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klangspuren zeitung sept05 - Klangspuren Schwaz Tirol

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September 05<br />

MIT DEM RÜCKEN ZUR WAND Carsten<br />

Auf dem Flachdach des neuen Themenmuseums<br />

Alpinarium Galtür spielen Stefan<br />

Schwarzenberger und Andreas Schiffer mit<br />

ihren Walkie-Talkies und blödeln in der Pose<br />

des lässigen Funkers. Die beiden Schlagzeuger<br />

vom Percussion-Ensemble The Next<br />

Step haben ausgezeichnete Laune – und ein<br />

Problem: Am nächsten Tag sollen sie für eine<br />

große Freiluftmusik gemeinsam mit zehn Kollegen<br />

aus zweieinhalb Kilometern Entfernung<br />

einen Feldweg entlang in Richtung Alpinarium<br />

marschieren und dabei ihre großen Trommeln<br />

schlagen. Und zwar im Takt. Der wiederum<br />

soll ihnen vom Alpinarium aus als so genannte<br />

Klickspur über Funk zugespielt werden – doch<br />

die gerade erst gelieferten Funkgeräte schalten<br />

sich alle sechzig Sekunden automatisch<br />

ab. Und das ist nicht das einzige technische<br />

Problem, das bei dieser Probe für die Uraufführung<br />

von Georg Friedrich Haas’ „Ritual“ in<br />

Galtür irgendwie gelöst wird.<br />

Am Tag darauf, exakt um 17 Uhr 56 Minuten<br />

und 54 Sekunden, heben auf dem Südhang<br />

des Grießkogel über Galtür die ersten Töne<br />

der Freiluftmusik an, und Schlag neunzehn<br />

Uhr ist klar, dass die Uraufführung dieser in<br />

vielerlei Hinsicht beachtlichen Komposition<br />

gelungen ist. Da sind „Steinadler eins“ und<br />

„Steinadler zwei“ und die anderen Trommler<br />

ganz im Takt auf ihrem Feldweg vor dem<br />

Alpinarium angekommen; da haben sich drei<br />

Blaskapellen mit insgesamt 180 Musikerinnen<br />

und Musikern unter der Regie von vier Haupt-<br />

und 18 Subdirigenten wie geplant kreuz und<br />

quer über den Hang bewegt, unterstützt von<br />

Dutzenden Technikern, Signalgebern, Stoppuhrbetreibern,<br />

beobachtet und belauscht<br />

von über tausend Besuchern. Pünktlich um<br />

neunzehn Uhr haben die Glocken der östlich<br />

gelegenen Pfarrkirche Mariä Geburt den letzten<br />

Abschnitt der Komposition eingeläutet;<br />

sogar der Westwind hat mitgespielt und ist<br />

ein wenig abgeflaut, so dass das finale Geläut<br />

nicht verweht wurde, sondern dem Publikum<br />

auf der Wiese hinter dem Alpinarium deutlich<br />

vernehmbar blieb.<br />

Nur eine Durchlauf- und eine Generalprobe<br />

standen für dieses ungewöhnliche Konzert zur<br />

Verfügung; zuvor hatten sich alle beteiligten<br />

Ensembles über Wochen in eigenen Proben<br />

vorbereitet: die Stadtmusik Landeck-Perjen<br />

mit ihrem Leiter Hermann Delago, die Swarovski<br />

Musik Wattens mit Franz Schieferer,<br />

die Militärmusik Vorarlberg unter Major Karl<br />

Gamper, der anschließend die Gesamtleitung<br />

des musikalischen Großmanövers übernahm.<br />

Eine enorme Leistung der beiden Laienkapellen,<br />

aber auch der Profis vom Bundesheer.<br />

Denn Haas’ filigrane Musik verlangt höchste<br />

Akribie und Gewissenhaftigkeit, schon im<br />

Konzertsaal, erst Recht aber auf nicht nur<br />

akustisch schwierigem Terrain. Vor allem die<br />

sinnlichen Phänomene des Klangs interessieren<br />

den 53-jährigen Komponisten, der international<br />

lange schon als einer der wichtigsten<br />

Vertreter der österreichischen Musikszene<br />

geschätzt wird. Haas experimentiert mit mikrotonalen<br />

Stimmsystemen, mit halb- und vierteltönig<br />

temperierten Skalen, mit Flageoletts und<br />

Obertonreihen, aus denen er von expressiven<br />

Melodien durchwirkte schwebende, schwirrende<br />

Klangflächen gestaltet, feingliedrige,<br />

mal abgedunkelte, mal leuchtend erhellte<br />

Klangstrukturen, die sich aneinander reiben<br />

und in sich drehen, sich kaum merklich<br />

tastend verändern in sanft gleitenden Übergängen.<br />

Klangliche Irritationen, irreal wirkende<br />

Klangsphären einer schillernden Zwischenwelt.<br />

Präzisionsarbeit für die Interpreten.<br />

Für die <strong>Klangspuren</strong> <strong>Schwaz</strong> hat Georg F.<br />

Haas seine musikalischen Konzepte aus dem<br />

Konzertsaal in die freie Natur übertragen.<br />

„Ritual“ ist Musik, die durch die Landschaft<br />

konturiert wird und selbst die Landschaft<br />

belebt, die sich mit ihrer Umgebung symbiotisch<br />

vereinigt. Und die mit der veränderten<br />

Wahrnehmung von Klängen aus ungewohnter<br />

Ferne spielt. Denn die im Konzertsaal gültigen<br />

Gesetze des Raums sind im offenen Gelände<br />

außer Kraft, die Zeit ist kein fester Parameter<br />

mehr: 330 Meter legt der Schall in einer<br />

Sekunde zurück, und Haas hat die Musiker<br />

in einem Areal von zweieinhalb Kilometern<br />

Fastner<br />

DIE URAUFFÜHRUNG EINER FREILUFTMUSIK VON GEORG FRIEDRICH HAAS IN GALTÜR<br />

WAR „RITUAL“ UND REFLEXION ZUGLEICH.<br />

Fotos Dave Bullock<br />

„STEINADLER EINS AN STEINADLER ZWEI, BITTE KOMMEN!“<br />

Ausdehnung verteilt. Dass die Zeit so ihre<br />

Objektivität verliert, wird am besten deutlich<br />

anhand der zwölf Schlagwerker: Sie sind auf<br />

ihrem Weg zum Alpinarium anfangs über<br />

eine Strecke von 1400 Metern aufgestellt,<br />

und wenn sie, geleitet von der Klickspur via<br />

Funk, gleichzeitig auf ihre Trommeln schlagen,<br />

dann haben die Schallwellen dieser Schläge<br />

unterschiedlich lange Wege zu den Ohren<br />

des Publikums. Ein Schlag nach dem anderen<br />

treffen sie ein.<br />

Topografie, Windrichtung, Schallgeschwindigkeit<br />

und Echo: Alles hat Haas bei der Komposition<br />

von „Ritual“ berücksichtigt. In einer<br />

fast hundertseitigen Partitur (Universal Edition<br />

Wien) hat er nicht nur seine Musik notiert,<br />

sondern auch eine ausgeklügelte Choreografie,<br />

nach der er die Musiker über den Hang<br />

des Grießkogel leitet: Aus der diffusen Klangverteilung<br />

der Anfangsaufstellung in einzelnen<br />

Instrumentengruppen formiert er die Interpreten<br />

immer wieder neu, lässt Klangflächen von<br />

hier nach dort tragen, Schallmauern errichten<br />

und wieder zusammenbrechen, Melodien<br />

mal von links, mal von rechts herüberwehen;<br />

unter dem strengen Rhythmus eines Marschfragmentes<br />

führt er die Musiker schließlich in<br />

ihren eigenen Ensembles zusammen; zuletzt<br />

gehen, unter dem Geläut der Galtürer Kirche,<br />

alle getrennter Wege ab.<br />

In einem Publikumsgespräch am Abend vor<br />

der Uraufführung erläuterte Haas ausführlich<br />

seine musikalischen Vorstellungen und Techniken,<br />

gab Einblick in die logistischen und technischen<br />

Schwierigkeiten bei der Umsetzung.<br />

Aber er nahm auch außermusikalisch Bezug<br />

zum konkreten Ort seiner Musik, erzählte,<br />

dass er, selbst in den Bergen aufgewachsen,<br />

von Kind an gelernt habe, „die Natur in ihrer<br />

Gewalt und in ihrer Schönheit zu fürchten und<br />

zu lieben“. Und er erzählt, sichtlich beeindruckt,<br />

eine Geschichte aus dem Vorarlberger<br />

Bergdorf Parthenen: Dort habe es eines Winters<br />

einmal nicht mehr aufgehört zu schneien.<br />

Der kleine Ort sei beinahe schon von der<br />

Außenwelt abgeschnitten gewesen, und dennoch<br />

habe niemand ernsthaft daran gedacht,<br />

Haus und Hof zu verlassen. Bis auf einmal<br />

ein alter Mann die Bewohner zusammenrief<br />

und bestimmte: „Jetzt gemma!“ Kurze Zeit<br />

später ging eine Lawine nieder und zerstörte<br />

das leere Dorf. Haas ist felsenfest davon überzeugt,<br />

dass dieser Mann die drohende Gefahr<br />

gespürt habe, er geht von einer Fähigkeit<br />

jenseits von Naturbeobachtung und Erfahrung<br />

aus: von einem Gefühl für die Natur, ähnlich<br />

dem Instinkt der Tiere, die Gefahren wittern.<br />

Und dieses Gefühl für die Natur, meint Haas,<br />

sei heute nicht nur in den urbanen Zentren,<br />

sondern auch in der tourismusorientierten<br />

Bergwelt verloren gegangen.<br />

Für ihn, betont Haas, sei auch das ein zentraler<br />

spuren ALPIN<br />

3<br />

Gedanke bei der Komposition von „Ritual“<br />

gewesen. Es ist ein bezeichnender Gedanke<br />

für den gesellschaftspolitisch hellwachen<br />

Komponisten, der mit seiner wahrnehmungsintensiven<br />

Musik doch auch Sphären des<br />

Unbewussten erreicht. Sein Stück ist gleichermaßen<br />

„Ritual“ und Reflexion – und das an<br />

besonderer Stelle: Die Musiker spielen mit<br />

dem Rücken zu jener Wand des Grießkogel,<br />

von der am 23. Februar 1999 eine gewaltige<br />

Lawine abging und 31 Menschenleben forderte.<br />

Die Außenmauer des Alpinariums ist<br />

Teil des neu errichteten Lawinenschutzwalls.<br />

An diesem Ort kann „Ritual“ gar nicht anders<br />

gehört werden denn als große Trauermusik.<br />

Deswegen belässt es Haas nicht bei<br />

einer Naturbeschwörung, deswegen fragt<br />

er zugleich nach der Verantwortung des<br />

Raubbau treibenden, Profit maximierenden<br />

Menschen für die Naturkatastrophe – nicht<br />

ohne einen entscheidenden Hinweis auf<br />

das wahre Verhältnis zwischen Mensch und<br />

Natur zu geben: Die geballten sonoren Kräfte<br />

dreier Blaskapellen und eines Dutzends<br />

Schlagwerker nämlich, sie verpuffen auf dieser<br />

Bühne zu vom Winde verwehten Klangschwaden.<br />

Gegen den Berg ist selbst mit<br />

militär-musikalischer Hilfe kein Ankommen.<br />

Carsten Fastner ist Kulturredakteur des<br />

„Falter“, Wien<br />

Mehr zur Entstehungsgeschichte von „Ritual“:<br />

www.<strong>klangspuren</strong>.at/fortsetzung.php

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