung war anfänglich ein Rentierstaat, in dem die staatliche
Erdölgesellschaft das mit großem Abstand wichtigste Unternehmen des Landes
war und unmittelbar von der Regimekoalition kontrolliert wurde. Mit dem Verfall
der Erdölpreise wurde einerseits eine Exportorientierung, andererseits eine Mobilisierung
von Unternehmenssteuern immer wichtiger. Die exportorientierte Industrialisierung
war nur durch Anreize für ausländische Investoren möglich. Deshalb deregulierte
man nach und nach den Bankensektor, den Außenhandel und die Investitionsgesetzgebung.
Durch diese Diversifizierung wurden komplexere Politiken notwendig.
564

Veränderungen der Herrschaftsfiguration 565
- Einige der frühzeitig kooptierten, am Anfang der Neuen Ordnung noch nicht so
mächtigen sinoindonesischen Unternehmer bauten riesige Konglomerate auf, so dass
wenige Familienunternehmen weite Bereiche der indonesischen Ökonomie beherrschten.
Aufgrund verschiedener Pro-pribumi-Politiken stiegen auch einige dieser
einheimischen Unternehmer - unter ihnen auch die Suhartos - auf.
- Die zivilen Kräfte wurden insgesamt stärker: Das zeigte sich darin, dass in den
80er und 90er Jahren Zivilisten im Kabinett, auf allen Ebenen der Verwaltung und in
der Regierungspartei Golkar deutlich stärker vertreten waren. Golkar wurde seit
1993 von einem Zivilisten geführt, und das Kabinett wurde - mit Ausnahme der
sicherheitspolitisch relevanten Ressorts - von zivilen Fachleuten dominiert.
- Dieser Zivilisierung entsprach eine Schwächung des Militärs. ABRI zog sich immer
mehr auch aus der Verwaltung zurück und verlor die Kontrolle über einige
Staatsunternehmen. Suharto hatte es in den letzten Jahren leichter, Entscheidungen
im Alleingang - ohne Konsultation der Militärführung - zu treffen. Bis Ende der
80er Jahre gab es "Geheimdienstzaren", also Militärs, die über einen erheblichen
Einfluss verfügten, eine starke Hausmacht hatten und zeitweise als Bedrohung für
Suharto angesehen wurden. Danach gab es kein solches Machtsubzentrum im Militär
mehr. Seit 1992 wurden außerdem aufgrund der hohen Anzahl von Offizieren die
höchsten Positionen nur noch jeweils wenige Monate besetzt. Durch diese hohe
Fluktuation konnten solche Subzentren kaum noch entstehen.
- In Indonesien ist es außerdem seit Ende der 80er Jahre zu einer Islamisierung sämtlicher
Gesellschaftsbereiche, auch des Staatsapparates, gekommen. Mit Islamisierung
ist gemeint, dass zwar die Pancasila unangetastet blieben, dass aber islamische
Organisationen und Führer und islamische Politikkonzepte immer einflussreicher
wurden. Dies äußerte sich in der Gründung der Organisation islamischer Intellektueller
ICMI, in der Verabschiedung zweier islamfreundlicher Gesetze über religiöse
Gerichte und über schulische Ausbildung, im staatlich geförderten Bau von Moscheen
und Gebetsnischen in öffentlichen Gebäuden, in der Einrichtung einer islamischen
Bank und in der wachsenden Präsenz muslimischer Intellektueller in den
Medien, den Universitäten, in der Bürokratie und im Kabinett. Außerdem wurden in
den 90er Jahren sogar einige der höchsten Militärposten mit strenggläubigen Muslimen
besetzt.
- Die Ideologen der Neuen Ordnung hatten es immer schwieriger, das Suharto-
Herrschaftssystem zu legitimieren. Der Integralismus, der Antikommunismus, die
dwifungsi-Doktrin und die Version einer indonesischen Pancasila-Demokratie gerieten
immer heftiger in die Kritik. Die kapitalistische Durchdringung aller Gesellschaftsbereiche,
die kulturelle "Amerikanisierung", die allgemeine Orientierung an
westlichen Statussymbolen, aber vor allem aufklärerische Einflüsse hatten die organizistischen
Gemeinschaftsideologien gründlich delegitimiert.
Zu diesen sich über Jahrzehnte erstreckenden Veränderungen kam die plötzlich
auftretende Asienkrise. Spätestens seit Mitte 1997 hat sich das Verhältnis zu dem
vom IWF repräsentierten Kreditgebern verändert. Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise
hat die indonesische Regierung ihre Handlungsfähigkeit zu einem erheblichen
Teil eingebüßt und muss sich den politischen Forderungen des IWF beu-

566 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
gen. Zu diesen Forderungen zählten die Durchsetzung von Sparmaßnahmen, eine
wesentliche Verbesserung der Bankenaufsicht, die Zerschlagung staatlicher oder
staatlich konzessionierter Monopole und allgemein eine Forcierung der Deregulierungspolitik,
begleitet von der Durchsetzung transparenter Mechanismen bei der
Auftrags- und Kreditvergabe sowie im Rechtssystem.
All die genannten sozialstrukturellen, soziokulturellen und politischen Veränderungen
führten zu bzw. waren begleitet von einer allmählichen Stärkung oppositioneller
Gruppen, was sich u.a. ablesen lässt:
- am Wiedererstarken der Studentenbewegung seit Ende der 80er Jahre,
- am Entstehen von Bündnissen zwischen Studenten, NGOs und Arbeitern bzw.
Bauern und an der Zunahme verschiedener Arten von Demonstrationen und Streiks,
- an der Gründung von regimekritischen Organisationen durch ehemalige Angehörige
der Machtelite sowie von nicht anerkannten Gewerkschaften und Parteien insbesondere
in den Jahren 1994-96,
- an der im Gegensatz zu vorher freien Wahl von Megawati Sukarnoputri zur PDI-
Parteivorsitzenden 1993, die große Unterstützung durch den arus bawah, den
"Unterstrom", und durch die Mittelklasse bekommen hatte und die Demokratiebewegung
in Indonesien symbolisierte,
- an der z.T. fundamentalen Kritik zweier prominenter, frei gewählter Führer islamischer
Massenorganisationen, nämlich Abdurrahman Wahid (NU) und Amien Rais
(Muhammadiyah),
- an einer insgesamt offeneren Presse, die auch über Skandale berichtete, in die die
Suharto-Familie und verschiedene Minister verwickelt waren,
- an einer breiten Diskussion über Menschenrechts- und Demokratisierungsfragen in
der Presse, an Universitäten, aber in Ansätzen auch im Parlament, in den Parteien
und der Armee,
- an der Zunahme sozialer Unruhen insbesondere seit 1995. Es handelte sich überwiegend
um lower-class-Proteste, in denen sich eine allgemeine Unzufriedenheit mit
der Suharto-Herrschaft und mit der immer deutlicher wahrnehmbaren sozialen Ungleichheit
artikulierte.
In der Neuen Ordnung kam es - vor allem seit Mitte/Ende der 80er Jahre - zu einer
Neustrukturierung der Figuration strategischer und konfliktfähiger Gruppen. Seit der
Übernahme des PDI-Parteivorsitzes durch Megawati, der Gründung einer relativ
mächtigen, unabhängigen (und eigentlich verbotenen) Gewerkschaft, zuletzt der
Gründung von unabhängigen Parteien sowie der Kritik durch Muslimführer wie
Abdurrahman Wahid und Amien Rais gab es dauerhafte Unruheherde, die es so
zuvor in der Neuen Ordnung nicht gegeben hatte und die nicht mehr unter Kontrolle
gebracht werden konnten. Die Regierung reagierte mit einigen Reformen, die aber
z.T. faktisch wieder aufgehoben wurden, nämlich u.a. mit:
- der ICMI-Gründung, die u.a. der islamisch orientierten, oftmals regimekritischen
Mittelklasse als Forum diente,

Veränderungen der Herrschaftsfiguration 567
- der Ankündigung, im August 1990 auf Zensurmaßnahmen und Publikationsverbote
künftig zu verzichten (die allerdings durch das Verbot von Tempo, Editor und Dëtik
im Jahre 1994 ad absurdum geführt wurde),
- der Einrichtung einer relativ kritischen Untersuchungskommission nach dem Dili-
Massaker (1991),
- der Einsetzung einer weitgehend unabhängigen Menschenrechtskommission
(1993) und
- der Aufhebung des Dekretes über den Einsatz des Militärs bei Arbeitskonflikten
(die allerdings ebenfalls eher als Teil einer symbolischen Politik anzusehen ist).
Es überwog aber bis zum Sturz Suhartos eine repressive Politik. Die Regimekoalition
war nur unter dem Druck der Opposition und des Auslandes zu kleineren Zugeständnissen
bereit. Die repressiven Maßnahmen (vor allem das Dili-Massaker im
Jahre 1991, die Presseverbote (1994) und der "Sabtu Kelabu" im Jahre 1996) führten
zu einer Zunahme der Opposition und zur weiteren Delegitimierung des Militärs und
ihrer Verbündeten. In den 90er Jahren verloren viele Indonesier und wohl die Mehrheit
der Stadtbewohner das Vertrauen zu Suharto und dem Militär. Demokrasi und
Demokratisasi wurden in den 90er Jahren zu den Schlüsselwörtern des politischen
Diskurses, so dass sogar die verstocktesten Militärs sich die Mühe machen mussten,
in vielsagenden Worten ein Bekenntnis zur Demokratisierung abzugeben.
Bemerkungen zur Analyse der Herrschaftsfiguration
In Abschnitt 1.2 wurden die Probleme bei der Analyse der Herrschaftsfiguration
erläutert. Um die Komplexität diese Gebildes adäquat wiedergeben zu können, wurden
Anregungen verschiedener theoretischer Ansätze aufgenommen. Zum einen
waren das die Einsichten der Neopatrimonialismustheorie, zum anderen einige Vorgaben
des SKOG-Ansatzes. Klassentheoretische Annahmen spielten in dieser Arbeit,
in der es vorwiegend um politische Strategien von relativ genau definierbaren
Akteuren im Prozess der Demokratisierung ging, allenfalls eine untergeordnete
Rolle.
Die strategischen oder herrschenden Gruppen unterschieden sich hinsichtlich ihrer
Machtressourcen, ihrer inneren Struktur und ihrer Ziele. In manchen Gruppen überwogen
z.T. recht egalitäre face-to-face-Beziehungen, in anderen waren die personalen
Beziehungen stark hierarchisiert. Es gab strategische Gruppen, die von Suharto
beherrscht wurden, während sich andere eine gewisse Autonomie erkämpfen konnten.
Da die strategischen Gruppen z.T. aus vielen kleineren Netzwerken bestehen, droht
der Gruppenbegriff diffus und unscharf zu werden. Der für alle diese Koalitionspartner
verwendete Begriff "strategische Gruppe" führt also unter Umständen zu
einer Einebnung bedeutender Unterschiede zwischen diesen Gruppen. Außerdem
würde eine zu schematische Anwendung des Konzeptes dazu verleiten, verschiedene
Gruppen isoliert nebeneinander zu stellen und die Hierarchisierungen unter diesen
Gruppen, ihre wechselseitige Durchdringung sowie die Sonderstellung des Neopatrimonialherren
zu vernachlässigen. Aus diesem Grund wurden in dieser Arbeit bei

568 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
der Analyse der Regimekoalition drei Integrationsformen unterschieden: strategische
Gruppen, deren Mitglieder sich vorrangig auf eine Machtressource stützen (die
wichtigsten sind: Militärs, Unternehmer, Politiker, Bürokraten und religiöse Führer)
sowie Allianzen auf der Grundlage einer gemeinsamen Programmatik zwischen
Mitgliedern der strategischen Gruppen (in Indonesien z.B. die nationalistischislamische
Habibie-Gruppe). Die Ausführungen in Abschnitt 3.3 über die Beziehung
Suhartos zu verschiedenen Klienten und Klientengruppen zeigten schließlich, dass
der Präsident Beziehungen zu verschiedenen Führern strategischer Gruppen aufbaute,
dass aber auf diese Weise neuartige, diese Gruppen transzendierende Patron-
Klient-Netzwerke entstanden. Man denke etwa an seinen Assistentenstab in den
ersten Jahren der Neuen Ordnung oder an seine besonders engen Beziehungen zu
einigen Führungspersonen im Militär, in der Bürokratie, in Golkar etc. Indonesiens
Neue Ordnung war ein Paradebeispiel für den Neopatrimonialismus, d.h. für die mit
traditionalistischen Lehren verbrämte Herrschaft einer patriarchalen, in vielfacher
Hinsicht königsgleichen Figur, die sämtliche an der Regimekoalition beteiligten
Gruppen und Grüppchen beherrschte. Suharto war so mächtig, dass vertikale, personale
Beziehungen und die Bildung von Patron-Klient-Netzwerken systematisch
berücksichtigt werden mussten. Im Vordergrund standen allerdings gruppentheoretische
Überlegungen.
Suhartos Klienten waren selbst wiederum Patrone für weitere Klienten, so dass sich
in vertikaler Richtung - von der Spitze der Gesellschaft bis an ihre Basis reichend -
Patron-Klient-Netzwerke bildeten. Diese neopatrimonial-klientelistische Logik bestimmte
die Struktur und die besonderen Funktionsgesetze des Gebildes Neue Ordnung
nachhaltig. In den gefestigten Institutionen mit geregelter, dauerhafter Hierarchie
(also im Militär, im Verwaltungsapparat, weniger stark in der Regierungspartei)
wurden solche neopatrimonialen Bindungen durch - im Weberschen Sinne - legalrationale
bürokratische Beziehungen ersetzt oder zumindest ergänzt.
Während die strategischen Gruppen mit zahlreichen Machtressourcen versorgt waren
und zusammen eine recht stabile Regimekoalition bildeten, konnten die ressourcenschwachen
konfliktfähigen Gruppen keine solche stabile Gegenkoalition formieren.
Daher wurden z.T. Begriffe gewählt wie "Demokratiebewegung", "Reformbewegung"
oder "Opposition", die zum Ausdruck bringen sollten, dass die Beziehungen
zwischen diesen Gruppen lose und wenig strukturiert waren. Während die strategischen
Gruppen häufig hierarchisiert waren und gut definierte Machtbereiche
besetzten, ließ sich bei den oppositionellen Gruppen eine Tendenz zur egalitären
Organisation, zumindest zu einer Abkehr von strikten Hierarchien konstatieren.
Die Studentenbewegung von 1998 z.B. kam fast völlig ohne die "traditionellen"
Studentenorganisationen aus und bildete sich meist ad hoc und kurzfristig. Die Studenten
kannten sich häufig nicht gegenseitig, hatten als einzige Machtressource das
Drohpotenzial der Protestierenden und verfolgten keine langfristigen Strategien,
sondern waren durch ein einziges, wenn auch weit reichendes Minimalziel, nämlich

Veränderungen der Herrschaftsfiguration 569
"Reformasi", vereint. 1 Ebenso bildeten die NGO-Aktivisten oder die Professionals
keine eindeutig abgrenzbaren Gruppen, sondern waren Teil eines Sammelsuriums
von Grüppchen, Organisationen, formellen und informellen Netzwerken, die teils
staatsunabhängig, teils in partieller Abhängigkeit vom Staatsapparat tätig waren.
Sozusagen auf mittlerer Ebene zwischen den personalen und den hoch abstrakten
Klassenbindungen formieren sich also herrschende und oppositionelle Gruppen auf
der Basis jeweils gemeinsamer Strategien und Ziele. Die Figuration dieser Gruppen
gibt Aufschluss über die Blockierung und die Ermöglichung von Systemwandlungen.
Blockierung der Demokratisierung
In Indonesien kam es zu einer extremen Demokratisierungsblockade wegen der oben
angesprochenen strukturellen Spezifika. 2 Diese Blockierung konnte in der Krisenphase
nur durch radikale Reformen überwunden werden. Anders als etwa in Taiwan,
wo die Verfassung und die politischen Spielregeln in mehreren Phasen schrittweise
geändert wurden und in relativ reibungsloser Form ein Regimewechsel vollzogen
wurde, kam es in Indonesien zu radikalen Reformen nach einer Phase übermäßiger
Blockierung. Welche sind nun die Faktoren, die zu einer Blockierung der Demokratisierung
in Indonesien beigetragen hatten?
a) Das Militär verstand sich nicht als temporären Garanten der politischen Stabilität,
sondern - gegründet auf die Doktrin der Doppelfunktion (dwifungsi) - als eine Organisation,
die während des antikolonialen Guerillakampfes aus dem Volk erwachsen
war und von vornherein Aufgaben in allen gesellschaftlichen Bereichen zu übernehmen
hatte. Eine rein zivile Regierung wurde vom Militär grundsätzlich abgelehnt.
b) Schon zu Beginn der Neuen Ordnung wurde die politische Linke in für weite
Teile der Bevölkerung traumatisierender Form vernichtet. Auch danach wurde jegliche
Opposition unterdrückt.
c) Die Regimekoalition stand unter der Herrschaft Suhartos, der in typisch javanischer
Manier wie ein König über seine Untertanen gebot und geschickt den Aufbau
etwaiger Machtzentren verhinderte. Diese Machtzentralisation an der Spitze war
eine Art Modellfall des Neopatrimonialismus.
d) In Indonesien hatte sich keine relativ unabhängige Unternehmerschaft entwickeln
können. Von den führenden 200 Unternehmen wurden etwa 160 von Sinoindonesiern
kontrolliert. Diese waren oftmals direkt von staatlichen Krediten und Konzessionen
abhängig. Darüber hinaus konnten sie weder im Militär noch in der Bürokratie
in die höchsten Ränge vorstoßen. Die wenigen pribumi-Unternehmen gehörten
meist den Kindern der Generäle und Bürokraten.
1 Diese Strategien lassen sich zudem nicht, wie bei den Angehörigen der Regimekoalition,
auf Macht-erhaltungs- und -erweiterungsbestrebungen reduzieren,
sondern sind in hohem Maße von einer postkonventionellen Moral bestimmt.
2 Zur Blockierung der Demokratisierung: Schubert/Tetzlaff 1998b; Graf 1998.

570 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
e) Bis weit in die 80er Jahre hinein war Indonesien als Rentierstaat zudem nicht auf
die Unterstützung durch die Steuerzahler angewiesen, so dass die Regimekoalition
relativ autonom agieren konnte.
f) Die Mittelklasse war zu einem erheblichen Teil vom Staat, d.h. von staatlichen
Gehältern, Konzessionen, Lizenzen und Krediten, abhängig und auf das Wohlwollen
der Machthaber auf Provinz-, Distrikt-, Subdistrikt- und Dorfebene angewiesen.
g) Die Javanisierung der Nationalkultur und die Indoktrinierung mit integralistischen
Ideologien trugen zur Herrschaftsstabilisierung bei.
Die strategischen Gruppen waren zudem in der Lage, zahlreiche Interdependenzbeziehungen
zu schaffen, die den Zusammenhalt der Regimekoalition stärkten. Auf
allen Verwaltungsebenen arbeiteten Staatsanwälte, Militärs und Bürokraten zusammen.
Das Militär besetzte Positionen in der Verwaltung, in der Regierungspartei
Golkar und in den Staatsbetrieben. Die gesamte Regimekoaliton kooperierte mit
pribumi- und mit sinoindonesischen Unternehmern. Islamische Führer und Intellektuelle
wurden häufig kooptiert.
Wegen dieser engen Symbiose war die Regimekoalition in Indonesiens Neuer Ordnung
außergewöhnlich konservativ. Es gab kaum einen Bürokraten, Golkar-
Politiker, Großunternehmer oder hohen Offizier, der die Opposition vor dem Mai
1998 unterstützte. Die Struktur der Regimekoalition, d.h. die Allgegenwart des Militärs,
die relative Schwäche der Regierungspartei, die alles durchdringenden neopatrimonialen
Bindungen an verschiedene Patrone und letztlich den Oberpatron Suharto
sowie der Pariastatus der Sinoindonesier verhinderten die Bildung von tiefen
Rissen in der Herrschaftselite und von heterodoxen Gegeneliten.
Trotzdem setzte die erste Phase der Transition, die Phase der Destabilisierung und
der Erosion der Herrschaftslegitimierung, in Indonesien bereits Ende der 80er Jahre
ein. Die Regimekoalition in Indonesien war zwar über Jahrzehnte außergewöhnlich
stabil, zerfiel dann aber im Jahre 1998 in kürzester Zeit. Die zuvor stabilisierenden
Faktoren trugen zu dem plötzlichen Zusammenbruch maßgeblich bei. Z.B. waren
die politisch ohnmächtigen, aber wirtschaftlich dominierenden sinoindonesischen
Großunternehmer im neopatrimonialen Regime erpressbar. Bei einer geschwächten
Führung hingegen kann eine solche wirtschaftliche Elite zur Implosion des Herrschaftssystems
ungewollt beitragen, weil sie zu leichten Angriffszielen der Opposition
wird. Die Neue Ordnung legitimierte sich durch eine organizistische Doktrin,
die mit ihrem alles umfassenden Erklärungsanspruch und mit dem Ausschluss jeder
Art von Opposition Ähnlichkeiten zu totalitären Volksgemeinschaftsideologien
aufwies. Zu den Dilemmata solcher Doktrinen gehört es, dass sie ihrem eigenen
Anspruch niemals gerecht werden können: Schließlich kann es keinen harmonischen
"Familienstaat" geben. Auch das Herrschaftssystem war nur unter größten Anstrengungen
aufrechtzuerhalten. Im Moment des beginnenden Zerfalls setzte eine Beschleunigung
ein, da die legitimierenden Ideologien und die herrschaftsstabilisierenden
Organisationen zerfielen.

Veränderungen der Herrschaftsfiguration 571
Entscheidend aber war wohl, dass die große Abhängigkeit von ausländischen Kreditgebern
und Investoren eine Verrechtlichung und administrative Verstetigung
erforderlich machten. Diese Ausländer waren nicht mehr wie 1965/66 mit autoritär
überwachten Produktionsinseln zufrieden zu stellen. Sowohl die Militärs und die
Nationalisten in der Verwaltung als auch die Vertreter eines politisch interpretierten
Islam mussten einsehen, dass die wirtschaftliche Entwicklung nur durch die Schaffung
von Transparenz, Berechenbarkeit und von Mechanismen des geregelten Interessenausgleichs
garantiert werden konnte.
Schlussfolgerungen zur Demokratietheorie
In dieser Arbeit sollte zum einen die Herrschaftsfiguration der Neuen Ordnung in
ihrer Vielgestaltigkeit transparent gemacht werden, zum anderen sollte die erste und
zweite Phase der Transition vorgestellt und aus einer längeren Vorgeschichte für den
Leser nachvollziehbar abgeleitet werden.
Die Demokratiegegner und -skeptiker, zu denen auch viele Beobachter aus dem
Westen gehörten, verwiesen immer wieder auf die vermeintlich demokratiefeindliche
javanische Kultur (weniger auf Liberalisierungshindernisse, die der islamischen
Religion inhärent seien) und/oder auf die sozioökonomische Unterentwicklung Indonesiens
sowie die sich daraus ergebenden strukturellen Demokratisierungshemmnisse.
Die bisherigen Ausführungen insbesondere in Abschnitt 1.1 und 3.1 sollten jedoch
expliziert haben, dass eine kulturalistische Beweisführung nicht stichhaltig ist, da sie
sozialstrukturelle Differenzierungen vernachlässigt und sich von der kulturellen
Konstruktionsarbeit der herrschenden Eliten täuschen lässt. Kulturspezifische Verhaltens-
und Wahrnehmungsweisen sollten auch in politologischen Analysen berücksichtigt
werden, zumal der Neopatrimonialismus Suhartoscher Prägung sich
ausdrücklich auf - häufig vermeintliche - jahrhundertealte Traditionen bezog. Nur
sollte der Selbstinterpretation der Neuen Ordnung nicht reifizierend gefolgt werden.
Durch die selektive Aktivierung bestimmter Kulturmuster - durch die Javanisierung
der Nationalkultur und die Propagandierung organizistischer Ideen - konnte die
Orba-Herrschaft stabilisiert werden. Die Vorstellung aber, dass die javanische Kultur
in welcher Form auch immer einer Demokratisierung quasi unausweichlich und
dauerhaft im Wege stünde, ist nicht schlüssig nachweisbar.
Interessanter scheinen demokratietheoretische Ansätze zu sein, die unterschiedliche
ökonomische Variablen zugrunde legen und daraus die Wahrscheinlichkeit von
Prozessen der Demokratisierung ableiten. Nur sollten auch solche Modelle vielschichtig
angelegt sein. Im Falle der Neuen Ordnung lassen sich lineare, reduktionistische
Modelle nur z.T. bestätigen. Die wirtschaftliche Modernisierung hat zu
sozioökonomischen, sozialstrukturellen und kulturellen Wandlungen geführt, die die
Einleitung der ersten Transitionsphase, d.h. eine allgemeine "Öffnung" der Neuen
Ordnung, gefördert haben. Die entscheidenden personellen und institutionellen Veränderungen
aber waren auch die Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise seit 1997.
Die Asienkrise hat in mehreren Ländern einen politischen Wandel erzwungen. Die

572 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
betroffenen Regierungen mussten erkennen, dass Rechtsstaatlichkeit und Transparenz
in hochgradig vernetzten und damit höchst sensiblen Ökonomien unmittelbar
mit dem wirtschaftlichen Erfolg verknüpft sind. Zu den Auslösern und Verstärkern
der Asienkrise zählen nämlich zum einen die vom IWF oft beklagten Phänomene,
wie die Korruption und die Vetternwirtschaft, die fehlende Bankenaufsicht, die
hochspekulativen Investitionen - z.B. im Immobiliensektor -, die oberflächliche
Risikovorsorge, unsinnige Prestigeprojekte ("weiße Elefanten"), die fehlende Transparenz
bei der Vergabe von Krediten und Aufträgen sowie die fehlende Berechenbarkeit
des Rechtssystems. Indonesien ist also ein Beispiel für eine Demokratisierung,
die nicht gemäß dem Standardmodell die Folge einer kontinuierlichen ökonomischen
Entwicklung mit den bekannten Begleiterscheinungen war. Zwar war die
beschriebene Pembangunan-Politik bis 1997 eine Voraussetzung für die Demokratisierung,
weil dadurch erst die vorgestellten konfliktfähigen Gruppen entstehen konnten.
Allerdings fand der politische Umbruch während des wirtschaftlichen Zerfalls
statt.
Die Asienkrise hätte 20 oder 10 Jahre vorher die Regimekoalition wahrscheinlich
nicht zu Fall gebracht. Zumindest wäre eine schnell eingeleitete Demokratisierung
kaum möglich gewesen. Fünf Jahre vorher wäre eine solche Krise gefährlich geworden,
hätte eventuell ebenfalls zur Ablösung von Suharto, aber vermutlich noch nicht
zu weit reichenden politischen Reformen geführt. Dazu konnte es nur kommen, weil
Indonesien sich bereits in der kritischen Phase der Transition befand.
Das jeweils besondere Institutionendesign und die Akteurskonstellationen können zu
Blockierungen führen, sie können aber auch Prozesse der politischen Liberalisierung
auslösen. Eine erfolgreiche Demokratisierung ist auch in relativ armen Ländern mit
relativ wenig differenzierter Sozialstruktur und ohne das Vorhandensein einer starken
Mittelklasse möglich. Voraussetzung dafür ist aber, dass die spezifische Figuration
der Regimekoalition und der Opposition und die Art der Einbindung in das
internationale System eine Machtzentralisierung erschweren.
Es gibt also verschiedene Pfade der Demokratisierung. Taiwan und Südkorea sind
zwei Modellfälle für eine durch wirtschaftlichen Fortschritt induzierte politische
Liberalisierung. In Indonesien hingegen war nicht der an einigen oberflächlichen
Messgrößen abgelesene Entwicklungsstand der gesamten Gesellschaft ausschlaggebend,
sondern das Zusammentreffen sowohl wirtschaftlicher als auch sozialstruktureller,
innenpolitischer und internationaler Faktoren. Der wirtschaftliche Fortschritt
fördert die Demokratisierung vor allem dann, wenn er mit einer Machtstreuung
verbunden ist, nicht, wenn nur eine Minderheit ihre Machtposition mit wirtschaftlichen
Mitteln ausbauen kann.
Ähnlich wie bei dem Sturz des Marcos-Regimes in den Philippinen (1986) war es
eine im Widerspruch zu einer simplen Fassung der Modernisierungstheorie stehende
progressive Systemtransformation, die sich im entscheidenden Moment aus dem
wirtschaftlichen Niedergang, nicht aus dem wirtschaftlichen Fortschritt ergab.

Veränderungen der Herrschaftsfiguration 573
Die Transition bis zum Mai 1998
Es soll zwischen der Periode vor dem politisch-institutionellen und verfassungsrechtlichen
Wandel (der ersten Transitionsphase) und jener aus drei Phasen bestehenden
Periode von der Einleitung dieser einschneidenden Reformen bis zur
weitgehend abgeschlossenen Konsolidierung der Demokratie unterschieden werden.
3 In Anknüpfung an die Periodisierung der Entwicklung konfliktfähiger Gruppen
nach 1988 in Abschnitt 4.3 wurde in dieser Arbeit die erste Transitionsphase der
Destabilisierung und Delegitimierung in fünf Abschnitte unterteilt: 4
- Von 1988 bis 1993: U.a. aufgrund von Konflikten in der Regimekoaliton setzte
eine leichte Öffnung (keterbukaan) ein. Sämtliche konfliktfähigen Gruppen wurden
aktiver. Auch aus sozialstrukturellen und soziokulturellen Veränderungen ergab sich
eine vorsichtige Integration und partielle Kooptation islamischer Gruppen. Der öffentliche
politische Diskurs wurde lebhafter, Meinungsverschiedenheiten wurden
deutlicher sichtbar, und Kritik wurde eindeutiger und offener formuliert.
- Von Ende 1993 bis Juli 1996: Zwar gab es Rückschläge bei der graduellen Öffnung
(etwa mit den Presseverboten), aber es bildete sich ein Reformflügel in der
PDI, und in der Folge konstituierten sich parteiähnliche Organisationen (PNI Baru,
Masyumi Baru etc.) und schließlich neue Parteien (PRD und PUDI). Die konfliktfähigen
Gruppen brachten die Regimekoalition mehr und mehr in Bedrängnis. Eine
prodemokratische Bewegung zeichnete sich deutlicher ab, schaffte sich institutionalisierte
Formen und baute Allianzen untereinander und hin und wieder mit Teilen
der Regimekoalition auf.
- Von Juli 1996 bis Februar 1998: Nach dem "Sabtu Kelabu" wurden paradoxerweise
wieder vermehrt Verbote ausgesprochen, und Teile der Opposition wurden in die
Illegalität gezwungen. Durch die Asienkrise beschleunigte sich seit Ende 1997 die
schleichende Erosion der Legitimationsbasis, und die Kritik an Suharto wuchs. Seit
dieser Zeit begann auch der Einfluss externer Akteure, also der Weltbank und des
IWF bzw. ausländischer Regierungen, immens zu steigen.
- Von Februar 1998 bis Mitte Mai 1998: Die politisch aktiven Studenten übernahmen
die Führung in der Opposition und wurden von den anderen konfliktfähigen
Gruppen unterstützt. Die Regimekoalition verhielt sich überwiegend abwartend, es
traten aber deutliche Risse in dieser Koalition auf. Der Druck durch die externen
Akteure stieg ständig, wenngleich eine Einigung auf wirtschaftspolitische Reformen
noch möglich gewesen wäre.
3 Vgl. zur Transition zuletzt: Malley 2000; Ufen 2001b.
4 Vgl. etwa Schubert/Tetzlaff/Vennewald (1994, 422f), deren Phasen II und III
hier zu einer Phase zusammengefasst werden. Zu verschiedenen Transitionsmodellen
siehe auch: Merkel/Sandschneider/Segert (Hg.) 1996; Pinkney 1993, Kap. 6-8.
Auch Uhlin (1995, 93ff) setzt den Beginn der Transition (er spricht allerdings von
"Prätransition") auf die Jahre 1988/89 an. Er schreibt: "It is only since the late 1980s
that we see a combination of severe conflicts within the ruling elite and broad and
growing popular pressure for democratic reforms, including cooperation between
middle class activists and workers and peasants", Uhlin 1995, 96.

574 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
- Von etwa Mitte Mai bis zum Rücktritt Suhartos: Die Regimekoalition zerfiel, und
Teile von ihr zwangen - unterstützt durch die die Massen mobilisierende Opposition
- Suharto zum Rücktritt. Auch der Druck aus dem Ausland erreichte seinen Höhepunkt.
Ausgehend von der viel zitierten Unterscheidung Huntingtons zwischen Transformation
(initiiert durch die Regimekoalition), Intervention (durch eine ausländische
Macht), Replacement (initiiert durch die Opposition) und Transplacement (ein
Kompromiss zwischen Regimekoalition und Opposition) 5 sprach der indonesische
Soziologe Arief Budiman vor dem Sturz Suhartos an einer Stelle dem letztgenannten
Reformmodell die größte Relevanz zu. Es werde mit großer Wahrscheinlichkeit
nicht eine nahezu vollständige Ablösung der Machtelite, aber auch nicht eine einseitig
von dieser Elite begonnene und durchgeführte Demokratisierung geben, sondern
am ehesten ein Geben und Nehmen zwischen der Regimekoalition und den kurzfristig
geeinten Oppositionskräften. Wie die Wahl Megawatis zur Parteivorsitzenden
gezeigt habe, seien die Machthaber in bestimmten Situationen gezwungen gewesen,
auf die Forderungen der Opposition einzugehen und Kompromisse zu suchen. Ein
anderes Beispiel sei die Freisprechung des vom Militär willkürlich ausgesuchten,
vermeintlichen "Udin"-Mörders.
Wie die Ereignisse seit Anfang 1998 gezeigt haben, erfüllte sich Budimans Transplacement-Prognose
nur zum Teil. Es zeigte sich auch, dass das Modell von
Huntington, das sich in ähnlicher Form in vielen anderen Publikationen wiederfindet,
im Einzelfall in differenzierterer Form angewandt werden muss. Schließlich ist
der Wechsel von einem politischen System zu einem anderen kein gerichteter, linearer
Prozess, sondern verläuft unvorhersehbar, häufig ungeplant und "chaotisch".
Deshalb auch ist es sehr schwierig, sich auf eines der oben genannten Transitionsmuster
festzulegen. Im indonesischen Fall finden sich Elemente all der genannten
Transitionsformen, und je nach Transitionsphase ergaben sich andere Koalitionen
und übernahmen jeweils andere Akteure die führende Rolle. So waren die Studenten
bis Mitte Mai 1998 die Akteure, die zusammen mit den genannten externen Akteuren
die Regimekoalition in die Defensive zwangen und in gewisser Weise das Tempo
bestimmten. In dieser Phase deutete sich eine Mischung von Intervention und
Replacement an. In den letzten Tagen vor dem Rücktritt Suhartos aber plädierten
auch Teile der Regimekoalition für Reformen: Es kamen also Momente der Transformation
und des Transplacement hinzu. Die reformbereiten Teile der Regimekoalition
und die Opposition verhandelten in der ersten Transitionsphase nur sehr sporadisch
miteinander, da die Opposition und externe Akteure das Reformtempo aber
vorgaben, führte das zu einer gegenseitigen Abhängigkeit, zu einer Art "Arbeitsteilung"
und zur Bildung einer "stillen Koalition".
Es finden sich also Elemente sämtlicher Transitionsformen, insgesamt scheint es
aber am sinnvollsten zu sein, von einem Transplacement mit interventionistischen
Elementen zu sprechen. Wie fragwürdig selbst diese vorsichtige Bestimmung ist,
5 Huntington 1991.

Schlussfolgerungen zur Demokratisierung 575
zeigt sich daran, dass diese "Intervention" in höchst indirekter Form erfolgte und
dass das Transplacement von einer "Koalition" vollzogen wurde, die kaum bewusst
plante und sich zumeist nicht abstimmte. Zu den externen Einflüssen zählten insbesondere
die von den meisten westlichen Regierungen gestützten Forderungen der
Weltbank und des IWF nach mehr Transparenz und Rechtsstaatlichkeit, nach einer
Reform des Bankensystems und - was politisch hoch brisant war - nach einer Aufhebung
verschiedener Begünstigungen für die Suhartos, für Habibie und für einige
cukong.
Der abrupte, beschleunigte Systemwechsel 1998 war auch eine Folge der spezifischen
Entscheidungszwänge in neopatrimonialen Machtgefügen. Die Angehörigen
der Regimekoalition befanden sich in der "heißen" Phase des Systemwechsels in
einer Alles-oder-nichts-Situation: Das hieß entweder weitere Unterstützung Suhartos
oder Entzug der Loyalität. Eine vermittelnde Position war nicht möglich, da Suharto
sich selbst zu kleinen Reformschritten nicht bereit erklärte.
Schlussfolgerungen zur Demokratisierung nach Suharto
Die weiteren Transitionsphasen
Im Übergang zur zweiten Transitionsphase löste sich die Regimekoalition in ihrer
bisherigen Zusammensetzung auf, und die strategischen Gruppen mussten sich neu
orientieren. Die sich anschließenden Transitionsphasen II bis IV lassen sich folgendermaßen
beschreiben:
- Eine Phase der ersten Liberalisierung und der Verhandlung über das zu schaffende
neue politische System (Phase II). Dieser Abschnitt begann mit dem Amtsantritt
Habibies und endete mit den nationalen Wahlen. In dieser Interimsphase führte die
Regierung Habibie unter dem Druck des Auslandes (insbesondere des IWF und der
Weltbank) und der einheimischen Opposition radikale Reformen in gesellschaftlichen
Teilbereichen durch. Nach dem Huntington-Modell lassen sich diese Ereignisse
als Transplacement mit interventionistischen Elementen bezeichnen. Nach dem
21. Mai hatte Habibie die Aufgabe, die alten Machtgruppen unter dem Banner der
Demokratisierung anzuführen und ihre Privilegien zu sichern. Die Opposition war
im Mai 1998 noch nicht in der Lage, die grundlegenden politischen Spielregeln
sofort zu ihren Gunsten zu verändern. Während die radikalen Oppositionellen, das
waren weiterhin vor allem Studentengruppen, lediglich auf der Straße ihre Interessen
artikulieren konnten und kaum über Verhandlungsmacht verfügten, waren die
moderaten Demokraten mit Massenanhang (Amien Rais, Abdurrahman Wahid und
Megawati) von vornherein in der Lage, Habibie und die ihn unterstützenden Machtgruppen
unter Druck zu setzen und Forderungen zu stellen. Sie konnten aber ebenfalls
nicht in die Zentren der Macht vordringen und sich nicht sofort an den Entscheidungsprozessen
beteiligen. Sie mussten Habibie bei seinen mehr oder weniger
aufrichtigen Reformbemühungen zusehen.
Habibies Position war so schwach, dass von einer Regimekoalition kaum gesprochen
werden kann. Die konservativen und reaktionären Eliten waren nicht mehr in

576 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
einem stabilen, auf Dauer angelegten Bündnis zusammengeschlossen. Folglich
wechselten im Laufe des Jahres ständig die Kooperationsformen und -partner. Habibie
verbündete sich mit dem Wiranto-Flügel, konnte sich dessen Unterstützung aber
nie ganz sicher sein. Ähnliches gilt für den Akbar Tanjung-Flügel bei Golkar und für
die Bürokratie. Die Großunternehmer waren in der Wirtschaftskrise ohnehin relativ
machtlos, sahen sie sich doch dem Diktat der IBRA (Indonesian Bank Restructuring
Agency) und der INDRA (Indonesian Debt Restructuring Agency) unterworfen.
In der Interimsphase kam es zwar zu "Reformen von oben", aber diese Gesetzesänderungen
waren in einem so starken Maße durch externe Akteure wie dem IWF und
durch die stärker werdende, jetzt vollkommen legalisierte und legitimierte Opposition
erzwungen, dass von Transformation nicht gesprochen werden kann. Auch hier
handelte es sich um ein Transplacement mit interventionistischen Elementen.
Bedenkt man aber, dass die noch amtierenden Entscheidungsträger erwartungsgemäß
mit den Wahlen ihre Macht weitgehend verloren, ist der Gesamtvorgang eher
als Replacement einzustufen. Dieses Replacement verlief in den Bahnen der noch
gültigen Verfassung von 1945. Nur in einigen Krisensituationen - wie im November
1998 - war dieses Replacement abhängig von der Mobilisierung von Massen.
- Eine der Machtneuverteilung nach den ersten Wahlen: Diese Phase III setzte nach
dem 7.6.1999 ein. Mit den Koalitionsbildungen und der Wahl des neuen Präsidenten
Abdurrahman Wahid im Oktober 1999 wurde diese Phase abgeschlossen. Sie war
ebenfalls eine von einer großen Verunsicherung geprägte Übergangsphase. Immer
noch gab es Befürchtungen, dass die alten Eliten im letzten Moment das Steuer
herumreißen könnten. Im Juni glaubten viele, dass es bei den Wahlen zu schwerwiegenden
Manipulationen, eventuell sogar zu Anschlägen kommen könnte. Das Militär
hätte dann als Ordnungsmacht eingreifen können. Noch als sich Habibie am 8.
September mit mehreren Ministern und Generälen traf, machten Putschgerüchte die
Runde. Und ein Gesetz, das in den letzten Septembertagen verabschiedet wurde,
räumte dem Militär in Situationen des Notstands (keadaan bahaya) weit reichende
Vollmachten ein. Erst nach heftigen Protesten wurde das Gesetz auf Eis gelegt.
Noch bei der MPR-Sitzung im Oktober 1999 erwarteten viele Beobachter, dass
Habibie durch Stimmenkauf und durch Zugeständnisse an Anhänger eines stark
politisierten Islam erneut zum Präsidenten gewählt werden könnte. Insgesamt kam
es in diesen vier Monaten aber nicht zu gravierenden Rückschlägen. Diese Phase
war daher von einem legalen Replacement durch Wahlen und durch Verhandlungen
der neuen politischen Elite geprägt.
- In der letzten Transitionsphase wird die parlamentarische Demokratie weiter institutionalisiert
und konsolidiert (Phase IV). Sie wird erst dann zu einem vorläufigen
Ende gekommen sein, wenn die größten Reformprojekte durchgesetzt worden sind
und wenn die Angehörigen der alten Regimekoalition keinen nennenswerten Einfluss
mehr auf die Regierungsgeschäfte haben werden. So betrachtet, hat der Prozess
der Konsolidierung erst begonnen. Erst in einigen Jahren, vielleicht erst mit Ablauf
der zweiten Legislaturperiode im Jahre 2009, wird günstigstenfalls die Demokratie

Schlussfolgerungen zur Demokratisierung 577
so gefestigt sein, das Staatszerfall, Putsch und Bürgerkrieg unwahrscheinlich geworden
sein werden.
Noch immer gibt es einen starken interventionistischen Impetus. Ein Rückfall in den
Autoritarismus würde zum Abzug ausländischen Kapitals und zu Sanktionen des
IWF und der Weltbank führen. Dieser internationale Druck könnte einen langsamen
Transplacement-Prozess unterstützen. Wahid versucht, einen Teil der Orba-Eliten
aus den Machtzentren zu verdrängen. Bis Anfang des Jahres 2001 ist ihm dies in nur
sehr unvollkommener Weise gelungen. Einige strategische Gruppen, insbesondere
die Militärs, einige sinoindonesische Großunternehmer und viele Bürokraten, konnten
einen Teil ihrer Privilegien wahren.
Transitionsprozesse verlaufen nur im Idealfalle gemäß diesem Vier-Phasen-Modell.
Die Entwicklungen in Indonesien seit dem Mai 1998 bis zur Gegenwart (d.h. Anfang
des Jahres 2001) zeigen jedoch sehr deutlich, dass ein autoritäres und ausgesprochen
repressives Regime, zumal während einer schweren wirtschaftlichen Krise,
nicht bruchlos in eine stabile parlamentarische Demokratie transformierbar ist -
jedenfalls wäre ein solcher Fall eine seltene Ausnahme.
Strategische und konfliktfähige Gruppen in der fragilen Demokratie
Da die Herrschaftssysteme in der Habibie- und in der Wahid-Ära jeweils vom Erbe
der Neuen Ordnung geprägt waren bzw. sind, könnte man die Veränderungen während
dieser Transitionsphasen als eine Umstellung der Herrschaftsfiguration deuten.
In der Umstellungsphase kann sowohl mit dem SKOG-Modell als auch mit solchen
Kategorien, mit denen man entwickelte Demokratien untersucht, gearbeitet werden.
Die einst mächtigen strategischen Gruppen stehen nun unvermittelt nebeneinander.
Spitzenpolitiker, Militärs und Bürokraten können nicht mehr umstandslos mit sinoindonesischen
Konglomeraten zusammenarbeiten. Es fehlt jetzt die Basis aus
staatlichen Krediten, öffentlichen Aufträgen und Lizenzen. Präsident Abdurrahman
Wahid hat bei weitem nicht solche Vollmachten wie Suharto sie hatte. Es gibt keine
von ihm dauerhaft abhängigen cronies, die er nach Belieben ausbeuten könnte, und
er verfügt nicht über ein nennenswertes, seinen politischen Einfluss mehrendes Privatvermögen.
Insbesondere das in einzelne Faktionen zerfallene Militär ist instabil.
In der Bürokratie hat ein Elitenwechsel zumindest in den Ministerien, den Staatsbetrieben,
die jetzt von verschiedenen Kontrollbehörden beaufsichtigt werden, und an
der Spitze der Gebietskörperschaften stattgefunden. Die Großunternehmer sind
entweder bankrott, haben das Land verlassen, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung
rechnen (die Suhartos, "Bob" Hasan u.a.) oder stehen vor umfassenden Umstrukturierungen.
Außerdem haben sie in vielen Fällen ihre Patrone und Privilegien
verloren. Noch dazu ist die Zivilgesellschaft mittlerweile so sensibilisiert für
"KKN"-Delikte, dass jeglicher Verstoß einen öffentlichen Aufschrei bewirkt.
Das Konzept der strategischen und konfliktfähigen Gruppen eignet sich angesichts
der Auflösung der alten Regimekoalition nur bedingt zur Analyse der Herrschaftsfi-

578 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
gurationen nach dem Mai 1998. Mit zunehmender Demokratisierung und Machtstreuung
nimmt nämlich die Erklärungskraft des Konzeptes ab. Von einer stabilen
Regimekoalition, die sich erfolgreich gegen die konfliktfähigen Gruppen abschottet,
kann heute keine Rede mehr sein, eher von einer großen Koalition von Politikern,
die einen mehr oder weniger losen Kontakt zu Militärs, Bürokraten und Unternehmern
haben. Unterhalb der Regierungs- und Parlamentsebene toben in vielen Regionen
und innerhalb der einstmals gefestigten strategischen Gruppen Herrschaftskämpfe.
Insofern ist Indonesien gegenwärtig eine parlamentarische Demokratie mit
anarchischem Unterbau.
Anders als viele erwarteten, sind radikale Oppositionelle heute kaum konfliktfähiger
als vor dem Sturz Suhartos. Einige moderate Oppositionelle der Mittelklasse sind
gegenwärtig selbst im Parlament oder in der Exekutive vertreten. Insofern werden
ihre Interessen im politischen Entscheidungsprozess berücksichtigt. Der gesamte
Systemwechsel fand aber fast vollkommen unter Ausschluss der lower class statt. 6
Damit bestätigen sich Theorien, die der Mittelklasse eine prominente Rolle bei Prozessen
der Demokratisierung einräumen. Arbeiter, Bauern und die urban poor waren
allenfalls Randfiguren. Auch in der zweiten, dritten und vierten Phase der Transition
konnten diese Gruppierungen trotz der neu gewonnenen Organisationsfreiheit keinen
nennenswerten Einfluss auf die Präsidentenwahl und die Regierungspolitik
nehmen. Als Wähler und Parteimitglieder können sie ihre Interessen nur vermittelt
durch eine neue politische Klasse artikulieren. Genuine lower class-Parteien sind
entweder nicht entstanden oder bei den Wahlen untergegangen. Die Ursachen dürften
die fast totale Ausschaltung der PKI und linker Gruppierungen in den Jahren
1965/66 und die jahrzehntelange Gleichschaltung von Gewerkschaften und Bauernverbänden
sein. Diese Organisationen sind immer noch so schwach, dass sie auf den
politischen Prozess nur in sehr indirekter Weise Einfluss nehmen können.
Andererseits konnten die konfliktfähigen Gruppen der Mittelklasse Boden gutmachen.
Da in der vierten Transitionsphase Parteien und Parlamente zunehmend zu den
wichtigsten Entscheidungsarenen werden und damit die Arkanpolitik der alten Regimekoalition
abgelöst wird, können die konfliktfähigen Gruppen der Mittelklasse
ihre Interessen besonders effektiv geltend machen. Das gilt aber nur für die eher
moderaten und effektiv organisierten Kräfte. Die radikalen Studentengruppen z.B.
waren in der Transitionsphase II und III aufgrund ihres Drohpotenzials wichtig (z.B.
im November 1998 und im September/Oktober 1999), in der jetzigen Transitionsphase
versinken sie aber zunehmend in die Bedeutungslosigkeit.
In Kapitel 1 wurde die Demokratie definiert als ein Modus der Herrschaftsregulierung,
der gekennzeichnet ist durch freie Wahlen, durch eine weitgehende Teilung
der Gewalten und durch die Anerkennung und effektive Durchsetzung der grundlegenden
Menschen- und Bürgerrechte. Die Durchsetzung von solchen Rechten erfor-
6
Vgl. dazu: Törnquist 2000. Zu Arbeitern und Gewerkschaften: Amiruddin
1999.

Schlussfolgerungen zur Demokratisierung 579
dert die Existenz eines modernen Verfassungsstaats mit unabhängigen Richtern und
Staatsanwälten.
Lediglich die Durchführung der Wahlen und die Arbeit der Parlamente entsprechen
mit einigen Einschränkungen westlichen Demokratiestandards. Das Prinzip der
Rechtsstaatlichkeit ist nur auf dem Papier gültig. Weiter scheitert in vielen Fällen
die Durchsetzung des Rechtes an dem inkonsistenten Normensystem und korrupten
Richtern und Staatsanwälten. Selbst das neue Insolvenzrecht hat noch so viele
Schlupflöcher, dass Gläubiger große Schwierigkeiten haben, ihre Forderungen einzutreiben.
Weiterhin gibt es keine funktionierende Gewaltenteilung, u.a. deshalb,
weil die Streitkräfte so gut es geht an ihrer Doppelfunktion bzw. der territorialen
Organisation festhalten. Die Parteien bilden nun eine intermediäre Ebene und vermitteln
zwischen der noch schwach entwickelten Zivilgesellschaft und dem Staatsapparat,
aber da die Parteien selbst noch kaum in der Gesellschaft verwurzelt sind
und keine lebendige innerparteiliche Demokratie entwickelt haben, neigt die neue
politische Führung zu einem ausgeprägten Elitismus. Außerdem werden die politischen
Kämpfe immer wieder vom Parlament auf die Straße verlagert. Oft werden
dabei Milizen von religiösen Organisationen, von Parteien oder gar vom Militär
mobilisiert.
Das gegenwärtige politische System Indonesiens ist weder vorbehaltlos als demokratisch
noch als autoritär einzustufen. Offensichtlich handelt es sich um einen in
Ländern der Dritten Welt nicht seltenen Systemtyp, der im Graubereich zwischen
Demokratie und Diktatur angesiedelt ist. 7 Crouch hat mit Bezug auf das gegenwärtige
Malaysia die Semidemokratie folgendermaßen beschrieben:
"In the case of semi-democratic, semi-authoritarian regimes, too, there is a need to understand
them as integrated and coherent political systems with their own particular characteristics. It
is necessary to study more precisely the interrelationship between their democratic and authoritarian
traits so that such regimes can be conceptualised as regime types in their own right
and not just as a bit of this and a bit of that." 8
Es wären dann allerdings zwei Formen voneinander zu unterscheiden: Nämlich
einerseits formal halbautoritäre und halbdemokratische Systeme (Malaysia) und
andererseits formale Demokratien, die wegen sezessionistischer Bewegungen, paramilitärischer
Gruppen, korrupter Richter, Polizisten, Militärs, Bürokraten und
Politiker, wegen einer schwachen Zivilgesellschaft und aufgrund der wirtschaftlichen
Dauerkrise nicht in der Lage sind, ihr autoritäres Erbe abzuschütteln und den
Verfassungsanspruch zu verwirklichen.
Die Entwicklung einer Theorie der postautoritären oder Semidemokratie - also eines
eigenständigen Systemtyps - steht noch aus. Eine solche Theorie, die Elemente des
SKOG-Ansatzes, Einsichten der Herrschaftssoziologie Webers und des Zivilgesellschaftskonzeptes,
aber auch Anregungen der auf europäische Verhältnisse rekurrierenden
Demokratietheorie aufnehmen könnte, bleibt ein Forschungsdesiderat.
7
Ansätze dazu finden sich bei: Krennerich 1999 und Merkel 1999.
8
Crouch 1996, 5.

580

Schlussfolgerungen zur Demokratisierung 581
Summary
This book describes and analyses the New Order configuration of dominance between
1965 and 1998 and the critical phase of transition from authoritarianism to
parliamentary democracy. The approach of strategic, i.e. dominating and opposition
groups is used in order to examine the configuration of dominance. For a broader
basis of this analysis other forms of social integration (neopatrimonial networks and
alliances between parts of strategic groups) are distinguished and investigated.
The study begins with an explication of its theoretical basis (democracy theory,
theory of neopatrimonialism, approaches of social structure-analysis) and proceeds
with an historical sketch of the origins and development of the dominating groups of
New Order Indonesia from the beginnings of Indonesian history until the power shift
and the massacres of 1965. The third chapter depicts in detail the composition of the
regime coalition. Including explanations of the New Order legitimation (dwifungsi,
Pancasila, etc.), of the significance of economic developments and policies, and of
the peculiar position of Suharto, the king-like patrimonial ruler. This is followed by
detailed investigations into the evolution and the strength of the most important
dominating groups (big entrepreneurs, high-ranking officers, top bureaucrats, religious
leaders and powerful politicians).
The next chapter deals with opposition groups. After an inquiry into their weaknesses
and strengths until the late 80s and some remarks on mechanisms of repression,
the main causes for the rise of a lively pro-democracy movement are explored.
The major programs and activities of oppositionists - professionals, politicians,
religious leaders, students, NGO-activists, workers, peasants, poor urbanites as well
as secessionists and regionalists - are presented. Here the focus is on the degree of
organisation, the power instruments, the ability to challenge those in power and the
influence of the respective opposition forces upon democratization.
The systematic description of the New Order configuration of dominance leads to
the analysis of the upheavals from July 1997 until the fall of Suharto (21 May 1998).
The Asian crisis is considered to be a catalyst, but not the main factor of democratization.
The devastating economic and social crisis heightened the pressure on the
regime coalition. At the same time the crisis strengthened the willingness of oppositionists
to run the risk of protesting. Especially the events from February until May
1998 are regarded as complex interactions of courageous pro-democracy activists,
more or less hesitant reformers and wayward New Order-conservatives. The analysis
of the subsequent political fights during the governments of Habibie and Wahid
(from May 1998 until December 2000) are of crucial importance for a better understanding
of transition processes in general and for the future of Indonesian democracy
in particular.
The last chapter comprises the findings of this thesis with regard to democracy theory,
the analysis of social configurations and the transition from authoritarianism to
democracy.

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Zeitungen und Zeitschriften
Adil
D&R
Der Spiegel
Der Tagesspiegel
EIU (Economist Intelligence Unit) Country Report, Indonesia
Editor
Eksekutif
FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
FEER (Far Eastern Economic Review)
Forum Keadilan
Gamma
Gatra
Human Rights Watch/Asia Reports
IHRF (Indonesian Human Rights Forum)
Indonesien Information
Inside Indonesia
International Herald Tribune
Jakarta Post
Jawa Pos
Kabar dari Pijar
Kompas
Media Indonesia
NZZ (Neue Zürcher Zeitung)
Newsweek
Republika
Sinar
South China Morning Post
Suara Independen
SOAa (Südostasien aktuell)
Südostasien Informationen (seit 1997: Südostasien)
Swasembada
TB (Tapol Bulletin)
Tempo
Tempo Interaktif
Tiras
Ummat
Wall Street Journal
Warta Ekonomi
Xinhua News Agency

Liste der Interviews
1997
5.5. Irman G. Lanti, Wiss. Mitarbeiter bei Cides (ICMI)
9.5 Eggi Sudjana, Leiter der Forschungsabt. für Umweltfragen und Menschenrechte
bei Cides
10.5. Prof. Dr. Franz Magnis-Suseno, Driyarkara-Universität Jakarta
14.5. Mulyana W. Kusumah, Rechtshilfeorganisation PBHI
15.5. Dr. Muhammad S. Hikam, LIPI
15.5. Syamsuddin Haris, LIPI
19.5. Hendardi, PBHI
20.5. Rustam Ibrahim und E. Shobirin Nadj., LP3ES (NGO)
20.5. Imam Ahmad, LP3ES
21.5. T.A. Legowo, Forschungsinstitut CSIS
23.5. Christianto Wibisono, Pusat Data Bisnis (Business Data Centre)
24.5. Aktivisten von der HMI
24.5. Aktivisten von der PMKRI
26.5. Soedjati Djiwandono, CSIS
26.5. A. Muhaimin Iskandar, Präs. des Führungsgremiums der PMII (Bewegung
der islamischen Studenten Indonesien)
27.5. Arbi Sanit, Universitas Indonesia (UI)
27.5. Dr. Daniel Dhakidae, Leiter der Forschungsabteilung der Tageszeitung
Kompas und Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Yapusham
28.5. Asmara Nababan, KomnasHAM, Sekretär des NGO-Forums Infid
28.5. Dr. Todung Mulya Lubis, ehemals LBH-Direktor, jetzt Rechtsanwalt,
Forum Demokrasi,Yapusham
29.5. Dr. Indria Samego, LIPI
30.5. Dr. Kusnanto Anggoro, CSIS
7.7. Dr. Ariel Heryanto, National University Singapore
11.7. Dr. Mochtar Pabottingi, Research Fellow ISEAS (Singapur) und LIPI
5.8. Dr. Afan Gaffar, Gadjah Mada-Universität (UGM) Yogyakarta
6.8. Budi Santoso, Direktor LBH Yogyakarta
7.8. A. Made Tony Supriatma, REALINO (NGO)
11.8. Dr. Mochtar Mas'oed, UGM
15.8. Prof. Dr. Lukman Sutrisno, UGM
18.8. und 23.8. Prof. Dr. Herbert Feith und Dr. Lance Castles, Gastdozenten an
der UGM
18.8. Dr. Mansour Fakih, Landesrepräsentant von OXFAM und Direktor von
INSIST (NGO)
19.8. Cornelis Lay, UGM
19.8. Prof. Dr. Sartono Kartodirdjo, ehemals UGM
625

626 Liste der Interviews
21.8. und 23.8. Dr. Amien Rais, 1. Vors. von Muhammadiyah
28.8. R. Lamiheruharyoso, LSKBH, und Danu Rudiono, Kelompok Kerja
HUMANIKA (beides NGOs)
29.8. A. Cahyo Suryanto, Universitas Surabaya, Studienzentrum für Menschen
rechte
29.8. Sutjipto, Vors. PDI Ostjava
30.8. Dr. Daniel Sparringa, Universitas Airlangga (UnAir) und Universitas
Surabaya
1.9. Dr. Ramlan Surbakti, UnAir
1.9. Prof. Dr. Sutandyo Wignjosoebroto, UnAir und Mitglied von KomnasHAM
1.9. Hotman Siahaan, Surabaya Post
3.9. M. Soni Qodri, Direktor LBH Bali
6.9. Prof. Dr. Atmadya, Denpasar
16.9. Dr. Yahya A. Muhaimin, Dekan des Fachbereiches für Politikwissenschaft
der UGM
30.9. Dr. Vedi Hadiz, SPES (NGO)
1.10. Aberson M. Sihaloho, PDI
2.10. Harry Can Silalahi, CSIS
2.10. Dr. Ignas Kleden, SPES
3.10. HJC Princen, LPHAM (Institut für die Verteidigung der Menschenrechte)
6.10. Abdurrahman Wahid, 1. Vors. Nahdatul Ulama
6.10. Umar Juoro, LPPN/INDES (Institut für Studien zur nationalen Entwicklung)
und ICMI
7.10. Laksamana Sukardi, ReFORM Consulting und PDI-Schatzmeister
7.10. Dr. J. Kristiadi, CSIS
8.10. Pramudya Ananta Tur, Schriftsteller
9.10. Rahman Tolleng, ehemals Golkar
9.10. Teten Masduki, LBH Jakarta
10.10. Saleh Abdullah, Generalsekretär PUDI
13.10. Budiman Sudjatmiko, 1. Vors. PRD
15.10. Adi Sasono, Generalsekretär ICMI
16.10. Mohamad Sobary, LIPI
17.10. Dr. Kastorius Sinaga, Direktor Pact Indonesia
18.10. Gunawan Mohamad, Journalist (Tempo)
23.10. Prof. Dr. Nazaruddin Syamsuddin, UI, Mitglied Arbeitsgremium MPR und
von BP7
24.10. Yusuf Wanandi, Direktor CSIS
24.10. Dr. Fachry Ali, LPeSU (NGO)
29.10. Eep Saefullah Fatah, UI
29.10. Dr. Burhan D. Magenda, Golkar-Vorstandsmitglied
1.11. Dr. Masykuri Abdillah, IAIN Jakarta
4.11. Budi Harjono, PDI

Liste der Interviews 627
6.11. GLt Syarwan Hamid, ehem. Kassospol
6.11. GM Hari Sabarno, Fraktionsvors. v. ABRI im DPR
10.11. Theo Sambuaga, Golkar-Vorstandsmitglied
10.11. Dr. M. Din Syamsuddin, Golkar-Vorstandsmitglied
11.11. H. Tosari Wijaya, Generalsekr. PPP
11.11. H.M. Ja'far Siddiq, PPP
11.11. Prof. Dr. H.A.M. Saefuddin, PPP
12.11. Dr. Marwah Daud Ibrahim, Golkar-Vorstandsmitglied
12.11. Lukman Harun, Golkar
21.11. Laode Ida, Expertenstab Golkar
25.11. Prof. Dr. Yuwono Sudarsono, UI und Vizegouv. von Lemhannas
26.11. Prof. Dr. Loebby Loqman, UI
27.11. Yusuf Syakir und H. Ali Hardi Kiaidemak, beide PPP
4.12. Iman Sucipto Umar, Generalsekr. Kadin (Ind.- und Handelskammer),
Vizepräs. Ing.-Verein. PII
4.12. Prof. Dr. Maswadi Rauf, UI
17.12. Dr. Mochtar Buchori, PDI
17.12. GM Susilo Bambang Yudhoyono, Assospol und Arbeitsgremium MPR
1998
5.1. Ali Sadikin, Petisi 50
9.1. Coki Naipospos, Pijar und MIK (NGOs)
11.1. Dr. Muchtar Pakpahan, Vors. SBSI
19.1. Alex Litaay, Generalsekr. PDI
19.1. Sabam Sirait, PDI
2000
4.10. Alvin Lie (PAN)
8.10. Faisal Basri (ehem. PAN-Generalsekretär)