klangspuren zeitung sept05 - Klangspuren Schwaz Tirol
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4 SCHWERPUNKT spuren September 05<br />
DIE GITARRE IN DER NEUEN MUSIK Gunter<br />
STREIFZÜGE UND MOMENTAUFNAHMEN<br />
Salut für Caudwell, Helmut Lachenmann<br />
Um 1900 galt die Gitarre den meisten<br />
Menschen in Mitteleuropa als großteils<br />
anspruchsloses volkstümliches Begleitinstrument.<br />
Das ganze 19. Jahrhundert<br />
hindurch hatten ernsthafte Komponisten,<br />
gewiss auch wegen der nur dem aktiven<br />
Ko-Tha, Giacinto Scelsi<br />
Spieler zugänglichen Handhabung, die Gitarre<br />
gemieden, sie höchstens zur Begleitung<br />
einfacher romantischer Lieder im Volkston<br />
(Beethoven, Schubert, Weber) oder zur<br />
koloristischen Einfärbung eines Ständchens<br />
in der Oper (Rossini) verwendet und sie<br />
Schneider<br />
im Übrigen den artistischen Darbietungen<br />
von Virtuosen wie Sor, Giuliani und Mertz<br />
überlassen.<br />
So blieb es dem Spanier Manuel de Falla<br />
vorbehalten, mit Homenaja 1920 das erste<br />
Gitarrenstück eines Komponisten von Rang<br />
zu schreiben, ein schlichtes, sehr subtil<br />
angelegtes Stück Musik über Musik, das<br />
ausgehend von Zitaten aus einem Klavierstück<br />
Debussys die Welt der kubanischspanischen<br />
Habanera mit herzzerreißender<br />
Klage um den Tod des verehrten Freundes<br />
verbindet und in impressionistischer Leichtigkeit<br />
zu einem versöhnlichen Schluss<br />
findet. Dabei wird die Gitarre als Inbegriff<br />
der spanischen Musik unterstützt durch die<br />
impressionistische Klangwelt der Quarten-<br />
und Quintenakkorde transzendiert zu einem<br />
neu zu entdeckenden Klangkörper, dessen<br />
sechs in Quarten und einer Terz gestimmte<br />
Saiten, als Grundklang weit in die Zukunft<br />
weist – über Turina, Britten, Scelsi bis hin zu<br />
Lachenmann und darüber hinaus.<br />
Mitte der 20er Jahre taucht die Gitarre<br />
unerwartet in der Musik der 2. Wiener<br />
Schule auf – zuerst freilich, ganz in der<br />
Tradition Mahlers, der sie zusammen mit<br />
der Mandoline so auch in der 2. Nachtmusik<br />
seiner 7. Sinfonie einsetzte, als Begleitinstrument<br />
zur Darstellung des Volkstümlichen,<br />
des – durchaus auch gebrochenen<br />
– Idylls, des Ständchens. So hört man in der<br />
Wirtshausszene im 2. Akt von Alban Bergs<br />
Wozzeck einige schräge Gitarrenakkorde.<br />
Schönberg gab der Gitarre ihren ersten großen<br />
Part in seiner Serenade op. 24 für sieben<br />
Instrumente und tiefe Männerstimme im<br />
Mittelsatz, einem der ersten zwölftönigen<br />
Stücke. Die Serenade ist ein zwischen Karikatur<br />
und Innigkeit changierendes Ständchen<br />
im Spannungsfeld von Schrammelmusik,<br />
Mahler und dem Pierrot lunaire. Auch Webern<br />
ging in seinen Liedern für hohe Stimme, Es-<br />
Klarinette und Gitarre über volkstümliche<br />
Texte von der populären Aura der Gitarre, entdeckte<br />
aber ihre subtile Klanglichkeit, die er<br />
auch in seinen aphoristisch-fragmentarischen<br />
Orchesterstücken nützte.<br />
Knapp 30 Jahre später, 1953/54, standen<br />
Schönbergs Serenade und Pierrot lunaire<br />
Pate bei der Konzeption von Le marteau<br />
sans maître von Pierre Boulez, einem<br />
Schlüsselwerk im Schaffen von Boulez und<br />
der Neuen Musik insgesamt. Hier, in einem<br />
Ensemble der dämmrigen, dunkel lodernden<br />
Farbigkeit der Altlagen – Altstimme, G-Flöte,<br />
Bratsche, Gitarre, Xylorimba, Vibraphon<br />
und Schlagzeug – wurde alles neu definiert<br />
oder zumindest gesucht, der Weg der Musik<br />
zwischen Serialität und freier Komposition<br />
sowie Semantik, Behandlung und Klang der<br />
Instrumente. Anklänge sind am ehesten an<br />
weit Enferntes zu hören, etwa Gamelanmusik<br />
oder, im Fall der Gitarre, an fernöstliche<br />
Saiteninstrumente, keine Rede von Volkstümlichkeit!<br />
Diese freilich, vor allem spanisch-südamerikanisch<br />
orientiert, bestimmte und bestimmt<br />
den mainstream der Gitarrenmusik von Villa-<br />
Lobos und Joaquin Turina über komponierende<br />
Gitarristen wie Barrios und Lauro bis hin<br />
zu Luciano Berios Hommage an den Flamenco<br />
Sequenza XI aus der einst neue und ungewohnte<br />
Spieltechniken auslotenden avantgardistische<br />
Serie von Instrumentalsoli.