sozial - BruderhausDiakonie
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<strong>sozial</strong> • Ausgabe 2 | 2010<br />
Lothar Bauer:<br />
Staat und Kirche links und rechts des Rheins<br />
Der Inspecteur der lutherischen Kirche von Montbéliard<br />
empfängt unsere schwäbische Diakonie-<br />
Delegation. Bis zur französischen Revolution war<br />
Mömpelgard (Montbéliard) staatlich und auch religiös<br />
Teil des evangelischen Herzogtums Württemberg.<br />
Der Inspecteur, was zu Deutsch Aufseher und<br />
auf Griechisch Bischof heißt, erläutert uns das Prinzip<br />
der Laïcité, das französische Modell der strikten<br />
Trennung von Staat und Kirche. Mit dem Pogrom der<br />
Bartholomäusnacht im Jahr 1695 und der folgenden<br />
Vertreibung der protestantischen Hugenotten setzte<br />
der Sonnenkönig Ludwig XIV. ein katholisches Staatskirchenprinzip<br />
durch: une foi, une loi, un roi (ein<br />
Glaube, ein Gesetz, ein König). Im Jahr 1905 wurde<br />
die Laïcité, die strikte Trennung von Staat und Kirche,<br />
Gesetz. Zwar unblutig, aber ebenso hart wurde die<br />
Republik auf religiöse Neutralität festgelegt. Die religiösen<br />
Minderheiten wie etwa die Protestanten empfanden<br />
das Gesetz von 1905 als eine Befreiung von<br />
der religiösen Hegemonie der katholischen Kirche.<br />
Die Kirchen existieren rechtlich seitdem auf der Basis<br />
Die religiösen Fragen sind nicht<br />
verschwunden, aber sie haben<br />
keinen öffentlichen Ort mehr<br />
von Vereinen, allerdings mit streng auf den Kultus<br />
begrenzten Vereinszwecken. Gesellschaftliche Betätigung<br />
über den Kultus hinaus ist nicht vorgesehen.<br />
Lange Jahrzehnte des Kulturkampfes zwischen dem<br />
republikanischen Staat und der katholischen Kirche<br />
gingen voraus.<br />
Der Inspecteur spricht aber auch vom „mal être“,<br />
vom Unbehagen der Grande Nation mit dem Modell<br />
der Laïcité. Das Verbot für die Kirchen, in den gesellschaftlichen<br />
Raum hinein zu wirken, hat auch zu<br />
einer Abschneidung von kulturellen Wurzeln geführt.<br />
Herausgefordert wird das Modell durch das Auftreten<br />
Das deutsche Modell der Kooperation<br />
zwischen Gesellschaft, Staat und<br />
Kirchen zeigt Stärken<br />
des Islam mit seiner expressiven Religiosität. Die nun<br />
schon Jahrzehnte andauernde Diskussion über den<br />
„voile“, den Schleier islamischer Frauen, ist Ausdruck<br />
dafür, dass die überwiegend moslemischen Zuwanderer<br />
aus den ehemaligen nordafrikanischen Kolonien<br />
nicht oder nur schwer in dieses Modell integriert<br />
werden können. Andrerseits wird aber auch sichtbar,<br />
dass die religiösen Fragen nicht verschwunden sind,<br />
sie aber keinen öffentlichen Ort mehr haben.<br />
Das deutsche Modell der Kooperation zwischen<br />
Gesellschaft, Staat und Kirchen zeigt Stärken. Dass<br />
evangelische, katholische, jüdische und bald vielleicht<br />
auch muslimische Geistliche ihre Ausbildung an<br />
staatlichen Fakultäten erhalten, dass Religionsunterricht<br />
an Schulen stattfindet, dass Kirchen und religiöse<br />
Gemeinschaften sich an <strong>sozial</strong>en und kulturellen<br />
Aufgaben mitbeteiligen, ist nicht nur als ein Privileg<br />
zu sehen. Es wirkt auch dagegen, dass gesellschaftliche<br />
oder gar fundamentalistische Insellagen entstehen.<br />
In einem Land, das seit der Reformation in<br />
einer konfessionellen Parität zwischen katholischen<br />
und evangelischen Kirchen lebt, ist dies sicherlich<br />
einfacher zu bewerkstelligen als in einem Land, das<br />
traditionell von einer religiösen Gruppe dominiert<br />
wurde. Die Verbundenheit trotz staatlich garantierter<br />
Religionsfreiheit entspricht dem gesellschaftlichen<br />
Verständnis von Subsidiarität. Frankreich arbeitet an<br />
seinem Unbehagen. Wie auch anderswo in Europa<br />
befinden sich die Nationalstaaten in der Zange zwischen<br />
Dezentralisierung, Regionalisierung und Stärkung<br />
der Verantwortung vor Ort in den Kommunen<br />
einerseits – und europäischer Zentralisierung auf der<br />
anderen Seite. Hier schein ein neues „mal être“ heraufzuziehen.<br />
KOLUMNE<br />
Pfarrer Lothar<br />
Bauer, Vorstandsvorsitzender<br />
der<br />
<strong>BruderhausDiakonie</strong><br />
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