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bersteiger127 zur Korrektur

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Während in Villariba noch gefeiert wird,<br />

wird in Villabajo bereits abgeschoben...<br />

Dienstagabend, 29.11.2016, Barcelona, día cuatro. Die Coaching<br />

Crew des FC Lampedusa St. Pauli hat die Trainingsjacke gegen<br />

das kleine Schwarze getauscht. Eine halbe Stunde später sitzt<br />

auch die Frisur. Das Make-up bringt etwas Glanz in unsere leicht<br />

übermüdeten Augen.<br />

Eine monatelange Planung liegt hinter uns, hunderte von<br />

E-Mails mit den Veranstaltern des City to City Barcelona FAD<br />

Award 2016, der Ausländerbehörde. Jede Menge Papierkram war<br />

nötig, um schließlich 11 Spielern diese Reise zu ermöglichen. Die<br />

letzten beiden Tage vor dem Abflug waren von Verhandlungen<br />

mit der Airline, die uns noch im letzten Moment einen Strich<br />

durch die Rechnung machen wollte, geprägt. In großartiger<br />

Teamarbeit mit den Gastgebern, der Stadt Barcelona und dem<br />

FC Barcelona, bestätigte die Holding der Airline 15 Stunden vor<br />

Abflug dann doch noch, dass der FC Lampedusa St. Pauli mit<br />

allen gebuchten Spielern reisen darf.<br />

Auf die Idee, dass eine Airline die Reisedokumente der Bundesrepublik<br />

Deutschland anzweifeln könnte, war nun wirklich<br />

niemand von uns gekommen. Man lernt nie aus. Zwei der jungen<br />

Spieler, die wir gerne mit nach Barcelona genommen hätten,<br />

wurden noch während der Beantragung gezwungen, innerhalb<br />

einer Woche das Land zu verlassen. Das war schon schlimm genug!<br />

Die Spieler machen sich ebenfalls frisch und wir sind sehr gespannt,<br />

wer heute Abend das „Hemd des Tages“ wird, eine der<br />

Lieblings-Competitions beim FC Lampedusa St. Pauli.<br />

In fünf Minuten sollen wir von unseren großartigen Gastgebern<br />

an der Rezeption des Hostels abgeholt und <strong>zur</strong> Preisverleihung<br />

des City to City Barcelona FAD Award 2016 gebracht werden,<br />

dem eigentlichen Anlass für diese Reise.<br />

„Bing bing“ – eine WhatsApp flattert in das Zimmer der Coaching<br />

Crew. Einer unserer FCLSP-Spieler, der am Vormittag<br />

einen Termin in der Ausländerbehörde hatte. Wir hatten den<br />

ganzen Tag nichts von ihm gehört, und machten uns schon Sorgen,<br />

dass er bestimmt auch innerhalb von einer Woche das Land<br />

verlassen muss und jetzt vor lauter Kummer alle Endgeräte ausgemacht<br />

hat.<br />

Schon der erste Satz im Sperrbildschirm bringt uns <strong>zur</strong>ück auf<br />

den Boden der Tatsachen.<br />

„...it‘s not a good situation, I‘m in a closed camp right now near<br />

the airport. I have to stay here till 2/12 and then they will deport<br />

me...“<br />

Jetzt bloß nicht in Tränen ausbrechen und Ruhe bewahren. Für<br />

eine zweite Schminksession ist definitiv keine Zeit mehr.<br />

Warum gerade jetzt, wenn wir in Barcelona sind? Warum nicht<br />

noch eine Verlängerung? Er musste doch sowieso jeden Montag<br />

<strong>zur</strong> Ausländerbehörde, um seine Duldung für eine weitere Woche<br />

verlängern zu lassen. Warum soll sich der FC Lampedusa St.<br />

Pauli nicht verabschieden dürfen?<br />

Warum wird der neue „Abschiebegewahrsam“ der Hansestadt<br />

Hamburg mit unserem Mittelfeldspieler aufgefüllt, während wir<br />

gerade im internationalen Rampenlicht stehen und einen Preis<br />

bekommen für hervorragende Projektarbeit? Warum wird ausgerechnet<br />

an einem Heimspieltag des FC St. Pauli abgeschoben?<br />

Und warum bitte wird unser Habibi als fünfter Mensch überhaupt<br />

in dieser neuen Hafteinrichtung weggeschlossen?<br />

Und dann auch noch ALLEINE mit 20 24/7-Angestellten der<br />

Ausländerbehörde und einem Sicherheitsdienst, während wir in<br />

Barcelona seit vier Tagen auf Händen getragen werden, weil wir<br />

unter die letzten drei von insgesamt 100 eingereichten Projekten<br />

des City to City Barcelona FAD Award 2016 gekommen sind?<br />

Was stimmt denn eigentlich mit unserer Welt nicht? Wenigstens<br />

lässt uns dieses Kopfkino, was jede von uns sicherlich in<br />

unterschiedlichsten Nuancen abspult, nicht im Tränenmeer versinken.<br />

Man wächst mit seinen Aufgaben, wie es gemeinhin so<br />

heißt. Gemein!<br />

Natürlich war uns allen bewusst, dass dieser Schmerz mit zu unserem<br />

Projekt gehört, und dennoch zeigt die Behörde für Inneres<br />

und Sport der Hansestadt Hamburg immer wieder neue Schattierungen<br />

ihrer fiesen Fratze. Umso willkürlicher die Abschiebungen<br />

angesetzt werden, desto dreister werden die Methoden.<br />

Doch Jammern hat noch nie jemandem geholfen.<br />

Nur HELFEN wollen wir schon gar nicht und integrieren können<br />

WIR nur in Strukturen, die das zulassen. Allein die Tatsache,<br />

dass die Behörde für Inneres und Sport EINE Behörde ist,<br />

spricht für sich. Vielleicht wurde deswegen unserem Habibi wenigstens<br />

im Erstaufnahme-Container-Lager ein Bett in einem<br />

Zimmer mit Aussicht auf das Trainingsgelände des FC St. Pauli<br />

gegeben? Zynismus bringt uns eben manchmal zum Lachen,<br />

wenn sonst nichts mehr hilft.<br />

Wir tun, was man in dieser Situation tun muss. Ruhe bewahren!<br />

Ein kurzes Telefonat mit dem Anwalt und der Verlobten unseres<br />

Mittelfeld-Habibis und dann müssen wir auch schon los.<br />

Das Team merkt, dass etwas nicht stimmt, manche fragen,<br />

manche nicht. Wir wollen den mitgereisten Spielern nicht ihren<br />

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