Fruchtbare Polarisierungen - Bayern
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42<br />
München/Oberbayern<br />
Eine Wende zurück nach Oberbayern vollzieht das eine<br />
oder andere Unternehmen, das sich schon ins Ausland<br />
begeben hatte. Solche Fälle gibt es im Landkreis<br />
Traunstein, einer auch aus anderen Gründen bemerkenswerten<br />
Region.<br />
Am Ortseingang von Ruhpolding weist ein Schild auf einen<br />
Freizeitpark hin und direkt daneben ein anderes auf<br />
das Gewerbegebiet Mühlfeld. Nicht weit entfernt befindet<br />
sich die Zentrale des Mineralwasserherstellers Adelholzener<br />
Alpenquellen – ein zur Kongregation der Barmherzigen<br />
Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul gehörendes,<br />
expansives Unternehmen, an einer<br />
kurvigen Straße gelegen, malerisch in die<br />
Bergwelt etwas außerhalb des dörflichen<br />
Fleckens Adelholzen eingebettet.<br />
Ländliche Idylle und pulsierende Wirtschaft,<br />
jahrhundertealte Tradition und<br />
rasanter Fortschritt, alpenländische Ruhe<br />
und industrielle Geschäftigkeit: Der<br />
Landkreis Traunstein stellt sich als Region<br />
der <strong>Polarisierungen</strong> dar – offenkundig<br />
eine fruchtbare Eigenschaft. Werner<br />
Linhardt, der Vorsitzende des IHK-Gremiums<br />
Traunstein, zeigt sich beeindruckt,<br />
welch starke Anziehungskraft gerade der<br />
Biathlon-Weltcup in Ruhpolding Anfang dieses Jahres<br />
ausgeübt hat. Während die Wintersportzentren von Inzell<br />
bis Reit im Winkel für viele wie Urlaub pur klingen,<br />
sind wenige Kilometer weiter gleich mehrere Firmen<br />
tätig, die sowohl in Europa als auch in <strong>Bayern</strong> zu den<br />
wachstumsstärksten Unternehmen gezählt werden.<br />
Entsprechende Auszeichnungen sammelt zum Beispiel<br />
die Dragenopharm Apotheker Püschl GmbH & Co. KG in<br />
Tittmoning, die als Auftragshersteller mit hochmodernen<br />
Maschinen für praktisch alle deutschen Pharmahersteller<br />
– von Bayer über Hexal bis Novartis – tätig ist. Der<br />
Inhaber Andreas Greither hat die Firma 1986 mit damals<br />
elf Mitarbeitern erworben und sie mit meist jährlich<br />
zweistelligen Wachstumsraten – im vorigen Jahr annähernd<br />
30 Prozent – zu einer imposanten Größenordnung<br />
mit heute rund 400 Beschäftigten, vier deutschen<br />
Standorten und 50 Millionen Euro Umsatz geführt. Eine<br />
Ende der Expansion ist nicht abzusehen. Als eines der<br />
wachstumsstärksten Unternehmen Europas und <strong>Bayern</strong>s<br />
prämiert und kürzlich auch mit dem Bayerischen<br />
Landkreis Traunstein:<br />
<strong>Fruchtbare</strong> <strong>Polarisierungen</strong><br />
Hermann Steinmaßl<br />
Qualitätspreis ausgezeichnet worden ist ebenso die<br />
Rosenberger Hochfrequenztechnik GmbH in Fridolfing,<br />
ein mittelständisches Familienunternehmen, das mit<br />
weltweit mehr als 2000 Mitarbeitern eine Schlüsselrolle<br />
in vielen Hightech-Branchen spielt.<br />
✔<br />
Heimat, Hightech, Highlights<br />
September 2006<br />
„Heimat, Hightech, Highlights“ – für Landrat Hermann<br />
Steinmaßl ist es wie ein wohltönender Dreiklang. Unter<br />
dem Slogan „Mensch Chiemgau“ versucht er, die so<br />
unterschiedlich wirkenden Stärken der<br />
Region, in der Papst Benedikt XVI. einen<br />
Großteil seiner Kindheit verbrachte,<br />
zu einem Komplettangebot mit dem<br />
Schwerpunkt einer Gesundheits- und<br />
Wellness-Region zu kombinieren – getragen<br />
von der Vielfalt der Branchen. Dabei<br />
steht ein breites Spektrum von Krankenhäusern,<br />
Reha-Einrichtungen und anderen<br />
Gesundheitsbetrieben zur Verfügung.<br />
Die kontinuierliche Modernisierung<br />
der Kreiskliniken Traunstein-Trostberg<br />
GmbH, zu der das Klinikum Traunstein<br />
und die Kreisklinik Trostberg mit<br />
insgesamt 1800 Mitarbeitern gehören,<br />
liegt Steinmaßl am Herzen. Im Landkreis Traunstein<br />
gibt es darüber hinaus 273 niedergelassene Ärzte, davon<br />
258 Fachärzte und 119 Zahnärzte. Doch der Bogen<br />
des Regionalkonzepts wird über die rein medizinischen<br />
Aspekte hinaus viel weiter gespannt. Sport- und Freizeit,<br />
Tourismus und Gastronomie werden dabei ebenso<br />
einbezogen wie Dienstleister, Bauernverbände, Erzeugergemeinschaften,<br />
Ernährungswirtschaft und selbst<br />
die Klöster.<br />
Schon jetzt führen manche Anbieter Freizeit, Sport,<br />
Gesundheitsthemen und Wirtschaft wie spielerisch zusammen.<br />
Exemplarisch dafür mag Sepp Baumgartner<br />
stehen, der in Waging am See seit mehr als zwei Jahrzehnten<br />
eine weithin bekannte Tennisschule betreibt<br />
und inzwischen einen ideenreich gestalteten „Wellnessgarten“<br />
angegliedert hat. Gleichzeitig haben sich in der<br />
Gesundheitswirtschaft Spezialisten etabliert, deren Ruf<br />
weit über die nationalen Grenzen hinaus schallt. Zum<br />
Traunsteiner Familienunternehmen Pohlig beispielsweise,<br />
das Menschen mit Handicaps durch selbstent-
September 2006<br />
wickelte Prothesen und andere orthopädietechnische<br />
Produkte hilft, kommen Patienten aus vielen Ländern.<br />
✔<br />
Vernetzung in der Region<br />
Der IHK-Gremiumsvorsitzende Linhardt, im Hauptberuf<br />
Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Traunstein-<br />
Trostberg, begrüßt die Bemühungen um eine stärkere<br />
Vernetzung in der Region: „Das ist eine sehr gute Idee,<br />
zumal es im Landkreis viele gut aufgestellte Unternehmen<br />
gibt, die dazu wertvolle Beiträge liefern können.“ Er<br />
plädiert dafür, die Zusammenarbeit auch mehr als bisher<br />
auf die Kommunen und Fremdenverkehrsinstitutionen<br />
auszudehnen, da bisher nach seiner Ansicht noch<br />
mancherorts eine allzu isolierte Vorgehensweise zu beobachten<br />
ist. Gestartet worden ist darüber hinaus ein<br />
Programm für Bildung, Familienpolitik und Infrastruktur.<br />
Über die nächsten zehn bis 15 Jahre sollen nach<br />
Steinmaßls Worten 80 Millionen Euro investiert werden,<br />
unter anderem für Schulbauten.<br />
Die Wirtschaft der Region pflegt zum Teil auch enge<br />
Kontakte zur Wissenschaft. So betrachtet der Fertigbauspezialist<br />
Regnauer in Seebruck die Nähe des „Holzstandorts“<br />
Rosenheim mit seiner weithin bekannten<br />
Kompetenz auf diesem Gebiet als wichtigen Standortvorteil.<br />
Bei den Ausbildungsstätten und Hochschulen<br />
dort rekrutiert das Unternehmen einen nennenswerten<br />
Teil seines Nachwuchses. Von den Kontakten mit den<br />
Wissenschaftlern ist Geschäftsführer Michael Regnauer<br />
angetan: „Die Verbindung zwischen Lehre und Praxis<br />
funktioniert gut.“ Aus der Zusammenarbeit entstehen<br />
nach seinen Worten immer wieder neue, zukunftweisende<br />
Ideen: „Insbesondere die Vertreter des Holzbereichs<br />
an der Fachhochschule Rosenheim gehen auf die Wirtschaft<br />
zu.“<br />
✔<br />
Von Traunstein in alle Welt<br />
Viele der Unternehmen aus der Region sind international<br />
aktiv. Die Brückner-Gruppe in Siegsdorf etwa gehört<br />
zu den weltweit führenden Anbietern von Produktionsanlagen<br />
für Folien, die für die Verpackung von Lebensmitteln,<br />
aber auch für technische Einsätze ein breites<br />
Anwendungsspektrum finden. Auf der Kundenliste stehen<br />
sämtliche großen und namhaften Folienhersteller in<br />
Europa, den USA, Lateinamerika und Asien. Bei den gefragten<br />
so genannten Folien-Reckanlagen, die weltweit<br />
nur von vier Unternehmen hergestellt werden, kommt<br />
Brückner international sogar auf einen Marktanteil von<br />
60 Prozent. Zurzeit sind mehr als 500 Brückner-Anlagen<br />
in Betrieb. Im Rekordjahr 2003 wurde ein Auftragsein-<br />
München/Oberbayern<br />
gang von 495 Millionen Euro erreicht. Die Siegsdorfer<br />
exportieren den größten Teil ihrer Maschinen, besonders<br />
nach China und in andere asiatische Länder.<br />
Die regen nationalen und internationalen Verbindungen<br />
bringen anspruchsvolle logistische Aufgaben mit sich.<br />
So ist die Spedition Eberl in Aiging bei Traunstein nicht<br />
nur mit allen Facetten eines klassischen Transportunternehmens<br />
samt umfangreicher Lagerlogistik aktiv, sie<br />
unterhält auch eine große Zollabteilung, baut hier zu<br />
Lande mit eigenen Schreinern für das schwedische<br />
Unternehmen Smoke free systems Raucherkabinen zusammen<br />
und sorgt bei dem über Apotheken verkauften<br />
Lebensmittelsortiment „Leichter leben in Deutschland“<br />
für Kommissionierung, Verpackung und Versand.<br />
✔<br />
Wichtiger Teil des „Chemiedreiecks“<br />
Eine „optimale Mischung“ bietet der Landkreis Traunstein<br />
für den IHK-Vizepräsidenten Anton Kathrein, dessen<br />
Rosenheimer Unternehmensgruppe in Grassau die<br />
Katek GmbH, einen der größten deutschen Elektronik-<br />
Dienstleister mit 900 Mitarbeitern, betreibt. Tatsächlich<br />
ist die Spannbreite der regionalen Wirtschaft enorm. In<br />
seinem Norden bildet der Landkreis die Südspitze des<br />
berühmten Chemiedreiecks. Namhafte Industrieunter-<br />
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43
nehmen und Zweigwerke von Konzernen prägen das<br />
Bild ebenso wie traditionsreiche mittelständische Firmen,<br />
hochflexible Handwerksbetriebe und ideenreiche<br />
Spezialisten unterschiedlichster Art. Der Name Trostberg<br />
etwa ist seit Beginn des vorigen Jahrhunderts eng<br />
mit den einstigen Bayerischen Stickstoffwerken – später<br />
SKW Trostberg – verbunden, die heute ein bedeutender<br />
Forschungs- und Produktionsstandort des Degussa-<br />
Konzerns sind. In Schalchen bei Tacherting betreibt der<br />
Anlagenkonzern Linde ein Werk, in dem 730 Ingenieure<br />
und qualifizierte Facharbeiter Komponenten<br />
und komplettierte Module für den<br />
Immer mehr Einsatz in verfahrenstechnischen Anla-<br />
regionale Untergen entwickeln und fertigen. Seit mehr<br />
nehmenprofi- als 50 Jahren unterhält Bosch-Siemens<br />
lieren sich auch ein Hausgerätewerk in Traunreut, das<br />
mit ökologischen im vorigen Jahr mit 2350 Mitarbeitern<br />
880000 Herde und 780000 Kochmulden<br />
Angeboten.<br />
produziert hat. Ebenfalls in Traunreut ist<br />
der schwedische SCA-Konzern mit einem<br />
Wellpappewerk vertreten. Die 1962 gegründete Lang<br />
Apparatebau GmbH in Siegsdorf, Spezialist für komplexe<br />
Mess-, Dosier- und Auftragssysteme, gehört seit 1967<br />
zur Unternehmensgruppe Henkel. In Tittmoning hat das<br />
in Baden-Württemberg ansässige Unternehmen Brückner,<br />
ein international tätiger Systemlieferant von Anlagen<br />
für die textile Trockenveredelung und artverwandte<br />
Industriezweige, im vorigen Jahr Produktionsstätten zusammengeführt.<br />
Stark ist im Landkreis die in deutlichem<br />
Wachstum befindliche Handelsgruppe Edeka Südbayern.<br />
Sie betreibt in Trostberg ein Trockensortiment auf<br />
18000 Quadratmetern und in Traunstein ein Frischwarensortiment<br />
auf 7600 Quadratmetern Lagerfläche.<br />
44<br />
München/Oberbayern<br />
Immer mehr regionale Unternehmen profilieren sich<br />
auch mit ökologischen Angeboten. In Tachtertinger<br />
Ortsteil Schalchen ist auf dem Gelände der Degussa AG<br />
der Bau eines Bioenergieparks geplant – ein in dieser<br />
Form weltweit einzigartiges Großprojekt mit einem Investitionsvolumen<br />
von rund 250 Millionen Euro. Das Vorhaben<br />
der beiden Unternehmen BioMa Energie AG und<br />
Neue Vermögen AG in Traunstein, mit dessen Bau Ende<br />
dieses oder Anfang nächsten Jahres begonnen werden<br />
soll, soll eine nach heutigem Stand der Technik optimale<br />
Nutzung nachwachsender Rohstoffe für die Erzeugung<br />
von Strom, Wärme und Biokraftstoffen bei minimaler<br />
Belastung der Umwelt erlauben. Mit ökologischer Orientierung<br />
hat auch der Fertigbau-Spezialist Regnauer in<br />
Seebruck eine Marktnische gefunden – und zwar nach<br />
Angaben von Geschäftsführer Michael Regnauer nicht<br />
nur bei Privatbauten, sondern auch im Objekt- und Wirtschaftsbau.<br />
Ähnlich gilt der Mineralwasser-Hersteller<br />
Siegsdorfer Petrusquelle als ökologischer Pionierbetrieb.<br />
Und ein seit einem Jahr bestehendes Aktionsbünd-<br />
nis „Sonnenenergie vom Watzmann bis zum Wendelstein“<br />
kann bereits auf ansehnliche Erfolge verweisen.<br />
Biomasse-Heizkraftwerke in Reit im Winkel und auf Gut<br />
Ising haben sogar schon das Interesse von Energieexperten<br />
aus Peking erregt.<br />
Fortschrittliche Technik trifft im Landkreis Traunstein<br />
quasi an jeder Ecke auf Traditionen, die fortwirken. Die<br />
Schuhmacher-Familie Meindl in Kirchanschöring, die<br />
seit mehr als 300 Jahren in dieser Branche aktiv ist, hat<br />
sich mit mehr als 200 Mitarbeitern und einem Fertigungsvolumen<br />
von über einer Million Schuhen im Jahr<br />
zu einem der international führenden Hersteller von<br />
Wander-, Trekking- und Bergschuhen entwickelt – eine<br />
der wenigen Schuhfabriken mit richtiger Produktion am<br />
Standort Deutschland, deren Name in der Outdoor-Szene<br />
weithin Klang hat. Die Waginger Privatkäserei Bergader,<br />
die auf eine kleine, 1902 gegründete Dorfkäserei<br />
zurückgeht, hat sich in eine führende Position unter den<br />
deutschen Anbietern an der Käsetheke gebracht, so<br />
etwa mit dem 1972 eingeführten „Bavaria blu“, der zum<br />
Inbegriff einer neuen Blauschimmel-Käsegeneration<br />
wurde. Auf eine 1889 in Berlin gegründete Metallätzerei<br />
geht das seit 1948 in Traunreut ansässige Unternehmen<br />
Heidenhain zurück, ein wachstumsstarker Konzern mit<br />
heute fast 800 Millionen Euro Umsatz und 6500 Mitarbeitern,<br />
der als Hersteller von Präzisionsgeräten in<br />
vielen Branchen gefragt ist. Eine europäische Ariane-5-<br />
Rakete, die im Februar 2004 auf die voraussichtlich zehn<br />
Jahre dauernde Reise zum Kometen Churyumov-Gerasimenko<br />
geschickt wurde, ist mit hoch auflösenden Winkelmessgeräten<br />
des Traunreuter Unternehmens ausgestattet.<br />
Der Inzeller Anlagen- und Maschinenbauer<br />
Alfons Pleiterer, ein alteingesessener, auf eine 1657<br />
erstmals erwähnte Schmiede zurückgehender Spezialist<br />
für präzise Metallwerkstücke, fertigt so genannte<br />
Übergangs-Reduziermuffen, die in den Nachfolgebau<br />
des zerstörten World Trade Centers in New York eingebaut<br />
werden. Die Firma Hermann Otto GmbH in Fridolfing,<br />
im Jahre 1881 in Berlin als Kittfabrik gegründet, hat<br />
sich zu einem im In- und Ausland angesehenen Unternehmen<br />
der Bauchemie entwickelt. Zu einem weltweit<br />
angesehenen Hersteller von Bootsanhängern hat Hermann<br />
Harbeck die väterliche Schmiede in Waging gemacht,<br />
in die er 1954 als Lehrling eingetreten war.<br />
✔<br />
Traditionsbetriebe und Neugründungen<br />
September 2006<br />
So tragfähig das Fundament der unternehmerischen<br />
Tradition in vielen Fällen ist, so erfolgreich agieren im<br />
Landkreis Traunstein auch Jungunternehmer und kleine<br />
bis mittlere Firmen. Ein solches Beispiel ist Rolf Philipp,<br />
der in Übersee innerhalb weniger Jahre einen namhaften
September 2006<br />
Luftfahrtzulieferer, die Firma Aircraft Philipp, aufgebaut<br />
hat. Sie stellt unter anderem Präzisionsteile für die Türen<br />
des neuen Airbus A380 her. In Kirchanschöring hat<br />
sich Hans Reiter mit seinem Unternehmen Reiter Engineering<br />
exklusiven Rennautos verschrieben, die er als<br />
Partner des italienischen Herstellers Lamborghini international<br />
für anspruchsvolle Kunden umbaut. In Grassau<br />
hat sich der Jurist Thomas Allertseder mit der Firma Skywalk<br />
unter Gleitschirmfliegern und Kitesurfern durch<br />
spezielle Angebote für diese Kundengruppe einen Namen<br />
gemacht. Aus der Schreinerei seines früh verstorbenen<br />
Vaters hat Georg Brüderl in Traunreut einen Spezialisten<br />
für Architektur und Innenarchitektur gemacht,<br />
der mit einer hochmodernen, computergesteuerten Fertigung<br />
seinesgleichen sucht und das gesamte Spektrum<br />
des Planens, Bauens und Einrichtens auf individuelle<br />
Weise abdeckt.<br />
Beispielhaft für die Stärken der Region erscheint es,<br />
dass die Fusion der Münchner Bank mit der Raiffeisenbank<br />
München computertechnisch von Chieming aus<br />
vollzogen wurde. Die junge Firma Chiemgau Online Service<br />
hat die beiden genossenschaftlichen Finanzhäuser<br />
mit 46 Zweigstellen, 50 Servern, mehr als 200 Netzwerk-<br />
Druckern, über 50 Bargeldautomaten und 60 Kontoauszugsdruckern<br />
über ein Wochenende reibungslos<br />
vernetzt. Ein Team des mittelständischen Siegsdorfer<br />
Unternehmens Rudolf Braun hat durch langes Tüfteln etwas<br />
geschafft, was zuvor noch niemand gelungen war:<br />
Mit einem neuen Kurbelsystem der Firma kann man nun<br />
Jalousien an Fenstern und Türen gleichzeitig bedienen –<br />
trotz der unterschiedlichen Höhen. Die Aeronautec<br />
GmbH in Seeon hat sich unterdessen mit intelligenten<br />
Sonnensegeln einen Namen gemacht. 17 Stück davon<br />
dienen im Langnese Summer Club an der Costa del Luz<br />
tagsüber zur Beschattung und nachts als Projektionsflächen<br />
für Lichtreflexe.<br />
Ist es Zufall, dass gerade aus dem Landkreis Traunstein<br />
gleich mehrere Unternehmen mit wegweisenden Zulieferungen<br />
zur Allianz-Arena Aufsehen erregt haben? Das<br />
Fußballstadion erstrahlt mit mehr als 4000 speziell entwickelten<br />
Sonderleuchten der Traunreuter Firma Siteco,<br />
die auch die Zugangsstrecke zur Formel 1 beim Grand<br />
Prix von China ins rechte Licht gerückt hat, das Turiner<br />
Olympiastadion, den Plenarsaal des Bayerischen Landtags<br />
und die Münchner Highlight-Tower. Die inzwischen<br />
praktisch zum Markenzeichen der Allianz-Arena gewordene<br />
Außenhaut mit 2800 farblich veränderbaren Elementen<br />
in Rautenform stammt ebenfalls aus dem Landkreis<br />
Traunstein: von dem in Obing am Chiemsee ansässigen<br />
Unternehmen Covertex, das nun auch am Stadion<br />
für die Olympischen Spiele 2008 in Peking, dem futuristischen<br />
„Vogelnest“, eine ähnliche Außenhaut an-<br />
München/Oberbayern<br />
bringt. Der Traunreuter Innenausstatter Brüderl und die<br />
Schreinerei Mittermaier in Pittenhart haben den Großteil<br />
der 106 Logen in der Fußballarena ausgestattet und<br />
dabei etliche Firmen aus der Region als Subunternehmer<br />
mit ins Boot genommen.<br />
✔<br />
Mit Quellwasser, Malz und gutem Korn<br />
Auf welch ausgefallene Ideen man auch in umkämpften<br />
Märkten kommen kann, beweisen nicht zuletzt die recht<br />
agilen Brauereien in der Region. Die kürzlich durch einen<br />
– inzwischen ausgestandenen – Markenstreit mit<br />
der nordrhein-westfälischen Brauerei Warsteiner in die<br />
Schlagzeilen geratene Schlossbrauerei Stein in Stein an<br />
der Traun, seit 1489 ein Traditionsbetrieb im Herzen des<br />
Chiemgaus, befindet sich mitten in einer ehrgeizigen Expansionsstrategie.<br />
Geschäftsführer Helmut Mühleisen<br />
setzt große Erwartungen in ein zunehmendes Auslandsgeschäft,<br />
aber ebenso in den Aufbau einer Erlebniswelt,<br />
so in einer Höhlenburg, die zu einem geheimnisvollen<br />
Fabelland rund um den sagenhaften Raubritter Heinz<br />
von Stein gestaltet wird. Auf ganz andere Weise bringt<br />
das 1612 gegründete Hofbräuhaus Traunstein frischen<br />
Wind in die Wirtshausszene, nämlich mit einer so genannten<br />
„inszenierten Gastronomie“, bei der einfallsreich<br />
ausgefallene Unterhaltungselemente in die Lokale<br />
integriert werden. Mehr als 30 unterschiedlichste Marketingkonzepte<br />
für Gaststätten hat der persönlich haftende<br />
Gesellschafter Bernhard Sailer zusammen mit<br />
seinem Team schon entworfen.<br />
Auffallend ist eine starke Investitionstätigkeit vieler<br />
Unternehmen im Landkreis. Manche vollziehen sogar<br />
quasi eine Wende zurück zur Region, so etwa Alzmetall,<br />
ein Spezialist für CNC-Bearbeitungszentren, Bohrmaschinen<br />
und Sondermaschinen mit eigener<br />
Gießerei: Nachdem kleinere Teile der<br />
Fertigung bereits an Partnerunternehmen<br />
im billigeren Ausland – Bulgarien<br />
und Kroatien – verlagert worden waren,<br />
werden jetzt alle „outgesourcten“ Tätigkeitsbereiche<br />
wieder ins Altenmarkter<br />
Stammwerk integriert. Roland Ilg, der<br />
Vorsitzende der Geschäftsführung, äußert<br />
sich stolz darüber, dass diese Ent-<br />
Ins Ausland<br />
verlagerte<br />
Betriebsteile<br />
kehren wieder<br />
zurück.<br />
scheidung durch eine weit gehende Vereinbarung mit<br />
der Belegschaft ermöglicht wurde. Die Mitarbeiter haben<br />
sich im Gegenzug zu einem Paket von Maßnahmen<br />
bereit erklärt, die dem Unternehmen nach Ilgs Worten<br />
zu erheblicher Flexibilitätssteigerung verhelfen. Dabei<br />
spannt sich der Bogen von der 39,4-Stunden-Woche bei<br />
unveränderter Bezahlung für 35 Stunden über reguläre<br />
Samstagsarbeit bis zur Abhängigkeit eines Teils des<br />
45
46<br />
München/Oberbayern<br />
Weihnachtsgeldes von einem positiven Ergebnis der gewöhnlichen<br />
Geschäftstätigkeit. Nicht zuletzt aus diesem<br />
Grund kann die Belegschaft nach einer beendeten Phase<br />
des Personalabbaus nun zunächst bei 300 Personen<br />
stabilisiert werden. Der Standort ist damit gesichert.<br />
Das belegen auch Investitionen in einen Ausbau der Gießerei<br />
und den Maschinenbau von annähernd drei Millionen<br />
Euro, die Alzmetall für dieses und das nächste Jahr<br />
beschlossen hat.<br />
Einen ähnlichen Weg geht der Beleuchtungsspezialist<br />
Siteco, der seinen Hauptstandort Traunreut mit Investitionen<br />
von fünf Millionen Euro stärkt und gleichzeitig<br />
einen Ergänzungstarifvertrag abgeschlossen hat, in<br />
dem eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit um fünf<br />
Stunden, eine Koppelung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld<br />
an den unternehmerischen Erfolg und der<br />
Verzicht auf übertarifliche Zulagen festgeschrieben<br />
wurden. Eine Fertigung im slowenischen Maribor wird<br />
nach Traunreut und in eine bestehende chinesische<br />
Produktionsstätte verlagert.<br />
✔<br />
Es wird weiter investiert<br />
Ähnlich bekennen sich viele Unternehmen der Region<br />
September 2006<br />
ausdrücklich zu diesem Standort. Das in Bergen ansässige<br />
Unternehmen Meindl etwa, das mit mehr als 70<br />
Mitarbeitern anspruchsvolle Werkzeugteile für die Luftfahrt-,<br />
die Fahrzeug- und die Hausgeräteindustrie herstellt,<br />
hat dies durch den Neubau einer Produktionshalle<br />
für rund 3,5 Millionen Euro belegt. Die Kraiburg-Gruppe,<br />
ein angesehener Anbieter von Kautschuk- und Gummi-<br />
Kunststoff-Mischungen, baut ihr Werk in Tittmoning für<br />
rund 20 Millionen Euro aus. Die zum Papierkonzern<br />
Hamburger Spremberg gehörende Papierfabrik Rieger<br />
hat in den vergangenen zehn Jahren an ihrem Standort<br />
Trostberg rund 40 Millionen Euro investiert. Der Heidenhain-Konzern<br />
stärkt seine Präsenz im Landkreis zurzeit<br />
trotz seiner starken Auslandsaktivitäten in 43 Ländern<br />
durch den Neubau eines Produktions- und Entwicklungsgebäudes<br />
für rund 45 Millionen Euro.<br />
Auch der Siegsdorfer Folienmaschinen-Spezialist Brückner<br />
lässt trotz seiner starken internationalen Marktstellung<br />
keinen Zweifel aufkommen, dass er an diesem<br />
Standort festhalten will. Wie Siteco die Stärken seiner<br />
Heimat einschätzt, das bringt Geschäftsführer Andreas<br />
Schütte auf eine einfache Formel: „Das Herz von Siteco<br />
schlägt in Traunreut.“<br />
Dr. Lorenz Goslich