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INTERNATIONALE LITERATUR<br />

Vier Übernachtungen und<br />

mehr als ein Todesfall<br />

Mankells letzter Roman erzählt von dem fast 70-jährigen Fredrik Welin, der dem Ende<br />

des Lebens näher ist als seinem Anfang – und dennoch lebendiger als wir alle.<br />

Fredrik Welin wacht eines Morgens umgeben von Rauch und<br />

Feuer auf. Sein Haus brennt. Auf einer kleinen Insel abseits des<br />

schwedischen Festlands und kaum besiedelt verliert Welin auf<br />

einen Schlag alles, was er besitzt. Übrig bleibt nur ein Schuhspanner.<br />

Bekanntlich kursieren in kleinen Orten Gerüchte schneller als ein Lauffeuer.<br />

Und so weiß Welins Postbote Jansson noch vor ihm, dass die Polizei<br />

ihn, Welin, als Brandstifter verdächtigt, und Jansson gibt sich auch keine<br />

Mühe, damit hinter dem Berg zu halten – oder hinter dem Fjord.<br />

Welin, am Boden zerstört, tut das, was ein Mann tun muss: Er bestellt<br />

sich neue Gummistiefel. Denn seine sind verbrannt, und wie soll<br />

ein Mann ein Mann sein, wenn er keine Stiefel hat. Die Journalistin Lisa<br />

Modin wittert einen Lokalskandal und nimmt sich des Falls an. Sie interviewt<br />

Welin, und die beiden kommen sich auf eigenartige Art näher.<br />

Was wie ein Krimi beginnt – und wer denkt bei Mankell nicht zuerst<br />

an Wallander und Kriminalliteratur –, entwickelt sich zu einem Sozialdrama,<br />

einer Tragikomödie und einer Lektion über das Leben jenseits der<br />

urbanen und pulsierenden Großstadtmentalität.<br />

Einen Tag nach dem Feuer erscheint Welins Tochter Louise, mit der<br />

er nur wenig Kontakt hat, da er von ihrer Existenz erst sehr spät erfahren<br />

hatte. Louise ist schwanger und braucht Geld. Er glaubt, dass sie sich als<br />

Prostituierte verdingt, und vermutet, ein Freier könne der Vater sein.<br />

Etwas harmloser, aber kaum weniger ernüchternd ist die Realität: Sie<br />

ist eine Taschendiebin. Und offensichtlich keine besonders gute, denn<br />

eines Tages kommt ein Anruf von ihr aus Paris: Sie wurde verhaftet und<br />

sitzt im Gefängnis. Immer noch ohne seine Gummistiefel macht sich der<br />

Vater auf den Weg und sorgt für die Entlassung der Tochter. Lisa Modin<br />

reist ihm hinterher. Nach einer vorangegangen Übernachtung in Schweden<br />

verbringen die beiden abermals die Nacht zusammen, ohne dass<br />

auch nur eine Berührung stattfindet. Nicht, dass Welin das nicht gewollt<br />

hätte, aber die Journalistin bleibt so stur wie undurchschaubar. Und das<br />

noch zwei weitere Male. Doch der Mann gibt nicht auf.<br />

In Welins kleinem Heimatörtchen kehrt ebenfalls keine Ruhe ein; erst<br />

stirbt der Ladenbesitzer Nordin – bevor Welin seine Stiefel bekommt! –<br />

und dann eine Nachbarin, die alte Orlovski. Welin sieht sich umgeben von<br />

Toten und beginnt, über sein eigenes Leben zu reflektieren, über die Beziehung<br />

zu seiner Tochter und natürlich über sein Verhältnis zu Lisa Modin.<br />

Auch wenn wir vielleicht nie erfahren werden, ob Welin seine Stiefel<br />

erhält, lernen wir doch Fredric Welin in all seinen Facetten kennen, seine<br />

Vergangenheit und Gegenwart, wie er sich seine, wie er befürchtet,<br />

nur noch sehr kurze Zukunft vorstellt. Mankell malt in Die schwedischen<br />

Gummistiefel das Bild eines Manns mit so viel Tiefe, wie es nur in wenigen<br />

Romanen gelingt. Womöglich ist er auch das Alter Ego des Autors,<br />

der sich am Ende gerne auf eine Insel zurückgezogen hätte, der aber das<br />

Abenteuer nie loslassen<br />

konnte.<br />

„Der Roman entwirft<br />

ein bewegendes Porträt<br />

eines älteren Mannes und<br />

entführt uns in die Abgründe<br />

der menschlichen<br />

Seele. Mankell erzählt<br />

eine spannende und<br />

zugleich philosophische<br />

Geschichte von geradezu<br />

existenialistischem Ausmaß.“<br />

— RBB KULTURRADIO<br />

Andrea Baron<br />

Lektorin bei Beltz & Gelberg<br />

Neuerscheinungen<br />

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