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17. Oktober, Frankfurt: Bildungskongress - s2design

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Schulen ans Netz e. V.

Kompetenz in Medien und Bildung

Themendienst 03 | 09:

Ausgabe 01 | 02 | 03 | 04 | 2009

Neue Herausforderungen der

Medienpädagogik

Titelthema

• Horst Niesyto zum „Medienpädagogischen

Manifest“

• Dieter Spanhel über Susanne

Gaschkes Medienkritik

• Medienqualifizierung: Wie

kommt sie bei Erzieherinnen

und Erziehern an?

• Auf den Spuren Galileis:

Was lässt sich am Himmel

beobachten?

• Ausbildung: Welche Chancen

haben lernschwache Jugendliche?

• The Making of: Wie entsteht

ein multimediales Berufsbild?


Maria Brosch

Geschäftsführender Vorstand

Schulen ans Netz e. V.

02 Themendienst 03 | 2009

Medienbildung nachhaltig verankern!!

Liebe Leserinnen und Leser,

kaum eine Woche vergeht, in der nicht im Blätterwald über den richtigen Umgang

mit dem World Wide Web, mit Computerspielen oder Handys gestritten wird.

Diese Aktualität von Medienthemen ist zweifelsohne ein janusköpfiges Phänomen

für all jene, die sich professionell mit (Medien)Bildung beschäftigen. Denn

oftmals wird in diesen Diskussionen den einfachen Botschaften der Vorzug gegeben,

eine reflektierte Debatte findet viel zu selten statt. Bedenkenträger haben

leider häufig die Lufthoheit. Damit soll nicht gesagt werden, dass Computer und

Internet nicht auch fragwürdige Wirkungen haben. Doch die digitalen Medien

sind bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen, daher können (reine)

Verbote und Tabus keine Lösung sein.

Wir freuen uns besonders, dass wir für diese Ausgabe des Themendienstes zwei

namhafte Vertreter der Medienpädagogik gewinnen konnten, die sich auf kritische

und anregende Weise mit der aktuellen Diskussion um Medienbildung aus -

einandersetzen. Prof. Dr. Horst Niesyto erläutert im Interview die Hintergründe

des kürzlich veröffentlichten „Medienpädagogischen Manifests“; Prof. Dr. Dieter

Spanhel beschäftigt sich mit einer einflussreichen Medienkritik, die im Buch der

ZEIT-Autorin Susanne Gaschke formuliert wird. In beiden Beiträgen wird eines

klar: Die zunehmende Durchdringung der Arbeits- und Freizeitwelt mit digitalen

Medien ist kein Argument gegen, sondern für eine noch stärkere Verankerung

von medienpädagogischen Angeboten in den verschiedenen Bildungsbereichen.

Schulen ans Netz e. V. setzt sich seit vielen Jahren aktiv für eine nachhaltige Verankerung

der Medienbildung in Bildungsprozessen ein. Auch in dieser Ausgabe

des Themendienstes erhalten Sie wieder Einblicke in aktuelle Angebote, die hoffentlich

Lust darauf machen, sich einmal näher mit diesen zu beschäftigen.

An dieser Stelle möchte ich mich allen Leserinnen und Lesern gerne vorstellen:

Ich bin seit September 2009 Geschäftsführender Vorstand bei Schulen ans Netz

und freue mich darauf, in dieser spannenden Tätigkeit an der Gestaltung der medienpädagogischen

Landschaft mitzuwirken und auch mit den vielfältigen Zielgruppen

des Vereins in Kontakt zu treten.

Viel Spaß bei der Lektüre!

Maria Brosch


04

13

17

10

19

24

Inhalt

Titelthema

Medienpädagogik: gute Ansätze,

aber die breite Verankerung fehlt.

Fragen an Horst Niesyto zum

„Medienpädagogischen Manifest“ 04 – 09

Dieter Spanhel:

Medienkritik allein reicht nicht!

Susanne Gaschkes Buch „Klick – Strategien

gegen die digitale Verdummung“ 10 – 12

Frühkindliche Bildung

Dirk Frank:

Mit Medien lernen, mit Medien arbeiten.

Erzieherinnen und Erzieher werden im Rahmen

der bundesweiten „Medienqualifizierung“

mit Computer und Internet vertraut gemacht

Schulische Bildung

13 – 16

André Diesel:

Auf den Spuren Galileis wandeln:

Jupiter und seine Monde 17 – 18

Berufliche Bildung

Dirk Frank:

Den Übergang stärken.

Der Verein „lernen fördern“ ermöglicht

lernschwachen Jugendlichen eine

außerbetriebliche Ausbildung 19 – 23

Dirk Frank:

The Making of: Wie entsteht ein

multimediales Berufsbild? Ein

Verfahrensmechaniker vor der Kamera 24 – 28

Themendienst 03 | 2009

03


Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung

04

Themendienst 03 | 2009


Fragen an Horst Niesyto zum „Medienpädagogischen Manifest“

Medienpädagogik: gute

Ansätze, aber die breite

Verankerung fehlt

„Keine Bildung ohne Medien!“: Namhafte Ver-

treter und Institutionen fordern im „Medien-

pädagogischen Manifest“ eine dauerhafte

und nachhaltige Verankerung der Medienpä-

dagogik in allen Bildungsbereichen. Die zen-

trale Aufgabe, so die Unterzeichner, bestehe

darin, „die Medienpäda gogik von einer Pha se

der Modellprojekte und einzelnen Aktionen

auf lokaler und regionaler Ebene zu einer Ph a -

se struktureller Veränderungen zu überfüh-

ren“. In der Breite gesehen habe die Me dien-

pädagogik keinen festen Platz an Schulen

und Hochschulen; zudem finde in vielen Fami-

lien und pädagogischen Einrichtungen eine

reflek tierte Auseinandersetzung mit Medien

kaum statt. Akuten Handlungsbedarf sieht

man u. a. in der medienpädagogischen Grund-

bildung von Lehrkräften, Erzieher/innen, Er-

wachsenbildner/innen und Sozialpädagogen/

innen. Mittlerweile haben sich zahlreiche Or-

ganisationen und Personen zu Unterstützern

des Manifests erklärt, darunter auch Schulen

ans Netz e. V. Wir haben einen der Initiatoren,

Prof. Dr. Horst Niesyto von der PH Ludwigs-

burg, einmal nach dem Hintergrund und den

zentralen Botschaften des Manifests befragt.

Themendienst 03 | 2009

05


Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung

Herr Niesyto, wie kam es zur Entstehung des Manifests, gab

es dafür einen konkreten Anlass?

Das Manifest wurde im Rahmen einer

Computerspiel-Tagung im März

2009 in Magdeburg veröffentlicht.

Die aktuelle Diskussion um Computerspiele

und die Ereignisse von

Winnenden waren aber nicht der

Auslöser. Die ErstunterzeichnerInnen

des Manifest nutzten die Gelegenheit

dieser größeren Tagung,

um auf ein grundsätzliches Problem

hinzuweisen: Es gibt zwar in

der medienpädagogischen Praxis viele gute Ansätze und

Projekte im schulischen und auch im außerschulischen Bereich,

allerdings ist die Medienpädagogik in der Breite gesehen

nicht genügend im Bildungssystem und in pädagogischen

Handlungsfeldern verankert. Es fehlt insbesondere

eine verbindliche Verankerung medienpädagogischer Inhalte

in den meisten pädagogischen Studiengängen – von der

frühkindlichen Bildung, der Lehrerbildung bis hin zu Studiengängen

im Bereich der sozialpädagogischen Ausbildung

und der Erwachsenenbildung. Insgesamt trifft wohl, von Ausnahmen

abgesehen, die Diagnose zu, dass Medienpädagogik

zu wenig integriert ist; dies schleppt sich dann in der

Lehrerbildung durch bis in die 2. und 3. Phase – es fehlt ein

medienpädagogisches Fundamentum. In der Forschung gibt

es durchaus Studien zu unterschiedlichen Themen, aber verglichen

mit anderen Disziplinen fehlen Schwerpunkt- und

Sonderforschungsprogramme, die z.B. im Bereich Mediensozialisationsforschung

langfristige und tiefer reichende Studien

im Sinne von Grundlagenforschung ermöglichen. Im

außerschulischen Bereich ist es von der Förderpraxis her gesehen

vielerorts so, dass von den Projektverantwortlichen

laufend neue Anträge geschrieben werden müssen und somit

ein kontinuierliches Arbeiten sehr erschwert wird.

Vor diesem Hintergrund gab es eine gemeinsame Anstrengung

von Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Organisationen

der Medienpädagogik in Deutschland. Die Frage

war vor allem: Was sind die wichtigsten Herausforderungen?

Welche Veränderungen sind besonders dringlich? Es bedurfte

eines längeren Diskussionsprozesses, um sich zu verständigen.

Das Manifest ist keine wissenschaftliche Abhandlung.

Es benennt zentrale Punkte aus Sicht der ErstunterzeichnerInnen

und es stellt auch einen Kompromiss verschiedener

1 http://www.medienpaed.com/zs/content/blogcategory/41/70/

06

Themendienst 03 | 2009

Überlegungen dar. In der weiteren Arbeit mit dem Manifest

empfiehlt es sich, einzelne Punkte noch zu verdeutlichen; da

ist das Engagement und die Mitarbeit aller gefragt, die an

der weiteren gesellschaftlichen Verankerung der Medienpädagogik

interessiert sind. Meines Erachtens ist es schon ein

Erfolg, dass dieses Manifest überhaupt zustan de kam – es ist

das erste Mal in der Geschichte der bundesdeutschen Medienpädagogik,

dass sich zentrale Fachge sellschaften und

Facheinrichtungen auf ein solches Dokument verständigten!

Wie sehen Sie denn die Herausforderungen für die Medienpädagogik

im Zeitalter von Web 2.0?

Die neuen Möglichkeiten, die man unter „soziale Netzwerkbildung“

oder „neue Lernumgebungen“ etc. fasst, haben sicherlich

zu einem enormen Schub in der Artikulation und

Kommunikation im Netz geführt. Interessant ist in diesem

Zusammenhang, dass die Diskussion um digitale Spaltung,

die vor etwa 10 Jahren noch sehr stark Zugangsfragen in den

Mittelpunkt rückte, heute so nicht mehr geführt wird. Bei

den medienpädagogischen Herausforderungen stehen heute

mehr soziokulturelle Unterschiede 1 in der Aneignung und

der Nutzung der Web 2.0-Möglichkeiten im Vordergrund. Befunde

aus verschiedenen Studien verdeutlichen z.B.: Auch

junge Menschen aus so genannten bildungsfernen Schichten

nutzen verstärkt die neuen internetbasierten Anwendungen,

um sich im Netz zu präsentieren; visuelle Darstellungen haben

dabei einen besonderen Stellenwert; eigene Interessen,

Themen und Bedürfnisse werden übers Netz ausgetauscht.

Die (medien)pädagogischen Angebote beziehen sich aktuell

besonders auf die Risiken z. B. im Umgang mit persönlichen

Daten. Das ist sicherlich ein wichtiger Punkt. Insgesamt

sollte im Vordergrund stehen, wie Kinder, Jugendliche und

Erwachsene darin unterstützt werden können, vorhandene

Medienkompetenzen in verschiedenen Bereichen zu vertiefen.

Gerade der aktive, handelnde Umgang mit Medien ist da

bei Kindern und Jugendlichen aus bildungsbenachteiligten

„Abwertende Haltungen gegenüber populärkulturellen Medien

sind in bildungsbürgerlichen Elternhäusern sehr verbreitet.“

Milieus eine große Chance für Artikulation und soziale Kommunikation.

Es sollte auch überlegt werden, wie diese netzbasierten

Artikulationen in Lernprozesse integriert werden

können. Da sehe ich nach wie vor bei vielen Pädagogen ein

mangelndes Verständnis für die Potenziale, die Jugendliche

aus ihrem alltäglichen Umgang mit Medien mitbringen. Gerade

die Anschaulichkeit von (Bewegt)Bildern ist sehr wichtig

für Kinder und Jugendliche, die Schwierigkeiten mit analytischen

und verbalisierenden Lernformen haben.


Neue Medien in der Kita

Selbstverständlich sind reflexive Prozesse wichtig; aber es

gilt, diese stärker als in der Vergangenheit auf unterschiedliche

Ausdrucksformen und Symbolsysteme zu beziehen.

Interessanterweise belegen Untersuchungen, dass oftmals

Lehrkräfte, die von einer Einbindung digitaler und visueller

Medien im Unterricht wenig wissen wollen, diese privat

durchaus nutzen. Mit einer solchen Praxis und Haltung wird

letztendlich ein sehr traditionelles Bild von Schule gepflegt.

Solche Lehrkräfte reproduzieren quasi das Bild von Schule

und Unterricht, das sie selber als SchülerIn kennen lernten.

Die Kollegen Ralf Biermann und Sven Kommer sprechen in

diesem Zusammenhang von „medialen Habitusformen“, die

bei Lehramtsstudierenden zu beobachten sind; die Dispositionen,

die Einstellungen gegenüber Medien, die man im Elternhaus

(und in der Schule) erworben hat, wirken demnach

sehr lange nach. Bewahrpädagogische und abwertende Haltungen

gegenüber populärkulturellen Medien sind gerade in

bildungsbürgerlichen Elternhäusern sehr verbreitet. Das sind

sicherlich auch große Herausforderungen für die Ausbildung

von PädagogInnen, denn es reicht nicht, im Studium nur

Wissen über Medien zu vermitteln; es geht auch darum, bestimmte

Dispositionen, die Studierende haben, zum Thema

zu machen. Ohne eine fundierte und (selbst)kritische Auseinandersetzung

damit wird es den angehenden Lehrkräften

später schwer fallen, einen Unterricht zu gestalten, der die

Medienerfahrungen von Kindern und Jugendlichen aufgreift.

Das ist im Übrigen nicht nur eine Frage, die die Medienthematik

betrifft. Es geht insgesamt darum, inwieweit angehende

Lehrkräfte für neue Lernformen sensibilisiert werden

können, die die Eigenaktivität und die unterschiedlichen

Aneignungsweisen und Symbolmilieus von Kindern und Jugendlichen

respektieren, fördern und erweitern.

Im Augenblick werden in der öffentlichen Diskussion wieder

die Gefahren im Netz, z. B. Kinderpornographie, aber auch

die Suchtpotenziale von Computerspielen betont; könnte

diese Richtung der Diskussion u. U. die Integration der Medienpädagogik

verhindern, wenn Kritiker sagen: Wir möchten

die Medien aus Bildungsprozessen fernhalten?

Da sollte man differenzieren. Nach den schrecklichen Ereignissen

in Winnenden gab es in der Öffentlichkeit viele Reaktionen,

die vor allem im Verbot von bestimmten Computerspielen

einen Lösungsansatz sehen. Es ist sicherlich eine

Aufgabe des restriktiven Kinder- und Jugendmedienschutzes,

Medienangebote immer wieder im Hinblick auf mögliche Gefährdungspotenziale

für die Persönlichkeitsentwicklung von

Kindern und Jugendlichen in verschiedenen Altersbereichen

zu prüfen. Wir haben da in Deutschland ein relativ gutes und

funktionierendes System der „regulierten Selbstregulierung“,

das sicherlich noch optimierbar ist. Allerdings macht sich inzwischen

zunehmend die Einsicht breit, dass es vor allem

mehr Anstrengungen benötigt, um Kinder, Jugendliche und

Eltern in die Lage zu versetzen, kompetent und kritisch mit

Medienangeboten und Medienentwicklungen umzugehen.

Eine demokratische und freie Gesellschaft, die auf den

„mündigen Bürger“ setzt, braucht nicht mehr Verbote, sondern

mehr Ressourcen für Bildung und Selbstbildung mit

und über Medien. Sicherlich gibt es Kräfte wie Manfred Spit-

Themendienst 03 | 2009

07


Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung

„Gefragt werden sollte: Welche Kompetenzen bringen die

Jugendlichen aus ihrem alltäglichen Medienhandeln mit?“

zer, die Computer und Internet für Kinder weitgehend aus

Bildungsprozessen raushalten wollen. Aber Erfahrungen,

z.B. bei der bisherigen Umsetzung des „Orientierungsplans

für Bildung und Erziehung für die baden-württembergischen

Kindergärten“, zeigen, dass dieser nahezu „medienfreie“

Orientierungsplan so nicht durchzuhalten ist. Insgesamt bin

ich – trotz verschiedener Rückschläge – weiterhin zuversichtlich,

dass sich dieser verbessern wird. Der Handlungsdruck

nimmt zu, gerade im Bereich bildungsbenachteiligter Milieus.

Wir müssen als MedienpädagogInnen künftig noch klarer

sagen – und dies ist durchaus selbstkritisch gemeint –,

wie wir z.B. in den verschiedenen Phasen der Lehrerbildung

eine medienpädagogische Grundbildung verankern wollen

und was die Mindeststandards für die Medienbildung von

SchülerInnen in verschiedenen Altersphasen sind. Da gibt es

durchaus Diskussionsbedarf, beispielsweise hinsichtlich der

Frage, was die Kernkompetenzen sind. Hier sollten Präzisierungen

des Manifests, auch für andere Bildungsbereiche, erfolgen.

Wo sehen Sie beim Thema Übergang von Schule in Ausbildung

den Handlungsbedarf?

In dieser Frage hat eine vom BMBF einberufene Expertenkommission,

zu der ich auch gehöre, kürzlich ein Papier zur

Ausbildungs- und Erwerbsfähigkeit vorgelegt. Einigkeit

herrschte in der Gruppe darin, dass zwei Zugänge zur Medienkompetenz

miteinander verknüpft werden müssen:

Der eine Zugang fragt danach, welche grundlegenden Anfor-

08

Themendienst 03 | 2009

derungen sich aus Sicht der Gesellschaft und der Arbeitswelt

an junge Menschen stellen, damit sie den veränderten Arbeitsbedingungen

und dem kulturellen Wandel gerecht werden

können. Der andere Zugang geht von den Erfahrungen

und Bedürfnissen der Jugendlichen selber aus: Welche Medienkompetenzen

bringen sie aus ihrem alltäglichen Medienhandeln

mit? Welche Kompetenzen brauchen sie für die

Entwicklung ihrer individuell geprägten Persönlichkeit, um in

der Gesellschaft Orientierung zu finden und an ihr teilzuhaben?

Dieser zweite Aspekt wurde m. E. bislang in der beruflichen

Bildung zu wenig berücksichtigt. Das hat sich u. a. darin

gezeigt, dass Medienkompetenz dort häufig auf Kurse zur

instrumentellen Bedienung von Medien reduziert wurde.

Wichtig ist es, an vorhandenen Kompetenz und Stärken anzusetzen,

einen experimentell-erprobenden Umgang mit

digitalen Medien und das Verständnis für Zusammenhänge

zwischen virtuellen und stofflich-körperlichen Wirklichkeiten

in Verknüpfung mit medienkritischen Aspekten zu

fördern. Die vier im BMBF-Expertenbericht genannten Aufgaben-

und Themenfelder (Information und Wissen; Kommunikation

und Kooperation; Identitätssuche und Orientierung;

digitale Wirklichkeiten und produktives Handeln) markieren

einen allgemeinen Rahmen, in dem sich konkretere Empfehlungen

und Konzepte für eine zielgruppenspezifische Umsetzung

entwickeln lassen.

Man spricht ja auch von den verschiedenen „Mediengenerationen“

– wie kann der Dialog zwischen den Generationen

stattfinden?

Das ist eine ganz zentrale Frage. Dieter Baacke hat Medienkompetenz

immer in einen größeren Rahmen von kommunikativer

Kompetenz gestellt; diese kommunikative Kompetenz ist

entscheidend für das gesellschaftliche Zusammenleben. Medien

sind gerade in ihrer heutigen Vielfalt für junge Menschen

sehr wichtig für ihre persönliche Entwicklung und Orientierung;

das sollten Pädagogen und Eltern immer mitbedenken.

Lehrkräfte, die auf dem Hintergrund einer oberflächlichen Medienkritik

Computer und Internet aus dem Unterricht fernhalten

wollen, reagieren falsch. Es gibt aber auch Lehrkräfte, die

die „Alltagsmedienkompetenz“ ihrer SchülerInnen – wie es

Ben Bachmair formulierte – in Bildungs- und Lernprozesse

einbeziehen. Diese Lehrkräfte gehen nicht davon aus, dass

sie das Monopol auf Wissen und Erfahrungen qua Amt gepachtet

haben. Heute gibt es nicht wenige SchülerInnen, die

insbesondere im praktischen Umgang mit Medien erheblich

kompetenter als ihre LehrerInnen sind. Hier ist es wichtig,

diese SchülerInnen zu motivieren, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten

aktiv einzubringen. Es gibt dafür auch Modelle wie


das in Baden-Württemberg erfolgreich erprobte und evaluierte

„Schüler-Medienmentoren-Modell“ 2 . Wenn man das Internet

nicht unter Lernaspekten, sondern auch unter Entwicklungsaspekten

betrachtet, lässt sich sagen: Das Internet

ist ein riesiges Reservoir für Jugendliche, um ihre Pubertät

auszuleben, gerade unter dem Aspekt der Ablösung von den

Eltern. Diese Lebensphase war schon immer bei Jugendlichen

mit Ausprobieren und Grenzerfahrungen, mit Probehandeln

in verschiedenen Bereichen verbunden. Eltern brauchen

viel Geschick, Aufmerksamkeit und Einfühlungsvermögen, um

diesen Prozess sensibel zu begleiten. Ihre Präsenz ist insbesondere

dann gefordert, wenn junge Menschen in „kommunikative

Problemlagen“ geraten, wie es Dieter Baacke einmal

ausdrückte, z.B. soziale Isolierung/Rückzug von Gleichaltrigen

bei gleichzeitig extensiver Mediennutzung. Hier müssen

Eltern besonders aufmerksam sein, das Gespräch suchen,

präsent sein und das Gefühl geben: „Ich bin für dich da“. Leider

sind heute viele Eltern überfordert, eine solche Aufmerksamkeit

und emotionale Nähe zu bieten. Das hängt auch mit

den erheblich gestiegenen Anforderungen in der Arbeitswelt

zusammen. In dieser Gesellschaft dreht sich viel zu viel ums

Geld und den Erwerb materieller Güter. Bildung, Kultur, Zeit

für Beziehungspflege und Muße kommen notorisch zu kurz;

wirtschaftliche Effizienz- und Erfolgskriterien dominieren.

Gerade in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise gilt es

inne zu halten und umzudenken. Deshalb kommt auch das

da versuchen wir z.B. seitens der Landesfachschaft Medienpädagogik

(der Pädagogischen Hochschulen) Forderungen

aus dem Manifest in die Diskussion einzubringen und zu

konkretisieren mit dem Ziel, dass Pädagogik-Studierende

künftig eine in den Studien- und Prüfungsordnungen verbindlich

verankerte medienpädagogische Grundbildung erhalten.

Damit sind selbstverständlich viele Diskussionen verknüpft

– mit KollegInnen aus verschiedenen Fächern, mit

KollegInnen aus der 2. und 3. Phase der Lehrerbildung, mit

VertreterInnen von Ministerien, mit medien-, bildungs- und

kulturpolitischen SprecherInnen von politischen Parteien

und Fraktionen. So gesehen ist das Manifest eine Art Orientierungspapier,

um für Medienfragen zu sensibilisieren und

selbstbewusst Anliegen in der bildungspolitischen Öffentlichkeit

zu artikulieren. Auf dem nächsten „Forum Kommunikationskultur“

der GMK in Berlin (November 2009) 3 wird im

Rahmen einer Podiumsdiskussion Gelegenheit zu einer Zwischenbilanz

sein.

Für 2010/11 könnte ich mir durchaus vorstellen, auf einen

bundesweiten medienpädagogischen Kongress hinzuarbeiten,

auf dem Fachkräfte aus verschiedenen Handlungsfeldern

der Medienpädagogik, WissenschaftlerInnen, Verantwortliche

aus dem politischen Raum, VertreterInnen von

Ministerien, Medienzentren, Dachorganisationen im Bereich

der Bildungs- und Kulturarbeit, Jugendorganisationen und

Jugendringen, Elternverbänden, den Sozialpartnern, Sende-

„Jugendliche nutzen das Internet als ein riesiges Reservoir,

um ihre Pubertät auszuleben.“

„Medienpädagogische Manifest“ zur rechten Zeit: Es geht um

mehr Bildung und um die Schaffung nachhaltiger Strukturen

für Medienbildung.

Welche Wirkung erhoffen Sie sich vom „Medienpädagogischen

Manifest“?

Ich sehe es als einen Erfolg, dass sich in diesem Manifest unterschiedliche

Institutionen und Fachgesellschaften gemeinsam

artikuliert haben. Die Resonanz war insbesondere im

Internet sehr erfreulich. Uns erreichen fast täglich neue Unterstützungserklärungen.

Für die nächste Zeit hoffe ich, dass

eine Verknüpfung mit weiteren Initiativen gelingt, z.B. dem

bereits genannten Expertenpapier des BMBF. Das Manifest

formuliert grundlegende Anliegen und hat einen orientierenden

Charakter, gerade für regionale und lokale Initiativen. Es

kommt darauf an, Anliegen des Manifests weiter zu konkretisieren,

z.B. die medienpädagogische Grundbildung von PädagogInnen

betreffend. In Baden-Württemberg geht es aktuell

um eine Neustrukturierung der gesamten Lehrerbildung;

2 www.mediaculture-online.de/Medienmentoren-Programm.1113.0.html

3 www.gmk-net.de

anstalten und Medienunternehmen zusammenkommen, um

gemeinsam die Situation zu erörtern und über Maßnahmen

zu einer strukturellen Verbesserung von Medienbildung in

der Gesellschaft zu beraten. Portale und Projekte reichen

nicht aus. Wir brauchen deutliche Fortschritte in der Breite,

in den Regionen, vor Ort, in den Kindergärten, in Schulen, in

der Eltern- und Familienbildung, in der Fort- und Weiterbildung.

Ich habe die Hoffnung, dass ein solcher Kongress eine

Neuorientierung signalisieren könnte.

Die Fragen stellte Dirk Frank.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Links

• Das „Medienpädagogische Manifest“ (mit Unterstützungserklärung):

www.schulen-ans-netz.de unter: Themen

• Expertenpapier des BMBF „Kompetenzen in einer digital

geprägten Kultur“: www.schulen-ans-netz.de/meldungen/

aktuelles/bmbfexpertenpapiermedienbildung.php

Themendienst 03 | 2009 09


Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung

Dieter Spanhel

Prof. Dr. Dieter Spanhel ist em. Prof. für Allgemeine Pädagogik

an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität

Erlangen-Nürnberg; seine Hauptarbeitsgebiete liegen in

der Medienpädagogik, der Spielforschung und der Pädagogischen

Handlungstheorie.

Dies ist ein wortgewaltiges und kämpferisches Buch, aber

hinter dem reißerischen Titel verbergen sich ernst zu nehmende

Sorgen und durchaus berechtigte Anliegen. Es handelt

sich um die engagierte Auseinandersetzung einer

Journalistin mit den ihrer Ansicht nach völlig überzogenen

Versprechungen über die Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten,

die die neuen Medien für die Menschen angeblich

eröffnen, und den tatsächlichen negativen sozialen und kulturellen

Folgen und Nebenwirkungen, wie sie bisher mit

der Aus breitung des Internet und der multifunktionalen Medien

einher gehen.

Gegen Heilsversprechungen der „Digitalisten“

Im Gegensatz zu den provokativen Publikationen von Christian

Pfeiffer oder Manfred Spitzer polemisiert diese Schrift

nicht einseitig gegen die problematische Mediennutzung und

ihre schädlichen Auswirkungen bei Kindern und Jugendlichen,

sondern richtet sich viel grundsätzlicher gegen soziale,

kulturelle und politische Folgen der neuesten Medienentwicklungen.

Sie zielt auf die Verheißungen der Propheten der

Netzwelt, die das Internet für ihre ideologischen Zwecke instrumentalisieren.

Das größte Problem sieht die Verfasserin

darin, dass die von ihr so genannten „Digitalisten“ – also

Menschen, die auf jede Kritik am Netz empfindlich reagieren

und die als Personengruppe schwer zu umschreiben sind –

das Internet mit Fortschritt an sich gleich setzen und eine

„himmlische Stadt“ versprechen, in der durch die neue Technik

die „brennende Sehnsucht nach einem „neuen Menschen“

(S.7) befriedigt werden könne. Nach Auffassung der

Verfasserin gibt es nichts Gefährlicheres als solche ideologischen

Heilsversprechungen. Deshalb möchte sie mit ihrem

10

Themendienst 03 | 2009

Medienkritik

allein reicht nicht!

Susanne Gaschkes Buch „Klick – Strate gien

gegen die digitale Verdummung“

Büchlein die Leser dazu bringen, dass sie sich „den neuen

Medien mit einem skeptischen Realismus nähern: Sie können

viel, und Menschen können damit viel anrichten, zum Guten

und zum Schlechten.“ (S. 16)

Damit betont sie zwar die grundsätzliche Ambivalenz der

neuen Medien, aber ihre Intention richtet sich ausschließlich

auf die Beurteilung dessen, was die Menschen mit den neuen

Medien anrichten. Dafür braucht sie klare Wertmaßstäbe, die

in Form von Fragen formuliert, aber nicht näher begründet

werden: „Wie gut tut das Netz unserer Gesellschaft? … Bringt

es tatsächlich mehr Nähe und Authentizität, mehr Verständnis

und Engagement in die Politik? Verändert es die „alte“

Medienlandschaft zum Guten oder zum Schlechten? Macht es

den Einzelnen gebildeter …? Wie ist das Verhältnis der Netzkultur

zu dem, was man früher als „bildungsbürgerlichen Kanon“

bezeichnet hat? Wie verändert das Netz die Bedeutung

des Begriffs „Freundschaft“? Wie sieht es in diesem … Medium

mit Kontrolle aus? Schließlich: Welchen Menschentyp

braucht das Netz?“ (S. 24)

Die Schärfe der Auseinandersetzung und die grundlegend

negative Einstellung der Verfasserin zu den neuen Medien

ergibt sich aus drei persönlichen Erfahrungsbereichen, aus

denen auch der Antrieb für diese Streitschrift resultiert: Ihre

Arbeit als Journalistin für ein langsames Medium (eine Tageszeitung),

ihr jahrelanges Eintreten für Leseförderung, verbunden

mit einer persönlichen Hochschätzung der Buchkultur

und ihr politisches Engagement für die Idee einer repräsentativen

Demokratie. Das sind auch die zentralen Themenfelder,

in denen sie die euphorischen Versprechungen der Netzapologeten

zu widerlegen sucht. Dies geschieht auf überzeugende

Weise an Hand treffender Beispiele und Verweise auf

einschlägige empirische Forschungen. Dabei trägt sie eine

Vielzahl an grundlegenden Erkenntnissen und aktuellen Informationen

zusammen, die den Leserinnen sorgfältig prüfende

Haltung gegenüber der Netzkultur ermöglichen, wie

der folgende Blick auf die Inhalte der einzelnen Kapitel zeigt.


Ohne Anstrengung teilhaben: die „Sofortismuskultur“

Das erste Kapitel beleuchtet die angeblichen Segnungen des

Internet, so wie sie die Befürworter in ihrem schier grenzenlosen

Optimismus darstellen, und konfrontiert sie mit den Problemen,

die verschwiegen oder heruntergespielt werden: z.B.

die Effekte der Rationalisierung auf dem Arbeitsmarkt, die

immer umfassenderen Kontrollmöglichkeiten der Menschen

und die Auswirkungen auf das traditionelle Verständnis von

Bildung und Kultur. Nach diesem gleichen Schema werden in

allen Abschnitten des Buches den Verheißungen des Internet

seine bedenklichen Folgen gegenüber gestellt. So geht es

im zweiten Kapitel um die grenzenlosen Informations- und

Erfahrungsmöglichkeiten im Netz und dem Versprechen einer

neuen Wissensgesellschaft, an der jeder Mensch ohne

Anstrengungen teilhaben könne. Hier wird als ein zentrales

Anliegen von Frau Gaschke die Erhaltung der Lesekultur

sichtbar, denn ohne Lesen ist nach ihrer Ansicht keine echte

Bildung möglich. Stattdessen sei als Folge des Lesens von

spezifisch strukturierten Bildschirmtexten eine Aushöhlung

Lesen und Surfen – ein Gegensatz?

des traditionellen Bildungsverständnisses mit der Tendenz

hin zu einer „kapitalistisch-elektronischen Kultur“, eine

Wertverschiebung hin zu einer „Anti-Konzentrationskultur“

zu beobachten. Durch das Lesen im Netz würden die Menschen

gehindert, sich wie beim Lesen von Buchtexten auch

die fundamentalen Bildungsinhalte anzueignen, über die in

der Netzkultur nicht diskutiert wird.

Die fatalen Auswirkungen des „Lesezapping am Bildschirm“

(S.79ff.) sieht die Verfasserin so: „Was sie (die Digitalisten)

bekämpfen, ist sozusagen die geistige Haltung, für die ein

gefülltes Bücherregal steht: die Bereitschaft, Mühe auf sich

zu nehmen, um Freude zu erlangen; eine Aufschubs- statt einer

Sofortismuskultur.“ (S. 86) In diesem Zusammenhang

fragt sie, was Eltern dazu veranlassen könnte, ihren Kindern

nicht das zu schenken, was für sie gut wäre: Bücher, und sie

mutmaßt: „Aber muss man nicht, da die meisten Eltern

schließlich das Beste für ihre Kinder wollen, doch noch eine

andere Kraft am Werk vermuten: die Ideologiemaschine der

digitalgestützten Wissensgesellschaft? Ist nicht alles, was

nach Bildschirm aussieht, im öffentlichen Bewusstsein inzwischen

gekoppelt mit der Assoziation: Fortschritt? So dass

selbst der dauerdaddelnde Neunjährige in seinem Kinderzimmer

gewissermaßen etwas für seine Zukunft zu tun scheint?“

(S. 78) Die Geringschätzung der Lesekultur gehe heute sogar

so weit, dass eine Pädagogin die wunderbare Welt der Bilderbücher

als „eine Art Sub- oder Vorbereitungs-Lernsoftware“

tarnt, um nicht als „altmodische Leseförderungstante“ entlarvt

zu werden. „Und dann kommt die in der Tat entweder

zynische oder genial-subversive Pointe: Gemeinsames Betrachten

von Bilderbüchern ist nämlich gar nicht, wie viele

Leseforscher immer dachten, dazu da, die Kinder in die Welt

der Sprache und der Geschichten hineinzuführen, es ist in

Wahrheit eine Vorbereitung auf die optimale Nutzung der

neuen Medien“ (S. 91), um aktive und mündige Mediennutzer

hervorzubringen.

Vom Sprechen zum Schauen?

An die Sorge um den Untergang der Lesekultur schließt sich

nahtlos die Kritik an den vielfach propagierten neuen Lernformen

mit den neuen Medien an. Hier wird moniert, dass es

sich um die Einübung in formale Fähigkeiten handelt, ohne

die Frage nach der Aneignung gewichtiger Bildungsinhalte zu

stellen. Es gehe nicht um Bildung im ursprünglichen Sinn,

sondern um „Wissen für alle“ (S. 95 ff.) aus dem Computer.

Globale Unternehmen würden Sorge tragen, dass dafür in allen

Bildungseinrichtungen die erforderliche Ausstattung mit

Hard- und Software bereitgestellt wird.

Themendienst 03 | 2009

11


Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung

Im Weiteren werden die Kommunikationschancen im Netz

und die Möglichkeiten zur Bildung virtueller sozialer Netzwerke

in Frage gestellt. Der „Traum von der neuen Gemeinschaft“

(S. 118), in der ohne Hierarchien und Institutionen

auf der Grundlage von kollaborativer Informationsgewinnung

Exzellenz entstehe, wird als Utopie entlarvt. Auch die These

von den positiven Möglichkeiten und Wirkungen einer selbstbestimmten

Selbstdarstellung im Netz auf die Identitätsentwicklung

und den sozialen Zusammenhalt, unterzieht die

Verfasserin einer skeptischen Betrachtung. Schließlich verwundert

es nicht, dass Frau Gaschke auf Grund ihrer beruflichen

Tätigkeit als Journalistin die problematischen Folgen

des Online-Journalismus auf die Berichterstattung und die

Politik besonders herausstellt. Sie sieht in den Online-Medien,

die durch Schnelligkeit, Jederzeitigkeit und Mitmachkultur

gekennzeichnet sind, langfristig eine Katastrophe für

die Demokratie. An besonders frappierenden Fällen beleuchtet

sie die Konsequenzen einer neuen Online-Politik, wie

sie nicht nur in den USA, sondern auch bei uns im politischen

Alltag längst praktiziert wird.

Abschließend beschreibt die Verfasserin das Internet als das

Medium der „neuen Kind-Erwachsenen“. Sie sieht in der Tendenz

weg von der Sprachkultur hin zur Bildkultur den Aus löser

und das Ergebnis einer zunehmenden Infantilisierung,

wie der Boom der Unterhaltungs- und Spieleelektronik zeige.

Weil unsere Demokratie, Wissenschaft, Philosophie und

Literatur auf dem Fundament der Sprache aufgebaut seien,

könne es ihrer Meinung nach nicht völlig gleichgültig sein,

„ob wir uns das Sprechen, das Widersprechen, das Analysieren

und Widerlegen eines Arguments, das Einfühlungsvermögen

für den Standpunkt des Gegners, Sprachwitz, Kreativität

und Ironie abgewöhnen zugunsten des Schauens.“ (S. 183f.)

Polemische Zuspitzungen

Die Zitate verdeutlichen die problematische Argumentationsweise

von Frau Gaschke. Sie spitzt die Gegensätze zwischen

den Versprechungen der „Netzapologeten“ und den eigenen

Kritikpunkten mit Hilfe kreativer Wortschöpfungen und teilweise

vernichtender Formulierungen polemisch zu. Auf diese

Weise entstehen eine durchgehend negative Grundstimmung

und eine total ablehnende Haltung gegenüber den neuen Medien,

die im Gegensatz zu den rationalen Argumenten stehen.

Die eingangs angesprochene Ambivalenz der Medien gerät

dabei aus dem Blick. Für einen unvoreingenommenen Leser

wird so eine ausgewogene Beurteilung der positiven und negativen

Seiten der neuen Medien verhindert. Der Hinweis, es

gäbe genügend Befürworter des Netzes, rechtfertigt nicht

diese völlig einseitige und ohne sachliche Gegenposition absolut

wirkende Verurteilung der neuen Medien. Diese Darstellung

ist überhaupt nur möglich, weil der Argumentationszusammenhang

zwei grundlegende wissenschaftliche

Erkenntnisse außer Acht lässt. Zum einen werden die histo-

12

Themendienst 03 | 2009

rische Entwicklung der Medien und ihre Bedeutung für die

kulturelle Evolution nicht gesehen. In der Geschichte der

Menschheit stehen die gesellschaftlichen Systeme (Wissenschaft,

Kultur, Technik, Wirtschaft, Soziales, Politik) und das

Mediensystem als Basis der gesellschaftlichen Kommunikation

und Kultur in ständiger Wechselwirkung miteinander

und treiben sich in ihrer Entwicklung gegenseitig voran. Die

neuen Medien sind Ergebnis interner Regelungsprozesse im

Mediensystem, die von außen, durch andere gesellschaftliche

Systeme, nicht direkt beeinflussbar oder steuerbar sind.

Allerdings ist es ein berechtigtes Anliegen, die Instrumentalisierung

der neuen Medien für unterschiedliche Interessen

anderer gesellschaftlicher Systeme aufzudecken. Darin liegt

das Verdienst des Buches.

Zum anderen besteht ein grundlegender Fehler in der isolierten

Untersuchung der neuen Medien und ihrer Auswirkungen.

Medien sind Kommunikationsmedien, die Botschaften nicht

nur weitergeben, sondern deren Inhalte auf je medienspezifische

Weise konstruieren. Medienpädagogische Forschung

hat immer wieder gezeigt, dass die Bedeutung dieser Inhalte

für den Nutzer von den jeweiligen Kontexten der Nutzung abhängt.

Ob das Internet bzw. die neuen Medien positive oder

negative Wirkungen entfalten, wird daher vom Nutzungskontext

bestimmt. Dabei kommen eine Vielfalt von Kontexten ins

Spiel: individuelle, soziale, mediale, institutionelle, wirtschaftliche,

religiöse, ideologische. Erst ihre sorgfältige Analyse

würde eine angemessene Beurteilung des Internet ermöglichen.

Die Ausblendung der historischen Entwicklung der neuen

Medien und der aktuellen lebensweltlichen Kontexte führen

zu einer falschen Zielstellung des Buches. Wir brauchen

keine „Strategien gegen die digitale Verdummung“, sondern

Hilfen und Handlungsanleitungen dafür, wie die Menschen

die positiven Chancen und Möglichkeiten der neuen Medien

optimal nutzen und ihre Gefährdungen und Fehlentwicklungen

erkennen und vermeiden können. Dahin zielen seit vielen

Jahren die beharrlichen Bemühungen der Medienpädagogik

in den Bildungsinstitutionen, wenn auch bisher leider nur

mit mäßigem Erfolg. 1 Die Entlarvung ideologischer Versprechungen

der „Digitalisten“ und die Sensibilisierung für bedrohliche

individuelle und soziale Folgen der neuesten Medienentwicklungen

sind dafür eine notwendige, jedoch keine

hinreichende Voraussetzung. Mit solchen Publikationen aber,

wie der von Frau Gaschke, werden nur Ängste geschürt und

Konfrontationen verstärkt, die die Auseinandersetzung über

eine vernünftige Nutzung der neuen Medien erschweren.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Susanne Gaschke:

Klick – Strategien gegen die digitale Verdummung.

Freiburg/Br.: Herder 2009

1 Vgl. D. Spanhel: Zur Entwicklung der Medienpädagogik in der Schule seit 1995. In: merz H.2/2005, S. 70 ff.; D. Spanhel: Medienerziehung.

Handbuch der Medienpädagogik Bd. 3, Stuttgart 2006.


Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung

Dirk Frank

Mit Medien lernen,

mit Medien arbeiten

Erzieherinnen und Erzieher werden im Rahmen

der bundesweiten „Medienqualifizierung“ mit

Computer und Internet vertraut gemacht.

Angst vor der Technik(sprache) nehmen

„Das sind noch Böhmische Dörfer für mich!“ Eine Teilnehmerin

schaut gerade etwas verzweifelt in den Prospekt eines

Elektronikgeschäftes, in dem Laptops angeboten werden.

Denn heute steht in der Fortbildung zuerst einmal Technik auf

dem Programm. Die beiden Seminarleiter möchten den Teilnehmenden

vermitteln, dass die oftmals unzugänglich erscheinende

Welt der Hard- und Software durchaus zu verstehen

ist. Wie informiere ich mich vor dem Kauf eines Computers,

wie mache ich mich schlau, um mich durch den Dschungel

an Angeboten, technischen Daten und Peripheriegeräten

zu kämpfen? Martha Cremer-Bach und Jochen Wilke, die für

Blickwechsel e. V. die Fortbildung durchführen, arbeiten mit

alltagsnahen Materialien, um Ängste bei den Teilnehmern abzubauen.

Oftmals liegen die Hürden für pädagogische Fachkräfte

auch in der technischen Fachsprache begründet, die

von Experten und jugendlichen Nutzern, aber nur selten von

Laien verstanden wird. Wie unterscheiden sich die Laptops,

wie kann man angesichts der ‚Hieroglyphen’ sich für oder gegen

ein bestimmtes Modell entscheiden? Fachbegriffe wie

„WLAN“, „Schnittstelle“ oder „Grafikkarte“ werden identifiziert

und an die Tafel geschrieben. Behutsam werden dann

die einzelnen Bestandteile des Computers, der Software und

der Peripheriegeräte durchgegangen. Wie lassen sich die einzelnen

Elemente eines Computers erklären, ohne sich in Details

zu verlieren? Cremer-Bach erklärt die verschiedenen

Martha Cremer-Bach (r.)

und eine Teilnehmerin

Der Aufbruch ins digitale Zeitalter: Fünf Tage lang beschäftigen sich Erzieherinnen und Erzieher

mit dem Computer, entdecken die Potenziale des Internets und erkunden die Einsatzmöglichkeiten

für die Kita. Und sie legen damit auch den Grundstein dafür, sich dauerhaft fortzubilden.

So weit das Konzept, doch wie sieht es nun in der Fortbildungspraxis aus, welche Erfahrungen

machen Erzieher/innen, die häufig wenig oder gar keine Erfahrung mit digitalen Medien haben,

mit dem Thema Medienbildung? Mit welchen konkreten Herausforderungen sehen sich die Fortbildner

konfrontiert? Wir haben einmal einen Kurs der „Medienqualifizierung“ in Gießen besucht,

um uns einen Eindruck zu verschaffen.

Funktionsbereiche des Computers mit Vergleichen zur Welt

des Analogen – z. B. mit dem ‚realen’ Büro, dessen „Ordner“,

„Schreibtischoberfläche“ oder „Papierkorb“ sich ja ohnehin

in der Computersprache wiederfindet. Diese Anschaulichkeit

kommt bei den Teilnehmern gut an. Beim Thema Grafikkarte

wird gleich nach den Anforderungen an den Rechner in der

Kita gefragt: „Bei uns spielen die Kinder gerne, benötigt man

dafür eine bessere Grafikkarte?“, erkundigt sich eine Teilnehmerin.

„Lernsoftware für Kinder ist in der Hinsicht meist anspruchslos,

dafür reicht in der Regel eine einfache Ausstattung“,

erklärt Jochen Wilke.

Unterschiedliche Lernertypen

Was für einige in der Gruppe schon Routine ist und keiner

Vertiefung bedarf, ist dagegen für andere Neuland. Gerade

diejenigen, die über nur wenig Erfahrung mit digitalen Medien

verfügen, müssen zuerst einmal ihre Berührungsängste

abbauen. Der Umgang mit Medien ist nicht nur, aber häufig

eine Generationsfrage. Während Jugendliche heutzutage wie

selbstverständlich mit den Konsumangeboten umgehen –

man spricht auch von so genannten „Prosumern“ – tun sich

Erwachsene manchmal schwer, mit dem rasanten technologischen

Wandel Schritt zu halten. „Bislang habe ich mir meistens

von meinen Kindern oder meinem Mann helfen lassen“,

berichtet eine Teilnehmerin. Nun ist ihr Interesse geweckt,

sie möchte mit dem Computer selbstständiger umgehen.

Themendienst 03 | 2009

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Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung

Denn auch viele Kinder in ihrer Kita wissen manchmal schon

ganz gut Bescheid, das spornt zusätzlich an. Einige der Teilnehmer

erstellen in der Fortbildung zum ersten Mal eine

PowerPoint-Folie. Andere dagegen wie Jan-Moritz arbeiten

bereits souverän mit verschiedenen Programmen und Anwendungen.

„Ich verbringe aber nicht mein ‚Second Life’ im

Netz“, sagt er etwas spöttisch.

Professionell(er) Medien erstellen

Befragt man Teilnehmer nach ihren Erfahrungen mit Fortbildungen,

die sie früher einmal besucht haben, so hört man

häufig die Kritik: Man konnte die Kursinhalte nicht in den

konkreten Arbeitsalltag integrieren. Der Eindruck der Praxisferne

kann sich natürlich besonders dann einstellen, wenn

die Kursteilnehmer sich zum ersten Mal mit bestimmten Themen

und Methoden beschäftigen. Dieser Gefahr begegnet

man in der „Medienqualifizierung“: „Wir reagieren auf spontane

Wünsche der Teilnehmer; dadurch fühlen sie sich in

ihrer beruflichen Praxis auch ernst genommen“, so Martha

Cremer-Bach. Da eine Teilnehmerin gerne wissen möchte, wie

man an Kindermusik im Internet kommt, wird ein kurzer Exkurs

dazu eingeschoben. Jochen Wilke hat eine Folie dazu

vorbereitet, eine Teilnehmerin verwechselt diese mit einer Internetseite.

Aber kein Problem, der Irrtum ist schnell aufgeklärt,

hier muss sich niemand für sein Nichtwissen schämen.

Der Titel „Ohne Kinder geht’s nicht“ wird im Internet gesucht,

und in diesem Fall bleibt die Netzsuche sogar einmal ohne

konkretes Ergebnis; auch damit müssen die Teilnehmer umgehen

können, für die Internetrecherche muss man eben

manchmal Geduld mitbringen. Und nicht alles, was verfügbar

ist, kann auch verwendet werden: Der Unterschied zwischen

14

Themendienst 03 | 2009

Medienqualifizierung für Erzieherinnen und Erzieher

Bundesweit werden im Rahmen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung

(BMBF) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) geförderten Initiative 10.000 Erzieherinnen

und Erzieher geschult. Koordiniert wird die Maßnahme vom Verein Schulen ans

Netz, der im Bereich frühkindliche Bildung bereits mit dem Projekt BIBER – Netzwerk

frühkindliche Bildung Qualifizierungsmodule entwickelt hat. Grundsätzlich sollen in der

Medienqualifizierung vier verschiedene Kompetenzbereiche abgedeckt werden: Computernutzung;

Internetnutzung; Medienpädagogik/ Medienkompetenz sowie netzbasierte

Weiterbildung. Fünf Tage pro Teilnehmer/-in sind vorgesehen, wobei die Teilnehmen -

den in Absprache mit dem Schulungsanbieter wählen können, ob die Tage hintereinander

oder stückweise genommen werden. Pro Kurs nehmen maximal 16 Personen teil,

jedem/jeder Teilnehmenden steht ein eigener Rechner zur Verfügung.

Mehr Informationen zur Medienqualifizierung unter http://www.schulen-ans-netz.de

kommerziellen und frei verwendbaren Musiktiteln muss immer

beachtet werden. Urheberrechtliche Aspekte sind in Kita

und Schule Bestandteil der täglichen Praxis. „Wann macht

man sich strafbar, ist das Anschauen eines Videos auf YouTube

auch schon ein Verstoß?“, erkundigt sich eine Teilnehmerin

nach der juristischen Seite der Internetnutzung. Eine Frage

zieht die nächste nach sich, und man spürt förmlich, dass

auch diejenigen, die nur über wenige Erfahrungen auf diesem

Gebiet verfügen, die Relevanz für ihre Arbeit erkennen. „Die

Unterschiede in Sachen Medienkompetenz sind innerhalb

der Gruppe nicht gering“, betonen Cremer-Bach und Wilke

übereinstimmend. Aber unter den Teilnehmenden geht man

locker mit den differierenden Kenntnissen und Erfahrungen

um, tauscht sich aus und ist dankbar für Tipps. „Da sind Erzieher/innen

nicht ganz so schwierig wie Lehrkräfte, die sich

oftmals ihre Defizite nicht so leicht eingestehen wollen“, erzählt

Cremer-Bach, die schon lange Fortbildungen für Lehrkräfte

durchführt, etwas augenzwinkernd.

Praxisnähe

In der Welt der frühkindlichen Bildung spielen visuelle und

auditive Elemente bekanntlich eine große Rolle, können Bilder

und Töne immer auch als ‚Anregungsmilieu’ dienen. Diesen

Aspekt im Rahmen von themen- und projektorientierten

Vorhaben aufzugreifen, lässt sich mit digitalen Medien leicht

umsetzen. Die Erzieher/innen können neben einfachen Malprogrammen

spezielle Software für Kinder einsetzen, um den

Kindern Anstöße zur Entwicklung ihrer Sprach- und Kommunikationsfähigkeit

zu geben. Im Rahmen eines Stationenlernens

darf jeder im Kurs mal ‚daddeln’, hinterher werden die

Vorteile, aber auch die Bedenken ergebnisoffen diskutiert.

Eine weitere Einsatzmöglichkeit: Mediengestützt die Entwick-


lungs- und Lernprozesse zu dokumentieren, indem man die

Schriftstücke, Fotos, Videos oder (auch am PC entstandenen)

Zeichnungen der Kinder sichtet und archiviert. Aber auch jenseits

pädagogischer Einsatzszenarien kann der Einsatz digitaler

Medien zur Professionalisierung des Berufs beitragen,

z. B. um Aktivitäten in der Kita zu dokumentieren und/oder

zu veröffentlichen. Nicht alle Erzieher/innen sind mit der digitalen

Bildverarbeitung vertraut, zudem das Fotografieren

nur ein Element der digitalen Bearbeitungskette ist. Wie bekommt

man die Bilder von der digitalen Kamera auf den

Rechner? Welche Programme erleichtern das Verwalten und

Bearbeiten von Bildern? Und wie kann man aus Bildern kreative

und humorvolle Collagen erstellen? Was man auf Grundlage

der in der Fortbildung erlernten Fähigkeiten machen

kann, demonstriert eine Teilnehmerin: Anja zeigt ihren Kollegen

einen Einladungsflyer, den sie kürzlich für die Eltern ihrer

Kita selbstständig erstellt hat. „Drucken lassen habe ich den

über einen Internetanbieter, das war eigentlich ganz einfach.“

„Das Lob vonseiten der Eltern ist für die Erzieher/innen

ganz wichtig; gerade in ihrem Beruf kommt diese Wertschätzung

oftmals zu kurz“, erläutert Martha Cremer-Bach,

und ergänzt: „Die Arbeitsbelastung in den Kitas ist heutzutage

hoch, die Bezahlung nicht gut.“ Gerade vor diesem Hintergrund

hält sie das Engagement der Teilnehmer, von denen die

meisten schon über 40 sind, für bemerkenswert.

(Medien)Projekte realisieren

„Zu fertigen Internetnutzern können wir die Teilnehmenden

im Rahmen einer 5-tägigen Weiterbildung natürlich nicht machen“,

betont Jochen Wilke. Aber der Praxisbezug, so die Einschätzung

des Medienpädagogen, sorgt für eine Nachhaltig-

keit des Erlernten. Und nicht zuletzt die Entwicklung von eigenen

Projektideen: Drei Wochen haben die Teilnehmenden Zeit

gehabt, um eigene Projektideen in den Kitas durchzuführen.

Dass die Kinder ihre eigenen Erfahrungen mit den digitalen

Medien machen können, stand dabei im Fokus. Doreen von

der Kita Ev. Paulusgemeinde Gießen hat mit ihrer Gruppe einen

Ausflug in den Wald gemacht; auf der Grundlage alltäglicher

Motive wurde ein Märchen mit Feen und Kobolden gesponnen.

Daraus ist eine Fotogeschichte mit dem Titel „Der

verlorene Zauberstab“ entstanden. Naturerfahrung, kreatives

Erfinden und digitale Umsetzung gehen Hand in Hand. Souverän

stellt Doreen ihre PowerPoint-Präsentation an der interaktiven

Tafel vor und wird dafür mit Applaus belohnt.

Evelin von der Kita Kinder der Welt in Gießen hat die Möglichkeiten

der digitalen Fotografie anders genutzt: Die Kinder

ihrer Gruppe haben versucht, Alltagsgegenstände aus ungewöhnlichen

Perspektiven aufzunehmen. Herausgekommen

sind dabei Bilderrätsel, die zum Mitmachen einladen. Was dabei

entsteht, wenn Kinder ihren Erzieher knipsen, hat Jan

Moritz von der Ev. Kita Herborn einmal ausprobiert. In seiner

Präsentation sieht man ihn aus ganz unterschiedlichen Perspektiven

fotografiert; dabei haben die kleinen Fotoreporter

zugleich auch Mikro- und Makro-Perspektiven kennen gelernt.

Mit viel Freude an der Gestaltung, aber auch mit entsprechenden

Vorkenntnissen hat Jan-Moritz die Präsentation

sogar mit seiner Lieblingsmusik unterlegt.

Themendienst 03 | 2009 15


Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung

Doreen stellt am Whiteboard ihr Projekt vor.

Grenzen und Gefahren der digitalen Medien erkennen

Wer sich in der Freizeit häufig mit digitalen Medien beschäftigt,

der kann auch im beruflichen Kontext davon profitieren.

Befragt man die Teilnehmer der „Medienqualifizierung“ nach

ihren Erfahrungen, dann fallen Stichworte wie „Online-Banking“,

„Mailen“ oder „digitale Fotografie“. Doch Medienbildung

erschöpft sich nicht in der bloßen Handhabung von

Computer und Internet: „Im Privaten setzen sich die Wenigsten

mit medienpädagogischen Fragen auseinander. Aber nicht

nur das wie, sondern auch das warum ist wichtig“, betont Jochen

Wilke. Aspekte der Medienerziehung und des Jugendmedienschutzes

sind daher integraler Bestandteil der Weiterbildung.

So erfahren die Teilnehmer im Rahmen eines Internet-Parcours

einiges über jugendgefährdende Webseiten,

auch, wie man sich in einer Kita davor schützen kann. Konflikte

sind, so der Tenor der „Medienqualifizierung“, niemals

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Themendienst 03 | 2009

auszuschließen; Erzieher/innen müssen bereit sein, eine gewisse

Grundspannung auszuhalten: nämlich zwischen dem

von Erwachsenen manchmal als zu selbstständig empfundenen

Umgang der Kinder mit medialen Angeboten und dem pädagogisch

geleitetem Erziehungshandeln. Medienbildung ist

ein Thema, an dem immer auch viele Erziehungs- und Sozialisationsinstanzen

partizipieren. „Auch die Eltern müssen für

das Thema sensibilisiert und nach Möglichkeit im Rahmen

von Informationsveranstaltungen unterstützt werden“, unterstreicht

Jochen Wilke.

Vernetzen und (Sich-)Weiterbilden

Am Ende des fünften Fortbildungstages erhalten die Teilnehmer

dann ihr Zertifikat. Die Mühe, so die einhellige Meinung,

hat sich gelohnt: Mit vielen Ideen für die Arbeit mit digitalen

Medien gehen die Erzieher/innen zurück in ihre Kitas. Und

den Kontakt untereinander wollen sie künftig pflegen, auch

dafür wurde ihnen im Seminar ein Werkzeug an die Hand gegeben:

Über die Internetseite www.bibernetz.de können sie

sich künftig beruflich austauschen, Tipps für Projektideen

einstellen und einfach ‚auf dem Laufenden’ bleiben, was sich

in ihrem Fach so tut. Die verschiedenen Bereiche der Lernund

Arbeitsumgebung sind dafür verständlich und benutzerfreundlich

angelegt, Praxisideen auch für die Arbeit mit ‚alten’

Medien werden laufend aktualisiert. Gerhard Seiler, der

bei Schulen ans Netz das Projekt BIBER leitet und die Curricula

der bundesweiten „Medienqualifizierung“ mit entwickelt

hat, betont den doppelten Aspekt der Weiterbildungen: „Die

Erzieher/innen sollen zum einen Computer und Internet für

ihre alltägliche Arbeit verwenden, andererseits aber auch

zum Zwecke der eigenen Weiterbildung nutzen können.“ Sicherlich

werden nicht alle Teilnehmer nach der Weiterbildung

regelmäßig auf bibernetz.de unterwegs sein, aber die Voraussetzung

für eine mediengestützte Arbeit in der Kita haben

sich alle aktiv erarbeitet: Angst vor dem digitalen Zeitalter

muss nun sicherlich niemand mehr haben.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Fotos:

Klaus-Dieter Klingberg, Schulen ans Netz e. V.


Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung

André Diesel

Auf den Spuren

Galileis wandeln:

Jupiter und seine

Monde

Vor etwa 400 Jahren machte die Entdeckung des Himmels mithilfe der ersten Fernrohre einen

historischen Quantensprung: Der italienische Astronom und Physiker Galileo Galilei (1564-

1642) richtete 1609 das gerade in Holland erfundene Gerät auf den Nachthimmel und entdeckte

Gebirge auf dem Mond, beobachtete die Phasen der Venus und erkannte, dass das Band der

Milchstraße aus zahlreichen Sternen besteht.

Großes Aufsehen erregte insbesondere Galileis Entdeckung

eines Umlaufzentrums über unseren Köpfen: Jupiter, der

von vier Monden umkreist wird. Der Astronom sah, was

nicht sein durfte, denn nach der damaligen Lehrmeinung

der Kirche stand die Erde doch im Zentrum von Allem. Der

Beginn der Himmelserkundung mit dem Fernrohr ist ein

so bedeutsames Ereignis in der Wissenschafts- und Kulturgeschichte

der Menschheit, dass die Vereinten Nationen

das Jahr 2009 zum Internationalen Jahr der Astronomie

(IYA2009) ausriefen. Darin sollen möglichst viele Menschen

an Ferngläser und Teleskope gebracht werden, um ihnen

die Sinne für die Faszination und die Vielfalt der Himmelsobjekte

zu öffnen. Schülerinnen und Schüler sind dabei

eine wichtige Zielgruppe, und so ist das vierte Quartal des

IYA2009 in Deutschland auch dem Thema „Astronomie und

Schule“ gewidmet.

Mit einfachen Hilfsmitteln die Monde beobachten

Die Beobachtung von Jupiter und den Galileischen Monden

bietet die ideale Gelegenheit, den Unterricht mit der Astronomie

zu verlinken. Im September 2009 erscheint Jupiter

nach Einbruch der Dunkelheit in südöstlicher Richtung als

das mit Abstand hellste Objekt. Um die Galileischen Monde

mit eigenen Augen beobachten zu können, benötigt man lediglich

ein einfaches Fernglas (zehnfache Vergrößerung).

Gute Spektive, wie Sie von Hobby-Ornithologen verwendet

werden (40- bis 60-fache Vergrößerung), lassen bereits Wolkenbänder

der Jupiteratmosphäre erkennen. Beeindruckender

ist natürlich der Blick durch die Teleskope der

Volkssternwarten.

Das Ensemble der Galileischen Monde ist sehr dynamisch

und kann seine Konstellation innerhalb weniger Stunden erkennbar

verändern – wenn sich zum Beispiel zwei Monde

aufeinander zu bewegen oder ein Mond hinter dem Planeten

verschwindet. Lernende können diesen „Tanz“ der Jupitermonde

ganz selbstständig entdecken, wenn sie an mindestens

zwei aufeinander folgenden Tagen den Fernglasanblick

des Jupitersystems mit dem Bleistift skizzieren. Vergleichen

Sie die Ergebnisse Ihrer Schülerinnen und Schüler mit den

400 Jahre alten Skizzen von Galileo Galilei – selten hat man

in der Schule Gelegenheit, so unmittelbar in den Spuren

eines großen Naturwissenschaftlers und einer für unser Weltbild

so folgenschweren Entdeckung zu wandeln.

Fächerübergreifender Unterricht zwischen Natur- und Geisteswissenschaften

Die Beobachtung der Jupitermonde bietet eine der seltenen

und schönen Gelegenheiten, den fächerverbindenden Unterricht

die Grenze von Natur- und Geisteswissenschaften überspringen

zu lassen. Das perfekte Verbindungsstück liefert

Themendienst 03 | 2009

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Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung

das „Leben des Galilei“ von Bertold Brecht (1898-1956). Aus

astronomischer Perspektive steht darin vor allem Jupiter als

Umlaufzentrum seiner Monde im Blickpunkt. Das Werk enthält

zudem viele Anspielungen, für deren Verständnis kleine

astronomische Exkurse hilfreich sind, wie zum Beispiel

Brechts Hinweis auf den „neuen Stern“ von 1572 oder den

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„halben Hintern“ der Venus. Wenn Schülerinnen und Schüler

Brechts Galilei nicht nur lesen, sondern mit eigenen

Augen sehen, was der historische Galilei entdeckt hat, wird

die Begegnung mit dem literarischen Werk um eine ganz

neue Dimension bereichert – eine Chance, die man sich

nicht entgehen lassen sollte.

Machen wir es – 400 Jahre nach der Premiere! – also besser

als die Universitätsprofessoren in Brechts Galilei, über die

Schülerinnen und Schüler nur den Kopf schütteln, weil sie

den Blick durch das Fernrohr verschmähen. Anregungen und

viele Links zum Thema (Himmelskarten, Raumsondenbesuche

im Jupitersystem, Online-Werkzeuge zur Darstellung der

Jupitermondpositionen, Galileis Briefe mit Zeichnungen und

Darstellungen der Jupitermonde aus seinem berühmtem

Buch Sidereus Nuncius von 1610) werden im September-

Beobachtungstipp von „Naturwissenschaften entdecken!“

vorgestellt.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Empfehlungen

Fortbildungen bei "Naturwissenschaften entdecken!"

Themendienst 03 | 2009

Beobachtungstipps im IYA2009:

Jupiter und die Galileischen Monde

www.naturwissenschaften-entdecken.de/jupiter.php

Homepage „Internationales Jahr der Astronomie 2009“

www.astronomie2009.de

Im Rahmen der Forschungsexpedition Deutschland, dem Wissenschaftsjahr 2009, bietet "Naturwissenschaften entdecken!"

mit verschiedenen Kooperationspartnern Fortbildungen für Lehrkräfte an. Die Teilnahme ist kostenlos.

• 05.10.09 – Ingolstadt - Einsatz dynamischer Mathematik

Dynamische Mathematik-Software lässt sich nicht nur im Mathematik-, sondern auch im Physikunterricht

einsetzen.

• 21.09.09 – Kaiserslautern - Physikfortbildung

Die Fortbildung zu webgesteuerten physikalischen Experimenten findet in Kaiserslautern mit Unterstützung der

Arbeitgeberverbände Gesamtmetall statt.

• 22.10.09 – Heidelberg - Astronomiefortbildung

Diese Astronomiefortbildung findet in Kooperation mit der Klaus Tschira Stiftung in Heidelberg statt.

• 26.10.09 – Erlangen - Physikfortbildung

"Neue Zugänge zur Quantenphysik mit einzelnen Photonen" werden in dieser Fortbildung in Kooperation mit der

Universität Erlangen-Nürnberg angeboten.

• 23.11.09 – Wildau bei Berlin - Nanotechnologie im Unterricht

Zum letzten Mal in diesem Jahr wird der Workshop für Lehrkräfte im November an der Technischen Fachhochschule

in Wildau bei Berlin durchgeführt.

Mehr Informationen unter www.naturwissenschaften-entdecken.de


Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung

Dirk Frank

Den Übergang

stärken

Der Verein „lernen fördern“ ermöglicht

lernschwachen Jugendlichen eine außerbetriebliche

Ausbildung

Pädagogische Herausforderung

Viele Jugendliche, die heute die Hauptschule mit oder ohne

Abschluss verlassen, verfügen nicht über die nötige Aus -

bildungsreife. Der Verein „lernen fördern“ kümmert sich um

diese Gruppe, die sich unterschiedlich zusammensetzt:

a) Jugendliche mit gravierenden Lernbeeinträchtigungen;

b) Jugendliche aus schwierigen sozialen Verhältnissen.

Sandra Moh, Teamleiterin bei „lernen fördern“, erläutert

die spezifischen Probleme mit Jugendlichen, die unter Lernbeeinträchtigungen

leiden: „Sie können sich oft schlecht

auf eine Sache konzentrieren, sind unbeständig in ihren Lernleistungen,

wenig frustrationstolerant.“ Manchmal greift

man auch zu eher ungewöhnlichen Methoden, um den Jugendlichen

die Ängste vor bestimmten Medien zu nehmen:

„So haben wir beispielsweise bei einem Legastheniker eine

Schablone angefertigt, die das Buch verdeckt und nur die

Individuelle Förderung:

Susanne Pullem (l.)

im Gespräch.

Im kürzlich von der Bundesregierung verabschiedeten Bundesbildungsbericht 2009 wird festgestellt,

dass trotz der insgesamt positiven Ausbildungsbilanz sich für eine nicht zu unterschätzende

Zahl an Jugendlichen der Einstieg in die Ausbildung weiterhin schwierig gestaltet. Jugendliche,

die aufgrund ihrer prekären sozialen Herkunft oder beträchtlicher Lerndefizite keine

Chance auf eine betriebliche Lehrstelle haben, benötigen eine nachhaltige Förderung, um nicht

dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen zu sein. Seit 2005 führt der „lernen fördern Kreisverband

Rhein-Sieg e. V.“ im Auftrag der Agentur für Arbeit Bonn und der ARGE Rhein-Sieg die

Maßnahme „Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen“ (BaE) in Siegburg durch;

mittlerweile werden in der Einrichtung Maler/Lackierer, Verkäufer, Frisöre, Dachdecker, Metallbauer

und Köche ausgebildet. Zum Einsatz kommt im Rahmen der BaE auch das Portal qualiboXX

von Schulen ans Netz mit seinen interaktiven Lernmodulen zu den einzelnen Ausbildungsberufen,

aber auch zu grundlegenden Kompetenzbereichen wie Sprache und Kommunikation.

lesende Textzeile zeigt – damit die Angst vor dem ungeliebten

Medium nicht zu groß wird.“ Neben den Ausbildern

in den Werkbereichen kümmern sich Sozialpädagogen als

Vertrauenspersonen um die Jugendlichen; ergänzend zum

regulären Berufsschulunterricht helfen Lehrkräfte und Lerntherapeuten

den Jugendlichen, ihre Defizite zu erkennen

und Versäumtes nachzuholen. „Viele haben nur ein Abgangszeugnis

der 7. Klasse“, erläutert Susanne Pullem, die bei

„lernen fördern“ als Lerntherapeutin mit den Jugendlichen

arbeitet. „Die Ausbildung, die die Jugendlichen bei uns erhalten,

ist durchaus vergleichbar mit der betrieblichen; aber

die Jugendlichen können anders ,angepackt‘ werden; sie

haben hier keinen Kundenverkehr, der immer auch Zeitstress

bedeuten kann.“ Seit 2005 fingen pro Jahr bei „lernen fördern“

ungefähr 40 neue Auszubildende an. „Die Berufswahl

ist bei den Jugendlichen nicht immer gefestigt“, erläutert

Themendienst 03 | 2009

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Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung

Sandra Moh; Daniela (19) hatte vor ihrer Ausbildung bei

„lernen fördern“ keine Idee, was sie einmal werden möchte.

Sie ist im Augenblick eine von zwei Frauen in der Lerngruppe

der Maler/Lackierer, fühlt sich dort aber recht wohl:

„Ich bin froh, dass ich jetzt eine richtige Perspektive habe“,

erzählt sie. In den Pausen geht sie gerne in den Computerraum,

um ihre Mails abzufragen. Erst kürzlich ist sie von

zuhause ausgezogen, baut sich nach und nach eine eigene

Existenz auf.

Schutzraum Ausbildung

Schule ist bei vielen Jugendlichen ein ‚Motivationskiller’:

„Es gibt dort zu wenig pädagogische Betreuung; die Schulklassen

sind zu groß, als dass der einzelne Schüler, besonders

derjenige mit Lernschwierigkeiten, die nötige Zuwen-

dung erfährt“, erläutert Sandra Moh. Bei „lernen fördern“

stellen sich die Pädagogen individuell auf die Bedürfnisse

der Zielgruppe ein: „Wir können uns nicht wie normale

Lehrkräfte auf den Unterricht vorbereiten, sondern müssen

immer ad hoc reagieren, je nachdem, mit welchen Lernproblemen

die Jugendlichen aus der Schule kommen; dafür

haben wir aber auch den Vorteil, dass wir hier keine Klassenarbeiten

schreiben und daher auch keinen Zeitdruck

haben“. Die Jugendlichen werden auch noch nach der Abschlussprüfung

von „lernen fördern“ begleitet; Sandra Moh

berichtet von der intensiven Bindung der Schüler zur Einrichtung:

„Manchmal sind wir auch so was wie Elternersatz.“

Auf dem freien Ausbildungsmarkt würden die Schüler nicht

die Anerkennung erfahren; der Zusammenhalt, der in den

Lerngruppen anzutreffen ist, stärkt zusätzlich den sozialen

Faktor.

20

lernen fördern Kreisverband Rhein-Sieg e. V.

Der Verein führt seit September 2005 die von der Bundesagentur

für Arbeit geförderte Maßnahme „Berufsausbildung

in außerbetrieblichen Einrichtungen“ (BaE) im

Handwerkbildungszentrum in Siegburg durch. Darüber

hinaus ist auch die ARGE Rhein-Sieg Auftraggeber für

diese Maßnahmen. Junge Erwachsene mit erheblichen

Lernbeeinträchtigungen und/oder schwierigem sozialem

Hintergrund, die auf dem ersten Ausbildungs- und Arbeitsmarkt

nur geringe Chancen haben, erhalten so die

Möglichkeit, diese Berufsausbildung zu absolvieren. Voraussetzung

zur Teilnahme ist zum einen die Erfüllung

der allgemeinen Schulpflicht, zum anderen eine mindestens

sechsmonatige Teilnahme an einer Maßnahme zur

Berufsvorbereitung. www.lernen-foerdern-rsk.de

Themendienst 03 | 2009

Lernen ohne

Zeitdruck:

Eva Doumit (l.),

Sozialpädagogin,

mit einer Jugendlichen.

Befragt nach Jugendlichen, die sich besonders schwer getan

haben mit Ausbildung und Schule, aber dennoch ihren Weg

gegangen sind, schildert Sandra Moh die Berufsbiographie

von Laura: Mit 17 Jahren kam sie zu „lernen fördern“, hatte

sich bereits vorher im Rahmen einer berufsvorbereitenden

Maßnahme mit Kosmetik/Körperpflege beschäftigt und

stieg nun in den Ausbildungsberuf Frisörin ein. Der Wechsel

fiel der jungen Frau mit italienischem Migrationshintergrund

nicht leicht: Sie tat sich aufgrund sprachlicher Defizite mit

fachsprachlichen Texten sehr schwer, zudem war ihr Verhalten

anfangs gegenüber Ausbildern und Lehrern von der Weigerung

geprägt, Kritik anzunehmen und andere Meinungen

zuzulassen. Doch nicht zuletzt die individuelle Betreuung

seitens der Sozialpädagogen im Hause sorgte dafür, dass

sich die Zusammenarbeit mit Laura allmählich verbesserte.

So übte Laura sogar nach und nach einen positiven Einfluss

auf andere Gruppenmitglieder aus, die ebenfalls ihre ab -

lehnende Haltung gegenüber der Institution und dem Lernen

ablegten. Trotz einiger Rückschläge – so erzielte Laura wegen

einiger grundlegender Lerndefizite ein schwaches Zwischenprüfungsergebnis

– ließ sie sich nicht entmutigen. Sie bewies

ihre Stärken im Rahmen eines Praktikums, bestand als

Gruppenbeste die Gesellenprüfung und fand schließlich

eine Anstellung in einem Salon. Aber der enge Kontakt zu

„lernen fördern“ blieb seitdem bestehen: „Laura kommt

uns regelmäßig besuchen, wir sind immer noch Ansprechpartner

für sie, auch in Problemlagen“, betont Sandra Moh.

Außerhalb des Betriebs, aber praxisnah

Wer sich in den Räumen von „lernen fördern“ im Handwerkbildungszentrum

Siegburg umschaut, der stößt auf erstaunliche

Orte: So gibt es einen kleinen Verkaufsraum, der ne ben

den üblichen Lebensmittelregalen auch mit einer digitalen

Kasse nebst Warentransportband ausgestattet ist. Und hier

wird keineswegs das Verkaufen nur simuliert: Auszubil


Wie im echten Leben:

an der Kasse des kleines

Verkaufsraumes.

dende, aber auch die Mitarbeiter im Hause können sich zum

Einkaufspreis mit dem Nötigsten versorgen. „Dabei werden

keine Gewinne erzielt; es geht darum, die Handlungsabläufe

so realitätsnah wie möglich einzuüben“, erläutert Sandra

Moh. Einerseits können die Jugendlichen ohne die Belastung

und den Stress, der in der realen Welt des Handwerks

und des Einzelhandels die Ausbildungspraxis verschärfen

kann, betreut werden. Andererseits können sie ihre Arbeit

aber auch am realen Nutzen messen. So haben die angehenden

Frisörinnen und Frisöre immer gut zu tun, denn auch

die Azubis aus den anderen Ausbildungsgängen wissen die

Haarschneidekunst ihrer Mitschüler zu schätzen. Und man

geht mit der Zeit: So gibt es neben dem komplett eingerichteten

Frisursalon auch einen kleinen Wellnessbereich.

Obwohl „lernen fördern“ auf viele erstaunliche Lernerfolge

verweisen kann, glaubt man hier nicht an Wunder. Manche

Jugendliche erfüllen nach Einschätzung von Sandra Moh einfach

nicht die Voraussetzungen, um beispielsweise im Frisörhandwerk

mit den Kunden zu kommunizieren. „Manchmal

muss man die Erwartungen an die Jugendlichen reduzieren,

stattdessen schauen, wie man ihre Fähigkeiten sinnvoll in

den Arbeitsmarkt integriert.“ So gibt es beispielsweise ‚abgespeckte’

Versionen von manchen Berufen; der so genannte

„Beikoch“ übernimmt Aufgaben in der Küche, die weniger

verantwortungsvoll und eigenständig sind. Was früher mit

dem Begriff des „Handlangers“ eher despektierlich verstanden

wurde, stellt für manche Jugendliche immerhin eine

Möglichkeit dar, einen Platz im Arbeitsleben zu finden. Und

Sandra Moh betont: „Im Bereich Dachdecker und Metallbauer

haben manche Unternehmen da durchaus Bedarf und

melden frühzeitig ihr Interesse an einer betrieblichen Übernahme

unserer Auszubildenden an.“

Mit dem Computer individuell fördern

Digitale Medien sind auch bei „lernen fördern“ integraler

Bestandteil der Lern- und Förderangebote. Sandra Moh und

ihre Kollegen nutzen ein Angebot wie qualiboXX.de auch

für die eigene Informationsrecherche, den Dateiaustausch

und die Vernetzung mit anderen Einrichtungen. „Im Bereich

Benachteiligtenförderung tut sich recht viel; wir möchten

auf dem neuesten Stand von Forschung und Praxis sein und

Ideen von Kollegen aufnehmen – das ermöglicht uns ein

Portal wie qualiboXX“, betont Matthias Baumann, der sich

als Lehrkraft für Mathematik und EDV bei „lernen fördern“

um den Einsatz von qualiboXX kümmert. In Communitygruppen,

die offen, aber auch passwortgeschützt sein können,

werden ganz unterschiedliche Themen behandelt: In einer

werden beispielsweise Excel-Aufgaben ausgetauscht, in

einer anderen Materialien für das Berufsfeld des Fachlageristen

oder für den Einsatz von so genannten WebQuests.

Foren, Blogs, Wikis und Umfragen runden das Angebot ab.

Bei „lernen fördern“ steht bei der Nutzung von qualiboXX

die individuelle Förderung im Fokus: „Digitale Medien bieten

in dieser Hinsicht viele Möglichkeiten, denn das Lernen

hat einen spielerischen Aspekt; die Jugendlichen zeigen

eine deutlich höhere Leistungsbereitschaft“, begründet

Sandra Moh den Einsatz von qualiboXX-Lernmodulen in

ihrer Einrichtung. Hanan (20) macht gerade eine Ausbildung

zur Frisörin; ihr Lehrer Herr Baumann hat ihr gerade auf

qualiboXX das Modul „Satzbaukasten“ zugeordnet, das im

Bereich schulische Basiskenntnisse zu finden ist. Eine Art

Avatar im Lernmodul zeigt Hanan, ob sie Sätze richtig komplettiert

hat. Flink ordnet sie die Teile eines Satzes in der

richtigen Reihenfolge. Das spielerische Element führt dazu,

dass die Jugendlichen, anders als in der Schule, meistens

gar nicht merken, dass und wie sie ihre Sprachkompetenz

Themendienst 03 | 2009 21


Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung

stärken. Besonders bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund

treten im Unterricht bei „lernen fördern“ häufig

Defizite auf; ca. 40 % haben eine Einwanderungsgeschichte;

neben türkischstämmigen Jugendlichen sind es auch viele

aus ehemaligen Ostblockländern. Tanja (19) kam als 11jährige

mit ihrer Familie aus Sibirien nach Deutschland; die

Russlanddeutsche macht eine Ausbildung zur Verkäuferin

und möchte daher gerne ihre Lese- und Rechtschreibkompetenz

im Deutschen verbessern. Im „Sprachlabyrinth“

auf qualiboXX muss sie aus einer Liste von vier Verben eines

ermitteln, das nicht reinpasst; wenn die Antwort stimmt,

wird der Weg durch ein virtuelles Labyrinth gewiesen.

Svenja (19) beschäftigt sich gerade mit einem Lernangebot,

das speziell Lese- und Textverständnis fördert; farblich markierte

Wörter können von Svenja angeklickt werden, anschließend

wird über Multiple-Choice-Fragen das Textverständnis

geprüft. Svenja nutzt Computer und Internet viel

zuhause und findet sich daher gut im Lernmodul zurecht.

Lernen 2.0

Kevin (23) ist einer von denen, deren Bildungsbiographie

von großen Diskontinuitäten geprägt ist: Er besuchte ursprünglich

das Gymnasium, doch die 2. Fremdsprache bereitete

ihm große Probleme, sodass er auf die Hauptschule

wechseln musste. Doch vor Erreichen des Abschlusses

brach er die Schule ab, ebenso die Lehre zum Einzelhandelskaufmann;

nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit ließ er

sich bei der ARGE Rhein-Sieg beraten. Der Entschluss reifte

allmählich in ihm: Er möchte Maler/Lackierer werden. Man

merkt sofort: Kevin kann gut mit Computer und Internet umgehen.

Er beschäftigt sich gerade mit „Fette Texte“, einer

Übung zu HipHop auf qualiboXX. „Kenne die Musik recht

gut, deswegen fallen mir die Aufgaben leicht!“ Er weiß aber

auch von den Vorteilen der Medienkompetenz in seinem

Ausbildungsbereich zu berichten: „Heute kann man bei-

22

Themendienst 03 | 2009

„Fette Texte“: Kevin arbeitet

mit qualiboXX.

spielsweise den Farbanstrich eines Hauses digital rekonstruieren.“

Die Übungen auf qualiboXX für Maler und Lackierer

findet er ansprechend; das Prüfen von metallischen,

mineralischen oder natürlichen Untergründen hat einen

engen Praxisbezug, meint Kevin. Wie es sich für einen jugendlichen

Mediennutzer gehört, macht er aber gleich Verbesserungsvorschläge:

„Es sollte noch mehr drag&drop

geben“, bemängelt er fachmännisch; auch sei die Texteingabe

manchmal noch recht schwierig.

Jugendliche wie Kevin nutzen Computer und Internet als

selbstverständliche Medien; sie hinterfragen dabei die Angebote

nach ihrem Informationswert, ihrer Benutzerfreundlichkeit

und entwickeln sogar auch Vorschläge, wie man

Lernmodule optimieren kann. Damit besitzen sie zumindest

potenziell bereits Einblicke, wie Lernen funktioniert. Dieser

Aspekt wird bei „lernen fördern“ systematisch verfolgt:

Eine eigene Seminarreihe fokussiert auf den Aspekt „Lernen

lernen“: Hier sollen sich die Jugendlichen mit dem eigenem

Lernverhalten auseinandersetzen. Ein Aspekt, der im Bildungssystem

auf allen Ebenen gefordert wird. In dem Maße,

wie die Wissens- und Informationsgesellschaft von den

Menschen ein hohes Maß an Lernbereitschaft und –flexibilität

einfordert, werden Kenntnisse über Erfolgsbedingungen

des eigenen Lernens immer wichtiger. Sandra Moh betont:

„Manchmal wirkt unser Name ‚lernen fördern’ fast schon

hinderlich – die Jugendlichen werden manchmal als ‚behindert’

abgestempelt. Dabei ist die Förderung von Lernkultur

mittlerweile in allen Bildungsbereichen notwendig.“


qualiboXX – Individuell fördern mit digitalen Medien

Das Projekt zur Berufsvorbereitung und Ausbildungsförderung

unterstützt das pädagogische Personal der Bildungsträger,

die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der

beruflichen Integrationsförderung beim Übergang von

der Schule in den Beruf zu begleiten. Das Lernzentrum

ist eingebettet in eine webbasierte Kommunikationsund

Arbeitsplattform. Hier können sich Bildungsträger

als Institution anmelden und die Kommunikation und

Kooperation mit Mitarbeitern und externen Partnern

optimieren, um den Erfolg von beruflichen Integrationsmaßnahmen

zu fördern. Um Pädagoginnen und Pädagogen

den fachlichen Austausch zu ermöglichen und ihnen

den Einstieg in die Medienarbeit zu erleichtern, erhalten

sie auf der Arbeitsplattform die Möglichkeit der Fortbildung

und der Zusammenarbeit in einer virtuellen Community.

Geeignete Begleitmaterialien helfen ihnen, die

Online-Lernangebote für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer

sinnvoll einzusetzen. Der geschlossene Arbeitsbereich

wird ergänzt durch ein offen zugängliches

Informationsangebot rund um die Themen Berufsvorbereitung,

Benachteiligtenförderung, Umgang mit digitalen

Medien beim Lernen und Lehren sowie Berufsbildungs

politik.

www.qualiboxx.de

Themendienst 03 | 2009 23


Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung

Dirk Frank

The Making of:

Wie entsteht

ein multimediales

Berufsbild?

Ein Verfahrensmechaniker vor der Kamera

Und Action!

7.00 Uhr, auf dem Parkplatz der PVT am Rande von Ohrdruf:

Bevor das altbekannte Kommando „Und Action“ erklingt,

muss erst einmal der Tag durchgesprochen und die Technik

gecheckt werden. Im Vorfeld hat das Filmteam – Autorin Sabine

Goette und Kameramann Delf Woischnig – fleißig recherchiert,

Gespräche geführt und Termine koordiniert. Und doch:

„An einem konkreten Arbeitsplatz sieht alles erstmal ganz

anders aus“, stellt Autorin Sabine Goette fest und prüft ihren

Produktionsplan. „Da muss man schon mal flexibel reagieren

und umdisponieren.“ Dem Protagonisten ist die Anspannung

nicht anzumerken. Lässig erklärt er dem Filmteam, was er

normalerweise am Beginn eines Arbeitstages macht; währenddessen

bleiben seine Kollegen verwundert stehen und

fragen: „Wirst Du jetzt etwa Filmstar?“ Sabine Goette und

Delf Woischnig müssen, bevor sie die Produktionshalle betreten

dürfen, einen Gummischutz mit Stahlkappe über ihre

Schuhe ziehen. Sicherheit wird groß geschrieben, zudem bei

der Erstellung der Berufsbilds bei beroobi immer auch darauf

geachtet wird, dass grundlegende Bestimmungen des Ar-

24

Themendienst 03 | 2009

Bevor es losgeht, wird die Technik noch mal gecheckt. Kay (m.),

Autorin Sabine Goette (l.) und Kameramann Delf Woischnig (r.).

Kay Holland ist 22 und Verfahrensmechaniker bei der PVT Plastverarbeitung Thüringen GmbH in

Ohrdruf, einem kleinen Dorf am Rande des Thüringer Waldes. Der Autozulieferer stellt verschiedene

Kunststoffteile für Fahrzeugausstattungen her, z. B. Handschuhkästen oder Ablagefächer.

Wenn man Kay an seinem Arbeitsplatz erlebt, ist man von seiner Souveränität und Sicherheit

im Umgang mit Material, Maschinen und Produktabläufen beeindruckt. Doch heute muss er in

eine andere, bis dato unbekannte Rolle schlüpfen: Er wird nämlich zum Darsteller! Ein Filmteam

vom Schulen-ans-Netz-Projekt beroobi stattet ihm einen Besuch ab, um an seinem Arbeitsplatz

Bewegtbilder, Fotos und Ton aufzunehmen. Alles ganz authentisch, aber auch für Laien anschaulich

und verständlich. Denn auf dem Portal www.beroobi.de soll ein interaktives, multimediales

Profil seines Berufes entstehen, das Jugendlichen einen Eindruck vom Beruf vermittelt und

auch Interesse wecken soll. Wir haben die Dreharbeiten begleitet, um zu sehen, wie sich Kay in

der ungewohnten Rolle bewährt hat!

beitsschutzes eingehalten werden. Denn was die Kamera einmal

eingefangen hat, lässt sich nicht mehr korrigieren. Wenn

Helmpflicht besteht, gehört der Kopf des Arbeitnehmers geschützt.

Wenn dieses Detail fehlt, muss die Szene wiederholt

werden.

Der widerspenstige (Berufs)Alltag

Wer den Arbeitsalltag eines in der Industrie Tätigen einfangen

will, muss vergleichsweise früh aufstehen. Die Frühschicht

beginnt gegen 6.30 Uhr. Aber da Kay beim Eintreffen

des Filmteams schon längst im Dienst ist, muss er mit seiner

Mitarbeiterkarte noch mal zum Stempeln gehen – damit es

dann auch im Kasten ist. Dann geht es in die große Fertigungshalle

des Unternehmens, in der den Besucher sommerliche

Wärme und ein recht hoher Lärmpegel empfängt. Doch Kay

und seine Kollegen, die Gehörschutz tragen und ohnehin daran

gewöhnt sind, machen sich über die empfindlichen Medienmenschen

etwas lustig. Die sind aber von der ungewohnten

Kulisse ziemlich begeistert: „Ich finde es total spannend,

mich mit Berufen zu beschäftigen, die ich aus eigener An-


schauung nicht kenne; zudem wird hier visuell einiges geboten“,

betont Delf, und ergänzt: „Im Vergleich dazu lässt sich

das Berufsfeld eines Bürokaufmanns, das zumindest optisch

von Tisch, Stuhl und PC dominiert wird, längst nicht so bilderreich

darstellen.“ Sorgen bereitet Delf dennoch der Lärmpegel

an Kays Arbeitsplatz: Bei Arbeiten in der Haupthalle

können Kays Erläuterungen zu den Arbeitsabläufen nicht

mitgeschnitten werden; diese müssen hinterher eingesprochen

werden.

Von der Rohmasse zum Kunststoffprodukt

Der „Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik“,

so die offizielle Bezeichnung, muss verschiedene

Herstellungstechniken beherrschen. Durch Verfahren wie

Spritzgießen, Blasformen oder Pressen entstehen einerseits

gebrauchsfertige Produkte, aber auch so genannte „Halb -

zeuge“, d.h. Kunststoffteile, die noch weiterverarbeitet werden.

Für den Dreh wird Kay eine „Waterbox“ herstellen: ein

Teil, das den wenigsten Autofahrern bekannt sein dürfte, da

es verdeckt unter der Frontscheibe sitzt. Zuerst einmal muss

Kay das Rohmaterial, das für die Produktion benötigt wird,

aufbereiten. Er führt Sabine und Delf zu den riesigen Silos,

die außerhalb der Halle stehen. Von dort aus wird das Granulat

über ein Rohr zum Vortrockner transportiert. Dann muss

Kay die richtigen Mischverhältnisse sowie die Temperatur

einstellen, bei der das Granulat geschmolzen wird. „Moment,

nicht so schnell!“, ruft Delf, als Kay in alter Gewohnheit mit

schnellen Handgriffen die Maschine programmiert. Viele Produktionsschritte

wurden früher manuell ausgeführt, heute

stehen dafür Industrieroboter zur Verfügung. Daher muss

auch der Umgang mit Computertechnik dem Verfahrenstechniker

vertraut sein. Dies zeichnet sicherlich auch die Viel -

fältigkeit des Berufes aus: einerseits der sinnliche Bezug zum

Material und zum Produkt, der alltägliche Umgang mit schweren

Maschinen, andererseits aber auch die Vertrautheit mit

digitalen Speicher- und Steuerungstechnologien.

Pudern gehört auch dazu

Wie kam es eigentlich dazu, dass Kay den Verfahrensmechaniker

‘mimen’ darf? „Ich wurde gefragt, ob ich das gerne

machen möchte, und da habe ich spontan ja gesagt“, erzählt

er stolz. „Ich fände es nämlich gut, wenn mein Beruf bekannter

gemacht werden würde. Viele wissen gar nicht, was sich

hinter der Bezeichnung ‚Verfahrensmechaniker’ verbirgt.“

Und Kay merkt man seinen missionarischen Eifer förmlich an:

So beschränkt er sich beim Dreh nicht allein auf die Rolle

des Darstellers. Sondern macht laufend Vorschläge, was das

Filmteam als nächstes aufnehmen kann. „Nach meiner Erfahrung

ist das für die Darsteller eine tolle Erfahrung: Da interessiert

sich jemand von außen für ihren Beruf, und sie lernen

dadurch auch, ihren Alltag für jemanden darzustellen,

der sich nicht damit auskennt“, erläutert Sabine Goette. Die

Qualitätssicherung liegt Kay besonders am Herzen, kann er

doch dabei zeigen, dass man als Verfahrensmechaniker nicht

nur die Produktion steuert, sondern auch die Produkte mittels

strenger Parameter selber kontrolliert. Da dieser Produktionsschritt

in einem separaten und damit ruhigeren Raum

Beim Stempeln zu Arbeitsbeginn: Die Kamera ist immer dabei!

Kay zeigt eine Handvoll des Granulats.

Äußerste Konzentration beim Bedienen der Maschine

Für eine längere Sprech-Sequenz mit Text wird Kay verkabelt.

Themendienst 03 | 2009 25


Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung

„Posing“ beim Reinigen des Werkzeugs Immer im Bild: der Protagonist

stattfindet, darf Kay nun eine längere Sequenz sprechen. Dafür

muss er nicht nur verkabelt, sondern auch gepudert werden.

„Ist ja wie vor einer Talkshow“, kommentiert er etwas

spöttisch Delfs geübten Umgang mit dem Puderquast. In der

vorab nur unverbindlich abgesprochenen Szene soll Kay nun

zeigen, wie er anhand eines „Referenzmusters“ verschiedene

„Probeschüsse“, also vor der eigentlichen Produktion entstandene

Werkstücke, überprüft. Kameramann Delf ist überrascht,

wie professionell Kay die Szene „spielt“, bittet aber

um eine Wiederholung, da sie noch zu lang ist. „Du musst ja

nicht alle Kriterien zur Überprüfung erläutern“, rät er Kay.

Beim zweiten Mal verhaspelt sich Kay ausgerechnet am Ende

seines Textes; doch er nimmt es mit Humor und versucht beim

dritten Mal sich stärker auf die wichtigen Aspekte zu konzentrieren.

Und schließlich ist die ganze Sequenz im Kasten.

Der Verfahrensmechaniker als „Topmodel“

Die nächste Station führt das Filmteam in die Werkstatt. Dort

gehört es zu den Aufgaben des Verfahrensmechanikers, das

Werkzeug zu überprüfen. „Werkzeug“ hört sich für den Laien

nach Hammer oder Schraubenzieher an, aber gemeint sind

damit voluminöse Apparaturen, die jeweils für unterschiedliche

Produkttypen und dem Kunststoff seine Form geben eingesetzt

werden. Kay muss das Werkzeug warten und instand

halten; dazu gehört die Reinigung und der Austausch von

Ölen, Kühl- und Schmiermitteln. Nachdem Kay das Werkzeug

fachmännisch überprüft hat, darf er auch mal „posieren“.

Dass er das durchaus gerne macht, sieht man den Filmaufnahmen

und Fotos an. „Es macht großen Spaß, mit ihm zu arbeiten“,

unterstreicht Delf, und klettert auf den Werkstatttisch,

um Kay von einer anderen Perspektive aufnehmen zu

können. Sabine wirft belustigt „GNTM“ in die Runde – doch

26

Themendienst 03 | 2009

anders als „Germany’s next Topmodel“ ist das Posing vor der

Kamera eher die Ausnahme. Denn es geht um realistische,

glaubwürdige Situationen, die zudem vom Darsteller äußerste

Konzentration erfordern. So wenn er beispielsweise ein

größeres Maschinenteil austauschen muss: Dafür wird der

Werkskran benötigt, um die tonnenschwere Apparatur vom

Hochregallager zum Produktionsort zu transportieren. Weil

solche aufwändigen Produktionsschritte nicht beliebig oft

zu wiederholen sind, bleibt Delf dem Protagonisten mit der

Kamera dicht auf den Fersen. Auch wenn nur ein Bruchteil

des dabei entstehenden Film- und Bildmaterials schließlich

Verwendung findet: Bei der finalen Berufsbilderstellung zeigt

sich immer erst, welche Bilder wirklich gut sind. Daher gilt

die Devise: Jedes Motiv, jeden Vorgang möglichst mehrfach

einfangen!

Der lange Weg vom Dreh bis zum Webauftritt

Zwei Tage dauert durchschnittlich der Dreh eines Berufsbildes.

Aufgenommen werden aber nicht nur authentische Sequenzen

aus dem Arbeitsalltag des jeweiligen Berufes, sondern

die interaktive Aufbereitung eines beroobi-Berufsbild

bedarf noch vieler weiterer Besonderheiten von Kay. So muss

er beispielsweise für ein interaktives Quiz rund um seinen

Beruf nicht nur die Quiz-Fragen kurz und knackig in die Kamera

sprechen, sondern auch entsprechende Feedbacks mimen,

die der Nutzer später von ihm direkt eingespielt bekommt,

wenn er die Antworten per Drag & Drop auf einen kleinen

Fernseher zieht. Auf diese Weise wird ein (virtueller) Dialog

zwischen dem Protagonisten eines Berufsbildes und den Besuchern

der Website hergestellt. Und damit nicht genug, auch

für kleine Umfragen, Extra-Tipps und als Schablone für eine

„Arbeitsbekleidungsgalerie“ spricht Kay geduldig in die Kamera.

Dabei wird auf Fachlichkeit und Objektivität der Informationen

großen Wert gelegt. Um das jeweilige Berufsfeld im

Hinblick auf Perspektiven und Einstellungsvoraussetzungen

umfassend darzustellen, kommen zudem auch Experten zu


Was soll und kann gezeigt werden? Besprechung beim Dreh.

Wort. So werden auch weitere Mitarbeiter der PVT Plastverarbeitung

interviewt, wie z. B. der für Kay zuständige Bereichsleiter

aus der Verwaltung. Speziell für das Modul „Voraussetzungen“

nimmt sich das Filmteam beim Aufnehmen der

Statements viel Zeit mit ihm. Seine Erläuterungen als Experte,

warum bestimmte Kompetenzen für den Beruf des Verfahrensmechanikers

essentiell sind, bilden einen wichtigen

Eckstein im Berufsbild und müssen daher besonders verständlich

und einfach erklärt werden.

Bis dann ein Berufsbild schließlich online abrufbar ist, sind

noch viele verschiedene Produktionsschritte und redaktionelle

Arbeiten notwendig: Das Material muss gesichtet, qualitativ

geprüft und schließlich in den modular angelegten Baukasten

eingesetzt und programmiert werden. Seit Anfang

2009 können laufend neue Berufsbilder bei beroobi besichtigt

werden, die Palette reicht mittlerweile von Anlagenmechaniker/in

über Chemikant/in und Mikrotechnologe/in bis

hin zu Schornsteinfeger/in. „Das Wissen über die Bandbreite

aktueller Ausbildungsberufe und speziell jener, die auch zukünftig

Chancen auf dem Arbeitsmarkt bieten, ist für die Berufswahl

junger Frauen und Männer entscheidend, daher stellen

wir bewusst Ausbildungswege in Zukunftsbranchen und

Innovationsbereichen vor, vor allem in Industrie, Handwerk,

Bau, Naturwissenschaften und Technik sowie in Gesundheit

und Pflege“, erläutert Projektleiterin Silke Niemann die

Grundidee von beroobi. Aber gibt es nicht bereits bewährte

Beratungsdienste für Jugendliche, die sich in Sachen Berufsorientierung

schlau machen wollen, findet man nicht auf anderen

Portalen ausreichend Informationsmaterial? „Wir setzen

bei diesem Projekt vor allem auf einen selbst gesteuerten

und emotionalen Zugang, der direkt an den Bedürfnissen, Interessen

und Nutzungsgewohnheiten Jugendlicher anknüpft

und Identifikation sowie spielerische Interaktionsmöglichkeiten

anbietet, die einen attraktiven Einstieg in das Thema Berufswahl

ermöglichen. Solche Ansätze gibt es im Netz bisher

kaum. Dabei geht es vor allem darum, erstmal überhaupt das

Interesse für dieses Thema zu wecken – wir wollen ‚Hingucker’

und Türöffner sein und die Jugendlichen dann natürlich

auf die entsprechenden interessanten Angebote weiterleiten,

die es im Netz bereits gibt.“ Mit Video- und Audiosequenzen,

interaktiven Quizspielen und Interviews wird der Nutzer immer

wieder zur direkten spielerischen Auseinandersetzung

mit den Inhalten des jeweiligen Berufs animiert. „Wir holen

die Jugendlichen da ab, wo sie von ihrer Mediennutzung her

stehen!“

Nach zwei Drehtagen ist dann endlich auch der Verfahrensmechaniker

im Kasten. Nun wartet viel Arbeit auf die Redakteure

und Webdesigner, das entstandene Material anzupassen.

Zwei Monate dauert insgesamt der Produktionsprozess,

bis ein Berufsbild bei beroobi angeklickt werden kann. Dann

wird Kay Holland oder besser gesagt: sein virtuelles Pendant

– unzähligen Jugendlichen seinen Beruf erläutern, und viele

werden sicherlich Interesse daran finden. Und nicht nur Kay,

sondern auch seine Kollegen sind schon sehr gespannt, wie

er sich als „Topmodel“ im Netz machen wird!

Themendienst 03 | 2009 27


Titelthema | Frühkindliche Bildung | Schulische Bildung | Berufliche Bildung

28

beroobi – Erlebe Berufe online!

beroobi richtet sich an Jugendliche (aller Schulformen)

zwischen 14 und 24 Jahren, die sich im Prozess der Berufsfindung

und Berufsorientierung befinden. Neben

Schulabgängern werden auch all diejenigen berücksichtigt,

die bereits eine Berufsausbildung begonnen, abgeschlossen

oder auch abgebrochen haben und sich

weiter bzw. neu orientieren möchten. Wichtige Ansprechpartner

sind in diesem Kontext auch pädagogische

Fachkräfte, über die in vielen Fällen die

Bekanntmachung von beroobi bei der jugendlichen Zielgruppe

läuft. Multimedial-interaktiv aufbereitete und

somit lebendige Berufsbilder geben jungen Berufsein-

Themendienst 03 | 2009

steigern realistische Einblicke in ihren Arbeitsalltag und

lassen die Nutzer explorativ an ihrem Berufsleben teilhaben.

Sie dienen somit als positives Vorbild und Identifikationsfigur.

Das praxisorientierte Angebot bietet

außerdem konkrete Tipps, wichtige Informationsanreize

und spielerische Wissensabfragen rund um das Thema

Berufsorientierung, wobei jugendgerechte Sprache und

Design einen hohen Stellenwert haben. Das Projekt wird

vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und

dem Europäischen Sozialfonds gefördert

www.beroobi.de


Veranstaltungshinweis

Bereits zum 4. Mal findet im Rahmen der

Frankfurter Buchmesse der internationale

Bildungskongress statt. Die Frankfurter

Buchmesse bietet gemeinsam mit Schulen

ans Netz e. V., Lehrer-Online und der Robert-

Bosch-Stiftung ein vielfältiges Programm

mit Vorträgen, Workshops und Diskussionen. Renommierte Bildungsforscher wie Wassilios

Fthenakis und Klaus Hurrelmann liefern wichtige Stichworte zur Zukunft des Lernens.

16.-17. Oktober, Frankfurt:

Bildungskongress „Lernende Gesellschaft“

Das diesjährige Motto des Bildungskongresses lautet

„Bildung im Wandel – Education in Flux". Der Kongress

richtet sich an Lehrkräfte, Erzieher/innen, Studierende

sowie Bildungsverleger und Fachbesucher der Buchmesse.

Die Schulen-ans-Netz-Projekte BIBER, Naturwissenschaften

entdecken! und eTwinning sind mit Workshops

maßgeblich am Programm beteiligt.

International und interdisziplinär

Wie in den Jahren zuvor wendet sich der Bildungskongress

„Lernende Gesellschaft“ an unterschiedliche Zielgruppen

und will den internationalen und interdisziplinären

Austausch fördern. So finden Veranstal tungen auf

Deutsch wie auf Englisch statt. Während am ersten Kongresstag

vor allem Podiumsdiskussionen stattfinden,

bietet der zweite praxisnahe Workshops und Diskus sionen.

An beiden Tagen sind bekannte Namen beteiligt:

Klaus Hurrelmann, Professor für Sozial- und Gesundheitswissenschaften

an der Universität Bielefeld und

Direktor am Institut für Bevölkerungsforschung und

Sozialpolitik, oder Wassilios E. Fthenakis, Professor für

Entwicklungspsychologie und Anthropologie an der

Freien Universität Bozen.

1. Kongresstag: Gewalt an Schulen, Wirtschaft, Social

Networking

“Amok – neue Erkenntnisse zu einem alten Phänomen"

ist das Thema eines der Höhepunkte des ersten Kongresstages:

An der Podiumsdiskussion nehmen unter

anderem Klaus Hurrelmann und Joachim Gärtner (Drehbuchautor

und Filmemacher) teil. Weitere Themen dieses

ersten Tages sind „Wirtschaft und Bildung“ und

„Social Networking“. Die Veranstaltungen finden am

Freitag im Saal Europa statt, der Eintritt ist für Fachbesucher

und Aussteller der Frankfurter Buchmesse frei.

2. Kongresstag: Individualisierung, Digitalisierung und

Lebenslanges Lernen

Nach einer Begrüßung durch einen Vertreter des Kultusministerium

und einer Keynote von Professor Wassilios

E. Fthenakis startet der 2. Tag des Bildungskongresses.

Themen wie "Websites für Kinder" (BIBER), „Gesunde

Kitas“ oder „Lebenslanges Lernen“. Das Schulen-ans-

Netz-Projekt eTwinning zeigt, wie die gemeinsame

Pro duktion von Audio-Produkten wie Reportagen und

Hörspielen mit europäischen Partnerschulen funktionieren

kann und welche Vorteile sie für die Medienkompetenz

der Schüler hat.

"Individualisierung, Digitalisierung und Lebenslanges

Lernen – neue Wege in der Bildung" ist der Titel einer

thematisch richtungsweisenden Podiumsdiskussion am

zweiten Kongresstag, an der u. a. Wassilios Fthenakis

beteiligt ist. Die Teilnahme am 2. Kongresstag kostet 20

Euro; die Veranstaltung ist für Lehrkräfte in vielen Bundesländern

als Fortbildung anerkannt und akkreditiert.

Programm und Anmeldung

Das komplette Programm beider Tage und das Anmeldeformular

finden sich unter

www.buchmesse.de/de/fbm/programm/bildung/

bildungskongress

Themendienst 03 | 2009

29


IMPRESSUM

Herausgeber

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Verantwortliche Redaktion

Dr. Dirk Frank,

Presse– und Öffentlichkeitsarbeit

Telefon + 49(0)228 - 910 48 - 211

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Druck

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Titelbild

Klaus Dieter Klingberg,

Schulen ans Netz e. V.

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