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Achtsames Leben Winter 2017

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nachhaltigkeit & ethik<br />

Das grüne Dilemma ...<br />

schen Zusammenhänge und Motive, philosophische<br />

Letztbegründungsstrategien oder ökonomische<br />

Effizienzorgien, sondern darum, wie<br />

der Einzelne in Gruppen und Gruppen wiederum<br />

in Großgruppen unter konkreten Bedingungen<br />

reagieren.<br />

(…)Das, was auf individueller Ebene rational,<br />

einsichtig und vernünftig ist, verliert auf einer<br />

kollektiver Ebene möglicherweise seinen Sinn,<br />

wenn es alle tun. Wenn beispielsweise alle sparen<br />

oder alle konsumieren, dann fehlt entweder<br />

das Geld, oder die Preise steigen ins Unermessliche.<br />

Individuelles Verhalten kann aus der<br />

Innenperspektive jedes einzelnen Akteurs rational<br />

sein – und gleichzeitig auf einer kollektiven<br />

Ebene zu massiven Verlusten führen, wenn es<br />

nicht entsprechend korrigiert und ausbalanciert<br />

wird. Oder, um auf unser Beispiel zum richtigen<br />

Verhalten im Falschen zurückzukommen: Die<br />

sozialpsychologischen Befunde zeigen deutlich,<br />

dass die Gemeinschaft eben keine einfache Verlängerung<br />

des Individuellen ist.<br />

Jede Verhaltensänderung trifft auf ein spezifisches<br />

Set an Rationalitätsstandards, das den<br />

Grund dafür liefert, sich zu ändern oder auch<br />

nicht. Die kognitive Einsicht allein reicht offenbar<br />

für eine gesellschaftliche Transformation<br />

nicht aus. Die Frage ist vielmehr: Wann tut<br />

es weh? Das psychologische Korrelat dieses<br />

Schmerzes hat zwei Bestandteile: die Fähigkeit<br />

zur Empathie und die Fähigkeit zur Versöhnung<br />

von Effizienz und Resilienz. Beim Ersten handelt<br />

es sich eher um einen emotionalen, beim<br />

Zweiten eher um einen kognitiven Vorgang.<br />

Die Empathie als die Fähigkeit, sich in andere<br />

hineinzuversetzen, lernen Kinder ab dem dritten<br />

<strong>Leben</strong>sjahr. Diese Fähigkeit stellt einen zentralen<br />

Überlebensvorteil für uns Menschen dar<br />

– und ist auch für das Thema Nachhaltigkeit<br />

entscheidend. Denn erst wenn wir das unerträgliche<br />

Leid, das über eine Milliarde Menschen<br />

tagtäglich in absoluter Armut ertragen müssen,<br />

die schreiende Ungerechtigkeit in den Wohlstandsunterschieden,<br />

den Schwund an Artenvielfalt<br />

und ökologischen Habitaten oder auch<br />

die globale Erwärmung als einen Anteil unseres<br />

eigenen Selbst und unserer <strong>Leben</strong>sentwürfe<br />

erleben, sind die emotionalen Voraussetzungen<br />

für einer Verhaltensänderung innerhalb eines<br />

grünen Dilemmas gegeben. Das ist zweifellos<br />

anspruchsvoll, aber nicht unmöglich.<br />

(…)<br />

Wenn wir uns auf dem Weg in eine andere Zukunft<br />

an den Ergebnissen der Life Sciences (klinische<br />

Psychologie, Neurobiologie, Sozial- und<br />

Systemforschung etc.) orientieren, haben wir<br />

eine gute Chance, friedlicher, gerechter und<br />

nachhaltiger zusammenleben zu können. Das<br />

Richtige im Falschen bleibt aber so lange ein<br />

Dilemma, solange wir nicht die entsprechende<br />

globale Empathie und die kognitiven Voraussetzungen<br />

für die Stärkung regionaler Resilienz<br />

und zur Überwindung von sektoraler Effizienz<br />

ausgebildet haben. Beides sind psychologische<br />

Kategorien eines veränderten Bewusstseinsschwerpunkts<br />

und nicht Ergebnis innovativer<br />

Technologien oder weiteren expansiven Wachstums.<br />

Stefan Brunnhuber wurde 1962 in Augsburg geboren.<br />

Nach KfZ-Mechaniker Lehre, Studium in<br />

Medizin, Philosophie und Sozialwissenschaften.<br />

Nach Promotion Facharztausbildung in Psychiatrie<br />

und Psychotherapie an der Universität Homburg/Saar.<br />

Weiterbildung in Gruppentherapie,<br />

Schmerz, Psychoanalyse. Forschungsschwerpunkte<br />

sind Stress- und Affekt-, Psychotherapieforschung.<br />

Er beschäftigt sich auch mit gesundheitsökonomischen<br />

Fragen und Mind-body<br />

Medicine. Zur Zeit Weiterbildung in Komplementärmedizin<br />

und Schmerztherapie.<br />

„Die Kunst der Transformation –<br />

Wie wir lernen, die Welt zu verändern“,<br />

Stefan Brunnhuber, Herder<br />

Vlg., 336 S., 24,99 €.<br />

Siehe auch „wortwelten“, S. 63.<br />

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