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„Fest“-gehalten von Sarah Koska - Draußen

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06 | 09<br />

1,80<br />

Straßenmagazin für Münster und Umland 0,70 Euro für den Verkäufer www.muenster.org/draussen<br />

Gunter feierte mit ~<br />

FDP und GAL im Interview


2<br />

Editorial<br />

Liebe Leserinnen<br />

und Leser,<br />

vor kurzem erzählte mir ein Freund folgende Geschichte, die<br />

er an einer Supermarktkasse miterlebt hatte. Eine alte Oma<br />

wurde <strong>von</strong> einem Angestellten dazu aufgefordert , ihre Tasche<br />

zu öffnen. Darin befand sich ein trockenes Brötchen. „Ich<br />

habe sie dabei beobachtet, wie sie das Brötchen eingesteckt<br />

haben“, warf ihr der Mann vor. „Aber es lag doch auf dem<br />

Fußboden und wäre sowieso weggeworfen worden“, antwortete<br />

die alte Dame. „Das kann doch nicht so schlimm sein!“<br />

„Es tut mir leid“, sagte der Angestellte, „aber ich muss die<br />

Polizei rufen.“ Mein Freund verließ sofort empört den Laden.<br />

Er wollte auf keinen Fall miterleben, wie diese alte Frau auch<br />

noch <strong>von</strong> der Polizei für ihr „verwerfliches Verbrechen“ gedemütigt<br />

wird. Und auch ich kann aus meiner Fassungslosigkeit<br />

keinen Hehl machen.<br />

_Der neueste Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes,<br />

der mit den Werten aus den Jahren 2006/2007 errechnet<br />

wurde, besagt, dass jeder siebte Mensch in NRW unterhalb<br />

der Armutsgrenze lebt. Dabei steht das Münsterland mit einer<br />

Armutsquote <strong>von</strong> 11,8 % im NRW-Vergleich eigentlich noch<br />

sehr gut da. Gleich nebenan im Raum Dortmund sind es bereits<br />

18 % der Bevölkerung. Im Osten der Bundesrepublik sind<br />

die Armutswerte aber bei weitem am schlimmsten: In<br />

Mecklenburg Vorpommern gelten bereits 27 % der Menschen<br />

als arm. Das ist eine sehr beängstigende Entwicklung. Vor<br />

allem wenn man bedenkt, dass das Jahr 2008 mit der einset-<br />

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zenden Finanz- und Wirtschaftkrise bei dieser Kalkulation<br />

noch gar nicht ins Gewicht fällt.<br />

Angesichts dieser Fakten hoffe ich, dass unsere Gefängnisse in<br />

den nächsten Jahren nicht wegen Überfüllung mit hungernden<br />

Rentnern und Hartz-IV Empfängern aus allen Nähten platzen.<br />

Herzlich<br />

Ihr<br />

Sigi Nasner


Die High Lights, <strong>„Fest“</strong>-<strong>gehalten</strong> <strong>von</strong> <strong>Sarah</strong> <strong>Koska</strong>:<br />

der Familientag beim „~“-Jubiläum...<br />

3


4<br />

...der Fußball- und Musikwettbewerb und die<br />

Schlußkonzerte <strong>von</strong> Gunter Gabriel und Steffi Stephan


Impressum<br />

Herausgeber<br />

„~“ e.V.<br />

Berliner Platz 8<br />

48143 Münster<br />

Redaktion<br />

Sigi Nasner (V.i.S.d.P.)<br />

Tel.: 0251 / 4909118<br />

E-Mail-Adresse<br />

draussen-redaktion@live.de<br />

Streetwork<br />

Sabrina Kipp<br />

draussen-kipp@hotmail.com<br />

Internetseite<br />

Cyrus Tahbasian, das-kreativ.net<br />

www.muenster.org/draussen<br />

An dieser Ausgabe haben mitgearbeitet<br />

Heinz Dalmühle, Neema Dalmühle, Christian<br />

Döscher, Isabell Fuchs, Horst Gärtner, Lisa<br />

Haalck, Michael Heß, Sabrina Kipp, Sigi<br />

Nasner, Marc Peschke, Jörg Pöpping, Annette<br />

Poethke, Carsten Scheiper<br />

Fotos<br />

Heinz Dalmühle, Michael Heß, Sabrina Kipp,<br />

Markus Kipp, <strong>Sarah</strong> <strong>Koska</strong>, Andreas Löchte,<br />

Sigi Nasner, Frank Struck, TPZ,<br />

Titelfoto<br />

Melanie Bruns<br />

Layout, Titelgestaltung<br />

Heinz Dalmühle<br />

das-kreativ.net<br />

Gestaltungskonzept<br />

Lisa Schwarz/Christian Büning<br />

Auflage 8000<br />

Druck<br />

Borgsmüller Druck<br />

unterstützt durch<br />

Siverdes-Stiftung<br />

Fontshop, Berlin (spendierte<br />

die Satzschrift FF Fago)<br />

Bankverbindung<br />

Sparkasse Münster<br />

Konto-Nr. 33 878<br />

BLZ 400 501 50<br />

Wir danken allen Spendern!<br />

Bitte berücksichtigen Sie<br />

unsere Anzeigenpartner.<br />

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26<br />

Inhalt<br />

Gunter Gabriel in Münster<br />

Steh auf! Mann<br />

Jovel im Jovel<br />

Gelungenes Jubiläumsfest<br />

Kein Bett im Kornfeld...<br />

Fotoaktion mit Andreas Löchte<br />

Soziale Leistungen ausbauen<br />

Bildungsoffensive vorantreiben<br />

Die Schönste im ganzen Land<br />

Kommerzielle Architektur bewirkt Gesichtslosigkeit<br />

Ich verspreche keine Leuchttürme<br />

Gewerbesteuer soll nicht erhöht werden<br />

Die ~ mal <strong>von</strong> drinnen!<br />

Überlebenstraining im organisierten Chaos<br />

Was für ein Theater!<br />

Fortbildungsseminare am TPZ<br />

Ich mag jeden Menschen<br />

Bekennender Alkoholiker und Künstler<br />

Preußenreport<br />

Der lange Weg zum Aufstieg<br />

Reise durch die Kunstgeschichte<br />

Rückbesinnung auf zeitlose Werte<br />

Neues aus dem Familienrecht<br />

Müssen Oma und Opa für die Enkel aufkommen?<br />

Rezepte<br />

Königliches Gemüse einfach zubereitet<br />

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6<br />

Bericht | Text: Gunter Gabriel | Foto:Frank Struck<br />

Gunter Gabriel in Münster<br />

Romantik des Niedergangs oder Brutalität der Wirklichkeit<br />

Obdachlos zu leben ist nicht unbedingt<br />

das schlimmste Dasein, ein bürgerliches<br />

Leben nicht unbedingt das schönste.<br />

Das kann ich natürlich nur deshalb sagen,<br />

weil ich beides erlebt habe, in<br />

meiner kilometerlangen Fahrt durchs<br />

Leben. Ich hab Wochen hinter der Münsterlandhalle<br />

im Wohnwagen verbracht,<br />

Ende der ´80er. In guter Erinnerung.<br />

Aber habe ich mir dabei den Hals gebrochen?<br />

Bin ich damals verhungert? Waren<br />

meine Cowboystiefel nicht trotzdem<br />

geputzt? Gunter Gabriel erinnert<br />

sich und schreibt für die ~.<br />

_Meine Haare -, klar, waren immer so,<br />

als wenn eine Ladung Kanarienvögel<br />

drauf gelandet wären. Aber habe ich<br />

mich deshalb wirklich schlecht gefühlt?<br />

Ich gebe zu, ich war oft einsam, wenn<br />

es dunkel wurde und die Bürger in ihre<br />

Betten krochen oder es sich vorm Fernseher<br />

bequem machten. Das war nicht<br />

immer leicht. Aber als ich mich <strong>von</strong> diesen<br />

Vorstellungen und Phantasien einer<br />

intakten, glücklichen Familienwelt gelöst<br />

hatte, fand ich mein Leben als einsamer<br />

Cowboy weniger dramatisch. Das<br />

als kleine Einleitung zu dem, warum ich<br />

für das Stadtmagazin „~“ am 1. Mai<br />

im Jovel bei Steffi Stephan auf der Bühne<br />

stand mit meiner Band. Soll heißen:<br />

Ich kenne mich aus, ich weiß Bescheid.<br />

Und darum bin ich da.<br />

_Als junger Bengel hab ich den Kopf geschüttelt,<br />

wenn sich zwei darüber unterhielten,<br />

dass sie sich bereits 20 Jahre<br />

kennen. Heute gehöre ich selbst zu der<br />

Riege, wenn ich sage: „Steffi und ich,<br />

wir kennen uns bereits über 30 Jahre.“<br />

Dreißig Jahre!! Verdammt, was für Jahre<br />

dazwischen? Wenn man Steffi sagt,<br />

meint man auch Udo L. Aber ich meine<br />

nur Steffi. Nur Steffi ganz alleine. Als<br />

Typ, als Macker, als Studiomusiker. 1970<br />

lernte ich ihn als Musiker kennen in<br />

Berlin in einem Studio, in dem ich mein<br />

Album aufnahm. Er war mein Wunsch-<br />

bassist und er blieb es. Seitdem verbindet<br />

uns eine lockere Freundschaft. Nicht<br />

mehr und nicht weniger. Später im Jovel-Studio<br />

haben wir einige Songs zusammen<br />

geschrieben und aufgenommen.<br />

Da war noch Frank Diez dabei, der<br />

begnadete Gitarrist <strong>von</strong> Maffay. Pascal<br />

Kravetz auf den Spuren <strong>von</strong> Billy Joel als<br />

Pianomann, Sohn <strong>von</strong> Jean-Jaques.<br />

_Münster, eine Stadt mit der mich noch<br />

mehr verbindet als nur die Musik. Mein<br />

erster Auftritt in der Disco „Riverboat“<br />

nach der ZDF-Hitparade. Die Liebe zu<br />

einem Zigeunermädchen und die Angst<br />

vor ihrem Bruder, der mich erstechen<br />

wollte. Die Zeit, als ich vollkommen abgebrannt<br />

im Wohntruck lebte, die Moonbeats<br />

als Begleitband aus Münster kommend<br />

und dann Enniger, wo mich ein<br />

ziemlich schräges Frauenzimmer beinah<br />

um meinen Verstand brachte. Und um<br />

meinen guten Ruf. Und um Kopf und<br />

Kragen.<br />

_Aber Münster, immer noch lieb und<br />

wichtig für mich, ein Ort der Erinnerung<br />

und ein Ort vieler Freunde.<br />

_Der Anlass, für das Magazin „~“<br />

zu spielen, hat auch damit zu tun, dass<br />

Obdachlosigkeit für mich kein Fremdwort<br />

ist, sondern erlebte Vergangenheit.<br />

Mein Herz schlägt und schlug mein<br />

Leben lang für all jene, die - wie auch<br />

immer - ins Schleudern geraten sind.<br />

Meine Devise heißt nicht Stillhalten und<br />

Verharren in der Situation, sondern<br />

„Steh auf, Mann!“ Mit dieser Botschaft<br />

bin ich am 1. Mai auf die Bühne getreten<br />

und habe einige meiner besten<br />

Songs gebracht. Mit meiner Band und<br />

mit Steffi Stephan. Darüber freue ich<br />

mich.<br />

P.S.: Der Song „Wer einmal tief im Keller<br />

saß“ wurde 1983 <strong>von</strong> mir komponiert<br />

und getextet als Fiktion. Fünf Jahre<br />

später wurde er Wirklichkeit. #<br />

Wer einmal tief im Keller saß<br />

M & T: Gunter Gabriel<br />

Selbst gedrehte Zigaretten<br />

Schnaps aus einem Altbierkrug<br />

Jede Nacht in fremden Betten<br />

Und zum Sattsein nie genug<br />

Keiner kennt die Straßen besser<br />

Und die Einsamkeit der Nacht<br />

Wenn die Kälte durch das Blut fließt<br />

Bis zum Morgen durchgewacht<br />

Wer einmal tief im Keller saß<br />

Wer einmal aus dem Blechnapf fraß<br />

Den lockt man nicht mehr in den Wald<br />

Der sucht nach Liebe und Wärme und<br />

etwas Halt<br />

Ich bin tief gerutscht im Leben<br />

Du kannst der Strohhalm für mich sein<br />

Ich will meine Hand dir geben<br />

Komm, schönes Mädchen, schlag doch ein<br />

Die Bank ist kalt, mein Bart, der kratzt dich<br />

Du siehst noch etwas ängstlich aus<br />

Ich fühl dich warm und ganz nah bei mir<br />

Komm, nimm mich mit zu dir nach Haus<br />

Die Wunden, die das Leben schlug<br />

Ich hab da<strong>von</strong> reichlich genug<br />

Du kannst sie heilen, ganz allein<br />

Dafür will ich dein Schutzschild sein<br />

Gemeinsam sind wir beide stark<br />

Du machst die Dunkelheit zum Tag<br />

Was du mir gabst zu meinem Glück<br />

Ich geb's dir hundertfach zurück<br />

© 1983<br />

Verlag: Puma MV (Meisel, Berlin)<br />

1983 - 1989! Manuskript<br />

Erschienen:<br />

1. als Single-B-Seite <strong>von</strong> „Mein Laster ist<br />

mein Laster“, Hansa 1983<br />

2. auf „Gunterwegs“, Bear Family 2002


Bericht | Text: Sigi Nasner | Fotos: <strong>Sarah</strong> <strong>Koska</strong> und Heinz Dalmühle<br />

Jovel im Jovel<br />

~ feierte Geburtstag<br />

Die ~ hat am 1. Mai ihr 15-jähriges<br />

Bestehen beim und im Jovel am<br />

Albersloher Weg gefeiert. Was alles<br />

berücksichtigt und organisiert und<br />

woran gedacht werden musste, wie<br />

die Feierlichkeiten ablaufen sollten<br />

und über die Höhepunkte, darüber<br />

berichtet Sigi Nasner.<br />

_Der 15. draußen!-Geburtstag sollte ein<br />

ganz besonderes Fest werden, darin waren<br />

sich alle vom ~-Team einig.<br />

Ein buntes Familienfest mit großem Fußballturnier<br />

tagsüber, ein Straßenmusikfestival<br />

am Abend. Wir hätten uns den<br />

Südpark als Festplatz gewünscht, bekamen<br />

aber <strong>von</strong> der Stadt Münster leider<br />

keine Genehmigung. Alternativ wollte<br />

uns die Geschäftsführerin der Halle Münsterland<br />

Frau Paschke den Parkplatz Süd-<br />

Süd der Münsterlandhalle zur Verfügung<br />

stellen, aber dann überraschte uns Steffi<br />

Stephan mit dem Angebot, den Parkplatz<br />

des Jovel als Festgelände zu nutzen. Und<br />

da das Abendprogramm sowieso im Jovel<br />

stattfinden sollte, war das natürlich die<br />

optimale Lösung.<br />

_Die Location war gefunden, die weiteren<br />

Vorbereitungen konnten beginnen.<br />

Da wir die Idee verfolgten, die Abendveranstaltung<br />

im Jovel als Preis-Wettbewerb<br />

für Straßenmusiker durchzuführen,<br />

mussten wir zunächst möglichst viele<br />

Straßenmusiker dafür gewinnen. Deshalb<br />

warben wir auf einer Homepage für<br />

Straßenmusikanten und nach einigen<br />

Anlaufschwierigkeiten fanden sich jede<br />

Menge Interessenten. Für ein aussagekräftiges<br />

Ankündigungsplakat und die<br />

Werbeflyer brauchten wir gute Fotos. Der<br />

Soccer-Court Rummenigge half uns und<br />

stellte uns für Werbeaufnahmen kostenlos<br />

eines seiner Spielfelder zur Verfügung.<br />

Zoo-Direktor Jörg Adler, der die Schirmherrschaft<br />

für das Fest übernommen hatte<br />

und Steffi Stephan sagten als „Fotomodelle“<br />

ihre Teilnahme am Fotoshoo-<br />

ting zu und schnell waren gute Bilder im<br />

Kasten.<br />

_Die WN wollte kostenlos Werbeplakate,<br />

Tickets und Flyer drucken. Leider zogen<br />

sie ihr Angebot unerwartet wieder zurück<br />

und wir gerieten dadurch unter<br />

enormen Zeitdruck. Zum Glück sprang<br />

auf Vermittlung des Enchilada-Chefs<br />

Marcus Gessler die Druckerei <strong>von</strong> Sehnsucht-Design<br />

in die Bresche. Weiter ging's:<br />

Wir brauchten eine Bühne, einen Soccer,<br />

eine Hüpfburg, eine Seifenblasenmaschine<br />

und vieles mehr, was wir für das<br />

bunte Familienfest geplant hatten: Getränkewagen,<br />

Tische und Bänke, Grill,<br />

Fleisch und Vegetarisches, Kaffee und<br />

Kuchen und, und, und ……<br />

_Besonders aufwändig gestaltete sich<br />

die Koordination aller Beteiligten. Etwa<br />

50 Musiker für nachmittags und abends,<br />

der Luftballonkünstler, die Clowns, Fotografen<br />

und Filmemacher und jede Menge<br />

Helferinnen und Helfer, die für die<br />

verschiedenen Stände und den Ablauf<br />

gebraucht wurden, mussten in die Planung<br />

miteinbezogen und informiert<br />

werden. Drei Tage vor dem Fest gab es<br />

eine letzte Besprechung, bei der die<br />

Aufgaben verteilt und endgültige Abläufe<br />

festgelegt wurden und zwei Tage<br />

vorher begann das Heranschaffen des<br />

benötigten Materials. Ein gehöriger<br />

Schock fuhr uns am Aufbautag in die<br />

Glieder: Die <strong>von</strong> der Stadt Münster versprochene<br />

Bühne war nicht mehr da.<br />

„Die letzten Teile sind gestern vom Sportamt<br />

abgeholt worden“, sagte der für die<br />

Bühnenteile zuständige Hausmeister vom<br />

Begegnungszentrum Meerwiese. Doch<br />

Improvisation ist alles! Innerhalb einer<br />

Stunde kümmerten wir uns selbst um<br />

eine Ersatzbühne, was jedoch mit nicht<br />

einkalkulierten, erheblichen Kosten verbunden<br />

war. Der Aufbau selbst ging<br />

dann recht gut voran. Vor allem wenn<br />

man bedenkt, dass wir keine Profis auf<br />

dem Gebiet des Eventmanagements sind<br />

und auch keiner <strong>von</strong> uns jemals ein<br />

solch großes Projekt selbst organisiert<br />

und durchgeführt hatte. Deswegen<br />

konnten wir unsere Arbeit zufrieden mit<br />

der Einweihung des Grills am Abend<br />

krönen.<br />

_Festtagsmorgen! Die Anspannung nahm<br />

nochmals zu. Vieles musste noch in den<br />

letzten Stunden herangeschafft, aufgebaut<br />

und bereitgestellt werden. Aber<br />

zum Glück war uns der Wettergott gnädig.<br />

Die Sonne strahlte vom blauen<br />

Himmel, so dass sich bald der Festplatz<br />

mit neugierigen Gästen füllte. Viele Leute<br />

waren gekommen, um die FIFA-<br />

Schiedsrichterlegende Walter Eschweiler<br />

zu sehen. Er war eigens aus Brüssel angereist,<br />

um bei unserem Fußballturnier<br />

zu pfeifen, und er hatte sichtlich Spaß<br />

bei der Sache. Acht Mannschaften nahmen<br />

teil und die Fußballberber draußen!<br />

05 brachten sogar eine zweite<br />

Mannschaften ins Turnier ein. Die Prominenz,<br />

die spannenden, temporeichen<br />

Spiele und der fachmännische Kommentar<br />

<strong>von</strong> Urs <strong>von</strong> Wulfen ließen das<br />

Turnier zu einem Höhepunkt werden.<br />

Niemand wurde ernsthaft verletzt und<br />

die FB draußen!05 erkämpften sich den<br />

zweiten Platz und den letzten. Aber<br />

nicht nur <strong>von</strong> dem Fußballturnier waren<br />

die Zuschauer begeistert, auch das übrige<br />

Programm kam gut an.<br />

_Zu Beginn des Festes ergriff der Schirmherr<br />

Zoodirektor Jörg Adler das Wort.<br />

„Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass<br />

es vor 15 Jahren noch keine ~ gab.<br />

Münster ohne ~, das wäre wie<br />

Berlin ohne Pankow oder Paris ohne die<br />

Seine“, meinte er. „Ich bin froh, dass es<br />

die ~ gibt.“ Anschließend begann<br />

auf der Bühne ein buntes Programm mit<br />

Breakdance, politischer Sartire und Gedichten,<br />

experimenteller Musik, Blues,<br />

Hipp Hopp und Punk. Aber auch für die<br />

7


8<br />

kleinen Gäste gab es eine große Auswahl<br />

an Unterhaltungsmöglichkeiten: Neben<br />

einer Hüpfburg waren da zwei Stände<br />

für's Dosen- und Pfeilwerfen, ein Malstand,<br />

der Luftballonkünstler, eine Torwand<br />

sowie die unterhaltsamen, zu vielen<br />

Späßen aufgelegten Clowns. Dazwischen<br />

wuselte immer mal wieder einer<br />

der Straßenmusiker, die eigentlich erst<br />

für das Abendprogramm vorgesehen waren,<br />

herum und gab etwas zum Besten.<br />

_Zum wahren Publikumsmagneten entwickelte<br />

sich das Fotozelt, in dem man<br />

sich mit den verschiedensten Requisiten<br />

ausstaffieren und fotografieren lassen<br />

konnte. Dazu gab es einen Kram- und<br />

Bücherflohmarkt, eine große Tombola<br />

und ein Heilpraktiker-Team hatte einen<br />

Info-Stand aufgebaut. Natürlich stand<br />

auch eine reichhaltige Auswahl der verschiedensten<br />

Leckereien zur Verfügung.<br />

Neben gegrillten Köstlichkeiten vom<br />

Rind, Schwein und Huhn gab es eine<br />

Pilzpfanne für die Vegetarier. Nicht zu<br />

vergessen viele leckere Eis- und Kuchensorten<br />

sowie Kaffee, Tee, kühles Blondes<br />

Anzeige<br />

und Antialkoholisches. Alles in allem war<br />

das Familienfest ein toller Erfolg, was<br />

einige Teilnehmer gerne bestätigten.<br />

_Walter Eschweiler sagte kurz vor seiner<br />

Abreise zum Thema Straßenmagazine<br />

und ~: „Ich finde das alles sehr<br />

gut. Das dient dem Miteinander und ist<br />

wichtig für die zwischenmenschlichen<br />

Beziehungen. Auch damit die Kameraden,<br />

die draußen sind, sehen, dass sie<br />

nicht vergessen sind.“ Speziell zum Fest<br />

meinte er: „Wenn man sieht, wie sportlich<br />

die Kameraden miteinander umgegangen<br />

sind, egal, welche Schicksale sie<br />

haben oder sie noch erwarten, dann ist<br />

das à la bon’eur. Vor allem das Fairplay<br />

auf dem ungewohnten‚'grauen Rasen'.<br />

(Gepflasterter Untergrund d. Red.). Ich<br />

wünsche dem Verein, dass er sehr viele<br />

Sponsoren findet. Dem Magazin, dass es<br />

ganz viele Leser findet, dass Leute kommen<br />

und sich das ansehen und dann<br />

wissen: Jeder Mensch kann mal Pech<br />

haben, aber man kann wieder aufstehen.<br />

Und es sollte dann liebe nette<br />

Menschen geben, die einem helfen. Man<br />

muss die Hilfe nur annehmen, dann ist<br />

das eine ganz tolle Sache. Wir, die etwas<br />

bekannter sind, haben die Verpflichtung,<br />

all denen zu helfen, die nicht auf<br />

der Sonnenseite sind.“<br />

_Abends ging das Fest dann im Jovel<br />

weiter, wo 16 Straßenmusiker bzw. Musikgruppen<br />

ihrem Auftritt entgegenfieberten<br />

und darum wetteiferten, einen<br />

der Preise zu erspielen. Das Publikum<br />

war bunt gemischt und sichtlich angetan<br />

<strong>von</strong> den sehr unterschiedlichen Darbietungen<br />

der Akteure. Kris, - der Magier,<br />

der die Wettbewerbsveranstaltung<br />

moderierte, überraschte zwischendurch<br />

immer wieder mit dem einen oder anderen<br />

Zaubertrick.<br />

_Nach dem Straßenmusikerwettbewerb<br />

folgten dann die Höhepunkte des Abends:<br />

Der stadtbekannte Roger Trash gab einige<br />

Songs zum Besten. Danach folgte der<br />

weit über Münsters Grenzen hinaus<br />

bekannte Musiker Gunter Gabriel, der<br />

selbst schon einmal vor Jahren ganz<br />

unten war und darum eine sehr enge<br />

Beziehung zum Thema Obdachlosigkeit<br />

und Straßenzeitungen hat. Zu einem<br />

Mitarbeiter, der die Festlichkeiten mit<br />

der Kamera aufzeichnete, sagte Schirmherr<br />

Jörg Adler abschließend noch: „Ich<br />

wünsche mir, dass es den Leuten <strong>von</strong><br />

~ immer so gut geht, wie denen,<br />

die drinnen sind. Dass die ~ so<br />

bleibt, wie sie ist: mit Biss, mit ihren<br />

Verkäufern, die das Stadtbild <strong>von</strong> Münster<br />

prägen und für mich unwahrscheinlich<br />

wichtig sind.“<br />

Als Hauptakt des Abends stand ein Auftritt<br />

<strong>von</strong> Steffi Stephans Formation „Promenadenmischung“<br />

auf dem<br />

Programm, bei dem die Bandmitglieder<br />

und Freunde um Steffi Stephan alles<br />

gaben, um den Abend zu einem gebührend<br />

schönen Abschluss zu bringen. #


Bericht | Text: Lisa Haalck | Fotos: Andreas Löchte<br />

Kein Bett im Kornfeld...<br />

… sondern ein Sofa im Großzelt<br />

Wer da war, wird sich erinnern: Die<br />

Fotoaktion beim Jubiläumsfest der<br />

~ war wohl eines der witzigsten<br />

Events am 1. Mai. In einem Zelt entstanden<br />

auf einem quietschroten Sofa<br />

durch die Linse <strong>von</strong> Fotograf Andreas<br />

Löchte außergewöhnliche Fotos! Lisa<br />

Haalck, unsere Praktikantin, hat ihn<br />

getroffen und mit ihm ein Gespräch<br />

über die Aktion, das Fotografieren und<br />

die draußen! geführt.<br />

_Man nehme einen versierten Fotografen,<br />

seine geschickte Assistentin und<br />

eine kreative Maskenbildnerin und würze<br />

das ganze mit einem roten Sofa, reichlich<br />

Dekoluftballons und einem bunten<br />

Fundus an Kostümen. So könnte das Erfolgsrezept<br />

der Fotosession auf dem<br />

~-Fest gelautet haben.<br />

_Andreas Löchte, 31 Jahre alt, ausgebildeter<br />

Fotograf, übernimmt an diesem<br />

Tag das professionelle Ablichten und in<br />

,,Szene setzen'' der verkleideten Gäste!<br />

Ein echter Knaller! Bei den Besuchern<br />

kam es super an, genau wie bei Andreas<br />

selbst. „Für den guten Zweck zu arbeiten,<br />

macht eben auch besonderen Spaß!<br />

Toll war der Umgang mit den vielen unterschiedlichen,<br />

bunt gemischten Leuten.<br />

Vom Breakdancer über den Punk<br />

und bis zur Kleinfamilie hat an dem Tag<br />

alles auf dem roten Sofa gesessen! Die<br />

Kostüme boten Möglichkeiten sich in<br />

Pinocchio, Donald Duck, eine Disco<br />

Queen oder den Teufel zu verwandeln!“<br />

_An die Fotoaktion der draußen! ist er<br />

auf Vermittlung <strong>von</strong> Maike Brautmeier<br />

gekommen, die schon öfter für die<br />

~ fotografiert hat. Von ihr stammt<br />

übrigens das Titelbild der Maiausgabe,<br />

der Flyer und das Poster zum Jubiläumsfest.<br />

Die beiden kennen sich gut,<br />

haben sie doch gemeinsam die Künst-<br />

9


10<br />

lerassoziation „MaaL“ (Marktschreier<br />

und ambitionierte Lebenskünstlerin) ins<br />

Leben gerufen, die bereits 2007 erste,<br />

eigenständige Fotoprojekte realisierte.<br />

In 2009 sollen nun weitere gemeinsame<br />

Projekte umgesetzt werden.<br />

_Beide Fotokünstler messen ihrer kreativen<br />

Kooperation viel Bedeutung bei<br />

und legen sich zusammen mächtig ins<br />

Zeug. Für das Team sind feste Räumlichkeiten<br />

im Gespräch und im Bereich der<br />

digitalen Bildbearbeitung werden neue<br />

Möglichkeiten erschlossen.<br />

_Abgesehen <strong>von</strong> der Künstlerassoziation<br />

arbeitet Andreas heute selbständig. Mit<br />

seiner Firma 'alluminati photography'<br />

fotografiert er Werbung, Stillife, Food<br />

und gestaltet Firmenportraits. Ein weiterer<br />

Interessenschwerpunkt liegt auf<br />

der Reise-und Kunstfotografie. „Am liebsten“,<br />

so gesteht Andreas, „fotografiere<br />

ich den Menschen so, wie er ist. Egal ob<br />

alt oder jung!“ Für alle, deren Interesse<br />

geweckt worden ist, sei angemerkt, dass<br />

ab 5.06. 2009 in der Gallerie Michael<br />

Nolte die Vernissage seiner Ausstellung<br />

„Knopfdruck“ stattfindet. Etwa einen<br />

Monat lang sind dort Fotos seiner Weltreise<br />

zu bewundern.<br />

_Sein Lebensmotto fasst Andreas derzeit<br />

so zusammen: FKK! ,,Frauen-Kunst-<br />

Kompromiss“. Denn seit kurzem mit<br />

Anette Löchte verheiratet, gilt es für ihn<br />

jetzt Arbeit und Familienleben unter<br />

einen Hut zu bringen. Die ~ liest<br />

er <strong>von</strong> Zeit zu Zeit, um die Verkäufer zu<br />

unterstützen! Er kennt sogar aus 2004<br />

noch einige beim Namen, denn Andreas<br />

hatte bereits 2004 für die ~ ein<br />

Titelbild im Rahmen der Abschlussarbeit<br />

seiner Ausbildung in Szene gesetzt. Die<br />

~ und ihre Verkäufer gehören in<br />

seinen fachmännischen Augen zum<br />

Stadtbild dazu und sind nicht aus<br />

Münster wegzudenken!<br />

_An dieser Stelle möchten wir uns noch<br />

einmal herzlich bei Andreas, Anette und<br />

Ellen für ihre Arbeit bedanken, ebenso<br />

bei den Sponsoren Poco Möbel, dem Kostümverleih<br />

Münsterland und dem Theaterpädagogischen<br />

Zentrum Münster. #<br />

Für ein Projekt sucht Andreas<br />

Menschen, ,,die im organisierten<br />

Chaos leben''. Sammler, Kreative,<br />

auch <strong>von</strong> ungewöhnlichen oder<br />

verrückten Sachen, sind eingeladen<br />

sich bei Andreas zu melden unter:<br />

info@alluminati.de<br />

oder unter 0251-24 88 917.<br />

Weitere Informationen zu ,,alluminati<br />

photography'' und den Ausstellungen<br />

unter:<br />

www.alluminati.de


Bericht | Text: Michael Heß und Sigi Nasner | Foto: Sigi Nasner<br />

Soziale Leistungen ausbauen<br />

Interview mit dem GAL-Politiker Hery Klas<br />

Münsters Grünen geht es trotz Opposition<br />

gut. Sie sind fast so stark wie<br />

die Roten und gut verankert im bürgerlichen<br />

Milieu. Großen Anteil daran<br />

hat Hery Klas, einer der profiliertesten<br />

und innovativsten Kommunalpolitiker.<br />

Michael Heß und Sigi Nasner trafen<br />

sich mit ihm jüngst auf einen Kaffee<br />

im Kreuzviertel, wo er auch wohnt.<br />

~: Herr Klas, Sie sind einer der<br />

bekanntesten Lokalpolitiker mit hohen<br />

Sympathiewerten. Eine kurze Vorstellung<br />

schadet trotzdem nicht.<br />

Hery Klas: Ich bin Jahrgang 49, habe<br />

Publizistik studiert und danach als freier<br />

Journalist gearbeitet. Mit 36 Jahren<br />

wechselte ich zur Stadtverwaltung Ahlen<br />

und bin dort heute Leiter des Stadtmarketings.<br />

Seit 23 Jahren auch glücklich<br />

verheiratet, aber keine Kinder.<br />

~: Seit wann sind sie in der Lokalpolitik<br />

aktiv?<br />

Hery Klas: Seit 1979 mit der Gründung<br />

der GAL bzw. seit 1980, als sich Münsters<br />

Grüne gründeten. Seit 1994 bin ich Ratsherr,<br />

seit 2000 Vorsitzender der Fraktion.<br />

~: Statt Grüne heißt es manchmal<br />

GAL - was ist der Unterschied?<br />

Hery Klas: Die Grün-Alternative Liste<br />

(GAL) entstand ja vor der Gründung der<br />

Grünen in Bund und Ländern. Solche<br />

lokalen Ansätze gab es damals auch in<br />

anderen Städten wie in Hamburg. Bis<br />

heute besteht die GAL in Münster eigenständig<br />

neben den Grünen weiter.<br />

~: Und wo sind Sie Mitglied?<br />

Hery Klas: Nur noch in der GAL. Bei den<br />

Grünen trat ich 2002 wegen Afghanistan<br />

aus. Aber trotzdem bin ich Vorsitzender<br />

der grünen Ratsfraktion.<br />

~: Man sagt Ihnen ein besonderes<br />

Interesse an Kulturpolitik nach. Welche<br />

Themenfelder halten Sie daneben besetzt<br />

und was liegt Ihnen im Detail besonders<br />

am Herzen?<br />

Hery Klas: Die Migrationspolitik, die ich<br />

bis vor ca. vier Jahren auch aktiv mit<br />

vertrat. Als Vorsitzender der Fraktion<br />

natürlich auch die Bereiche Personal<br />

und Finanzen.<br />

~: Die Grünen sind - ausgenommen<br />

die Jahre <strong>von</strong> 1994 bis 1999 - immer<br />

in der Opposition gewesen. Welche<br />

Erfolge schreiben sie sich vor allem in<br />

den letzten fünf Jahren zu?<br />

Hery Klas: Da denke ich an das Fahrradparkhaus<br />

am Bahnhof und an den<br />

Ausbau des Radwegenetzes. Wir haben<br />

Tempolimits in die Diskussion gebracht.<br />

Die Mittel für Altbausanierung sind auf<br />

unsere Initiative bis auf 500.000 Euro<br />

erhöht worden. Das Umweltamt, Teile<br />

der freien Kulturszene und der Frauenausschuss<br />

sind ebenfalls grüne Gewächse.<br />

Kurz, wir haben eine Menge durchgesetzt.<br />

~: Anders herum gefragt, was<br />

machten CDU und FDP seit 2004 falsch?<br />

Hery Klas: Die Politik kennt heute zwei<br />

große Herausforderungen: den Klimawandel<br />

und die öffentliche Verschuldung.<br />

In Zusammenhang damit werden<br />

den städtischen Unternehmen wie WBI,<br />

Stadtwerken usw. fortlaufend Mittel<br />

entzogen, um Haushaltslöcher zu stopfen.<br />

Das muss aufhören. Oder denken<br />

Sie an die 19 Prozent der Münsteraner<br />

Kinder, die in Armut leben.<br />

~: Und was wollen sie künftig<br />

besser machen, was wollen Sie Großes<br />

erreichen?<br />

Hery Klas: Wir wollen den Haushalt<br />

sanieren, aber nicht auf Kosten sozialer<br />

Leistungen. Wir wollen ein Verkehrskonzept,<br />

das Staus verhindert, und die<br />

städtischen Investitionen verstärkt für<br />

Energieeinsparungen einsetzen. Und wir<br />

wollen eine lokale Bildungsoffensive -<br />

denken Sie an die gerade erwähnten 19<br />

Prozent der Münsteraner Kinder.<br />

~: Grün hat zugunsten des Sozialdemokraten<br />

Wolfgang Heuer auf einen<br />

eigenen OB-Kandidaten verzichtet. Was<br />

hat der grüne Verzicht die SPD gekostet?<br />

Hery Klas: Der Ausstieg aus dem geplanten<br />

Steinkohlekraftwerk in Hamm erspart<br />

der Stadt 40 Millionen Euro. Generell<br />

zeigte das Hin und Her bei der Kandidatenfindung<br />

aber auch, dass wir<br />

Grüne auf Augenhöhe mit der SPD sind.<br />

Der Unterschied zur SPD beträgt gerade<br />

vier Prozentpunkte und ist viel geringer<br />

als zwischen CDU und FDP.<br />

~: FMO, Bahnhof, Geschwindigkeitsbeschränkungen<br />

- was sagt Ihre<br />

Partei zu diesen Projekten?<br />

Hery Klas: Der Ausbau des FMO ist verkehrstechnisch<br />

überflüssig, klimapolitisch<br />

völlig falsch und finanziell ruinös.<br />

Beim Bahnhof muss was passieren, die<br />

Stadt sollte hier als ehrlicher Makler die<br />

Dinge in die Hand nehmen. Wir fragen<br />

kritisch, warum sich im Gegensatz zur<br />

Musikhalle nicht die lokale Wirtschaft<br />

beteiligt. Tempo 50 innerorts möchten<br />

wir generell haben, in Wohngebieten<br />

Tempo 30. Mit Blick auf die Polizeistatistik<br />

möchten wir Grünen gerne auf die<br />

Grünen hören.<br />

~: Unsere Standardfrage: Was<br />

möchten die Grünen wohnungslosen<br />

Menschen in den nächsten fünf Jahren<br />

Gutes tun?<br />

Hery Klas: Generell sind genügend<br />

Wohnungen anzubieten. Ich sehe auch<br />

nicht ein, dass für Obdachlosenheime<br />

11


12<br />

schlechtere Standards gelten sollen als<br />

z.B. für Jugendherbergen. Wir plädieren<br />

außerdem für ein betreutes Wohnen<br />

samt Wiedereingliederung ins bürgerliche<br />

Leben sowie für eine aufsuchende<br />

Gesundheitsvorsorge. Dafür gab es<br />

schon einmal Ansätze, die wieder eingestellt<br />

wurden.<br />

~: Die etwa 10.000 Hartz-IV-Bezieher<br />

in Münster hat Grün nicht vergessen.<br />

Was wird der Münsterpass beinhalten?<br />

Hery Klas: Wir verlangen einen kostenlosen<br />

Zugang zu städtischen Bildungs-,<br />

Kultur- und Sozialangeboten. Bei privaten<br />

Trägern ist der Zugang zu ermäßigen,<br />

auch beim ÖPNV. Darüber hinaus<br />

möchten wir Hartz-IV-Beziehern eine<br />

Grundmenge an Energie (Gas, Strom) zu<br />

günstigen Preisen anbieten. Den Münsterpass<br />

hat es bis 2000 ja schon gegeben<br />

und er wurde gut angenommen. Im Gegensatz<br />

zum Nachfolger Familienpass.<br />

Die Kosten für den neuen Münsterpass<br />

schätzen wir heute jährlich auf eine<br />

Million Euro ein.<br />

~: Ein möglicher Blick in die Zukunft.<br />

Können sich die Grünen mit einer<br />

privat betriebenen Musikhalle anfreunden?<br />

Hery Klas: Ich habe kein Problem damit,<br />

privat kann man ja auch ein Opernhaus<br />

oder eine Rennbahn bauen. Allerdings<br />

macht eine solche Halle kulturpolitisch<br />

keinen Sinn, sie steht für ein falsches<br />

Konzept. Die Aufbruchsstimmung aus<br />

der Kulturhauptstadtbewerbung hätte<br />

fortgesetzt werden müssen.<br />

~: Das Spitzenpersonal der erfolgreichen<br />

Bürgerinitiative gegen die Musikhalle<br />

war oder wurde wenig später<br />

fast ausschließlich Mitglied der Grünen.<br />

Zufall?<br />

Hery Klas: Nein, kein Zufall. Die Initiative<br />

ging ja <strong>von</strong> den Grünen aus, auch<br />

<strong>von</strong> mir. Wir haben die Initiative finan-<br />

Diese Seite wurde gesponsert <strong>von</strong> Zoodirektor Jörg Adler<br />

ziell und organisatorisch maßgeblich<br />

getragen. Das positive Echo in der Öffentlichkeit<br />

sprach für sich und hat<br />

manchen Mitstreiter dann zum späteren<br />

Eintritt bewogen.<br />

~: Mit der Ökologisch Demokratischen<br />

Partei gibt es derzeit eine zweite<br />

Öko-Partei im Rat. Welche Gemeinsamkeiten<br />

sehen Sie und welche Unterschiede?<br />

Hery Klas: Zunächst einmal ist der ÖDP-<br />

Ratsherr Gerd Kersting ein sehr sympathischer<br />

Kollege. Beim Umweltschutz<br />

habe ich eine hohe Meinung <strong>von</strong> der<br />

ÖDP. Familienpolitisch gehen unsere<br />

Meinungen jedoch weit auseinander.<br />

Die Ansicht, Kindererziehung gehöre zur<br />

Frau nach Hause, entspricht einem veralteten<br />

Gesellschaftsmodell, da gehen<br />

die Grünen nicht d'accord.<br />

~: Vor den Grünen liegen dieses<br />

Jahr noch vier Wahlen (beginnend mit<br />

der Europawahl am 7. Juni - die Red.).<br />

Angst, dass den Grünen die Puste ausgeht?<br />

Hery Klas: Nein. Wir sind ja so eine Akademikerpartei,<br />

unsere Wähler haben<br />

einen hohen Bildungsgrad und sind im<br />

Schnitt wohlhabend. Der aufgeklärte<br />

Lehrer - das Bild trifft es. Und diese Leute<br />

gehen zur Wahl, sie sind mobilisierbar.<br />

Je niedriger die Wahlbeteiligung,<br />

desto besser für Grün. Ich habe eine<br />

ganz andere Sorge. Dass nämlich den<br />

Bürgern die Puste ausgeht angesichts<br />

des beginnenden Dauerwahlkampfes.<br />

Dass die Bürger keine Lust mehr haben,<br />

dass ihnen die Plakatierung und so weiter<br />

nur noch auf den Keks gehen.<br />

~: Auf wie viele Zweitstimmen und<br />

Sitze hoffen Sie zur Kommunalwahl?<br />

Hery Klas: Als Fraktionsvorsitzender<br />

begann ich bei elf Prozent der Stimmen.<br />

Jetzt haben wir stabile 19 Prozent, gerne<br />

dürfen es 20 Prozent werden. Wir gehen<br />

<strong>von</strong> ca. 15 Sitzen nach der Wahl aus,<br />

jetzt sind es vierzehn.<br />

~: Die Koalition mit der SPD gilt<br />

als gesetzt. Können Sie sich auch eine<br />

Koalition mit der LINKEN vorstellen, sofern<br />

erforderlich für die Ratsmehrheit?<br />

Hery Klas: Vorstellen kann ich mir alles.<br />

Allerdings kenne ich weder Programm<br />

und noch Personal und kann folglich<br />

auch nicht sagen, worauf ich mich einließe.<br />

~: Noch etwas Persönliches. Sie<br />

haben angekündigt, zur Halbzeit der<br />

kommenden Wahlperiode Ihr Mandat<br />

abzugeben. Für den Rat wäre es nicht<br />

nur unter rhetorischen Aspekten ein<br />

herber Verlust.<br />

Hery Klas: Ich höre auf, weil ich am 30.<br />

März 2012 in den Ruhestand gehe. Meine<br />

Frau folgt einen Monat später. Wir wollen<br />

endlich mal was anderes machen,<br />

zum Beispiel die Welt bereisen. Ob ich<br />

dann nach zwei, drei Jahren wieder gebraucht<br />

werde, wird man sehen.<br />

~: Also doch eine Rückkehr?<br />

Hery Klas: Möglich. Aber nicht als Fraktionsvorsitzender,<br />

sondern vielleicht als<br />

sachkundiger Bürger in einem Ausschuss.<br />

~: Herzlichen Dank für das informative<br />

Gespräch und viel Erfolg in den<br />

kommenden Wahlen. #<br />

In unserer Reihe „Parteien zu<br />

den Kommunalwahlen“ wurden<br />

im Heft 03/09 bereits DIE LINKE<br />

und im Heft 05/09 die UWG vorgestellt.


Bericht | Text und Foto: Michael Heß<br />

Die Schönste im ganzen Land?<br />

Von Würfeloptik und Kundenströmen<br />

Sie sei unter Deutschlands Städten die<br />

schönste, befanden sinngemäß die<br />

Schriftstellerin Ricarda Huch und der<br />

Bundespräsident Theodor Heuss. Es<br />

war bemerkenswert viel Lob für eine<br />

vergleichsweise kleine Stadt wie Münster.<br />

Ob solche Anerkennung heute<br />

noch angebracht ist, ist zu bezweifeln.<br />

Gedanken zur jüngsten Entwicklung<br />

der Innenstadt machte sich ~-<br />

Autor Michael Heß.<br />

_“Der Architekt verspürt bei der Gestaltung<br />

einen Moment der Macht.“ Dies<br />

sagte der international erfolgreiche Architekt<br />

Christoph Sattler - in Münster<br />

baute er das Picasso-Museum und die<br />

„Klostergärten“ - vor wenigen Wochen<br />

vor Architekturstudenten auf dem Leonardo-Campus.<br />

Der Architekt müsse sich<br />

aber dieser Macht bewusst sein, es sei<br />

sehr wichtig, bereits Bestehendes in das<br />

Neue einfließen zu lassen. Im Ergebnis<br />

definiert dies das sich harmonisch entwickelnde<br />

Gemeinwesen als ausgewogene<br />

Balance <strong>von</strong> Neu und Alt, als Rahmen<br />

für zeitgemäß urbanes Leben.<br />

_Bis heute gerne kolportiert wird die<br />

Geschichte <strong>von</strong> Münsters Stadtvätern,<br />

die nach 1945 den Wiederaufbau der<br />

Stadt an anderer Stelle erwogen hätten.<br />

Auch in dieser Erzählung steckt ein wahrer<br />

Kern: Die schweren Bombenschäden, besonders<br />

in der Innenstadt, nach etwa hundert<br />

Luftangriffen machten solche Gedanken<br />

nachvollziehbar. Die Geschichte verlief<br />

glücklicherweise anders. Münsters heutiges<br />

Zentrum erstand nicht nur am alten<br />

Platz, es erstand auch historisierend<br />

und anknüpfend an die zerbombte Architektur<br />

einer alten Bischofs- und<br />

Fernhandelsstadt. Prinzipiell beging<br />

man nicht dieselben Bausünden wie<br />

anderenorts - man denke nur an die<br />

Hohe Straße in Köln oder an den Burgwall<br />

in Dortmund - und erntete wenig<br />

später dafür viel Lob. Nicht unbedingt<br />

für den Turm am Stadthaus I, umso<br />

mehr aber für Prinzipalmarkt und Domplatz<br />

oder einige Jahre später für den<br />

Karstadt-Neubau in den 70er Jahren, der<br />

sich betont an den regionalen architek-<br />

tonischen Traditionen orientierte. Auch<br />

Architektur steht in historischer Verantwortung.<br />

_Diese Erkenntnis der früheren Stadtväter<br />

scheint vergessen. Die Bauprojekte der<br />

jüngsten Zeit, der Kettlersche Hof, die<br />

Münster-Arkaden, die Stubengasse oder<br />

der vorerst geplatzte Neubau des Hafens<br />

zeichnen sich bei aller vordergründigen<br />

Detailverschiedenheit durch starre Uniformität<br />

aus: Die Quaderform dominiert,<br />

die gerade Linie bestimmt die Architektur,<br />

zeitgeistige Baustoffe prägen die Erscheinung.<br />

Diese Gebäude wirken seelenlos<br />

- vorgehängte Fassaden an Betonskeletten,<br />

die den ursprünglichen<br />

Geist des Wortes „bauen“ nicht mehr<br />

treffen. Von der städtischen Tradition<br />

der Jahrhunderte, in der der goldene<br />

Baumberger Sandstein und der rote<br />

Klinker als Leitmaterialien etwas galten,<br />

ist kaum etwas übrig geblieben. Im<br />

Ergebnis passen solche Gebäude gut<br />

nach Berlin, Hongkong oder London,<br />

nach Münster nur dann, wenn über den<br />

Zeitgeist die lokale Baugeschichte konsequent<br />

ausgeblendet wird. Das kleinteilige<br />

Hanse-Carreé neben der<br />

Stubengasse galt da fast schon als<br />

Revolution.<br />

_Ob das Neue mit längst bestehenden<br />

Strukturen abgestimmt wurde, darüber<br />

gibt es seit Jahren eine Debatte in der<br />

Bürgerschaft. Und die Antwort lautet<br />

viel zu oft nein. Die stilistischen Brüche<br />

sind zu stark und zu zahlreich. Sie schaffen<br />

eine kommerzielle Atmosphäre, nicht<br />

aber urbanes Leben nach Ladenschluss.<br />

_Der Mut zum Neuen ist begrüßenswert.<br />

Aber er muss Mittel zum Zweck bleiben,<br />

er darf nicht zum Selbstzweck verkommen.<br />

Er muss das Neue als Kontrapunkt<br />

setzen zur gewachsenen, Identitäten<br />

stiftenden Umgebung. Eine Stadtbücherei<br />

ist phänomenales Erleben. Vier, fünf<br />

solcher Bauten zerstören den genius<br />

loci, dieses durchaus schutzwürdige Gut.<br />

Doch vom dazu berufenen Beirat für<br />

Stadtgestaltung ist kaum Kritik zu hören<br />

an den gesichtslosen Würfeln, bar aller<br />

Traditionen. Wenn sich öffentlicher Protest<br />

erhob, kam und kommt er aus der<br />

Bürgerschaft, nicht <strong>von</strong> den dazu bestimmten<br />

Experten.<br />

_Aber es geht nicht nur um architektonische<br />

Eintönigkeit, unterm Strich bewirken<br />

die Neubauten auch eine Umlenkung<br />

der Kaufkraftströme. Die langjährig<br />

gewachsene Struktur der Innestadt<br />

gerät aus den Fugen, die Fleischtöpfe<br />

werden neu verteilt. Natürlich gibt es<br />

Gewinner und Verlierer. Zu den Siegern<br />

gehören die neue Stubengasse und das<br />

Hansa-Carré. Sie fangen die Kundenströme<br />

aus Richtung Bahnhof zu Lasten<br />

der weiter nordwestlichen gelegenen<br />

Areale auf. Neben Abschnitten der Salzstraße<br />

ist besonders das Kiepenkerl-<br />

Viertel betroffen. Die dortigen Kaufleute<br />

versuchen zwar gegenzusteuern, aber<br />

dies scheint auf Dauer ein hoffnungsloses<br />

Unterfangen, das Verzweiflungsideen<br />

wie die der Brückenverschmalerung<br />

am Spiekerhof - die draußen! berichtete<br />

bereits mehrfach - gebiert. Wo man mit<br />

Preisen keine Kunden mehr locken<br />

kann, soll es der „Erlebnischarakter“<br />

richten. Die bedenkliche Entwicklung im<br />

Großen setzt sich im Kleinen fort. Am<br />

Ende bedingt der Verlust <strong>von</strong> Identitäten<br />

ein mehr an Gesichtslosigkeit.<br />

_Fast schon glücklich muss man vor diesem<br />

Hintergrund über das (vorläufige?)<br />

Ende des Bahnhofsumbaus sein. Es wäre<br />

der nächste überdimensionierte Quader<br />

geworden und der nächste Quell verschobener<br />

Kundenströme. Zumindest<br />

dieser Kelch geht vorerst an Münsters<br />

Bürgern vorbei und manche öffentliche<br />

Klage über das Ende des Projektes darf<br />

privat als erleichterter Seufzer übersetzt<br />

werden. Moderne Architektur muss vorhandene<br />

städtische Strukturen aber<br />

weiterführen anstatt aus ihnen herauszuragen,<br />

erinnert nochmals Christoph<br />

Sattler zu Recht. Es ist eine schöne Vision,<br />

den Neubau des Bahnhofs als Wendepunkt<br />

zu begreifen, die münsterländischen<br />

Bautraditionen wieder aufzugreifen.<br />

Denn es geht um Münster, nicht<br />

um Berlin oder London oder Tokio. #<br />

13


14<br />

Interview | Text: Michael Heß und Sigi Nasner | Foto: Michael Heß<br />

Ich verspreche keine<br />

Leuchttürme<br />

Interview mit FDP-Frau Carola Möllemann-Appelhoff<br />

Ohne Zweifel gehört Carola Möllemann-Appelhoff<br />

zu den weit über<br />

Münster hinaus bekannten Politikerinnen.<br />

Dennoch ist sie für die FDP<br />

„nur“ in der Kommunalpolitik tätig,<br />

dieses aber wirklich erfolgreich. Im<br />

Vorfeld der Kommunalwahl unterhielten<br />

sich Michael Heß und Sigi Nasner<br />

mit der engagierten Ratsfrau über Erfolge<br />

und Vorhaben und erlebten<br />

manche Überraschung.<br />

~: Frau Möllemann-Appelhoff, Ihr<br />

Name ist Programm. Stellen Sie sich bitte<br />

dennoch kurz vor.<br />

Möllemann-Appelhoff: Also ich bin 59<br />

Jahre alt, habe zwei Töchter und arbeite<br />

als Studienrätin am Hiltruper Kant-<br />

Gymnasium für die Fächer Wirtschaft,<br />

Geschichte und Politik. Daneben bin ich<br />

in der Lokalpolitik aktiv.<br />

Anzeige<br />

~: Wann haben Sie mit der Lokalpolitik<br />

begonnen?<br />

Möllemann-Appelhoff: Damit begann<br />

ich sehr früh. Nach der Mitarbeit im<br />

Studierendenparlament wurde ich<br />

sachkundige Einwohnerin im damaligen<br />

Wohnungsausschuss. Heute bin ich<br />

Fraktionsvorsitzende der FDP. Die Kommunalpolitik<br />

mache ich so gerne, weil<br />

man eng im Gespräch mit den betroffenen<br />

Bürgern ist.<br />

~: Hatten Sie jemals landes- oder<br />

bundespolitische Ambitionen?<br />

Möllemann-Appelhoff: Zwischenzeitlich<br />

ja. Sie wurden zurückgestellt, um den<br />

Kindern eine bessere Betreuung zu ermöglichen,<br />

was wegen des Zeitaufwandes<br />

sonst nicht möglich gewesen wäre.<br />

~: Durch Ihren Beruf sind Sie der<br />

Bildungspolitik besonders verbunden.<br />

Welche Themenfelder interessieren Sie<br />

außerdem?<br />

Möllemann-Appelhoff: In der Bildungspolitik<br />

liegt mir die Chancengerechtigkeit<br />

besonders am Herzen. Ich komme<br />

ja <strong>von</strong> einem Bauernhof, bin dort mit<br />

acht Kindern aufgewachsen. Damals<br />

habe ich schon gesehen, wie wichtig<br />

Anstöße zur Förderung sind. Kinder sollen<br />

so viel lernen können, wie sie<br />

möchten.<br />

_Die Finanzpolitik ist mir gleichfalls<br />

wichtig, da sie Rahmenbedingungen für<br />

die Wirtschaft setzt und damit wieder<br />

Ausbildungsplätze im Sinne einer Chancengerechtigkeit<br />

schafft. Finanzpolitik<br />

ist nicht nur als Einnehmen zu verstehen.<br />

Die Einnahmen sind so zu verwenden,<br />

dass sie der Wirtschaft Gestaltungsräume<br />

schafft und sie sind - nebenbei -<br />

die Grundlage aller Ausgaben.<br />

~: Was hat die FDP in der Koalition<br />

mit der CDU seit 2004 erreicht?<br />

Möllemann-Appelhoff: Münster ist in<br />

NRW führend bei der Ganztagsbetreuung,<br />

besondes bei den u3-Angeboten.<br />

Die FDP hat wesentlich früher als andere<br />

erkannt, dass Beruf und Kinder vereinbar<br />

sind. Wir haben wichtige Akzente<br />

bei der Förderung gesetzt, bei Kitas und<br />

Offener Ganztagsschule wollen wir komplette<br />

Gebührenfreiheit bis zu einem<br />

Jahreseinkommen der Eltern <strong>von</strong> 20.000<br />

Euro. Unser Ziel ist es auch, die Geschlossene<br />

Ganztagsschule konsequent auszubauen.<br />

~: Unterstellt, die Wahlen bestätigen<br />

die schwarz-gelbe Koalition. Was<br />

wollen sie in den kommenden fünf<br />

Jahren erreichen?<br />

Möllemann-Appelhoff: Noch nie gab es<br />

in der Bundesrepublik eine so schwierige<br />

Situation wie heute. Ich werde deshalb<br />

keine Leuchttürme versprechen.<br />

Heute weiß jeder, wie angespannt die<br />

finanzielle Situation der Kommunen ist.<br />

Speziell für Münster haben wir drei Bereiche.<br />

Ersten geht es weiter um Investitionen<br />

in Bildung und Erziehung, insbesondere<br />

im u3-Bereich. Zweitens versuchen<br />

wir, in Münster trotz der Haushaltslage<br />

viele Jobs und Ausbildungsplätze<br />

zu schaffen bzw. die Wirtschaft<br />

dazu zu befähigen, diese zu stellen.<br />

Drittens wollen wir die Außenstadtteile<br />

wie Roxel oder Amelsbüren durch die<br />

Ausstattung mit der nötigen Infrastruktur<br />

noch lebenswerter machen. Beispielhaft<br />

hierfür nenne ich das Bürgerhaus<br />

in Kinderhaus mit seinen vielfältigen<br />

Angeboten.<br />

~: Was schätzen Sie am Koalitionspartner<br />

CDU und was weniger?<br />

Möllemann-Appelhoff: Der Umgang<br />

miteinander ist ausgesprochen fair und<br />

konstruktiv, der Ton offen. Das beflügelt<br />

die Arbeit der Fraktion und es war aus<br />

heutiger Sicht richtig, sich 2004 so viel<br />

Zeit mit der Koalitionsvereinbarung zu<br />

nehmen, um alle möglichen Streitpunkte<br />

eindeutig zu regeln.


~: Gelb hat wie Grün auf einen<br />

eigenen OB-Kandidaten verzichtet, allerdings<br />

zu Gunsten der CDU. Welchen<br />

Preis zahlt Schwarz dafür?<br />

Möllemann-Appelhoff: Keinen wie die<br />

SPD (Verzicht auf das Kohlekraftwerk<br />

Hamm - die Red.). Wir haben lediglich<br />

sicher gestellt, dass die FDP auch künftig<br />

in jedem Ausschuss, in Aufsichträten<br />

usw. vertreten sein wird, um dort konstruktiv<br />

mitarbeiten zu können.<br />

~: Gewerbesteuer, Bahnhof,<br />

Straßenausbau generell - was sagt Ihre<br />

Partei zu diesen Projekten?<br />

Möllemann-Appelhoff: Die Gewerbeund<br />

Grundsteuern sollen nicht erhöht<br />

werden, weil dadurch die Unternehmen,<br />

die Vermieter und Mieter zusätzlich<br />

belastet würden. Der Bahnhofsumbau<br />

ist zuallererst Aufgabe der Bahn.<br />

Man kann nicht Milliardengewinne machen<br />

und einen Börsengang anstreben<br />

und auf der anderen Seite die Sanierung<br />

der Bahnhöfe anderen überlassen. Wir<br />

sind bereit, in den Bahnhof fünf Millionen<br />

Euro zu stecken, darüber hinaus<br />

aber keinen Cent. Die Umgehungsstraße<br />

ist weiter auszubauen, weil sie zur Entlastung<br />

der innerstädtischen Straßen<br />

beiträgt. Der Bau der 3. Nordtangente<br />

soll jetzt nicht weiter verfolgt werden.<br />

Die geplante Trasse muss aber im Flächennutzungsplan<br />

für zukünftige Generationen<br />

erhalten bleiben. Durch die<br />

Austermannstraße werden schließlich<br />

Gievenbeck und der Technologiehof<br />

besser erschlossen.<br />

~: Wie interpretieren Sie den<br />

Schuldenstand der Stadt <strong>von</strong> etwa 750<br />

Mio Euro (das sind ca. 2.100 Euro pro<br />

Münsteraner - die Red.)? Wird die Stadt<br />

finanziell handlungsfähig bleiben?<br />

Möllemann-Appelhoff: Vor einem Jahr<br />

hätte ich noch gesagt: Wir bekommen<br />

einen ausgeglichenen Haushalt hin, um<br />

den Schuldenberg endlich abzutragen.<br />

Dieses Ziel ist so schnell nicht mehr zu<br />

erreichen, da niemand weiß, wie lange<br />

die Krise noch anhält. Ich verweise aber<br />

auf das lokale Konjunkturprogramm,<br />

das hoffentlich zu vielen Aufträgen für<br />

kleine und mittlere Unternehmen führt,<br />

um ihnen die Luft zum Atmen zu lassen.<br />

Das nutzt am Ende wieder der Stadt.<br />

~: Die FDP gilt nicht gerade als<br />

Partei des kleinen Mannes. Wie sieht<br />

ihre Vision eines sozial gerechten Gemeinwesens<br />

überhaupt aus?<br />

Möllemann-Appelhoff: Das ist eine<br />

Kommune, die jedem Bürger, der nicht<br />

selber für sich sorgen kann oder Unterstützung<br />

dazu braucht, die Mittel dazu<br />

gibt. Zentraler Punkt ist hier wieder Bildung,<br />

ins Bildungswesen haben wir in<br />

den letzten Jahren deshalb Millionen<br />

investiert.<br />

~: Die FDP steht unter anderem<br />

für die Privatisierung kommunaler Leistungen.<br />

Trifft das auch für Münster zu?<br />

Möllemann-Appelhoff: Vor Jahren<br />

machten wir uns für eine Teilprivatisierung<br />

der Stadtwerke stark. Das ist<br />

bekanntlich gescheitert und heute verhindern<br />

EU-Vorgaben einen erneuten<br />

Vorstoß. Ich erinnere aber daran, dass<br />

die FDP niemals die Privatisierung der<br />

Wohn- und Stadtbau oder anderer<br />

städtischer Einrichtungen forderte.<br />

~: Ist der Münsterpass eine Option<br />

für die FDP? Wenn nein, welche besonderen<br />

Leistungen sieht die FDP für einkommensschwache<br />

Bürger vor?<br />

Möllemann-Appelhoff: Wir werden den<br />

Münsterpass nicht einführen, da wir uns<br />

den Pass schlicht nicht leisten können.<br />

Daneben gibt es bereits viele ermäßigte<br />

Angebote für die Betroffenen in städtischen<br />

Einrichtungen, in Vereinen, beim<br />

ÖPNV usw..<br />

~: Unsere Standardfrage: Was<br />

möchte die FDP wohnungslosen Menschen<br />

in den nächsten fünf Jahren Gutes tun?<br />

Möllemann-Appelhoff: Ein großes Problem.<br />

Als ich noch am Düesbergweg<br />

lebte, habe ich den Beginn des Hach-<br />

Projektes miterlebt. Solche Projekte<br />

wünsche ich mir in stärkerem Maße. Daneben<br />

drängen wir zur Zeit in Düsseldorf<br />

auf eine Korrektur der Fördermittel des<br />

Landes für Münster, um wieder mehr<br />

sozialen Wohnungsbau zu ermöglichen.<br />

~: Können Sie sich eine Zweitauflage<br />

der Musikhalle vorstellen? Wenn ja,<br />

unter welchen Bedingungen?<br />

Möllemann-Appelhoff: Damit bin ich im<br />

Moment überfragt. Die finanziellen Probleme<br />

der Stadt würden größer, nicht<br />

kleiner.<br />

~: Was sind die Wunschergebnisse<br />

der FDP bei der Kommunalwahl?<br />

Möllemann-Appelhoff: Ich würde mich<br />

über eine noch stärkere FDP-Fraktion im<br />

Rat freuen (2004 ergaben 7,9 Prozent<br />

sechs Ratsmandate - die Red.).<br />

~: Sind Koalitionen mit anderen<br />

Parteien als der CDU realistisch?<br />

Möllemann-Appelhoff: Nein. Denn SPD<br />

und Grüne haben sich definitiv festgelegt.<br />

Möglicherweise unter Einbeziehung<br />

der LINKEN. Mit der CDU haben wir<br />

dagegen einen Koalitionspartner, mit<br />

dem wir weiter machen wollen.<br />

~: Die LINKE in Fraktionsstärke im<br />

Rat - eine Schreckensvorstellung für Sie?<br />

Möllemann-Appelhoff: Ich setze mich<br />

mit jedem politischen Kontrahenten<br />

auseinander. Das gilt auch für die LINKE.<br />

~: Wir bedanken uns für das<br />

informative Gespräch und wünschen der<br />

FDP viel Erfolg in den kommenden<br />

Wahlen.<br />

In unserer Reihe „Parteien zu<br />

den Kommunalwahlen“ wurden<br />

im Heft 03/09 bereits DIE LINKE<br />

und im Heft 05/09 die UWG vorgestellt.<br />

Anzeige<br />

15


16<br />

Bericht | Text: Lisa Haalck | Fotos: Andreas Löchte | <strong>Sarah</strong> <strong>Koska</strong><br />

Die ~ mal <strong>von</strong> drinnen!<br />

Eine Praktikantin packt aus<br />

Von Anfang März bis Ende Mai absolvierte<br />

Lisa Haalck ein Praktikum bei<br />

der draußen! Ihrem Berufswunsch auf<br />

der Spur erkundete sie das organisierte<br />

Chaos am Berliner Platz. Als 'Karla<br />

Kolumna' interviewte sie die Münsteraner,<br />

schrieb, las und korrigierte,<br />

tippte, plante und machte Frühstück!<br />

Lisa Haalck über ihr dreimonatiges<br />

Praktikum in der ,,~''-Redaktion!<br />

_Regina steht in der Ecke und kocht,<br />

nein, nicht vor Wut, sondern Kaffee,<br />

ohne den bei ~ rein gar nichts<br />

geht. Die heiße Regina ist auch keine<br />

Praktikantin, sondern die 5-Liter-Kaffeemaschine<br />

und hat ihren Namen bereits<br />

vom Hersteller des Modells bekommen.<br />

Es ist Dienstag, 14 Uhr, Redaktionssitzung.<br />

Im Raum wabert blaugrauer Nebel.<br />

Ich sitze auf der Fensterbank und<br />

versuche dem Diskussionsverlauf zu folgen.<br />

Es geht um die Wurst und dieses<br />

Mal um eine besonders heiße: das Jubiläumsfest<br />

der ~. Die Leute stapeln<br />

sich in der Sitzecke wie das Geschirr<br />

in der Spüle. Die Tür ist nicht mehr<br />

aufzubekommen, Rollstuhl und Kinderwagen<br />

benötigen Platz ebenso wie die<br />

beiden Hunde, das Baby und das Fahrrad.<br />

Spannend! Es wird diskutiert, als<br />

gäbe es kein Morgen. Auf dem Tisch in<br />

der Mitte des Raumes türmen sich mehrere<br />

Dutzend Bagels und Berliner, die<br />

ich vor einer halben Stunde zur allgemeinen<br />

Aufheiterung besorgt habe…<br />

_Berliner Platz 5-8, dritter Stock, erste<br />

Tür rechts. Drei Räume, ein Name, 20<br />

Funktionen. Was sich ,~- Redaktion“<br />

nennt, ist in Wahrheit viel mehr:<br />

Diskussionsforum, Raucherzone, Frühstückspause,<br />

Chatroom, Mittagstisch,<br />

Ideenfabrik, Großeventmanagement,<br />

Lyrikertreffen, Diagnose-Zentrum, Wickelraum,<br />

Hundehütte, Behördenersatz,<br />

Café, Zeitungskiosk, Theaterbühne, Bastelladen,<br />

Callcenter, Ersatzteillager,<br />

Seelsorge, Bäckerei… Einsam ist man<br />

hier nie!!!<br />

_Dreimal in der Woche bin ich hier.<br />

Mein Tag beginnt meistens mit WWW.<br />

,,Das finde ich super, dass finde ich<br />

geil!'' Wolfgangs wahnsinnige Weisheiten.<br />

Diskussionen über das Stranden<br />

<strong>von</strong> Walen, seine Weltuntergangstheorien<br />

veranschaulicht er mit dem wohl<br />

schrumpeligsten Luftballon, den ich jemals<br />

gesehen habe! Dann ein kurzer<br />

Plausch mit Jörg dem coolsten Empfangsherren,<br />

den man sich wünschen kann.<br />

Als nächstes ein Gang zu 'Regina'! Immer<br />

heiß, immer bereit! Wenn ich Glück<br />

habe ist ,,DIE Stimme'' da: Detlev. Mit<br />

seinem Organ erreicht er knapp die<br />

100db Marke. Absolut rekordverdächtig.<br />

Egal ob Alfred, Rudi, Nico und JJ, Jerry,<br />

Anne, Michael mit Annalenchen oder all<br />

die anderen- jeden Tag sitzt ein (zwei,<br />

drei oder fünf…) bekanntes Gesicht auf<br />

dem Redaktionssofa und ist interessanter<br />

Gesprächspartner! Aus dem Nebenraum<br />

schallt Sabrinas und Sigis Lachen.<br />

Unverkennbar! Ich würde behaupten,<br />

hier befindet sich das Herzstück der Redaktion!<br />

Hier werden Artikel empfangen,<br />

getippt, diskutiert, Korrektur gelesen,<br />

Ideen entwickelt und wichtige Telefonate<br />

geführt! Hier ist Raum für ,,Gespräche<br />

unter vier Augen'', Interviews<br />

und vor allem eines: das Lager der unzähligen<br />

Pappkartons, die das Wesentliche<br />

beinhalten: die ZEITUNGEN! Noch<br />

ein Raum weiter die Ruheoase der dreiteiligen<br />

Redaktion - das Büro <strong>von</strong> Heinz,<br />

dem Graphiker, und seiner Praktikantin.<br />

Hier kehrt das ein, was im ersten Raum<br />

undenkbar wäre: Stille! Hier brauche ich<br />

um den Bildschirm zu erkennen keinen<br />

Nebelscheinwerfer, denn es wird kaum<br />

geraucht! Hier bin ich auch am produktivsten.<br />

Dafür ist es im ersten Raum<br />

wesentlich unterhaltsamer…<br />

_Es waren drei lehrreiche und unglaublich<br />

bereichernde Monate! Lustig war´s,<br />

oft interessant und manchmal langweilig!<br />

Mit offenen Armen hat man mich<br />

empfangen, mir geduldig verschiedene<br />

sozialen Einrichtungen gezeigt und erklärt!<br />

Ich hatte Verabredungen mit dem<br />

Treffpunkt an der Clemenskirche, dem<br />

Haus der Wohnungslosen, ich habe mich<br />

mit so vielen interessanten Menschen<br />

unterhalten, die wildesten Theorien zur<br />

Gesellschaft interpretiert und die berührendsten<br />

Lebensgeschichten gehört! Ich<br />

wurde Zeuge <strong>von</strong> Sabrinas und Sigis<br />

Organisationstalent, ich habe gelernt<br />

Tombolapreise thematisch zu sortieren<br />

und Kinder-T-shirts mit Riesenstempeln<br />

zu bedrucken! Ich weiß jetzt, wie man<br />

Münsters Kaufleute zur Teilnahme an<br />

einer Tombola motiviert und bin zur<br />

Herrscherin der Diktiergeräte geworden.<br />

Ich habe Interviews geführt und Artikel<br />

geschrieben, die Spülmaschine ein- und<br />

ausgeräumt! Ich weiß, wie man gleichzeitig<br />

Eier und Kaffee kocht, nebenbei<br />

30 Stullen schmiert und das bitte pünktlich<br />

bis 11h. Ich habe Perioden der<br />

Langeweile überbrückt, indem ich mich<br />

bis zum Jahrgang 1995 in die ~<br />

eingelesen habe. Ich kenne nun fast alle<br />

Verkäufer mit Namen und liebe es<br />

durch die Stadt zu laufen und mich in<br />

ein Gespräch verwickeln zu lassen, sei<br />

es über VW-Käfer oder Schabebilder!<br />

_Empfehlenswert ein Praktikum bei der<br />

~? Auf jeden Fall! Mitzubringen<br />

sind Geduld, Eigeninitiative, Freude am<br />

Kontakt mit unterschiedlichen Menschen,<br />

Neugier und eine gewisse Resistenz<br />

gegen Zynismus, besonders wenn<br />

es um WWW geht.<br />

_Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat<br />

zwei! Das Praktikum ist also nun offiziell<br />

vorbei, aber wie heißt es doch so schön:<br />

Man sieht sich immer zweimal im Leben!<br />

_Danke für alles! Ihr seid der Hammer!<br />

Ich wünsche euch allen- den Verkäufern<br />

und den Leuten aus der Redaktion- alles<br />

alles Gute! Haltet die Ohren steif!<br />

Eure Lisa<br />

P.S. Liebe Sabrina, der Pudel sieht fantastisch<br />

aus :°) !


Bericht | Text: Isi Fuchs | Foto: Heinz Dalmühle<br />

Reifer geworden?<br />

Mein Jahrespraktikum bei ~<br />

Jetzt wird es Zeit Abschied zu nehmen.<br />

Am 8. Mai endete mein Jahrespraktikum<br />

bei der „~“ und deswegen<br />

möchte ich Ihnen <strong>von</strong> dem knappen<br />

Jahr als Gestalterin bei der tollsten<br />

Straßenzeitung der Welt erzählen.<br />

_Zum Praktikumsplatz selbst bin ich<br />

durch einen Zufall gekommen. Ich war<br />

auf einem Gymnasium und wollte dieses<br />

nach der Klasse 12 verlassen. In NRW<br />

hat man dann den theoretischen Teil<br />

der Fachhochschulreife, mit einem einjährigen<br />

Praktikum dann die voll anerkannte<br />

FHR. Da ich aus Ibbenbüren komme,<br />

machte ich mich also im Umkreis<br />

auf die Suche, immer wieder standen<br />

Absagen auf der Tagesordnung: „ Wir<br />

haben schon eine Praktikantin“, „Wir<br />

nehmen keine Praktikanten“, „Wir sind<br />

ein zu kleines Unternehmen“… Im Februar<br />

2008 traf ich dann am Hörstler<br />

Bahnhof den Bruder vom damaligen<br />

Chefredakteur Gerrit Hoekman und, da<br />

der Zug auf unbestimmte Zeit Verspätung<br />

haben sollte, kamen wir ins Gespräch<br />

und ich erzählte <strong>von</strong> meiner Suche<br />

nach einem Jahrespraktikumsplatz.<br />

Martinus Hoekman erzählte mir <strong>von</strong> der<br />

„~“ und gab mir die Telefonnummer<br />

der damaligen Redaktionsräume in<br />

der Overbergstraße. Nur ein einziges Telefonat<br />

und ich hatte den Platz!<br />

_Im Mai war ich dann zum ersten Mal<br />

mit meinen Eltern dort, um den Vertrag<br />

zu unterschreiben. Zuerst bekamen wir<br />

einen riesigen Schreck, wie sollte man<br />

denn in diesem kleinen Kabuff eine Zeitung<br />

machen? Aber die freundliche Art<br />

<strong>von</strong> Gerrit überzeugte mich und ich wollte<br />

unbedingt die Schule verlassen. Im<br />

Juli begann ich dann die Tage bis zum<br />

Arbeitsbeginn zu zählen, ich war tierisch<br />

nervös, als es dann Anfang August soweit<br />

war. Mit einer freundlichen Begrüßen<br />

und dem Vorstellen der anderen<br />

Mitarbeiter Sabrina und Jörg wurde mir<br />

direkt mein Computer zugewiesen. Meine<br />

erste Aufgabe bestand darin zu lernen,<br />

wie man Kurzmeldungen schreibt.<br />

So verbrachte ich meinen ersten Monat<br />

damit zu recherchieren und Meldungen<br />

zu schreiben. Man ist total stolz, diese<br />

Meldungen dann abgedruckt im Heft<br />

wieder zu finden. Mitte des Monats kam<br />

der damalige Layouter Jörn zu uns und,<br />

da ich mich für die Gestaltung beworben<br />

hatte, konnte ich ihm das erste Mal<br />

über die Schulter schauen und später<br />

sogar selbst Artikel setzen.<br />

_Gerrit und Jörn verließen die „~“<br />

nach 2 Monaten meines Praktikums während<br />

des Umzugs in die größeren Räume<br />

am Berliner Platz. Mein neuer „Chef“<br />

wurde Heinz Dalmühle, jetzt konnte ich<br />

mich ganz auf das Layouten konzentrieren,<br />

da Heinz jeden Tag da war und mir<br />

sehr viel beigebracht hat. Mit einem<br />

Handbuch, durch Ausprobieren und mit<br />

Heinz' Hilfe lernte ich schnell und konnte<br />

selbstständig Bilder bearbeiten, Artikel<br />

layouten und Anzeigen gestalten.<br />

_Da wir immer erst am 15. eines Monats<br />

mit dem Setzen der Artikel beginnen<br />

konnten, hatte ich außerdem auch viele<br />

andere Aufgaben. So musste ich Anfang<br />

des Monats die Abos und die Anzeigenrechnungen<br />

wegschicken, war für die<br />

Verkäuferausweise zuständig, kleine<br />

Bastelarbeiten fielen mir zu und ich war<br />

mit dem ~-Verkäufer Detlef in der<br />

Stadt unterwegs, um Tombolapreise für<br />

unsere Verlosung zu sammeln. Ab und<br />

zu erledigte ich kleine Einkäufe und gab<br />

die Zeitungen heraus, so wurde es selten<br />

langweilig und es gab viel Abwechslung.<br />

Hier und da wurde man <strong>von</strong><br />

Verkäufern auf einen Kaffee, eine Zigarette<br />

oder etwas zu essen eingeladen.<br />

_Am liebsten aber war mir die Arbeit an<br />

der Zeitung. Es ist eine wahre Meisterleistung,<br />

die Zeitung bis zum Abgabetermin<br />

der Druckerei fertig zu haben.<br />

Denn gerade wenn man denkt, man hat<br />

es geschafft, kommen immer wieder<br />

kurzfristig Änderungen dazu, manchmal<br />

sind nicht alle Artikel fertig oder man<br />

wartet auf ein paar Anzeigen, die noch<br />

gesetzt werden müssen, darum gilt<br />

mein ganzer Respekt Heinz. Er sorgt immer<br />

wieder dafür, dass die Zeitung<br />

pünktlich erscheint und macht dafür<br />

auch mal die Wochenenden durch.<br />

_Die Maiausgabe überließ Heinz fast<br />

komplett mir. Es musste ein Plan gemacht<br />

werden, ich musste alle Anzeigen<br />

sammeln, Seiten für die Artikel festlegen,<br />

Bilder bearbeiten, auf Artikel warten,<br />

die Texte müssten korrigiert werden<br />

und ich musste zusehen, dass ich alles<br />

unterbringen in der Zeitung konnte.<br />

Man sehe und staune, mit Hilfe der anderen<br />

habe ich es tatsächlich hinbekommen.<br />

Natürlich hat Heinz mir an<br />

vielen Stellen helfen müssen, weil ich<br />

längst noch nicht alles kann, aber alles<br />

in allem bin ich sehr zufrieden mit der<br />

Maiausgabe.<br />

_Der April war generell sehr anstrengend<br />

für uns alle, wir mussten die letzten<br />

Vorbereitungen für die Jubiläumsfeier<br />

treffen und durften dabei die Zeitung<br />

nicht außer Acht lassen. Leider war ich<br />

bei dem Fest nicht dabei, aber ich hoffe,<br />

dass die „draußen“ mindestens noch<br />

mal so alt wird und noch viele Erfolge<br />

feiert.<br />

_Nun geht mein Jahr bei der „~“<br />

zu Ende, ich habe in dieser Zeit viel gelernt,<br />

so fällt es mir zum Beispiel leichter<br />

auf Menschen zuzugehen und ich<br />

bin, wie meine Eltern sagen, auch reifer<br />

geworden (mit Mitte 20 sollte man das<br />

auch meinen).<br />

_Auf diesem Weg möchte ich allen Mitarbeitern<br />

und Verkäufern der „~“<br />

für das tolle Jahr danken und hoffe,<br />

dass mir auch zukünftig die Tür für<br />

einen Besuch immer offen steht. #<br />

~ bietet jetzt eine neue<br />

Praktikantenstelle für Mediengestalter<br />

zur Unterstützung beim Zeitungslayout.<br />

Meldet euch bei Heinz Dalmühle<br />

Ruft an: Tel.: 0251-4909118<br />

17


18<br />

Bericht | Text: Lisa Haalck | Fotos: TPZ<br />

Was für ein Theater!<br />

Persönlichkeitsentwicklung auf der Bühne<br />

Alles dreht sich ums Schauspielen im<br />

Theaterpädagogischen Zentrum (TPZ)<br />

Münster. Groß und Klein sind eingeladen<br />

in Rollen zu schlüpfen, Theaterstücke<br />

zu entwickeln, zu probieren, zu<br />

improvisieren und kreativ zu werden.<br />

Lisa Haalck über die Arbeit und die Bedeutung<br />

des TPZ Münster.<br />

_Stehen auf den Brettern, die die Welt<br />

bedeuten, das kann man im Theaterpädagogischen<br />

Zentrum in der Achtermannstraße<br />

24 in Münster. Egal für welche<br />

Altersklasse und Zielgruppe, egal, ob<br />

es sich um die Kunst des Bauchredens,<br />

die Entwicklung eines abendfüllenden<br />

Bühnenprogramms oder das Erlernen<br />

der Improvisation handelt, im TPZ ist<br />

man an der richtigen Adresse. Das breit<br />

gefächerte Angebot reicht <strong>von</strong> Theaterkursen<br />

und Ferienaktionen für Kinder ab<br />

sechs Jahren über Theater mit Jugendlichen,<br />

Frauentheater, Improvisationstheater<br />

für Anfänger und Fortgeschrittene<br />

bis hin zum Seniorentheater. Der<br />

Schwerpunkt liegt auf Fortbildungen für<br />

Lehrer, Studenten und alle Interessierten<br />

in der Theaterpädagogik. Das TPZ<br />

unterstützt Schulen bei ihren Theaterprojekten,<br />

arbeitet im offenen Ganztagsbereich<br />

und bietet Theaterklassenfahrten<br />

nach Nottuln an. Neben den<br />

Kursen entstehen Theaterproduktionen<br />

zu unterschiedlichen Themenschwerpunkten<br />

und im Projekt ,,Studienhospital''<br />

verkörpert ein 50-köpfiges Team<br />

aus Theaterpädagogen und Teilnehmern<br />

Anzeige<br />

der Theaterkurse für Medizinstudenten<br />

der Universität Münster Simulationspatienten.<br />

_Die Theaterpädagogik fördert die Persönlichkeitsentwicklung<br />

jedes Menschen<br />

und verfolgt somit ein pädagogisches<br />

Ziel über das Mittel ,,Theater''. Beim<br />

Theaterspielen kann der ganzheitliche<br />

Mensch miteinbezogen werden: seine<br />

Bewegung, seine Stimme, seine Gefühle,<br />

seine Wahrnehmungen, sein Denken<br />

und Handeln. Der Phantasie sind keine<br />

Grenzen gesetzt. Theater fördert die<br />

Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung<br />

des anderen, ist Medium zur<br />

Kommunikationsverbesserung und ermöglicht<br />

die aktive Teilnahme am kulturellen<br />

Leben. Theaterpädagogen können<br />

in verschiedensten Bereichen arbeiten<br />

<strong>von</strong> der Kinder- und Jugendarbeit<br />

bis hin zur Arbeit mit Menschen<br />

mit Behinderungen, man findet sie in<br />

Unternehmen ebenso wie auf der Straße.<br />

Das Agieren auf der Bühne hat eine<br />

ganz eigene Wirkung auf den Darsteller<br />

und den Zuschauer.<br />

_Zurzeit gibt es ca. 30 Theaterpädagogische<br />

Zentren in Deutschland, die neben<br />

Jugendkunstschulen und Musikschulen<br />

die 3. Säule kulturpädagogischer<br />

Bildungsarbeit bilden. Das TPZ<br />

Münster unter der Leitung <strong>von</strong> Volker<br />

Kuhlhüser existiert seit 1998. Damals<br />

nach seiner Theaterpädagogischen Ausbildung,<br />

inspiriert vom TPZ Lingen, ent-<br />

stand bei Volker Kühlhäuser der Wunsch,<br />

auch in Münster eine solche Einrichtung<br />

zu schaffen. Gemeinsam mit einem<br />

Freund entwickelte er ein Konzept und<br />

schon kurze Zeit später zog das TPZ neben<br />

die Kulturschiene in den Bahnhof<br />

ein. Seit 5 Jahren ist es nun in der Achtermannstraße<br />

zu finden. Letztes Jahr<br />

erst feierte das TPZ 10-jähriges Bestehen.<br />

_Das Interesse an Theater, Kursen und<br />

Fortbildungen ist zwar groß, aber auch<br />

hier sind die Auswirkung der wirtschaftlichen<br />

Krise zu spüren, wenn das Geld<br />

für Freizeitaktivitäten nicht mehr so<br />

locker sitzt. Das TPZ wird als Verein nicht<br />

öffentlich gefördert und ist neben den<br />

Einnahmen aus den Kursgebühren auf<br />

Patenschaften und Spenden angewiesen.<br />

Schließlich soll das 15-köpfige Team<br />

<strong>von</strong> Theaterpädagogen auch in Zukunft<br />

dafür sorgen können, dass Groß und<br />

Klein die Bühne für sich entdecken. #<br />

Weitere Informationen zu Kursen,<br />

Projekten und Fortbildungen unter<br />

www.tpz-muenster.de


Bericht | Text: Lisa Haalck | Foto: <strong>Sarah</strong> <strong>Koska</strong><br />

Ich mag jeden Menschen!<br />

Verkäuferportait Kurt<br />

Wer Kurt kennt, kennt auch seine<br />

Schabebilder! Seit Anfang April ist er<br />

Verkäufer bei der ~ und bekannt<br />

für seine besondere künstlerische Leidenschaft.<br />

Mit unserer Praktikantin<br />

Lisa Haalk sprach Kurt über Herzenswünsche,<br />

Stigmatisierung, die ~<br />

und seine Kunst.<br />

_,,Arbeit, soziale Kontakte und eine Lebensgefährtin“-<br />

gewöhnliche Wünsche<br />

für einen außergewöhnlichen Mann.<br />

„Die Zukunft: abgeharkt!“, wie er sagt,<br />

aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Die<br />

Hoffnung, dass seine Herzenswünsche<br />

doch noch in Erfüllung gehen! Kurt, ist<br />

seit April Verkäufer bei der ~. Für<br />

ihn eine Aufgabe, die ihn vom Alkohol<br />

weg hält. Ein Tag, zwei Schichten à sechs<br />

bis sieben Stunden, in denen er das tut,<br />

was er am meisten mag: arbeiten!<br />

_Ein bewegtes Leben hat er hinter sich.<br />

In Arnsberg geboren, wächst er in einer<br />

achtköpfigen Familie auf. Als ältester<br />

Sohn trägt er die Verantwortung für die<br />

Geschwister mit. In seiner Jugend ist er<br />

erfolgreicher und leidenschaftlicher<br />

Boxkämpfer und Fußballspieler. Nach<br />

der Lehre zum Kfz-Mechaniker folgt der<br />

15-monatige Grundwehrdienst, dann<br />

arbeitet er als Betriebsschlosser und im<br />

Wachdienst in Münster und Trier. Frau<br />

und Kinder gesellen sich zu seinem<br />

Glück dazu. 20 Jahre lang ist er auf<br />

Montage in allen möglichen Orten:<br />

Stahlbau, Atomkraftanlagen, Türen,<br />

Fenster, Fassaden. Im Rückblick auf<br />

diese Zeit meint Kurt:,,Ich habe mein<br />

ganzes Leben malocht!“<br />

_An seiner Arbeit ist schließlich seine<br />

Ehe zerbrochen. ,,Ich war ja nie zu Hause!“,<br />

gesteht er freimütig. Diese Krise ist<br />

der Wendepunkt in seinem Leben, der<br />

Beginn seiner Alkoholabhängigkeit.<br />

,,Ich bin sensibel. Das war hart für<br />

mich! Aber ich habe nie getrunken,<br />

wenn ich arbeiten musste!“, sucht Kurt<br />

sich zu rechtfertigen. Deswegen ist er<br />

auch überzeugt, dass Arbeit das einzige<br />

ist, was ihn längerfristig vom Alkohol<br />

abhalten würde. Kontakt zu seiner Frau<br />

hat er noch, seine Söhne hat er jahrelang<br />

schon nicht mehr gesprochen. Seit<br />

2005 ist er arbeitslos - seitdem keine<br />

Festanstellung mehr, nur gelegentliche<br />

Zeitverträge oder Aushilfsjobs. ,,Ich bin<br />

zu alt!'', klagt er, „wieder mal fallen<br />

Fähigkeiten und Berufserfahrungen unter<br />

den Tisch, weil andere Arbeitnehmer<br />

vielleicht ein paar Jahre weniger auf<br />

dem Buckel haben…“<br />

_Ganz offen redet Kurt über seine Alkoholabhängigkeit.<br />

Beeindruckend ist seine<br />

Prinzipientreue, die er im Umgang<br />

mit seiner Sucht an den Tag legt. Kein<br />

Tag beginnt mit Alkohol - das möchte er<br />

nicht. Statt morgens nach dem Aufstehen<br />

zur Flasche zu greifen, brüht Kurt<br />

sich lieber Kaffee auf. Drei bis vier Kannen<br />

am Tag dürfen es schon sein! Acht<br />

bis zehn Tage im Monat macht Kurt<br />

einen Selbstentzug zuhause. Acht Tage,<br />

in denen er sich <strong>von</strong> der Außenwelt abschottet,<br />

ohne menschliche Hilfe, ohne<br />

Medikamente und Betreuung, acht Tage<br />

mit heftigen Entzugserscheinungen.<br />

Und warum? ,,Weil ich das so will“,<br />

antwortet Kurt entschlossen. Der Wille<br />

steht ihm in sein bärtiges, lächelndes<br />

Gesicht geschrieben!<br />

_Die Therapien in den Kliniken haben<br />

nichts gebracht- die Versuchung zur<br />

Flasche zu greifen ist in seinem Alltag<br />

einfach zu hoch, besonders wenn der<br />

Nachbar in seinem Wohnheim auch<br />

immer zu tief ins Glas schaut. ,,Es ist<br />

eben alles nicht so leicht. Ich bin Frusttrinker!''<br />

Hartz-IV, Krankheiten, Absagen<br />

<strong>von</strong> Arbeitgebern, Einsamkeit, die<br />

Wohnsituation im Hachprojekt (Betreutes<br />

Wohnen für Obdachlose) - ein Haufen<br />

Frust zum Ertränken. Besonders hart<br />

trifft ihn die Stigmatisierung im Alltag<br />

oder beim Arbeitsamt, wenn er offenbart,<br />

dass er ein Alkoholproblem hat<br />

oder wo er wohnt. ,,Wenn ich meine<br />

Adresse angebe, bin ich meistens schon<br />

unten durch. 'Wir melden uns dann....'<br />

heißt es mit geheuchelter Freundlichkeit<br />

daraufhin immer!'' Schade, der Wille<br />

allein scheint nicht immer zu zählen…<br />

_Trost spendet Kurt in seiner Situation<br />

sein künstlerisches Engagement. Hunde,<br />

Katzen, Delfine, Leoparden, alle als<br />

Schabebilder liebevoll und geduldig<br />

angefertigt. Beim ersten Vorstellen in<br />

der ~ war er damit sofort aufgefallen!<br />

Mit ein paar Bildern war er in die<br />

Redaktion gekommen und hatte sie voller<br />

Begeisterung präsentiert. Das Anfertigen<br />

eines Schabebildes ist für Kurt<br />

die Möglichkeit zur Entspannung und<br />

Beruhigung. Sie erfordern ein hohes<br />

Maß an Konzentration, Geduld und Disziplin.<br />

Mehrere Stunden ist Kurt mit so<br />

einem Bild beschäftigt. Das macht er<br />

gern, darin ist er gut. Talent hat er - das<br />

haben ihm die Ergotherapeuten bescheinigt.<br />

Er ist zu Recht stolz auf seine Bilder.<br />

,,Ich fühle mich einfach wohl, wenn<br />

ich an meinen Bildern arbeite. Dann<br />

komme ich auf andere Gedanken!``<br />

Nachts um zwei zum Beispiel, wenn er<br />

aufsteht. 1987 hat Kurt während einer<br />

Ergotherapie im ersten Entzug die Schabebilder<br />

für sich entdeckt. ,,Seitdem<br />

gibt es nix anderes mehr für mich. Malen<br />

oder Körbe flechten- nein danke``.<br />

_Jeden Tag steht er bei Rewe an der Metzerstraße.<br />

Der Verkauf läuft gut. ,,Ich bin<br />

immer freundlich und versuche nicht<br />

aufdringlich zu sein!'' Kommunikativ ist<br />

er, unser Kurt. ,,Ich mag jeden Menschen,“<br />

verrät er sein Erfolgsrezept. Für<br />

ihn ist der Verkauf der ~ eine<br />

Möglichkeit mit Menschen in Kontakt zu<br />

kommen und eine echte Bereicherung<br />

seines Lebens. Wenn Sie Kurt das nächste<br />

Mal treffen, fragen Sie ihn ruhig<br />

nach seinen Schabebildern. Ob er zu<br />

den besten Schabebildermachern gehört,<br />

kann ich nicht sagen, denn ich<br />

kenne nur diesen einen. Aber eines<br />

kann ich Ihnen versprechen: Er gehört<br />

bestimmt zu den leidenschaftlichsten! #<br />

Tauschrausch:<br />

~-Tauschaktion immer noch<br />

aktuell: www.muenster.org/draussen/tauschrausch.html<br />

19


20<br />

Bericht | Text: Jörg Pöpping | Foto: Markus Kipp<br />

Preußen Report<br />

SC Preußen Münster 1906 und seine Geschichte - Teil 1<br />

Der lange Weg zum Aufstieg ist um ein<br />

Kapitel reicher: mal Top, mal Flop und<br />

letztendlich das Ziel verpasst. So sind<br />

die Höhepunkte der Saison wohl zum<br />

einen in dem Auswärtskantersieg gegen<br />

Essen zu sehen und zum anderen<br />

im Erreichen der DFB-Pokal-Hauptrunde.<br />

Bei entsprechendem Losglück<br />

für Preußen Münster winken attraktiven<br />

Gegner wie Bayern München,<br />

Schalke 04 und Co. In die Fußballgeschichte<br />

<strong>von</strong> Preußen Münster muss<br />

man schon weit zurückschauen, um<br />

diese klangvollen Namen als Gegner<br />

wiederfinden zu können. Jörg Pöpping<br />

berichtet.<br />

Anzeige<br />

Presse und Informationsamt<br />

Tausend Fragen - eine Adresse<br />

Infos, Service und Veranstaltungstipps im Stadtnetz<br />

www.muenster.de<br />

Portal für Münster und das Münsterland<br />

www.muenster.de/stadt<br />

Virtuelles Rathaus mit Online-Diensten und Infos<br />

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Alles online: Die Stadt in Wort, Bild, Film und Ton<br />

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www.muenster.de/stadt/awm<br />

Abfall und Recycling, Entsorgungskalender<br />

www.muenster.de/stadt/wohnungsamt<br />

Wohngeld, Online-Mietspiegel, Wohnungs-Tipps<br />

www.muenster.de/stadt/sozialamt<br />

Ihr gutes Recht auf Hilfe in vielen Lebenslagen<br />

_Wie wurde eigentlich der SCP gegründet?<br />

Blicken wir zurück in das Jahr 1904.<br />

Denn der SC Preußen Münster war nicht<br />

der erste Fußballverein in der Domstadt.<br />

Nein, diese Ehre gebührte dem Fußballclub<br />

Münster, der sich eben im Jahre<br />

1904 gründete. Im September 1905 meldete<br />

sich der FC Münster dann beim<br />

Rheinisch-Westfälischen Spielverband<br />

mit 14 Mitgliedern an, was diesem ermöglichte<br />

mit anderen Fußballklubs<br />

aus Westfalen Wettspiele auszutragen.<br />

Im selben Jahr und Monat gastierte<br />

dann sogar der FV Werder Bremen<br />

(heute: SV Werder) in Münster und<br />

schlug den FCM mit 6:2. Die Bremer<br />

Gäste könnte man als Entwicklungs-<br />

helfer in Sachen Fußball in Münster bezeichnen,<br />

da die Werderaner bereits<br />

1899 <strong>von</strong> Zöglingen lokaler Handelsbürger<br />

gegründet worden waren und aus<br />

dem Umstand, dass sie seit 1902 gegen<br />

ausländische Mannschaften antraten,<br />

selbstredend über einen erheblichen<br />

Vorsprung verfügten. Mit der Saison<br />

1906/07 beteiligte sich der FC Münster<br />

an den Rundenspielen und absolvierte<br />

seine Heimspiele im Innenraum der<br />

Radrennbahn am Schiffahrter Damm.<br />

1906 gründete sich mit dem Ballspielverein<br />

(BV) und (unserem) FC Preußen<br />

Münster zwei weitere Fußballvereinigungen<br />

in Münster. Preußen Münster<br />

war in seinen Anfängen eigentlich ein<br />

Schülerverein, der aus der Klassenelf<br />

der Untersekunda der Oberrealschule<br />

hervorging (heute: Johann-Conrad-<br />

Schlaun-Gymnasium). Einige Schüler<br />

waren zuvor bereits im „Fußballclub<br />

Kaolle Föte“ aktiv - einem „wilden<br />

Verein“ -, dessen Spielort die Aawiesen<br />

waren. Hierauf ist auch ihr Name zurückzuführen,<br />

da man sich dort wohl<br />

für gewöhnlich nasse Füße holte. Die<br />

ursprüngliche Heimat der Preußen war<br />

das Aegidiiviertel, unweit der Aawiesen<br />

gelegen und seit dem Mittelalter zum<br />

Kerngebiet Münsters gehörig. Auf dem<br />

dortigen ehemaligen Kirchengelände -<br />

1821 stürzte die dortige Aegidiikirche ein<br />

- ließ der Staat Preußen 1828 eine Kaserne<br />

bauen. Für die junge Fußballszene<br />

in Münster und damit auch dem FC<br />

Preußen, sollte die Nachbarschaft zum<br />

Militär noch eine große Rolle spielen.<br />

Die Gründung des „Fußballclub Preußen“<br />

erfolgte also am 30. April 1906 und der<br />

erste Vorsitzende wurde Bernhard Böckmann.<br />

Als Vereinslokal fungierte der<br />

damalige geheime Pennäler-Treff Bissmöller<br />

(Ecke Engel-/Brockhoffstraße),<br />

dessen verständnisvoller Wirt den Jugendlichen<br />

sogar ein Vereinszimmer zur<br />

Verfügung stellte, welches mit dem<br />

schwarz-weiß-grünen Vereinswappen<br />

geschmückt wurde. Die Namenswahl<br />

des FC Preußen ist typisch für den Zeitgeist<br />

vor dem ersten Weltkrieg und dem<br />

damals herrschenden Patriotismus.<br />

Auch viele Arbeitervereine wählten sich<br />

Vereinsbezeichnungen wie „Preußen“,


„Borussia“ (lateinisch für Preußen) oder<br />

„Germania“, so dass dies nicht als ein<br />

rein bürgerliches Phänomen anzusehen<br />

ist. Wiederum andere bevorzugten die<br />

Hervorhebung der eigenen Region in<br />

ihrem Vereinsnamen und nannten sich<br />

beispielsweise „Westfalia“ oder „Rhenania“.<br />

Die Sporthistoriker Hans Langenfeld<br />

und Klaus Prange interpretierten<br />

die Namenwahl so: „Die Wahl des<br />

Namens „Preußen“ lässt darauf schließen,<br />

dass die Jugendlichen zumeist aus<br />

Familien des Beamtentums stammten,<br />

das sich mit der preußischen Monarchie<br />

identifizierte.<br />

_Der Verein war gegründet und nun benötigte<br />

man natürlich einen Platz, auf<br />

dem man regelmäßig spielen konnte.<br />

So wandte sich der Vereinsvorsitzende<br />

an den kommandierenden General Freiherr<br />

<strong>von</strong> Bissing mit der Bitte, dem Verein<br />

ein Spielgelände auf der Loddenheide<br />

zu überlassen. Nur wenig später<br />

erhielt Bernhard Böckmann die Genehmigung,<br />

jedoch nur unter der Auflage,<br />

dass nach jedem Spiel die Fußballtore<br />

wieder abgebaut werde müssten. Das<br />

Militär war zu dieser Zeit ein bedeutender<br />

Geburtshelfer des Sports in Deutschland.<br />

Nicht nur das Turnen, auch der<br />

Fußball profitierte <strong>von</strong> der Wertschät-<br />

zung, die der Sport als „Körperertüchtigung“<br />

im Vorfeld der Militärpflicht im<br />

Kaiserreich erfuhr. Doch der Profit aus<br />

diesem Arrangement was durchaus<br />

wechselseitig, denn Sport als Wehrertüchtigung<br />

hatte sich beim englischen<br />

Heer, <strong>von</strong> dessen Erfahrung man nun<br />

profitierte, durchaus bewährt. Als Umkleideraum<br />

diente den Spielern ein Bodenraum<br />

über einem Stall, der zur Wirtschaft<br />

„Thürs am Busch“ (heute Kaffeehaus<br />

„Sebon“) gehörte. Hier wurden<br />

auch die Tore untergebracht, was einen<br />

zwei Kilometer Fußmarsch samt Tore bis<br />

zum Spielgelände erforderlich machte.<br />

Bei Thürs wurde dann auch - gleich, ob<br />

man gewonnen hatte oder nicht- gefeiert.<br />

Hierzu die Sporthistoriker Langenfeld/Prange:<br />

„Diese Beziehung zu einer<br />

Kneipe erregte natürlich bei den Lehrern<br />

Argwohn, zumal nach den damaligen<br />

Schulordnungen für derartige Schülerverbindungen<br />

ohnehin rigorose Bestimmungen<br />

galten: Die Bildung <strong>von</strong> so<br />

genannten Spielklubs mit Statuten,<br />

regelmäßigen Geldbeiträgen usw. ist<br />

untersagt (…). Der Eintritt <strong>von</strong> Schülern<br />

in irgendeinen Verein bedarf der<br />

Genehmigung des Direktors“.<br />

_Am 24. Juni 1907 war dann im „Münsterischen<br />

Anzeiger“ folgende karge An-<br />

Wilma<br />

Obwohl Wilma mit ihrer dreifarbigen Zeichnung unter die Kategorie „Glückskatze“<br />

fällt, hat sie da<strong>von</strong> in ihrem Leben noch nicht ganz soviel erfahren. Die schöne,<br />

knapp sechsjährige Katzendame sitzt schon seit geraumer Zeit im Tierheim und wartet<br />

dort auf neue Besitzer. Dabei ist die kastrierte Wilma sehr unkompliziert und<br />

nach einer gewissen Kennenlernphase auch für ausgiebige Streicheleinheiten aufgeschlossen.<br />

Die bunte Schönheit lässt es gerne ruhig und gemütlich angehen, ein<br />

turbulenter Haushalt wäre daher ungeeignet. Mit anderen Katzen findet sie sich<br />

zwar wohl oder übel ab, wäre aber auch nicht traurig, in ihrem künftigen Zuhause<br />

die einzige Samtpfote zu sein. Zu einem katzensicher eingezäunten Balkon würde<br />

sie aber auch nicht nein sagen. Wer gibt dem gefleckten Stubentiger eine Chance?<br />

Kontakt<br />

Tierfreunde Münster e. V., Kötterstr. 198, 48157 Münster<br />

Telefon: 0251/ 32 50 58<br />

Öffnungszeiten: Samstags <strong>von</strong> 11.00 Uhr bis 17.00 Uhr und sonntags <strong>von</strong> 15.00 Uhr bis 18.00 Uhr<br />

www.tierfreunde-ms.de<br />

zeige zu lesen: „Fußballsport. Seine Exzellenz,<br />

Freiherr <strong>von</strong> Bissing, hat dem<br />

neuerdings gegründeten Fußballklub<br />

Preußen einen Spielplatz auf der Loddenheide<br />

zur Verfügung gestellt, auf<br />

welchem heute, um halb vier Uhr, ein<br />

Wettspiel zwischen der 1. Mannschaft<br />

des Fußballklub Osnabrück und der 1.<br />

Mannschaft des Fußballklub Preußen<br />

stattfinden wird.“ Der Grundstein für<br />

eine über 100-jährige Geschichte war<br />

gelegt. Der FC Preußen gewann dieses<br />

noch nicht allzu brisante Spiel klar mit<br />

5:0. Die Aufstellung der Mannschaft ist<br />

nicht überliefert, aber man kann da<strong>von</strong><br />

ausgehen, dass auch die Gründer und<br />

Funktionäre des Vereins beteiligt waren.<br />

Zu dieser Zeit gab es noch nicht die<br />

heutige Trennung zwischen Spielern<br />

und Funktionären, Vereinsmitgliedern<br />

und Zuschauern. Einige Funktionäre<br />

waren auch Spieler - schließlich hatten<br />

sie eben als Spieler den Verein ins Leben<br />

gerufen. Bei den ersten Zuschauern<br />

handelte es sich in der Regel um den<br />

Teil der Vereinsmitglieder, die eben<br />

selbst nicht aktiv waren. Aufgrund der<br />

Identität <strong>von</strong> Zuschauern und Vereinsmitgliedern<br />

war dies vermutlich die<br />

demokratischste Phase des organisierten<br />

Fußballs. #<br />

21


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22<br />

Bericht | Text: Christian Döscher<br />

Reise durch die Kunstgeschichte<br />

Klassizismus - ganz Altes ganz neu<br />

Manche sagen, die Geschichte würde<br />

sich immer wiederholen. Auch wenn<br />

das zyklische Geschichtsbild insgesamt<br />

sicher nicht zutrifft, lässt sich doch feststellen,<br />

dass manche Sachen immer<br />

wieder auftauchen. Solche „Retros“<br />

lassen sich gewissermaßen auch in der<br />

Kunstgeschichte beobachten, natürlich<br />

in viel längeren Abständen. Schon die<br />

Renaissance brachte nach dem Mittelalter<br />

eine Neubesinnung auf die Antike<br />

hervor. Damals ging dieser Prozess mit<br />

spürbaren Veränderungen einher, welche<br />

die Menschen beschäftigten (wirtschaftliche<br />

und politische Neuordnungen).<br />

Und tatsächlich gibt es seit der<br />

Renaissance eine ‚klassizistische' Unterströmung,<br />

die auch in der Zeit des<br />

Barock immer wirksam bleibt.<br />

_Aber der Klassizismus (ca. 1770 -1840)<br />

steht für die programmatische Nachahmung<br />

des klassischen Altertums. Er erstreckt<br />

sich über einen Zeitraum <strong>von</strong><br />

nur etwa sechzig Jahren, aber es waren<br />

außerordentlich bewegte Jahre. Es ist<br />

die Zeit der Französischen Revolution,<br />

die sich zwischen 1789 und 1799 voll-<br />

zog. Diese Revolution gehört zu den<br />

wichtigsten Ereignissen der europäischen<br />

Geschichte. Mit ihr endete das<br />

Zeitalter des Feudalismus und des absolutistischen<br />

Ständestaats. Individuen<br />

hatten <strong>von</strong> nun an zunehmend Rechte,<br />

die ihnen fest zugesichert waren. Ab<br />

ungefähr 1790 galt der Klassizismus als<br />

„Stil der Revolution“.<br />

_Die voranschreitende Individualisierung<br />

der Gesellschaft wird auch in der<br />

Kunst dieser Zeit deutlich; die Kunst<br />

nimmt diese Zeichen der Zeit (wie es oft<br />

der Fall ist) zum Teil sogar vorweg. Die<br />

Loslösung <strong>von</strong> dem, was nun unmittelbar<br />

zu Ende gegangen war, brachte erneut<br />

eine Rückbesinnung auf „zeitlose“<br />

Werte. Die <strong>von</strong> der Aufklärung propagierten<br />

Ideale forderten den Bruch mit<br />

dem Selbstverständnis, welches den<br />

Barock beherrscht hatte, auch inhaltlich.<br />

Anders gesagt: Nicht nur die Struktur<br />

des Zusammenlebens sollte sich ändern,<br />

sondern die Veränderung musste das<br />

Bild des Menschen <strong>von</strong> sich selbst erreichen.<br />

_In der Abkehr vom Barock, der mit Absolutismus<br />

und Feudalismus in Verbindung<br />

gebracht wurde, erhebt der Klassizismus<br />

antike Ästhetik zum Programm.<br />

Es ist die Rückkehr zu klaren Formen<br />

und einer stärkeren Anlehnung an antike<br />

Vorbilder. Die Maler verabschieden<br />

sich <strong>von</strong> den allegorischen Darstellungen<br />

der vorangegangenen Zeit, malen<br />

nun mehr rein antike Szenen, oft mit<br />

patriotischem „Unterton“. Gesten und<br />

Gebärden treten in den Vordergrund, so<br />

dass die Bilder oft theatralisch erscheinen.<br />

Die Farben kommen stärker<br />

hervor, erscheinen nun kräftig, die<br />

Konturen werden deutlicher. Alles in<br />

allem kann man sagen: Die Sprache,<br />

die die Bilder sprechen, bekommt mehr<br />

Klarheit. Ihre Aussagen spitzen sich zu.<br />

_Der Tod des Marat (1793) <strong>von</strong> Jacques-<br />

Louis David stilisiert den Ermordeten<br />

zum Märtyrer. Jean-Paul Marat, ein enger<br />

Freund des Malers, war ein wichtiger<br />

idiologischer Unterstützer <strong>von</strong> Ro-<br />

bespierre. Im weiteren Verlauf der Revolution<br />

war es Robespierre, der als<br />

Anführer der Jakobiner hauptverantwortlich<br />

war für den Terror, der sich<br />

gegen die Kritiker der Revolution richtete.<br />

Obwohl <strong>von</strong> der Freiheit, Gleichheit<br />

und Brüderlichkeit aller Menschen<br />

überzeugt, hielt Robespierre einiges an<br />

Grausamkeit für gerechtfertigt (und<br />

überdies notwendig), um eben jene<br />

Ideale zu verwirklichen.<br />

_In Davids Darstellung ist der Tote dem<br />

Betrachter zugewandt, die Wunde in<br />

seiner Brust ist deutlich zu sehen, ebenso<br />

wie das Schriftstück, an dem Marat<br />

arbeitete. David „schreibt“ darauf den<br />

Namen der Mörderin, wodurch das Ganze<br />

nachträglich einen Hauch <strong>von</strong> Vorhersehung<br />

erhält. Die perfide Tat wirkt<br />

durch die Bade-Szenerie um so abscheulicher.<br />

David soll seinen Freund<br />

noch am Vortag besucht haben, das<br />

Leintuch, den grünen Teppich und die<br />

Kiste soll er selbst gesehen haben.<br />

Denn Marat hatte nicht zum Spaß in<br />

der Wanne gesessen, wahrscheinlich litt<br />

er an einer Hautkrankheit. Gemalt wurde<br />

er <strong>von</strong> seinem Freund jedoch als gesunder<br />

Mann, als Kämpfer für die Revolution,<br />

der Opfer eines hinterhältigen<br />

Anschlags geworden war.<br />

_Eine schönere Badeszene stammt <strong>von</strong><br />

Jean-Auguste-Dominique Ingres: Die<br />

Badende <strong>von</strong> Valpincon (1808). Es ist<br />

schwer vorstellbar, dass Ingres zeitlebens<br />

kaum Beachtung fand. Erst gegen<br />

Ende der 1850er Jahre feierte man seine<br />

Kunst. Da war Ingres fast achtzig. Die<br />

Badende stammt noch aus einer Phase,<br />

in der David ihn stark beeinflusste.<br />

Trotzdem gilt das Bild heute als herausragende<br />

Leistung. Still und verhalten ist<br />

der Ausdruck der jungen Frau, wie sie,<br />

abgewandt <strong>von</strong> den Blicken des Betrachters,<br />

nackt auf der Bettkante sitzt.<br />

Es ist genau dieses Moment des Abgewandten,<br />

worin sich das Interesse an<br />

ihrer Schönheit noch verstärkt. Bei diesem<br />

Bild eines Hauptvertreters des<br />

Klassizismus liegt die Kraft der großen<br />

Geste in ihrer absoluten Abwesenheit. #


Rechtstipps | Text: Rechtsanwältin Annette Poethke<br />

Neues aus dem Familienrecht<br />

Unterhaltspflicht der Großeltern<br />

Das Unterhaltsrecht sieht vor, dass Verwandte in gerader Linie<br />

verpflichtet sind, einander Unterhalt zu gewähren. So ist<br />

grundsätzlich - bei Juristen heißt dies, es gibt Ausnahmen -<br />

auch <strong>von</strong> der Unterhaltspflicht der Großeltern auszugehen,<br />

wenn z.B. ein Elternteil mangels Leistungsfähigkeit ausfällt.<br />

Nachstehender Fall musste kürzlich entschieden werden:<br />

Die Kindesmutter Natascha lebt vom Kindesvater Norbert, mit<br />

dem sie den vierjährigen Sohn Nils hat, getrennt. Der Kindesvater<br />

Norbert ist nicht leistungsfähig. Aus diesem Grunde möchte<br />

Natascha für den Sohn Nils Kindesunterhalt <strong>von</strong> den Eltern<br />

des Kindesvaters, nämlich <strong>von</strong> Rosi und Richard verlangen.<br />

Natascha selbst ist nicht erwerbstätig, sie lebt mit dem Sohn<br />

Nils <strong>von</strong> Unterhaltsvorschuss und Sozialhilfe.<br />

Nachdem sie die Großeltern <strong>von</strong> Nils väterlicherseits, Rosi und<br />

Richard, vergeblich aufgefordert hat, Auskunft über ihre Einkünfte<br />

zu geben und Unterhalt für Nils zu zahlen, wendet sie<br />

sich an das zuständige Familiengericht (Amtsgericht). Sie beantragt<br />

für eine Stufenklage (zunächst Auskunft, dann Unterhalt)<br />

Prozesskostenhilfe, also staatliche Unterstützung für die<br />

Prozesskosten, die zweierlei voraussetzt, nämlich einerseits<br />

Bedürftigkeit <strong>von</strong> Natascha und Nils und andererseits Aussicht<br />

auf Erfolg für den beabsichtigten Rechtsstreit. Die Bedürftigkeit<br />

kann Natascha problemlos durch ihren Bescheid über die<br />

<strong>von</strong> ihr bezogenen Sozialleistungen der Arbeitsgemeinschaft<br />

nachweisen. Allerdings scheitert ihr Vorhaben an der fehlenden<br />

Erfolgsaussicht ihrer Stufenklage.<br />

Ihr Prozesskostenhilfegesuch wird nämlich vom Familiengericht<br />

zurückgewiesen, da der Vortrag <strong>von</strong> Natascha in ihrer<br />

Klage gegen die Großeltern zu ungenau, also unschlüssig ist.<br />

Sie hatte nämlich in ihrer Stufenklage lediglich vorgetragen,<br />

sie sei nicht erwerbstätig unter Hinweis auf das Alter <strong>von</strong> Nils<br />

(4 Jahre).<br />

Obwohl grundsätzlich in der Rechtssprechung Betreuungstätigkeit<br />

und Barunterhaltsverpflichtung gleichgesetzt werden,<br />

also Natascha ihrer Unterhaltspflicht durch die Betreuung <strong>von</strong><br />

Nils nachkommt, muss in diesem speziellen Fall, in dem der<br />

Kindesvater Norbert als leistungsunfähig feststeht, zunächst<br />

geprüft werden, ob Natascha trotz Betreuung ihres Sohnes zusätzlich<br />

einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann. Ihr Haftungsanteil<br />

erhöht sich (§ 1606 III 1 BGB).<br />

Bevor also die Großeltern zur Leistung <strong>von</strong> Unterhalt für Nils<br />

herangezogen werden können, ist zu prüfen, ob die Kindesmutter<br />

zumutbar und mit dem Kindeswohl vereinbar zusätzlich<br />

zur Betreuung erwerbstätig sein kann.<br />

Um mit ihrem Anspruch gegen die Großeltern väterlicherseits<br />

durchzudringen, muss Natascha zunächst konkret darlegen,<br />

aus welchem Grunde sie nicht berufstätig sein kann.<br />

Der bisherige Vortrag <strong>von</strong> Natascha reicht nicht aus, sodass das<br />

Oberlandesgericht Jena durch Beschluss vom 10.12.2008 ihre<br />

Beschwerde gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe für<br />

die Stufenklage im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren zurückgewiesen<br />

hat.<br />

Oberlandesgericht Jena, Beschluss vom 10.12.2008<br />

- 2 WF 449/08 = Beck RS 2009, 03927<br />

In diesem Zusammenhang ist auch <strong>von</strong> Bedeutung, dass der<br />

Selbstbehalt der Großeltern gegenüber ihren Enkelkindern<br />

1.400,00 Euro (+ 1.035,00 Euro für den anderen Großelternteil)<br />

beträgt, sodass diese erst verpflichtet sind, <strong>von</strong> dem darüber<br />

hinaus erzielten Einkommen Unterhalt zu zahlen infolge der<br />

abgeschwächten unterhaltsrechtlichen Verantwortlichkeit. Zur<br />

Erhaltung des Arbeitsanreizes ist das über den Selbstbehalt<br />

erreichte Einkommen nur zur Hälfte einsatzpflichtig.<br />

vgl. Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur<br />

Höhe des Unterhaltsrechts, 10.Aufl. 2008, Rdn. 48+223<br />

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24<br />

Spargel | Rezepte: Neema Dalmühle | Foto: Heinz Dalmühle<br />

Spargelsuppe<br />

Zutaten:<br />

500 g Spargel<br />

1,5 Liter Wasser<br />

1 TL Salz<br />

50 g Butter<br />

50 g Mehl<br />

2 Eigelb<br />

1 Prise Muskat<br />

Schnittlauch<br />

Noch gibt es Spargel<br />

Wenn man jetzt über den münsterschen Wochenmarkt schlendert findet<br />

man dort ein üppiges Angebot an frischem heimischem Gemüse<br />

und Salat aus der Region. Es duftet nach würzigen Kräutern und die<br />

frisch geschnittenen Blumen aus den Bauerngärten verwöhnen das<br />

Auge. Auch die ersten Früchte sind schon reif. Probieren Sie doch mal<br />

ein Dessert aus den ersten Erdbeeren mit dem letzten Rhabarber. Rhabarberzeit<br />

ist bald schon vorbei. Das gleiche gilt für den Spargel.<br />

Grund genug das königliche Gemüse nochmal zu genießen! # Neemas Tipp: Nochmal Spargel genießen!<br />

Zubereitung:<br />

_Spargel waschen und schälen, holzige<br />

Enden abschneiden.<br />

Schalen und Enden im Salzwasser ca. 15<br />

Min. kochen. Durch ein Haarsieb seihen<br />

und Spargelwasser wieder aufkochen.<br />

Spargel in 3 cm lange Stücke geschnitten<br />

hineingeben und weitere 15 Min. kochen<br />

lassen.<br />

Aus der Butter und dem Mehl eine<br />

Schwitze bereiten und mit Spargelwasser<br />

auffüllen. Reicht es nicht, Wasser oder<br />

Brühe zugeben. Spargelstücke entweder<br />

ganz oder püriert in die Suppe geben, mit<br />

dem Eigelb abziehen und mit Muskat<br />

abschmecken. Und Schnittlauchröllchen<br />

garniert servieren. #<br />

Die neue ~<br />

erscheint am 01. Juli<br />

Redaktionsschluss<br />

ist der 15. Juni<br />

Spargel<br />

Zutaten:<br />

1,5 bis 2 kg frische Spargel<br />

2 bis 2,5 Liter Wasser<br />

1 TL Salz<br />

1 TL Butter<br />

Zubereitung:<br />

_Spargel waschen, schälen und bündeln.<br />

Spargel in kochendes Wasser geben, dem<br />

Salz und wenig Butter zugegeben wurde.<br />

Je nach Wunsch ca. 15-25 Min. kochen<br />

lassen. Den Spargel vorsichtig herausnehmen<br />

und auf eine flache Servierplatte<br />

legen. #<br />

Petersilien-Giersch-Pesto<br />

Zutaten:<br />

1 Zitrone, unbehandelt<br />

0,5 Bund Blattpetersilie<br />

10 Gierschblätter<br />

2 EL Mandeln, gehobelt<br />

0,5 Zehen Knoblauch<br />

100 ml Olivenöl, kaltgepresst<br />

Fleur de Sel<br />

Olivenöl<br />

Zubereitung<br />

_Die Schale der Zitrone abreiben, die<br />

Petersilie abzupfen. Die Mandeln in<br />

einer Pfanne mit etwas Olivenöl braun<br />

rösten. Die Petersilien- und Gierschblätter<br />

kurz in kochendes Wasser tauchen,<br />

in Eiswasser abschrecken, gut<br />

ausdrücken und mit Knoblauch, gerösteten<br />

Mandeln, Zitronenabrieb, einer<br />

Prise Fleur de Sel und Olivenöl zu einem<br />

sämigen Pesto mixen. #<br />

Eier Sauce<br />

Zutaten:<br />

6 Eier<br />

250 g Butter<br />

1 Prise Salz<br />

Gemahlener Pfeffer<br />

Zubereitung<br />

_Eier kochen und klein schneiden. Butter<br />

schmelzen Eier da zu geben. Dann mit<br />

Salz und Pfeffer abschmecken. #<br />

Hollandaise Sauce<br />

Zutaten:<br />

200 g Butter<br />

2 Eigelb<br />

2 EL Weißwein<br />

Salz<br />

Frisch gemahlener Pfeffer<br />

Zubereitung:<br />

_Butter zerlassen etwas abkühlen lassen<br />

und den Schaum abschöpfen.<br />

Eigelb mit Weißwein in einer Schüssel<br />

mit einem Schneebesen verschlagen. Die<br />

Schüssel in ein heißes Wasserbadsetzen.<br />

Die Eigelbmasse mit dem Schneebesen so<br />

lange schlagen bis die Masse dicklich ist.<br />

Die Butter langsam unter die Eigelbmasse<br />

schlagen. Die Sauce mit Zitronensaft,<br />

Salz und Pfeffer würzen. #<br />

Einen guten Appetit wünscht Ihnen<br />

Neema Dalmühle


Buchtipps | Texte: Marc Peschke und Sigi Nasner<br />

Lesen!<br />

Andrea Camilleri: Von der<br />

Liebe zum Radfahren.<br />

Rororo Taschenbuch 2009,<br />

96 Seiten. 8 Euro<br />

ISBN 978-3-499-24988-4.<br />

Abbas Khider: Der falsche<br />

Inder<br />

Edition Nautilus, Verlag Lutz<br />

Schulenberg<br />

Hamburg, August 2008,<br />

156 Seiten, 16 Euro<br />

ISBN 978-3-89401-576-3<br />

Sizilien, das ist stets das eigentliche<br />

Hauptmotiv der Bücher <strong>von</strong> Andrea Camilleri.<br />

Porto Empedocle in der Provinz<br />

Agrigento, die Heimatstadt des Schriftstellers,<br />

die Naturschönheiten der Insel,<br />

die Städte, die Küche, die Sprache, vor<br />

allem aber die Charakterzüge der Menschen<br />

sind immer fester Bestandteil seiner<br />

Literatur. 14 Fälle hatte Commissario<br />

Montalbano bereits zu lösen. Jetzt sei<br />

ihm und dem Schriftsteller eine Pause<br />

gegönnt.<br />

Diese hat Andrea Camilleri genutzt, um<br />

ein kleines Büchlein zu veröffentlichen,<br />

das eine wahre Geschichte aus den Tagen<br />

der Befreiung Siziliens vom Faschismus<br />

erzählt. Und auch dieses Buch liest<br />

sich so spannend wie ein hervorragender<br />

Kriminalroman. Es spielt im Sommer<br />

des Jahres 1943 und beschreibt eine<br />

Fahrradfahrt des jungen Schriftstellers:<br />

eine Fahrt durch die zerbombte, verbrannte<br />

Heimat - auf der Suche nach<br />

dem Vater.<br />

Die irakische Hauptstadt Bagdad ist der<br />

Geburtsort <strong>von</strong> Abbas Khider, die Stadt,<br />

die in der arabischen Welt „Stadt des<br />

Friedens“ genannt wird. Doch während<br />

seiner Kindheit erlebt er hier die immer<br />

wiederkehrenden Kriege, Verwüstungen,<br />

Hunger und Leid.<br />

Sein Vater bekennt sich irgendwann zum<br />

Regime Saddam Husseins. Er, der selbst<br />

nicht lesen kann, verbrennt fast alle<br />

Bücher seines Sohnes, weil laut Gesetz<br />

Lesen außerhalb der Schulen verboten<br />

ist. Als junger Mann überlebt Abbas<br />

dann Gefängnis und Folter. Wie durch<br />

ein Wunder entgeht er mit dem Erschiessungskommando,<br />

weil der Transporter,<br />

der die Gefangenen zur Hinrichtung in<br />

die Wüste bringen soll, eine Reifenpanne<br />

hat. Danach hat er nur noch den<br />

einen Wunsch: Er will den Irak um jeden<br />

Preis verlassen. Sein ständiges Bittgebet<br />

heißt: „Gott befreie mich <strong>von</strong> der Leere.“<br />

Durch zwanghaftes Schreiben verschafft<br />

er sich Erleichterung und flüchtet<br />

sich in die Arme <strong>von</strong> unzähligen Frauen,<br />

„Ich wäre gern ein Bänkelsänger geworden,<br />

einer <strong>von</strong> denen, die auf einem<br />

Platz singen und am Ende der Vorstellung<br />

den Hut herumgehen lassen. Ich<br />

bin auch so ein direkter Erzähler wie<br />

die“, hat Camilleri einmal über sich<br />

selbst gesagt - und das stimmt: Sein<br />

kurzer Text über die letzten Tage des<br />

Krieges auf Sizilien - es stehen sich<br />

deutsche und alliierte Truppen gegenüber<br />

- liest sich ganz und gar aus dem<br />

Leben gegriffen.<br />

Diese gefährliche, spannende Fahrradfahrt<br />

wird illustriert <strong>von</strong> Fotografien<br />

Robert Capas, der die letzten Tages des<br />

Krieges eindringlich dokumentiert. Im<br />

Zweiten Weltkrieg arbeitete der Magnum-Mitbegründer<br />

als Kriegsberichterstatter<br />

für die Zeitschriften „Time“,<br />

„Life“ und „Collier's“. Das auf Sizilien<br />

entstandene Werk, folgt, wir sehen es<br />

beim Blättern, genauso dem großen<br />

Satz des Fotografen: „Wenn Deine Bilder<br />

nicht gut genug sind, warst Du nicht<br />

nahe genug dran.“ #<br />

um seine grausamen Erlebnisse zu vergessen.<br />

Seine folgende Flucht ist eine<br />

Odyssee ums Mittelmeer herum. Er wird<br />

immer wieder gefasst und landet in den<br />

Gefängnissen der Länder, in denen er<br />

Asyl sucht. Dort ist er der Willkür <strong>von</strong> Diktatur<br />

und Polizei ausgesetzt. Schließlich<br />

gelangt er nach Deutschland. Eigentlich<br />

wollte er weiter nach Schweden, aber<br />

die deutschen Behörden durchkreuzen<br />

sein Vorhaben, man lässt ihn nicht weiterreisen.<br />

Hier beginnt er schließlich zu<br />

studieren und versucht sich eine neue<br />

Existenz aufzubauen. Trotzdem findet er<br />

nur selten Ruhe. Seine immer wiederkehrenden<br />

Träume <strong>von</strong> verstorbenen<br />

Freunden und Weggefährten hören<br />

nicht auf ihn zu quälen.<br />

Die Verwirrtheit, die Schuldgefühle und<br />

die Erinnerung an die immer wiederkehrenden,<br />

grausamen Erlebnisse, die<br />

in Abbas Khiders Seele wüten, sind beim<br />

Lesen des Buches hautnah spürbar.<br />

Ein bewegendes Dokument über das<br />

Schicksal eines Kriegsflüchtlings. #<br />

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Berichte | Kurz und knapp<br />

~-Fachgespräch<br />

Die Zahl der Münsteraner Sozialwohnungen<br />

sinkt beständig, die Zahl der <strong>von</strong><br />

Obdachlosigkeit Betroffenen bleibt dagegen<br />

konstant. Aber lediglich sieben<br />

Prozent der lokalen Wohnungen sind<br />

Sozialwohnungen. Einerseits liegt dieser<br />

Wert weit unter dem landesweiten Durchschnitt<br />

<strong>von</strong> 14 Prozent liegt, andererseits<br />

ist das Mietniveau in Münster eines der<br />

höchsten landesweit. Soweit die nackten<br />

Zahlen!<br />

_Auf Einladung der ~ diskutierten<br />

am 30. April im KCM am Hawerkamp sachkundig<br />

Maria Klein-Schmeink (Grüne),<br />

OB-Kandidat Wolfgang Heuer (SPD), Richard<br />

Halberstadt (CDU), Wolfgang Klein<br />

(FDP) und Hubertus Zdebel (LINKE) über<br />

diese ungünstigen Rahmenbedingungen.<br />

Die Moderation hatte Michael Heß vom<br />

draußen! e.V. Parteien übergreifendes<br />

Einvernehmen bestand zunächst in der<br />

Anerkennung der unerfreulichen Fakten.<br />

Sehr unterschiedlich fielen aber die sich<br />

daraus ergebenden Interpretationen<br />

und Handlungsansätze aus, denn viele<br />

Wege führen in die Obdachlosigkeit. Die<br />

Vorschläge zu Gegenmaßnahmen reichten<br />

<strong>von</strong> einer verstärkten aufsuchenden<br />

Sozialarbeit über eine intensivere Schuldnerberatung<br />

bis zur Schaffung einer<br />

kommunalen Wohnraumreserve. Zum<br />

Gewinn der Zuhörer alle politischen Alternativen<br />

richtig schön kontrovers debattiert.<br />

_Sehr erfreulich fiel deshalb das einheitlich<br />

gezogene Fazit aus: Wohnungspolitik<br />

ist eine kommunale Kernaufgabe,<br />

um es erst gar nicht zu Obdachlosigkeit<br />

kommen zu lassen. Die ~<br />

nimmt die Politik beim Wort. #<br />

Für die ~ immer<br />

„Für die ~ lohnt es sich immer,“<br />

so das Fazit <strong>von</strong> Martin Scharfenberger,<br />

UWG-Vertreter im Kulturausschuss. Für<br />

OB-Kandidat Wolfgang Heuer sowie für<br />

die SPD-Ratsfrau Anne Schulze Wintzler<br />

wurde der Verkauf der ~ „zur ganz<br />

originären Wahrnehmung <strong>von</strong> unten“.<br />

Dass man was tun müsse und nicht nur<br />

reden, befand am Ende auch CDU-Ratsherr<br />

und draußen!-Mitglied Richard<br />

Halberstadt. Vier Statements <strong>von</strong> Teilnehmern<br />

des ~-Verkaufs durch<br />

Vertreter der Ratsparteien am 25. April,<br />

die mit jeweils 15 Heften in Münsters<br />

Innenstadt ausgeschwärmt waren und<br />

versucht hatten, die Hefte an die Frau<br />

oder den Mann zu bringen. Mit unterschiedlichen<br />

Erfolg; besonderes Talent<br />

als Verkäufer zeigten indes Wolfgang<br />

Heuer (SPD) und Fritz Pfau (UWG).<br />

_Gleichwohl bedankt sich die ~<br />

herzlich bei allen Verkäufern und bietet<br />

allen Kommunalpolitikern eine Wiederholung<br />

an. Anruf in der Redaktion genügt!<br />

#<br />

Das Letzte<br />

Es blieb schließlich einem DKP-Mitglied<br />

vorbehalten, sich kritisch zum Termin<br />

der ~-Jubiläumsfeier zu äußern.<br />

Dass am 1. Mai der „Kampftag der Arbeiter<br />

und Werktätigen“ sei, beschied dieses<br />

entrüstet einem ~-Mitglied,<br />

das im Rathausinnenhof um Besuch des<br />

~-Festes warb. „Nach der 1.-Mai-<br />

Demo im Rathausinnenhof, falls Sie am<br />

Nachmittag noch nichts vorhaben“, versuchte<br />

unser Helfer zu beschwichtigen.<br />

Damit traf er trotz Kritik den Nerv vieler<br />

Teilnehmer der 1. Mai-Kundgebung,<br />

denn der Zuspruch zum ~-Jubiläum<br />

am Nachmittag und frühen Abend<br />

sprach dann für sich. Kampftag der Arbeiter<br />

hin, Kampftag der Werktätigen<br />

her, ein Benefizfest für arbeitslose Sozialhilfeempfänger<br />

und Odachlose wird<br />

doch auch am 1. Mai sein Plätzchen haben.<br />

#<br />

Redaktionssitzung:<br />

Jeden Dienstag um 14:00 Uhr findet<br />

die Redaktionssitzung statt. Freie Mitarbeiter<br />

sind immer willkommen!


Ehrung und Schlussakkord | Texte: Horst Gärtner | Foto: Frau Mühlbrecht<br />

Große Ehrung für Bernhard Mühlbrecht<br />

Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat<br />

am 22.April dieses Jahres 14 Persönlichkeiten,<br />

die sich durch ihren Einsatz im<br />

Land und für das Land NRW besondere<br />

Verdienste erworben haben, mit dem<br />

Verdienstorden des Landes Nordrhein-<br />

Westfalen ausgezeichnet.<br />

Bernd Mühlbrecht (58 Jahre), Leiter des<br />

Hauses der Wohnungslosenhilfe und seit<br />

15 Jahren Sprecher des Arbeitskreises der<br />

Münsteraner Wohnungslosenhilfe ist<br />

einer der neuen Ordensträger ebenso<br />

Franz Beckenbauer, der bekannte ehemalige<br />

Fussballnationalspieler und seit<br />

Jahren internationaler Exponent mit<br />

hervorragenden, diplomatischen Fähigkeiten,<br />

gefragt als Experte in aller Welt.<br />

Schlussakkord<br />

Es lohnt in unserer schnelllebigen Zeit,<br />

in der im aktuellen Tagesgeschehen eine<br />

(Hiobs-) Botschaft die andere jagt, sich<br />

in Erinnerung zu rufen, dass es noch<br />

nicht einmal 5 Jahre her ist, dass die<br />

Umweltorganisation der Vereinten Nationen<br />

die Stadt Münster aus 450 Mitbewerberstädten<br />

aus aller Welt auswählte<br />

und ihr die Auszeichnung<br />

„lebenswerteste Stadt der Welt“ verlieh<br />

in der Kategorie der Städte zwischen<br />

200.000 und 750.000 Einwohnern. Viele<br />

denken vielleicht zunächst an die Grünzone<br />

der Promenade, an den Aasee, an<br />

den wunderschönen Allwetterzoo, an<br />

die prächtige historische Innenstadt und<br />

den Dom, aber wir vom Straßenmagazin<br />

„~“ und alle, die sich um Menschen<br />

kümmern, die - wie die Sozialarbeiter<br />

sagen - „am Ende eines Elendskreislaufs<br />

angekommen sind“ wir denken<br />

anders und wir wissen in unserer<br />

Stadt die Angelegenheiten im Sozialbereich<br />

im allgemeinen und der Menschen<br />

<strong>von</strong> der Straße im besonderen in guten<br />

Händen, denn<br />

- welche Großstadt außer Münster<br />

hat schon einen Oberbürgermeister,<br />

der vor der Übernahme dieses Amtes 9<br />

Jahre Sozialdezernent war,<br />

- welche Großstadt außer Münster<br />

hat eine Kämmerin, die vor der<br />

Übernahme ihres Amtes 7 Jahre Sozialdezernentin<br />

war<br />

Wir finden es bemerkenswert, dass nicht<br />

nur international bekannte Persönlichkeiten<br />

ausgezeichnet wurden, sondern<br />

dass mit der Anerkennung der Arbeit<br />

<strong>von</strong> Bernd Mühlbrecht der Blick der Öffentlichkeit<br />

auf die Sozialpolitik und<br />

hier vor allem auf den Brennpunkt der<br />

Hilfen für Menschen, die auf der Straße<br />

leben, die am Ende eines Elendskreislaufs<br />

angekommen sind, gerichtet worden<br />

ist.<br />

Wir haben Bernd Mühlbrecht in unserer<br />

April-Ausgabe schon gratuliert und wir<br />

tun das nach der Ordensverleihung noch<br />

einmal ganz herzlich. #<br />

- wir haben für unsere Anliegen<br />

ein immer gesprächsbereites Sozialamt,<br />

vor allem mit der Fachstelle für Wohnungssicherungsmaßnahmen<br />

und eine<br />

verständnisvolle Arbeitsgemeinschaft<br />

Münster, die in ganz Nordrhein-Westfalen<br />

an dritter Stelle bei ihrer Vermittlungsleistung<br />

für den Arbeitsmarkt steht. Und<br />

- ganz wichtig für uns - eine hilfsbereite<br />

Stiftungsverwaltung.<br />

_Auch die Ratsparteien tragen die starke<br />

soziale Attitüde dieser Stadt: noch keine<br />

Fraktion hat einen Antrag auf „Betteln<br />

verboten“ gestellt, was in anderen<br />

Großstädten durchaus nicht unüblich<br />

ist. Im Park an der Clemenskirche sitzen<br />

„unsere Leute“ vom Treffpunkt, vom<br />

Haus der Wohnungslosenhilfe oder vom<br />

Projekt „Reinhold Hach“ / Sozialdienst<br />

katholischer Männer, der Ewaldistraße,<br />

trinken ihr Fläschchen Bier und philosophieren<br />

ungestört über Leben und Leben<br />

lassen.<br />

_Sind wir also am 15. Geburtstag <strong>von</strong><br />

„~“ wunschlos glücklich? Nicht<br />

ganz: Wir haben auch einige Wünsche,<br />

die schnell zusammengefasst sind:<br />

- dass unsere Philosophie, „den<br />

Menschen auf Augenhöhe zu begegnen“<br />

weiter greift, nicht bei unseren Straßenverkäuferinnen<br />

und Straßenverkäufern<br />

Halt macht, sondern auch die erreicht,<br />

die im Park sitzen, die am Mäuerchen<br />

oder am Bahnhof stehen, die unten auf<br />

der Straße sitzen und betteln<br />

- zu erkennen, dass es keinen<br />

Sinn abgibt, im Freundes- und Bekanntenkreis<br />

- unbeleckt <strong>von</strong> der<br />

Wirklichkeit auf der Straße - über Schuld<br />

und Sühne obdachloser Menschen zu<br />

diskutieren oder sich an der Theke <strong>von</strong><br />

dem Problem mit der Bemerkung zu<br />

verabschieden: „Die sollen lieber arbeiten“<br />

- sich einmal Gedanken darüber<br />

zu machen, wie jemand, der nicht „Verkäufer<br />

gelernt hat“ sich fühlt, wenn er<br />

sich morgens mit 20 Zeitungen auf die<br />

Straße stellt und abends da<strong>von</strong> 5 verkauft<br />

sind (macht 3,50 Euro Reinverdienst<br />

für einen Tag!)<br />

- einfach im mitmenschlichen<br />

Zusammenleben aufeinander zugehen<br />

- und sich gelegentlich daran<br />

erinnern, dass Wohnungslosigkeit und<br />

besondere soziale Schwierigkeiten jeden<br />

treffen können, den Akademiker genauso<br />

wie den ungelernten Arbeiter, den<br />

selbständig Gewerbetreibenden, den<br />

Manager, den Mitarbeiter einer Behörde<br />

_Wann sind wir wunschlos glücklich?<br />

Wenn wir feststellen, dass Sie unsere<br />

guten Wünsche aufgeschlossen angenommen<br />

haben. #<br />

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Große Veranstaltungen brauchen große<br />

Unterstützer. Wir bedanken uns bei:<br />

Clownsvisite e. V.<br />

Flaschengeist - Weinhandel<br />

Frauenstraße 24 - Kneipe<br />

Pieper - Parfümerie<br />

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für die ~<br />

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Unabhängige Wählergemeinschaft für Münster<br />

Home Line<br />

Poertgen/Herder<br />

Sundermann<br />

Preußen Münster<br />

Arminia Bielefeld<br />

Hannover 96<br />

Schalke 04<br />

Karstadt Sport<br />

Fahnen + Spiele Brinckmann<br />

GOP - Theater<br />

Allwetter- Zoo Münster<br />

Segelsportclub Hamm<br />

MVKK<br />

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Runners Point<br />

Stadt Bücherei<br />

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Kölle Zoo<br />

DM Markt<br />

O2 Shop<br />

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Westfalengas AG<br />

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ELPI Münster<br />

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Schifffahrtsbehörde<br />

Guido Große Röwekamp<br />

Jugendamt Stadt Münster<br />

Sportamt Stadt Münster<br />

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Getränke Dreyer<br />

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<strong>Sarah</strong> <strong>Koska</strong><br />

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Bodo - Liedermacher<br />

Company Dreiklang<br />

Björn und Co<br />

Heinz Ratz und Sohn<br />

Gunter Gabriel<br />

Walter Eschweiler<br />

Steffi Stephan<br />

Marvin Lindenberg<br />

Nadja Kossinskaya<br />

Detlef Antemann<br />

Carola Kretschmer<br />

Jörg Dartmann<br />

Wrecia Ford<br />

Jonny Ketzel<br />

Andreas Löchte<br />

Wolfgang Halberscheidt<br />

Praxisgemeinschaft „Neue Wege“<br />

Sportamt Münster<br />

Oevermann<br />

Jürgen Erbstößler - TUS Hiltrup<br />

Urs <strong>von</strong> Wulfen<br />

…und allen weiteren Spendern und<br />

Teilnehmern die anonym bleiben<br />

möchten! #


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das Buch (antiquarische Restexemplare)<br />

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