17. Oktober, Frankfurt: Bildungskongress - s2design
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Schulen ans Netz e. V.<br />
Kompetenz in Medien und Bildung<br />
Themendienst 03 | 09:<br />
Ausgabe 01 | 02 | 03 | 04 | 2009<br />
Neue Herausforderungen der<br />
Medienpädagogik<br />
Titelthema<br />
• Horst Niesyto zum „Medienpädagogischen<br />
Manifest“<br />
• Dieter Spanhel über Susanne<br />
Gaschkes Medienkritik<br />
• Medienqualifizierung: Wie<br />
kommt sie bei Erzieherinnen<br />
und Erziehern an?<br />
• Auf den Spuren Galileis:<br />
Was lässt sich am Himmel<br />
beobachten?<br />
• Ausbildung: Welche Chancen<br />
haben lernschwache Jugendliche?<br />
• The Making of: Wie entsteht<br />
ein multimediales Berufsbild?
Maria Brosch<br />
Geschäftsführender Vorstand<br />
Schulen ans Netz e. V.<br />
02 Themendienst 03 | 2009<br />
Medienbildung nachhaltig verankern!!<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
kaum eine Woche vergeht, in der nicht im Blätterwald über den richtigen Umgang<br />
mit dem World Wide Web, mit Computerspielen oder Handys gestritten wird.<br />
Diese Aktualität von Medienthemen ist zweifelsohne ein janusköpfiges Phänomen<br />
für all jene, die sich professionell mit (Medien)Bildung beschäftigen. Denn<br />
oftmals wird in diesen Diskussionen den einfachen Botschaften der Vorzug gegeben,<br />
eine reflektierte Debatte findet viel zu selten statt. Bedenkenträger haben<br />
leider häufig die Lufthoheit. Damit soll nicht gesagt werden, dass Computer und<br />
Internet nicht auch fragwürdige Wirkungen haben. Doch die digitalen Medien<br />
sind bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen, daher können (reine)<br />
Verbote und Tabus keine Lösung sein.<br />
Wir freuen uns besonders, dass wir für diese Ausgabe des Themendienstes zwei<br />
namhafte Vertreter der Medienpädagogik gewinnen konnten, die sich auf kritische<br />
und anregende Weise mit der aktuellen Diskussion um Medienbildung aus -<br />
einandersetzen. Prof. Dr. Horst Niesyto erläutert im Interview die Hintergründe<br />
des kürzlich veröffentlichten „Medienpädagogischen Manifests“; Prof. Dr. Dieter<br />
Spanhel beschäftigt sich mit einer einflussreichen Medienkritik, die im Buch der<br />
ZEIT-Autorin Susanne Gaschke formuliert wird. In beiden Beiträgen wird eines<br />
klar: Die zunehmende Durchdringung der Arbeits- und Freizeitwelt mit digitalen<br />
Medien ist kein Argument gegen, sondern für eine noch stärkere Verankerung<br />
von medienpädagogischen Angeboten in den verschiedenen Bildungsbereichen.<br />
Schulen ans Netz e. V. setzt sich seit vielen Jahren aktiv für eine nachhaltige Verankerung<br />
der Medienbildung in Bildungsprozessen ein. Auch in dieser Ausgabe<br />
des Themendienstes erhalten Sie wieder Einblicke in aktuelle Angebote, die hoffentlich<br />
Lust darauf machen, sich einmal näher mit diesen zu beschäftigen.<br />
An dieser Stelle möchte ich mich allen Leserinnen und Lesern gerne vorstellen:<br />
Ich bin seit September 2009 Geschäftsführender Vorstand bei Schulen ans Netz<br />
und freue mich darauf, in dieser spannenden Tätigkeit an der Gestaltung der medienpädagogischen<br />
Landschaft mitzuwirken und auch mit den vielfältigen Zielgruppen<br />
des Vereins in Kontakt zu treten.<br />
Viel Spaß bei der Lektüre!<br />
Maria Brosch
04<br />
13<br />
17<br />
10<br />
19<br />
24<br />
Inhalt<br />
Titelthema<br />
Medienpädagogik: gute Ansätze,<br />
aber die breite Verankerung fehlt.<br />
Fragen an Horst Niesyto zum<br />
„Medienpädagogischen Manifest“ 04 – 09<br />
Dieter Spanhel:<br />
Medienkritik allein reicht nicht!<br />
Susanne Gaschkes Buch „Klick – Strategien<br />
gegen die digitale Verdummung“ 10 – 12<br />
Frühkindliche Bildung<br />
Dirk Frank:<br />
Mit Medien lernen, mit Medien arbeiten.<br />
Erzieherinnen und Erzieher werden im Rahmen<br />
der bundesweiten „Medienqualifizierung“<br />
mit Computer und Internet vertraut gemacht<br />
Schulische Bildung<br />
13 – 16<br />
André Diesel:<br />
Auf den Spuren Galileis wandeln:<br />
Jupiter und seine Monde 17 – 18<br />
Berufliche Bildung<br />
Dirk Frank:<br />
Den Übergang stärken.<br />
Der Verein „lernen fördern“ ermöglicht<br />
lernschwachen Jugendlichen eine<br />
außerbetriebliche Ausbildung 19 – 23<br />
Dirk Frank:<br />
The Making of: Wie entsteht ein<br />
multimediales Berufsbild? Ein<br />
Verfahrensmechaniker vor der Kamera 24 – 28<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
03
Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung<br />
04<br />
Themendienst 03 | 2009
Fragen an Horst Niesyto zum „Medienpädagogischen Manifest“<br />
Medienpädagogik: gute<br />
Ansätze, aber die breite<br />
Verankerung fehlt<br />
„Keine Bildung ohne Medien!“: Namhafte Ver-<br />
treter und Institutionen fordern im „Medien-<br />
pädagogischen Manifest“ eine dauerhafte<br />
und nachhaltige Verankerung der Medienpä-<br />
dagogik in allen Bildungsbereichen. Die zen-<br />
trale Aufgabe, so die Unterzeichner, bestehe<br />
darin, „die Medienpäda gogik von einer Pha se<br />
der Modellprojekte und einzelnen Aktionen<br />
auf lokaler und regionaler Ebene zu einer Ph a -<br />
se struktureller Veränderungen zu überfüh-<br />
ren“. In der Breite gesehen habe die Me dien-<br />
pädagogik keinen festen Platz an Schulen<br />
und Hochschulen; zudem finde in vielen Fami-<br />
lien und pädagogischen Einrichtungen eine<br />
reflek tierte Auseinandersetzung mit Medien<br />
kaum statt. Akuten Handlungsbedarf sieht<br />
man u. a. in der medienpädagogischen Grund-<br />
bildung von Lehrkräften, Erzieher/innen, Er-<br />
wachsenbildner/innen und Sozialpädagogen/<br />
innen. Mittlerweile haben sich zahlreiche Or-<br />
ganisationen und Personen zu Unterstützern<br />
des Manifests erklärt, darunter auch Schulen<br />
ans Netz e. V. Wir haben einen der Initiatoren,<br />
Prof. Dr. Horst Niesyto von der PH Ludwigs-<br />
burg, einmal nach dem Hintergrund und den<br />
zentralen Botschaften des Manifests befragt.<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
05
Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung<br />
Herr Niesyto, wie kam es zur Entstehung des Manifests, gab<br />
es dafür einen konkreten Anlass?<br />
Das Manifest wurde im Rahmen einer<br />
Computerspiel-Tagung im März<br />
2009 in Magdeburg veröffentlicht.<br />
Die aktuelle Diskussion um Computerspiele<br />
und die Ereignisse von<br />
Winnenden waren aber nicht der<br />
Auslöser. Die ErstunterzeichnerInnen<br />
des Manifest nutzten die Gelegenheit<br />
dieser größeren Tagung,<br />
um auf ein grundsätzliches Problem<br />
hinzuweisen: Es gibt zwar in<br />
der medienpädagogischen Praxis viele gute Ansätze und<br />
Projekte im schulischen und auch im außerschulischen Bereich,<br />
allerdings ist die Medienpädagogik in der Breite gesehen<br />
nicht genügend im Bildungssystem und in pädagogischen<br />
Handlungsfeldern verankert. Es fehlt insbesondere<br />
eine verbindliche Verankerung medienpädagogischer Inhalte<br />
in den meisten pädagogischen Studiengängen – von der<br />
frühkindlichen Bildung, der Lehrerbildung bis hin zu Studiengängen<br />
im Bereich der sozialpädagogischen Ausbildung<br />
und der Erwachsenenbildung. Insgesamt trifft wohl, von Ausnahmen<br />
abgesehen, die Diagnose zu, dass Medienpädagogik<br />
zu wenig integriert ist; dies schleppt sich dann in der<br />
Lehrerbildung durch bis in die 2. und 3. Phase – es fehlt ein<br />
medienpädagogisches Fundamentum. In der Forschung gibt<br />
es durchaus Studien zu unterschiedlichen Themen, aber verglichen<br />
mit anderen Disziplinen fehlen Schwerpunkt- und<br />
Sonderforschungsprogramme, die z.B. im Bereich Mediensozialisationsforschung<br />
langfristige und tiefer reichende Studien<br />
im Sinne von Grundlagenforschung ermöglichen. Im<br />
außerschulischen Bereich ist es von der Förderpraxis her gesehen<br />
vielerorts so, dass von den Projektverantwortlichen<br />
laufend neue Anträge geschrieben werden müssen und somit<br />
ein kontinuierliches Arbeiten sehr erschwert wird.<br />
Vor diesem Hintergrund gab es eine gemeinsame Anstrengung<br />
von Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Organisationen<br />
der Medienpädagogik in Deutschland. Die Frage<br />
war vor allem: Was sind die wichtigsten Herausforderungen?<br />
Welche Veränderungen sind besonders dringlich? Es bedurfte<br />
eines längeren Diskussionsprozesses, um sich zu verständigen.<br />
Das Manifest ist keine wissenschaftliche Abhandlung.<br />
Es benennt zentrale Punkte aus Sicht der ErstunterzeichnerInnen<br />
und es stellt auch einen Kompromiss verschiedener<br />
1 http://www.medienpaed.com/zs/content/blogcategory/41/70/<br />
06<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
Überlegungen dar. In der weiteren Arbeit mit dem Manifest<br />
empfiehlt es sich, einzelne Punkte noch zu verdeutlichen; da<br />
ist das Engagement und die Mitarbeit aller gefragt, die an<br />
der weiteren gesellschaftlichen Verankerung der Medienpädagogik<br />
interessiert sind. Meines Erachtens ist es schon ein<br />
Erfolg, dass dieses Manifest überhaupt zustan de kam – es ist<br />
das erste Mal in der Geschichte der bundesdeutschen Medienpädagogik,<br />
dass sich zentrale Fachge sellschaften und<br />
Facheinrichtungen auf ein solches Dokument verständigten!<br />
Wie sehen Sie denn die Herausforderungen für die Medienpädagogik<br />
im Zeitalter von Web 2.0?<br />
Die neuen Möglichkeiten, die man unter „soziale Netzwerkbildung“<br />
oder „neue Lernumgebungen“ etc. fasst, haben sicherlich<br />
zu einem enormen Schub in der Artikulation und<br />
Kommunikation im Netz geführt. Interessant ist in diesem<br />
Zusammenhang, dass die Diskussion um digitale Spaltung,<br />
die vor etwa 10 Jahren noch sehr stark Zugangsfragen in den<br />
Mittelpunkt rückte, heute so nicht mehr geführt wird. Bei<br />
den medienpädagogischen Herausforderungen stehen heute<br />
mehr soziokulturelle Unterschiede 1 in der Aneignung und<br />
der Nutzung der Web 2.0-Möglichkeiten im Vordergrund. Befunde<br />
aus verschiedenen Studien verdeutlichen z.B.: Auch<br />
junge Menschen aus so genannten bildungsfernen Schichten<br />
nutzen verstärkt die neuen internetbasierten Anwendungen,<br />
um sich im Netz zu präsentieren; visuelle Darstellungen haben<br />
dabei einen besonderen Stellenwert; eigene Interessen,<br />
Themen und Bedürfnisse werden übers Netz ausgetauscht.<br />
Die (medien)pädagogischen Angebote beziehen sich aktuell<br />
besonders auf die Risiken z. B. im Umgang mit persönlichen<br />
Daten. Das ist sicherlich ein wichtiger Punkt. Insgesamt<br />
sollte im Vordergrund stehen, wie Kinder, Jugendliche und<br />
Erwachsene darin unterstützt werden können, vorhandene<br />
Medienkompetenzen in verschiedenen Bereichen zu vertiefen.<br />
Gerade der aktive, handelnde Umgang mit Medien ist da<br />
bei Kindern und Jugendlichen aus bildungsbenachteiligten<br />
„Abwertende Haltungen gegenüber populärkulturellen Medien<br />
sind in bildungsbürgerlichen Elternhäusern sehr verbreitet.“<br />
Milieus eine große Chance für Artikulation und soziale Kommunikation.<br />
Es sollte auch überlegt werden, wie diese netzbasierten<br />
Artikulationen in Lernprozesse integriert werden<br />
können. Da sehe ich nach wie vor bei vielen Pädagogen ein<br />
mangelndes Verständnis für die Potenziale, die Jugendliche<br />
aus ihrem alltäglichen Umgang mit Medien mitbringen. Gerade<br />
die Anschaulichkeit von (Bewegt)Bildern ist sehr wichtig<br />
für Kinder und Jugendliche, die Schwierigkeiten mit analytischen<br />
und verbalisierenden Lernformen haben.
Neue Medien in der Kita<br />
Selbstverständlich sind reflexive Prozesse wichtig; aber es<br />
gilt, diese stärker als in der Vergangenheit auf unterschiedliche<br />
Ausdrucksformen und Symbolsysteme zu beziehen.<br />
Interessanterweise belegen Untersuchungen, dass oftmals<br />
Lehrkräfte, die von einer Einbindung digitaler und visueller<br />
Medien im Unterricht wenig wissen wollen, diese privat<br />
durchaus nutzen. Mit einer solchen Praxis und Haltung wird<br />
letztendlich ein sehr traditionelles Bild von Schule gepflegt.<br />
Solche Lehrkräfte reproduzieren quasi das Bild von Schule<br />
und Unterricht, das sie selber als SchülerIn kennen lernten.<br />
Die Kollegen Ralf Biermann und Sven Kommer sprechen in<br />
diesem Zusammenhang von „medialen Habitusformen“, die<br />
bei Lehramtsstudierenden zu beobachten sind; die Dispositionen,<br />
die Einstellungen gegenüber Medien, die man im Elternhaus<br />
(und in der Schule) erworben hat, wirken demnach<br />
sehr lange nach. Bewahrpädagogische und abwertende Haltungen<br />
gegenüber populärkulturellen Medien sind gerade in<br />
bildungsbürgerlichen Elternhäusern sehr verbreitet. Das sind<br />
sicherlich auch große Herausforderungen für die Ausbildung<br />
von PädagogInnen, denn es reicht nicht, im Studium nur<br />
Wissen über Medien zu vermitteln; es geht auch darum, bestimmte<br />
Dispositionen, die Studierende haben, zum Thema<br />
zu machen. Ohne eine fundierte und (selbst)kritische Auseinandersetzung<br />
damit wird es den angehenden Lehrkräften<br />
später schwer fallen, einen Unterricht zu gestalten, der die<br />
Medienerfahrungen von Kindern und Jugendlichen aufgreift.<br />
Das ist im Übrigen nicht nur eine Frage, die die Medienthematik<br />
betrifft. Es geht insgesamt darum, inwieweit angehende<br />
Lehrkräfte für neue Lernformen sensibilisiert werden<br />
können, die die Eigenaktivität und die unterschiedlichen<br />
Aneignungsweisen und Symbolmilieus von Kindern und Jugendlichen<br />
respektieren, fördern und erweitern.<br />
Im Augenblick werden in der öffentlichen Diskussion wieder<br />
die Gefahren im Netz, z. B. Kinderpornographie, aber auch<br />
die Suchtpotenziale von Computerspielen betont; könnte<br />
diese Richtung der Diskussion u. U. die Integration der Medienpädagogik<br />
verhindern, wenn Kritiker sagen: Wir möchten<br />
die Medien aus Bildungsprozessen fernhalten?<br />
Da sollte man differenzieren. Nach den schrecklichen Ereignissen<br />
in Winnenden gab es in der Öffentlichkeit viele Reaktionen,<br />
die vor allem im Verbot von bestimmten Computerspielen<br />
einen Lösungsansatz sehen. Es ist sicherlich eine<br />
Aufgabe des restriktiven Kinder- und Jugendmedienschutzes,<br />
Medienangebote immer wieder im Hinblick auf mögliche Gefährdungspotenziale<br />
für die Persönlichkeitsentwicklung von<br />
Kindern und Jugendlichen in verschiedenen Altersbereichen<br />
zu prüfen. Wir haben da in Deutschland ein relativ gutes und<br />
funktionierendes System der „regulierten Selbstregulierung“,<br />
das sicherlich noch optimierbar ist. Allerdings macht sich inzwischen<br />
zunehmend die Einsicht breit, dass es vor allem<br />
mehr Anstrengungen benötigt, um Kinder, Jugendliche und<br />
Eltern in die Lage zu versetzen, kompetent und kritisch mit<br />
Medienangeboten und Medienentwicklungen umzugehen.<br />
Eine demokratische und freie Gesellschaft, die auf den<br />
„mündigen Bürger“ setzt, braucht nicht mehr Verbote, sondern<br />
mehr Ressourcen für Bildung und Selbstbildung mit<br />
und über Medien. Sicherlich gibt es Kräfte wie Manfred Spit-<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
07
Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung<br />
„Gefragt werden sollte: Welche Kompetenzen bringen die<br />
Jugendlichen aus ihrem alltäglichen Medienhandeln mit?“<br />
zer, die Computer und Internet für Kinder weitgehend aus<br />
Bildungsprozessen raushalten wollen. Aber Erfahrungen,<br />
z.B. bei der bisherigen Umsetzung des „Orientierungsplans<br />
für Bildung und Erziehung für die baden-württembergischen<br />
Kindergärten“, zeigen, dass dieser nahezu „medienfreie“<br />
Orientierungsplan so nicht durchzuhalten ist. Insgesamt bin<br />
ich – trotz verschiedener Rückschläge – weiterhin zuversichtlich,<br />
dass sich dieser verbessern wird. Der Handlungsdruck<br />
nimmt zu, gerade im Bereich bildungsbenachteiligter Milieus.<br />
Wir müssen als MedienpädagogInnen künftig noch klarer<br />
sagen – und dies ist durchaus selbstkritisch gemeint –,<br />
wie wir z.B. in den verschiedenen Phasen der Lehrerbildung<br />
eine medienpädagogische Grundbildung verankern wollen<br />
und was die Mindeststandards für die Medienbildung von<br />
SchülerInnen in verschiedenen Altersphasen sind. Da gibt es<br />
durchaus Diskussionsbedarf, beispielsweise hinsichtlich der<br />
Frage, was die Kernkompetenzen sind. Hier sollten Präzisierungen<br />
des Manifests, auch für andere Bildungsbereiche, erfolgen.<br />
Wo sehen Sie beim Thema Übergang von Schule in Ausbildung<br />
den Handlungsbedarf?<br />
In dieser Frage hat eine vom BMBF einberufene Expertenkommission,<br />
zu der ich auch gehöre, kürzlich ein Papier zur<br />
Ausbildungs- und Erwerbsfähigkeit vorgelegt. Einigkeit<br />
herrschte in der Gruppe darin, dass zwei Zugänge zur Medienkompetenz<br />
miteinander verknüpft werden müssen:<br />
Der eine Zugang fragt danach, welche grundlegenden Anfor-<br />
08<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
derungen sich aus Sicht der Gesellschaft und der Arbeitswelt<br />
an junge Menschen stellen, damit sie den veränderten Arbeitsbedingungen<br />
und dem kulturellen Wandel gerecht werden<br />
können. Der andere Zugang geht von den Erfahrungen<br />
und Bedürfnissen der Jugendlichen selber aus: Welche Medienkompetenzen<br />
bringen sie aus ihrem alltäglichen Medienhandeln<br />
mit? Welche Kompetenzen brauchen sie für die<br />
Entwicklung ihrer individuell geprägten Persönlichkeit, um in<br />
der Gesellschaft Orientierung zu finden und an ihr teilzuhaben?<br />
Dieser zweite Aspekt wurde m. E. bislang in der beruflichen<br />
Bildung zu wenig berücksichtigt. Das hat sich u. a. darin<br />
gezeigt, dass Medienkompetenz dort häufig auf Kurse zur<br />
instrumentellen Bedienung von Medien reduziert wurde.<br />
Wichtig ist es, an vorhandenen Kompetenz und Stärken anzusetzen,<br />
einen experimentell-erprobenden Umgang mit<br />
digitalen Medien und das Verständnis für Zusammenhänge<br />
zwischen virtuellen und stofflich-körperlichen Wirklichkeiten<br />
in Verknüpfung mit medienkritischen Aspekten zu<br />
fördern. Die vier im BMBF-Expertenbericht genannten Aufgaben-<br />
und Themenfelder (Information und Wissen; Kommunikation<br />
und Kooperation; Identitätssuche und Orientierung;<br />
digitale Wirklichkeiten und produktives Handeln) markieren<br />
einen allgemeinen Rahmen, in dem sich konkretere Empfehlungen<br />
und Konzepte für eine zielgruppenspezifische Umsetzung<br />
entwickeln lassen.<br />
Man spricht ja auch von den verschiedenen „Mediengenerationen“<br />
– wie kann der Dialog zwischen den Generationen<br />
stattfinden?<br />
Das ist eine ganz zentrale Frage. Dieter Baacke hat Medienkompetenz<br />
immer in einen größeren Rahmen von kommunikativer<br />
Kompetenz gestellt; diese kommunikative Kompetenz ist<br />
entscheidend für das gesellschaftliche Zusammenleben. Medien<br />
sind gerade in ihrer heutigen Vielfalt für junge Menschen<br />
sehr wichtig für ihre persönliche Entwicklung und Orientierung;<br />
das sollten Pädagogen und Eltern immer mitbedenken.<br />
Lehrkräfte, die auf dem Hintergrund einer oberflächlichen Medienkritik<br />
Computer und Internet aus dem Unterricht fernhalten<br />
wollen, reagieren falsch. Es gibt aber auch Lehrkräfte, die<br />
die „Alltagsmedienkompetenz“ ihrer SchülerInnen – wie es<br />
Ben Bachmair formulierte – in Bildungs- und Lernprozesse<br />
einbeziehen. Diese Lehrkräfte gehen nicht davon aus, dass<br />
sie das Monopol auf Wissen und Erfahrungen qua Amt gepachtet<br />
haben. Heute gibt es nicht wenige SchülerInnen, die<br />
insbesondere im praktischen Umgang mit Medien erheblich<br />
kompetenter als ihre LehrerInnen sind. Hier ist es wichtig,<br />
diese SchülerInnen zu motivieren, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten<br />
aktiv einzubringen. Es gibt dafür auch Modelle wie
das in Baden-Württemberg erfolgreich erprobte und evaluierte<br />
„Schüler-Medienmentoren-Modell“ 2 . Wenn man das Internet<br />
nicht unter Lernaspekten, sondern auch unter Entwicklungsaspekten<br />
betrachtet, lässt sich sagen: Das Internet<br />
ist ein riesiges Reservoir für Jugendliche, um ihre Pubertät<br />
auszuleben, gerade unter dem Aspekt der Ablösung von den<br />
Eltern. Diese Lebensphase war schon immer bei Jugendlichen<br />
mit Ausprobieren und Grenzerfahrungen, mit Probehandeln<br />
in verschiedenen Bereichen verbunden. Eltern brauchen<br />
viel Geschick, Aufmerksamkeit und Einfühlungsvermögen, um<br />
diesen Prozess sensibel zu begleiten. Ihre Präsenz ist insbesondere<br />
dann gefordert, wenn junge Menschen in „kommunikative<br />
Problemlagen“ geraten, wie es Dieter Baacke einmal<br />
ausdrückte, z.B. soziale Isolierung/Rückzug von Gleichaltrigen<br />
bei gleichzeitig extensiver Mediennutzung. Hier müssen<br />
Eltern besonders aufmerksam sein, das Gespräch suchen,<br />
präsent sein und das Gefühl geben: „Ich bin für dich da“. Leider<br />
sind heute viele Eltern überfordert, eine solche Aufmerksamkeit<br />
und emotionale Nähe zu bieten. Das hängt auch mit<br />
den erheblich gestiegenen Anforderungen in der Arbeitswelt<br />
zusammen. In dieser Gesellschaft dreht sich viel zu viel ums<br />
Geld und den Erwerb materieller Güter. Bildung, Kultur, Zeit<br />
für Beziehungspflege und Muße kommen notorisch zu kurz;<br />
wirtschaftliche Effizienz- und Erfolgskriterien dominieren.<br />
Gerade in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise gilt es<br />
inne zu halten und umzudenken. Deshalb kommt auch das<br />
da versuchen wir z.B. seitens der Landesfachschaft Medienpädagogik<br />
(der Pädagogischen Hochschulen) Forderungen<br />
aus dem Manifest in die Diskussion einzubringen und zu<br />
konkretisieren mit dem Ziel, dass Pädagogik-Studierende<br />
künftig eine in den Studien- und Prüfungsordnungen verbindlich<br />
verankerte medienpädagogische Grundbildung erhalten.<br />
Damit sind selbstverständlich viele Diskussionen verknüpft<br />
– mit KollegInnen aus verschiedenen Fächern, mit<br />
KollegInnen aus der 2. und 3. Phase der Lehrerbildung, mit<br />
VertreterInnen von Ministerien, mit medien-, bildungs- und<br />
kulturpolitischen SprecherInnen von politischen Parteien<br />
und Fraktionen. So gesehen ist das Manifest eine Art Orientierungspapier,<br />
um für Medienfragen zu sensibilisieren und<br />
selbstbewusst Anliegen in der bildungspolitischen Öffentlichkeit<br />
zu artikulieren. Auf dem nächsten „Forum Kommunikationskultur“<br />
der GMK in Berlin (November 2009) 3 wird im<br />
Rahmen einer Podiumsdiskussion Gelegenheit zu einer Zwischenbilanz<br />
sein.<br />
Für 2010/11 könnte ich mir durchaus vorstellen, auf einen<br />
bundesweiten medienpädagogischen Kongress hinzuarbeiten,<br />
auf dem Fachkräfte aus verschiedenen Handlungsfeldern<br />
der Medienpädagogik, WissenschaftlerInnen, Verantwortliche<br />
aus dem politischen Raum, VertreterInnen von<br />
Ministerien, Medienzentren, Dachorganisationen im Bereich<br />
der Bildungs- und Kulturarbeit, Jugendorganisationen und<br />
Jugendringen, Elternverbänden, den Sozialpartnern, Sende-<br />
„Jugendliche nutzen das Internet als ein riesiges Reservoir,<br />
um ihre Pubertät auszuleben.“<br />
„Medienpädagogische Manifest“ zur rechten Zeit: Es geht um<br />
mehr Bildung und um die Schaffung nachhaltiger Strukturen<br />
für Medienbildung.<br />
Welche Wirkung erhoffen Sie sich vom „Medienpädagogischen<br />
Manifest“?<br />
Ich sehe es als einen Erfolg, dass sich in diesem Manifest unterschiedliche<br />
Institutionen und Fachgesellschaften gemeinsam<br />
artikuliert haben. Die Resonanz war insbesondere im<br />
Internet sehr erfreulich. Uns erreichen fast täglich neue Unterstützungserklärungen.<br />
Für die nächste Zeit hoffe ich, dass<br />
eine Verknüpfung mit weiteren Initiativen gelingt, z.B. dem<br />
bereits genannten Expertenpapier des BMBF. Das Manifest<br />
formuliert grundlegende Anliegen und hat einen orientierenden<br />
Charakter, gerade für regionale und lokale Initiativen. Es<br />
kommt darauf an, Anliegen des Manifests weiter zu konkretisieren,<br />
z.B. die medienpädagogische Grundbildung von PädagogInnen<br />
betreffend. In Baden-Württemberg geht es aktuell<br />
um eine Neustrukturierung der gesamten Lehrerbildung;<br />
2 www.mediaculture-online.de/Medienmentoren-Programm.1113.0.html<br />
3 www.gmk-net.de<br />
anstalten und Medienunternehmen zusammenkommen, um<br />
gemeinsam die Situation zu erörtern und über Maßnahmen<br />
zu einer strukturellen Verbesserung von Medienbildung in<br />
der Gesellschaft zu beraten. Portale und Projekte reichen<br />
nicht aus. Wir brauchen deutliche Fortschritte in der Breite,<br />
in den Regionen, vor Ort, in den Kindergärten, in Schulen, in<br />
der Eltern- und Familienbildung, in der Fort- und Weiterbildung.<br />
Ich habe die Hoffnung, dass ein solcher Kongress eine<br />
Neuorientierung signalisieren könnte.<br />
Die Fragen stellte Dirk Frank.<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Links<br />
• Das „Medienpädagogische Manifest“ (mit Unterstützungserklärung):<br />
www.schulen-ans-netz.de unter: Themen<br />
• Expertenpapier des BMBF „Kompetenzen in einer digital<br />
geprägten Kultur“: www.schulen-ans-netz.de/meldungen/<br />
aktuelles/bmbfexpertenpapiermedienbildung.php<br />
Themendienst 03 | 2009 09
Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung<br />
Dieter Spanhel<br />
Prof. Dr. Dieter Spanhel ist em. Prof. für Allgemeine Pädagogik<br />
an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität<br />
Erlangen-Nürnberg; seine Hauptarbeitsgebiete liegen in<br />
der Medienpädagogik, der Spielforschung und der Pädagogischen<br />
Handlungstheorie.<br />
Dies ist ein wortgewaltiges und kämpferisches Buch, aber<br />
hinter dem reißerischen Titel verbergen sich ernst zu nehmende<br />
Sorgen und durchaus berechtigte Anliegen. Es handelt<br />
sich um die engagierte Auseinandersetzung einer<br />
Journalistin mit den ihrer Ansicht nach völlig überzogenen<br />
Versprechungen über die Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten,<br />
die die neuen Medien für die Menschen angeblich<br />
eröffnen, und den tatsächlichen negativen sozialen und kulturellen<br />
Folgen und Nebenwirkungen, wie sie bisher mit<br />
der Aus breitung des Internet und der multifunktionalen Medien<br />
einher gehen.<br />
Gegen Heilsversprechungen der „Digitalisten“<br />
Im Gegensatz zu den provokativen Publikationen von Christian<br />
Pfeiffer oder Manfred Spitzer polemisiert diese Schrift<br />
nicht einseitig gegen die problematische Mediennutzung und<br />
ihre schädlichen Auswirkungen bei Kindern und Jugendlichen,<br />
sondern richtet sich viel grundsätzlicher gegen soziale,<br />
kulturelle und politische Folgen der neuesten Medienentwicklungen.<br />
Sie zielt auf die Verheißungen der Propheten der<br />
Netzwelt, die das Internet für ihre ideologischen Zwecke instrumentalisieren.<br />
Das größte Problem sieht die Verfasserin<br />
darin, dass die von ihr so genannten „Digitalisten“ – also<br />
Menschen, die auf jede Kritik am Netz empfindlich reagieren<br />
und die als Personengruppe schwer zu umschreiben sind –<br />
das Internet mit Fortschritt an sich gleich setzen und eine<br />
„himmlische Stadt“ versprechen, in der durch die neue Technik<br />
die „brennende Sehnsucht nach einem „neuen Menschen“<br />
(S.7) befriedigt werden könne. Nach Auffassung der<br />
Verfasserin gibt es nichts Gefährlicheres als solche ideologischen<br />
Heilsversprechungen. Deshalb möchte sie mit ihrem<br />
10<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
Medienkritik<br />
allein reicht nicht!<br />
Susanne Gaschkes Buch „Klick – Strate gien<br />
gegen die digitale Verdummung“<br />
Büchlein die Leser dazu bringen, dass sie sich „den neuen<br />
Medien mit einem skeptischen Realismus nähern: Sie können<br />
viel, und Menschen können damit viel anrichten, zum Guten<br />
und zum Schlechten.“ (S. 16)<br />
Damit betont sie zwar die grundsätzliche Ambivalenz der<br />
neuen Medien, aber ihre Intention richtet sich ausschließlich<br />
auf die Beurteilung dessen, was die Menschen mit den neuen<br />
Medien anrichten. Dafür braucht sie klare Wertmaßstäbe, die<br />
in Form von Fragen formuliert, aber nicht näher begründet<br />
werden: „Wie gut tut das Netz unserer Gesellschaft? … Bringt<br />
es tatsächlich mehr Nähe und Authentizität, mehr Verständnis<br />
und Engagement in die Politik? Verändert es die „alte“<br />
Medienlandschaft zum Guten oder zum Schlechten? Macht es<br />
den Einzelnen gebildeter …? Wie ist das Verhältnis der Netzkultur<br />
zu dem, was man früher als „bildungsbürgerlichen Kanon“<br />
bezeichnet hat? Wie verändert das Netz die Bedeutung<br />
des Begriffs „Freundschaft“? Wie sieht es in diesem … Medium<br />
mit Kontrolle aus? Schließlich: Welchen Menschentyp<br />
braucht das Netz?“ (S. 24)<br />
Die Schärfe der Auseinandersetzung und die grundlegend<br />
negative Einstellung der Verfasserin zu den neuen Medien<br />
ergibt sich aus drei persönlichen Erfahrungsbereichen, aus<br />
denen auch der Antrieb für diese Streitschrift resultiert: Ihre<br />
Arbeit als Journalistin für ein langsames Medium (eine Tageszeitung),<br />
ihr jahrelanges Eintreten für Leseförderung, verbunden<br />
mit einer persönlichen Hochschätzung der Buchkultur<br />
und ihr politisches Engagement für die Idee einer repräsentativen<br />
Demokratie. Das sind auch die zentralen Themenfelder,<br />
in denen sie die euphorischen Versprechungen der Netzapologeten<br />
zu widerlegen sucht. Dies geschieht auf überzeugende<br />
Weise an Hand treffender Beispiele und Verweise auf<br />
einschlägige empirische Forschungen. Dabei trägt sie eine<br />
Vielzahl an grundlegenden Erkenntnissen und aktuellen Informationen<br />
zusammen, die den Leserinnen sorgfältig prüfende<br />
Haltung gegenüber der Netzkultur ermöglichen, wie<br />
der folgende Blick auf die Inhalte der einzelnen Kapitel zeigt.
Ohne Anstrengung teilhaben: die „Sofortismuskultur“<br />
Das erste Kapitel beleuchtet die angeblichen Segnungen des<br />
Internet, so wie sie die Befürworter in ihrem schier grenzenlosen<br />
Optimismus darstellen, und konfrontiert sie mit den Problemen,<br />
die verschwiegen oder heruntergespielt werden: z.B.<br />
die Effekte der Rationalisierung auf dem Arbeitsmarkt, die<br />
immer umfassenderen Kontrollmöglichkeiten der Menschen<br />
und die Auswirkungen auf das traditionelle Verständnis von<br />
Bildung und Kultur. Nach diesem gleichen Schema werden in<br />
allen Abschnitten des Buches den Verheißungen des Internet<br />
seine bedenklichen Folgen gegenüber gestellt. So geht es<br />
im zweiten Kapitel um die grenzenlosen Informations- und<br />
Erfahrungsmöglichkeiten im Netz und dem Versprechen einer<br />
neuen Wissensgesellschaft, an der jeder Mensch ohne<br />
Anstrengungen teilhaben könne. Hier wird als ein zentrales<br />
Anliegen von Frau Gaschke die Erhaltung der Lesekultur<br />
sichtbar, denn ohne Lesen ist nach ihrer Ansicht keine echte<br />
Bildung möglich. Stattdessen sei als Folge des Lesens von<br />
spezifisch strukturierten Bildschirmtexten eine Aushöhlung<br />
Lesen und Surfen – ein Gegensatz?<br />
des traditionellen Bildungsverständnisses mit der Tendenz<br />
hin zu einer „kapitalistisch-elektronischen Kultur“, eine<br />
Wertverschiebung hin zu einer „Anti-Konzentrationskultur“<br />
zu beobachten. Durch das Lesen im Netz würden die Menschen<br />
gehindert, sich wie beim Lesen von Buchtexten auch<br />
die fundamentalen Bildungsinhalte anzueignen, über die in<br />
der Netzkultur nicht diskutiert wird.<br />
Die fatalen Auswirkungen des „Lesezapping am Bildschirm“<br />
(S.79ff.) sieht die Verfasserin so: „Was sie (die Digitalisten)<br />
bekämpfen, ist sozusagen die geistige Haltung, für die ein<br />
gefülltes Bücherregal steht: die Bereitschaft, Mühe auf sich<br />
zu nehmen, um Freude zu erlangen; eine Aufschubs- statt einer<br />
Sofortismuskultur.“ (S. 86) In diesem Zusammenhang<br />
fragt sie, was Eltern dazu veranlassen könnte, ihren Kindern<br />
nicht das zu schenken, was für sie gut wäre: Bücher, und sie<br />
mutmaßt: „Aber muss man nicht, da die meisten Eltern<br />
schließlich das Beste für ihre Kinder wollen, doch noch eine<br />
andere Kraft am Werk vermuten: die Ideologiemaschine der<br />
digitalgestützten Wissensgesellschaft? Ist nicht alles, was<br />
nach Bildschirm aussieht, im öffentlichen Bewusstsein inzwischen<br />
gekoppelt mit der Assoziation: Fortschritt? So dass<br />
selbst der dauerdaddelnde Neunjährige in seinem Kinderzimmer<br />
gewissermaßen etwas für seine Zukunft zu tun scheint?“<br />
(S. 78) Die Geringschätzung der Lesekultur gehe heute sogar<br />
so weit, dass eine Pädagogin die wunderbare Welt der Bilderbücher<br />
als „eine Art Sub- oder Vorbereitungs-Lernsoftware“<br />
tarnt, um nicht als „altmodische Leseförderungstante“ entlarvt<br />
zu werden. „Und dann kommt die in der Tat entweder<br />
zynische oder genial-subversive Pointe: Gemeinsames Betrachten<br />
von Bilderbüchern ist nämlich gar nicht, wie viele<br />
Leseforscher immer dachten, dazu da, die Kinder in die Welt<br />
der Sprache und der Geschichten hineinzuführen, es ist in<br />
Wahrheit eine Vorbereitung auf die optimale Nutzung der<br />
neuen Medien“ (S. 91), um aktive und mündige Mediennutzer<br />
hervorzubringen.<br />
Vom Sprechen zum Schauen?<br />
An die Sorge um den Untergang der Lesekultur schließt sich<br />
nahtlos die Kritik an den vielfach propagierten neuen Lernformen<br />
mit den neuen Medien an. Hier wird moniert, dass es<br />
sich um die Einübung in formale Fähigkeiten handelt, ohne<br />
die Frage nach der Aneignung gewichtiger Bildungsinhalte zu<br />
stellen. Es gehe nicht um Bildung im ursprünglichen Sinn,<br />
sondern um „Wissen für alle“ (S. 95 ff.) aus dem Computer.<br />
Globale Unternehmen würden Sorge tragen, dass dafür in allen<br />
Bildungseinrichtungen die erforderliche Ausstattung mit<br />
Hard- und Software bereitgestellt wird.<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
11
Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung<br />
Im Weiteren werden die Kommunikationschancen im Netz<br />
und die Möglichkeiten zur Bildung virtueller sozialer Netzwerke<br />
in Frage gestellt. Der „Traum von der neuen Gemeinschaft“<br />
(S. 118), in der ohne Hierarchien und Institutionen<br />
auf der Grundlage von kollaborativer Informationsgewinnung<br />
Exzellenz entstehe, wird als Utopie entlarvt. Auch die These<br />
von den positiven Möglichkeiten und Wirkungen einer selbstbestimmten<br />
Selbstdarstellung im Netz auf die Identitätsentwicklung<br />
und den sozialen Zusammenhalt, unterzieht die<br />
Verfasserin einer skeptischen Betrachtung. Schließlich verwundert<br />
es nicht, dass Frau Gaschke auf Grund ihrer beruflichen<br />
Tätigkeit als Journalistin die problematischen Folgen<br />
des Online-Journalismus auf die Berichterstattung und die<br />
Politik besonders herausstellt. Sie sieht in den Online-Medien,<br />
die durch Schnelligkeit, Jederzeitigkeit und Mitmachkultur<br />
gekennzeichnet sind, langfristig eine Katastrophe für<br />
die Demokratie. An besonders frappierenden Fällen beleuchtet<br />
sie die Konsequenzen einer neuen Online-Politik, wie<br />
sie nicht nur in den USA, sondern auch bei uns im politischen<br />
Alltag längst praktiziert wird.<br />
Abschließend beschreibt die Verfasserin das Internet als das<br />
Medium der „neuen Kind-Erwachsenen“. Sie sieht in der Tendenz<br />
weg von der Sprachkultur hin zur Bildkultur den Aus löser<br />
und das Ergebnis einer zunehmenden Infantilisierung,<br />
wie der Boom der Unterhaltungs- und Spieleelektronik zeige.<br />
Weil unsere Demokratie, Wissenschaft, Philosophie und<br />
Literatur auf dem Fundament der Sprache aufgebaut seien,<br />
könne es ihrer Meinung nach nicht völlig gleichgültig sein,<br />
„ob wir uns das Sprechen, das Widersprechen, das Analysieren<br />
und Widerlegen eines Arguments, das Einfühlungsvermögen<br />
für den Standpunkt des Gegners, Sprachwitz, Kreativität<br />
und Ironie abgewöhnen zugunsten des Schauens.“ (S. 183f.)<br />
Polemische Zuspitzungen<br />
Die Zitate verdeutlichen die problematische Argumentationsweise<br />
von Frau Gaschke. Sie spitzt die Gegensätze zwischen<br />
den Versprechungen der „Netzapologeten“ und den eigenen<br />
Kritikpunkten mit Hilfe kreativer Wortschöpfungen und teilweise<br />
vernichtender Formulierungen polemisch zu. Auf diese<br />
Weise entstehen eine durchgehend negative Grundstimmung<br />
und eine total ablehnende Haltung gegenüber den neuen Medien,<br />
die im Gegensatz zu den rationalen Argumenten stehen.<br />
Die eingangs angesprochene Ambivalenz der Medien gerät<br />
dabei aus dem Blick. Für einen unvoreingenommenen Leser<br />
wird so eine ausgewogene Beurteilung der positiven und negativen<br />
Seiten der neuen Medien verhindert. Der Hinweis, es<br />
gäbe genügend Befürworter des Netzes, rechtfertigt nicht<br />
diese völlig einseitige und ohne sachliche Gegenposition absolut<br />
wirkende Verurteilung der neuen Medien. Diese Darstellung<br />
ist überhaupt nur möglich, weil der Argumentationszusammenhang<br />
zwei grundlegende wissenschaftliche<br />
Erkenntnisse außer Acht lässt. Zum einen werden die histo-<br />
12<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
rische Entwicklung der Medien und ihre Bedeutung für die<br />
kulturelle Evolution nicht gesehen. In der Geschichte der<br />
Menschheit stehen die gesellschaftlichen Systeme (Wissenschaft,<br />
Kultur, Technik, Wirtschaft, Soziales, Politik) und das<br />
Mediensystem als Basis der gesellschaftlichen Kommunikation<br />
und Kultur in ständiger Wechselwirkung miteinander<br />
und treiben sich in ihrer Entwicklung gegenseitig voran. Die<br />
neuen Medien sind Ergebnis interner Regelungsprozesse im<br />
Mediensystem, die von außen, durch andere gesellschaftliche<br />
Systeme, nicht direkt beeinflussbar oder steuerbar sind.<br />
Allerdings ist es ein berechtigtes Anliegen, die Instrumentalisierung<br />
der neuen Medien für unterschiedliche Interessen<br />
anderer gesellschaftlicher Systeme aufzudecken. Darin liegt<br />
das Verdienst des Buches.<br />
Zum anderen besteht ein grundlegender Fehler in der isolierten<br />
Untersuchung der neuen Medien und ihrer Auswirkungen.<br />
Medien sind Kommunikationsmedien, die Botschaften nicht<br />
nur weitergeben, sondern deren Inhalte auf je medienspezifische<br />
Weise konstruieren. Medienpädagogische Forschung<br />
hat immer wieder gezeigt, dass die Bedeutung dieser Inhalte<br />
für den Nutzer von den jeweiligen Kontexten der Nutzung abhängt.<br />
Ob das Internet bzw. die neuen Medien positive oder<br />
negative Wirkungen entfalten, wird daher vom Nutzungskontext<br />
bestimmt. Dabei kommen eine Vielfalt von Kontexten ins<br />
Spiel: individuelle, soziale, mediale, institutionelle, wirtschaftliche,<br />
religiöse, ideologische. Erst ihre sorgfältige Analyse<br />
würde eine angemessene Beurteilung des Internet ermöglichen.<br />
Die Ausblendung der historischen Entwicklung der neuen<br />
Medien und der aktuellen lebensweltlichen Kontexte führen<br />
zu einer falschen Zielstellung des Buches. Wir brauchen<br />
keine „Strategien gegen die digitale Verdummung“, sondern<br />
Hilfen und Handlungsanleitungen dafür, wie die Menschen<br />
die positiven Chancen und Möglichkeiten der neuen Medien<br />
optimal nutzen und ihre Gefährdungen und Fehlentwicklungen<br />
erkennen und vermeiden können. Dahin zielen seit vielen<br />
Jahren die beharrlichen Bemühungen der Medienpädagogik<br />
in den Bildungsinstitutionen, wenn auch bisher leider nur<br />
mit mäßigem Erfolg. 1 Die Entlarvung ideologischer Versprechungen<br />
der „Digitalisten“ und die Sensibilisierung für bedrohliche<br />
individuelle und soziale Folgen der neuesten Medienentwicklungen<br />
sind dafür eine notwendige, jedoch keine<br />
hinreichende Voraussetzung. Mit solchen Publikationen aber,<br />
wie der von Frau Gaschke, werden nur Ängste geschürt und<br />
Konfrontationen verstärkt, die die Auseinandersetzung über<br />
eine vernünftige Nutzung der neuen Medien erschweren.<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Susanne Gaschke:<br />
Klick – Strategien gegen die digitale Verdummung.<br />
Freiburg/Br.: Herder 2009<br />
1 Vgl. D. Spanhel: Zur Entwicklung der Medienpädagogik in der Schule seit 1995. In: merz H.2/2005, S. 70 ff.; D. Spanhel: Medienerziehung.<br />
Handbuch der Medienpädagogik Bd. 3, Stuttgart 2006.
Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung<br />
Dirk Frank<br />
Mit Medien lernen,<br />
mit Medien arbeiten<br />
Erzieherinnen und Erzieher werden im Rahmen<br />
der bundesweiten „Medienqualifizierung“ mit<br />
Computer und Internet vertraut gemacht.<br />
Angst vor der Technik(sprache) nehmen<br />
„Das sind noch Böhmische Dörfer für mich!“ Eine Teilnehmerin<br />
schaut gerade etwas verzweifelt in den Prospekt eines<br />
Elektronikgeschäftes, in dem Laptops angeboten werden.<br />
Denn heute steht in der Fortbildung zuerst einmal Technik auf<br />
dem Programm. Die beiden Seminarleiter möchten den Teilnehmenden<br />
vermitteln, dass die oftmals unzugänglich erscheinende<br />
Welt der Hard- und Software durchaus zu verstehen<br />
ist. Wie informiere ich mich vor dem Kauf eines Computers,<br />
wie mache ich mich schlau, um mich durch den Dschungel<br />
an Angeboten, technischen Daten und Peripheriegeräten<br />
zu kämpfen? Martha Cremer-Bach und Jochen Wilke, die für<br />
Blickwechsel e. V. die Fortbildung durchführen, arbeiten mit<br />
alltagsnahen Materialien, um Ängste bei den Teilnehmern abzubauen.<br />
Oftmals liegen die Hürden für pädagogische Fachkräfte<br />
auch in der technischen Fachsprache begründet, die<br />
von Experten und jugendlichen Nutzern, aber nur selten von<br />
Laien verstanden wird. Wie unterscheiden sich die Laptops,<br />
wie kann man angesichts der ‚Hieroglyphen’ sich für oder gegen<br />
ein bestimmtes Modell entscheiden? Fachbegriffe wie<br />
„WLAN“, „Schnittstelle“ oder „Grafikkarte“ werden identifiziert<br />
und an die Tafel geschrieben. Behutsam werden dann<br />
die einzelnen Bestandteile des Computers, der Software und<br />
der Peripheriegeräte durchgegangen. Wie lassen sich die einzelnen<br />
Elemente eines Computers erklären, ohne sich in Details<br />
zu verlieren? Cremer-Bach erklärt die verschiedenen<br />
Martha Cremer-Bach (r.)<br />
und eine Teilnehmerin<br />
Der Aufbruch ins digitale Zeitalter: Fünf Tage lang beschäftigen sich Erzieherinnen und Erzieher<br />
mit dem Computer, entdecken die Potenziale des Internets und erkunden die Einsatzmöglichkeiten<br />
für die Kita. Und sie legen damit auch den Grundstein dafür, sich dauerhaft fortzubilden.<br />
So weit das Konzept, doch wie sieht es nun in der Fortbildungspraxis aus, welche Erfahrungen<br />
machen Erzieher/innen, die häufig wenig oder gar keine Erfahrung mit digitalen Medien haben,<br />
mit dem Thema Medienbildung? Mit welchen konkreten Herausforderungen sehen sich die Fortbildner<br />
konfrontiert? Wir haben einmal einen Kurs der „Medienqualifizierung“ in Gießen besucht,<br />
um uns einen Eindruck zu verschaffen.<br />
Funktionsbereiche des Computers mit Vergleichen zur Welt<br />
des Analogen – z. B. mit dem ‚realen’ Büro, dessen „Ordner“,<br />
„Schreibtischoberfläche“ oder „Papierkorb“ sich ja ohnehin<br />
in der Computersprache wiederfindet. Diese Anschaulichkeit<br />
kommt bei den Teilnehmern gut an. Beim Thema Grafikkarte<br />
wird gleich nach den Anforderungen an den Rechner in der<br />
Kita gefragt: „Bei uns spielen die Kinder gerne, benötigt man<br />
dafür eine bessere Grafikkarte?“, erkundigt sich eine Teilnehmerin.<br />
„Lernsoftware für Kinder ist in der Hinsicht meist anspruchslos,<br />
dafür reicht in der Regel eine einfache Ausstattung“,<br />
erklärt Jochen Wilke.<br />
Unterschiedliche Lernertypen<br />
Was für einige in der Gruppe schon Routine ist und keiner<br />
Vertiefung bedarf, ist dagegen für andere Neuland. Gerade<br />
diejenigen, die über nur wenig Erfahrung mit digitalen Medien<br />
verfügen, müssen zuerst einmal ihre Berührungsängste<br />
abbauen. Der Umgang mit Medien ist nicht nur, aber häufig<br />
eine Generationsfrage. Während Jugendliche heutzutage wie<br />
selbstverständlich mit den Konsumangeboten umgehen –<br />
man spricht auch von so genannten „Prosumern“ – tun sich<br />
Erwachsene manchmal schwer, mit dem rasanten technologischen<br />
Wandel Schritt zu halten. „Bislang habe ich mir meistens<br />
von meinen Kindern oder meinem Mann helfen lassen“,<br />
berichtet eine Teilnehmerin. Nun ist ihr Interesse geweckt,<br />
sie möchte mit dem Computer selbstständiger umgehen.<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
13
Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung<br />
Denn auch viele Kinder in ihrer Kita wissen manchmal schon<br />
ganz gut Bescheid, das spornt zusätzlich an. Einige der Teilnehmer<br />
erstellen in der Fortbildung zum ersten Mal eine<br />
PowerPoint-Folie. Andere dagegen wie Jan-Moritz arbeiten<br />
bereits souverän mit verschiedenen Programmen und Anwendungen.<br />
„Ich verbringe aber nicht mein ‚Second Life’ im<br />
Netz“, sagt er etwas spöttisch.<br />
Professionell(er) Medien erstellen<br />
Befragt man Teilnehmer nach ihren Erfahrungen mit Fortbildungen,<br />
die sie früher einmal besucht haben, so hört man<br />
häufig die Kritik: Man konnte die Kursinhalte nicht in den<br />
konkreten Arbeitsalltag integrieren. Der Eindruck der Praxisferne<br />
kann sich natürlich besonders dann einstellen, wenn<br />
die Kursteilnehmer sich zum ersten Mal mit bestimmten Themen<br />
und Methoden beschäftigen. Dieser Gefahr begegnet<br />
man in der „Medienqualifizierung“: „Wir reagieren auf spontane<br />
Wünsche der Teilnehmer; dadurch fühlen sie sich in<br />
ihrer beruflichen Praxis auch ernst genommen“, so Martha<br />
Cremer-Bach. Da eine Teilnehmerin gerne wissen möchte, wie<br />
man an Kindermusik im Internet kommt, wird ein kurzer Exkurs<br />
dazu eingeschoben. Jochen Wilke hat eine Folie dazu<br />
vorbereitet, eine Teilnehmerin verwechselt diese mit einer Internetseite.<br />
Aber kein Problem, der Irrtum ist schnell aufgeklärt,<br />
hier muss sich niemand für sein Nichtwissen schämen.<br />
Der Titel „Ohne Kinder geht’s nicht“ wird im Internet gesucht,<br />
und in diesem Fall bleibt die Netzsuche sogar einmal ohne<br />
konkretes Ergebnis; auch damit müssen die Teilnehmer umgehen<br />
können, für die Internetrecherche muss man eben<br />
manchmal Geduld mitbringen. Und nicht alles, was verfügbar<br />
ist, kann auch verwendet werden: Der Unterschied zwischen<br />
14<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
Medienqualifizierung für Erzieherinnen und Erzieher<br />
Bundesweit werden im Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />
(BMBF) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) geförderten Initiative 10.000 Erzieherinnen<br />
und Erzieher geschult. Koordiniert wird die Maßnahme vom Verein Schulen ans<br />
Netz, der im Bereich frühkindliche Bildung bereits mit dem Projekt BIBER – Netzwerk<br />
frühkindliche Bildung Qualifizierungsmodule entwickelt hat. Grundsätzlich sollen in der<br />
Medienqualifizierung vier verschiedene Kompetenzbereiche abgedeckt werden: Computernutzung;<br />
Internetnutzung; Medienpädagogik/ Medienkompetenz sowie netzbasierte<br />
Weiterbildung. Fünf Tage pro Teilnehmer/-in sind vorgesehen, wobei die Teilnehmen -<br />
den in Absprache mit dem Schulungsanbieter wählen können, ob die Tage hintereinander<br />
oder stückweise genommen werden. Pro Kurs nehmen maximal 16 Personen teil,<br />
jedem/jeder Teilnehmenden steht ein eigener Rechner zur Verfügung.<br />
Mehr Informationen zur Medienqualifizierung unter http://www.schulen-ans-netz.de<br />
kommerziellen und frei verwendbaren Musiktiteln muss immer<br />
beachtet werden. Urheberrechtliche Aspekte sind in Kita<br />
und Schule Bestandteil der täglichen Praxis. „Wann macht<br />
man sich strafbar, ist das Anschauen eines Videos auf YouTube<br />
auch schon ein Verstoß?“, erkundigt sich eine Teilnehmerin<br />
nach der juristischen Seite der Internetnutzung. Eine Frage<br />
zieht die nächste nach sich, und man spürt förmlich, dass<br />
auch diejenigen, die nur über wenige Erfahrungen auf diesem<br />
Gebiet verfügen, die Relevanz für ihre Arbeit erkennen. „Die<br />
Unterschiede in Sachen Medienkompetenz sind innerhalb<br />
der Gruppe nicht gering“, betonen Cremer-Bach und Wilke<br />
übereinstimmend. Aber unter den Teilnehmenden geht man<br />
locker mit den differierenden Kenntnissen und Erfahrungen<br />
um, tauscht sich aus und ist dankbar für Tipps. „Da sind Erzieher/innen<br />
nicht ganz so schwierig wie Lehrkräfte, die sich<br />
oftmals ihre Defizite nicht so leicht eingestehen wollen“, erzählt<br />
Cremer-Bach, die schon lange Fortbildungen für Lehrkräfte<br />
durchführt, etwas augenzwinkernd.<br />
Praxisnähe<br />
In der Welt der frühkindlichen Bildung spielen visuelle und<br />
auditive Elemente bekanntlich eine große Rolle, können Bilder<br />
und Töne immer auch als ‚Anregungsmilieu’ dienen. Diesen<br />
Aspekt im Rahmen von themen- und projektorientierten<br />
Vorhaben aufzugreifen, lässt sich mit digitalen Medien leicht<br />
umsetzen. Die Erzieher/innen können neben einfachen Malprogrammen<br />
spezielle Software für Kinder einsetzen, um den<br />
Kindern Anstöße zur Entwicklung ihrer Sprach- und Kommunikationsfähigkeit<br />
zu geben. Im Rahmen eines Stationenlernens<br />
darf jeder im Kurs mal ‚daddeln’, hinterher werden die<br />
Vorteile, aber auch die Bedenken ergebnisoffen diskutiert.<br />
Eine weitere Einsatzmöglichkeit: Mediengestützt die Entwick-
lungs- und Lernprozesse zu dokumentieren, indem man die<br />
Schriftstücke, Fotos, Videos oder (auch am PC entstandenen)<br />
Zeichnungen der Kinder sichtet und archiviert. Aber auch jenseits<br />
pädagogischer Einsatzszenarien kann der Einsatz digitaler<br />
Medien zur Professionalisierung des Berufs beitragen,<br />
z. B. um Aktivitäten in der Kita zu dokumentieren und/oder<br />
zu veröffentlichen. Nicht alle Erzieher/innen sind mit der digitalen<br />
Bildverarbeitung vertraut, zudem das Fotografieren<br />
nur ein Element der digitalen Bearbeitungskette ist. Wie bekommt<br />
man die Bilder von der digitalen Kamera auf den<br />
Rechner? Welche Programme erleichtern das Verwalten und<br />
Bearbeiten von Bildern? Und wie kann man aus Bildern kreative<br />
und humorvolle Collagen erstellen? Was man auf Grundlage<br />
der in der Fortbildung erlernten Fähigkeiten machen<br />
kann, demonstriert eine Teilnehmerin: Anja zeigt ihren Kollegen<br />
einen Einladungsflyer, den sie kürzlich für die Eltern ihrer<br />
Kita selbstständig erstellt hat. „Drucken lassen habe ich den<br />
über einen Internetanbieter, das war eigentlich ganz einfach.“<br />
„Das Lob vonseiten der Eltern ist für die Erzieher/innen<br />
ganz wichtig; gerade in ihrem Beruf kommt diese Wertschätzung<br />
oftmals zu kurz“, erläutert Martha Cremer-Bach,<br />
und ergänzt: „Die Arbeitsbelastung in den Kitas ist heutzutage<br />
hoch, die Bezahlung nicht gut.“ Gerade vor diesem Hintergrund<br />
hält sie das Engagement der Teilnehmer, von denen die<br />
meisten schon über 40 sind, für bemerkenswert.<br />
(Medien)Projekte realisieren<br />
„Zu fertigen Internetnutzern können wir die Teilnehmenden<br />
im Rahmen einer 5-tägigen Weiterbildung natürlich nicht machen“,<br />
betont Jochen Wilke. Aber der Praxisbezug, so die Einschätzung<br />
des Medienpädagogen, sorgt für eine Nachhaltig-<br />
keit des Erlernten. Und nicht zuletzt die Entwicklung von eigenen<br />
Projektideen: Drei Wochen haben die Teilnehmenden Zeit<br />
gehabt, um eigene Projektideen in den Kitas durchzuführen.<br />
Dass die Kinder ihre eigenen Erfahrungen mit den digitalen<br />
Medien machen können, stand dabei im Fokus. Doreen von<br />
der Kita Ev. Paulusgemeinde Gießen hat mit ihrer Gruppe einen<br />
Ausflug in den Wald gemacht; auf der Grundlage alltäglicher<br />
Motive wurde ein Märchen mit Feen und Kobolden gesponnen.<br />
Daraus ist eine Fotogeschichte mit dem Titel „Der<br />
verlorene Zauberstab“ entstanden. Naturerfahrung, kreatives<br />
Erfinden und digitale Umsetzung gehen Hand in Hand. Souverän<br />
stellt Doreen ihre PowerPoint-Präsentation an der interaktiven<br />
Tafel vor und wird dafür mit Applaus belohnt.<br />
Evelin von der Kita Kinder der Welt in Gießen hat die Möglichkeiten<br />
der digitalen Fotografie anders genutzt: Die Kinder<br />
ihrer Gruppe haben versucht, Alltagsgegenstände aus ungewöhnlichen<br />
Perspektiven aufzunehmen. Herausgekommen<br />
sind dabei Bilderrätsel, die zum Mitmachen einladen. Was dabei<br />
entsteht, wenn Kinder ihren Erzieher knipsen, hat Jan<br />
Moritz von der Ev. Kita Herborn einmal ausprobiert. In seiner<br />
Präsentation sieht man ihn aus ganz unterschiedlichen Perspektiven<br />
fotografiert; dabei haben die kleinen Fotoreporter<br />
zugleich auch Mikro- und Makro-Perspektiven kennen gelernt.<br />
Mit viel Freude an der Gestaltung, aber auch mit entsprechenden<br />
Vorkenntnissen hat Jan-Moritz die Präsentation<br />
sogar mit seiner Lieblingsmusik unterlegt.<br />
Themendienst 03 | 2009 15
Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung<br />
Doreen stellt am Whiteboard ihr Projekt vor.<br />
Grenzen und Gefahren der digitalen Medien erkennen<br />
Wer sich in der Freizeit häufig mit digitalen Medien beschäftigt,<br />
der kann auch im beruflichen Kontext davon profitieren.<br />
Befragt man die Teilnehmer der „Medienqualifizierung“ nach<br />
ihren Erfahrungen, dann fallen Stichworte wie „Online-Banking“,<br />
„Mailen“ oder „digitale Fotografie“. Doch Medienbildung<br />
erschöpft sich nicht in der bloßen Handhabung von<br />
Computer und Internet: „Im Privaten setzen sich die Wenigsten<br />
mit medienpädagogischen Fragen auseinander. Aber nicht<br />
nur das wie, sondern auch das warum ist wichtig“, betont Jochen<br />
Wilke. Aspekte der Medienerziehung und des Jugendmedienschutzes<br />
sind daher integraler Bestandteil der Weiterbildung.<br />
So erfahren die Teilnehmer im Rahmen eines Internet-Parcours<br />
einiges über jugendgefährdende Webseiten,<br />
auch, wie man sich in einer Kita davor schützen kann. Konflikte<br />
sind, so der Tenor der „Medienqualifizierung“, niemals<br />
16<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
auszuschließen; Erzieher/innen müssen bereit sein, eine gewisse<br />
Grundspannung auszuhalten: nämlich zwischen dem<br />
von Erwachsenen manchmal als zu selbstständig empfundenen<br />
Umgang der Kinder mit medialen Angeboten und dem pädagogisch<br />
geleitetem Erziehungshandeln. Medienbildung ist<br />
ein Thema, an dem immer auch viele Erziehungs- und Sozialisationsinstanzen<br />
partizipieren. „Auch die Eltern müssen für<br />
das Thema sensibilisiert und nach Möglichkeit im Rahmen<br />
von Informationsveranstaltungen unterstützt werden“, unterstreicht<br />
Jochen Wilke.<br />
Vernetzen und (Sich-)Weiterbilden<br />
Am Ende des fünften Fortbildungstages erhalten die Teilnehmer<br />
dann ihr Zertifikat. Die Mühe, so die einhellige Meinung,<br />
hat sich gelohnt: Mit vielen Ideen für die Arbeit mit digitalen<br />
Medien gehen die Erzieher/innen zurück in ihre Kitas. Und<br />
den Kontakt untereinander wollen sie künftig pflegen, auch<br />
dafür wurde ihnen im Seminar ein Werkzeug an die Hand gegeben:<br />
Über die Internetseite www.bibernetz.de können sie<br />
sich künftig beruflich austauschen, Tipps für Projektideen<br />
einstellen und einfach ‚auf dem Laufenden’ bleiben, was sich<br />
in ihrem Fach so tut. Die verschiedenen Bereiche der Lernund<br />
Arbeitsumgebung sind dafür verständlich und benutzerfreundlich<br />
angelegt, Praxisideen auch für die Arbeit mit ‚alten’<br />
Medien werden laufend aktualisiert. Gerhard Seiler, der<br />
bei Schulen ans Netz das Projekt BIBER leitet und die Curricula<br />
der bundesweiten „Medienqualifizierung“ mit entwickelt<br />
hat, betont den doppelten Aspekt der Weiterbildungen: „Die<br />
Erzieher/innen sollen zum einen Computer und Internet für<br />
ihre alltägliche Arbeit verwenden, andererseits aber auch<br />
zum Zwecke der eigenen Weiterbildung nutzen können.“ Sicherlich<br />
werden nicht alle Teilnehmer nach der Weiterbildung<br />
regelmäßig auf bibernetz.de unterwegs sein, aber die Voraussetzung<br />
für eine mediengestützte Arbeit in der Kita haben<br />
sich alle aktiv erarbeitet: Angst vor dem digitalen Zeitalter<br />
muss nun sicherlich niemand mehr haben.<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Fotos:<br />
Klaus-Dieter Klingberg, Schulen ans Netz e. V.
Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung<br />
André Diesel<br />
Auf den Spuren<br />
Galileis wandeln:<br />
Jupiter und seine<br />
Monde<br />
Vor etwa 400 Jahren machte die Entdeckung des Himmels mithilfe der ersten Fernrohre einen<br />
historischen Quantensprung: Der italienische Astronom und Physiker Galileo Galilei (1564-<br />
1642) richtete 1609 das gerade in Holland erfundene Gerät auf den Nachthimmel und entdeckte<br />
Gebirge auf dem Mond, beobachtete die Phasen der Venus und erkannte, dass das Band der<br />
Milchstraße aus zahlreichen Sternen besteht.<br />
Großes Aufsehen erregte insbesondere Galileis Entdeckung<br />
eines Umlaufzentrums über unseren Köpfen: Jupiter, der<br />
von vier Monden umkreist wird. Der Astronom sah, was<br />
nicht sein durfte, denn nach der damaligen Lehrmeinung<br />
der Kirche stand die Erde doch im Zentrum von Allem. Der<br />
Beginn der Himmelserkundung mit dem Fernrohr ist ein<br />
so bedeutsames Ereignis in der Wissenschafts- und Kulturgeschichte<br />
der Menschheit, dass die Vereinten Nationen<br />
das Jahr 2009 zum Internationalen Jahr der Astronomie<br />
(IYA2009) ausriefen. Darin sollen möglichst viele Menschen<br />
an Ferngläser und Teleskope gebracht werden, um ihnen<br />
die Sinne für die Faszination und die Vielfalt der Himmelsobjekte<br />
zu öffnen. Schülerinnen und Schüler sind dabei<br />
eine wichtige Zielgruppe, und so ist das vierte Quartal des<br />
IYA2009 in Deutschland auch dem Thema „Astronomie und<br />
Schule“ gewidmet.<br />
Mit einfachen Hilfsmitteln die Monde beobachten<br />
Die Beobachtung von Jupiter und den Galileischen Monden<br />
bietet die ideale Gelegenheit, den Unterricht mit der Astronomie<br />
zu verlinken. Im September 2009 erscheint Jupiter<br />
nach Einbruch der Dunkelheit in südöstlicher Richtung als<br />
das mit Abstand hellste Objekt. Um die Galileischen Monde<br />
mit eigenen Augen beobachten zu können, benötigt man lediglich<br />
ein einfaches Fernglas (zehnfache Vergrößerung).<br />
Gute Spektive, wie Sie von Hobby-Ornithologen verwendet<br />
werden (40- bis 60-fache Vergrößerung), lassen bereits Wolkenbänder<br />
der Jupiteratmosphäre erkennen. Beeindruckender<br />
ist natürlich der Blick durch die Teleskope der<br />
Volkssternwarten.<br />
Das Ensemble der Galileischen Monde ist sehr dynamisch<br />
und kann seine Konstellation innerhalb weniger Stunden erkennbar<br />
verändern – wenn sich zum Beispiel zwei Monde<br />
aufeinander zu bewegen oder ein Mond hinter dem Planeten<br />
verschwindet. Lernende können diesen „Tanz“ der Jupitermonde<br />
ganz selbstständig entdecken, wenn sie an mindestens<br />
zwei aufeinander folgenden Tagen den Fernglasanblick<br />
des Jupitersystems mit dem Bleistift skizzieren. Vergleichen<br />
Sie die Ergebnisse Ihrer Schülerinnen und Schüler mit den<br />
400 Jahre alten Skizzen von Galileo Galilei – selten hat man<br />
in der Schule Gelegenheit, so unmittelbar in den Spuren<br />
eines großen Naturwissenschaftlers und einer für unser Weltbild<br />
so folgenschweren Entdeckung zu wandeln.<br />
Fächerübergreifender Unterricht zwischen Natur- und Geisteswissenschaften<br />
Die Beobachtung der Jupitermonde bietet eine der seltenen<br />
und schönen Gelegenheiten, den fächerverbindenden Unterricht<br />
die Grenze von Natur- und Geisteswissenschaften überspringen<br />
zu lassen. Das perfekte Verbindungsstück liefert<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
17
Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung<br />
das „Leben des Galilei“ von Bertold Brecht (1898-1956). Aus<br />
astronomischer Perspektive steht darin vor allem Jupiter als<br />
Umlaufzentrum seiner Monde im Blickpunkt. Das Werk enthält<br />
zudem viele Anspielungen, für deren Verständnis kleine<br />
astronomische Exkurse hilfreich sind, wie zum Beispiel<br />
Brechts Hinweis auf den „neuen Stern“ von 1572 oder den<br />
18<br />
„halben Hintern“ der Venus. Wenn Schülerinnen und Schüler<br />
Brechts Galilei nicht nur lesen, sondern mit eigenen<br />
Augen sehen, was der historische Galilei entdeckt hat, wird<br />
die Begegnung mit dem literarischen Werk um eine ganz<br />
neue Dimension bereichert – eine Chance, die man sich<br />
nicht entgehen lassen sollte.<br />
Machen wir es – 400 Jahre nach der Premiere! – also besser<br />
als die Universitätsprofessoren in Brechts Galilei, über die<br />
Schülerinnen und Schüler nur den Kopf schütteln, weil sie<br />
den Blick durch das Fernrohr verschmähen. Anregungen und<br />
viele Links zum Thema (Himmelskarten, Raumsondenbesuche<br />
im Jupitersystem, Online-Werkzeuge zur Darstellung der<br />
Jupitermondpositionen, Galileis Briefe mit Zeichnungen und<br />
Darstellungen der Jupitermonde aus seinem berühmtem<br />
Buch Sidereus Nuncius von 1610) werden im September-<br />
Beobachtungstipp von „Naturwissenschaften entdecken!“<br />
vorgestellt.<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .<br />
Empfehlungen<br />
Fortbildungen bei "Naturwissenschaften entdecken!"<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
Beobachtungstipps im IYA2009:<br />
Jupiter und die Galileischen Monde<br />
www.naturwissenschaften-entdecken.de/jupiter.php<br />
Homepage „Internationales Jahr der Astronomie 2009“<br />
www.astronomie2009.de<br />
Im Rahmen der Forschungsexpedition Deutschland, dem Wissenschaftsjahr 2009, bietet "Naturwissenschaften entdecken!"<br />
mit verschiedenen Kooperationspartnern Fortbildungen für Lehrkräfte an. Die Teilnahme ist kostenlos.<br />
• 05.10.09 – Ingolstadt - Einsatz dynamischer Mathematik<br />
Dynamische Mathematik-Software lässt sich nicht nur im Mathematik-, sondern auch im Physikunterricht<br />
einsetzen.<br />
• 21.09.09 – Kaiserslautern - Physikfortbildung<br />
Die Fortbildung zu webgesteuerten physikalischen Experimenten findet in Kaiserslautern mit Unterstützung der<br />
Arbeitgeberverbände Gesamtmetall statt.<br />
• 22.10.09 – Heidelberg - Astronomiefortbildung<br />
Diese Astronomiefortbildung findet in Kooperation mit der Klaus Tschira Stiftung in Heidelberg statt.<br />
• 26.10.09 – Erlangen - Physikfortbildung<br />
"Neue Zugänge zur Quantenphysik mit einzelnen Photonen" werden in dieser Fortbildung in Kooperation mit der<br />
Universität Erlangen-Nürnberg angeboten.<br />
• 23.11.09 – Wildau bei Berlin - Nanotechnologie im Unterricht<br />
Zum letzten Mal in diesem Jahr wird der Workshop für Lehrkräfte im November an der Technischen Fachhochschule<br />
in Wildau bei Berlin durchgeführt.<br />
Mehr Informationen unter www.naturwissenschaften-entdecken.de
Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung<br />
Dirk Frank<br />
Den Übergang<br />
stärken<br />
Der Verein „lernen fördern“ ermöglicht<br />
lernschwachen Jugendlichen eine außerbetriebliche<br />
Ausbildung<br />
Pädagogische Herausforderung<br />
Viele Jugendliche, die heute die Hauptschule mit oder ohne<br />
Abschluss verlassen, verfügen nicht über die nötige Aus -<br />
bildungsreife. Der Verein „lernen fördern“ kümmert sich um<br />
diese Gruppe, die sich unterschiedlich zusammensetzt:<br />
a) Jugendliche mit gravierenden Lernbeeinträchtigungen;<br />
b) Jugendliche aus schwierigen sozialen Verhältnissen.<br />
Sandra Moh, Teamleiterin bei „lernen fördern“, erläutert<br />
die spezifischen Probleme mit Jugendlichen, die unter Lernbeeinträchtigungen<br />
leiden: „Sie können sich oft schlecht<br />
auf eine Sache konzentrieren, sind unbeständig in ihren Lernleistungen,<br />
wenig frustrationstolerant.“ Manchmal greift<br />
man auch zu eher ungewöhnlichen Methoden, um den Jugendlichen<br />
die Ängste vor bestimmten Medien zu nehmen:<br />
„So haben wir beispielsweise bei einem Legastheniker eine<br />
Schablone angefertigt, die das Buch verdeckt und nur die<br />
Individuelle Förderung:<br />
Susanne Pullem (l.)<br />
im Gespräch.<br />
Im kürzlich von der Bundesregierung verabschiedeten Bundesbildungsbericht 2009 wird festgestellt,<br />
dass trotz der insgesamt positiven Ausbildungsbilanz sich für eine nicht zu unterschätzende<br />
Zahl an Jugendlichen der Einstieg in die Ausbildung weiterhin schwierig gestaltet. Jugendliche,<br />
die aufgrund ihrer prekären sozialen Herkunft oder beträchtlicher Lerndefizite keine<br />
Chance auf eine betriebliche Lehrstelle haben, benötigen eine nachhaltige Förderung, um nicht<br />
dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu sein. Seit 2005 führt der „lernen fördern Kreisverband<br />
Rhein-Sieg e. V.“ im Auftrag der Agentur für Arbeit Bonn und der ARGE Rhein-Sieg die<br />
Maßnahme „Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen“ (BaE) in Siegburg durch;<br />
mittlerweile werden in der Einrichtung Maler/Lackierer, Verkäufer, Frisöre, Dachdecker, Metallbauer<br />
und Köche ausgebildet. Zum Einsatz kommt im Rahmen der BaE auch das Portal qualiboXX<br />
von Schulen ans Netz mit seinen interaktiven Lernmodulen zu den einzelnen Ausbildungsberufen,<br />
aber auch zu grundlegenden Kompetenzbereichen wie Sprache und Kommunikation.<br />
lesende Textzeile zeigt – damit die Angst vor dem ungeliebten<br />
Medium nicht zu groß wird.“ Neben den Ausbildern<br />
in den Werkbereichen kümmern sich Sozialpädagogen als<br />
Vertrauenspersonen um die Jugendlichen; ergänzend zum<br />
regulären Berufsschulunterricht helfen Lehrkräfte und Lerntherapeuten<br />
den Jugendlichen, ihre Defizite zu erkennen<br />
und Versäumtes nachzuholen. „Viele haben nur ein Abgangszeugnis<br />
der 7. Klasse“, erläutert Susanne Pullem, die bei<br />
„lernen fördern“ als Lerntherapeutin mit den Jugendlichen<br />
arbeitet. „Die Ausbildung, die die Jugendlichen bei uns erhalten,<br />
ist durchaus vergleichbar mit der betrieblichen; aber<br />
die Jugendlichen können anders ,angepackt‘ werden; sie<br />
haben hier keinen Kundenverkehr, der immer auch Zeitstress<br />
bedeuten kann.“ Seit 2005 fingen pro Jahr bei „lernen fördern“<br />
ungefähr 40 neue Auszubildende an. „Die Berufswahl<br />
ist bei den Jugendlichen nicht immer gefestigt“, erläutert<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
19
Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung<br />
Sandra Moh; Daniela (19) hatte vor ihrer Ausbildung bei<br />
„lernen fördern“ keine Idee, was sie einmal werden möchte.<br />
Sie ist im Augenblick eine von zwei Frauen in der Lerngruppe<br />
der Maler/Lackierer, fühlt sich dort aber recht wohl:<br />
„Ich bin froh, dass ich jetzt eine richtige Perspektive habe“,<br />
erzählt sie. In den Pausen geht sie gerne in den Computerraum,<br />
um ihre Mails abzufragen. Erst kürzlich ist sie von<br />
zuhause ausgezogen, baut sich nach und nach eine eigene<br />
Existenz auf.<br />
Schutzraum Ausbildung<br />
Schule ist bei vielen Jugendlichen ein ‚Motivationskiller’:<br />
„Es gibt dort zu wenig pädagogische Betreuung; die Schulklassen<br />
sind zu groß, als dass der einzelne Schüler, besonders<br />
derjenige mit Lernschwierigkeiten, die nötige Zuwen-<br />
dung erfährt“, erläutert Sandra Moh. Bei „lernen fördern“<br />
stellen sich die Pädagogen individuell auf die Bedürfnisse<br />
der Zielgruppe ein: „Wir können uns nicht wie normale<br />
Lehrkräfte auf den Unterricht vorbereiten, sondern müssen<br />
immer ad hoc reagieren, je nachdem, mit welchen Lernproblemen<br />
die Jugendlichen aus der Schule kommen; dafür<br />
haben wir aber auch den Vorteil, dass wir hier keine Klassenarbeiten<br />
schreiben und daher auch keinen Zeitdruck<br />
haben“. Die Jugendlichen werden auch noch nach der Abschlussprüfung<br />
von „lernen fördern“ begleitet; Sandra Moh<br />
berichtet von der intensiven Bindung der Schüler zur Einrichtung:<br />
„Manchmal sind wir auch so was wie Elternersatz.“<br />
Auf dem freien Ausbildungsmarkt würden die Schüler nicht<br />
die Anerkennung erfahren; der Zusammenhalt, der in den<br />
Lerngruppen anzutreffen ist, stärkt zusätzlich den sozialen<br />
Faktor.<br />
20<br />
lernen fördern Kreisverband Rhein-Sieg e. V.<br />
Der Verein führt seit September 2005 die von der Bundesagentur<br />
für Arbeit geförderte Maßnahme „Berufsausbildung<br />
in außerbetrieblichen Einrichtungen“ (BaE) im<br />
Handwerkbildungszentrum in Siegburg durch. Darüber<br />
hinaus ist auch die ARGE Rhein-Sieg Auftraggeber für<br />
diese Maßnahmen. Junge Erwachsene mit erheblichen<br />
Lernbeeinträchtigungen und/oder schwierigem sozialem<br />
Hintergrund, die auf dem ersten Ausbildungs- und Arbeitsmarkt<br />
nur geringe Chancen haben, erhalten so die<br />
Möglichkeit, diese Berufsausbildung zu absolvieren. Voraussetzung<br />
zur Teilnahme ist zum einen die Erfüllung<br />
der allgemeinen Schulpflicht, zum anderen eine mindestens<br />
sechsmonatige Teilnahme an einer Maßnahme zur<br />
Berufsvorbereitung. www.lernen-foerdern-rsk.de<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
Lernen ohne<br />
Zeitdruck:<br />
Eva Doumit (l.),<br />
Sozialpädagogin,<br />
mit einer Jugendlichen.<br />
Befragt nach Jugendlichen, die sich besonders schwer getan<br />
haben mit Ausbildung und Schule, aber dennoch ihren Weg<br />
gegangen sind, schildert Sandra Moh die Berufsbiographie<br />
von Laura: Mit 17 Jahren kam sie zu „lernen fördern“, hatte<br />
sich bereits vorher im Rahmen einer berufsvorbereitenden<br />
Maßnahme mit Kosmetik/Körperpflege beschäftigt und<br />
stieg nun in den Ausbildungsberuf Frisörin ein. Der Wechsel<br />
fiel der jungen Frau mit italienischem Migrationshintergrund<br />
nicht leicht: Sie tat sich aufgrund sprachlicher Defizite mit<br />
fachsprachlichen Texten sehr schwer, zudem war ihr Verhalten<br />
anfangs gegenüber Ausbildern und Lehrern von der Weigerung<br />
geprägt, Kritik anzunehmen und andere Meinungen<br />
zuzulassen. Doch nicht zuletzt die individuelle Betreuung<br />
seitens der Sozialpädagogen im Hause sorgte dafür, dass<br />
sich die Zusammenarbeit mit Laura allmählich verbesserte.<br />
So übte Laura sogar nach und nach einen positiven Einfluss<br />
auf andere Gruppenmitglieder aus, die ebenfalls ihre ab -<br />
lehnende Haltung gegenüber der Institution und dem Lernen<br />
ablegten. Trotz einiger Rückschläge – so erzielte Laura wegen<br />
einiger grundlegender Lerndefizite ein schwaches Zwischenprüfungsergebnis<br />
– ließ sie sich nicht entmutigen. Sie bewies<br />
ihre Stärken im Rahmen eines Praktikums, bestand als<br />
Gruppenbeste die Gesellenprüfung und fand schließlich<br />
eine Anstellung in einem Salon. Aber der enge Kontakt zu<br />
„lernen fördern“ blieb seitdem bestehen: „Laura kommt<br />
uns regelmäßig besuchen, wir sind immer noch Ansprechpartner<br />
für sie, auch in Problemlagen“, betont Sandra Moh.<br />
Außerhalb des Betriebs, aber praxisnah<br />
Wer sich in den Räumen von „lernen fördern“ im Handwerkbildungszentrum<br />
Siegburg umschaut, der stößt auf erstaunliche<br />
Orte: So gibt es einen kleinen Verkaufsraum, der ne ben<br />
den üblichen Lebensmittelregalen auch mit einer digitalen<br />
Kasse nebst Warentransportband ausgestattet ist. Und hier<br />
wird keineswegs das Verkaufen nur simuliert: Auszubil
Wie im echten Leben:<br />
an der Kasse des kleines<br />
Verkaufsraumes.<br />
dende, aber auch die Mitarbeiter im Hause können sich zum<br />
Einkaufspreis mit dem Nötigsten versorgen. „Dabei werden<br />
keine Gewinne erzielt; es geht darum, die Handlungsabläufe<br />
so realitätsnah wie möglich einzuüben“, erläutert Sandra<br />
Moh. Einerseits können die Jugendlichen ohne die Belastung<br />
und den Stress, der in der realen Welt des Handwerks<br />
und des Einzelhandels die Ausbildungspraxis verschärfen<br />
kann, betreut werden. Andererseits können sie ihre Arbeit<br />
aber auch am realen Nutzen messen. So haben die angehenden<br />
Frisörinnen und Frisöre immer gut zu tun, denn auch<br />
die Azubis aus den anderen Ausbildungsgängen wissen die<br />
Haarschneidekunst ihrer Mitschüler zu schätzen. Und man<br />
geht mit der Zeit: So gibt es neben dem komplett eingerichteten<br />
Frisursalon auch einen kleinen Wellnessbereich.<br />
Obwohl „lernen fördern“ auf viele erstaunliche Lernerfolge<br />
verweisen kann, glaubt man hier nicht an Wunder. Manche<br />
Jugendliche erfüllen nach Einschätzung von Sandra Moh einfach<br />
nicht die Voraussetzungen, um beispielsweise im Frisörhandwerk<br />
mit den Kunden zu kommunizieren. „Manchmal<br />
muss man die Erwartungen an die Jugendlichen reduzieren,<br />
stattdessen schauen, wie man ihre Fähigkeiten sinnvoll in<br />
den Arbeitsmarkt integriert.“ So gibt es beispielsweise ‚abgespeckte’<br />
Versionen von manchen Berufen; der so genannte<br />
„Beikoch“ übernimmt Aufgaben in der Küche, die weniger<br />
verantwortungsvoll und eigenständig sind. Was früher mit<br />
dem Begriff des „Handlangers“ eher despektierlich verstanden<br />
wurde, stellt für manche Jugendliche immerhin eine<br />
Möglichkeit dar, einen Platz im Arbeitsleben zu finden. Und<br />
Sandra Moh betont: „Im Bereich Dachdecker und Metallbauer<br />
haben manche Unternehmen da durchaus Bedarf und<br />
melden frühzeitig ihr Interesse an einer betrieblichen Übernahme<br />
unserer Auszubildenden an.“<br />
Mit dem Computer individuell fördern<br />
Digitale Medien sind auch bei „lernen fördern“ integraler<br />
Bestandteil der Lern- und Förderangebote. Sandra Moh und<br />
ihre Kollegen nutzen ein Angebot wie qualiboXX.de auch<br />
für die eigene Informationsrecherche, den Dateiaustausch<br />
und die Vernetzung mit anderen Einrichtungen. „Im Bereich<br />
Benachteiligtenförderung tut sich recht viel; wir möchten<br />
auf dem neuesten Stand von Forschung und Praxis sein und<br />
Ideen von Kollegen aufnehmen – das ermöglicht uns ein<br />
Portal wie qualiboXX“, betont Matthias Baumann, der sich<br />
als Lehrkraft für Mathematik und EDV bei „lernen fördern“<br />
um den Einsatz von qualiboXX kümmert. In Communitygruppen,<br />
die offen, aber auch passwortgeschützt sein können,<br />
werden ganz unterschiedliche Themen behandelt: In einer<br />
werden beispielsweise Excel-Aufgaben ausgetauscht, in<br />
einer anderen Materialien für das Berufsfeld des Fachlageristen<br />
oder für den Einsatz von so genannten WebQuests.<br />
Foren, Blogs, Wikis und Umfragen runden das Angebot ab.<br />
Bei „lernen fördern“ steht bei der Nutzung von qualiboXX<br />
die individuelle Förderung im Fokus: „Digitale Medien bieten<br />
in dieser Hinsicht viele Möglichkeiten, denn das Lernen<br />
hat einen spielerischen Aspekt; die Jugendlichen zeigen<br />
eine deutlich höhere Leistungsbereitschaft“, begründet<br />
Sandra Moh den Einsatz von qualiboXX-Lernmodulen in<br />
ihrer Einrichtung. Hanan (20) macht gerade eine Ausbildung<br />
zur Frisörin; ihr Lehrer Herr Baumann hat ihr gerade auf<br />
qualiboXX das Modul „Satzbaukasten“ zugeordnet, das im<br />
Bereich schulische Basiskenntnisse zu finden ist. Eine Art<br />
Avatar im Lernmodul zeigt Hanan, ob sie Sätze richtig komplettiert<br />
hat. Flink ordnet sie die Teile eines Satzes in der<br />
richtigen Reihenfolge. Das spielerische Element führt dazu,<br />
dass die Jugendlichen, anders als in der Schule, meistens<br />
gar nicht merken, dass und wie sie ihre Sprachkompetenz<br />
Themendienst 03 | 2009 21
Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung<br />
stärken. Besonders bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund<br />
treten im Unterricht bei „lernen fördern“ häufig<br />
Defizite auf; ca. 40 % haben eine Einwanderungsgeschichte;<br />
neben türkischstämmigen Jugendlichen sind es auch viele<br />
aus ehemaligen Ostblockländern. Tanja (19) kam als 11jährige<br />
mit ihrer Familie aus Sibirien nach Deutschland; die<br />
Russlanddeutsche macht eine Ausbildung zur Verkäuferin<br />
und möchte daher gerne ihre Lese- und Rechtschreibkompetenz<br />
im Deutschen verbessern. Im „Sprachlabyrinth“<br />
auf qualiboXX muss sie aus einer Liste von vier Verben eines<br />
ermitteln, das nicht reinpasst; wenn die Antwort stimmt,<br />
wird der Weg durch ein virtuelles Labyrinth gewiesen.<br />
Svenja (19) beschäftigt sich gerade mit einem Lernangebot,<br />
das speziell Lese- und Textverständnis fördert; farblich markierte<br />
Wörter können von Svenja angeklickt werden, anschließend<br />
wird über Multiple-Choice-Fragen das Textverständnis<br />
geprüft. Svenja nutzt Computer und Internet viel<br />
zuhause und findet sich daher gut im Lernmodul zurecht.<br />
Lernen 2.0<br />
Kevin (23) ist einer von denen, deren Bildungsbiographie<br />
von großen Diskontinuitäten geprägt ist: Er besuchte ursprünglich<br />
das Gymnasium, doch die 2. Fremdsprache bereitete<br />
ihm große Probleme, sodass er auf die Hauptschule<br />
wechseln musste. Doch vor Erreichen des Abschlusses<br />
brach er die Schule ab, ebenso die Lehre zum Einzelhandelskaufmann;<br />
nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit ließ er<br />
sich bei der ARGE Rhein-Sieg beraten. Der Entschluss reifte<br />
allmählich in ihm: Er möchte Maler/Lackierer werden. Man<br />
merkt sofort: Kevin kann gut mit Computer und Internet umgehen.<br />
Er beschäftigt sich gerade mit „Fette Texte“, einer<br />
Übung zu HipHop auf qualiboXX. „Kenne die Musik recht<br />
gut, deswegen fallen mir die Aufgaben leicht!“ Er weiß aber<br />
auch von den Vorteilen der Medienkompetenz in seinem<br />
Ausbildungsbereich zu berichten: „Heute kann man bei-<br />
22<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
„Fette Texte“: Kevin arbeitet<br />
mit qualiboXX.<br />
spielsweise den Farbanstrich eines Hauses digital rekonstruieren.“<br />
Die Übungen auf qualiboXX für Maler und Lackierer<br />
findet er ansprechend; das Prüfen von metallischen,<br />
mineralischen oder natürlichen Untergründen hat einen<br />
engen Praxisbezug, meint Kevin. Wie es sich für einen jugendlichen<br />
Mediennutzer gehört, macht er aber gleich Verbesserungsvorschläge:<br />
„Es sollte noch mehr drag&drop<br />
geben“, bemängelt er fachmännisch; auch sei die Texteingabe<br />
manchmal noch recht schwierig.<br />
Jugendliche wie Kevin nutzen Computer und Internet als<br />
selbstverständliche Medien; sie hinterfragen dabei die Angebote<br />
nach ihrem Informationswert, ihrer Benutzerfreundlichkeit<br />
und entwickeln sogar auch Vorschläge, wie man<br />
Lernmodule optimieren kann. Damit besitzen sie zumindest<br />
potenziell bereits Einblicke, wie Lernen funktioniert. Dieser<br />
Aspekt wird bei „lernen fördern“ systematisch verfolgt:<br />
Eine eigene Seminarreihe fokussiert auf den Aspekt „Lernen<br />
lernen“: Hier sollen sich die Jugendlichen mit dem eigenem<br />
Lernverhalten auseinandersetzen. Ein Aspekt, der im Bildungssystem<br />
auf allen Ebenen gefordert wird. In dem Maße,<br />
wie die Wissens- und Informationsgesellschaft von den<br />
Menschen ein hohes Maß an Lernbereitschaft und –flexibilität<br />
einfordert, werden Kenntnisse über Erfolgsbedingungen<br />
des eigenen Lernens immer wichtiger. Sandra Moh betont:<br />
„Manchmal wirkt unser Name ‚lernen fördern’ fast schon<br />
hinderlich – die Jugendlichen werden manchmal als ‚behindert’<br />
abgestempelt. Dabei ist die Förderung von Lernkultur<br />
mittlerweile in allen Bildungsbereichen notwendig.“
qualiboXX – Individuell fördern mit digitalen Medien<br />
Das Projekt zur Berufsvorbereitung und Ausbildungsförderung<br />
unterstützt das pädagogische Personal der Bildungsträger,<br />
die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der<br />
beruflichen Integrationsförderung beim Übergang von<br />
der Schule in den Beruf zu begleiten. Das Lernzentrum<br />
ist eingebettet in eine webbasierte Kommunikationsund<br />
Arbeitsplattform. Hier können sich Bildungsträger<br />
als Institution anmelden und die Kommunikation und<br />
Kooperation mit Mitarbeitern und externen Partnern<br />
optimieren, um den Erfolg von beruflichen Integrationsmaßnahmen<br />
zu fördern. Um Pädagoginnen und Pädagogen<br />
den fachlichen Austausch zu ermöglichen und ihnen<br />
den Einstieg in die Medienarbeit zu erleichtern, erhalten<br />
sie auf der Arbeitsplattform die Möglichkeit der Fortbildung<br />
und der Zusammenarbeit in einer virtuellen Community.<br />
Geeignete Begleitmaterialien helfen ihnen, die<br />
Online-Lernangebote für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />
sinnvoll einzusetzen. Der geschlossene Arbeitsbereich<br />
wird ergänzt durch ein offen zugängliches<br />
Informationsangebot rund um die Themen Berufsvorbereitung,<br />
Benachteiligtenförderung, Umgang mit digitalen<br />
Medien beim Lernen und Lehren sowie Berufsbildungs<br />
politik.<br />
www.qualiboxx.de<br />
Themendienst 03 | 2009 23
Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung<br />
Dirk Frank<br />
The Making of:<br />
Wie entsteht<br />
ein multimediales<br />
Berufsbild?<br />
Ein Verfahrensmechaniker vor der Kamera<br />
Und Action!<br />
7.00 Uhr, auf dem Parkplatz der PVT am Rande von Ohrdruf:<br />
Bevor das altbekannte Kommando „Und Action“ erklingt,<br />
muss erst einmal der Tag durchgesprochen und die Technik<br />
gecheckt werden. Im Vorfeld hat das Filmteam – Autorin Sabine<br />
Goette und Kameramann Delf Woischnig – fleißig recherchiert,<br />
Gespräche geführt und Termine koordiniert. Und doch:<br />
„An einem konkreten Arbeitsplatz sieht alles erstmal ganz<br />
anders aus“, stellt Autorin Sabine Goette fest und prüft ihren<br />
Produktionsplan. „Da muss man schon mal flexibel reagieren<br />
und umdisponieren.“ Dem Protagonisten ist die Anspannung<br />
nicht anzumerken. Lässig erklärt er dem Filmteam, was er<br />
normalerweise am Beginn eines Arbeitstages macht; währenddessen<br />
bleiben seine Kollegen verwundert stehen und<br />
fragen: „Wirst Du jetzt etwa Filmstar?“ Sabine Goette und<br />
Delf Woischnig müssen, bevor sie die Produktionshalle betreten<br />
dürfen, einen Gummischutz mit Stahlkappe über ihre<br />
Schuhe ziehen. Sicherheit wird groß geschrieben, zudem bei<br />
der Erstellung der Berufsbilds bei beroobi immer auch darauf<br />
geachtet wird, dass grundlegende Bestimmungen des Ar-<br />
24<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
Bevor es losgeht, wird die Technik noch mal gecheckt. Kay (m.),<br />
Autorin Sabine Goette (l.) und Kameramann Delf Woischnig (r.).<br />
Kay Holland ist 22 und Verfahrensmechaniker bei der PVT Plastverarbeitung Thüringen GmbH in<br />
Ohrdruf, einem kleinen Dorf am Rande des Thüringer Waldes. Der Autozulieferer stellt verschiedene<br />
Kunststoffteile für Fahrzeugausstattungen her, z. B. Handschuhkästen oder Ablagefächer.<br />
Wenn man Kay an seinem Arbeitsplatz erlebt, ist man von seiner Souveränität und Sicherheit<br />
im Umgang mit Material, Maschinen und Produktabläufen beeindruckt. Doch heute muss er in<br />
eine andere, bis dato unbekannte Rolle schlüpfen: Er wird nämlich zum Darsteller! Ein Filmteam<br />
vom Schulen-ans-Netz-Projekt beroobi stattet ihm einen Besuch ab, um an seinem Arbeitsplatz<br />
Bewegtbilder, Fotos und Ton aufzunehmen. Alles ganz authentisch, aber auch für Laien anschaulich<br />
und verständlich. Denn auf dem Portal www.beroobi.de soll ein interaktives, multimediales<br />
Profil seines Berufes entstehen, das Jugendlichen einen Eindruck vom Beruf vermittelt und<br />
auch Interesse wecken soll. Wir haben die Dreharbeiten begleitet, um zu sehen, wie sich Kay in<br />
der ungewohnten Rolle bewährt hat!<br />
beitsschutzes eingehalten werden. Denn was die Kamera einmal<br />
eingefangen hat, lässt sich nicht mehr korrigieren. Wenn<br />
Helmpflicht besteht, gehört der Kopf des Arbeitnehmers geschützt.<br />
Wenn dieses Detail fehlt, muss die Szene wiederholt<br />
werden.<br />
Der widerspenstige (Berufs)Alltag<br />
Wer den Arbeitsalltag eines in der Industrie Tätigen einfangen<br />
will, muss vergleichsweise früh aufstehen. Die Frühschicht<br />
beginnt gegen 6.30 Uhr. Aber da Kay beim Eintreffen<br />
des Filmteams schon längst im Dienst ist, muss er mit seiner<br />
Mitarbeiterkarte noch mal zum Stempeln gehen – damit es<br />
dann auch im Kasten ist. Dann geht es in die große Fertigungshalle<br />
des Unternehmens, in der den Besucher sommerliche<br />
Wärme und ein recht hoher Lärmpegel empfängt. Doch Kay<br />
und seine Kollegen, die Gehörschutz tragen und ohnehin daran<br />
gewöhnt sind, machen sich über die empfindlichen Medienmenschen<br />
etwas lustig. Die sind aber von der ungewohnten<br />
Kulisse ziemlich begeistert: „Ich finde es total spannend,<br />
mich mit Berufen zu beschäftigen, die ich aus eigener An-
schauung nicht kenne; zudem wird hier visuell einiges geboten“,<br />
betont Delf, und ergänzt: „Im Vergleich dazu lässt sich<br />
das Berufsfeld eines Bürokaufmanns, das zumindest optisch<br />
von Tisch, Stuhl und PC dominiert wird, längst nicht so bilderreich<br />
darstellen.“ Sorgen bereitet Delf dennoch der Lärmpegel<br />
an Kays Arbeitsplatz: Bei Arbeiten in der Haupthalle<br />
können Kays Erläuterungen zu den Arbeitsabläufen nicht<br />
mitgeschnitten werden; diese müssen hinterher eingesprochen<br />
werden.<br />
Von der Rohmasse zum Kunststoffprodukt<br />
Der „Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik“,<br />
so die offizielle Bezeichnung, muss verschiedene<br />
Herstellungstechniken beherrschen. Durch Verfahren wie<br />
Spritzgießen, Blasformen oder Pressen entstehen einerseits<br />
gebrauchsfertige Produkte, aber auch so genannte „Halb -<br />
zeuge“, d.h. Kunststoffteile, die noch weiterverarbeitet werden.<br />
Für den Dreh wird Kay eine „Waterbox“ herstellen: ein<br />
Teil, das den wenigsten Autofahrern bekannt sein dürfte, da<br />
es verdeckt unter der Frontscheibe sitzt. Zuerst einmal muss<br />
Kay das Rohmaterial, das für die Produktion benötigt wird,<br />
aufbereiten. Er führt Sabine und Delf zu den riesigen Silos,<br />
die außerhalb der Halle stehen. Von dort aus wird das Granulat<br />
über ein Rohr zum Vortrockner transportiert. Dann muss<br />
Kay die richtigen Mischverhältnisse sowie die Temperatur<br />
einstellen, bei der das Granulat geschmolzen wird. „Moment,<br />
nicht so schnell!“, ruft Delf, als Kay in alter Gewohnheit mit<br />
schnellen Handgriffen die Maschine programmiert. Viele Produktionsschritte<br />
wurden früher manuell ausgeführt, heute<br />
stehen dafür Industrieroboter zur Verfügung. Daher muss<br />
auch der Umgang mit Computertechnik dem Verfahrenstechniker<br />
vertraut sein. Dies zeichnet sicherlich auch die Viel -<br />
fältigkeit des Berufes aus: einerseits der sinnliche Bezug zum<br />
Material und zum Produkt, der alltägliche Umgang mit schweren<br />
Maschinen, andererseits aber auch die Vertrautheit mit<br />
digitalen Speicher- und Steuerungstechnologien.<br />
Pudern gehört auch dazu<br />
Wie kam es eigentlich dazu, dass Kay den Verfahrensmechaniker<br />
‘mimen’ darf? „Ich wurde gefragt, ob ich das gerne<br />
machen möchte, und da habe ich spontan ja gesagt“, erzählt<br />
er stolz. „Ich fände es nämlich gut, wenn mein Beruf bekannter<br />
gemacht werden würde. Viele wissen gar nicht, was sich<br />
hinter der Bezeichnung ‚Verfahrensmechaniker’ verbirgt.“<br />
Und Kay merkt man seinen missionarischen Eifer förmlich an:<br />
So beschränkt er sich beim Dreh nicht allein auf die Rolle<br />
des Darstellers. Sondern macht laufend Vorschläge, was das<br />
Filmteam als nächstes aufnehmen kann. „Nach meiner Erfahrung<br />
ist das für die Darsteller eine tolle Erfahrung: Da interessiert<br />
sich jemand von außen für ihren Beruf, und sie lernen<br />
dadurch auch, ihren Alltag für jemanden darzustellen,<br />
der sich nicht damit auskennt“, erläutert Sabine Goette. Die<br />
Qualitätssicherung liegt Kay besonders am Herzen, kann er<br />
doch dabei zeigen, dass man als Verfahrensmechaniker nicht<br />
nur die Produktion steuert, sondern auch die Produkte mittels<br />
strenger Parameter selber kontrolliert. Da dieser Produktionsschritt<br />
in einem separaten und damit ruhigeren Raum<br />
Beim Stempeln zu Arbeitsbeginn: Die Kamera ist immer dabei!<br />
Kay zeigt eine Handvoll des Granulats.<br />
Äußerste Konzentration beim Bedienen der Maschine<br />
Für eine längere Sprech-Sequenz mit Text wird Kay verkabelt.<br />
Themendienst 03 | 2009 25
Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung<br />
„Posing“ beim Reinigen des Werkzeugs Immer im Bild: der Protagonist<br />
stattfindet, darf Kay nun eine längere Sequenz sprechen. Dafür<br />
muss er nicht nur verkabelt, sondern auch gepudert werden.<br />
„Ist ja wie vor einer Talkshow“, kommentiert er etwas<br />
spöttisch Delfs geübten Umgang mit dem Puderquast. In der<br />
vorab nur unverbindlich abgesprochenen Szene soll Kay nun<br />
zeigen, wie er anhand eines „Referenzmusters“ verschiedene<br />
„Probeschüsse“, also vor der eigentlichen Produktion entstandene<br />
Werkstücke, überprüft. Kameramann Delf ist überrascht,<br />
wie professionell Kay die Szene „spielt“, bittet aber<br />
um eine Wiederholung, da sie noch zu lang ist. „Du musst ja<br />
nicht alle Kriterien zur Überprüfung erläutern“, rät er Kay.<br />
Beim zweiten Mal verhaspelt sich Kay ausgerechnet am Ende<br />
seines Textes; doch er nimmt es mit Humor und versucht beim<br />
dritten Mal sich stärker auf die wichtigen Aspekte zu konzentrieren.<br />
Und schließlich ist die ganze Sequenz im Kasten.<br />
Der Verfahrensmechaniker als „Topmodel“<br />
Die nächste Station führt das Filmteam in die Werkstatt. Dort<br />
gehört es zu den Aufgaben des Verfahrensmechanikers, das<br />
Werkzeug zu überprüfen. „Werkzeug“ hört sich für den Laien<br />
nach Hammer oder Schraubenzieher an, aber gemeint sind<br />
damit voluminöse Apparaturen, die jeweils für unterschiedliche<br />
Produkttypen und dem Kunststoff seine Form geben eingesetzt<br />
werden. Kay muss das Werkzeug warten und instand<br />
halten; dazu gehört die Reinigung und der Austausch von<br />
Ölen, Kühl- und Schmiermitteln. Nachdem Kay das Werkzeug<br />
fachmännisch überprüft hat, darf er auch mal „posieren“.<br />
Dass er das durchaus gerne macht, sieht man den Filmaufnahmen<br />
und Fotos an. „Es macht großen Spaß, mit ihm zu arbeiten“,<br />
unterstreicht Delf, und klettert auf den Werkstatttisch,<br />
um Kay von einer anderen Perspektive aufnehmen zu<br />
können. Sabine wirft belustigt „GNTM“ in die Runde – doch<br />
26<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
anders als „Germany’s next Topmodel“ ist das Posing vor der<br />
Kamera eher die Ausnahme. Denn es geht um realistische,<br />
glaubwürdige Situationen, die zudem vom Darsteller äußerste<br />
Konzentration erfordern. So wenn er beispielsweise ein<br />
größeres Maschinenteil austauschen muss: Dafür wird der<br />
Werkskran benötigt, um die tonnenschwere Apparatur vom<br />
Hochregallager zum Produktionsort zu transportieren. Weil<br />
solche aufwändigen Produktionsschritte nicht beliebig oft<br />
zu wiederholen sind, bleibt Delf dem Protagonisten mit der<br />
Kamera dicht auf den Fersen. Auch wenn nur ein Bruchteil<br />
des dabei entstehenden Film- und Bildmaterials schließlich<br />
Verwendung findet: Bei der finalen Berufsbilderstellung zeigt<br />
sich immer erst, welche Bilder wirklich gut sind. Daher gilt<br />
die Devise: Jedes Motiv, jeden Vorgang möglichst mehrfach<br />
einfangen!<br />
Der lange Weg vom Dreh bis zum Webauftritt<br />
Zwei Tage dauert durchschnittlich der Dreh eines Berufsbildes.<br />
Aufgenommen werden aber nicht nur authentische Sequenzen<br />
aus dem Arbeitsalltag des jeweiligen Berufes, sondern<br />
die interaktive Aufbereitung eines beroobi-Berufsbild<br />
bedarf noch vieler weiterer Besonderheiten von Kay. So muss<br />
er beispielsweise für ein interaktives Quiz rund um seinen<br />
Beruf nicht nur die Quiz-Fragen kurz und knackig in die Kamera<br />
sprechen, sondern auch entsprechende Feedbacks mimen,<br />
die der Nutzer später von ihm direkt eingespielt bekommt,<br />
wenn er die Antworten per Drag & Drop auf einen kleinen<br />
Fernseher zieht. Auf diese Weise wird ein (virtueller) Dialog<br />
zwischen dem Protagonisten eines Berufsbildes und den Besuchern<br />
der Website hergestellt. Und damit nicht genug, auch<br />
für kleine Umfragen, Extra-Tipps und als Schablone für eine<br />
„Arbeitsbekleidungsgalerie“ spricht Kay geduldig in die Kamera.<br />
Dabei wird auf Fachlichkeit und Objektivität der Informationen<br />
großen Wert gelegt. Um das jeweilige Berufsfeld im<br />
Hinblick auf Perspektiven und Einstellungsvoraussetzungen<br />
umfassend darzustellen, kommen zudem auch Experten zu
Was soll und kann gezeigt werden? Besprechung beim Dreh.<br />
Wort. So werden auch weitere Mitarbeiter der PVT Plastverarbeitung<br />
interviewt, wie z. B. der für Kay zuständige Bereichsleiter<br />
aus der Verwaltung. Speziell für das Modul „Voraussetzungen“<br />
nimmt sich das Filmteam beim Aufnehmen der<br />
Statements viel Zeit mit ihm. Seine Erläuterungen als Experte,<br />
warum bestimmte Kompetenzen für den Beruf des Verfahrensmechanikers<br />
essentiell sind, bilden einen wichtigen<br />
Eckstein im Berufsbild und müssen daher besonders verständlich<br />
und einfach erklärt werden.<br />
Bis dann ein Berufsbild schließlich online abrufbar ist, sind<br />
noch viele verschiedene Produktionsschritte und redaktionelle<br />
Arbeiten notwendig: Das Material muss gesichtet, qualitativ<br />
geprüft und schließlich in den modular angelegten Baukasten<br />
eingesetzt und programmiert werden. Seit Anfang<br />
2009 können laufend neue Berufsbilder bei beroobi besichtigt<br />
werden, die Palette reicht mittlerweile von Anlagenmechaniker/in<br />
über Chemikant/in und Mikrotechnologe/in bis<br />
hin zu Schornsteinfeger/in. „Das Wissen über die Bandbreite<br />
aktueller Ausbildungsberufe und speziell jener, die auch zukünftig<br />
Chancen auf dem Arbeitsmarkt bieten, ist für die Berufswahl<br />
junger Frauen und Männer entscheidend, daher stellen<br />
wir bewusst Ausbildungswege in Zukunftsbranchen und<br />
Innovationsbereichen vor, vor allem in Industrie, Handwerk,<br />
Bau, Naturwissenschaften und Technik sowie in Gesundheit<br />
und Pflege“, erläutert Projektleiterin Silke Niemann die<br />
Grundidee von beroobi. Aber gibt es nicht bereits bewährte<br />
Beratungsdienste für Jugendliche, die sich in Sachen Berufsorientierung<br />
schlau machen wollen, findet man nicht auf anderen<br />
Portalen ausreichend Informationsmaterial? „Wir setzen<br />
bei diesem Projekt vor allem auf einen selbst gesteuerten<br />
und emotionalen Zugang, der direkt an den Bedürfnissen, Interessen<br />
und Nutzungsgewohnheiten Jugendlicher anknüpft<br />
und Identifikation sowie spielerische Interaktionsmöglichkeiten<br />
anbietet, die einen attraktiven Einstieg in das Thema Berufswahl<br />
ermöglichen. Solche Ansätze gibt es im Netz bisher<br />
kaum. Dabei geht es vor allem darum, erstmal überhaupt das<br />
Interesse für dieses Thema zu wecken – wir wollen ‚Hingucker’<br />
und Türöffner sein und die Jugendlichen dann natürlich<br />
auf die entsprechenden interessanten Angebote weiterleiten,<br />
die es im Netz bereits gibt.“ Mit Video- und Audiosequenzen,<br />
interaktiven Quizspielen und Interviews wird der Nutzer immer<br />
wieder zur direkten spielerischen Auseinandersetzung<br />
mit den Inhalten des jeweiligen Berufs animiert. „Wir holen<br />
die Jugendlichen da ab, wo sie von ihrer Mediennutzung her<br />
stehen!“<br />
Nach zwei Drehtagen ist dann endlich auch der Verfahrensmechaniker<br />
im Kasten. Nun wartet viel Arbeit auf die Redakteure<br />
und Webdesigner, das entstandene Material anzupassen.<br />
Zwei Monate dauert insgesamt der Produktionsprozess,<br />
bis ein Berufsbild bei beroobi angeklickt werden kann. Dann<br />
wird Kay Holland oder besser gesagt: sein virtuelles Pendant<br />
– unzähligen Jugendlichen seinen Beruf erläutern, und viele<br />
werden sicherlich Interesse daran finden. Und nicht nur Kay,<br />
sondern auch seine Kollegen sind schon sehr gespannt, wie<br />
er sich als „Topmodel“ im Netz machen wird!<br />
Themendienst 03 | 2009 27
Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung<br />
28<br />
beroobi – Erlebe Berufe online!<br />
beroobi richtet sich an Jugendliche (aller Schulformen)<br />
zwischen 14 und 24 Jahren, die sich im Prozess der Berufsfindung<br />
und Berufsorientierung befinden. Neben<br />
Schulabgängern werden auch all diejenigen berücksichtigt,<br />
die bereits eine Berufsausbildung begonnen, abgeschlossen<br />
oder auch abgebrochen haben und sich<br />
weiter bzw. neu orientieren möchten. Wichtige Ansprechpartner<br />
sind in diesem Kontext auch pädagogische<br />
Fachkräfte, über die in vielen Fällen die<br />
Bekanntmachung von beroobi bei der jugendlichen Zielgruppe<br />
läuft. Multimedial-interaktiv aufbereitete und<br />
somit lebendige Berufsbilder geben jungen Berufsein-<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
steigern realistische Einblicke in ihren Arbeitsalltag und<br />
lassen die Nutzer explorativ an ihrem Berufsleben teilhaben.<br />
Sie dienen somit als positives Vorbild und Identifikationsfigur.<br />
Das praxisorientierte Angebot bietet<br />
außerdem konkrete Tipps, wichtige Informationsanreize<br />
und spielerische Wissensabfragen rund um das Thema<br />
Berufsorientierung, wobei jugendgerechte Sprache und<br />
Design einen hohen Stellenwert haben. Das Projekt wird<br />
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und<br />
dem Europäischen Sozialfonds gefördert<br />
www.beroobi.de
Veranstaltungshinweis<br />
Bereits zum 4. Mal findet im Rahmen der<br />
<strong>Frankfurt</strong>er Buchmesse der internationale<br />
<strong>Bildungskongress</strong> statt. Die <strong>Frankfurt</strong>er<br />
Buchmesse bietet gemeinsam mit Schulen<br />
ans Netz e. V., Lehrer-Online und der Robert-<br />
Bosch-Stiftung ein vielfältiges Programm<br />
mit Vorträgen, Workshops und Diskussionen. Renommierte Bildungsforscher wie Wassilios<br />
Fthenakis und Klaus Hurrelmann liefern wichtige Stichworte zur Zukunft des Lernens.<br />
16.-<strong>17.</strong> <strong>Oktober</strong>, <strong>Frankfurt</strong>:<br />
<strong>Bildungskongress</strong> „Lernende Gesellschaft“<br />
Das diesjährige Motto des <strong>Bildungskongress</strong>es lautet<br />
„Bildung im Wandel – Education in Flux". Der Kongress<br />
richtet sich an Lehrkräfte, Erzieher/innen, Studierende<br />
sowie Bildungsverleger und Fachbesucher der Buchmesse.<br />
Die Schulen-ans-Netz-Projekte BIBER, Naturwissenschaften<br />
entdecken! und eTwinning sind mit Workshops<br />
maßgeblich am Programm beteiligt.<br />
International und interdisziplinär<br />
Wie in den Jahren zuvor wendet sich der <strong>Bildungskongress</strong><br />
„Lernende Gesellschaft“ an unterschiedliche Zielgruppen<br />
und will den internationalen und interdisziplinären<br />
Austausch fördern. So finden Veranstal tungen auf<br />
Deutsch wie auf Englisch statt. Während am ersten Kongresstag<br />
vor allem Podiumsdiskussionen stattfinden,<br />
bietet der zweite praxisnahe Workshops und Diskus sionen.<br />
An beiden Tagen sind bekannte Namen beteiligt:<br />
Klaus Hurrelmann, Professor für Sozial- und Gesundheitswissenschaften<br />
an der Universität Bielefeld und<br />
Direktor am Institut für Bevölkerungsforschung und<br />
Sozialpolitik, oder Wassilios E. Fthenakis, Professor für<br />
Entwicklungspsychologie und Anthropologie an der<br />
Freien Universität Bozen.<br />
1. Kongresstag: Gewalt an Schulen, Wirtschaft, Social<br />
Networking<br />
“Amok – neue Erkenntnisse zu einem alten Phänomen"<br />
ist das Thema eines der Höhepunkte des ersten Kongresstages:<br />
An der Podiumsdiskussion nehmen unter<br />
anderem Klaus Hurrelmann und Joachim Gärtner (Drehbuchautor<br />
und Filmemacher) teil. Weitere Themen dieses<br />
ersten Tages sind „Wirtschaft und Bildung“ und<br />
„Social Networking“. Die Veranstaltungen finden am<br />
Freitag im Saal Europa statt, der Eintritt ist für Fachbesucher<br />
und Aussteller der <strong>Frankfurt</strong>er Buchmesse frei.<br />
2. Kongresstag: Individualisierung, Digitalisierung und<br />
Lebenslanges Lernen<br />
Nach einer Begrüßung durch einen Vertreter des Kultusministerium<br />
und einer Keynote von Professor Wassilios<br />
E. Fthenakis startet der 2. Tag des <strong>Bildungskongress</strong>es.<br />
Themen wie "Websites für Kinder" (BIBER), „Gesunde<br />
Kitas“ oder „Lebenslanges Lernen“. Das Schulen-ans-<br />
Netz-Projekt eTwinning zeigt, wie die gemeinsame<br />
Pro duktion von Audio-Produkten wie Reportagen und<br />
Hörspielen mit europäischen Partnerschulen funktionieren<br />
kann und welche Vorteile sie für die Medienkompetenz<br />
der Schüler hat.<br />
"Individualisierung, Digitalisierung und Lebenslanges<br />
Lernen – neue Wege in der Bildung" ist der Titel einer<br />
thematisch richtungsweisenden Podiumsdiskussion am<br />
zweiten Kongresstag, an der u. a. Wassilios Fthenakis<br />
beteiligt ist. Die Teilnahme am 2. Kongresstag kostet 20<br />
Euro; die Veranstaltung ist für Lehrkräfte in vielen Bundesländern<br />
als Fortbildung anerkannt und akkreditiert.<br />
Programm und Anmeldung<br />
Das komplette Programm beider Tage und das Anmeldeformular<br />
finden sich unter<br />
www.buchmesse.de/de/fbm/programm/bildung/<br />
bildungskongress<br />
Themendienst 03 | 2009<br />
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IMPRESSUM<br />
Herausgeber<br />
Schulen ans Netz e. V.<br />
Martin-Luther-Allee 42<br />
53175 Bonn<br />
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Verantwortliche Redaktion<br />
Dr. Dirk Frank,<br />
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Telefon + 49(0)228 - 910 48 - 211<br />
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Eichberger Digitalprint GmbH, Troisdorf<br />
Titelbild<br />
Klaus Dieter Klingberg,<br />
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Belegexemplar erbeten.
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