Das Magazin
2017_2
2017_2
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
WELTLESE<br />
Entdeckungsreise durch die<br />
jüngste Demokratie der Welt<br />
Auszug aus dem fünften Kapitel. Es berichtet Matarufa, ein Veteran der timorischen Widerstandsbewegung.<br />
Gemeinsam mit dem verschwundenen Architekten Alor plante er dessen<br />
Expeditionsreise ins Innere Osttimors, die Suche nach dem „timorischen Haus“.<br />
An der Kirche von Baguia hing ein Hund – tot. Ein Strick war an<br />
den Beinen des Tiers befestigt, dessen anderes Ende an den<br />
Klöppel der Glocke gebunden war. Die Tötung des Hundes<br />
war kurz vor unserer Ankunft in dem Städtchen erfolgt. Ein paar Minuten<br />
früher, und man hätte uns die Ehre erwiesen, uns zur Zeremonie einzuladen,<br />
vielleicht sogar, den ersten Schlag auszuführen. Ich sah auf dem<br />
Hof Leute, die noch vom Blut des Köters verschmierte Knüppel mit sich<br />
führten, sie waren sehr erregt, ihre Aufmerksamkeit war ganz auf die<br />
Runde von Frauen gerichtet, die Tebedais aufführten, sehr anmutige, bei<br />
uns heimische Tänze.<br />
Am Kalkputz der Fassade floss ein dunkler, blutiger Strich hinab, von<br />
einem sternförmigen Fleck aus, der mit Hirnmasse und Haaren besprenkelt<br />
war. Es war die Stelle, an der das Pendel des toten Hundes gegen<br />
die Wand schlug, wenn einer der Jungen auf dem Dach der Kirche, unter<br />
dem Geschrei und Getobe der unten stehenden Männer, auf den Strick<br />
einschlug, um zu sehen, wie sich der Kadaver bewegte und das Leben<br />
wiedergewann, das ihm genommen worden war, und sie riefen das<br />
arme, nun namenlose Tier:<br />
»Asu! Asu! Wach auf, asu!« Aber der Hund erwachte nicht. Aus seinem<br />
totenstarren Körper rann lediglich ein roter Speichel und tropfte<br />
von der Schnauze auf den Boden, wo sich ein glänzendes Fleckchen<br />
Schleim bildete. Alor schien keiner dieser Bräuche zu verstören. Er erkundigte<br />
sich ganz unbefangen: »Was ist das da?« Und mit der gleichen<br />
Selbstverständlichkeit erläuterte Sixto in einem oberlehrerhaften Ton:<br />
»<strong>Das</strong> ist ein Kirchturm, mein Herr.«<br />
»Ich weiß ... Warum haben sie den Hund totgeschlagen?«<br />
»Sie haben ihn nicht totgeschlagen. <strong>Das</strong> ist eine Sitte, mein Herr.«<br />
»Eine Sitte?«<br />
»<strong>Das</strong> ist bei uns Brauch.«<br />
» Ein timorischer oder ein katholischer?«<br />
So weit reichten Sixtos Kenntnisse nicht, sodass er, statt zu antworten,<br />
bloß wiederholte:<br />
»<strong>Das</strong> ist eine Sitte, mein Herr.«<br />
Und er schaute verzückt auf den Hund.<br />
»<strong>Das</strong> ist eine berechtigte Frage«, sagte Pater Rosário, der in seiner eigentümlichen<br />
Gestalt neben uns auftauchte: ein vierkantiges, fast strenges<br />
Gesicht mit zwei Narben, beherrscht von der Klappe, die das rechte Auge<br />
bedeckte, ein langer Hals über einem breiten Brustkorb und lange,<br />
schwielige Hände, was unter Priestern eher selten ist. Dichtes Silberhaar.<br />
Rosário sprach mit einem fremdartigen hispano-amerikanischen<br />
Akzent, den er in den Jahren seines Theologiestudiums auf den Philippinen<br />
erworben hatte, einem Akzent, der Alors Interesse erregte. Mich<br />
umarmte der Pater. Sixto streckte er die Hand zum Kuss entgegen. Alor<br />
begrüßte er mit dem Segen, wobei er die rechte Hand bis zum Gesicht<br />
hochhob. Ich bemerkte, dass Alor ein Blutfleck auf Rosários Hemdsärmel<br />
aufgefallen war. […]<br />
Neuerscheinungen<br />
31