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Krimfahrt_Leseprobe (6)

Nach 20 Jahren Fassade und unglücklicher Ehe fährt das Ehepaar Seidlitz zum ersten Mal wieder in Urlaub. Alle Reisevorschläge, die Erika zunächst macht, lehnt Wilhelm Seidlitz mit fadenscheinigen Begründungen ab. Schließlich überredet sie ihn zu einer Zugfahrt auf die Krim. Die Reise beginnt harmonisch, wird aber bald durch die Eigenheiten der Mitreisenden getrübt. Durch Zufall entdeckt Wilhelm, dass die Reise nicht zur Erholung gedacht ist, sondern ihrer beider Schicksal entscheiden wird. Schließlich bricht sich in der abgelegenen Schönheit der russischen Landschaft die aufgestaute Frustration von 20 Jahren Ehe Bahn. Für einen der beiden wird dieser Ausbruch den Untergang bedeuten, für den anderen vielleicht eine neue Lebensblüte und späte Zukunft.

Nach 20 Jahren Fassade und unglücklicher Ehe fährt das Ehepaar Seidlitz zum ersten Mal wieder in Urlaub. Alle Reisevorschläge, die Erika zunächst macht, lehnt Wilhelm Seidlitz mit fadenscheinigen Begründungen ab. Schließlich überredet sie ihn zu einer Zugfahrt auf die Krim. Die Reise beginnt harmonisch, wird aber bald durch die Eigenheiten der Mitreisenden getrübt. Durch Zufall entdeckt Wilhelm, dass die Reise nicht zur Erholung gedacht ist, sondern ihrer beider Schicksal entscheiden wird. Schließlich bricht sich in der abgelegenen Schönheit der russischen Landschaft die aufgestaute Frustration von 20 Jahren Ehe Bahn. Für einen der beiden wird dieser Ausbruch den Untergang bedeuten, für den anderen vielleicht eine neue Lebensblüte und späte Zukunft.

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Wilhelm Seidlitz war ein unauffälliger Mensch. Er<br />

arbeitete in der Verwaltung seiner Heimatstadt als<br />

Hausmeister und fuhr mit der U-Bahn zur Arbeit. Er<br />

war unscheinbar. Weder an seinem Äußeren noch an<br />

seinem Wesen gab es auf den ersten Blick etwas<br />

Auffälliges, und müsste man sich an ihn erinnern,<br />

dann mit einem leichten Erstaunen und deshalb, weil<br />

es kaum etwas gab, woran sich die Erinnerung<br />

festmachen ließ.<br />

Es war, als bemühte man, sich ein Phantom aus<br />

dem Dunkel seiner Erinnerungen zu zerren, ein<br />

Phantom, das sich dabei vehement wehrte und nur<br />

zentimeterweise dem Licht näherte. Wie sah er aus?<br />

Normal, nicht dick, nicht dünn, das schüttere Haar<br />

des Mittvierzigers sorgsam über die mit Leberflecken<br />

übersäte Kopfhaut gezogen.<br />

Hobbys hatte er keine, bis auf das eine, dass er<br />

gerne Bücher und Magazine las. Und selbst diese<br />

regelmäßige Beschäftigung, die sich manchmal dem<br />

Rande der Leidenschaft näherte, hätte man böswillig<br />

umdeuten können zu einem Hang zum Verweilen im<br />

Theoretischen und Drückebergerei vor dem<br />

wirklichen Leben.<br />

Statt die günstigen Gelegenheiten, die sich in<br />

bescheidenem Ausmaß auch in seinem Leben boten,<br />

beherzt zu ergreifen, statt einmal etwas zu riskieren,<br />

bevor Verlauf und Ausgang einer Sache bis ins letzte<br />

Detail kalkuliert wären, zauderte er, starrte der<br />

Gelegenheit wie gelähmt ins Gesicht, wo sie nahe<br />

war, unfähig sie zu ergreifen, ließ sie ungenutzt<br />

vorbeiziehen und blickte ihr doch wehmütig<br />

hinterher, wenn sie endgültig verschwand wie ein<br />

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